Voxelbasierte MR-Morphometrie und Diffusionstensorbildgebung: Grundlagen und Anwendungen in der klinischen Neurologie
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Voxelbasierte MR-Morphometrie und Homepage: Diffusionstensorbildgebung: www.kup.at/ Grundlagen und Anwendungen in der JNeurolNeurochirPsychiatr klinischen Neurologie Online-Datenbank mit Autoren- Unrath A, Müller HP, Kassubek J und Stichwortsuche Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2011; 12 (3), 272-279 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Linzerstraße 177A /21 Preis : EUR 10,–
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VBM und DTI Voxelbasierte MR-Morphometrie und Diffusionstensorbildgebung: Grundlagen und Anwendungen in der klinischen Neurologie A. Unrath, H.-P. Müller, J. Kassubek Kurzfassung: Es werden Potenzial und klinische vivo dargestellt werden können und auch quanti- well as the technique of diffusion-tensor imag- Möglichkeiten vorgestellt, welche aus der klini- tative Analysen ermöglichen. Beide Techniken ing (DTI) to visualize human white matter schen Anwendung von computerbasierten können somit morphologische Korrelate von neu- anatomy. Magnetresonanztomographie- (MRT-) Techniken rologischen Erkrankungen im Gehirn abbilden. In VBM, the regional volume changes of grey der voxelbasierten Morphometrie (VBM) auf Be- and white matters are determined from struc- wertungen der grauen und der weißen Hirn- Schlüsselwörter: Magnetresonanztomogra- tural T1w 3D MRI data whereas DTI as a special substanz und der Diffusionstensorbildgebung phie, voxelbasierte Morphometrie, Diffusions- application of diffusion-weighted MRI allows for (Diffusion Tensor Imaging [DTI]) auf Analysen der tensorbildgebung, Nervenfaserverlauf an orientation-dependent decoding of diffusion weißen Hirnsubstanz entstehen. and therefore visualizes fiber track connections Bei VBM werden regionale Volumenverände- in the white matter and also allows for quantita- rungen der grauen und auch der weißen Sub- Abstract: Voxel-Based MR-Morphometry tive analysis. Both techniques are helpful in the stanz auf dem Boden struktureller 3D-MRT-Da- and Diffusion Tensor Imaging: Basics and visualisation of morphological correlates of ten bestimmt, wohingegen DTI als spezielle Op- Applicability in Clinical Neurology. The po- neurological disorders in the brain. J Neurol tion der diffusionsgewichteten MRT eine rich- tential and clinical options are presented which Neurochir Psychiatr 2011; 12 (3): 272–9. tungsabhängige Kodierung der Diffusion ermög- originate from the clinical application of compu- licht und somit anhand der Vorzugsrichtung der ter-based magnetic resonance imaging (MRI) Key words: magnetic resonance imaging, Diffusion wahrscheinliche Nervenfaserverläufe techniques such as voxel-based morphometry voxel-based morphometry, diffusion tensor im Bereich der weißen Substanz des Gehirns in (VBM) to human brain grey and white matters as imaging, fiber tracking Einleitung innerhalb der weißen Hirnsubstanz entlang axonaler Bahnen. Auf der Grundlage von DTI können anhand der Vorzugs- Voxelbasierte Morphometrie (Voxel-Based Morphometry richtung der Diffusion innerhalb eines untersuchten Voxels [VBM]) und Diffusionstensorbildgebung (Diffusion Tensor wahrscheinliche Nervenfaserverläufe im Bereich der weißen Imaging [DTI]) haben in der vergangenen Dekade die Mög- Substanz des Gehirns in vivo dargestellt werden (Traktogra- lichkeiten der makro- und mikrostrukturellen Analyse von phie oder Fiber Tracking [FT]). FT eignet sich neben der Magnetresonanztomographie- (MRT-) Daten in den Neuro- Visualisierung der Neuroanatomie am Lebenden insbeson- wissenschaften stark erweitert, auch und insbesondere im dere auch für prächirurgische Fragestellungen im Hinblick Hinblick auf die Analyse einer In-vivo-Pathoanatomie von auf den Verlauf von Nervenfasertrakten. Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Im Folgenden werden klinische Applikationen dargestellt, Bei der VBM werden an strukturellen, typischerweise T1- welche aus der Anwendung der VBM auf die graue Hirn- gewichteten 3-dimensionalen MRT-Datensätzen ganzhirn- substanz und des DTI auf die weiße Hirnsubstanz entstehen. basierte statistische Analysen zur Identifizierung regionaler Strukturveränderungen z. B. bei neurologischen Erkrankun- Methoden gen untersucht und das topographische Verteilungsmuster der zerebralen Veränderungen dargestellt. Inter-Subjekt-Verglei- Voxelbasierte Morphometrie che, Gruppenmittelung und -vergleiche werden ermöglicht In der rechnergestützten Neuroanatomie („computational durch eine räumliche Normalisierung der Individualhirne auf neuroanatomy“) wird die Konfiguration verschiedener Gehir- ein Template-Gehirn in einem normalisierten Standardraum, ne analysiert. VBM vergleicht hierbei die neuroanatomischen der so genannten Normalisierung. Ein solcher Standardraum Unterschiede auf einer 3-dimensionalen voxelweisen Basis. wird z. B. durch das „Montreal Neurological Institute“- Seit ihrer Einführung in den 1990er-Jahren hat sich die VBM (MNI-) Koordinatensystem vorgegeben, welches durch die als effektives Werkzeug erwiesen, um Veränderungen in der arithmetische Mittelung mehrerer hundert Individualhirne grauen und in der weißen Substanz zu analysieren. Das in die- definiert wurde [1]. sem Bereich am weitesten verbreitete „Statistical Parametric Mapping“- (SPM-) Programmpaket (Wellcome Trust Centre DTI als spezielle Option der diffusionsgewichteten MRT er- for Neuroimaging, London, UK; www.fil.ion.ucl.ac.uk/spm) möglicht eine richtungsabhängige Kodierung der Diffusion hat die Grundlage für VBM in methodischer Hinsicht ge- schaffen und verwendet hierzu automatisierte Segmentie- rungsprozeduren und standardisierte Parameterstatistiken für Eingelangt am 3. Mai 2010; angenommen nach Revision am 5. Oktober 2010; die Gruppenvergleiche, um Informationen für jedes Voxel Pre-Publishing Online am 26. November 2010 Aus der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Ulm, Deutschland separat aus seiner Graustufenintensität zu extrahieren. Andere Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Jan Kassubek, Klinik für Neurologie, Softwarepakete für morphometrische Analysen sind bei- Universitätsklinikum Ulm, D-89081 Ulm, Oberer Eselsberg 45; spielsweise SIENA als Bestandteil der „FMRIB Software E-Mail: jan.kassubek@uni-ulm.de Library“ (www.fmrib.ox.ac.uk/fsl). VBM dient dem Grup- 272 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
VBM und DTI penvergleich zur Erforschung des Krankheitsprinzips, d. h. eine Individualhirnanalyse ist nicht das Ziel der Methode. Für eine ausführliche Darstellung der VBM-Methode mit all ihren Details sei auf [2–6] verwiesen. Eine kurze Beschreibung lau- tet wie folgt: Voraussetzung ist eine Normalisierungsprozedur des hochaufgelösten Individualhirndatensatzes (Voxelgröße in der Regel 1 mm3, Isovoxel) auf den stereotaktischen Standardraum (z. B. MNI). Durch eine nicht-lineare Regist- rierung der Gehirndaten wird ein Matrixfeld (so genannte Abbildung 1: VBM-Ergebnisse für Patienten mit verdünntem Corpus callosum im Jacobi- oder Ableitungsmatrix) bestimmt, in der jedes Voxel- Vergleich zu gesunden Probanden. Dargestellt werden Z-Score-Werte in Farbe auf element ein Tensor ist, welcher die relativen Positionen der einem standardisierten morphologischen Hintergrund. benachbarten Elemente beschreibt. Dies wird erreicht, indem jeder Datensatz auf dasselbe Template normiert wird durch Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für den gruppenbasierten Ver- Minimierung der kleinsten Quadrate (χ2) unter Verwendung gleich von Patienten mit verdünntem Corpus callosum mit einer 12-parametrigen, nicht-linearen Transformation. Hier- dem Krankheitsbild einer komplizierten, hereditären spasti- bei wird ein Bayesischer Rahmen verwendet, welcher vorhe- schen Paraparese mit gesunden Kontrollen, berechnet mit der rige Kenntnisse der normalen Variabilität des Gehirns berück- SPM-Software. Ziel hierbei war es, das Erkrankungsprinzip sichtigt. In einem zweiten Schritt werden globale nicht-linea- auf Gruppenniveau quantitativ zu erfassen und darzustellen, re Unterschiede durch eine lineare Kombination räumlicher z. B. werden Veränderungen am Corpus callosum eines Basisfunktionen modelliert. Bei der Generierung individuel- Individualhirns durch konventionelle Bildgebung in der Re- ler studienspezifischer Templates ist darauf zu achten, dass gel nur qualitativ erfasst. Darüber hinaus wurden extensive sich diese aus der Gesamtpopulation des Studienkollektivs Veränderungen des Corpus callosum im Wesentlichen bei ei- (Patienten und Kontrollen) zusammensetzen. Dies stellt ner spezifischen Subgruppe dieser Patienten gehäuft beob- sicher, dass insbesondere bei nicht-linearen Transformationen achtet [8], mittels VBM-Analysen ergab sich jedoch der krankheitsspezifische morphologische Informationen der Nachweis einer klar über eine isolierte Affektion dieser Struk- Patientengruppe unterrepräsentiert in die Ergebnisse einflie- tur hinausgehenden morphometrischen Alteration ausge- ßen oder gar vollständig verschwinden. dehnter Areale der weißen Substanz. Es verbleibt zu bemerken, dass diese Methode der räumlichen Da die VBM-Methodik jedoch nur als Untersuchung auf Normalisierung nicht versucht, jede kortikale Variation aus- Gruppenniveau zur Verbesserung erkrankungsbezogener zugleichen, sondern nur die globalen Gehirnformunter- pathoanatomischer Konzepte validiert ist, ist eine Anwen- schiede ausgleicht. Nach der stereotaktischen Transformation dung auf Einzelebene im Rahmen der klinischen Differenzial- werden die Datensätze in graue Substanz, weiße Substanz, diagnostik noch nicht möglich. Ebenso wie dieses Verfahren Liquorräume und weitere Hintergrundklassen segmentiert. weisen auch DTI und andere, hier nicht aufgeführte weiter- Hierbei muss noch angemerkt werden, dass Datensatz- führende MRT-Techniken wie z. B. die Protonen-Spektro- inhomogenitäten vor dieser Segmentierung ausgeglichen skopie (1H-MRS), die diffusionsgewichtete Bildgebung werden müssen, da die Gewebeklassifizierung anhand von (DWI) und die Magnetisierungs-Transfer-Bildgebung (MT), Voxelintensitäten erfolgt. die jeweils einer computerbasierten Auswertung bedürfen, ein hohes Potenzial auf, bei der (differenzial-) diagnostischen Die weiteren Verarbeitungsschritte sind dann Glättung mit ei- Einordnung von klinischen Phänotypen einen relevanten nem isotropen Gauss’schen Kern (eine Glättung, bei welcher Beitrag zu leisten, dieser muss aber – auch unter Berück- die Gewichtung anhand der räumlichen Entfernung vom sichtigung der Bewertung außerhalb spezialisierter Zentren – Glättungszentrum einer Exponentialfunktion – exp[–χ2] – er- in weiteren Studien zunächst hinsichtlich der Sensitivität und folgt) und die Transformation der lokalen Voxelkonzentratio- Spezifität weiter validiert werden [9]. Dementsprechend nen (Intensitäten). Nach diesen Verarbeitungsschritten kann findet sich auch beispielsweise in den aktuellen EFNS-Leit- ein statistischer Vergleich auf einer voxelweisen Basis erfol- linien zum Einsatz bildgebender Verfahren bei Motoneuron- gen. erkrankungen der Hinweis darauf, dass weiterführende MR- Anwendungen, wie VBM-basierte Analysen und ebenso DTI, Das im Bereich VBM am bei Weitem häufigsten eingesetzte bislang keine relevante Rolle in der Diagnose oder im Ver- Software-Programmpaket SPM wird ständig weiterentwi- laufsmonitoring dieser Erkrankungen im Sinne einer Klasse- ckelt. Neueste Entwicklungen im Bereich der Volumenseg- IV-Evidenz spielen. Enthalten ist jedoch eine klare Empfeh- mentierung (als Voraussetzung für Normalisierung und somit lung zur Einbindung dieser Techniken bzw. daraus abgeleite- VBM) ist ein Algorithmus zur schnellen diffeomorphischen ter Erkenntnisse in klinischen Studien zur Erweiterung des Registrierung, genannt „Diffeomorphic Anatomical Regis- pathophysiologischen Verständnisses neurodegenerativer tration Through Exponentiated Lie Algebra“ (DARTEL) [7]. Erkrankungen, insbesondere in deren Verlauf [10]. Hierbei ist ein wesentlicher Faktor, die Bilder zu normalisie- ren, indem ein Flussfeld für jedes Bild generiert wird, mit Diffusionstensorbildgebung welchem dann voxelweise die für die Normalisierung not- Die Konnektivität der weißen Substanz kann durch DTI als wendigen Jacobi-Matrizen berechnet werden. Ein sehr guter Erweiterung der diffusionsgewichteten Bildgebung (Diffu- Überblick über diese sehr komplexe Thematik findet sich in sion-Weighted Imaging [DWI]) dargestellt werden, welche [2]. die Orientierungsabhängigkeit von 1H-Diffusion aufzeichnet J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3) 273
VBM und DTI Abbildung 2: Anisotrope Diffusion von 1H entlang der Axone in einem Voxel erlaubt die Berechnung eines Diffusionstensors für dieses Voxel. Die enthaltene Information kann als Parametrisierung in „fractional anisotropy (FA) maps“ oder als Fiber Tracking verwendet werden. tion der durch DTI detektierten Richtungsinformationen in jedem Voxel auf ein Hauptelement, welches der statistisch stärksten Gerichtetheit in diesem Voxel entspricht und somit mutmaßlich den Hauptanteil des Faserverlaufs abbildet. Weiterentwicklungen dieser „klassischen“ Traktographie be- ziehen verbesserte Tensorabtastungen [15] oder Wahrschein- lichkeitsfunktionen in die Berechnung der Faserverläufe mit ein [16], ohne jedoch hierdurch die Limitierung der be- schränkten räumlichen Auflösung und damit die fehlende Möglichkeit einer realen Darstellung axonaler Verläufe behe- ben zu können. Verursacht durch die Anisotropie in der weißen Substanz wird Diffusion nicht länger, wie bei der DWI, durch einen Skalar charakterisiert, sondern durch einen Tensor D , welcher voll- ständig die molekulare Mobilität beschreibt [17]. Auf makro- Abbildung 3: Fraktionale Anisotropie- (FA-) Maps eines gesunden Probanden, 36 skopischer Skala verursacht die Variabilität in der Orientie- Jahre, Hintergrund ist eine Aufnahme ohne Gradientengewichtung, Schwellenwert für die FA-Darstellung ist 0,2. Farbkodierung: rot: größter Eigenvektor in Rechts-Links- rung in einem Aufnahmevolumen (Voxel) den Grad an Aniso- Richtung; blau: inferior-superior; grün: posterior-anterior. tropie in diesem Voxel [18]. [11]. Die Diffusion ist maximal entlang der axonalen Rich- Die Elemente des symmetrischen Tensors D werden durch tung und begrenzt senkrecht dazu, was eine Analyse der Diffusionsgradienten entlang mindestens 6 nicht-kolinearer axonalen Bahnen in der weißen Substanz des ZNS, einer frü- Richtungen bestimmt. Der Diffusionstensor D besitzt in her kaum detailliert zu untersuchenden Partition, ermöglicht diagonalisierter Form nun die Eigenwerte (λ1, λ2, λ3) und die und somit die verbreitete Anwendung in der klinischen Neu- Eigenvektoren (ν 1, ν 2, ν 3), welche den Grad der Anisotropie robildgebung ausgelöst hat [12–14]. Leider genügt die räum- angeben (Abb. 2). liche Auflösung des DTI nicht, einzelne Axone direkt darzu- stellen, vielmehr wird der Verlauf der axonalen Bahnen mit- Diese Diffusionsanisotropie wird z. B. durch die fraktionale hilfe so genannter Trajektorien abgebildet bzw. deren Grad Anisotropie (FA) abgebildet der Myelinisierung visualisiert und auch quantitativ erfasst. Der Diffusionstensor beschreibt allerdings nur dann die mole- FA = ( 3 λ1 − λ ) + (λ 2 2 −λ ) + (λ 2 3 −λ ) 2 kulare Mobilität vollständig, wenn diese durch ein Diffu- 2 λ +λ +λ 2 1 2 2 2 3 sionsellipsoid modelliert oder beschrieben werden kann. Ursächlich für die Einschränkung in der Interpretation der wobei λ den arithmetischen Mittelwert der Eigenwerte be- visualisierten Fasertraktverläufe ist die methodische Reduk- zeichnet (Abb. 3). 274 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3)
VBM und DTI Abbildung 4: FT mit Startpunkten im Corpus callosum (links) und entlang der Pyramidenbahnen (rechts) eines gesunden Probanden. Um die funktionelle Verbundenheit von Gehirnregionen jedoch werden Methoden wie beispielsweise VBM oder DTI abbilden zu können, kann die DTI-Information für das so als Techniken mit Biomarker-Potenzial in klinischen Studien genannte Fiber Tracking (FT) herangezogen werden. Die eingesetzt, wie in den entsprechenden EFNS-Guidelines dar- Richtung des größten Eigenvektors gibt hierbei die Haupt- gelegt [31]. Bei Anwendung von VBM-Methoden bei weite- diffusionsrichtung vor, welche somit die Direktion der Faser- ren, auch seltenen MND, wie z. B. der X-chromosomalen spi- bündel anzeigt. So kann algorithmisch Voxel für Voxel die nalen Muskelatrophie Typ Kennedy (X-SBMA), zeigten sich Bahn der Hauptdiffusion gefunden werden. ebenso ausgedehnte Veränderungen der weißen Substanz [32], wie bei der Untersuchung von Patienten mit einfacher Viele methodische Arbeiten zu diesem Thema wurden veröf- und komplizierter hereditärer spastischer Paraparese (HSP) fentlicht (z. B. [19–21]), die meisten fokussieren auf den qua- auf Gruppenniveau [33], welche deutlich über die mittels litativen Aspekt der Visualisierung der Faser-Trakte. Andere konventioneller MRT detektierbaren fokalen Veränderungen Arbeiten legen den Schwerpunkt auf die Konnektivität der des Gehirnparenchyms bei diesen Krankheitsbildern hinaus weißen Substanz [22, 23] (Beispiele siehe Abbildung 4). gingen und somit das Verständnis der Pathoanatomie in vivo Neuere Arbeiten beschäftigen sich mit der quantitativen Ana- insbesondere hinsichtlich der Unterschiede zwischen einfa- lyse der Gerichtetheit entlang der Trakte im Sinne eines chen und komplizierten Formen bei dieser heterogenen Er- probabilistischen Fiber Tracking [20], alternativ „Tractwise krankungsgruppe verbesserten. Fractional Anisotropy Statistics“ (TFAS) [24]. Im Bereich der Bewegungsstörungen zeigten VBM-Analysen Ergebnisse bei unilateralem Parkinson-Tremor volumetrische Verände- rungen im Thalamus [34] und bei Patienten mit Restless-legs- In der Literatur finden sich zahlreiche Beispiele von Anwen- Syndromen heterogene Ergebnisse mit Volumenalterationen dungen dieser modernen kernspintomographischen Metho- in thalamischen [35], frontalen kortikalen [36] und kortikalen den, beispielsweise in der Beobachtung von Alterungsprozes- sensomotorischen Arealen [37]. Weitere Anwendung fanden sen des Gehirns, aber auch insbesondere bei der Untersu- VBM-Analysen bei Patienten mit idiopathischem Parkinson- chung neurodegenerativer Erkrankungen, welche in der kon- Syndrom (IPS) mit und ohne kognitive Defizite [38–41], bei ventionellen MRT oft geringe oder nur unspezifische Alterati- IPS-Patienten mit Depressionen [42] und insbesondere auch onen der Gehirnmorphologie aufweisen. Der Ganzhirn- in der Differenzierung typischer und atypischer Parkinson- basierte statistische Vergleich von Patientengruppen mit Syndrome [43, 44] sowie in der Identifikation bildmorpho- Gruppen gesunder Probanden ermöglicht hier die Identifizie- logischer Charakteristika letzterer [45] und in der longitudi- rung subtiler volumetrischer bzw. mikrostruktureller Ver- nalen Verlaufsbeobachtung der Hirnatrophie bei Patienten mit änderungen. Aufgrund der Vielzahl publizierter Studien soll Multisystematrophie [46]. Eine umfangreiche Synopsis der in der Folge eine exemplarische Übersicht der Arbeiten und vielfältigen Befunde bei hypo- und hyperkinetischen Bewe- deren Inhalte erfolgen. gungsstörungen bietet eine Übersicht von Whitwell und Josephs [47]. Voxelbasierte Morphometrie Bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) als häufigster Schließlich sollen an dieser Stelle auch VBM-Studien zu phy- Form der adulten Motoneuronerkrankungen (Motor Neuron siologischen Alterungsprozessen [48, 49] und zu lokoregio- Disease [MND]) gelingt es mittels VBM-Methoden nicht nur, nalen Atrophien sowie deren longitudinalem Verlauf bei Pa- die selektive Pathoanatomie innerhalb der motorischen tienten mit frühen Stadien einer Demenz [50, 51] sowie die Kortizes und der Pyramidenbahnen zu lokalisieren [25–27], VBM-assoziierten Ergebnisse typischer Vulnerabilitätsmus- sondern auch bildmorphologische Korrelate klinischer Be- ter bei unterschiedlichen demenziellen Erkrankungen, wie der funde in nicht-motorischen Hirnarealen zu identifizieren [28– primären progressiven Aphasie (PPA) [52], der frontotempo- 30], welche zu einer Erweiterung des pathoanatomischen Ver- ralen (FTD) und semantischen Demenz (SD) [53, 54] und der ständnisses der Erkrankung beitragen. Noch ist ein Eingang Alzheimer-Erkrankung (AD) [55–57], erwähnt werden. So in die klinische Routine-Bildgebung bei MND nicht erfolgt, fanden sich bei Patienten mit PPA entsprechend der klini- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3) 275
VBM und DTI schen Präsentation kortikale Atrophien sowohl in frontalen bei Patienten mit Parkinson-Demenz-Komplex als auch bei und temporoparietalen als auch in linksbetont temporalen der Lewy-Körper-Demenz im temporalen und parietalen Regionen [52]. Bei der Untersuchung von Patienten mit FTD Marklager sowie bifrontal [73, 74]. Weiters konnte gezeigt und SD konnten über nicht-selektive Volumenänderungen im werden, dass sowohl bei der progressiven supranukleären Pa- ventromedialen frontalen Kortex, in posterioren orbitofronta- ralyse (PSP) [75, 76] als auch bei der Multisystematrophie len Regionen beidseits, bilateral insulär und im linksseitigen (MSA) [77–80] charakteristische Schädigungsmuster zu be- anterioren Zingulum hinausgehend gruppenspezifische korti- obachten sind, wobei die PSP mit Auffälligkeiten in motori- kale Atrophien im dorsolateralen frontalen Kortex rechts und schen Regionen wie dem posterioren Thalamus und der Cap- im linken präfrontalen Kortex bei FTP sowie beidseits im sula interna sowie extramotorischen Arealen wie dem anterio- anterioren temporalen Kortex und im Bereich Amygdala/ ren Corpus callosum und in Projektion auf den Fasciculus Hippokampus bei SD differenziert werden [53]. Demgegen- longitudinalis superior und den Fasciculus arcuatus von über gelang auf der Basis von VBM eine Abgrenzung von Befunden im Bereich der Basalganglien und infratentoriell AD-Patienten gegen SD-Patienten durch eine links parietal bei MSA und insbesondere auch bei IPS abzugrenzen ist. Im und bilateral im posterioren Zingulum bzw. im Präcuneus be- Bereich der Bewegungsstörungen konnten zudem Integritäts- tonte Atrophie in der AD-Gruppe [54]. Nicht vergleichende störungen der weißen Substanz bei Patienten mit essenziellem VBM-Studien bei AD unterstreichen die neuropathologi- Tremor in zerebellären Arealen [81] gezeigt werden. Bei idio- schen Befunde mit nur geringer frontaler Beteiligung bei pathischem Restless-legs-Syndrom als einer Erkrankung, bei stadienabhängiger Affektion mesiotemporaler Strukturen, des der noch keine einheitliche morphologisch fassbare Verände- posterioren Zingulums und des angrenzenden Präcuneus so- rung von ZNS-Strukturen bekannt ist und mittels konventio- wie des temporoparietalen Netzwerks und des perisylvischen neller MRT keine wegweisenden Befunde bekannt sind, zeig- Neokortex. Darüber hinaus wurde eine positive Korrelation ten sich subkortikale Veränderungen im Bereich motorischer von VBM-Befunden mit den neuropathologischen Braak-Sta- und prämotorischer Areale, im Thalamus und im anterioren dien bei einer großen Gruppe von AD-Patienten berichtet, Zingulum [82]. Schließlich konnten durch die Anwendung wobei insbesondere die Stadien V und VI klar von den Befun- von DTI-Methoden (sowohl FT als auch Vergleich der FA- den in den Stadien 0–IV abzugrenzen waren [55]. Maps auf Gruppenebene und auch TFAS) bei Gruppen neuro- degenerativer Erkrankungen mit Betonung des motorischen Ziel der VBM-basierten Analysen durch Gruppenvergleich ist Systems wie der ALS nicht nur Affektionen des kortiko- eine Erforschung der erkrankungsassoziierten Pathoanatomie spinalen Trakts [83–85], sondern auch ausgedehnte Schädi- in vivo, d. h. VBM ist kein individuelles Analyseverfahren gungen nicht-motorischer und hier vorwiegend frontaler und wird auf Gruppenebene durchgeführt. Ein unmittelbarer Gehirnareale beobachtet werden [86–88], was die klinisch Eingang der VBM in die klinische Routinebildgebung und und multimodal-bildgebend gestützte Definition dieser Er- -analyse ist daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu erwarten. krankungsgruppe als Multisystemdegeneration weiter unter- stützt. Charakteristische Schädigungsmuster in motorischen Diffusionstensorbildgebung und extramotorischen Regionen wie dem Corpus callosum Nicht weniger von Interesse sind Untersuchungen der weißen fanden sich auch bei seltenen MND wie der PLS, der HSP und Substanz unter Verwendung von DTI-basierten Methoden, der X-SBMA, wodurch das Potenzial des DTI bei Identifika- welche bei der Fragestellung nach Fasertraktveränderungen tion von bildmorphologischen „Fingerabdrücken“ dieser Er- die höchste Sensitivität aufweisen. So liefern DTI-Untersu- krankungen eindrucksvoll unterstrichen wird [89]. Nicht chungen bereits in der Beobachtung physiologischer Altera- ohne Erwähnung sollten abschließend Untersuchungen von tionen der Gehirnmorphologie, wie bei der Beobachtung von neurodegenerativen Krankheitsbildern mittels der auf DTI Geschlechtsunterschieden im Kontext von Alterungsprozes- basierenden Methode der Traktographie (FT) bleiben, wobei sen [56] und physiologischen Alterungsprozessen selbst [57– hier die methodische Herausforderung über eine rein qualita- 60], relevante Erkenntnisse. Diese Befunde sind mittels DTI tive Darstellung der In-vivo-Pathoanatomie hinausgehend in insbesondere von umschriebenen Vulnerabilitätsmustern bei der selektiven Quantifizierung der Schädigung von spezifi- MCI [61] und von Störungen der Integrität der weißen Sub- schen Traktverläufen liegt. Vielversprechende erste Ergebnis- stanz bei Demenzen vom Alzheimer-Typ in den Bereichen se wurden in diesem Kontext bei der quantitativen Auswer- Zingulum, Hippokampus und dem temporoparietalen Netz- tung der Pyramidenbahn und des Corpus callosum bei unter- werk abzugrenzen [62–66]. schiedlichen MND [89, 90] berichtet. Bei Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom wur- Bei den oben genannten detektierten Veränderungen der Dif- den Störungen der Integrität der weißen Substanz in Hirn- fusionseigenschaften kann die histopathologische bzw. mikro- arealen außerhalb extrapyramidalmotorischer Strukturen wie skopische Erklärung eine Änderung des Grades der Myelini- dem Genu corporis callosi und dem Fasciculus longitudinalis sierung sowie eine Faserausdünnung selbst sein [91]. Ansätze superior im Frühstadium der Erkrankung berichtet [67], zur Klärung sind die Miteinbeziehung weiterer Parameter, weiters fanden sich ausgedehnte Veränderungen im Bereich wie zum Beispiel der „mittleren Diffusivität“, sowie der „radi- beider Frontallappen [68], im Tractus olfactorius [69] sowie alen“ und „axialen Diffusivität“ [92]. Die Weiterentwicklung im Bereich der Basalganglien [70] und der Substantia nigra dieses methodischen Ansatzes wird zu beobachten sein. [71, 72]. Von besonderem Interesse sind im Bezug auf Parkinson-Syndrome auch die Differenzierung und Abgren- Im Gegensatz zu VBM ist DTI ein Verfahren, welches sowohl zung der In-vivo-Pathoanatomie zu atypischen Verlaufsfor- auf Gruppenebene angewendet werden kann, aber auch eine men. So fanden sich Störungen der weißen Substanz sowohl Individualhirnanalyse erlaubt. Ein Eingang in die klinische 276 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2011; 12 (3)
VBM und DTI Routine-Bildgebung kann zum derzeitigen Stand eine mögli- im Hinblick auf das Krankheitsstadium respektive die Zusam- che Option werden (siehe „Diskussion und Relevanz für die mensetzung der Kontrollen hinsichtlich Kollektivgröße, Alter Praxis“). und Geschlecht, die Auswahl der Analysemethode nach klas- sischem [99] oder optimiertem [100] Protokoll. Dies betrifft So bestehen breite Einsatzmöglichkeiten von DTI bei klini- nicht zuletzt auch das „Post-Processing“ der Bilddaten selbst, schen Fragestellungen, wie beispielsweise der Epilepsie. Zum wie in einer aktuellen Studie am Beispiel der Chorea Hunting- einen erlauben DTI-basierte Applikationen wie das Fiber ton demonstriert [101]. Tracking unter dem Aspekt epilepsiechirurgischer Maßnah- men die Möglichkeit zur Identifikation statistisch wahr- Inhaltlich ist zum einen die Etablierung von MRT-Methoden scheinlicher Fasertraktverläufe, was wiederum die Planung als auch longitudinal einzusetzender Biomarker wesentlich, und Durchführung neurochirurgischer Eingriffe mit dem um deren klinisches Potenzial weiter zu nutzen. Zum anderen Ziel der Schonung potenziell eloquenter Areale der weißen wird zunehmend damit begonnen, Anwendungen für diese Substanz unterstützen kann [93]. Im Weiteren finden sich per se als gruppenbasierte Analysen konzipierten Techniken Arbeiten zu fokalen kortikalen Dysplasien (FCD) als häufige im für den Kliniker naturgemäß vorrangigen Gebiet der indi- Ätiologie fokaler Epilepsien, welche nicht nur in der Identifi- viduellen Anwendung zur Einzelfalldiagnostik anzupassen, kation von FCDs und deren lokaler Ausdehnung, sondern wie für DTI z. B. auf neurochirurgischem Fachgebiet beim auch hinsichtlich einer möglichen Involvierung von Faser- „presurgical mapping“ bereits realisiert [102]: Es sind sowohl verläufen konventionellen bildgebenden Verfahren überlegen Einzelfallauswertungen bei neurodegenerativen Erkrankun- waren [94, 95]. Hierdurch können schließlich auch differen- gen prinzipiell möglich [103] als auch die ergänzende Weiter- zialtherapeutische Überlegungen hinsichtlich der Fragestel- entwicklung zu automatisierter MRT-Diagnostik auf Einzel- lung, inwiefern spezifische funktionelle Netzwerke durch fallebene, wie für verschiedene Erkrankungen bereits gezeigt eine FCD beeinflusst werden, angestellt werden [96]. Eine [104, 105]. Hierbei können die Gruppenanalysen also, über Vielzahl weiterer DTI-Anwendungen besteht mit klinischer althergebrachtes neuroanatomisches Wissen deutlich hinaus- Zielsetzung im Bereich neuropädiatrischer Fragestellungen, gehend, Areale definieren, die für die regionenbasierte und geht aber über das Spektrum dieser Übersicht hinaus [97]. quantitativ fassbare automatisierte Individualdiagnostik als Zielstrukturen dienen, sodass diese unterschiedlichen metho- Diskussion und Relevanz für die Praxis dischen Ansätze der automatisierten MRT-Bewertung einan- der ergänzen und so den Einzug in klinische MRT-Auswer- Aufgeführt wurden (pars pro toto) die mannigfaltigen Mög- tungsalgorithmen ebnen. lichkeiten der computerbasierten Magnetresonanztomogra- phie (MRT) in der klinischen Neurologie. Insbesondere die Interessenkonflikt voxelbasierte Morphometrie (VBM), welche es ermöglicht, strukturelle Unterschiede im Gehirn verursacht z. B. durch Die Autoren verneinen einen Interessenkonflikt. neurodegenerative Erkrankungen zu extrahieren, sowie DTI, welche Störungen in der Gerichtetheit des Diffusionsverhal- tens in der weißen Substanz sowie der Konnektivität von Literatur: imaging in the management of motor neuron diseases. Eur J Neurol 2010; 17: 526–33. Gehirnregionen aufzeigt. Über die am weitesten verbreitete 1. Brett M, Johnsrude IS, Owen AM. The 11. Basser PJ, Mattiello J, LeBihan D. Esti- Praxis der Analyse der fraktionalen Anisotropie (FA) als defi- problem of functional localization in the hu- mation of the effective self-diffusion tensor man brain. Nat Rev Neurosci 2002; 3: 243–9. niertem Marker der Gerichtetheit in einem Voxel hinausge- from the NMR spin echo. J Magn Reson B 2. Ashburner J. Computational anatomy with 1994; 103: 247–54. hend können zusätzliche Informationen über die Diffusions- the SPM software. Magn Reson Imaging 12. Yamada K, Kizu O, Ito H, et al. Tractogra- eigenschaften von Gewebe durch Berechnung der mittleren 2009; 27: 1163–74. phy for arteriovenous malformations near the Diffusivität (MD) und der radialen bzw. axialen Diffusivität 3. Ashburner J, Friston K. Multimodal image sensorimotor cortices. AJNR Am J Neuro- coregistration and partitioning – a unified radiol 2005; 26: 598–602. [92] erhoben werden. Das Potenzial dieser Zusatzinforma- framework. Neuroimage 1997; 6: 209–17. 13. Lee SK, Kim DI, Kim J, et al. Diffusion- tionen, z. B. hinsichtlich einer erhöhten MD in frühen Stadien 4. Ashburner J, Friston KJ. Nonlinear spatial tensor MR imaging and fiber tractography: a normalization using basis functions. Hum Brain new method of describing aberrant fiber con- einer Gewebeaffektion, ist jedoch methodisch bedingt noch Mapp 1999; 7: 254–66. nections in developmental CNS anomalies. nicht abschließend beurteilbar, weshalb hier nicht weiter dar- 5. Ashburner J, Friston KJ. 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