VERSORGUNG VON MENSCHEN IM LETZTEN LEBENSJAHR - Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung
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Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung VERSORGUNG VON MENSCHEN IM LETZTEN LEBENSJAHR Ein CoRe-Net Versorgungsbericht
IMPRESSUM Versorgungsbericht: Versorgung von Menschen im letzten Lebensjahr in Köln Herausgeber: CoRe-Net: Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung Universität zu Köln www.core-net.uni-koeln.de Stand: Juli 2021 Autor:innen: Katja Blaschke, Ingo Meyer, Julia Strupp, Alina Kasdorf, Raymond Voltz Beirat der Versorgungsberichte: Vertreter:innen der Caritas, der Uniklinik Köln, des gesundheitsladen köln e.V., der Stadt Köln, der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf- klärung und der Gesundheitsregion KölnBonn e.V. Gestaltung Deckblatt: Franziska Weber Bildnachweis Deckblatt: Simon/Köln Panorama; Quelle: Adobe Stock (ehem. Fotolia) Redaktion Executive Summary: TAKEPART Media + Science GmbH Kontakt: E-Mail: CoRe-Net-reports@uk-koeln.de
Inhalt Executive Summary ................................................................................................................................................. 3 1. Einleitung.......................................................................................................................................................... 5 2. Methodik ........................................................................................................................................................... 6 3. Versorgung im letzten Lebensjahr in Köln ........................................................................................................ 8 3.1. Grundlegende Daten zur Studienpopulation .......................................................................................... 8 3.2. Versorgung bei Eintritt in das letzte Lebensjahr ..................................................................................... 9 3.3. Versorgung im Verlauf des letzten Lebensjahres ................................................................................. 11 3.4. Versorgung kurz vor dem Tod .............................................................................................................. 16 4. Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Versorgung im letzten Lebensjahr ............................... 18 4.1. Der Plan-Do-Study-Act Zyklus ............................................................................................................. 18 4.2. Handlungsempfehlungen ..................................................................................................................... 18 Literatur ................................................................................................................................................................. 23 2
Executive Summary Der eigene Tod ist ein Thema, das jeden Menschen Vordergrund der Handlungsempfehlungen steht da- im Laufe des Lebens beschäftigt. Besonders in der her zunächst die frühzeitige, transparente und ange- letzten Lebensphase können die individuellen Ge- messene Kommunikation über das absehbare Le- danken und Gefühle zum eigenen Sterben eine Her- bensende. ausforderung sein. In dieser Phase rückt außerdem Die Grundlage für den frühzeitigen Dialog ist jedoch, die Frage nach den individuellen Versorgungsbedürf- dass der tödliche Krankheitsverlauf rechtzeitig er- nissen in den Vordergrund. Dabei geht es um The- kannt wird. Der CoRe-Net Bericht empfiehlt, zu die- men wie den gewünschten Sterbeort, um die Kom- sem Zweck bereits bestehende Prognoseinstru- munikation über das Sterben und um Entscheidun- mente wie die „surprise question“ stärker zu verbrei- gen zu komplexen Behandlungsbedürfnissen. In der ten und sie noch effektiver einzusetzen. Durch die letzten Lebensphase die Bedürfnisse eines Men- frühere Kommunikation des absehbaren Versterbens schen bestmöglich zu erfüllen ist für Angehörige, die könnte auch die palliative Versorgung verbessert Akteure des Gesundheitswesens und die Sterben- werden. Aus dem CoRe-Net Bericht geht hervor, den selbst eine große Herausforderung. dass der Zeitpunkt des Beginns einer Palliativversor- Mit dieser Aufgabe befasst sich der Bericht „Versor- gung bei den Kölner:innen sehr stark variierte. Ein gung von Menschen im letzten Lebensjahr in Köln" Viertel der Betroffenen hat jedoch erst verhältnismä- der BMBF-geförderten Initiative CoRe-Net. Er bietet ßig kurz vor ihrem Tod eine palliative Versorgung in eine Zusammenfassung von Studienergebnissen der Anspruch genommen. Die frühere Auseinanderset- „Last Year of Life in Cologne“ (LYOL-C) Studie (2017 zung mit dem absehbaren Tod kann auch eine Mög- bis 2020). Der Bericht bezieht sich auf die drei Teil- lichkeit sein, rechtzeitiger eine angemessene pallia- studien: Interviews mit Versorgenden, Auswertungen tive Versorgung anzubieten. von Krankenkassendaten und eine Befragung von Angehörigen im Großraum Köln Verstorbener. In der Kommunikation zwischen Patient:innen und ih- ren Ärzt:innen liegt weiteres Potenzial die Versor- Die aus der Studie resultierenden Erkenntnisse ge- gung zu verbessern. Die Gruppe der interviewten ben beispielhaft Aufschluss über die Herausforderun- Versorgenden gab beispielsweise an, dass eine un- gen der medizinischen und pflegerischen Versor- zureichende Kommunikation zwischen Patient:innen gungssituation von Kölner:innen in ihrem letzten Le- und ihren Ärzt:innen zu nicht notwendigen Wechseln bensjahr. Dabei deckt der Bericht eine eindeutige der Versorgungsbereiche führen kann. Dies stellt für Notwendigkeit auf, die Versorgung am Lebensende die Erkrankten potentiell eine belastende Situation zu verbessern. Neben klaren Handlungsempfehlun- dar, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, die Anzahl gen bietet der CoRe-Net Bericht außerdem eine Per- der Wechsel zwischen den Versorgungsbereichen so spektive auf das bestehende Potenzial, das in den weit wie möglich zu reduzieren. Um Patient:innen Kölner Strukturen zur Versorgungsoptimierung be- und Angehörige zu befähigen, sich aktiv in die Ent- reits existiert. scheidungen zur Versorgung einzubringen, können Das Kernelement der Handlungsempfehlungen ist Schulungen und lokale Kampagnen eingesetzt wer- eine Optimierung der Kommunikation in der und über den („patient empowerment“). Außerdem kann der die letzte Lebensphase. Es wird aufgezeigt, dass Einsatz von strukturierten, vorgefertigten Fragelisten („question promt sheets“) Patient:innen und Angehö- etwa zwei Drittel der Kölner:innen über ihr absehba- rige motivieren, sich im ärztlichen Gespräch aktiv in res Versterben nicht unmissverständlich, nicht recht- zeitig oder nicht angemessen aufgeklärt wurden. Im den Dialog über ihre Erkrankung einzubringen. 3
Der Aspekt der transparenten Kommunikation über zu suchen, die diese regelmäßige Abfrage von Pati- die eigene Erkrankung spielt auch für die Angehöri- ent:innenpräferenzen ermöglichen. gen eine wichtige Rolle. Der versterbende Mensch Ein weiterer Fokus liegt auf der Optimierung der Zu- verbringt 95 % der letzten Lebenszeit mit naheste- sammenarbeit zwischen den Versorger:innen. So- henden Personen, die nicht zum professionellen wohl in der Angehörigenbefragung als auch in der Pflegeumfeld gehören. Aus der LYOL-C Studie geht Befragung der Versorgenden wurde die interprofes- dabei hervor, dass vor allem die Angehörigen der sionelle Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ver- Nicht-Krebspatient:innen sich zu wenig informiert sorgungsbereiche schlecht bewertet. Die Folge sind und unterstützt fühlten. Die Interviews der Versor- vermeidbare Belastungen für Patient:innen, Angehö- genden zeigen ergänzend auf, dass eine Überforde- rige und die Versorger:innen selbst. Aus diesen rung der Angehörigen mit der Versorgung der Er- Gründen ist die Stärkung der Vernetzung der regio- krankten ein Grund für die häufigen Wechsel der Ver- nalen Versorger:innen eine Handlungsempfehlung, sorgungssettings sein könnte. Zur Unterstützung der die an beinahe alle zu optimierenden Themen des Patient:innen und Angehörigen empfiehlt der CoRe- Berichts anknüpft. Eine engere Zusammenarbeit un- Net Bericht den Einsatz einer Hauptansprechperson ter den Versorger:innen kann durch Aus- oder Wei- für die letzte Lebensphase eines Menschen – als terbildungen, aber vor allem durch ein stärkeres Be- Schnittstelle zwischen Ärzt:innen, Patient:innen und wusstsein für die interprofessionelle Zusammenar- Angehörigen. Durch eine solche Ansprechperson beit gelingen. würde zudem weiterer Raum für den Dialog über das Sterben und psychosoziale Aspekte der letzten Le- Nicht zuletzt bieten Initiativen zur Kompetenzstär- bensphase eingeräumt. kung im Dialog zu den Themen Sterben, Tod und Trauer ein großes Potenzial in der Versorgungsopti- Der angemessene Dialog über den baldigen Tod ist mierung im letzten Lebensjahr. In Köln wird dieses ausschlaggebend für die Zufriedenheit von Pati- Ziel bereits durch endlich e.V. und die Caring Com- ent:innen am Lebensende. Gerade an der ermittelten munity Köln gefördert. Letztere versteht sich als Er- Diskrepanz zwischen dem gewünschten und dem gänzung und Erweiterung zur klassischen Palliativ- wirklichen Sterbeort vieler Kölner:innen wird deutlich, und Hospizversorgung und knüpft Unterstützungs- wie wichtig die regelmäßige Abfrage von Patient:in- netzwerke zwischen professionellen und ehrenamtli- nenpräferenzen im letzten Lebensjahr ist („advanced chen Kräften auf lokaler Ebene. So sollen nicht nur care planning“). Dieser Dialog bietet Raum für die Patient:innen und Angehörige, sondern auch das ge- Frage nach dem Wunschsterbeort und für Entschei- samtgesellschaftliche Verantwortungsgefühl für die dungen zu einer kurativen oder palliativen Versor- Themen Sterben, Tod und Trauer nachhaltig unter- gung. Der CoRe-Net Bericht formuliert außerdem stützt werden. den Bedarf nach geeigneten Wegen und Strukturen 4
1. Einleitung Das Ende des eigenen Lebens ist für jeden einzelnen nisse anzubieten, durch die die Versorgung von Köl- Menschen höchst individuell. Es ist verbunden mit ner:innen in der letzten Lebensphase weiter verbes- persönlichen Wünschen, Erwartungen, Hoffnungen, sert werden kann. Häufig ist die Versorgung im letz- Sorgen und Ängsten. Dennoch berührt die Frage ten Lebensjahr sowohl geprägt von komplexen Be- nach den Umständen des Sterbens die ganze Ge- handlungsbedürfnissen als auch von der Inanspruch- sellschaft gleichermaßen. Besonders in Zeiten der nahme unterschiedlichster Versorgungsleistungen. Covid-19-Pandemie ist das Thema Sterben in den Diese reichen von der hausärztlichen Versorgung Medien und im sozialen Diskurs sehr präsent. Das über das Krankenhaus bis hin zur Pflege und zur Pal- Ende des eigenen Lebens wird von vielen Themen liativversorgung. Für die Optimierung der Versorgung bestimmt: Es geht um den richtigen Zeitpunkt das ist daher interessant, wie diese Zeit von den Betroffe- Sterben zu thematisieren, um alle Aspekte der Le- nen und ihren Angehörigen erlebt wird und welche bensqualität und um den Ort des Versterbens. Die Situationen sie als besonders belastend empfinden. Begleitung der Angehörigen ist ein weiteres wichti- Dieser Bericht bezieht sich auf Studienergebnisse, ges Thema der letzten Lebensphase eines Men- von denen Teile bereits in wissenschaftlichen Fach- schen. Hinzu kommen die spezifischen Herausforde- zeitschriften unter Voltz, Dust et al. [2020] und Kas- rungen für die beteiligten Akteure des Gesundheits- dorf et al. [2021] veröffentlicht wurden. In erster Linie wesens in Krankenhäusern, ärztlichen Praxen, Pfle- wendet sich der Bericht an diejenigen, die für die Ver- geeinrichtungen, ambulanten Pflegeteams etc. Die sorgung von Menschen verantwortlich sind: an Ak- Frage nach der individuellen und „angemessenen“ teure aus Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, am- Versorgung für den Sterbenden steht hierbei im Fo- bulanten Hospiz- und Pflegediensten, ärztlichen Pra- kus. xen und Ärzt:innennetzen. Wir möchten mit diesem Der vorliegende CoRe-Net Versorgungsbericht ist Bericht aber auch Krankenkassen, Verbände und der Erste einer Serie (zu CoRe-Net siehe Box 1), in kommunale Akteure ansprechen. Nicht zuletzt sind dem wir einen Überblick über die medizinische und auch Patient:innen, deren Angehörige, Ehrenamtli- pflegerische Versorgungssituation von Kölner:innen che und Zusammenschlüsse wie Selbsthilfegruppen im letzten Lebensjahr geben. Das Ziel des Berichts angesprochen. Sie alle sollen in diesem Bericht In- ist es, aus wissenschaftlicher Perspektive Erkennt- formationen finden, die für sie relevant sind. Bitte an die Leser:innen Gerade weil es der erste Versorgungsbericht in einer ganzen Reihe ist, sind die Autor:innen aus dem CoRe-Net Netzwerk und die Mitglieder unseres Beirats sehr interessiert an Rückmeldungen aus der Leserschaft. Für Fragen, Anregungen und Kommentare wenden Sie sich deshalb gerne an CoRe-Net-reports@uk-koeln.de. Box 1: CoRe-Net: Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung CoRe-Net ist eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Initiative zum Aufbau eines Kompetenznetzwerks aus Versorgungsforschung und Versorgungspraxis in Köln. Sie hat sich zum Ziel ge- setzt, mit innovativen Forschungsprojekten die medizinische und soziale Versorgung der Kölner Bevölkerung zu verbessern. Die erste Förderphase ist 2017 gestartet und aktuell läuft die zweite Förderphase. Am Aufbau des Netzwerkes sind die Humanwissenschaftliche Fakultät, die Medizinische Fakultät und die Wirtschafts- und Sozial- wissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln beteiligt. Weiterführende Informationen unter: https://www.core-net.uni-koeln.de 5
2. Methodik Dieser Bericht beruht auf den Ergebnissen der „Last und enthielt eine Filterfunktion. Die Angehörigen be- Year of Life in Cologne“ (LYOL-C) Studie, die als Teil antworteten daher nur Fragen, die für die Versorgung von CoRe-Net durchgeführt wurde1. Zusätzlich wur- ihres Nahestehenden relevant waren. Für die Befra- den zur Erstellung dieses Berichts Bevölkerungssta- gung wurde eine adaptierte, deutsche Version des tistiken zu Sterbezahlen im Großraum Köln herange- VOICES (Views of Informal Carers – Evaluation of zogen [Stadt Köln, 2019]. Services) Fragebogens herangezogen (VOICES- LYOL-Cologne). Dieser befasste sich thematisch mit Die LYOL-C Studie untersuchte das letzte Lebens- der Versorgung der Verstorbenen im letzten Lebens- jahr von erwachsenen Patient:innen, die in Köln ver- jahr. Im Speziellen wurden Versorgungsverläufe und storben sind. Der Studieneinschluss war dabei unab- Versorgungsübergänge untersucht, die Auswirkun- hängig von der Indikation der Betroffenen. Im Fokus gen auf das Wohlbefinden der Patient:innen und An- stand unter anderem die Inanspruchnahme von Ver- gehörigen haben. Außerdem wurden die Integration sorgungsleistungen. Ein weiterer Fokus lag auf den der Palliativversorgung im letzten Lebensjahr und die Übergängen zwischen den Leistungserbringern der Sterbephase untersucht. In den meisten Fällen wur- Versorgungsleistung, wenn diese gewechselt wur- den Ehegatten (42,5 %), Kinder (39,3 %), Geschwis- den. Außerdem wurde eine möglicherweise mit die- ter (5,1 %), Schwiegersöhne bzw. Schwiegertöchter sem Wechsel einhergehende Belastung für Be- (2,6 %), andere Verwandte (4,6 %) oder Freund:in- troffene und deren Angehörige untersucht. nen (3,4 %) befragt. Es wurden Häufigkeiten und Mit- telwerte berechnet und weitere beschreibende, sta- Die Studie verfolgte mehrere Ziele, um Möglichkeiten zur Optimierung aufzuzeigen. Dies betrifft die Modifi- tistische Parameter (Standardabweichung) be- kation von Behandlungsabläufen, die Transparenz stimmt. [Voltz et al., 2020] bei Versorgungsübergängen, die Steigerung der Interviews mit Versorgenden Nachhaltigkeit von Behandlungen, die Verringerung von Belastungen für die Patient:innen und Angehöri- Zwischen Mai und Oktober 2019 gen sowie die wertorientierte Ausnutzung der Res- wurden 16 Versorgende in fünf Ein- sourcen. zelinterviews oder zwei Gruppendis- kussionen befragt. Das Thema der LYOL-C wurde als sektorenübergreifende mixed-me- Befragung waren die Herausforderungen und Opti- thods Studie konzipiert. Der Bericht baut auf den un- mierungsmöglichkeiten der Versorgung von Men- ten stehenden LYOL-C Teilstudien auf. Diese sind in schen in ihrem letzten Lebensjahr. Die 16 Versorgen- diesem Bericht jeweils durch das vorangestellte den waren Allgemeinmediziner:innen, Pflegeperso- Symbol gekennzeichnet: nal, ambulante Fachärzt:innen, sowie Mitarbeiter:in- nen aus Hospizen, aus ambulanten Palliativversor- Befragung von Angehörigen im Großraum Köln gungsteams und aus Pflegeheimen. Die Gruppendis- Verstorbener kussionen und Einzelinterviews wurden per Audio- Zwischen November 2017 und April Aufzeichnung mitgeschnitten, im Anschluss ver- 2018 fand eine Befragung von 351 schriftlicht und durch eine qualitative Inhaltsanalyse Angehörigen von Personen statt, ausgewertet. [Kasdorf et al., 2021] die im Großraum Köln kürzlich ver- storben waren. Plötzliche Todesfälle wie zum Bei- spiel Unfälle wurden dabei ausgeschlossen. Der pos- talisch verschickte Fragebogen umfasste 106 Items 1 Mehr Informationen zur LYOL-C Studie: https://www.core-net.uni-koeln.de/lyol-c-i 6
Auswertung von Krankenkassendaten vorliegenden Erkrankungen (Kapitel 3.1), der Versor- gungsverläufe und der Leistungsinanspruchnahme Für die dritte Teilstudie wurden im letzten Lebensjahr (Kapitel 3.2-3.4) war es nötig, Krankenkassendaten (Routineda- die Population der Verstorbenen einzuschränken. Es ten) von Kölner:innen verwendet. wurden daher nur Versicherte einbezogen, die in ih- Dabei handelte es sich um Versi- rem letzten Lebensjahr durchgängig bei einer der vier cherte der vier großen gesetzlichen Krankenkassen genannten Krankenkassen versichert waren. Perso- DAK-Gesundheit, BARMER, pronova BKK und AOK nen, die ihre Kasse in diesem Zeitraum gewechselt Rheinland/Hamburg. Alle Personen waren zwischen haben wiesen keine vollständigen Daten auf, was zu 2015 und 2017 bei einer der vier Krankenkassen ver- Verzerrungen in der Auswertung geführt hätte. Ins- sichert. Diese Routinedaten sind in der CoRe-Net gesamt reduzierte sich die Populationsgröße durch Datenbank2 enthalten und umfassen etwas mehr als die Anwendung dieses Kriteriums von 14.654 auf 500.000 Kölner:innen. Dies entspricht in etwa der 14.472. Die Reduzierung fiel dabei in den jüngeren Hälfte der Stadtbevölkerung. Die Untersuchung der Altersgruppen höher aus als in den älteren. Gründe Daten für LYOL-C und für diesen Bericht wurden auf für den häufigeren Wechsel der Krankenversiche- alle Versicherten begrenzt, die in den Jahren 2015 rung bei jüngeren Menschen könnten Änderungen bis 2017 verstorben sind und zum Zeitpunkt ihres To- des Versichertenstatus, berufliche Veränderungen, des mindestens 20 Jahre alt waren. Dabei handelte Umzüge etc. sein. Es wurden Häufigkeiten berechnet es sich um eine Gruppe von 14.654 Kölner:innen. Die sowie Mittelwerte und weitere beschreibende statisti- Eigenschaften der Versicherten (Alter, Geschlecht) sche Parameter (Standardabweichung, Quantile) be- werden in diesem Bericht anhand dieser Population stimmt. beschrieben (Kapitel 3.1). Für die Untersuchung der 2 Mehr Informationen zur CoRe-Net Datenbank: https://www.core-net.uni-koeln.de/datenbank/ 7
3. Versorgung im letzten Lebensjahr in Köln Dieses Kapitel beginnt mit grundlegenden Zahlen zur Lebensjahres gegliedert sind. Sie behandeln die Ver- Demografie von verstorbenen Kölner:innen. Es fol- sorgung beim Eintritt in das letzte Lebensjahr, in des- gen drei Abschnitte, die nach den Phasen des letzten sen Verlauf und zum Zeitpunkt des Versterbens. 3.1. Grundlegende Daten zur Studienpopulation Auf Basis der vorliegenden Studiendaten können trug 76,5 Jahre (vgl. Tabelle 1 „A - Verstorbene An- Aussagen über das Alter und Geschlecht der jeweili- gehörigenbefragung“). Damit liegt es ebenfalls sehr gen Studienpopulation getroffen werden. Mit Hilfe der nah an dem Durchschnittsalter der Verstorbenen aus Krankenkassendaten können die Grunderkrankun- der gesamten Kölner Bevölkerung. gen der verstorbenen Kölner Versichertenpopulation In der Gruppe aller verstorbenen Versicherten und identifiziert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, der Gruppe der einbezogenen Verstorbenen aus der dass die dargestellten Krankheitsbilder die ärztlichen Angehörigenbefragung zeigen sich im Vergleich zu Diagnosen im letzten Lebensjahr abbilden. Diese der Gruppe aller Verstorbenen in Köln keine großen sind nicht mit der Todesursache gleichzusetzen. Unterschiede im Geschlechterverhältnis. Dabei ist Soziodemographische Merkmale die Verteilung in der Gruppe der Verstorbenen aus der Angehörigenbefragung die der Vergleichspopu- In den Krankenkassendaten der rund 14.600 Köl- lation am ähnlichsten (vgl. Tabelle 1). Somit kann da- ner:innen, die zwischen 2015 und 2017 verstorben von ausgegangen werden, dass die ausgewerteten sind, lag das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt ihres Daten hinsichtlich Alter und Geschlecht ein ange- Todes bei 78 Jahren. Frauen verstarben dabei in ei- messenes Abbild der Kölner Bevölkerung darstellen. nem höheren Alter (81 Jahre) als Männer (74 Jahre) (vgl. Tabelle 1 „B - Verstorbene Versicherte“). Dies In der Angehörigenbefragung wurde auch die Famili- trifft auch auf die Gesamtbevölkerung in Köln zu. Bei ensituation der Verstorbenen abgefragt. Fast die einer Betrachtung aller verstorbenen Kölner:innen Hälfte der Verstorbenen (46 %, 163 Personen) hatte der Jahre 2015 bis 2017 lag das durchschnittliche einen Partner oder eine Partnerin und der Großteil Sterbealter bei 78 Jahren (vgl. Tabelle 1 „Vergleich- (77 %, 126 Personen) wohnte mit dieser oder diesem spopulation Stadt Köln“). Frauen wurden im Schnitt in einem Haushalt. Knapp die Hälfte der Verstorbe- älter als Männer (80 vs. 75 Jahre) [Stadt Köln, 2019]. nen hatte außerdem Kinder (48 %, 168 Personen), Das Durchschnittsalter der Verstorbenen, die durch mit denen fast ein Fünftel der Verstorbenen (32 Per- die Angehörigenbefragung untersucht wurden, be- sonen) zusammengelebt hat. Ein Drittel der Verstor- benen (33 %, 114 Personen) lebte allein. Tabelle 1: Eigenschaften der untersuchten Populationen. A: Verstorbene aus Großraum Köln, deren Angehörige befragt wurden; B: Verstorbene Versicherte aus Köln, Vergleichspopulation: Verstorbene in Köln zwischen 2015-2017 A B Vergleichspopulation Verstorbene Verstorbene Stadt Köln: Angehörigenbe- Versicherte Verstorbene 2015-2017 fragung Population: 351 Personen 14.654 Personen 28.129 Personen Durchschnittsalter in Jahren 76,5 78 77,4 (Männer: 74; Frauen: 81) (Männer: 74,7 ; Frauen: 80,1) Geschlecht: Männer 168 Personen (47,9 %) 6.510 Personen (44,4 %) 13.988 Personen (49,7 %) Frauen 183 Personen (52,1 %) 8.144 Personen (55,6 %) 14.141 Personen (50,3 %) Quelle: [Stadt Köln, 2019; Voltz et al., 2020] 8
Vorliegende Erkrankungen Demenzerkrankungen, sowie Krebserkrankungen und Herzinsuffizienz auf. Bei den Alzheimer- und De- Charakteristisch für nahezu alle Ver- menzerkrankungen, sowie bei den Krebserkrankun- storbenen ist, dass sie im letzten Le- gen sind die Häufigkeiten zwischen Männern und bensjahr mindestens eine und häu- Frauen besonders unterschiedlich. Während Frauen fig mehrere Erkrankungen hatten. häufiger an Alzheimer bzw. Demenz erkrankten, lit- Dabei lag bei einem Großteil (81,6 %) der verstorbe- ten Männer im Vergleich etwas häufiger an Krebs nen Versicherten aus Köln eine Herzerkrankung (Abbildung 1). (ohne Herzinsuffizienz) vor (Abbildung 1). Etwas sel- tener traten Atemwegserkrankungen, Alzheimer- und 83 Herzerkrankungen (ohne Herzinsuffizienz) 80 39 Atemwegserkrankungen 45 33 Krebserkrankungen 42 48 Alzheimer- und Demenzerkrankungen 32 34 Herzinsuffizienz 32 27 Zerebrovaskuläre Erkrankungen 28 20 Nierenerkrankungen 23 11 Lebererkrankungen 16 6 Neurodegenerative Erkrankungen 6 0,1 HIV-Erkrankungen 1 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Frauen Männer % Abbildung 1: Erkrankungen der verstorbenen Kölner Versicherten im letzten Lebensjahr, differenziert nach Geschlecht. Krank- heitsgruppen definiert nach Murtagh et al. [2014]. Gesamtpopulation N = 14.472. Mehrfachnennungen möglich. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten. 3.2. Versorgung bei Eintritt in das letzte Lebensjahr Der Beginn der letzten Lebensphase ist nicht einfach Die Befragung der Angehörigen in vorherzusagen. Ein erstes Gespräch über die abseh- LYOL-C zeigt, dass von den Ver- bare Endlichkeit des eigenen Lebens ist eine Mög- storbenen aus dem Großraum Köln lichkeit, wie diese Phase eingeleitet wird. Dabei ist knapp zwei Drittel (64 %) darüber zum einen die Frage, zwischen wem dieses erste Ge- aufgeklärt wurden, dass ihre vorliegende Erkrankung spräch geführt wird. Es kann zum Beispiel zwischen zu einem baldigen Tod führen wird. Für das übrige Ärzt:in und Patient:in oder Patient:in und Angehöri- Drittel erfolgte keine Aufklärung dieser Art. Von den gen stattfinden. Die zweite Frage ist, wann dieses zwei Dritteln, die über ihren baldigen Tod aufgeklärt Gespräch erfolgt. Es kann bei der Diagnose-Stellung, wurden, erhielten 23 % diese Nachricht weniger als bei einer Verschlechterung der Situation oder bei ei- einen Monat vor ihrem Tod. Im Gegensatz dazu wur- ner Einlieferung ins Krankenhaus erfolgen. Das erste den 33 % der Betroffenen über ein Jahr vor ihrem Gespräch über die absehbare Endlichkeit des eige- Tod informiert. nen Lebens kann wenige Tage oder viele Monate vor dem Tod stattfinden. 9
Und wer überbringt die Nachricht? In den meisten Fällen (60 %) wurde 4,2% die Nachricht von Ärzt:innen im Ärzt:innen im Krankenhaus Krankenhaus übermittelt. Am zweit- 8,1% ambulante häufigsten war die Aufklärung durch Fachärzt:innen 11,8% ambulant tätige Fachärzt:innen (16 %) und naheste- nahe Verwandte hende Verwandte (12 %) (Abbildung 2). 15,6% 60,2% Hausärzt:innen In der Befragung der Angehörigen wurde auch die Art und Weise der Nachrichtenübermittlung bewertet. Sonstige Dabei wurde die Kommunikation von Ärzt:innen im Krankenhaus als am wenigsten sensibel und einfühl- sam eingestuft, gefolgt von ambulant tätigen Fach- Abbildung 2: Personen, die die Nachricht über eine abseh- ärzt:innen (Abbildung 3). bare Endlichkeit des Lebens an die verstorbenen Kölner:in- nen übermittelt haben. Ergebnisse Angehörigenbefragung. [Voltz et al., 2020] Letztendlich wünschten sich Patient:innen eine früh- zeitige und transparente Kommunikation über die Endlichkeit des Lebens. Nahe Verwandte (n=19) 84 16 Hausärzt:innen (n=14) 57 43 Ambulante Fachärzt:innen (n=25) 36 44 16 4 Ärzt:innen im Krankenhaus (n=91) 37 33 14 15 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 % ja eher ja eher nein nein Abbildung 3: Bewertung der Einfühlsamkeit und Sensibilität bei der Kommunikation der Endlichkeit des Lebens durch Angehörige der Verstorbenen in Köln. [Voltz et al., 2020; LYOL-C, 2021] Beginn der Palliativversorgung im letzten die Palliativversorgung im Durchschnitt rund 3 Mo- Lebensjahr nate vor Tod (92,5 Tage). Hinter diesem Durch- schnittswert verbergen sich allerdings individuell Der Beginn einer palliativen Versor- große, zeitliche Unterschiede: gung ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Patient:innen sich des nahen Für ein Viertel der Personen, die Palliativleistungen Todes bewusst sind. Die Palliativ- in Anspruch nehmen, beginnen diese frühestens 14 versorgung kann im ambulanten Bereich als spezia- Tage vor dem Tod. Für 5 % der Personen beginnen lisierte oder allgemeine Versorgung erfolgen. Statio- sie sogar frühestens 2 Tage vor dem Versterben. när ist die Palliativversorgung im Krankenhaus oder Dem entgegen steht ein weiteres Viertel der Perso- im Hospiz möglich (Details zu prinzipiell verfügbaren nen, die palliative Leistungen ab etwa 4 Monaten Arten von Palliativversorgung: siehe Box 2). (129 Tage) oder sogar noch früher vor dem Tod in Anspruch nehmen. 5 % erhalten etwa ein Jahr vor Die Krankenkassendaten zeigen, dass insgesamt dem Tod (347 Tage) oder früher eine palliative Ver- etwa ein Drittel der Kölner Verstorbenen (32,1 %) im sorgung. letzten Lebensjahr irgendeine Form von Palliativver- sorgung in Anspruch genommen hat. Dabei beginnt 10
Dabei hängt der Zeitpunkt des Versorgungsbeginns sterben. Dagegen begannen die spezialisierte, am- auch davon ab, welche Art von Leistung in Anspruch bulante Palliativversorgung (SAPV) und auch die genommen wurde. Die Palliativversorgung durch Versorgung im Krankenhaus durchschnittlich zwei (speziell qualifizierte) Hausärzt:innen (AAPV) be- Monate vor dem Tod und damit deutlich später. gann im Durchschnitt etwa 4 Monate vor dem Ver- Box 2: Arten der Palliativversorgung, nach denen in der Analyse unterschieden wird Stationär 1. Palliativversorgung im Krankenhaus / stationäre Palliativversorgung (kurz: stat. Pall.): Palliative Leistungen im Krankenhaus, sowohl auf der Palliativstation als auch auf anderen Stationen. 1. Palliative Versorgung im Rahmen der ambulanten Regelversorgung (kurz: pall. RV): Palliative Leistungen, die von niedergelassenen Haus- oder anderen Fachärzt:innen ohne spezielle Zusatzqualifikation erbracht werden. 2. Allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV): Medizinische und pflegerische Leistungen, die von niedergelassenen Haus- oder anderen Fachärzt:in- Ambulant nen mit spezieller palliativmedizinischer Zusatzqualifikation am Wohnort der Patient:innen erbracht werden (zu Hause, in Pflegeeinrichtungen oder im Hospiz). 3. Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV): Medizinisch und pflegerische Leistungen, die von interdisziplinären Versorgungsteams (u.a. Ärzt:in- nen, Pflegekräften, Heilmittelerbringer:innen, Seelsorger:innen) erbracht werden. Diese Art der Ver- sorgung kommt insbesondere zum Einsatz, wenn der Krankheitsverlauf eine komplexe und intensive Versorgung erfordert und die Patient:innen absehbar nur noch wenige Tage oder Wochen leben wer- den. Das spezialisierte Palliativteam bietet eine 24-stündige Erreichbarkeit. 3.3. Versorgung im Verlauf des letzten Lebensjahres Die Versorgung im Verlauf des letzten Lebensjahres relevante Frage ist, wie Betroffene und ihre Angehö- ist häufig geprägt von komplexen Behandlungsbe- rigen diese Zeit erleben und welche Situationen von dürfnissen und von häufiger Inanspruchnahme der ihnen als besonders belastend empfunden werden. unterschiedlichsten Versorgungsleistungen. Diese reichen von der hausärztlichen Versorgung über das Medizinische Versorgung im letzten Lebensjahr Krankenhaus bis hin zur stationären oder ambulan- Fast alle Kölner Versicherten nah- ten Pflege. men in ihrem letzten Lebensjahr me- dizinische Leistungen in Anspruch Wie oben bereits kurz beschrieben spielt für rund ein (Abbildung 4). Lediglich 2 % der ver- Drittel der Menschen in dieser Zeit auch eine Pallia- storbenen Kölner:innen haben laut der Auswertung tivversorgung eine Rolle. Hierbei ergibt sich zum ei- der Krankenkassendaten keine medizinischen Leis- nen die Frage, welche Leistungen mit welcher Häu- tungen erhalten. figkeit in Anspruch genommen werden. Eine weitere Rund zwei Drittel der verstorbenen Kölner:innen wur- den im letzten Lebensjahr nicht-palliativ behandelt 11
und lebten demnach „ohne Palliativversorgung“ (Ab- hin zur SAPV (ggf. in Verbindung mit stationären Pal- bildung 4). Die Hälfte dieser Gruppe war im letzten liativleistungen, Leistungen der ambulanten palliati- Lebensjahr sowohl im Krankenhaus als auch bei ven Regelversorgung und AAPV). Diese werden im Haus- und Fachärzt:innen in Behandlung. Weitere Folgenden als die Gruppe „SAPV“ bezeichnet. 10 % 15 % wurden nur bei Haus- und Fachärzt:innen be- erhielten Leistungen bis hin zur AAPV (ggf. in Verbin- handelt, wohingegen nur rund 1 % ausschließlich dung mit stationären Palliativleistungen und Leistun- eine Behandlung im Krankenhaus erhalten haben. gen der ambulanten palliativen Regelversorgung, Gruppe „AAPV“). 7 % wiederum haben Leistungen Dem gegenüber steht etwa ein Drittel der verstorbe- der ambulanten palliativen Regelversorgung (ggf. in nen Kölner:innen, die das letzte Lebensjahr „mit Pal- Verbindung mit stationären Palliativleistungen, liativversorgung“ (Abbildung 4) erlebt haben. Sie ha- Gruppe „Pall. RV“) erhalten. Nur rund 2 % nahmen ben also sowohl palliative als auch nicht-palliative ausschließlich palliative Leistungen im Krankenhaus medizinische Leistungen erhalten. Der höchste Anteil in Anspruch (Gruppe „Stat. Pall.“). (12 %) erhielt dabei maximal Palliativleistungen bis Alle Verstorbenen 100% Mit Palliativversorgung 31,5% (im letzten Lebensjahr) Stat. Pall. 1,8% → Gruppe „Stat. Pall.“ Stat. Pall. + Pall. RV 7,4% → Gruppe „Pall. RV“ Stat. Pall. + Pall. RV + AAPV 10,4% → Gruppe „AAPV“ Stat. Pall. + Pall. RV + AAPV + SAPV 11,9% → Gruppe „SAPV“ Ohne Palliativversorgung 66,6% (im letzten Lebensjahr) Krankenhaus 1,1% Amb. Ärzt:innen 15,2% Krankenhaus + Amb. Ärzt:innen 50,3% Ohne jegliche Versorgung 1,9% Abbildung 4: Versorgungsprofile von Kölner:innen im letzten Lebensjahr. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten. Komplexe Versorgung und ihre Folgen Die Auswertung der Krankenkassendaten hat ge- zeigt, dass Kölner:innen im Durchschnitt fünf solcher Die Versorgung im letzten Lebens- Wechsel im letzten Lebensjahr erfahren. Dabei er- jahr ist multidimensional. Ihre Kom- lebte ein geringer Anteil (5 %) der verstorbenen Köl- plexität spiegelt sich unter anderem ner:innen zwölf oder mehr Wechsel. In einzelnen Fäl- darin wieder, wie häufig ein Versor- len traten 70 oder mehr Wechsel auf. gungssetting gewechselt wird. Beispiele für solche Wechsel sind die Aufnahme oder Entlassung aus Die Anzahl der Wechsel unterscheidet sich zudem dem Krankenhaus, die Überweisung zu Fachärzt:in- deutlich zwischen den Kölner:innen, die im letzten nen oder der Beginn der Versorgung durch ein Palli- Lebensjahr auch noch Palliativleistungen erhalten ativteam. 12
haben und denen, die keine erhielten. Die durch- und Krankenhaus sowie zwischen verschiedenen schnittliche Zahl der Wechsel liegt für die Kölner:in- Krankenhäusern wurden ebenfalls genannt. Vor al- nen mit Palliativversorgung bei acht, für die Kölner:in- lem zu Lebensende hin nahm die Anzahl an Über- nen ohne palliative Inanspruchnahme bei knapp vier gängen zwischen verschiedenen Versorgungsein- Wechseln. Dies kann einerseits den zusätzlichen richtungen zu [Schippel et al., under review]. Das Versorger:innen geschuldet sein, aber auch auf ei- Krankenhaus wurde zum Hauptversorgungsort im nen erhöhten Versorgungsbedarf hinweisen. letzten Lebensjahr. 12 Monate vor dem Tod ver- brachten die verstorbenen Kölner:innen 85 % ihrer Die Befragung der Angehörigen Zeit zu Hause und nur etwa 3 % im Krankenhaus. ergab zudem, dass das Kranken- Diese Zeitverteilung änderte sich im letzten Lebens- haus bei diesen Wechseln eine monat. Der Krankenhausaufenthalt nahm 30 % der Schlüsselrolle einnimmt. Die Ange- Zeit in Anspruch, während nur noch 46 % der Zeit zu hörigen berichteten, dass die häufigsten Wechsel Hause verbracht werden konnte (Abbildung 5). zwischen der häuslichen Umgebung und dem Kran- kenhaus stattfanden. Wechsel zwischen Pflegeheim 90% Zu Hause Am Versorgungsort X verbrachte Zeit 80% Krankenhaus Pflegeheim 70% Hospiz 60% Rehabilitationsklinik 50% andere 40% 30% 20% 10% 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Die letzten zwölf Lebensmonate Abbildung 5: Orte der Versorgung im letzten Lebensjahr von Kölner:innen (n=255). Ergebnisse Angehörigenbefragung. [Voltz et al., 2020] Die beschriebenen Wechsel des medizinisch unbedingt notwendig sind - sie wären so- Versorgungssettings bedeuten für mit vermeidbar. Dies betrifft vor allem die Kranken- den Patienten bzw. die Patientin hauseinweisungen. Die Versorger:innen nannten in auch stetige Wechsel des Aufent- der Befragung mögliche Risikofaktoren, die vermeid- haltsortes. Diese führen zu einer starken Belastung bare Wechsel der Versorgungseinrichtungen im letz- der Patient:innen und ihrer Angehörigen. Dabei zei- ten Lebensjahr begünstigen können. gen die durchgeführten Gruppendiskussionen und Diese Risikofaktoren können wie folgt in vier überge- Einzelinterviews mit den Versorger:innen, dass nicht ordnete Kategorien zusammengefasst werden3: alle Wechsel zwischen Versorgungseinrichtungen 3 Beispielhafte Auszüge aus den Gruppendiskussionen und Einzelinterviews finden sich in Kasdorf et al. [2021]. 13
I. Das Gesundheitssystem III. Versorgende Vergütungsstruktur im Gesundheitssystem: Zur Fehlende Kompetenz des medizinischen Fach- Umsatzsteigerung konzentrieren sich Versor- personals Patient:innen im letzten Lebensjahr zu gungsdienstleister:innen auf medizinische Diag- erkennen. Ein Fehlen von standardisierten In- nostik. Die Pflegeleistungen sind häufig ökono- strumenten zur Identifikation von Patient:innen misch ausgerichtet. Mangel an Vergütung für wird von den Versorger:innen angenommen. Ärzt:innen-Patient:innen-Kommunikation / ärztli- Schlechte/ fehlende Kommunikation zwischen che Beratung zu Therapiemöglichkeiten. Patient:innen und Ärzt:innen über den Eintritt in Das bestehende kurative Paradigma: Dieses för- das letzte Lebensjahr. Als Gründe wurden u.a. dert kurative anstelle von palliativen Behandlun- die Angst über den Tod zu sprechen, die feh- gen. Die Strategie zur Behandlung von Kranken- lende Zeit von Ärzt:innen oder die Unerfahren- hauspatient:innen fokussiert die Reaktion auf heit von Assistenzärzt:innen genannt, die ihre Akutbeschwerden und nicht die langfristige Be- Behandlung eher an diagnostischen Prozessen trachtung der Erkrankung in einem ganzheitli- als an kommunikativen Aspekten orientieren. chen Kontext. Fehlende Übernahme der Verantwortung für die Geringe Verfügbarkeit und Zugang zu Pflege- Versorgung der Patient:innen durch Hausärzt:in- plätzen in Hospiz oder Kurzzeitpflege. Schlechte nen, wodurch sich Verantwortung auf mehrere Erreichbarkeit von SAPV-Teams oder speziali- Bereiche aufteilt. sierten Palliativärzt:innen. IV. Patient:innen und Angehörige Das fragmentierte Gesundheitssystem mit sei- nen strikten Regularien: Die Schnittstelle des Diskrepanz zwischen Wünschen der Patient:in- ambulanten und stationären Sektors ist proble- nen und den Angehörigen. matisch. Schlecht vorbereitete Krankenhausent- Zunehmender emotionaler, physischer und fi- lassungen führen dazu, dass für die Patient:in- nanzieller Stress der Angehörigen führt zu Kran- nen die ambulante Folgebehandlung nicht orga- kenhauseinweisungen. nisiert ist. Strenge Datenschutzregelungen er- Fehlende Bereitschaft der Angehörigen ihr Le- schweren den intersektoralen Austausch über ben an den Bedarf des Pflegebedürftigen anzu- Patient:innen. passen führt zu einer Abschiebung der Verant- II. Organisatorische Merkmale wortung für die Pflege in den medizinischen Be- reich, z.B. ins Krankenhaus. Eine schlechte interprofessionelle Zusammenar- beit durch fehlende Ansprechpartner:innen, ein- Die Qualität der medizinischen Versorgung geschränkte Erreichbarkeit und Nutzung unter- Die befragten Angehörigen bewerte- schiedlicher Kommunikationsmedien. ten die Qualität der medizinischen Für eine adäquate Versorgung fehlen den Ver- Versorgung im letzten Lebensjahr. sorger:innen die Ressourcen (z.B. begrenzte Der Fokus der Bewertung lag auf der Zeit für Hausbesuche erschwert medizinische Angemessenheit der Versorgung hinsichtlich: Beurteilung für Hausärzt:innen, um adäquaten 1. Schmerzlinderung Versorgungsplan erstellen zu können). Feh- 2. Linderung anderer Beschwerden (außer Schmer- lende palliativmedizinische Kompetenz unter zen) medizinischem Fachpersonal, einschließlich der 3. Zusammenarbeit mit anderen Versorgungseinrich- Anwendung von sedierenden Medikamenten. tungen Dabei wurden die häusliche Pflege und das akute Krankenhaussetting (Allgemein- und Intensivstation) 14
in allen drei Bereichen am schlechtesten bewertet Teams (87 %) hinsichtlich der Versorgung am Le- (Abbildung 6). Besonders auffällig ist, dass etwas bensende in der Gesamtzufriedenheit am besten be- mehr als die Hälfte der befragten Angehörigen (56 %) wertet wurden. Geringere Anteile guter Bewertungen eher unzufrieden mit der Zusammenarbeit von Akut- wurden für die Palliativstationen im Krankenhaus krankenhäusern und anderen Einrichtungen war. Da- (69 %), ambulante Hospizdienste (68 %), Haus- gegen ist hervorzuheben, dass das Hospiz in allen ärzt:innen (57 %), Pflegeheime (50 %), ambulante drei Bereichen am besten bewertet wurde. Mehr als Fachärzt:innen (48 %) und Pflegedienste (47 %) ver- 90 % der Befragten hielten dort die Versorgung hin- geben. Am schlechtesten wurde die Versorgung in sichtlich Schmerzlinderung, anderer Beschwerden Akutkrankenhäusern (allgemeine Stationen und In- und der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen tensivstationen) bewertet. Der Grad der Zufrieden- als weitestgehend angemessen. heit mit der Krankenhausversorgung lässt sich vor al- lem darauf zurückführen, ob sich die Patient:innen Krankenhaus: Allgemein- / Intensivstation 100 von den Ärzt:innen mit Respekt und Würde behan- 80 delt fühlten und inwiefern das Krankenhaus mit an- 60 deren Einrichtungen außerhalb zusammenarbeitete. 40 Hospiz häusliche Pflege 20 Exkurs: Krebspatient:innen vs. Nicht-Krebspati- 0 ent:innen Die Auswertung der Krankenkas- sendaten ergab, dass Krebspati- Krankenhaus: Pflegeheim Palliativabteilung ent:innen deutlich häufiger palliative Schmerzlinderung Leistungen in Anspruch nahmen, als Linderung anderer Beschwerden (außer Schmerzen) Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen die verstorbenen Kölner Versicherten mit anderen Abbildung 6: Bewertung der Versorgung hinsichtlich Erkrankungen. Wie Abbildung 7 zeigt, erhielt mehr i) Schmerzlinderung, ii) Linderung anderer Symptome und als die Hälfte der Kölner Versicherten mit Krebser- iii) Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen als weitest- gehend angemessen (Angemessenheit mit ja oder eher ja krankungen in ihrem letzten Lebensjahr Palliativleis- bewertet). Angaben in Prozent. Ergebnisse Angehörigenbe- tungen. Diese Inanspruchnahme betraf insbeson- fragung. [Voltz et al., 2020] dere AAPV und SAPV sowie, zu einem geringeren Anhand der Betrachtung der Einzelbewertung ist es Anteil, auch palliative Leistungen im Krankenhaus nicht verwunderlich, dass Hospize (89 %) und SAPV- Krebserkrankungen 4 10 16 24 46 Alzheimer- und Demenzerkrankungen 1 10 12 10 67 Neurodegenerative Erkrankungen 11 14 7 67 Atemwegserkrankungen 2 7 11 11 68 Krankheitsgruppen Herzerkrankungen (ohne Herzinsuffizienz) 2 8 11 11 69 Nierenerkrankungen 1 8 10 11 69 Lebererkrankungen 2 7 10 12 69 Zerebrovaskuläre Erkrankungen 2 8 11 9 71 Herzinsuffizienz 1 8 10 9 72 HIV-Erkrankungen 4 6 6 7 78 0 20 40 60 80 100 Versorgungsart für Versicherte mit Diagnose in jeweiliger Gruppe % Stat. Pall. Pall. RV AAPV SAPV Nicht-palliativ Abbildung 7: Inanspruchnahme verschiedener Leistungsarten von verstorbenen Kölner Versicherten, differenziert nach Erkran- kung. Krankheitsgruppen definiert nach Murtagh et al. [2014]. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten. 15
In der Qualitätsbewertung der Ver- (29 % vs. 7 %), der Nahrungs- (52 % vs. 15 %), so- sorgung zeigen sich ebenfalls Un- wie der Flüssigkeitsaufnahme (48 % vs. 10 %) ange- terschiede zwischen Krebs- und messen war. Auch die Behandlungspflege (31 % vs. Nicht-Krebspatient:innen aus Köln. 4 %) und die Schmerzlinderung (16 % vs. 3 %) wur- Die Versorgung von Nicht-Krebspatient:innen wird den häufiger als ungenügend bewertet. Ebenfalls ga- von ihren Angehörigen schlechter eingestuft als die ben Angehörige von Nicht-Krebspatient:innen häufi- Versorgung von Krebspatient:innen. Dies betrifft die ger an, dass emotionale Bedürfnisse bei der Versor- Bereiche der Grundpflege (z.B. Toilettengänge, Kör- gung wenig oder gar nicht berücksichtigt wurden perpflege), Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme, (48 % vs. 14 %). Angehörige von Nicht-Krebspati- sowie die Behandlungspflege (z.B. Gabe von Medi- ent:innen fühlten sich außerdem weniger unterstützt kamenten) und die Schmerzlinderung. Angehörige und nicht oder nicht ausreichend über den Zustand der Nicht-Krebspatient:innen verneinten deutlich ihrer Angehörigen informiert. [Kasdorf et al., 2020] häufiger die Frage, ob die Hilfe in der Grundpflege 3.4. Versorgung kurz vor dem Tod Die meisten Menschen wünschen der geringsten Präferenz für den gewünschten Ster- sich zu Hause im Kreise der Ange- beort und kam nur für 4 % der verstorbenen Köl- hörigen zu versterben. Auch bei der ner:innen als Wunschsterbeort in Frage. Befragung der Angehörigen von Beim Hospiz liegt erfreulicherweise eine gute Über- Verstorbenen im Großraum Köln wurde geäußert, einstimmung von Wunschsterbeort und wirklichem dass sich 70 % der verstorbenen Kölner:innen ge- Sterbeort vor. Während ein Fünftel der verstorbenen wünscht hätten zu Hause zu versterben (Abbildung Kölner:innen (19 %) sich wünschte im Hospiz zu ver- 8). Die Realität des Sterbeorts sieht jedoch anders sterben, traf dies auf 17 % der Verstorbenen zu. aus. Demgegenüber steht die Äußerung der Angehörigen Die Angehörigenbefragung ergab, dass nur knapp ei- bezüglich des gewünschten Sterbeorts. Die deutliche nem Drittel (28 %) der verstorbenen Kölner:innen der Mehrheit (87 %) äußerte, dass der Verstorbene am Wunsch erfüllt wurde, zu Hause sterben zu können. richtigen Ort starb. Knapp ein Drittel der Angehörigen Das Krankenhaus wurde hingegen als häufigster (32 %) äußerte jedoch auch, dass der Patient bzw. Sterbeort genannt (42 %). Es war auch der Ort mit die Patientin keine ausreichende Wahl beim Sterbe- ort gehabt haben soll. Tatsächlicher Sterbeort (n=351) Gewünschter Sterbeort (n=190*) Zu Hause 27,6% 67,9% Krankenhaus 42,2% 4,2% Hospiz 17,4% 18,9% Altenpflege 1,7% 6,8% Sonstiges 1,1% 2,1% Abbildung 8: Tatsächlicher und gewünschter Sterbeort von Kölner:innen. Ergebnisse der Angehörigenbefragung. * n=161 der befragten Angehörigen gaben an, dass die Verstorbenen keinen Wunsch geäußert haben oder ihnen der gewünschte Sterbeort nicht bekannt war. Modifiziert nach LYOL-C [2021]. 16
Auch in den Krankenkassendaten Palliativversorgung erhielten (Abbildung 9). Von den finden sich Hinweise auf den Ster- Kölner:innen ohne palliative Versorgung verstarb die beort einer Person. So lässt sich ins- Hälfte im Krankenhaus. Dies ist nur bei etwa einem besondere erkennen, ob eine Per- Viertel der Kölner:innen in den Gruppen „Pall. RV“ son am Tag des Versterbens im Krankenhaus oder oder „AAPV“ der Fall. Von den Kölner:innen in der in einer stationären Pflegeeinrichtung war. Wenn bei- Gruppe „SAPV“ verstarben sogar nur 8 % im Kran- des nicht der Fall war, kann dies als Hinweis auf ein kenhaus. In den drei ambulanten Palliativgruppen fin- Versterben in einem häuslichen Umfeld gewertet det sich außerdem ein hoher Anteil von Kölner:innen, werden. Einschränkend ist hier aber zu sagen, dass die in einer stationären Pflegeeinrichtung verstarben. die Person an diesem Tag auch in einem betreuten In der Gruppe der Kölner:innen, die im letzten Le- Wohnen oder anderen Einrichtungen gelebt haben bensjahr ausschließlich Palliativleistungen im Kran- kann. Die Krankenkassendaten zeigen, dass die Köl- kenhaus erhielten, fällt auf, dass mehr als die Hälfte ner:innen mit unterschiedlichen Formen der Palliativ- während eines Krankenhausaufenthaltes verstarben, versorgung deutlich häufiger außerhalb des Kran- bei dem keine palliativen Leistungen in Anspruch ge- kenhauses verstarben als diejenigen, die nie eine nommen wurden. 100 7 90 2 23 32 33 80 38 50 70 60 17 44 50 % 40 40 34 30 54 3 7 50 20 26 25 8 10 8 0 Stat. Pall Pall. RV AAPV SAPV Ohne Palliativversorgung Sterbeort: Krankenhaus KH (pall.) Stat. Pflege Häusl. Umfeld Abbildung 9: Sterbeort von Kölner Versicherten nach Versorgungsart. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten. 17
4. Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Versorgung im letzten Lebensjahr Die ausgewerteten Daten zeigen Handlungsbedarf in und im Austausch mit Palliativversorger:innen, Ver- verschiedenen Bereichen auf. Sie können jedoch treter:innen der Patient:innenperspektive und dem selbst nur Ansatzpunkte liefern, was konkret unter- Beirat der Versorgungsberichte entwickelt. Sie sind nommen werden muss, um die Versorgung im letzten als Beitrag zur Debatte und als Grundlage für weiter- Lebensjahr in Köln zu verbessern. Aus diesem Grund gehende Diskussionen und Entscheidungen zu ver- wurden die folgenden Handlungsempfehlungen auf stehen. der Grundlage der Studienergebnisse von LYOL-C 4.1. Der Plan-Do-Study-Act Zyklus Schritt 1: Strategie festlegen Strategisches Strategie- und Controlling Entwicklungsprozess Schritt 2: Ziele festlegen Versorgungsbericht Schritt 3 & 7: Diagnose und Evaluation Schritt 6: Operatives Schritt 4: Struktur- und Controlling Interventionsplanung Prozessevaluation Schritt 5: Intervention Abbildung 10: PDSA Zyklus nach Pfaff & Zeike [2019] mit der Rolle des Versorgungsberichts Der Versorgungsbericht ist damit Teil eines allgemei- Um eine iterative Verbesserung der Versorgung im nen, sogenannten „Plan-Do-Study-Act (PDSA)“ Zyk- letzten Lebensjahr zu fördern, benötigt es also über lus (Abbildung 10). Dieser kommt sowohl im Rahmen diesen Bericht hinaus einerseits die passenden Köl- der LYOL-C Studie als auch allgemein für das CoRe- ner Strukturen und dafür notwendige Ressourcen. Net Netzwerk zur Anwendung [Voltz et al., 2020]. Ziel Andererseits sollte die evaluierende Beobachtung des Zyklus ist es, einen kontinuierlichen und iterati- des Versorgungsgeschehens (aus Sicht von Be- ven Prozess zur Verbesserung der Versorgung zu troffenen und Versorgenden) auch zukünftig fortge- etablieren. In diesem werden Versorgungsbedarfe setzt werden. erhoben und ausgewertet sowie Verbesserungen ge- plant und umgesetzt. Diese werden dann wiederum evaluiert [Pfaff & Zeike, 2019]. 4.2. Handlungsempfehlungen Stärkung der frühzeitigen Kommunikation im dass das rechtzeitige Erkennen des tödlichen Ver- und über das letzte Lebensjahr laufs einer Erkrankung häufig noch eine große Her- ausforderung darstellt. Von dieser herausfordernden Aus der Angehörigen- und Versorger:innenbefra- Aufgabe sind sowohl Patient:innen und deren Ange- gung sowie den Krankenkassendaten geht hervor, hörige, als auch Versorger:innen betroffen. Ein frühe- 18
res Erkennen des tödlichen Verlaufs einer Erkran- Angemessene und strukturierte Gestaltung der kung sowie der Dialog über diese Erkenntnis können Kommunikation im letzten Lebensjahr dabei helfen, Kölner:innen häufiger und rechtzeitiger Die Kommunikation über die Endlichkeit des Lebens eine Palliativversorgung anzubieten. Es existieren sollte nicht nur rechtzeitig genug sein, um Betroffe- bereits verschiedene Instrumente, die bei einer früh- nen, Angehörigen und Versorger:innen Zeit zur Re- zeitigen Kommunikation helfen können. Notwendiger aktion zu lassen. Sie sollte auch auf eine angemes- als die Entwicklung von neuen Instrumenten scheint sene, patientenzentrierte und strukturierte Art und daher die Verbreitung der bestehenden Instrumente Weise stattfinden. So kann sie den Betroffenen in und ihren effektiven Einsatz zu stärken. dieser schwierigen Phase eine gute Unterstützung Ein Beispiel für ein solches Instrument ist die soge- bieten. Die Angehörigenbefragung hat gezeigt, dass nannte Überraschungsfrage („surprise question“) an dieser Stelle – zumindest in einigen Versorgungs- (siehe Box 3). Im Rahmen von CoRe-Net wird im Pro- bereichen – eine Möglichkeit zur Verbesserung be- jekt LYOL-C II derzeit der Einsatz der Überra- steht. Für die Etablierung entsprechender Prozesse schungsfrage in Verbindung mit weiteren Elementen in Kliniken und Praxen existieren auch hier bereits im Kölner Kontext erprobt (siehe Box 3). Ergebnisse verschiedene Instrumente und Ansätze, die herange- hierzu werden für den Beginn des Jahres 2023 er- zogen werden können. Dies gilt auch für die Schu- wartet. Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von lung von Personal: bestehende Instrumente sind z.B. statistischen Modellen, die beispielsweise auf Daten professionelle Trainings zur Optimierung der kommu- aus der Krankenakte beruhen und auf deren Basis nikativen Kompetenz von Ärzt:innen, wie sie durch ein wahrscheinlicher Todeszeitraum geschätzt wer- die Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der den kann. Die Ergebnisse einer solchen Prognose Uniklinik Köln angeboten werden4. Ein weiteres In- können den Versorger:innen im Rahmen eines Pro- strument ist die „Serious Illness Conversation“ (siehe zesses für die Entscheidungsunterstützung (z.B. Box 4). über eine entsprechende Software) zur Verfügung gestellt werden. Box 3: LYOL-C II Die hier vorgestellten Ergebnisse aus dem LYOL-C Projekt haben zu einer Folgestudie geführt (LYOL-C II). Diese hat das Ziel, die patientenzentrierte Versorgung in Akutkrankenhäusern für Patient:innen im letzten Lebensjahr zu verbessern. Im Rahmen der Studie wird eine zweiseitige Intervention entwickelt und evaluiert. Im Fokus der Inter- vention steht die Optimierung der Versorgung von Menschen mit fortgeschrittener, unheilbarer Erkrankung. Die Intervention bezieht sich einerseits auf die Versorger:innenseite und umfasst dabei die Überraschungsfrage („sur- prise question“) sowie Indikatoren für eine supportive und palliative Versorgung (SPICT-DE). Andererseits bezieht sie sich auf die Patient:innenperspektive und umfasst dabei die „question prompt sheets“. Weiterführende Informationen unter: https://www.core-net.uni-koeln.de/lyol-c-ii/ Zur frühzeitigen Erkennung eines palliativen Versorgungsbedarfs wird die Überraschungsfrage seit mehreren Jah- ren diskutiert und erforscht. Das Kernelement ist die Frage: „Wären Sie überrascht, wenn ihr:e Patient:in innerhalb des nächsten Jahres / des nächsten Monats / der nächsten Tage versterben würde?“. Der abgefragte Zeitraum ist hierbei variabel. Die Überraschungsfrage dient an dieser Stelle weniger als Prognoseinstrument. Sie soll vielmehr ein Bewusstsein für den baldigen Tod und die aktive Abwägung aller Versorgungsmöglichkeiten schaffen. 4 Weitere Informationen zum Training „Kommunikative Kompetenz stärken“: https://psychosomatik-psychothera- pie.uk-koeln.de/zuweiser-professionals/fort-weiterbildung/ 19
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