Volles Rohr Deutschland ist das einzige Land der Welt ohne Tempolimit auf der Autobahn. Klimaschützer wittern nun ihre Chance. Sie wollen die ...
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Gesellschaft AUTO BILD / ULLSTEIN BILD Kultobjekt Automobil (beim Autosalon in Genf), Radarkontrolle (auf der A 40 bei Essen): Ein Land, in dem alles bis ins Kleinste geregelt ist, braucht VERKEHR Volles Rohr Deutschland ist das einzige Land der Welt ohne Tempolimit auf der Autobahn. Klimaschützer wittern nun ihre Chance. Sie wollen die freie Fahrt im Land bei 130 Stundenkilometern drosseln. Die Geschichte eines sehr deutschen Kampfes. Von Markus Feldenkirchen und Ansbert Kneip I n einem unaufgeräumten Regal eines Es gibt rund 12 500 Kilometer Autobahn eigentlichen Symbol der Bundesrepublik ebenso unaufgeräumten Büros in Des- in Deutschland. Auf 5000 davon gilt be- geworden, ein deutsches Alleinstellungs- sau steckt bis zum Gesäß ein Mann, der reits ein Tempolimit, weitere 1200 Kilo- merkmal. Ein Land, in dem alles bis ins etwas Wichtiges sucht. meter können bei Bedarf über Schaltan- Kleinste geregelt ist, in dem die Menschen „Warten Sie“, ruft Axel Friedrich aus den lagen limitiert werden. Übrig bleiben gut ihren Hunden mit Plastiktüten in der Tiefen des Regals. „Irgendwo hier. Irgend- 6000 Autobahnkilometer ohne Strecken- Hand auf die Wiese folgen und auf leerer wo hab ich …“ Er steckt schon seit Minu- verbote. Sie sind es, die Deutschland ein- Straße nachts vor roten Fußgängerampeln ten in diesem Regal. Es steht links von der malig machen. Sie sind der Grund für stehen bleiben – ein solches Land braucht Tür, Raum 2.233, Abteilung „Verkehr, Friedrichs Kampf. ein Stück Restfreiheit. Und Freiheit in Lärm“, das Zimmer des Abteilungsleiters. Formell existieren zwei weitere Orte auf Deutschland war bislang die Aufhebung „Ich hab’s gleich“, ruft Friedrich. der Welt, wo man so schnell fahren darf, aller Streckenverbote. Wenn man so will, ist Raum 2.233 im wie man will, die Isle of Man und zwei Bei der Internationalen Automobilaus- Umweltbundesamt zu Dessau, in dem es Bundesstaaten in Indien, aber die zählen stellung in Frankfurt am Main konnte man aussieht, als hätte ein Hurrikan alles ver- nicht. Die Isle of Man ist winzig und hat kürzlich am Mercedes-Stand ein Fahrtrai- wirbelt, die Schaltzentrale in einem kurio- keine Autobahn. Und in Indien kann man ning im Simulator absolvieren, man sollte sen Kampf. Von hier aus steuert Axel auch nicht schnell fahren, die Straßen sind möglichst spritsparend durch einen Par- Friedrich, Leiter der Abteilung „Verkehr, schmal und verstopft, es gibt riesige Schlag- cours gelangen. Der wichtigste Tipp der Lärm“, die Schlacht für ein Tempolimit auf löcher und Kühe auf der Überholspur. Und Mercedes-Mitarbeiter lautete: defensiv fah- deutschen Autobahnen. Er kämpft einen die Kühe sind heilig. ren, nicht zu schnell. So konnten die Be- der längsten und ideologischsten Kämpfe So ist das weiße runde Schild mit den sucher „Eco-Champion“ werden und hat- der deutschen Nachkriegsgeschichte. fünf schwarzen diagonalen Streifen zum ten am Ende vielleicht etwas begriffen. 142 d e r s p i e g e l 4 3 / 2 0 0 7
DERNER / ACTION PRESS ein Stück Restfreiheit – und Freiheit in Deutschland ist die Aufhebung aller Streckenverbote Wer aber am Simulator vorbeiging, in ginnt, den Stapel abzuarbeiten, Mappe für Geist“, warf ihr der Grüne Joschka Fischer die große Mercedes-Halle hinein, wo die Mappe. Es beginnt eine Zeitreise in die kürzlich im SPIEGEL vor. Aber solange großen, kraftvollen Wagen standen, wer deutsche Verkehrsgeschichte. In jeder Akte der Schutz des Klimas oben auf der politi- dichtgedrängt in der Zuschauermasse um steckt eine Schlacht, sie tragen Namen wie schen Agenda steht, haben die Tempogeg- die Ausstellungsfläche kreiste wie Mekka- „Bleifreies Benzin“, „Katalysator“ oder ner Hoffnung. Axel Friedrich hofft, dass Pilger um die Kaaba, der hatte am Ende „Smog-Plakette“. Zu jedem Thema sagt er es noch vor der Rente schaffen kann. etwas erlebt. Autofahren ist eben nicht nur Friedrich die gleichen Sätze. Der erste lau- Erkenntnis, sondern auch Emotion. Viele Nationen leisteten sich Eigenar- ten. Sie wirken wie Macken, auch wenn es tet: „Das wäre ohne mich anders gelau- fen.“ Der zweite lautet: „Hat mir ’ne Men- ge Ärger eingebracht, damals.“ D er Mann, auf den Friedrich lange setz- te, heißt Josef Göppel. Göppel ist Bundestagsabgeordneter der CSU, ge- meist eine Erklärung dafür gibt. Am Ende Nur eine Schlacht hat er bisher nicht meinsam mit anderen Abgeordneten hat gehören sie zum nationalen Kulturgut. gewinnen können: die für ein generelles er vor dem Sommer einen Gesetzesantrag Warum aber haben sich die Deutschen Tempolimit auf der Autobahn. Dabei ist für ein Tempolimit formuliert. gerade das Recht, schnell zu fahren, als Friedrich das Hirn der Tempolimit-Szene, Göppel nennt sich selbst einen Wert- Ausdruck ihrer Kultur ausgesucht? War- der Pate eines Netzwerks, ein Feldherr. konservativen, er ist verheiratet, vier Töch- um wird es so vehement verteidigt wie in Ja, sagt Friedrich, „das Tempolimit ist ter, sehr katholisch, er will die Natur er- den USA das Recht, Waffen zu tragen? meine Wunde. Meine offene Wunde“. halten. Mit 15 Jahren begann er eine Aus- Warum bekämpfen sich gerade in dieser Er klingt nicht resigniert. Er glüht noch bildung zum Forstwirt, seitdem liebt er den Frage seit Jahrzehnten zwei Lager so be- vor Eifer, doch jetzt läuft ihm die Zeit da- deutschen Wald. sessen, als hinge an diesem Schild mit den von. Friedrich ist 64 Jahre alt, nächstes Als der Anfang der achtziger Jahre im fünf Querstreifen das wahre Glück des Jahr geht er in Rente. Aber vorher will er Sterben lag und der Tod auch zu Göppels Volkes? Es scheint, als verrate die lange die Akte „Tempolimit“ erledigt haben. Es Bäumen in Herrieden kam, informierte er Geschichte des Kampfes um das Limit geht auch um die Bilanz seines Lebens. sich, was man tun könne. Irgendwann ist er mehr über das Wesen der Deutschen als Eigentlich sieht es gut aus für ihn. Ein dabei auf das Tempolimit gestoßen. manche Rede zur Lage der Nation. gutes Jahr vor seiner Pensionierung haben Der deutsche Wald hat dann auch ohne Es tut sich was, Friedrich zieht Rumpf die Vereinten Nationen einen Bericht ver- Tempolimit überlebt, und Josef Göppel und Kopf aus dem Regal. Zum Vorschein öffentlicht. Seither glaubt man, der Planet ging in die Politik. Dort stieg er langsam in kommen ein asketischer Körper, ein freund- sei in großer Gefahr. Der neue Erzfeind der CSU auf, nahm brav jede Stufe, bis in liches Gesicht mit zerknitterter Stirn und des Menschen heißt Kohlendioxid, kurz den Bundestag, aber seine Bäume und das schütteres weißes Haar. CO2. Die Bundesregierung will sich an die Tempolimit vergaß Göppel nie. Er wartete „Achtung“, ruft Friedrich. Er wuchtet Spitze einer Bewegung stellen, sogar Kanz- nur auf den richtigen Moment. einen Stapel aus Kartonmappen, Manu- lerin Angela Merkel hat den Deutschen Im Februar 2007 sitzt Göppel im Zug skripten, Briefen und Zeitungsausrissen empfohlen, etwas langsamer zu fahren. von Nürnberg nach Berlin, als er Frau auf den Besprechungstisch. Staub wirbelt An ein Tempolimit dachte sie dabei Wright von der SPD trifft, auch eine Freun- umher. Er stellt sich vor den Tisch und be- nicht – es fehle ihr am „revolutionären din des Tempolimits. Sie wollen beide das- d e r s p i e g e l 4 3 / 2 0 0 7 143
„Die ganzen Brems- und Lenkhilfen, die versteiften Fahrgastzellen, die ganze passi- ve Sicherheit – die hätte es mit Tempolimit so nicht gegeben.“ Wenn heute jeder Kleinwagen mit ei- nem halben Dutzend Airbags geliefert wer- de, dann, so meint Bez, liege das daran, dass die großen, schnellen Autos diese Technik entwickeln mussten. Autos wer- den nicht sicherer, wenn man langsam fah- ren muss. Sie werden sicherer, wenn man mit ihnen schnell fahren kann, glaubt Bez. Ein Tempolimit sei Quatsch, sagt er, außerdem politisch nicht durchsetzbar. HANS-GÜNTHER OED I m Frühjahr stellt Polo-Fahrer Göppel sei- nen Antrag für ein Tempolimit den Kol- legen aus der Unionsfraktion vor. Er sagt, Tempogegner vor dem Kanzleramt: „Weniger Staus, weniger Unfälle, weniger CO2“ er hoffe auf Unterstützung, auf viele Un- terschriften. Er macht keine Pressekonfe- selbe, sie wegen der mehr als 600 Unfall- ist ein Gott der Geschwindigkeit. Sein Wa- renz, will erst die Stimmung sondieren, toten auf der Autobahn, er wegen des Wal- gen zieht die Auffahrt zur A 44 hoch. Jetzt nur intern, ganz vorsichtig. des. Sie beschließen, etwas zu tun. kommt der Teil, der Spaß macht. Aber die Strategie geht nicht auf. Der Antrag hat vier Seiten, auf der ers- Der V8 Vantage liegt in der Kurve, als Noch am selben Tag informiert einer ten Seite steht „Initiative Josef Göppel würde die Fliehkraft für ihn nicht gelten, von Göppels Fraktionskollegen die schärfs- MdB“, darunter die Forderung: „Der Bun- und am Ende der Auffahrt zeigt der Tacho ten Gegner des Limits: In der Berliner Re- destag wolle beschließen: Auf deutschen 180 km/h. Aber das ist nur die Aufwärm- präsentanz von BMW klingelt das Telefon. Autobahnen wird zum 1. 1. 2008 eine ge- phase. Als die Strecke endlich frei wird, Alle großen Autohersteller leisten sich nerelle Geschwindigkeitsobergrenze von gibt Bez Gas. „Und hier wollen die 130 schicke Repräsentanzen in der Hauptstadt. 130 Stundenkilometern eingeführt.“ Es fol- machen?“ Er grinst. „230 geht doch auch.“ Dort sitzen Leute, die darauf achten sollen, gen drei Seiten Argumente. Das Schöne sei, sagt Bez, dass man sich dass die Politik keinen Unfug macht. Und Göppel schlürft seinen Tee aus der Tas- in diesem Auto bei 230 km/h sicherer füh- wenn sie im Begriff ist, Unfug zu machen, se, stellt sie hin und klappt einen Daumen le als im koreanischen Kleinwagen bei 130. muss es Menschen geben, die sie rechtzei- in die Luft. „Wir würden die Autobahnen „Als in den siebziger Jahren die Ameri- tig davon abbringen. sicherer machen, weniger Unfälle.“ Jetzt kaner ihr Tempolimit eingeführt haben, Den Anruf nimmt Jörg Waldeck, 41, ent- klappt er den Zeigefinger aus. „Wir hätten sind dort die Unfallzahlen tatsächlich ge- gegen, der Leiter des BMW-Büros. Wal- weniger Staus.“ Dann kommt der Mittel- sunken“, sagt Bez. „Aber wissen Sie auch, decks Aufgabe ist es, früh von den Plänen finger. „Und wir würden was fürs Klima woran das liegt?“ Er fährt nun etwas im Parlament zu erfahren. Er muss sein tun. Weniger Gifte. Weniger CO2.“ Frau langsamer, gleich kommt eine Brücke, an Ohr dicht an die Politik halten. Merkel habe sich in Brüssel verpflichtet, der oft die Blitzer stehen. „Die amerika- „Es soll einen Antrag geben“, sagt der den Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent zu nischen Autos waren damals furchtbar Anrufer, „für ein Tempolimit 130. Nur dass senken. Bei einem Tempolimit spare unsicher, sogar beim Geradeausfahren.“ ihr vorbereitet seid.“ Deutschland zwei Millionen Tonnen CO2 Deutschland aber habe die sichersten Fahr- Waldeck ist froh über den Anruf. Er ist ein, sagt Göppel, jedes Jahr, ohne dass zeuge der Welt. Er klingt stolz, als Kon- immer froh, wenn er von politischen Vor- es etwas koste. Die Zahl hat ihm Axel strukteur hat er daran mitgearbeitet. stößen hört, bevor sie in der Zeitung ste- Friedrich errechnet. hen. Es zeigt, dass sein Netzwerk funktio- Den Antrag wollte Göppel in den Bun- niert, dass sein Ohr dicht genug dran ist. destag einbringen, fraktionsübergreifend. Bei BMW haben sie große Angst vor Er sagte, dass man die Chance nutzen müs- dem Tempolimit. Sie fürchten, dass ein Li- se, am besten noch in diesem Jahr, sonst mit gerade Herstellern schaden würde, die sei sie wieder weg. Göppel spricht sehr große und schnelle Autos bauen. Sie glau- langsam, es klingt sehr vernünftig, was er ben, dass BMW auf der ganzen Welt auch sagt. Er ist ein höflicher Mann, privat fährt deshalb so begehrt sind, weil sie „auto- er einen Polo, den verbrauchsarmen. bahngetestet“ sind. Für den Verkauf in Deutschland wäre ein Tempolimit eben- L eute wie Göppel gehören für Ulrich Bez zu jenen Menschen, die ihn in sei- ner Freiheit beschneiden wollen, die die falls riskant. Es ist komisch, wenn man ein Auto mit 130 km/h fahren muss, obwohl es 250 schaffen würde. Es ist wie Sex im Faszination schneller Autos nicht begrei- Pornokino – irgendwie unbefriedigend. fen, zu den Spaßbremsen. Bez fährt keinen „Wir müssen den Mythos Autobahn er- Polo, er nimmt heute mal den Aston Mar- halten“, sagt Waldeck. Er sitzt in seinem tin V8 Vantage, 380 PS, 280 Stundenkilo- Büro in einem tiefen schwarzen Sessel, ein meter. Er steuert durch die Straßen von junger Mann mit glatter Haut, randloser MARTIN JEHNICHEN Düsseldorf-Kaiserswerth, ein ruhiges Glei- Brille und bravem Seitenscheitel. Er trinkt ten im zweiten Gang, es geht Richtung Kaffee aus einer Tasse mit dem Aufdruck Autobahn. „BMW.Williams F1 Team“ und schaut aus Ulrich Bez, 63, ist der Chef von Aston dem Fenster. Martin. Früher war er Entwicklungsleiter Autokritiker Friedrich Er sieht die Deutschlandflagge auf ei- bei Porsche und Konstrukteur bei BMW, er „Das Tempolimit ist meine offene Wunde“ nem der größten Häuser für Abgeordne- 144 d e r s p i e g e l 4 3 / 2 0 0 7
Gesellschaft aushalten, es nicht thematisieren. Er soll den Grundkonsens wirken lassen. Nur einmal hat Waldeck in den vergan- genen Wochen einen Brief an einen Kolle- gen von Göppel geschrieben, der ebenfalls für ein Tempolimit warb. Es standen alle Punkte aus dem Argumenter drin. Sein Argumenter hält alle Zahlen bereit, die geeignet sind, den Eindruck zu erzeu- gen, dass ein Tempolimit rein gar nichts bringt. Nichts für den Verkehrsfluss. Nichts für die Sicherheit. Nichts für den Klima- schutz. Ein Tempolimit ändert nichts am CO2- Ausstoß. So steht es geschrieben im Argu- menter. So sagt es Waldeck. So sagt es die deutsche Automobilindustrie, so sagen es ihre Partner in der Politik. Dabei gibt es Messungen, die anderes N. ENKER sagen. Abgastester Schmidt: Realistischere Werte als im Autokatalog te. Das Haus hat die Adresse Unter den Motorräder zur Verfügung. Natürlich wird D er Mann, der solche Messungen durch- führt, heißt Helge Schmidt. Beim TÜV Nord in Essen ist er zuständig für Schad- Linden 50. Waldeck hat die Nummer 42. alles sauber getrennt, die Abgeordneten stoffuntersuchungen, ein gewissenhafter Dazwischen liegt noch das Café Einstein, zahlen ihre Reise selbst, aber am Ende hat Mann. in dem sich Waldeck mit den Abgeordne- BMW den Trip doch irgendwie ermöglicht. „Achtung“, ruft er, er geht durch die ten zum Frühstück trifft. Er frühstückt oft, Peter Struck lässt sich nicht kaufen, aber Hallen eines Flachbaus, „Vorsicht“, überall er ist Berufsfrühstücker. seine Freude am Fahren wird nach Kräften stehen Warnschilder, Prüfgeräte, Rampen. Als Waldeck von den Plänen für ein unterstützt. Und erstaunlich viele Volvo. Tempolimit erfährt, bespricht er sich mit Waldeck braucht Partner, die ihn in- Schmidt soll im Auftrag der schwedi- seinen Kollegen. Sie beschließen abzu- formieren wie beim Tempolimit, und er schen Umweltbehörde testen, welche Ab- warten. Sie vertrauen auf den Grundkon- braucht Politiker, die sich gern informieren gaswerte die Fahrzeuge erreichen. Gerade sens zwischen der Politik und der Auto- lassen, am liebsten von ihm selbst. Wal- steht der V 70 in der Halle, vom Auspuff industrie. Er lautet, dass die Mehrheit der deck hat viele Argumente, wenn es um das führt ein dicker Schlauch zu einem blauen Politiker bislang immer bemüht war, das deutsche Auto geht. Container. Darin stecken Messgeräte, die deutsche Auto so gut es geht zu schützen. Er steht auf, geht zur Schrankwand, genau erfassen, in welcher Sekunde wie Die Autobauer haben eine scharfe Waf- zieht einen Ordner heraus, er sucht das viel von welchem Gift aus dem Auto fe, sie haben Arbeitsplätze. Die werden je- Papier zum Tempolimit. kommt. Schmidt und seine Leute haben des Mal neu ins Spiel gebracht, wenn es „Argumenter – (starres) 500 einen Test entwickelt, der realistischere gilt, Gesetze zu verhindern, sei es die Alt- Limit auf Autobahnen“ Opel Zafira Werte liefert als die, die in den Katalogen autoverordnung, der Rußfilter, die Dienst- steht obendrüber, dar- 1.8 der Autoindustrie stehen. wagensteuer oder das Tempolimit. unter die Gebrauchsan- VW Golf GT Normalerweise nämlich ist der Ablauf Jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland weisung: „Reaktion bei 2.0 TDI einer Messfahrt europaweit genau vor- sei von der Autoindustrie abhängig, sagt Anfrage (keine aktive geschrieben: Beschleunigen auf 17 km/h, die Autoindustrie. Es ist eine Faustformel, Kommunikation)“. nach ein paar Sekunden zurück auf null, sie ist mehr als umstritten, aber das macht Waldeck soll das 400 dann hoch auf 36, ausrollen lassen, 50 fah- nichts. Sie hat sich selbständig gemacht, Thema Tempolimit ren, 70 fahren, 100 fahren. Am Ende geht’s sie ist wichtiger Teil des Grundkonsenses. am besten aus der für zehn Sekunden hoch auf 120, nie hö- Der andere Teil ist die Art und Weise, Öffentlichkeit her- her. „Auf einer echten Straße bewegt sich wie die Autoindustrie der Politik ihre Ar- kein Mensch so“, sagt Schmidt. gumente vermittelt. Auf Waldecks Schreib- tisch liegt ein ausgeschnittener Zeitungs- Schnell und Als er damit begann, eigene Fahrzyklen zu testen, als sie 150, 160 fuhren, merkte artikel. „Die größten Spender an die Poli- schmutzig 300 Schmidt: Jenseits von 120 steigt der Schad- tik“, lautet die Überschrift. Die deutsche CO2-Ausstoß im stoffausstoß unproportional stark an. Er Autoindustrie gehört dazu. Im Wahljahr Geschwindig- glaubt, dass manche Autos sogar so kon- 2005 spendeten allein Daimler, BMW und Mercedes C struiert sind, dass sie nur in den offiziellen keitstest 180 K Porsche knapp zwei Millionen Euro an die Tests klimafreundlich abschneiden. größeren deutschen Parteien. Für Axel Friedrich und das Umweltbun- Die deutsche Autoindustrie kann groß- 200 desamt hat Schmidt speziell den CO2-Aus- zügig sein, und gerade Waldeck hilft gern. stoß ausgewertet: Ein kleines Mittelklasse- Auch wenn die „Sportgemeinschaft Deut- auto, 1,1 Liter Hubraum, stößt bei Tempo scher Bundestag“, „Gruppe Motorsport“, 130 demnach beinahe doppelt so viel CO2 wieder ihren Herbstausflug mit Motorrä- in die Luft wie bei Tempo 100. in Gramm dern plant. Knapp 30 Abgeordnete fahren CO2/km Wenn der Motor dann noch höher gejagt jedes Jahr mit, darunter so prominente wie wird, auf 160 km/h oder mehr, wachsen SPD-Fraktionschef Peter Struck. Mal geht Geschwindigkeit in km/h 100 Verbrauch und CO2-Ausstoß sogar um es nach Thüringen, mal nach Brandenburg, ein Vielfaches. Herr Schmidt vom TÜV fast immer ist BMW dabei und stellt seine 80 100 120 140 160 180 200 220 zieht ein anderes Fazit als Herr Waldeck 146 d e r s p i e g e l 4 3 / 2 0 0 7
Gesellschaft von BMW: Langsamer fahren zurückgekommen in den vier- spart CO2. ten Stock, um zu erzählen, wie Nur: Wie viel es spart, das es damals zu diesem Slogan lässt sich leider nicht sagen. Es kam: „Freie Fahrt für freie gibt nämlich keine aktuellen Bürger“. Daten darüber, wie schnell „Eigentlich“, sagt er, „war auf Deutschlands Autobahnen der Slogan ein Betriebsunfall.“ tatsächlich gefahren wird. Ende 1973 hatte die Organisa- 1981 betrug die Durchschnitts- tion der Erdölexportierenden geschwindigkeit 120 km/h, Staaten einen Boykott gegen 1995 lag sie bei 134. Danach den Westen verhängt. Auf ein- hat die Bundesanstalt für mal war nicht mehr sicher, ob Straßenwesen ihre Messungen Deutschland im Winter genü- eingestellt. gend Energie haben würde, Vielleicht kommt es beiden der Ölpreis stieg. Seiten gelegen, dass man über Die Regierung reagierte die wahre Lage nur Vermu- mit Sonntagsfahrverboten. Am tungen anstellen kann. Man 26. November trat zudem ein kann etwa anführen, dass die Tempolimit in Kraft: 100 km/h Autos heute schneller fahren auf Autobahnen, solange die können als 1995, der Durch- Ölkrise dauert. Im Dezember schnitt auf Autobahnen also erhielt Weich Hinweise, dass weiter gestiegen sein müsste. Verkehrsminister Lauritz Lau- Genauso gut aber lässt sich be- ritzen das Limit beibehalten haupten, die Geschwindigkeit wollte, für immer. Der ADAC sei heute niedriger. Es sind ja musste reagieren. Im Februar mehr Lkw unterwegs. 1974 setzten sich ein paar Eh- ANDREW FOX / CORBIS Und so liefern die Messun- renamtliche zusammen, das gen des Helge Schmidt zwar Gremium der Motorsportler, grammgenaue Werte über den und entwickelten eine Idee – Schadstoffausstoß eines ein- ohne die Chefs und die Fest- zelnen Fahrzeugs, aber die angestellten zu fragen. präzisen Zahlen führen nicht Aston-Martin-Chef Bez: „Wieso 130? 230 geht doch auch“ Sie würden eine Million Auf- zu präzisen Schlüssen. kleber drucken, „Freie Bürger Letztlich sind es gefühlte Argumente, ordnung sah schon damals kein Tempo- brauchen freie Fahrt“, in blauer Schrift, die den Streit prägen. Am Ende geht es limit vor. zehn Pfennig das Stück. Kein Argument nicht um die Zahl der Unfälle, die Zahl Auch in der Nachkriegszeit stand die war prägnanter, besser als dieser Satz: Wer der gefährdeten Arbeitsplätze, die Mikro- Tempofreiheit nicht zur Debatte. Wieder Schnellfahren verbietet, verbietet Freiheit. gramm CO2 oder den Marktanteil deut- wurden Auto- und Straßenbau zum Sym- Doch die Aufkleber waren schon ge- scher Premiumfahrzeuge. bol, diesmal für den Wiederaufstieg, die druckt, da stoppten die Hauptamtlichen Es geht darum, ob man die gefühlte Aufbruchstimmung der fünfziger und sech- die Aktion ihrer Motorsportler. Ihnen war Restfreiheit auf der Straße noch braucht ziger Jahre. Eine Generation der Geschla- der Spruch zu ideologisch, zu plump, ir- oder nicht. Es geht um das Glück, in einem genen konnte auf der Straße ein Stück gendwie peinlich. Die Regionalverbände Land, in dem sonst alles geregelt ist, alle ihres Selbstbewusstseins wiederfinden. mussten ihre Aufkleberkisten zurück nach Streckenverbote aufgehoben zu sehen. Vermutlich trennt man sich nicht gern München schicken. Und sei es nur bis zur nächsten Baustelle. von Symbolen, die an Schönes erinnern. Und dennoch hatten die Motorsportler Schon als Adolf Hitler am 23. September Seit den siebziger Jahren hat kein Ver- einen Nerv getroffen. Die Aufkleber konn- 1933 den Spaten in die Erde stieß, be- kehrsminister mehr ein Tempolimit in te man zurückholen, der Slogan aber war hauptete er, dass die deutschen Autobah- Deutschland durchsetzen wollen. in der Welt. Weich legte sich einen der nen mehr sein würden als einfach nur letzten Aufkleber in die Schublade. Schnellstraßen: ein Symbol für die neue Zeit. Den Arbeitern rief er zu: G ötz Weich hat an einem Konferenz- tisch Platz genommen. Der Tisch steht Indem wir Hunderttausende ansetzen für im größten Vereinsheim der Welt, in der Ab Mitte März 1974 durfte in Deutsch- land wieder gerast werden, das Tempolimit war 111 Tage in Kraft. große, monumentale, ich möchte sagen Zentrale des ADAC. Hier, am Münchner Was konnte man aus diesen 111 Tagen Ewigkeitswerte tragende Arbeiten, wer- Westpark, werden die Interessen von Mil- lernen? den wir dafür sorgen, dass das Werk sich lionen Autofahrern verwaltet. Der ADAC Tatsächlich war die Zahl der Unfalltoten nicht mehr trennt von denen, die es ge- ist noch viel größer als der Deutsche Fuß- stark gesunken, im Januar um rund 60 Pro- schaffen haben. ball-Bund, er ist einer der größten Lobby- zent. „Aber“, sagt Weich, „der Winter war Nirgendwo sonst in der Welt wurde so verbände der Welt. auch härter als im Jahr davor, das senkt das etwas Banales wie das Zubetonieren der Kein Politiker, der noch bei Trost ist, Verkehrsaufkommen. Wegen der Ölkrise Landschaft so überhöht und so verherr- legt sich freiwillig mit dem ADAC an. Des- sind die Leute weniger Auto gefahren, kein licht wie beim Autobahnbau in Nazi- sen 16 Millionen Mitglieder sind auch Wunder, dass es weniger Unfälle gab.“ Am Deutschland. Hitler ließ nicht nur die 16 Millionen Wähler. Deshalb ist die Ge- Tempolimit habe das nicht gelegen. ersten 3800 Autobahnkilometer zemen- schichte der Tempofreiheit auch die Ge- tieren. Seine Propaganda hinterließ in schichte von Götz Weich und dem ADAC. den Köpfen der Deutschen zugleich eine 37 Jahre hat er hier dagegen gekämpft. gewaltige Begeisterung für das Auto Seit zwei Jahren ist Weich pensioniert, N atürlich ist auch Uwe Kirsch Mitglied im ADAC, obwohl er ihn manchmal etwas schlaff findet. Kirsch klagt gegen be- und den Straßenbau, für Mobilität und ein freundlicher Mann mit Herrenhand- reits bestehende Tempolimits auf Auto- Geschwindigkeit. Die Straßenverkehrs- tasche und Rollkragenpullover, aber er ist bahnen. Seine Klagen heißen „A 9 Allers- 148 d e r s p i e g e l 4 3 / 2 0 0 7
PETER KNEFFEL / PICTURE-ALLIANCE/ DPA Autobahnkreuz Neufahrn bei München: Am Ende ist zwar jeder Autobahntote einer zu viel, aber irgendwie auch ein Stück Munition berg“, „A 73 Feucht“ oder „A 3 Behrings- um die A 9 bei Allersberg nicht anders als keine Hilfe. Herr Göppel von der CSU er- dorf“. Die „A 9 Münchberg“ befindet sich beim großen Kampf um ganz Deutschland. hielt irgendwann einen Anruf vom Büro im ruhenden Widerspruchsverfahren. Im vergangenen Jahr starben 645 Men- seines Fraktionschefs. Mit seinem Antrag Kirsch, 41, aus Roth in Mittelfranken schen auf Autobahnen, mehr als zwei Drittel verstoße er gegen die Geschäftsordnung der fährt mehr als 70 000 Autokilometer pro davon auf Strecken ohne Tempolimit. Das Fraktion, sagte Peter Ramsauer. Es waren Jahr, er muss viele Kunden besuchen, könnte dafür sprechen, ein Limit einzufüh- formale Einwände, aber dahinter steckten in- genügend Gründe, sich zu ärgern. ren. Aber: Nur bei der Hälfte der Todesfälle haltliche. Göppel sollte den Antrag stoppen. „Ich fühle mich zu diesen Klagen beru- spielte laut Polizei eine „nicht angepasste Am selben Tag bekam auch Frau Wright, fen“, sagt Kirsch. Er ist der Anti-Friedrich, Geschwindigkeit“ eine Rolle. Allein 30 Men- seine Mitstreiterin von der SPD, einen An- er will nicht mehr, er will weniger Tem- schen starben durch Geisterfahrten, 25 an ruf. „Verfolg das nicht weiter“, sagte Olaf polimits in Deutschland. Aber genau wie einer Baustelle, 37 beim ungeschickten Spur- Scholz, der Parlamentarische Geschäfts- Friedrich sagt er, es gehe ums Prinzip: „Es wechsel, 43 beim Aufprall auf stehende Fahr- führer der SPD. „So was macht man nicht. geht hier um ein Stück Kulturgut. Wir ha- zeuge, und 26 gelten als getötete Fußgänger, Nicht gegen den eigenen Minister.“ Der ben das Recht, es anders zu machen als weil sie etwa nach einer Karambolage aus- Verkehrsminister heißt Wolfgang Tiefen- der Rest der Welt. Wir sind schließlich die gestiegen waren und erfasst wurden. All de- see und wird gerade von der SPD gestellt. Erfinder des Autos und der Autobahnen.“ nen hätte ein Tempolimit kaum geholfen. Dann verkündeten die Fraktionschefs Wenn Kirsch nicht gerade hinter dem Am Ende ist zwar jeder Autobahntote ein von Union und SPD, Volker Kauder und Lenkrad klemmt, dann recherchiert er, auf Toter zu viel, aber irgendwie auch ein Stück der Motorradfreund Peter Struck, dass der Ämtern oder im Internet. „Ich bin dafür, Munition. Antrag gestoppt sei. Herr Göppel erfuhr die deutschen Rinder zu verbieten“, sagt davon aus den Nachrichten und fühlte sich Kirsch. Die seien schädlicher für das Klima als die Tempofreiheit. „Wenn Rinder fur- A xel Friedrich hat ein Bild für seinen gedemütigt. Herr Waldeck ging an diesem Kampf für ein Limit gefunden. Er steht Morgen besonders gutgelaunt frühstücken. zen, stoßen sie Methan aus, jede Kuh 350 auf einem Berg und wirft seit 30 Jahren Wieder war ein Vorstoß gescheitert. Liter Klimagas am Tag.“ Schneebälle den Hang hinab. Er hofft im- Leider sei die Industrie in den Hinter- In Wahrheit sorgen alle Kühe zusam- mer noch auf den einen Ball, der eine La- zimmern sehr erfolgreich, sagen die Ver- men für 1,8 Prozent der klimaschädlichen wine in Gang setzt. Dummerweise waren lierer. Aber weil sie das Verlieren gewöhnt Gase, der Straßenverkehr hingegen ist für die, auf denen seine Hoffnung ruhte, bislang sind, reden sie lieber über ihre Hoffnun- knapp ein Fünftel der CO2- gen. Herr Göppel hofft jetzt Emissionen verantwortlich. auf Europa, er sagt, der Druck Doch die Kuh-Geschichte ist werde wachsen. Frau Wright eine der beliebtesten in Auto- möchte noch einmal mit dem fahrer-Foren im Internet, man Verkehrsminister reden, der ist erzählt sie weiter, bis keiner ja aus der eigenen Partei. mehr fragt, ob sie stimmt. Wer möchte, kann sich so- Jetzt kommt Kirsch zum Si- gar die Autoausstellung in cherheitsargument. Als es auf Frankfurt als Zeichen der Ver- den 11,25 Autobahnkilometern änderung schönreden. Bei al- bei Allersberg noch kein Tem- len Veranstaltungen wurde das polimit gab, starben auf die- Klima zum wichtigen Thema sem Stück innerhalb von drei erhoben. Die Hersteller stell- Jahren zwei Menschen. Er hat ten Schilder vor die Autos, auf bei den Behörden Aktenein- denen der CO2-Ausstoß stand. WOLFGANG MARIA WEBER sicht verlangt: „Ein Nässe-To- Man gab sich Mühe, dem Kli- ter. Ein Übermüdungs-Toter“, ma Rechnung zu tragen. sagt er. „Die wären mit Tem- Der Star der Messe aber war polimit genauso gestorben.“ der Audi R8. Er hat 420 PS Es ist alles Interpretations- und fährt schneller als 300 sache. Es ist im kleinen Kampf Ex-ADAC-Funktionär Weich: 37 Jahre Kampf gegen das Tempolimit Stundenkilometer. ™ 150 d e r s p i e g e l 4 3 / 2 0 0 7
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