VERSORGUNG VON MENSCHEN IM LETZTEN LEBENSJAHR - Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung

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VERSORGUNG VON MENSCHEN IM LETZTEN LEBENSJAHR - Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung
Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung

VERSORGUNG
VON MENSCHEN
IM LETZTEN
LEBENSJAHR

Ein CoRe-Net Versorgungsbericht
IMPRESSUM

Versorgungsbericht:               Versorgung von Menschen im letzten Lebensjahr in Köln

Herausgeber:                      CoRe-Net: Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung
                                  Universität zu Köln
                                  www.core-net.uni-koeln.de

Stand:                            Juli 2021

Autor:innen:                      Katja Blaschke, Ingo Meyer, Julia Strupp, Alina Kasdorf, Raymond Voltz

Beirat der Versorgungsberichte:   Vertreter:innen der Caritas, der Uniklinik Köln, des gesundheitsladen
                                  köln e.V., der Stadt Köln, der Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-
                                  klärung und der Gesundheitsregion KölnBonn e.V.

Gestaltung Deckblatt:             Franziska Weber

Bildnachweis Deckblatt:           Simon/Köln Panorama; Quelle: Adobe Stock (ehem. Fotolia)

Redaktion Executive Summary:      TAKEPART Media + Science GmbH

Kontakt:                          E-Mail: CoRe-Net-reports@uk-koeln.de
Inhalt
Executive Summary ................................................................................................................................................. 3

1.     Einleitung.......................................................................................................................................................... 5

2.     Methodik ........................................................................................................................................................... 6

3.     Versorgung im letzten Lebensjahr in Köln ........................................................................................................ 8

     3.1.       Grundlegende Daten zur Studienpopulation .......................................................................................... 8

     3.2.       Versorgung bei Eintritt in das letzte Lebensjahr ..................................................................................... 9

     3.3.       Versorgung im Verlauf des letzten Lebensjahres ................................................................................. 11

     3.4.       Versorgung kurz vor dem Tod .............................................................................................................. 16

4.     Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Versorgung im letzten Lebensjahr ............................... 18

     4.1.       Der Plan-Do-Study-Act Zyklus ............................................................................................................. 18

     4.2.       Handlungsempfehlungen ..................................................................................................................... 18

Literatur ................................................................................................................................................................. 23

                                                                                                                                                                            2
Executive Summary
Der eigene Tod ist ein Thema, das jeden Menschen         Vordergrund der Handlungsempfehlungen steht da-
im Laufe des Lebens beschäftigt. Besonders in der        her zunächst die frühzeitige, transparente und ange-
letzten Lebensphase können die individuellen Ge-         messene Kommunikation über das absehbare Le-
danken und Gefühle zum eigenen Sterben eine Her-         bensende.
ausforderung sein. In dieser Phase rückt außerdem
                                                         Die Grundlage für den frühzeitigen Dialog ist jedoch,
die Frage nach den individuellen Versorgungsbedürf-
                                                         dass der tödliche Krankheitsverlauf rechtzeitig er-
nissen in den Vordergrund. Dabei geht es um The-
                                                         kannt wird. Der CoRe-Net Bericht empfiehlt, zu die-
men wie den gewünschten Sterbeort, um die Kom-
                                                         sem Zweck bereits bestehende Prognoseinstru-
munikation über das Sterben und um Entscheidun-
                                                         mente wie die „surprise question“ stärker zu verbrei-
gen zu komplexen Behandlungsbedürfnissen. In der
                                                         ten und sie noch effektiver einzusetzen. Durch die
letzten Lebensphase die Bedürfnisse eines Men-
                                                         frühere Kommunikation des absehbaren Versterbens
schen bestmöglich zu erfüllen ist für Angehörige, die
                                                         könnte auch die palliative Versorgung verbessert
Akteure des Gesundheitswesens und die Sterben-
                                                         werden. Aus dem CoRe-Net Bericht geht hervor,
den selbst eine große Herausforderung.
                                                         dass der Zeitpunkt des Beginns einer Palliativversor-
Mit dieser Aufgabe befasst sich der Bericht „Versor-     gung bei den Kölner:innen sehr stark variierte. Ein
gung von Menschen im letzten Lebensjahr in Köln"         Viertel der Betroffenen hat jedoch erst verhältnismä-
der BMBF-geförderten Initiative CoRe-Net. Er bietet      ßig kurz vor ihrem Tod eine palliative Versorgung in
eine Zusammenfassung von Studienergebnissen der          Anspruch genommen. Die frühere Auseinanderset-
„Last Year of Life in Cologne“ (LYOL-C) Studie (2017     zung mit dem absehbaren Tod kann auch eine Mög-
bis 2020). Der Bericht bezieht sich auf die drei Teil-   lichkeit sein, rechtzeitiger eine angemessene pallia-
studien: Interviews mit Versorgenden, Auswertungen       tive Versorgung anzubieten.
von Krankenkassendaten und eine Befragung von
Angehörigen im Großraum Köln Verstorbener.               In der Kommunikation zwischen Patient:innen und ih-
                                                         ren Ärzt:innen liegt weiteres Potenzial die Versor-
Die aus der Studie resultierenden Erkenntnisse ge-
                                                         gung zu verbessern. Die Gruppe der interviewten
ben beispielhaft Aufschluss über die Herausforderun-
                                                         Versorgenden gab beispielsweise an, dass eine un-
gen der medizinischen und pflegerischen Versor-
                                                         zureichende Kommunikation zwischen Patient:innen
gungssituation von Kölner:innen in ihrem letzten Le-
                                                         und ihren Ärzt:innen zu nicht notwendigen Wechseln
bensjahr. Dabei deckt der Bericht eine eindeutige
                                                         der Versorgungsbereiche führen kann. Dies stellt für
Notwendigkeit auf, die Versorgung am Lebensende
                                                         die Erkrankten potentiell eine belastende Situation
zu verbessern. Neben klaren Handlungsempfehlun-
                                                         dar, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, die Anzahl
gen bietet der CoRe-Net Bericht außerdem eine Per-
                                                         der Wechsel zwischen den Versorgungsbereichen so
spektive auf das bestehende Potenzial, das in den
                                                         weit wie möglich zu reduzieren. Um Patient:innen
Kölner Strukturen zur Versorgungsoptimierung be-
                                                         und Angehörige zu befähigen, sich aktiv in die Ent-
reits existiert.
                                                         scheidungen zur Versorgung einzubringen, können

Das Kernelement der Handlungsempfehlungen ist            Schulungen und lokale Kampagnen eingesetzt wer-

eine Optimierung der Kommunikation in der und über       den („patient empowerment“). Außerdem kann der

die letzte Lebensphase. Es wird aufgezeigt, dass         Einsatz von strukturierten, vorgefertigten Fragelisten
                                                         („question promt sheets“) Patient:innen und Angehö-
etwa zwei Drittel der Kölner:innen über ihr absehba-
                                                         rige motivieren, sich im ärztlichen Gespräch aktiv in
res Versterben nicht unmissverständlich, nicht recht-
zeitig oder nicht angemessen aufgeklärt wurden. Im       den Dialog über ihre Erkrankung einzubringen.

                                                                                                             3
Der Aspekt der transparenten Kommunikation über           zu suchen, die diese regelmäßige Abfrage von Pati-
die eigene Erkrankung spielt auch für die Angehöri-       ent:innenpräferenzen ermöglichen.
gen eine wichtige Rolle. Der versterbende Mensch
                                                          Ein weiterer Fokus liegt auf der Optimierung der Zu-
verbringt 95 % der letzten Lebenszeit mit naheste-
                                                          sammenarbeit zwischen den Versorger:innen. So-
henden Personen, die nicht zum professionellen
                                                          wohl in der Angehörigenbefragung als auch in der
Pflegeumfeld gehören. Aus der LYOL-C Studie geht
                                                          Befragung der Versorgenden wurde die interprofes-
dabei hervor, dass vor allem die Angehörigen der
                                                          sionelle Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ver-
Nicht-Krebspatient:innen sich zu wenig informiert
                                                          sorgungsbereiche schlecht bewertet. Die Folge sind
und unterstützt fühlten. Die Interviews der Versor-
                                                          vermeidbare Belastungen für Patient:innen, Angehö-
genden zeigen ergänzend auf, dass eine Überforde-
                                                          rige und die Versorger:innen selbst. Aus diesen
rung der Angehörigen mit der Versorgung der Er-
                                                          Gründen ist die Stärkung der Vernetzung der regio-
krankten ein Grund für die häufigen Wechsel der Ver-
                                                          nalen Versorger:innen eine Handlungsempfehlung,
sorgungssettings sein könnte. Zur Unterstützung der
                                                          die an beinahe alle zu optimierenden Themen des
Patient:innen und Angehörigen empfiehlt der CoRe-
                                                          Berichts anknüpft. Eine engere Zusammenarbeit un-
Net Bericht den Einsatz einer Hauptansprechperson
                                                          ter den Versorger:innen kann durch Aus- oder Wei-
für die letzte Lebensphase eines Menschen – als
                                                          terbildungen, aber vor allem durch ein stärkeres Be-
Schnittstelle zwischen Ärzt:innen, Patient:innen und
                                                          wusstsein für die interprofessionelle Zusammenar-
Angehörigen. Durch eine solche Ansprechperson
                                                          beit gelingen.
würde zudem weiterer Raum für den Dialog über das
Sterben und psychosoziale Aspekte der letzten Le-
                                                          Nicht zuletzt bieten Initiativen zur Kompetenzstär-
bensphase eingeräumt.                                     kung im Dialog zu den Themen Sterben, Tod und
                                                          Trauer ein großes Potenzial in der Versorgungsopti-
Der angemessene Dialog über den baldigen Tod ist
                                                          mierung im letzten Lebensjahr. In Köln wird dieses
ausschlaggebend für die Zufriedenheit von Pati-
                                                          Ziel bereits durch endlich e.V. und die Caring Com-
ent:innen am Lebensende. Gerade an der ermittelten
                                                          munity Köln gefördert. Letztere versteht sich als Er-
Diskrepanz zwischen dem gewünschten und dem
                                                          gänzung und Erweiterung zur klassischen Palliativ-
wirklichen Sterbeort vieler Kölner:innen wird deutlich,
                                                          und Hospizversorgung und knüpft Unterstützungs-
wie wichtig die regelmäßige Abfrage von Patient:in-
                                                          netzwerke zwischen professionellen und ehrenamtli-
nenpräferenzen im letzten Lebensjahr ist („advanced
                                                          chen Kräften auf lokaler Ebene. So sollen nicht nur
care planning“). Dieser Dialog bietet Raum für die
                                                          Patient:innen und Angehörige, sondern auch das ge-
Frage nach dem Wunschsterbeort und für Entschei-
                                                          samtgesellschaftliche Verantwortungsgefühl für die
dungen zu einer kurativen oder palliativen Versor-
                                                          Themen Sterben, Tod und Trauer nachhaltig unter-
gung. Der CoRe-Net Bericht formuliert außerdem
                                                          stützt werden.
den Bedarf nach geeigneten Wegen und Strukturen

                                                                                                             4
1. Einleitung
Das Ende des eigenen Lebens ist für jeden einzelnen             nisse anzubieten, durch die die Versorgung von Köl-
Menschen höchst individuell. Es ist verbunden mit               ner:innen in der letzten Lebensphase weiter verbes-
persönlichen Wünschen, Erwartungen, Hoffnungen,                 sert werden kann. Häufig ist die Versorgung im letz-
Sorgen und Ängsten. Dennoch berührt die Frage                   ten Lebensjahr sowohl geprägt von komplexen Be-
nach den Umständen des Sterbens die ganze Ge-                   handlungsbedürfnissen als auch von der Inanspruch-
sellschaft gleichermaßen. Besonders in Zeiten der               nahme unterschiedlichster Versorgungsleistungen.
Covid-19-Pandemie ist das Thema Sterben in den                  Diese reichen von der hausärztlichen Versorgung
Medien und im sozialen Diskurs sehr präsent. Das                über das Krankenhaus bis hin zur Pflege und zur Pal-
Ende des eigenen Lebens wird von vielen Themen                  liativversorgung. Für die Optimierung der Versorgung
bestimmt: Es geht um den richtigen Zeitpunkt das                ist daher interessant, wie diese Zeit von den Betroffe-
Sterben zu thematisieren, um alle Aspekte der Le-               nen und ihren Angehörigen erlebt wird und welche
bensqualität und um den Ort des Versterbens. Die                Situationen sie als besonders belastend empfinden.
Begleitung der Angehörigen ist ein weiteres wichti-
                                                                Dieser Bericht bezieht sich auf Studienergebnisse,
ges Thema der letzten Lebensphase eines Men-
                                                                von denen Teile bereits in wissenschaftlichen Fach-
schen. Hinzu kommen die spezifischen Herausforde-
                                                                zeitschriften unter Voltz, Dust et al. [2020] und Kas-
rungen für die beteiligten Akteure des Gesundheits-
                                                                dorf et al. [2021] veröffentlicht wurden. In erster Linie
wesens in Krankenhäusern, ärztlichen Praxen, Pfle-
                                                                wendet sich der Bericht an diejenigen, die für die Ver-
geeinrichtungen, ambulanten Pflegeteams etc. Die
                                                                sorgung von Menschen verantwortlich sind: an Ak-
Frage nach der individuellen und „angemessenen“
                                                                teure aus Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, am-
Versorgung für den Sterbenden steht hierbei im Fo-
                                                                bulanten Hospiz- und Pflegediensten, ärztlichen Pra-
kus.
                                                                xen und Ärzt:innennetzen. Wir möchten mit diesem
Der vorliegende CoRe-Net Versorgungsbericht ist                 Bericht aber auch Krankenkassen, Verbände und
der Erste einer Serie (zu CoRe-Net siehe Box 1), in             kommunale Akteure ansprechen. Nicht zuletzt sind
dem wir einen Überblick über die medizinische und               auch Patient:innen, deren Angehörige, Ehrenamtli-
pflegerische Versorgungssituation von Kölner:innen              che und Zusammenschlüsse wie Selbsthilfegruppen
im letzten Lebensjahr geben. Das Ziel des Berichts              angesprochen. Sie alle sollen in diesem Bericht In-
ist es, aus wissenschaftlicher Perspektive Erkennt-             formationen finden, die für sie relevant sind.

Bitte an die Leser:innen

Gerade weil es der erste Versorgungsbericht in einer ganzen Reihe ist, sind die Autor:innen aus dem CoRe-Net
Netzwerk und die Mitglieder unseres Beirats sehr interessiert an Rückmeldungen aus der Leserschaft. Für Fragen,
Anregungen und Kommentare wenden Sie sich deshalb gerne an CoRe-Net-reports@uk-koeln.de.

Box 1: CoRe-Net: Das Kölner Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung

CoRe-Net ist eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Initiative zum Aufbau
eines Kompetenznetzwerks aus Versorgungsforschung und Versorgungspraxis in Köln. Sie hat sich zum Ziel ge-
setzt, mit innovativen Forschungsprojekten die medizinische und soziale Versorgung der Kölner Bevölkerung zu
verbessern. Die erste Förderphase ist 2017 gestartet und aktuell läuft die zweite Förderphase. Am Aufbau des
Netzwerkes sind die Humanwissenschaftliche Fakultät, die Medizinische Fakultät und die Wirtschafts- und Sozial-
wissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln beteiligt.

Weiterführende Informationen unter: https://www.core-net.uni-koeln.de

                                                                                                                       5
2. Methodik
Dieser Bericht beruht auf den Ergebnissen der „Last            und enthielt eine Filterfunktion. Die Angehörigen be-
Year of Life in Cologne“ (LYOL-C) Studie, die als Teil         antworteten daher nur Fragen, die für die Versorgung
von CoRe-Net durchgeführt       wurde1.      Zusätzlich wur-   ihres Nahestehenden relevant waren. Für die Befra-
den zur Erstellung dieses Berichts Bevölkerungssta-            gung wurde eine adaptierte, deutsche Version des
tistiken zu Sterbezahlen im Großraum Köln herange-             VOICES (Views of Informal Carers – Evaluation of
zogen [Stadt Köln, 2019].                                      Services) Fragebogens herangezogen (VOICES-
                                                               LYOL-Cologne). Dieser befasste sich thematisch mit
Die LYOL-C Studie untersuchte das letzte Lebens-
                                                               der Versorgung der Verstorbenen im letzten Lebens-
jahr von erwachsenen Patient:innen, die in Köln ver-
                                                               jahr. Im Speziellen wurden Versorgungsverläufe und
storben sind. Der Studieneinschluss war dabei unab-
                                                               Versorgungsübergänge untersucht, die Auswirkun-
hängig von der Indikation der Betroffenen. Im Fokus
                                                               gen auf das Wohlbefinden der Patient:innen und An-
stand unter anderem die Inanspruchnahme von Ver-
                                                               gehörigen haben. Außerdem wurden die Integration
sorgungsleistungen. Ein weiterer Fokus lag auf den
                                                               der Palliativversorgung im letzten Lebensjahr und die
Übergängen zwischen den Leistungserbringern der
                                                               Sterbephase untersucht. In den meisten Fällen wur-
Versorgungsleistung, wenn diese gewechselt wur-
                                                               den Ehegatten (42,5 %), Kinder (39,3 %), Geschwis-
den. Außerdem wurde eine möglicherweise mit die-
                                                               ter (5,1 %), Schwiegersöhne bzw. Schwiegertöchter
sem Wechsel einhergehende Belastung für Be-
                                                               (2,6 %), andere Verwandte (4,6 %) oder Freund:in-
troffene und deren Angehörige untersucht.
                                                               nen (3,4 %) befragt. Es wurden Häufigkeiten und Mit-
                                                               telwerte berechnet und weitere beschreibende, sta-
Die Studie verfolgte mehrere Ziele, um Möglichkeiten
zur Optimierung aufzuzeigen. Dies betrifft die Modifi-         tistische   Parameter    (Standardabweichung)     be-

kation von Behandlungsabläufen, die Transparenz                stimmt. [Voltz et al., 2020]

bei Versorgungsübergängen, die Steigerung der
                                                               Interviews mit Versorgenden
Nachhaltigkeit von Behandlungen, die Verringerung
von Belastungen für die Patient:innen und Angehöri-                             Zwischen Mai und Oktober 2019
gen sowie die wertorientierte Ausnutzung der Res-                               wurden 16 Versorgende in fünf Ein-
sourcen.                                                                        zelinterviews oder zwei Gruppendis-
                                                                                kussionen befragt. Das Thema der
LYOL-C wurde als sektorenübergreifende mixed-me-
                                                               Befragung waren die Herausforderungen und Opti-
thods Studie konzipiert. Der Bericht baut auf den un-
                                                               mierungsmöglichkeiten der Versorgung von Men-
ten stehenden LYOL-C Teilstudien auf. Diese sind in
                                                               schen in ihrem letzten Lebensjahr. Die 16 Versorgen-
diesem Bericht jeweils durch das vorangestellte
                                                               den waren Allgemeinmediziner:innen, Pflegeperso-
Symbol gekennzeichnet:
                                                               nal, ambulante Fachärzt:innen, sowie Mitarbeiter:in-
                                                               nen aus Hospizen, aus ambulanten Palliativversor-
Befragung von Angehörigen im Großraum Köln
                                                               gungsteams und aus Pflegeheimen. Die Gruppendis-
Verstorbener
                                                               kussionen und Einzelinterviews wurden per Audio-
                   Zwischen November 2017 und April            Aufzeichnung mitgeschnitten, im Anschluss ver-
                   2018 fand eine Befragung von 351            schriftlicht und durch eine qualitative Inhaltsanalyse
                   Angehörigen von Personen statt,             ausgewertet. [Kasdorf et al., 2021]
                   die im Großraum Köln kürzlich ver-
storben waren. Plötzliche Todesfälle wie zum Bei-
spiel Unfälle wurden dabei ausgeschlossen. Der pos-
talisch verschickte Fragebogen umfasste 106 Items

1
 Mehr Informationen zur LYOL-C Studie:
https://www.core-net.uni-koeln.de/lyol-c-i
                                                                                                                   6
Auswertung von Krankenkassendaten                       vorliegenden Erkrankungen (Kapitel 3.1), der Versor-
                                                        gungsverläufe und der Leistungsinanspruchnahme
                 Für die dritte Teilstudie wurden
                                                        im letzten Lebensjahr (Kapitel 3.2-3.4) war es nötig,
                 Krankenkassendaten       (Routineda-
                                                        die Population der Verstorbenen einzuschränken. Es
                 ten) von Kölner:innen verwendet.
                                                        wurden daher nur Versicherte einbezogen, die in ih-
                 Dabei handelte es sich um Versi-
                                                        rem letzten Lebensjahr durchgängig bei einer der vier
cherte der vier großen gesetzlichen Krankenkassen
                                                        genannten Krankenkassen versichert waren. Perso-
DAK-Gesundheit, BARMER, pronova BKK und AOK
                                                        nen, die ihre Kasse in diesem Zeitraum gewechselt
Rheinland/Hamburg. Alle Personen waren zwischen
                                                        haben wiesen keine vollständigen Daten auf, was zu
2015 und 2017 bei einer der vier Krankenkassen ver-
                                                        Verzerrungen in der Auswertung geführt hätte. Ins-
sichert. Diese Routinedaten sind in der CoRe-Net
                                                        gesamt reduzierte sich die Populationsgröße durch
Datenbank2 enthalten und umfassen etwas mehr als
                                                        die Anwendung dieses Kriteriums von 14.654 auf
500.000 Kölner:innen. Dies entspricht in etwa der
                                                        14.472. Die Reduzierung fiel dabei in den jüngeren
Hälfte der Stadtbevölkerung. Die Untersuchung der
                                                        Altersgruppen höher aus als in den älteren. Gründe
Daten für LYOL-C und für diesen Bericht wurden auf
                                                        für den häufigeren Wechsel der Krankenversiche-
alle Versicherten begrenzt, die in den Jahren 2015
                                                        rung bei jüngeren Menschen könnten Änderungen
bis 2017 verstorben sind und zum Zeitpunkt ihres To-
                                                        des Versichertenstatus, berufliche Veränderungen,
des mindestens 20 Jahre alt waren. Dabei handelte
                                                        Umzüge etc. sein. Es wurden Häufigkeiten berechnet
es sich um eine Gruppe von 14.654 Kölner:innen. Die
                                                        sowie Mittelwerte und weitere beschreibende statisti-
Eigenschaften der Versicherten (Alter, Geschlecht)
                                                        sche Parameter (Standardabweichung, Quantile) be-
werden in diesem Bericht anhand dieser Population
                                                        stimmt.
beschrieben (Kapitel 3.1). Für die Untersuchung der

2
 Mehr Informationen zur CoRe-Net Datenbank:
https://www.core-net.uni-koeln.de/datenbank/
                                                                                                           7
3. Versorgung im letzten Lebensjahr in Köln
Dieses Kapitel beginnt mit grundlegenden Zahlen zur                 Lebensjahres gegliedert sind. Sie behandeln die Ver-
Demografie von verstorbenen Kölner:innen. Es fol-                   sorgung beim Eintritt in das letzte Lebensjahr, in des-
gen drei Abschnitte, die nach den Phasen des letzten                sen Verlauf und zum Zeitpunkt des Versterbens.

3.1. Grundlegende Daten zur Studienpopulation

Auf Basis der vorliegenden Studiendaten können                      trug 76,5 Jahre (vgl. Tabelle 1 „A - Verstorbene An-
Aussagen über das Alter und Geschlecht der jeweili-                 gehörigenbefragung“). Damit liegt es ebenfalls sehr
gen Studienpopulation getroffen werden. Mit Hilfe der               nah an dem Durchschnittsalter der Verstorbenen aus
Krankenkassendaten können die Grunderkrankun-                       der gesamten Kölner Bevölkerung.
gen der verstorbenen Kölner Versichertenpopulation
                                                                    In der Gruppe aller verstorbenen Versicherten und
identifiziert werden. Dabei ist zu berücksichtigen,
                                                                    der Gruppe der einbezogenen Verstorbenen aus der
dass die dargestellten Krankheitsbilder die ärztlichen
                                                                    Angehörigenbefragung zeigen sich im Vergleich zu
Diagnosen im letzten Lebensjahr abbilden. Diese
                                                                    der Gruppe aller Verstorbenen in Köln keine großen
sind nicht mit der Todesursache gleichzusetzen.
                                                                    Unterschiede im Geschlechterverhältnis. Dabei ist

Soziodemographische Merkmale                                        die Verteilung in der Gruppe der Verstorbenen aus
                                                                    der Angehörigenbefragung die der Vergleichspopu-
In den Krankenkassendaten der rund 14.600 Köl-
                                                                    lation am ähnlichsten (vgl. Tabelle 1). Somit kann da-
ner:innen, die zwischen 2015 und 2017 verstorben
                                                                    von ausgegangen werden, dass die ausgewerteten
sind, lag das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt ihres
                                                                    Daten hinsichtlich Alter und Geschlecht ein ange-
Todes bei 78 Jahren. Frauen verstarben dabei in ei-
                                                                    messenes Abbild der Kölner Bevölkerung darstellen.
nem höheren Alter (81 Jahre) als Männer (74 Jahre)
(vgl. Tabelle 1 „B - Verstorbene Versicherte“). Dies                In der Angehörigenbefragung wurde auch die Famili-
trifft auch auf die Gesamtbevölkerung in Köln zu. Bei               ensituation der Verstorbenen abgefragt. Fast die
einer Betrachtung aller verstorbenen Kölner:innen                   Hälfte der Verstorbenen (46 %, 163 Personen) hatte
der Jahre 2015 bis 2017 lag das durchschnittliche                   einen Partner oder eine Partnerin und der Großteil
Sterbealter bei 78 Jahren (vgl. Tabelle 1 „Vergleich-               (77 %, 126 Personen) wohnte mit dieser oder diesem
spopulation Stadt Köln“). Frauen wurden im Schnitt                  in einem Haushalt. Knapp die Hälfte der Verstorbe-
älter als Männer (80 vs. 75 Jahre) [Stadt Köln, 2019].              nen hatte außerdem Kinder (48 %, 168 Personen),
Das Durchschnittsalter der Verstorbenen, die durch                  mit denen fast ein Fünftel der Verstorbenen (32 Per-
die Angehörigenbefragung untersucht wurden, be-                     sonen) zusammengelebt hat. Ein Drittel der Verstor-
                                                                    benen (33 %, 114 Personen) lebte allein.

Tabelle 1: Eigenschaften der untersuchten Populationen. A: Verstorbene aus Großraum Köln, deren Angehörige befragt wurden;
B: Verstorbene Versicherte aus Köln, Vergleichspopulation: Verstorbene in Köln zwischen 2015-2017

                                  A                           B                              Vergleichspopulation
                                  Verstorbene                 Verstorbene                    Stadt Köln:
                                  Angehörigenbe-              Versicherte                    Verstorbene 2015-2017
                                  fragung
 Population:                      351 Personen                14.654 Personen                28.129 Personen
 Durchschnittsalter in Jahren     76,5                        78                             77,4
                                                              (Männer: 74; Frauen: 81)       (Männer: 74,7 ; Frauen: 80,1)
 Geschlecht:
 Männer                           168 Personen     (47,9 %)   6.510 Personen      (44,4 %)   13.988 Personen      (49,7 %)
 Frauen                           183 Personen     (52,1 %)   8.144 Personen      (55,6 %)   14.141 Personen      (50,3 %)
Quelle: [Stadt Köln, 2019; Voltz et al., 2020]

                                                                                                                             8
Vorliegende Erkrankungen                                                                Demenzerkrankungen, sowie Krebserkrankungen
                                                                                        und Herzinsuffizienz auf. Bei den Alzheimer- und De-
                   Charakteristisch für nahezu alle Ver-
                                                                                        menzerkrankungen, sowie bei den Krebserkrankun-
                   storbenen ist, dass sie im letzten Le-
                                                                                        gen sind die Häufigkeiten zwischen Männern und
                   bensjahr mindestens eine und häu-
                                                                                        Frauen besonders unterschiedlich. Während Frauen
                   fig mehrere Erkrankungen hatten.
                                                                                        häufiger an Alzheimer bzw. Demenz erkrankten, lit-
Dabei lag bei einem Großteil (81,6 %) der verstorbe-
                                                                                        ten Männer im Vergleich etwas häufiger an Krebs
nen Versicherten aus Köln eine Herzerkrankung
                                                                                        (Abbildung 1).
(ohne Herzinsuffizienz) vor (Abbildung 1). Etwas sel-
tener traten Atemwegserkrankungen, Alzheimer- und

                                                                                                                                     83
    Herzerkrankungen (ohne Herzinsuffizienz)
                                                                                                                                80
                                                                                          39
                     Atemwegserkrankungen
                                                                                                    45
                                                                                   33
                         Krebserkrankungen
                                                                                               42
                                                                                                         48
        Alzheimer- und Demenzerkrankungen
                                                                                   32
                                                                                     34
                            Herzinsuffizienz
                                                                                   32
                                                                             27
              Zerebrovaskuläre Erkrankungen
                                                                              28
                                                                   20
                        Nierenerkrankungen
                                                                        23
                                                         11
                         Lebererkrankungen
                                                              16
                                                    6
             Neurodegenerative Erkrankungen
                                                    6
                                                   0,1
                          HIV-Erkrankungen
                                                   1

                                               0         10             20         30          40             50     60    70     80      90   100
    Frauen     Männer                                                                                         %

Abbildung 1: Erkrankungen der verstorbenen Kölner Versicherten im letzten Lebensjahr, differenziert nach Geschlecht. Krank-
heitsgruppen definiert nach Murtagh et al. [2014]. Gesamtpopulation N = 14.472. Mehrfachnennungen möglich. Ergebnisse auf
Basis der Krankenkassendaten.

3.2. Versorgung bei Eintritt in das letzte Lebensjahr

Der Beginn der letzten Lebensphase ist nicht einfach                                                               Die Befragung der Angehörigen in
vorherzusagen. Ein erstes Gespräch über die abseh-                                                                 LYOL-C zeigt, dass von den Ver-
bare Endlichkeit des eigenen Lebens ist eine Mög-                                                                  storbenen aus dem Großraum Köln
lichkeit, wie diese Phase eingeleitet wird. Dabei ist                                                              knapp zwei Drittel (64 %) darüber
zum einen die Frage, zwischen wem dieses erste Ge-                                      aufgeklärt wurden, dass ihre vorliegende Erkrankung
spräch geführt wird. Es kann zum Beispiel zwischen                                      zu einem baldigen Tod führen wird. Für das übrige
Ärzt:in und Patient:in oder Patient:in und Angehöri-                                    Drittel erfolgte keine Aufklärung dieser Art. Von den
gen stattfinden. Die zweite Frage ist, wann dieses                                      zwei Dritteln, die über ihren baldigen Tod aufgeklärt
Gespräch erfolgt. Es kann bei der Diagnose-Stellung,                                    wurden, erhielten 23 % diese Nachricht weniger als
bei einer Verschlechterung der Situation oder bei ei-                                   einen Monat vor ihrem Tod. Im Gegensatz dazu wur-
ner Einlieferung ins Krankenhaus erfolgen. Das erste                                    den 33 % der Betroffenen über ein Jahr vor ihrem
Gespräch über die absehbare Endlichkeit des eige-                                       Tod informiert.
nen Lebens kann wenige Tage oder viele Monate vor
dem Tod stattfinden.

                                                                                                                                                     9
Und wer überbringt die Nachricht?

                 In den meisten Fällen (60 %) wurde
                                                                                     4,2%
                 die Nachricht von Ärzt:innen im                                                           Ärzt:innen im
                                                                                                           Krankenhaus
                 Krankenhaus übermittelt. Am zweit-                           8,1%
                                                                                                           ambulante
                 häufigsten war die Aufklärung durch
                                                                                                           Fachärzt:innen
                                                                      11,8%
ambulant tätige Fachärzt:innen (16 %) und naheste-
                                                                                                           nahe Verwandte
hende Verwandte (12 %) (Abbildung 2).
                                                                      15,6%                  60,2%
                                                                                                           Hausärzt:innen
In der Befragung der Angehörigen wurde auch die Art
und Weise der Nachrichtenübermittlung bewertet.                                                            Sonstige
Dabei wurde die Kommunikation von Ärzt:innen im
Krankenhaus als am wenigsten sensibel und einfühl-
sam eingestuft, gefolgt von ambulant tätigen Fach-
                                                                  Abbildung 2: Personen, die die Nachricht über eine abseh-
ärzt:innen (Abbildung 3).                                         bare Endlichkeit des Lebens an die verstorbenen Kölner:in-
                                                                  nen übermittelt haben. Ergebnisse Angehörigenbefragung.
                                                                  [Voltz et al., 2020]
Letztendlich wünschten sich Patient:innen eine früh-
zeitige und transparente Kommunikation über die
Endlichkeit des Lebens.

            Nahe Verwandte (n=19)                                     84                                          16

             Hausärzt:innen (n=14)                         57                                        43

  Ambulante Fachärzt:innen (n=25)                  36                                  44                    16        4

 Ärzt:innen im Krankenhaus (n=91)                  37                            33                  14           15

                                        0    10     20      30      40     50           60   70       80      90       100
                                                                           %
       ja     eher ja       eher nein       nein

Abbildung 3: Bewertung der Einfühlsamkeit und Sensibilität bei der Kommunikation der Endlichkeit des Lebens durch Angehörige
der Verstorbenen in Köln. [Voltz et al., 2020; LYOL-C, 2021]

Beginn der Palliativversorgung im letzten                         die Palliativversorgung im Durchschnitt rund 3 Mo-

Lebensjahr                                                        nate vor Tod (92,5 Tage). Hinter diesem Durch-
                                                                  schnittswert verbergen sich allerdings individuell
                 Der Beginn einer palliativen Versor-
                                                                  große, zeitliche Unterschiede:
                 gung ist ein weiterer Hinweis darauf,
                 dass Patient:innen sich des nahen                Für ein Viertel der Personen, die Palliativleistungen
                 Todes bewusst sind. Die Palliativ-               in Anspruch nehmen, beginnen diese frühestens 14
versorgung kann im ambulanten Bereich als spezia-                 Tage vor dem Tod. Für 5 % der Personen beginnen
lisierte oder allgemeine Versorgung erfolgen. Statio-             sie sogar frühestens 2 Tage vor dem Versterben.
när ist die Palliativversorgung im Krankenhaus oder               Dem entgegen steht ein weiteres Viertel der Perso-
im Hospiz möglich (Details zu prinzipiell verfügbaren             nen, die palliative Leistungen ab etwa 4 Monaten
Arten von Palliativversorgung: siehe Box 2).                      (129 Tage) oder sogar noch früher vor dem Tod in
                                                                  Anspruch nehmen. 5 % erhalten etwa ein Jahr vor
Die Krankenkassendaten zeigen, dass insgesamt
                                                                  dem Tod (347 Tage) oder früher eine palliative Ver-
etwa ein Drittel der Kölner Verstorbenen (32,1 %) im
                                                                  sorgung.
letzten Lebensjahr irgendeine Form von Palliativver-
sorgung in Anspruch genommen hat. Dabei beginnt

                                                                                                                             10
Dabei hängt der Zeitpunkt des Versorgungsbeginns                 sterben. Dagegen begannen die spezialisierte, am-
auch davon ab, welche Art von Leistung in Anspruch               bulante Palliativversorgung (SAPV) und auch die
genommen wurde. Die Palliativversorgung durch                    Versorgung im Krankenhaus durchschnittlich zwei
(speziell qualifizierte) Hausärzt:innen (AAPV) be-               Monate vor dem Tod und damit deutlich später.
gann im Durchschnitt etwa 4 Monate vor dem Ver-

 Box 2: Arten der Palliativversorgung, nach denen in der Analyse unterschieden wird
  Stationär

              1. Palliativversorgung im Krankenhaus / stationäre Palliativversorgung (kurz: stat. Pall.):
              Palliative Leistungen im Krankenhaus, sowohl auf der Palliativstation als auch auf anderen Stationen.

              1. Palliative Versorgung im Rahmen der ambulanten Regelversorgung (kurz: pall. RV):
              Palliative Leistungen, die von niedergelassenen Haus- oder anderen Fachärzt:innen ohne spezielle
              Zusatzqualifikation erbracht werden.

              2. Allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV):
              Medizinische und pflegerische Leistungen, die von niedergelassenen Haus- oder anderen Fachärzt:in-
  Ambulant

              nen mit spezieller palliativmedizinischer Zusatzqualifikation am Wohnort der Patient:innen erbracht
              werden (zu Hause, in Pflegeeinrichtungen oder im Hospiz).

              3. Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV):
              Medizinisch und pflegerische Leistungen, die von interdisziplinären Versorgungsteams (u.a. Ärzt:in-
              nen, Pflegekräften, Heilmittelerbringer:innen, Seelsorger:innen) erbracht werden. Diese Art der Ver-
              sorgung kommt insbesondere zum Einsatz, wenn der Krankheitsverlauf eine komplexe und intensive
              Versorgung erfordert und die Patient:innen absehbar nur noch wenige Tage oder Wochen leben wer-
              den. Das spezialisierte Palliativteam bietet eine 24-stündige Erreichbarkeit.

3.3. Versorgung im Verlauf des letzten Lebensjahres

Die Versorgung im Verlauf des letzten Lebensjahres               relevante Frage ist, wie Betroffene und ihre Angehö-
ist häufig geprägt von komplexen Behandlungsbe-                  rigen diese Zeit erleben und welche Situationen von
dürfnissen und von häufiger Inanspruchnahme der                  ihnen als besonders belastend empfunden werden.
unterschiedlichsten Versorgungsleistungen. Diese
reichen von der hausärztlichen Versorgung über das               Medizinische Versorgung im letzten Lebensjahr
Krankenhaus bis hin zur stationären oder ambulan-
                                                                                    Fast alle Kölner Versicherten nah-
ten Pflege.                                                                         men in ihrem letzten Lebensjahr me-
                                                                                    dizinische Leistungen in Anspruch
Wie oben bereits kurz beschrieben spielt für rund ein
                                                                                    (Abbildung 4). Lediglich 2 % der ver-
Drittel der Menschen in dieser Zeit auch eine Pallia-
                                                                 storbenen Kölner:innen haben laut der Auswertung
tivversorgung eine Rolle. Hierbei ergibt sich zum ei-
                                                                 der Krankenkassendaten keine medizinischen Leis-
nen die Frage, welche Leistungen mit welcher Häu-
                                                                 tungen erhalten.
figkeit in Anspruch genommen werden. Eine weitere

                                                                 Rund zwei Drittel der verstorbenen Kölner:innen wur-
                                                                 den im letzten Lebensjahr nicht-palliativ behandelt
                                                                                                                      11
und lebten demnach „ohne Palliativversorgung“ (Ab-                         hin zur SAPV (ggf. in Verbindung mit stationären Pal-
bildung 4). Die Hälfte dieser Gruppe war im letzten                        liativleistungen, Leistungen der ambulanten palliati-
Lebensjahr sowohl im Krankenhaus als auch bei                              ven Regelversorgung und AAPV). Diese werden im
Haus- und Fachärzt:innen in Behandlung. Weitere                            Folgenden als die Gruppe „SAPV“ bezeichnet. 10 %
15 % wurden nur bei Haus- und Fachärzt:innen be-                           erhielten Leistungen bis hin zur AAPV (ggf. in Verbin-
handelt, wohingegen nur rund 1 % ausschließlich                            dung mit stationären Palliativleistungen und Leistun-
eine Behandlung im Krankenhaus erhalten haben.                             gen der ambulanten palliativen Regelversorgung,
                                                                           Gruppe „AAPV“). 7 % wiederum haben Leistungen
Dem gegenüber steht etwa ein Drittel der verstorbe-
                                                                           der ambulanten palliativen Regelversorgung (ggf. in
nen Kölner:innen, die das letzte Lebensjahr „mit Pal-
                                                                           Verbindung        mit    stationären    Palliativleistungen,
liativversorgung“ (Abbildung 4) erlebt haben. Sie ha-
                                                                           Gruppe „Pall. RV“) erhalten. Nur rund 2 % nahmen
ben also sowohl palliative als auch nicht-palliative
                                                                           ausschließlich palliative Leistungen im Krankenhaus
medizinische Leistungen erhalten. Der höchste Anteil
                                                                           in Anspruch (Gruppe „Stat. Pall.“).
(12 %) erhielt dabei maximal Palliativleistungen bis

 Alle Verstorbenen               100%

                   Mit Palliativversorgung
                                                         31,5%
                   (im letzten Lebensjahr)

                                     Stat. Pall.         1,8% → Gruppe „Stat. Pall.“

                                     Stat. Pall.       + Pall. RV           7,4%      → Gruppe „Pall. RV“

                                     Stat. Pall.       + Pall. RV       + AAPV                 10,4%   → Gruppe „AAPV“

                                     Stat. Pall.       + Pall. RV       + AAPV              + SAPV             11,9%     → Gruppe „SAPV“

                   Ohne Palliativversorgung
                                                         66,6%
                   (im letzten Lebensjahr)

                                     Krankenhaus         1,1%

                                     Amb. Ärzt:innen     15,2%

                                     Krankenhaus       + Amb. Ärzt:innen      50,3%

                   Ohne jegliche Versorgung              1,9%

Abbildung 4: Versorgungsprofile von Kölner:innen im letzten Lebensjahr. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten.

Komplexe Versorgung und ihre Folgen                                        Die Auswertung der Krankenkassendaten hat ge-
                                                                           zeigt, dass Kölner:innen im Durchschnitt fünf solcher
                 Die Versorgung im letzten Lebens-
                                                                           Wechsel im letzten Lebensjahr erfahren. Dabei er-
                 jahr ist multidimensional. Ihre Kom-
                                                                           lebte ein geringer Anteil (5 %) der verstorbenen Köl-
                 plexität spiegelt sich unter anderem
                                                                           ner:innen zwölf oder mehr Wechsel. In einzelnen Fäl-
                 darin wieder, wie häufig ein Versor-
                                                                           len traten 70 oder mehr Wechsel auf.
gungssetting gewechselt wird. Beispiele für solche
Wechsel sind die Aufnahme oder Entlassung aus                              Die Anzahl der Wechsel unterscheidet sich zudem
dem Krankenhaus, die Überweisung zu Fachärzt:in-                           deutlich zwischen den Kölner:innen, die im letzten
nen oder der Beginn der Versorgung durch ein Palli-                        Lebensjahr auch noch Palliativleistungen erhalten
ativteam.

                                                                                                                                      12
haben und denen, die keine erhielten. Die durch-                                              und Krankenhaus sowie zwischen verschiedenen
schnittliche Zahl der Wechsel liegt für die Kölner:in-                                        Krankenhäusern wurden ebenfalls genannt. Vor al-
nen mit Palliativversorgung bei acht, für die Kölner:in-                                      lem zu Lebensende hin nahm die Anzahl an Über-
nen ohne palliative Inanspruchnahme bei knapp vier                                            gängen zwischen verschiedenen Versorgungsein-
Wechseln. Dies kann einerseits den zusätzlichen                                               richtungen zu [Schippel et al., under review]. Das
Versorger:innen geschuldet sein, aber auch auf ei-                                            Krankenhaus wurde zum Hauptversorgungsort im
nen erhöhten Versorgungsbedarf hinweisen.                                                     letzten Lebensjahr. 12 Monate vor dem Tod ver-
                                                                                              brachten die verstorbenen Kölner:innen 85 % ihrer
                                                    Die Befragung der Angehörigen
                                                                                              Zeit zu Hause und nur etwa 3 % im Krankenhaus.
                                                    ergab zudem, dass das Kranken-
                                                                                              Diese Zeitverteilung änderte sich im letzten Lebens-
                                                    haus bei diesen Wechseln eine
                                                                                              monat. Der Krankenhausaufenthalt nahm 30 % der
                                                    Schlüsselrolle einnimmt. Die Ange-
                                                                                              Zeit in Anspruch, während nur noch 46 % der Zeit zu
hörigen berichteten, dass die häufigsten Wechsel
                                                                                              Hause verbracht werden konnte (Abbildung 5).
zwischen der häuslichen Umgebung und dem Kran-
kenhaus stattfanden. Wechsel zwischen Pflegeheim

                                          90%                                                                             Zu Hause
    Am Versorgungsort X verbrachte Zeit

                                          80%                                                                             Krankenhaus
                                                                                                                          Pflegeheim
                                          70%
                                                                                                                          Hospiz
                                          60%
                                                                                                                          Rehabilitationsklinik
                                          50%
                                                                                                                          andere
                                          40%

                                          30%

                                          20%

                                          10%

                                          0%
                                                1      2     3     4     5     6     7    8     9     10    11    12
                                                                   Die letzten zwölf Lebensmonate

Abbildung 5: Orte der Versorgung im letzten Lebensjahr von Kölner:innen (n=255). Ergebnisse Angehörigenbefragung. [Voltz et
al., 2020]

                                                    Die beschriebenen Wechsel des             medizinisch unbedingt notwendig sind - sie wären so-
                                                    Versorgungssettings bedeuten für          mit vermeidbar. Dies betrifft vor allem die Kranken-
                                                    den Patienten bzw. die Patientin          hauseinweisungen. Die Versorger:innen nannten in
                                                    auch stetige Wechsel des Aufent-          der Befragung mögliche Risikofaktoren, die vermeid-
haltsortes. Diese führen zu einer starken Belastung                                           bare Wechsel der Versorgungseinrichtungen im letz-
der Patient:innen und ihrer Angehörigen. Dabei zei-                                           ten Lebensjahr begünstigen können.
gen die durchgeführten Gruppendiskussionen und
                                                                                              Diese Risikofaktoren können wie folgt in vier überge-
Einzelinterviews mit den Versorger:innen, dass nicht
                                                                                              ordnete Kategorien zusammengefasst werden3:
alle Wechsel zwischen Versorgungseinrichtungen

3
 Beispielhafte Auszüge aus den Gruppendiskussionen
und Einzelinterviews finden sich in Kasdorf et al. [2021].
                                                                                                                                                  13
I. Das Gesundheitssystem                                III. Versorgende

   Vergütungsstruktur im Gesundheitssystem: Zur              Fehlende Kompetenz des medizinischen Fach-
    Umsatzsteigerung konzentrieren sich Versor-                personals Patient:innen im letzten Lebensjahr zu
    gungsdienstleister:innen auf medizinische Diag-            erkennen. Ein Fehlen von standardisierten In-
    nostik. Die Pflegeleistungen sind häufig ökono-            strumenten zur Identifikation von Patient:innen
    misch ausgerichtet. Mangel an Vergütung für                wird von den Versorger:innen angenommen.
    Ärzt:innen-Patient:innen-Kommunikation / ärztli-          Schlechte/ fehlende Kommunikation zwischen
    che Beratung zu Therapiemöglichkeiten.                     Patient:innen und Ärzt:innen über den Eintritt in
   Das bestehende kurative Paradigma: Dieses för-             das letzte Lebensjahr. Als Gründe wurden u.a.
    dert kurative anstelle von palliativen Behandlun-          die Angst über den Tod zu sprechen, die feh-
    gen. Die Strategie zur Behandlung von Kranken-             lende Zeit von Ärzt:innen oder die Unerfahren-
    hauspatient:innen fokussiert die Reaktion auf              heit von Assistenzärzt:innen genannt, die ihre
    Akutbeschwerden und nicht die langfristige Be-             Behandlung eher an diagnostischen Prozessen
    trachtung der Erkrankung in einem ganzheitli-              als an kommunikativen Aspekten orientieren.
    chen Kontext.                                             Fehlende Übernahme der Verantwortung für die
   Geringe Verfügbarkeit und Zugang zu Pflege-                Versorgung der Patient:innen durch Hausärzt:in-
    plätzen in Hospiz oder Kurzzeitpflege. Schlechte           nen, wodurch sich Verantwortung auf mehrere
    Erreichbarkeit von SAPV-Teams oder speziali-               Bereiche aufteilt.
    sierten Palliativärzt:innen.
                                                        IV. Patient:innen und Angehörige
   Das fragmentierte Gesundheitssystem mit sei-
    nen strikten Regularien: Die Schnittstelle des            Diskrepanz zwischen Wünschen der Patient:in-
    ambulanten und stationären Sektors ist proble-             nen und den Angehörigen.
    matisch. Schlecht vorbereitete Krankenhausent-
                                                              Zunehmender emotionaler, physischer und fi-
    lassungen führen dazu, dass für die Patient:in-
                                                               nanzieller Stress der Angehörigen führt zu Kran-
    nen die ambulante Folgebehandlung nicht orga-
                                                               kenhauseinweisungen.
    nisiert ist. Strenge Datenschutzregelungen er-
                                                              Fehlende Bereitschaft der Angehörigen ihr Le-
    schweren den intersektoralen Austausch über
                                                               ben an den Bedarf des Pflegebedürftigen anzu-
    Patient:innen.
                                                               passen führt zu einer Abschiebung der Verant-

II. Organisatorische Merkmale                                  wortung für die Pflege in den medizinischen Be-
                                                               reich, z.B. ins Krankenhaus.
   Eine schlechte interprofessionelle Zusammenar-
    beit durch fehlende Ansprechpartner:innen, ein-     Die Qualität der medizinischen Versorgung
    geschränkte Erreichbarkeit und Nutzung unter-
                                                                           Die befragten Angehörigen bewerte-
    schiedlicher Kommunikationsmedien.
                                                                           ten die Qualität der medizinischen
   Für eine adäquate Versorgung fehlen den Ver-                           Versorgung im letzten Lebensjahr.
    sorger:innen die Ressourcen (z.B. begrenzte                            Der Fokus der Bewertung lag auf der
    Zeit für Hausbesuche erschwert medizinische
                                                        Angemessenheit der Versorgung hinsichtlich:
    Beurteilung für Hausärzt:innen, um adäquaten        1. Schmerzlinderung
    Versorgungsplan erstellen zu können). Feh-
                                                        2. Linderung anderer Beschwerden (außer Schmer-
    lende palliativmedizinische Kompetenz unter         zen)
    medizinischem Fachpersonal, einschließlich der      3. Zusammenarbeit mit anderen Versorgungseinrich-
    Anwendung von sedierenden Medikamenten.
                                                        tungen
                                                        Dabei wurden die häusliche Pflege und das akute
                                                        Krankenhaussetting (Allgemein- und Intensivstation)

                                                                                                             14
in allen drei Bereichen am schlechtesten bewertet                                                                        Teams (87 %) hinsichtlich der Versorgung am Le-
(Abbildung 6). Besonders auffällig ist, dass etwas                                                                       bensende in der Gesamtzufriedenheit am besten be-
mehr als die Hälfte der befragten Angehörigen (56 %)                                                                     wertet wurden. Geringere Anteile guter Bewertungen
eher unzufrieden mit der Zusammenarbeit von Akut-                                                                        wurden für die Palliativstationen im Krankenhaus
krankenhäusern und anderen Einrichtungen war. Da-                                                                        (69 %), ambulante Hospizdienste (68 %), Haus-
gegen ist hervorzuheben, dass das Hospiz in allen                                                                        ärzt:innen (57 %), Pflegeheime (50 %), ambulante
drei Bereichen am besten bewertet wurde. Mehr als                                                                        Fachärzt:innen (48 %) und Pflegedienste (47 %) ver-
90 % der Befragten hielten dort die Versorgung hin-                                                                      geben. Am schlechtesten wurde die Versorgung in
sichtlich Schmerzlinderung, anderer Beschwerden                                                                          Akutkrankenhäusern (allgemeine Stationen und In-
und der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen                                                                         tensivstationen) bewertet. Der Grad der Zufrieden-
als weitestgehend angemessen.                                                                                            heit mit der Krankenhausversorgung lässt sich vor al-
                                                                                                                         lem darauf zurückführen, ob sich die Patient:innen
                                    Krankenhaus: Allgemein- /
                                         Intensivstation
                                             100
                                                                                                                         von den Ärzt:innen mit Respekt und Würde behan-
                                              80
                                                                                                                         delt fühlten und inwiefern das Krankenhaus mit an-
                                              60                                                                         deren Einrichtungen außerhalb zusammenarbeitete.
                                              40

   Hospiz                                                                  häusliche Pflege
                                              20
                                                                                                                         Exkurs: Krebspatient:innen vs. Nicht-Krebspati-
                                               0

                                                                                                                         ent:innen

                                                                                                                                          Die Auswertung der Krankenkas-
                                                                                                                                          sendaten ergab, dass Krebspati-
                                                                 Krankenhaus:
                     Pflegeheim
                                                                Palliativabteilung                                                        ent:innen deutlich häufiger palliative
                         Schmerzlinderung                                                                                                 Leistungen in Anspruch nahmen, als
                         Linderung anderer Beschwerden (außer Schmerzen)
                         Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen
                                                                                                                         die verstorbenen Kölner Versicherten mit anderen

Abbildung 6: Bewertung der Versorgung hinsichtlich                                                                       Erkrankungen. Wie Abbildung 7 zeigt, erhielt mehr
i) Schmerzlinderung, ii) Linderung anderer Symptome und                                                                  als die Hälfte der Kölner Versicherten mit Krebser-
iii) Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen als weitest-
gehend angemessen (Angemessenheit mit ja oder eher ja                                                                    krankungen in ihrem letzten Lebensjahr Palliativleis-
bewertet). Angaben in Prozent. Ergebnisse Angehörigenbe-                                                                 tungen. Diese Inanspruchnahme betraf insbeson-
fragung. [Voltz et al., 2020]
                                                                                                                         dere AAPV und SAPV sowie, zu einem geringeren

Anhand der Betrachtung der Einzelbewertung ist es                                                                        Anteil, auch palliative Leistungen im Krankenhaus

nicht verwunderlich, dass Hospize (89 %) und SAPV-

                                                   Krebserkrankungen            4       10                 16                   24                      46

                          Alzheimer- und Demenzerkrankungen 1                       10            12                10                             67

                               Neurodegenerative Erkrankungen                       11                14             7                             67

                                            Atemwegserkrankungen 2                  7            11             11                                68
 Krankheitsgruppen

                      Herzerkrankungen (ohne Herzinsuffizienz) 2                    8            11             11                                69

                                                   Nierenerkrankungen 1             8            10             11                                69

                                                   Lebererkrankungen         2      7        10             12                                    69

                                    Zerebrovaskuläre Erkrankungen 2                 8            11             9                                 71

                                                      Herzinsuffizienz 1            8        10             9                                    72

                                                    HIV-Erkrankungen            4   6        6        7                                      78

                                                                            0                         20                       40           60             80           100
                     Versorgungsart für Versicherte mit Diagnose in jeweiliger Gruppe                                                 %

                      Stat. Pall.       Pall. RV        AAPV         SAPV               Nicht-palliativ

Abbildung 7: Inanspruchnahme verschiedener Leistungsarten von verstorbenen Kölner Versicherten, differenziert nach Erkran-
kung. Krankheitsgruppen definiert nach Murtagh et al. [2014]. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten.

                                                                                                                                                                              15
In der Qualitätsbewertung der Ver-               (29 % vs. 7 %), der Nahrungs- (52 % vs. 15 %), so-
                 sorgung zeigen sich ebenfalls Un-                wie der Flüssigkeitsaufnahme (48 % vs. 10 %) ange-
                 terschiede zwischen Krebs- und                   messen war. Auch die Behandlungspflege (31 % vs.
                 Nicht-Krebspatient:innen aus Köln.               4 %) und die Schmerzlinderung (16 % vs. 3 %) wur-
Die Versorgung von Nicht-Krebspatient:innen wird                  den häufiger als ungenügend bewertet. Ebenfalls ga-
von ihren Angehörigen schlechter eingestuft als die               ben Angehörige von Nicht-Krebspatient:innen häufi-
Versorgung von Krebspatient:innen. Dies betrifft die              ger an, dass emotionale Bedürfnisse bei der Versor-
Bereiche der Grundpflege (z.B. Toilettengänge, Kör-               gung wenig oder gar nicht berücksichtigt wurden
perpflege), Nahrungs- oder Flüssigkeitsaufnahme,                  (48 % vs. 14 %). Angehörige von Nicht-Krebspati-
sowie die Behandlungspflege (z.B. Gabe von Medi-                  ent:innen fühlten sich außerdem weniger unterstützt
kamenten) und die Schmerzlinderung. Angehörige                    und nicht oder nicht ausreichend über den Zustand
der Nicht-Krebspatient:innen verneinten deutlich                  ihrer Angehörigen informiert. [Kasdorf et al., 2020]
häufiger die Frage, ob die Hilfe in der Grundpflege

3.4. Versorgung kurz vor dem Tod

                 Die meisten Menschen wünschen                    der geringsten Präferenz für den gewünschten Ster-
                 sich zu Hause im Kreise der Ange-                beort und kam nur für 4 % der verstorbenen Köl-
                 hörigen zu versterben. Auch bei der              ner:innen als Wunschsterbeort in Frage.
                 Befragung der Angehörigen von
                                                                  Beim Hospiz liegt erfreulicherweise eine gute Über-
Verstorbenen im Großraum Köln wurde geäußert,
                                                                  einstimmung von Wunschsterbeort und wirklichem
dass sich 70 % der verstorbenen Kölner:innen ge-
                                                                  Sterbeort vor. Während ein Fünftel der verstorbenen
wünscht hätten zu Hause zu versterben (Abbildung
                                                                  Kölner:innen (19 %) sich wünschte im Hospiz zu ver-
8). Die Realität des Sterbeorts sieht jedoch anders
                                                                  sterben, traf dies auf 17 % der Verstorbenen zu.
aus.

                                                                  Demgegenüber steht die Äußerung der Angehörigen
Die Angehörigenbefragung ergab, dass nur knapp ei-
                                                                  bezüglich des gewünschten Sterbeorts. Die deutliche
nem Drittel (28 %) der verstorbenen Kölner:innen der
                                                                  Mehrheit (87 %) äußerte, dass der Verstorbene am
Wunsch erfüllt wurde, zu Hause sterben zu können.
                                                                  richtigen Ort starb. Knapp ein Drittel der Angehörigen
Das Krankenhaus wurde hingegen als häufigster
                                                                  (32 %) äußerte jedoch auch, dass der Patient bzw.
Sterbeort genannt (42 %). Es war auch der Ort mit
                                                                  die Patientin keine ausreichende Wahl beim Sterbe-
                                                                  ort gehabt haben soll.

                           Tatsächlicher Sterbeort (n=351)     Gewünschter Sterbeort (n=190*)

                          Zu Hause                     27,6% 67,9%

           Krankenhaus                                 42,2%     4,2%

                                     Hospiz            17,4% 18,9%

                                          Altenpflege 1,7%     6,8%

                                              Sonstiges 1,1%    2,1%

Abbildung 8: Tatsächlicher und gewünschter Sterbeort von Kölner:innen. Ergebnisse der Angehörigenbefragung. * n=161 der
befragten Angehörigen gaben an, dass die Verstorbenen keinen Wunsch geäußert haben oder ihnen der gewünschte Sterbeort
nicht bekannt war. Modifiziert nach LYOL-C [2021].

                                                                                                                     16
Auch in den Krankenkassendaten                     Palliativversorgung erhielten (Abbildung 9). Von den
                 finden sich Hinweise auf den Ster-                 Kölner:innen ohne palliative Versorgung verstarb die
                 beort einer Person. So lässt sich ins-             Hälfte im Krankenhaus. Dies ist nur bei etwa einem
                 besondere erkennen, ob eine Per-                   Viertel der Kölner:innen in den Gruppen „Pall. RV“
son am Tag des Versterbens im Krankenhaus oder                      oder „AAPV“ der Fall. Von den Kölner:innen in der
in einer stationären Pflegeeinrichtung war. Wenn bei-               Gruppe „SAPV“ verstarben sogar nur 8 % im Kran-
des nicht der Fall war, kann dies als Hinweis auf ein               kenhaus. In den drei ambulanten Palliativgruppen fin-
Versterben in einem häuslichen Umfeld gewertet                      det sich außerdem ein hoher Anteil von Kölner:innen,
werden. Einschränkend ist hier aber zu sagen, dass                  die in einer stationären Pflegeeinrichtung verstarben.
die Person an diesem Tag auch in einem betreuten                    In der Gruppe der Kölner:innen, die im letzten Le-
Wohnen oder anderen Einrichtungen gelebt haben                      bensjahr ausschließlich Palliativleistungen im Kran-
kann. Die Krankenkassendaten zeigen, dass die Köl-                  kenhaus erhielten, fällt auf, dass mehr als die Hälfte
ner:innen mit unterschiedlichen Formen der Palliativ-               während eines Krankenhausaufenthaltes verstarben,
versorgung deutlich häufiger außerhalb des Kran-                    bei dem keine palliativen Leistungen in Anspruch ge-
kenhauses verstarben als diejenigen, die nie eine                   nommen wurden.

      100
                      7
       90             2
                                                               23
                                          32                                                              33
       80
                     38                                                               50
       70
       60                                                                                                 17
                                                               44
       50
  %

                                          40
       40
                                                                                      34
       30            54                    3                    7
                                                                                                          50
       20
                                          26                   25                      8
       10
                                                                                       8
        0
                 Stat. Pall            Pall. RV              AAPV                   SAPV                  Ohne
                                                                                                  Palliativversorgung

  Sterbeort:     Krankenhaus            KH (pall.)         Stat. Pflege           Häusl. Umfeld

Abbildung 9: Sterbeort von Kölner Versicherten nach Versorgungsart. Ergebnisse auf Basis der Krankenkassendaten.

                                                                                                                        17
4. Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung der Versorgung
    im letzten Lebensjahr
Die ausgewerteten Daten zeigen Handlungsbedarf in                       und im Austausch mit Palliativversorger:innen, Ver-
verschiedenen Bereichen auf. Sie können jedoch                          treter:innen der Patient:innenperspektive und dem
selbst nur Ansatzpunkte liefern, was konkret unter-                     Beirat der Versorgungsberichte entwickelt. Sie sind
nommen werden muss, um die Versorgung im letzten                        als Beitrag zur Debatte und als Grundlage für weiter-
Lebensjahr in Köln zu verbessern. Aus diesem Grund                      gehende Diskussionen und Entscheidungen zu ver-
wurden die folgenden Handlungsempfehlungen auf                          stehen.
der Grundlage der Studienergebnisse von LYOL-C

4.1. Der Plan-Do-Study-Act Zyklus

                                                      Schritt 1:
                                                      Strategie festlegen
 Strategisches                                                                          Strategie- und
 Controlling                                                                            Entwicklungsprozess
                                                      Schritt 2:
                                                      Ziele festlegen

                                                                                                               Versorgungsbericht
                                                      Schritt 3 & 7:
                                                      Diagnose und Evaluation

                            Schritt 6:
 Operatives                                                                             Schritt 4:
                            Struktur- und
 Controlling                                                                            Interventionsplanung
                            Prozessevaluation

                                                      Schritt 5:
                                                      Intervention

Abbildung 10: PDSA Zyklus nach Pfaff & Zeike [2019] mit der Rolle des Versorgungsberichts

Der Versorgungsbericht ist damit Teil eines allgemei-                   Um eine iterative Verbesserung der Versorgung im
nen, sogenannten „Plan-Do-Study-Act (PDSA)“ Zyk-                        letzten Lebensjahr zu fördern, benötigt es also über
lus (Abbildung 10). Dieser kommt sowohl im Rahmen                       diesen Bericht hinaus einerseits die passenden Köl-
der LYOL-C Studie als auch allgemein für das CoRe-                      ner Strukturen und dafür notwendige Ressourcen.
Net Netzwerk zur Anwendung [Voltz et al., 2020]. Ziel                   Andererseits sollte die evaluierende Beobachtung
des Zyklus ist es, einen kontinuierlichen und iterati-                  des Versorgungsgeschehens (aus Sicht von Be-
ven Prozess zur Verbesserung der Versorgung zu                          troffenen und Versorgenden) auch zukünftig fortge-
etablieren. In diesem werden Versorgungsbedarfe                         setzt werden.
erhoben und ausgewertet sowie Verbesserungen ge-
plant und umgesetzt. Diese werden dann wiederum
evaluiert [Pfaff & Zeike, 2019].

4.2. Handlungsempfehlungen

Stärkung der frühzeitigen Kommunikation im                              dass das rechtzeitige Erkennen des tödlichen Ver-
und über das letzte Lebensjahr                                          laufs einer Erkrankung häufig noch eine große Her-
                                                                        ausforderung darstellt. Von dieser herausfordernden
Aus der Angehörigen- und Versorger:innenbefra-
                                                                        Aufgabe sind sowohl Patient:innen und deren Ange-
gung sowie den Krankenkassendaten geht hervor,
                                                                        hörige, als auch Versorger:innen betroffen. Ein frühe-

                                                                                                                               18
res Erkennen des tödlichen Verlaufs einer Erkran-             Angemessene und strukturierte Gestaltung der
kung sowie der Dialog über diese Erkenntnis können            Kommunikation im letzten Lebensjahr
dabei helfen, Kölner:innen häufiger und rechtzeitiger
                                                              Die Kommunikation über die Endlichkeit des Lebens
eine Palliativversorgung anzubieten. Es existieren
                                                              sollte nicht nur rechtzeitig genug sein, um Betroffe-
bereits verschiedene Instrumente, die bei einer früh-
                                                              nen, Angehörigen und Versorger:innen Zeit zur Re-
zeitigen Kommunikation helfen können. Notwendiger
                                                              aktion zu lassen. Sie sollte auch auf eine angemes-
als die Entwicklung von neuen Instrumenten scheint
                                                              sene, patientenzentrierte und strukturierte Art und
daher die Verbreitung der bestehenden Instrumente
                                                              Weise stattfinden. So kann sie den Betroffenen in
und ihren effektiven Einsatz zu stärken.
                                                              dieser schwierigen Phase eine gute Unterstützung
Ein Beispiel für ein solches Instrument ist die soge-
                                                              bieten. Die Angehörigenbefragung hat gezeigt, dass
nannte Überraschungsfrage („surprise question“)
                                                              an dieser Stelle – zumindest in einigen Versorgungs-
(siehe Box 3). Im Rahmen von CoRe-Net wird im Pro-
                                                              bereichen – eine Möglichkeit zur Verbesserung be-
jekt LYOL-C II derzeit der Einsatz der Überra-
                                                              steht. Für die Etablierung entsprechender Prozesse
schungsfrage in Verbindung mit weiteren Elementen
                                                              in Kliniken und Praxen existieren auch hier bereits
im Kölner Kontext erprobt (siehe Box 3). Ergebnisse
                                                              verschiedene Instrumente und Ansätze, die herange-
hierzu werden für den Beginn des Jahres 2023 er-
                                                              zogen werden können. Dies gilt auch für die Schu-
wartet. Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von
                                                              lung von Personal: bestehende Instrumente sind z.B.
statistischen Modellen, die beispielsweise auf Daten
                                                              professionelle Trainings zur Optimierung der kommu-
aus der Krankenakte beruhen und auf deren Basis
                                                              nikativen Kompetenz von Ärzt:innen, wie sie durch
ein wahrscheinlicher Todeszeitraum geschätzt wer-
                                                              die Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der
den kann. Die Ergebnisse einer solchen Prognose
                                                              Uniklinik Köln angeboten werden4. Ein weiteres In-
können den Versorger:innen im Rahmen eines Pro-
                                                              strument ist die „Serious Illness Conversation“ (siehe
zesses für die Entscheidungsunterstützung (z.B.
                                                              Box 4).
über eine entsprechende Software) zur Verfügung
gestellt werden.

Box 3: LYOL-C II

Die hier vorgestellten Ergebnisse aus dem LYOL-C Projekt haben zu einer Folgestudie geführt (LYOL-C II). Diese
hat das Ziel, die patientenzentrierte Versorgung in Akutkrankenhäusern für Patient:innen im letzten Lebensjahr zu
verbessern. Im Rahmen der Studie wird eine zweiseitige Intervention entwickelt und evaluiert. Im Fokus der Inter-
vention steht die Optimierung der Versorgung von Menschen mit fortgeschrittener, unheilbarer Erkrankung. Die
Intervention bezieht sich einerseits auf die Versorger:innenseite und umfasst dabei die Überraschungsfrage („sur-
prise question“) sowie Indikatoren für eine supportive und palliative Versorgung (SPICT-DE). Andererseits bezieht
sie sich auf die Patient:innenperspektive und umfasst dabei die „question prompt sheets“.

Weiterführende Informationen unter: https://www.core-net.uni-koeln.de/lyol-c-ii/

Zur frühzeitigen Erkennung eines palliativen Versorgungsbedarfs wird die Überraschungsfrage seit mehreren Jah-
ren diskutiert und erforscht. Das Kernelement ist die Frage: „Wären Sie überrascht, wenn ihr:e Patient:in innerhalb
des nächsten Jahres / des nächsten Monats / der nächsten Tage versterben würde?“. Der abgefragte Zeitraum ist
hierbei variabel. Die Überraschungsfrage dient an dieser Stelle weniger als Prognoseinstrument. Sie soll vielmehr
ein Bewusstsein für den baldigen Tod und die aktive Abwägung aller Versorgungsmöglichkeiten schaffen.

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  Weitere Informationen zum Training „Kommunikative
Kompetenz stärken“: https://psychosomatik-psychothera-
pie.uk-koeln.de/zuweiser-professionals/fort-weiterbildung/
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