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Mai 2021 | www.bj.admin.ch Tätigkeitsbericht 2020 Internationale Rechtshilfe Direk tionsbereich Internationale Recht shilfe
Tätigkeitsbericht 2020 Impressum Herausgeber: Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bern 2021 Redaktion: Bundesamt für Justiz BJ Übersetzungen: Sprachdienste EJPD und BK Fotos: Keystone, Getty Images, Kantonspolizei Waadt, Eurojust, BJ, R. de Stoutz Mai 2021 2
Internationale Rechtshilfe Inhaltsverzeichnis Editorial5 1 Der Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe 6 1.1 Der Direktionsbereich 6 1.2 Die Fachbereiche und ihre Aufgaben 7 1.3 Personelle Änderung im Verbindungsbüro der Schweiz bei Eurojust: neuer Verbindungsstaatsanwalt seit Anfang 2021 8 2 Kooperation in den Zeiten von Covid-19 9 3 Ausgesuchte Fälle 13 4 Follow-up – neuste Entwicklungen in Sachen … 19 4.1 Teilung eingezogener Vermögenswerte / Asset Sharing: Belohnung für eine erfolgreiche Kooperation 19 4.2 Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, den Ad-hoc-Strafgerichten und deren Nachfolgegericht: eine Bestandesaufnahme 22 4.3 Ukraine – Fallkomplex Yanukovich: Abschluss der hängigen Rechtshilfeverfahren 23 5 Neue Rechtsgrundlagen für die Zusammenarbeit 24 5.1 Der revidierte Artikel 1 IRSG: Ausdehnung der Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen 24 5.2 Die neuen Artikel 80d bis und 80d ter IRSG – dynamische Rechtshilfe und JIT: was die IRSG-Revision Neues bringt 25 6 Elektronische Hilfsmittel auf der IRH-Website im Überblick 26 7 Ausgewählte Entscheide der schweizerischen Gerichte auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen 27 7.1 Auslieferung und Überstellung 27 7.2 Akzessorische Rechtshilfe 27 8 Wichtige statistische Angaben über die internationale Rechtshilfe 2016 – 2020 29 3
Internationale Rechtshilfe Editorial Die Corona-Pandemie hat Mit gutem Willen, Flexibilität und nicht selten einem Schuss Krea- 2020 in unserem täglichen tivität gelang es, so manches Hindernis auszuräumen, das der Leben keinen Stein auf dem Zusammenarbeit entgegenstand. Möglich war dies nicht zuletzt anderen gelassen. Im Kampf dank der bestehenden, über Jahre hinweg aufgebauten und gegen das Virus, das sich ra- sorgsam gepflegten Vertrauensverhältnisse zu in- und ausländi- sant über den ganzen Erdball schen Partnerbehörden, die sich gerade auch in Krisenzeiten als ausbreitete, wurde die bislang besonders wichtig erweisen. Auf diese Weise konnte BJ IRH im beinahe unbeschränkte und Zusammenwirken mit seinen Partnern auch unter den besonders seit Langem als selbstver- herausfordernden Umständen, die das Jahr 2020 bot, seinen Auf- ständlich erachtete Bewe- gaben nachkommen. Der neuste Tätigkeitsbericht veranschau- gungsfreiheit fast von einem licht einige Probleme, die sich stellten und Lösungen, die dafür Tag zum anderen stark ein gefunden werden konnten. Darüber hinaus enthält er wiederum geschränkt. Landesgrenzen eine kleine Auswahl von Fällen und Geschäften, die BJ IRH in wurden geschlossen, Flugverbindungen gekappt. Auch im Lan- jüngster Zeit beschäftigt haben und 2020 zu einem erfolgreichen desinnern erschwerten Abstandsregeln physische Kontakte. Ein- Abschluss gebracht werden konnten. gespielte Mechanismen und Gewohnheiten sowie bewährte Abläufe wurden dadurch auf den Prüfstand gestellt und mussten Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre! im Lichte der Pandemie überdacht und neuen Gegebenheiten angepasst werden. Auch auf die internationale Zusammenarbeit und damit die Ar- beit von BJ IRH hatte die Pandemie erhebliche Auswirkungen. Alle Tätigkeitsbereiche unseres Direktionsbereichs waren davon be- troffen. Einen grossen Einfluss hatte die Pandemie naturgemäss dort, wo es darum geht, Personen physisch über Landesgrenzen hinweg von einem Staat in einen anderen zu befördern, also auf Laurence Fontana Jungo den Vollzug von Auslieferungen und Überstellungen verurteilter Vizedirektorin BJ, Chefin Direktionsbereich IRH Personen. Daneben tangierten die pandemiebedingten Ein- schränkungen aber auch die operative Zusammenarbeit im Be- reich der akzessorischen Rechtshilfe. Die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Staaten im Rahmen internationaler und nationaler Konferenzen und Treffen und die Aushandlung von Staatsverträgen blieben ebenfalls nicht unberührt. 5
Tätigkeitsbericht 2020 1 Der Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe 1.1 Der Direktionsbereich – Schweizerische Zentralbehörde für die internationale Rechts- hilfe in Strafsachen – vier Fachbereiche und das Verbindungsbüro der Schweiz bei Eurojust – 47 ständige Mitarbeitende, davon 33 Frauen und 14 Männer aus allen Landesteilen, insgesamt 3960 Stellenprozente Organigramm Direktionsbereich Internationale Rechtshilfe Laurence Fontana Jungo Stv. Raphaël Mauro Verbindungsbüro der Schweiz bei Eurojust Sébastien Fetter (seit Anfang 2021) Stv. Silvia Hänzi Auslieferung Rechtshilfe I Rechtshilfe II Internationale Verträge Erwin Jenni Pascal Gossin Raphaël Mauro Christian Sager Stv. Michel Vogelsang Stv. Julia Volken Stv. Matjaz Vlahovic Stv. Silvana Schnider Hauptsächliche Aufgaben im Überblick – Sicherstellen einer rasch funktionierenden internationalen – Wahrnehmen einer Aufsichtsfunktion betreffend den Vollzug Rechtshilfe in Strafsachen. von Rechtshilfeersuchen. – Stellen und Entgegennehmen von Ersuchen, soweit kein – Weiterentwickeln der Rechtsgrundlagen im Bereich der inter- Direktverkehr möglich ist. nationalen Rechtshilfe in Strafsachen. – Fällen bestimmter Entscheide im Rahmen von Auslieferungen, – Wahrnehmen verschiedener operativer Aufgaben auch im Be- Rechtshilfeersuchen, stellvertretender Strafverfolgung und reich der Rechtshilfe in Zivil- sowie in Verwaltungssachen. Strafvollstreckung sowie Überstellungen. 6
Internationale Rechtshilfe 1.2 Die Fachbereiche und ihre Aufgaben Rechtshilfe II: Beweiserhebung und Zustellungen – Weiterleitung schweizerischer Rechtshilfeersuchen an das Aus- Auslieferung land und nach Vorprüfung Delegation ausländischer Rechts- – Auslieferung: Entscheid über Fahndungsersuchen. Anordnung hilfeersuchen im Zusammenhang mit der Beweiserhebung und der Festnahme vom Ausland gesuchter Personen im Hinblick Zustellung an die zuständigen kantonalen oder eidgenössi- auf ihre Auslieferung. Erstinstanzlicher Auslieferungsentscheid. schen Vollzugsbehörden, sofern kein Direktverkehr zwischen Beschwerderecht gegen allfälligen Entscheid des Bundesstraf- den betroffenen Behörden möglich ist. Aufsicht über den Voll- gerichts. Veranlassung des Vollzugs der Auslieferung. Auf An- zug der Ersuchen inkl. Beschwerderecht gegen den Entscheid trag schweizerischer Staatsanwaltschaften oder Strafvollzugs- der Rechtshilfebehörden und des Bundesstrafgerichts. behörden Stellen von Fahndungsersuchen und formellen – In dringenden Fällen Anordnung vorsorglicher Massnahmen, Auslieferungsersuchen an das Ausland. z. B. Kontensperren. – Grenzüberschreitende stellvertretende Strafverfolgung: Be- – Zentralstellen USA und Italien: selbstständige Führung von handlung in- und ausländischer Strafübernahmebegehren in Rechtshilfeverfahren inkl. Beschlagnahme und Herausgabe von Fällen, in denen eine Auslieferung nicht in Frage kommt oder Vermögenswerten (im Fall der USA generell, im Fall von Italien nicht angezeigt ist. Prüfung der Voraussetzungen und Ent- in komplexen oder besonders wichtigen Straffällen, welche die scheid über die Stellung von Ersuchen ans Ausland. Entgegen- organisierte Kriminalität, Korruption oder andere schwere nahme, Prüfung und Weiterleitung ausländischer Ersuchen an Straftaten betreffen). die zuständige schweizerische Strafverfolgungsbehörde sowie – Entscheid über die Weiterverwendung von Beweismitteln allenfalls Entscheid über die Annahme des ausländischen Er (Spezialität). suchens nach Rücksprache mit der schweizerischen Strafver- – Zustimmung zur Weiterleitung von amtshilfeweise über folgungsbehörde. mittelten Erkenntnissen an eine ausländische Strafverfolgungs- – Grenzüberschreitende stellvertretende Strafvollstreckung: Ent- behörde. gegennahme und Stellung von Ersuchen. – Weiterleitung von Anzeigen zum Zweck der Strafverfolgung an – Überstellung von verurteilten Personen an ihren Heimatstaat das Ausland. zur Verbüssung der Reststrafe: Entscheid in Zusammenarbeit – Bearbeitung von Rechtshilfeersuchen, die Kulturgüter zum mit den zuständigen kantonalen Behörden. Gegenstand haben. – Überstellung von Personen, die von einem internationalen – Bearbeitung und Übermittlung von Zustellungsersuchen in Straftribunal gesucht werden, oder von Zeugen in Haft. Strafsachen. – Sicherstellung eines Pikettdienstes (7 / 24) für die operationellen – Behandlung von Rechtshilfeersuchen um Beweiserhebung und Fachbereiche in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Poli- Zustellungen in Zivil- und Verwaltungssachen. zei fedpol (SIRENE / EZ). Internationale Verträge Rechtshilfe I: Beschlagnahme und Herausgabe von – Aushandlung bilateraler Verträge und anderer Instrumente der Vermögenswerten Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafrechtshilfe (Auslie- – Rechtshilfeverfahren im Fall politisch exponierter Personen ferung, akzessorische Rechtshilfe, Überstellung) sowie Teil- (PEP): z. T. selbstständiges Führen der entsprechenden inländi- nahme an Verhandlungen über multilaterale Übereinkommen schen Verfahren. in diesem Bereich. Betreuung dieser Geschäfte im politischen – Weiterleitung schweizerischer Rechtshilfeersuchen an das Aus- Prozess. land und nach Vorprüfung Delegation ausländischer Rechts- – Ausarbeitung und Betreuung von Gesetzgebungsprojekten im hilfeersuchen im Zusammenhang mit der Beschlagnahme und Bereich der Strafrechtshilfe. Herausgabe von Vermögenswerten (Asset Recovery) an die zu- – Mitwirkung im Rahmen von anderen Rechtsetzungsinstrumen- ständigen kantonalen oder eidgenössischen Vollzugsbehör- ten und Gesetzgebungsprojekten mit einem Bezug zur Rechts- den, sofern kein Direktverkehr zwischen den betroffenen Be- hilfe in Strafsachen. hörden möglich ist. Aufsicht über den Vollzug der Ersuchen – Unterstützung der Direktionsbereichsleitung bei der Erarbei- inkl. Beschwerderecht gegen den Entscheid der Rechtshilfe- tung von Strategien im Bereich der Politik und Rechtsetzung in behörden und des Bundesstrafgerichts. sämtlichen Aufgabenbereichen von BJ IRH. – In dringenden Fällen Anordnung vorsorglicher Massnahmen, – Vertretung des Direktionsbereichs in den auf dem Gebiet der z. B. Kontensperren. Strafrechtshilfe tätigen Steuerungsgremien namentlich des – Entscheid über die Weiterverwendung von Beweismitteln (Spe- Europarats und der UNO. zialität). – Mitarbeit im Bereich der Beschlagnahme und Herausgabe von Verbindungsbüro der Schweiz bei Eurojust Vermögenswerten in internationalen und nationalen Gremien – Informationsbeschaffung, Koordination und Herstellung von und Arbeitsgruppen. direkten Kontakten im Fall von Anfragen schweizerischer – Verhandlungen mit anderen Staaten oder kantonalen und eid- Strafverfolgungsbehörden oder von Eurojust bei internatio genössischen Behörden über die Teilung eingezogener Vermö- nalen Strafermittlungen. genswerte (Sharing) auf internationaler und nationaler Ebene. – Organisation und Mitarbeit anlässlich operativer Treffen – Rechtshilfe an den Internationalen Strafgerichtshof sowie an (Coordination Meetings) und an strategischen Sitzungen bei andere internationale Straftribunale. Eurojust. – Bearbeitung von Fällen unaufgeforderter Übermittlung von Be- – Information und Beratung von Strafverfolgungs- und Rechts- weismitteln und Informationen an eine ausländische Strafver- hilfevollzugsbehörden der Kantone und des Bundes im folgungsbehörde. Zusammenhang mit den Dienstleistungen und Unterstützungs- 7
Tätigkeitsbericht 2020 möglichkeiten durch Eurojust bzw. das Schweizer Verbindungs büro. – Berichterstattung an die Begleitgruppe Eurojust (Leitung BJ IRH, Vertreter der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz bzw. der kantonalen Staatsanwaltschaften und der Bundes- anwaltschaft). 1.3 Personelle Änderung im Verbindungsbüro der Schweiz bei Eurojust: neuer Verbindungsstaatsan- walt seit Anfang 2021 Anfang 2021 hat Sébastien Fetter als Nachfolger von Tanja Bu- cher seine neue Funktion als Schweizer Verbindungsstaatsanwalt bei Eurojust aufgenommen. Zuvor war Sébastien Fetter als Staats- anwalt bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt tätig, wo er unter anderem auf die Bekämpfung der Computerkriminalität spezialisiert war. 8
Internationale Rechtshilfe 2 Kooperation in den Zeiten von Covid-19 Weltweit verhängte Einreiseverbote, eine teilweise erheblich ein- geschränkte Bewegungsfreiheit und Abstandsregeln, die physi- sche Kontakte erschwerten, haben die Arbeit von BJ IRH im Berichtsjahr in verschiedenster Hinsicht beeinflusst und er- schwert. In besonderem Masse davon betroffen war der Vollzug von Auslieferungen und Überstellungen verurteilter Personen von und in andere Länder. Auch die Zusammenarbeit im Rahmen der akzessorischen Rechtshilfe wurde durch diverse pandemie- bedingte Beschränkungen und Gegebenheiten indessen er- schwert. Ab Ausbruch der Pandemie war zudem die physische Teilnahme beispielsweise an internationalen Konferenzen nicht mehr möglich. Technische Hilfsmittel etwa in Form von Video- konferenzen konnten dabei teilweise helfen, die räumliche Dis- tanz zu überbrücken. Ein Erfahrungsbericht aus verschiedenen Bereichen: allem auf dem Luftweg. Die Auslieferungen auf dem Landweg konnten, abgesehen von ein paar Schwierigkeiten und Verzöge- Auslieferungsvollzüge während der Covid-19-Pandemie rungen mit den von der Pandemie stark betroffenen Ländern Auslieferungen können auf zwei Arten vollzogen werden: auf Italien und Frankreich, noch einigermassen normal vollzogen dem Luftweg oder auf dem Landweg. Auf dem Landweg werden werden. Bei den Auslieferungen auf dem Luftweg sah es jedoch Auslieferungen hauptsächlich mit unseren Nachbarländern voll- ganz anders aus. Reiserestriktionen, geschlossene Grenzen und zogen. Im Fall einer Auslieferung an das Ausland wird die auszu- Quarantäneregelungen sorgten dafür, dass praktisch der ge- liefernde Person dabei von der zuständigen Kantonspolizei an samte reguläre Flugverkehr zum Erliegen kam. Geplante Auslie- einen zuvor mit den ausländischen Behörden vereinbarten ferungen mussten teilweise mehrmals verschoben werden, weil Grenzposten gebracht. Dort wird sie von den ausländischen Flüge kurzfristig gestrichen wurden. Dazu kam vereinzelt, dass Polizeibeamten übernommen und in die vorgesehene Haftanstalt es die für den Vollzug zuständigen Behörden wegen der beson- überführt. Im umgekehrten Fall, bei einer Auslieferung an die deren Umstände ablehnten, eine Eskorte für die Flugbegleitung Schweiz, übernimmt die Kantonspolizei die ausgelieferte Person zu stellen. Davon konnten ein paar wenige Verfolgte profitieren an der Grenze und transportiert sie in der Regel via Jail-Train- und mussten letztlich sogar aus der Auslieferungshaft entlassen Street (eine Arbeitsgemeinschaft der Securitas AG und der SBB) werden. auf Schiene oder Strasse in den jeweils zuständigen Kanton. Gibt es keine direkte Grenze zwischen ersuchendem und ersuch- tem Staat, wird die Auslieferung normalerweise auf dem Luftweg vollzogen. Der ersuchende Staat schickt eine Eskorte, die meist aus zwei bis drei Polizisten besteht, an den vom ersuchten Staat bestimmten Flughafen. Die auszuliefernde Person wird direkt an diesem Flughafen der Eskorte übergeben und mittels Linienflug in den ersuchenden Staat transportiert. In Ausnahmefällen, bei- spielsweise, wenn sich die auszuliefernde Person renitent oder gewalttätig verhält oder wenn es medizinisch angezeigt ist, wird eine Auslieferung mit einem Sonderflug vollzogen. Eine Besonderheit ist die Durchlieferung (Transit) durch einen Drittstaat. Auch diese Form des Vollzugs kann auf dem Land- oder Luftweg erfolgen, und zwar dann, wenn es zwischen er- suchendem und ersuchtem Staat keine direkte Grenze oder keine Direktflüge gibt. Der Drittstaat wird in diesen Fällen um Erteilung einer Transitbewilligung ersucht. Die Pandemie als Zäsur Die Schliessung von Landesgrenzen im Zuge der Covid-19-Pandemie Erstmals im Frühjahr und erneut ab Herbst 2020 erschwerte sich führt auch für die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zu die Organisation des Vollzugs von Auslieferungen erheblich, vor Erschwernissen. Foto: KEYSTONE / Georgios Kefalas 9
Tätigkeitsbericht 2020 Kreative Lösungen waren gefragt In den meisten Fällen haben sich die zuständigen Behörden im Auslieferung auf Umwegen In- und Ausland allerdings flexibel gezeigt, damit der Vollzug er- Im März 2020 bestätigte das Bundesgericht den Entscheid folgen konnte und die dabei geltenden Fristen eingehalten wur- von BJ IRH, einen ecuadorianisch-spanischen Doppelbürger den. Mehrere Auslieferungen wurden mit Sonderflügen durch- mit Wohnsitz in der Schweiz an Ecuador auszuliefern. Er geführt. Um dabei die teilweise beträchtlichen Mehrkosten zu wurde verdächtigt, eine Minderjährige vergewaltigt zu ha- reduzieren, wurde darauf geachtet, nach Möglichkeit mehrere ben. Die Organisation der Übergabe der betroffenen Per- Auszuliefernde mit demselben Flug zu transportieren. Dank guter son an den ersuchenden Staat – die erste Auslieferung der Koordination und Kooperation zwischen den betroffenen Behör- Schweiz an Ecuador überhaupt – wurde durch die Reise- den gelang es, kreative Lösungen für die bestehenden Probleme beschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie und zu finden. durch mehrere unvorhergesehene Ereignisse am Tag des Einsatzes selbst stark erschwert. Die Auslieferung, die schliesslich im August 2020 erfolgreich war, wurde dank der von BJ IRH koordinierten intensiven Zusammenarbeit Drei auf einen Streich – Auslieferungen von und von mehreren Dutzend schweizerischen und ausländischen nach Nordmazedonien Beteiligten mit unterschiedlichstem beruflichen Hinter- 2017 hatte BJ IRH ein Verfahren zur Auslieferung eines grund (Juristen, Diplomaten, Polizisten und Strafvollzugs- nordmazedonischen Staatsangehörigen an seinen Heimat- beamte, Ärzte, usw.) möglich. Das ausserordentliche Enga- staat eingeleitet. Die Auslieferung musste in der Folge auf- gement der Zürcher Flughafenpolizei hat wesentlich zum geschoben werden, bis eine in Genf ausgesprochene Strafe Erfolg beigetragen. vollzogen war. Bei ihrer Entlassung Ende März 2020 wurde die betroffene Person in Auslieferungshaft genommen, da Die Auslieferungsmodalitäten waren von der Schweiz in zu diesem Zeitpunkt infolge der Covid-19-Pandemie keine Zusammenarbeit mit den US-amerikanischen Behörden Flüge zwischen der Schweiz und Nordmazedonien durch- vorgeschlagen worden, damit die ecuadorianische Polizei- geführt wurden. Trotz regelmässiger Beobachtung der Si- Eskorte über die Vereinigten Staaten nach Ecuador zurück- tuation sah sich die nordmazedonische Polizei-Eskorte reisen konnte. ausserstande, in die Schweiz zu kommen, um die betrof- fene Person abzuholen. Im Juli 2020 wurden die Schweizer Behörden ihrerseits ein- geladen, sich nach Skopje zu begeben, um dort zwei von den Kantonen Aargau und Tessin gesuchte Personen zu übernehmen. Es war geplant, dass die Begleitpersonen einen Linienflug mit Rückflug am selben Tag nehmen, ohne das Flugzeug vor Ort verlassen zu müssen. Auf Ersuchen von BJ IRH wurde die in Genf inhaftierte Person nach Zürich überstellt, um sich unter der Aufsicht der Aargauer Polizei-Eskorte nach Nordmazedonien zu be- geben. Diese ungewöhnliche Lösung, die dank der Zusam- menarbeit der zuständigen kantonalen Behörden zustande gekommen war, erlaubte es, am selben Tag und mit einem einzigen Flugzeug insgesamt drei Personen an den jeweils Wenn Flugzeuge nicht mehr fliegen: Annullierte Flüge behindern den anderen Staat zu übergeben. Vollzug von Auslieferungen – Kreativität ist gefragt. Fotomontage: KEYSTONE / imageBROKER / Lilly Bei einem Vollzug aus Portugal wurde der Verfolgte direkt im Flugzeug an die schweizerischen Polizisten übergeben, weil ein Auch wo es nicht wie beim Vollzug von Auslieferungen oder Verlassen des Flugzeuges dazu geführt hätte, dass sich die Es- Überstellungen darum ging, Menschen physisch über Landes- korte in Quarantäne hätte begeben müssen. Und anlässlich der grenzen hinweg zu befördern, beeinflusste die Pandemie die ersten Überstellung einer verurteilen Person aus Peru (siehe S. 16) zwischenstaatliche Zusammenarbeit erheblich. durfte die Eskorte den Flughafen nicht verlassen. Glücklicher- weise gab es auf dem Flughafengelände ein Hotel, in welchem Erfahrungen aus Sicht der akzessorischen Rechtshilfe die Polizisten übernachten konnten. Vor allem während der Phase des Lockdowns im Frühjahr, als die einzelnen Staaten weltweit das öffentliche Leben massiv ein- Als sich die Pandemie-Lage im Frühsommer 2020 vorläufig stabi- schränkten, wirkte sich die Pandemie auch auf die akzessorische lisierte, die Staaten erste Lockerungsmassnahmen ergriffen und Rechtshilfe aus. Die postalische Übermittlung von Zustellungs- nach und nach wieder mehr Flugstrecken (Destinationen) bedient und Rechtshilfeersuchen in gewisse Staaten war zum Teil kompli- wurden, konnten Auslieferungen zunehmend wieder wie üblich ziert oder gar nicht mehr möglich. Auch der Vollzug der Rechts- auf Linienflügen vollzogen werden. Dies, auch wenn es manch- hilfeersuchen, welche Massnahmen wie Einvernahmen oder mal eines Zwischenstopps in einem Drittstaat bedurfte. Hausdurchsuchungen zum Gegenstand hatten, wurde zum Teil 10
Internationale Rechtshilfe verzögert, weil bei solchen Prozesshandlungen die Abstandsre- Wie eingangs erwähnt, entstanden beim Vollzug der schweizeri- geln nicht oder nur schwer eingehalten werden können. Zahl- schen Rechtshilfeersuchen zum Teil zeitliche Verzögerungen, weil reiche Staaten haben BJ IRH in diesem Zusammenhang sehr rasch in vielen Staaten keine Prozesshandlungen wie persönliche Ein- nach Beginn des Lockdowns darüber informiert, dass ihnen vernahmen oder Hausdurchsuchungen mehr durchgeführt wer- Rechtshilfeersuchen nur noch auf dem elektronischen Weg über- den konnten. Der Grund dafür liegt darin, dass in diesen Fällen mittelt werden sollen, nur noch prioritäre Ersuchen behandelt entweder die Abstandsregeln nicht eingehalten werden konnten werden und Rechtshilfemassnahmen, welche eine physische oder die Vertreter der Rechtshilfebehörden zum Teil nur noch im Nähe erfordern, nicht durchgeführt werden können. Homeoffice arbeiteten. Auch diese Probleme liessen sich aber teilweise lösen: In gewissen Staaten, mit welchen eine entspre- Zustellung von Verfahrensurkunden und chende staatsvertragliche Grundlage besteht, konnten z. B. die Gerichtsentscheidungen beantragten Einvernahmen mittels Videokonferenz durchgeführt Im Bereich der Zustellung von Dokumenten ins Ausland stiess BJ werden. Der Vollzug von gewissen Rechtshilfeersuchen, welche IRH während des Lockdowns auf zahlreiche Schwierigkeiten. Für nicht prioritär eingestuft wurden, wurde demgegenüber in ver- eine Zustellung müssen nämlich die entsprechenden Original- schiedenen Staaten vorläufig sistiert. dokumente in Papierform versandt werden. Da die Schweizeri- sche Post während des Lockdowns den Postdienst für eine Viel- Bei der Behandlung der ausländischen Rechtshilfeersuchen durch zahl von Ländern unterbrach, mussten die Zustellungsakten bis BJ IRH entstanden hingegen keine nennenswerten Probleme. Das zur Wiederaufnahme des Postdienstes bei BJ IRH aufgehoben ist auch darauf zurückzuführen, dass BJ IRH in der Phase des werden. Die ersuchenden Schweizer Behörden wurden infor- Lockdowns die Übermittlung der Rechtshilfeersuchen auf dem miert. Zustellungsersuchen, welche über die Schweizer Vertretun- elektronischen Weg akzeptiert und an die schweizerischen gen im Ausland laufen (via diplomatischen Kurier), weil kein Di- Rechtshilfebehörden zum Vollzug delegiert hat. rektverkehr zwischen den betroffenen Behörden möglich ist, konnten demgegenüber in den meisten Fällen übermittelt wer- Beim Vollzug gewisser ausländischer Rechtshilfeersuchen in der den. Allerdings dauerte die Übermittlung der Ersuchen durch die Schweiz, welche Einvernahmen oder Hausdurchsuchungen zum Schweizer Vertretungen an die ausländischen Aussenministerien Gegenstand hatten, entstanden hingegen wie bei den anderen teilweise wesentlich länger als üblich, da der Postverkehr inner- Staaten zeitliche Verzögerungen. Auch hier konnten die Schwie- halb gewisser Länder nicht funktionierte. rigkeiten teilweise dadurch gelöst werden, dass z. B. Einvernah- men per Videokonferenz durchgeführt wurden. Zum Teil wurden Nachdem die Schweizerische Post ihren Postdienst für Sendun- solche Prozesshandlungen auch nur eine Zeit lang – vor allem gen ins Ausland wieder öffnete, konnten die von BJ IRH zurück- während dem Lockdown – zurückgestellt. Einen generellen und behaltenen Ersuchen sowie die neuen Ersuchen wieder an die auch darüber hinaus anhaltenden Verzicht haben die schweizeri- ausländischen Behörden weitergeleitet werden. schen Rechtshilfebehörden im Gegensatz zu anderen Staaten hingegen nicht beschlossen. Auch die Ausführung der Schweizer Zustellungsersuchen hat sich als zeitaufwendiger und manchmal sogar als unmöglich erwie- sen. Bei bestimmten Ersuchen, die beispielsweise eine Zustellung durch die Schweizer Vertretung erforderten, wurde in der Ant- wort als Unterschrift «Covid-19» angegeben, wenn der Brief- träger oder Vertreter eines Postdienstes wie z. B. Fedex den Emp- fänger nicht unterschreiben lassen konnte. Konkret brachte der Briefträger oder Vertreter des Postdienstes in Anwesenheit des Adressaten in derartigen Fällen einen entsprechenden Vermerk an. Damit wurde die Zustellung als erfolgt erachtet. Die ausländischen Ersuchen um Zustellung in der Schweiz waren weniger problematisch, da die Schweizerische Post innerhalb der Schweiz weiterhin normal funktionierte und die Zustellungen da- her ebenfalls relativ normal erfolgen konnten. Die einzige Schwie- rigkeit bestand darin, dass auch hier der Briefträger den Empfän- ger die Empfangsbestätigung nicht unterschreiben lassen konnte. Beweiserhebung Aus den oben genannten Gründen entstanden vor allem während der Phase des Lockdowns auch Schwierigkeiten beim postalischen Versand von schweizerischen Rechtshilfeersuchen um Beweiser- hebung an das Ausland. Oftmals konnte das Problem mit der elektronischen Übermittlung der Ersuchen, welche von diversen Staaten akzeptiert wurde, gelöst werden. Zum Teil konnten die Ersuchen auch per Fedex an das Ausland gesendet werden. In dringenden Fällen haben sich die von einigen Ländern mitgeteil- Abstandsregeln erfordern teilweise spezielle Prozeduren: postalische ten Notfalladressen (E-Mail-Kontakte) als hilfreich erwiesen. Zustellung während der Pandemie. Foto: KEYSTONE / Peter Klaunzer 11
Tätigkeitsbericht 2020 Aufgrund der Abstandsregeln und der geltenden Reisebeschrän- bis anhin wegen des Zeit- und Kostenaufwands nicht teilnehmen kungen musste auch im Bereich der multilateralen Zusammen- konnten. Die aufgrund der virtuellen Durchführung verkürzten arbeit, die üblicherweise in Form von Sitzungen und Konferenzen Sitzungszeiten führen sodann zu mehr Effizienz: Die Sitzungen stattfindet, auf Alternativen zur physischen Präsenz der Beteilig- starten pünktlicher, es werden weniger Pausen gemacht und die ten zurückgegriffen werden. Virtuelle Konferenzen boomten. Delegationen beschränken ihre Statements auf die wesentlichen Aussagen und halten sich mit zu ausführlichen Voten zurück. Aus Virtuelle Konferenzen als Ersatz für die physische Präsenz Sicht des Ressourcenmanagements ist die virtuelle Durchführung Sitzungen und Konferenzen wurden zunächst oft verschoben. eine Lösung, die auch in Zukunft weiterzuverfolgen ist. Bald erkannte man jedoch, dass die Situation länger andauern würde und auf virtuelle Formate ausgewichen werden muss. … aber eben auch gewisse Nachteile Das Ergebnis der virtuellen Teilnahme ist dennoch nicht mit dem- Auf multilateraler Ebene nahm BJ IRH 2020 an zwei Arbeitsgrup- jenigen einer physischen Teilnahme vergleichbar. Der persönliche pentreffen und einer Konferenz des Büros der Vereinten Nationen Kontakt und Austausch mit Mitgliedern anderer Delegationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien so- und somit das für BJ IRH wichtige Networking fallen komplett wie an der Sitzung des Sachverständigenausschusses für die An- weg. Auch erschwert sich – zumindest bei UNODC – die Konsens- wendung der europäischen Übereinkommen über die Zusam- findung, da ein informeller Austausch zwischen gegensätzlichen menarbeit in Strafsachen (PC-OC) in Strassburg virtuell teil. Beide Ansichten ausbleibt. Zudem sind die Staaten bei einem rein vir- Institutionen setzten auf ähnliche, aber nicht auf dieselbe Soft- tuellen Format nicht bereit, einem Ergebnis zuzustimmen, wenn ware: Das von der UNO verwendete System «Interprefy» erlaubt sie aufgrund technischer Schwierigkeiten nicht den ganzen Ver- die Simultanübersetzung in die sechs UNO-Sprachen. Auch bei handlungen folgen konnten. Diese Problematik konnte bei der virtuellen Teilnahme ist – wie bis anhin – eine formelle An- UNODC entschärft werden, indem pro ständiger Vertretung eine meldung der Delegationen notwendig. Während den Sitzungen Person physisch anwesend sein darf, während die restlichen De- ist jeweils nur diejenige Person sicht- und hörbar, die offiziell das legationsmitglieder virtuell teilnehmen (sog. hybrides Format). Wort hat. Möchte man sich selbst zu Wort melden, so kann vir- tuell die Hand erhoben werden, woraufhin einem vom Vorsitz das Neben der multilateralen Zusammenarbeit wurde auch die inter- Wort erteilt wird. Auch die vom Europarat verwendete «Kudo- departementale Zusammenarbeit von BJ IRH virtuell fortgesetzt. Software» ermöglicht eine Simultanübersetzung und funktioniert So nahm BJ IRH etwa im Rahmen der Interdepartementalen ähnlich wie die UNO-Plattform. Über beide Plattformen können Struktur zur Koordination der internationalen Migrationszusam- die Teilnehmenden sowohl Gruppennachrichten als auch private menarbeit (IMZ-Struktur) an mehreren Telefonkonferenzen mit Nachrichten austauschen, was sich in der Praxis als hilfreich er- bis zu 20 Teilnehmenden verschiedener Bundesämter teil. Das weist. virtuelle Format ermöglichte es beispielsweise einem Sprecher der UNO, einen Vortrag über die Menschenrechtssituation von Mi Vorteile … grantinnen und Migranten in Libyen zu halten. Die Konferenz- Das virtuelle Format eröffnet neue Möglichkeiten: Der Wegfall schaltungen sorgten so für einen fruchtbaren Austausch und die der Dienstreise sowie der damit verbundenen Kosten und des notwendigen Kontakte zwischen den verschiedenen beteiligten Zeitaufwandes erlaubt die – teilweise auch nur partielle – Teil- Bereichen und Bundesämtern, während gleichzeitig die Einhal- nahme an einer grösseren Bandbreite von Treffen. Auch ist die tung der Abstandsregeln sichergestellt werden konnte. gezielte Zuschaltung von Expertinnen und Experten möglich, die Zusammenarbeit unter erschwerten Bedingungen: Fazit Mit viel gutem Willen konnten oftmals innovative und auch krea- tive Wege gefunden werden, um die sich stellenden Herausfor- derungen zu bewältigen. Trotz teilweise schwieriger Rahmenbe- dingungen gelang es BJ IRH, in Zusammenarbeit mit seinen Partnern im In- und Ausland seine Aufgaben zu erfüllen. Gewisse pandemiebedingte Lösungen wie die virtuelle Durchführung von Konferenzen können aus Sicht des Ressourcenmanagements auch für die Zukunft Sinn machen, wobei die jeweiligen Vor- und Nachteile im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind. Technische Hilfsmittel ermöglichen die Durchführung von Sitzungen und Konferenzen unter anderem dann, wenn physische Treffen nicht möglich sind: im Bild eine Videokonferenz. Foto: KEYSTONE / Gaëtan Bally 12
Internationale Rechtshilfe 3 Ausgesuchte Fälle Nachfolgend eine kleine Auswahl von Fällen aus verschiedenen Ziel, Bankunterlagen über in der Schweiz geführte Konten zu er- Tätigkeitsbereichen der justiziellen Zusammenarbeit in Straf halten, die bei einem bestimmten kriminellen Vorhaben eine Rolle sachen, die BJ IRH im Berichtsjahr beschäftigt haben. gespielt haben sollen. Gleichzeitig beantragt dieser Staat die Sper- rung der betreffenden Konten, was die Beschlagnahme der auf Der Fall S. oder der steinige Weg bis zur Herausgabe von ihnen befindlichen Vermögenswerte impliziert. Der letzte Schritt Vermögenswerten an Geschädigte besteht in der erwähnten Herausgabe dieser Vermögenswerte, sofern die angeordnete Beschlagnahme nicht zuvor auf ausländi- Die Schweiz verfügt im Unterschied zu vielen anderen Staaten mit sches Ersuchen hin oder durch die schweizerische Behörde auf- Artikel 74a des Rechtshilfegesetzes (IRSG; SR 351.1) über eine gehoben wurde, weil die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt wa- wirksame Rechtsgrundlage, um unrechtmässig erworbene Ver- ren. In der Regel muss der ersuchende Staat dafür ein im Rahmen mögenswerte, die auf Ersuchen ausländischer Staaten beschlag- seines nationalen Strafverfahrens ergangenes rechtskräftiges und nahmt wurden, gestützt auf einen ausländischen Einziehungsent- vollstreckbares Einziehungsurteil vorlegen. Dieses Urteil muss es scheid an den ersuchenden Staat oder die konkret geschädigten ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen den beschlagnahm- Personen herauszugeben (Asset Recovery). Dem geht unter Um- ten Geldern und den von der ausländischen Justiz verfolgten Straf- ständen ein längeres Verfahren voraus. Wie der nachfolgende Fall taten herzustellen. zeigt, können sich einer Herausgabe selbst dann noch Hindernisse in den Weg stellen, wenn der Inhaber des betroffenen Bankkontos Der vorliegende Fall ist ein anschauliches Beispiel für die Schritte, sich der Herausgabe nicht widersetzt. die bei der Herausgabe von Vermögenswerten an einen ausländi- schen ersuchenden Staat durchlaufen werden. Erschwerend kam Die Herausgabe der von den Schweizer Behörden auf Ersuchen hier hinzu, dass das Schweizer Bankinstitut, das die Konten mit eines ausländischen Staates beschlagnahmten Gelder an diesen den herauszugebenden Geldern führte, unter Berufung auf sein Staat ist oftmals der krönende Abschluss eines schweizerischen Pfandrecht Ansprüche auf diese geltend machte. Dies, obwohl der Rechtshilfeverfahrens. In sehr vielen Fällen stellt der ausländische Kontoinhaber der Rückführung der Gelder zugestimmt hatte. Staat ein Rechtshilfeersuchen an die Schweizer Behörden mit dem In diesem Fall hatten die US-Behörden ein Strafverfahren ge- meist mit Zustimmung der Inhaber der verschiedenen Bank- gen einen amerikanischen Finanz-«Star» eingeleitet. Dieser konten und ohne Geltendmachung von Ansprüchen durch die wurde schliesslich zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt, Banken, welche die Gelder aufbewahrten. Die Gelder wurden weil er ein Schneeballsystem aufgebaut und damit Tausende in voller Höhe an das US-Justizministerium überwiesen, ohne von Anlegern getäuscht hatte, die seine Finanzprodukte er- sie im Rahmen eines Sharings zwischen den beiden involvier- worben hatten. Die Schweizer Behörden arbeiteten während ten Staaten aufzuteilen, da Geschädigte des Betrugs vorhan- mehr als zehn Jahren mit ihren US-Kollegen zusammen, da den sind und diese identifiziert werden konnten. Der verblei- viele Konten bei mehreren Schweizer Banken für das Betrugs- bende Betrag (rund 150 Millionen US-Dollar) betrifft Konten, system verwendet worden waren. Die Konten wurden ge- die von verschiedenen Inhabern bei ein und derselben Bank sperrt und die entsprechenden Bankunterlagen von BJ IRH, geführt wurden. Diese Bank widersetzte sich der Herausgabe das im Bereich der Rechtshilfe mit den USA über erweiterte der Gelder unter Berufung auf ihr Pfandrecht, das ihr zustehe. Kompetenzen verfügt, an die ersuchenden US-Behörden wei- BJ IRH verfügte in der Folge die Herausgabe der Vermögens- tergeleitet. werte an die USA, welche nur die besagte Bank beim Bundes- strafgericht anfocht. Im Oktober 2020 wies das Gericht die Unter anderem dank den von der Schweiz erhaltenen Bank- Beschwerden der Bank gegen die von BJ IRH erlassenen unterlagen konnten die US-Behörden ein Einziehungsurteil Verfügungen ab und bestätigte die Verfügungen in allen über die rund 190 Millionen US-Dollar, die sich auf den Punkten (Entscheide des Bundesstrafgerichts RR.2019.165 erwähnten Bankkonten befanden, erlassen. Gestützt auf das und RR.2019.349+RR.2019.350+RR.2019.351 vom 16. Okto- rechtskräftige Urteil ersuchte das US-Justizministerium BJ IRH ber 2020). Es befand, dass die rechtlichen Bedingungen für um die Herausgabe dieses Betrags an die USA. In ihrem Urteil die Herausgabe der Vermögenswerte an die US-Behörden er- schloss die US-Justiz darauf, dass der gesamte Betrag illegalen füllt seien. Den Erwerb von Ansprüchen an den Vermögens- Ursprungs sei. werten in der Schweiz nach Treu und Glauben wie auch das Vorliegen einer Forderung zugunsten der Bank erachtete es Nach Eingang des Rechtshilfeersuchens führte BJ IRH das Ver- demgegenüber als nicht gegeben. Gegen die Urteile wurde fahren zur Herausgabe der Vermögenswerte durch. Etwa 40 keine Beschwerde beim Bundesgericht eingelegt. BJ IRH Millionen US-Dollar konnten an die USA überwiesen werden, konnte die Gelder daher an die US-Behörden überweisen. 13
Tätigkeitsbericht 2020 Betrügerische Familie? auch beim Bundesgericht erfolglos Beschwerde (Urteil des Bun- desgerichts 1C_197/2020, 1C_198/2020, 1C_199/2020 vom Eine lange Vorbereitungszeit mit Herausforderungen für die be- 27. April 2020). Damit wurden die Entscheide von BJ IRH Ende troffenen kantonalen Behörden, in der Folge dann ein relativ April 2020 rechtskräftig. BJ IRH bewilligte die Auslieferung der rascher Verfahrensverlauf und ein voller Erfolg: 2020 konnte die Familie K. folglich just zu der Zeit, als aufgrund der Corona- Schweiz gleich eine ganze Familie nach Polen ausliefern. Dort Pandemie nahezu der gesamte Flugverkehr zum Erliegen gekom- wird sie des Betruges, der Geldwäscherei und weiterer Delikte men war. Doch die polnischen Behörden holten die drei Verfolg- beschuldigt. ten innert der üblichen Frist mittels Sonderflug am Flughafen Zürich ab. Vater, Mutter und Tochter wird vorgeworfen, sich mit weiteren Mitbeschuldigten in ihrem Heimatland zu einer Bande zusam- Auslieferung eines PKK-Mitglieds an Deutschland – mengeschlossen zu haben, um Betrug und Geldwäscherei im der Fall V. grossen Stil zu begehen. Konkret soll die Bande zwischen 2009 und 2013 verschiedenen Unternehmen versprochen haben, So- BJ IRH nimmt seine Verantwortung im Zusammenhang mit der zialversicherungsabgaben im Umfang von 40 % sparen zu kön- Klärung wichtiger Rechtsfragen wahr: Seine Beschwerde an das nen, und zwar auf folgende Weise: Die Unternehmungen der Bundesgericht gegen einen Entscheid der Vorinstanz betreffend Familie K. würden die Mitarbeiter der jeweiligen Gesellschaften beidseitiger Strafbarkeit im Zusammenhang mit der Unterstüt- übernehmen und anschliessend «zurückvermieten» und die Fa- zung einer kriminellen Organisation machte den Weg für die Aus- milie K. die Gehälter, Sozialversicherungsabgaben und Steuern lieferung nach Deutschland frei. bezahlen, während die betroffenen Firmen für diesen Service eine Gebühr entrichten würden, die tiefer wäre als ihre aktuellen Kos- Gestützt auf eine gültige Ausschreibung durch Deutschland im ten. Die Differenz würde von der Europäischen Union bezahlt. Schengener Informationssystem (SIS) wurde V. am 1. November 2019, vor seiner geplanten Abreise in den Irak, am Flughafen Um möglichst viele Opfer zu überzeugen, hätten die Beschuldig- Zürich verhaftet und im Auftrag von BJ IRH in provisorische Aus- ten gemäss den Sachverhaltsangaben im Auslieferungsersuchen lieferungshaft versetzt. Da er sich mit einer vereinfachten Aus- in ganz Polen ein Netz von Agenten geschaffen, die mit profes- lieferung an Deutschland nicht einverstanden erklärte, begann in sionellen Promotions- und Marketingunterlagen die anvisierten der Folge das ordentliche Auslieferungsverfahren zu laufen. Ge- Firmen täuschen sollten. Darüber hinaus habe der Vater und Kopf mäss den deutschen Auslieferungsunterlagen soll V. sich ab Juni der Bande potenzielle Geschäftspartner nach Berlin eingeladen, 2014 als (Voll-)Kader der «Arbeiterpartei Kurdistans» (kurz: PKK) um bei diesen den Eindruck erfolgreicher Geschäftstätigkeit zu mitgliedschaftlich an einer Vereinigung im Ausland beteiligt ha- erwecken. Rund dreihundert Unternehmungen seien auf die ge- ben, deren Zweck oder deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Mord schickt vorgetragene Täuschung hereingefallen und hätten unter oder Totschlag zu begehen. Dabei soll er sich zunächst bis Sep- anderem Sozialversicherungsabgaben in der Höhe von über tember 2014 als Führungsfunktionär des PKK-Jugenddachver- 20 Millionen Franken überwiesen. Die Familie K. habe dieses Geld bands Ciwanen Azad im Raum Stuttgart und – im Anschluss an anschliessend in verschiedenen Tranchen und in verschiedenen Einsätze als PKK-Kader im Ausland – ab August 2015 bis März Währungen ins Ausland, namentlich nach Deutschland, transfe- 2016 als verantwortlicher Leiter des PKK-Gebiets Saarbrü- riert, anstatt die Sozialversicherungsbeiträge korrekterweise an cken / Saarland betätigt haben. den polnischen Staat weiterzuleiten. Den geprellten Gesellschaf- ten, welche die Sozialversicherungsbeiträge weiterhin schulde- BJ IRH subsumierte die V. zur Last gelegten Straftaten unter den ten, sei auf diese Weise ein derart hoher Vermögensschaden ent- Tatbestand der Unterstützung einer kriminellen Organisation standen, dass dieser bei einem Teil der Betriebe gar zur Insolvenz nach Artikel 260ter Ziffer 1 Absatz 2 des schweizerischen Straf- geführt habe. gesetzbuches (StGB; SR 311.0) und verfügte im Januar 2020 die Auslieferung von V. an Deutschland. Dagegen erhob V. Be- Nach Prüfung des polnischen Auslieferungsersuchens erliess BJ schwerde ans Bundesstrafgericht. Er rügte namentlich, dass die IRH einen Auslieferungshaftbefehl gegen die seit wenigen Jahren Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit vorliegend nicht ge- in der Schweiz lebenden Familienmitglieder. Dieser Fall stellte für geben sei. Das Bundesstrafgericht folgte seinen Argumenten. Im die kantonalen Behörden eine gewisse Herausforderung dar. Zum Mai 2020 hob es den Auslieferungsentscheid von BJ IRH auf und einen musste die gleichzeitige Verhaftung der drei Personen ko- verfügte die sofortige Entlassung von V. aus der Auslieferungs- ordiniert werden, zum anderen musste wegen Verdunkelungs- haft. Das Bundesstrafgericht argumentierte, dass die Rekrutie- gefahr auch sichergestellt werden, dass es für die drei Personen rung von Kämpfern zugunsten einer Bürgerkriegspartei im Rah- Plätze in verschiedenen Haftanstalten gab. Dies gestaltete sich men einer militärischen Auseinandersetzung erfolgt sei. Die vor allem bei den beiden Frauen als schwierig, da es für weibliche Teilnahme an einem offenen Bürgerkrieg bzw. der militärische Häftlinge nur wenige Gefängnisplätze gibt. Kampf gegen Unterdrückung und Besatzung durch den IS (in Syrien) könne nicht als Unterstützung einer kriminellen Organisa- Nach der Verhaftung durch die Kantonspolizei Solothurn und der tion angesehen werden. Das V. vorgeworfene Verhalten könne Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel- folglich nicht unter Artikel 260ter StGB subsumiert werden, und Stadt, wo sich die freien Haftplätze befanden, gewährte BJ IRH zwar weder in der Form der Beteiligung an einer kriminellen Or- den drei Personen wie üblich eine Frist zur Stellungnahme und ganisation noch der Unterstützung einer solchen. erliess anschliessend gegen die einzelnen Familienmitglieder Aus- lieferungsentscheide. Gegen diese Entscheide erhob der Anwalt Auf entsprechende Beschwerde von BJ IRH hin ordnete das Bun- der Familie K. zuerst beim Bundesstrafgericht und anschliessend desgericht die Aufrechterhaltung der Auslieferungshaft an. Im 14
Internationale Rechtshilfe Rahmen der Beschwerde an das Bundesgericht in der Sache sel- Law-Staaten üblich – ein umfassendes Beweisdossier beigelegt ber legte BJ IRH in der Folge u. a. dar, dass sich Grundsatzfragen werden müsse. Auch müsse das Ersuchen auf Spanisch übersetzt der beidseitigen Strafbarkeit im Zusammenhang mit dem Vor- und mit einer Apostille beglaubigt werden. liegen einer kriminellen bzw. terroristischen Organisation bzw. deren Unterstützung stellten, welche einer Klärung durch das Im Februar 2020 ersuchte BJ IRH mit den von den costaricani- Bundesgericht bedürften. Das Bundesgericht hob den Entscheid schen Behörden erhaltenen Angaben auf Antrag der Aargauer des Bundesstrafgerichts im Juni 2020 auf (Urteil des Bundesge- Staatsanwaltschaft um Verhaftung des Verfolgten im Hinblick auf richts 1C_228/2020 und 1C_261/2020 vom 12. Juni 2020). Es seine Auslieferung an die Schweiz. Drei Monate später wurde BJ entschied, dass es für die Erfüllung des Tatbestands von Arti- IRH darüber informiert, dass der Verfolgte gestützt auf das kel 260ter Ziffer 1 Absatz 2 StGB generell ausreichend erscheint, schweizerische Verhaftsersuchen sowie wegen migrationsrecht- wenn sich rekrutierte Kämpfer in den Dienst einer kriminellen lichen Delikten (Einreise und Aufenthalt unter falscher Identität) Organisation stellen. Dabei erscheine es als zweitrangig, in wel- verhaftet worden sei. In der Folge stellte BJ IRH ein formelles chem Gebiet diese (zunächst) eingesetzt wurden. Es sei insbeson- Auslieferungsersuchen an das costaricanische Justizministerium. dere zu berücksichtigen, dass sich die kriminelle Organisation die Zurzeit befindet sich der Gesuchte weiterhin in Costa Rica in Haft. Kampferfahrung der betreffenden Personen in einem späteren Das Auslieferungsverfahren gegen ihn ist im Gange. Zeitpunkt auch in anderer Weise zu Nutze machen und den Ein- satzort ändern könnte. BJ IRH habe zudem zu Recht festgehalten, Ein Hanfprodukt zur Deckung der Kosten des Ausliefe- dass es den Rahmen eines Auslieferungsverfahrens sprenge, ge- rungsverfahrens – ein ungewöhnlicher Fall nau zu untersuchen, auf welchem Gebiet und zu welchem Zweck die rekrutierten Kämpfer eingesetzt worden seien. Gemäss IRSG kann das persönliche Eigentum einer verfolgten Person, soweit es nicht ausgeliefert werden muss, dazu verwen- Noch im Juni wurde die Auslieferung formell bewilligt und V. nach det werden, die Kosten für das Auslieferungsverfahren zu de- Deutschland ausgeliefert. cken. Im Berichtsjahr trug sich ein ungewöhnlicher Fall zu: BJ IRH verfügte die Verwertung von 20 Kilogramm des legalen Hanf- Verhaftet in der «Schweiz Mittelamerikas» produkts Cannabidiol CBD, die als persönliches Eigentum einer nach Italien auszuliefernden Person sichergestellt worden waren. Erster «Einlieferungs-Fall» mit Costa Rica: Nach jahrelanger inten- Der Erlös floss in die Bundeskasse. siver Fahndung wurde die gesuchte Person in Costa Rica aufge- spürt, wo sie sich sechs Jahre lang unter falscher Identität auf- gehalten hatte. Dem Auslieferungsersuchen von BJ IRH ging eine enge Zusammenarbeit zwischen betroffenem Kanton, BJ, fedpol und EDA voraus. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau wirft einem mittler- weile 60-jährigen Schweizer vor, 2012 zwei Unternehmungen mit Sitz in der Schweiz betrogen zu haben. Unter dem Vorwand der Kreditbeschaffung solle der Verfolgte von den Firmen Garantie- zahlungen in der Höhe von insgesamt 12 Millionen US-Dollar verlangt haben. Dieses Geld habe er jedoch entgegen den Ver- tragsbestimmungen für eigene Zwecke benutzt. Weil der Beschuldigte 2014 der Schlusseinvernahme fernblieb, erliess die Aargauer Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl und er- suchte BJ IRH, ihn via INTERPOL international zur Fahndung aus- zuschreiben. Umfangreiche Fahndungsbestrebungen – u. a. er- Das geschieht nicht jeden Tag: 20 Kilogramm des Hanfprodukts suchte BJ IRH die USA um Fahndungsunterstützung, und die Cannabidiol, die bei einer nach Italien ausgelieferten Person sicherge- Zielfahndungseinheit der Bundeskriminalpolizei unternahm wäh- stellt wurden, werden verwertet und der Erlös zur Deckung der rend mehrerer Jahre grosse Anstrengungen – führten schliesslich Verfahrenskosten verwendet. Foto: Bundesamt für Justiz dazu, dass die Zielperson in Costa Rica lokalisiert werden konnte. Der Gesuchte lebte dort unter falscher Identität. Im Rahmen des schweizerischen Auslieferungsverfahrens darf Bis zu diesem Zeitpunkt hatte BJ IRH noch keine Erfahrungen mit persönliches Eigentum der betroffenen Person sichergestellt und Auslieferungen aus Costa Rica gesammelt. Da die Schweiz und zur Deckung der anfallenden Verfahrenskosten verwendet wer- der mittelamerikanische Staat zudem nicht durch einen Ausliefe- den. Dazu gehören namentlich die Kosten für die Haft und für rungsvertrag verbunden sind, informierte sich BJ IRH mit Hilfe der den Transport, welche BJ IRH den für den Vollzug zuständigen schweizerischen Botschaft in San José bei den zuständigen costa Kantonen bezahlt. ricanischen Behörden, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Auslieferung des Gesuchten möglich sei. Das costaricanische Justizministerium teilte mit, dass Auslieferungen auch ohne Aus- lieferungsvertrag möglich seien, dass dem formellen Ausliefe- rungsersuchen aber – wie im Auslieferungsverkehr mit Common- 15
Tätigkeitsbericht 2020 Der Kanton, der eine Person im Auftrag von BJ IRH festnimmt, Erste Überstellung eines Schweizers von Peru in die stellt gleichzeitig allfällige Beweismittel und auch sämtliche Ver- Schweiz mögenswerte sicher. Er übermittelt dem BJ ein entsprechendes Verzeichnis. Beweismittel sowie Vermögenswerte, welche na- Auch wenn bereits eine rechtliche Grundlage besteht: Die erste mentlich Deliktsgut darstellen, sind regelmässig auszuliefern. Überstellung eines Schweizers von Peru in die Schweiz zeigt, dass Vermögenswerte, welche nicht an den ersuchenden Staat aus- zwischen dem Stellen des Gesuchs bis zur tatsächlichen Über- zuliefern sind und meistens auch keinerlei Zusammenhang mit stellung viel Zeit vergehen kann. der dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegenden Straftat haben, können hingegen zur Deckung der Kosten des Ausliefe- Im November 2009 wurde der Schweizer Staatsbürger C. in Peru rungsverfahrens verwendet werden. Darunter fallen etwa Bar- verhaftet und in der Folge im Januar 2011 wegen schweren Dro- geld, Geld auf Bankkonten, Schmuck, Uhren oder Fahrzeuge. genhandels zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Gestützt auf Natürlich wird dem Verfolgten das rechtliche Gehör gewährt, den im Mai 2012 in Kraft getretenen Überstellungsvertrag zwi- bevor BJ IRH eine entsprechende Verfügung erlässt. Gleich wie schen der Schweiz und Peru stellte er via Schweizer Vertretung in gegen einen Auslieferungsentscheid kann dagegen Beschwerde Lima ein Gesuch um Überstellung an die Schweiz. erhoben werden. Wird der Entscheid rechtskräftig, werden li- quide Vermögenswerte der Bundeskasse überwiesen. Handelt es Überstellungsgesuche werden in der Schweiz durch das BJ und sich um Wertgegenstände, veranlasst BJ IRH deren Verwertung. die Behörden des örtlich zuständigen Kantons behandelt. Da der Übersteigen die Vermögenswerte bzw. der Erlös die Verfahrens- Verurteilte vor der Verhaftung keinen Wohnsitz in der Schweiz kosten, wird der Restbetrag selbstverständlich dem Verfolgten hatte (er wohnte in der Dominikanischen Republik), waren die gutgeschrieben. Behörden des Kantons Wallis, in dem der Heimatort von C. liegt, zuständig. Einmal initiiert, kam das Überstellungsverfahren zeitweilig zum 20 kg CBD als persönliches Eigentum Stillstand, da es in der Schweiz nur mit Unterstützung des Urteils- Eine von Italien zur Fahndung ausgeschriebene Person ist staats vorangetrieben werden kann. Die peruanischen Behörden anfangs August 2020 im Kanton Waadt im Hinblick auf wollten dies offenbar aber erst dann tun, nachdem C. seine noch ihre Auslieferung verhaftet worden. Es wurde ihr vorge- offenen Zivilforderungen bezahlt hat. worfen, Falschgeld erworben und in Umlauf gesetzt zu haben. In ihrem Auto befanden sich 20 kg Cannabidiol Nach Erhalt aller erforderlichen Unterlagen der peruanischen Be- (CBD), ein legales, nicht psychoaktives Cannabinoid aus hörden lehnte das zuständige Amt für Sanktionen und Begleit- dem weiblichen Hanf. Das CBD wurde sichergestellt. massnahmen des Kantons Wallis die Überstellung von C. im Juli 2018 zunächst ab. Wie sich herausstellte, erfolgte dieser Ent- Nach dem Verzicht auf eine Beschwerde gegen den Aus- scheid insbesondere gestützt auf einen fehlerhaften Bericht einer lieferungsentscheid von BJ IRH wurde die verfolgte Person Sozialarbeiterin des Gefängnisses in Peru, in welchem C. unter- im Oktober 2020 nach Italien ausgeliefert. Im Dispositiv des gebracht war. Auf Initiative von C. und dessen Familie sowie BJ in Rechtskraft erwachsenen Entscheids hatte BJ IRH auch IRH wurde die Entscheidung in der Folge in Wiedererwägung die Sicherstellung und Verwertung der 20 kg CBD zwecks gezogen. Im Oktober 2019 erliess das Kantonsgericht Wallis den Deckung der Auslieferungskosten verfügt, da davon aus- für eine Überstellung notwendigen Exequaturentscheid: Die C. zugehen war, dass diese Ware einen Wert von mehreren auferlegte Strafe kann demnach nun in der Schweiz tel quel wei- Tausend Franken hat. BJ IRH konnte in der Folge eine tervollzogen werden. schweizerische Firma finden, die am Kauf dieser Ware in- teressiert war und ein konkretes Kaufangebot unterbrei- Nachdem auch C. mit den Bedingungen für seine Überstellung tete. Die ausgelieferte Person wurde über das Angebot einverstanden war, stimmte BJ IRH im November 2019 einer sol- informiert und darauf hingewiesen, dass sie ihre Ware chen definitiv zu. Kurz vor der weltweiten Krise durch die COVID- gegen Bezahlung des vom Kaufinteressenten gebotenen 19-Pandemie erhielt die Schweizer Botschaft in Lima auch von Betrags auslösen könne. Diese Möglichkeit hat sie genutzt. Seiten Perus grünes Licht für den Vollzug der Überstellung von C. Nach Eintreffen des vereinbarten Geldbetrags auf dem Aufgrund der Pandemie schien ein Vollzug in der Folge jedoch Konto des BJ konnte Anfang Dezember die Übergabe des nicht durchführbar zu sein. Auf Initiative des EDA sowie dank CBD organisiert werden. Die Verfahrenskosten waren hö- dem ausserordentlichen Engagement der Walliser Behörden her als der Erlös, weshalb der ganze Betrag in die Bundes- konnte C. dann aber schliesslich im Juli 2020 mit einem Sonder- kasse floss. flug in die Schweiz überstellt werden. 16
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