Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
MEDTECH, BIOTECH & PHARMA | 1/2018

         Was kann
         Künstliche
         Intelligenz?
          Wie Akteure im Norden das Potenzial von
          maschinellem Lernen nutzen wollen

           IMPLANTATE DRUCKEN
           Mit dem Fraunhofer IAPT wird Ham-
           burg Spitzenstandort für 3D-Druck
           und additive Fertigungstechnologien

           DEr GenTHERAPEUT
           Kilian Guses Startup GeneQuine
           entwickelt eine Therapie für das
           Gelenkleiden Arthrose

01_LSNM_2018_01_Titel.indd 1                        10.04.2018 13:48:57 Uhr
Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
02                                                                     INHALT

           KNOW-HOW                                           SPECIAL                                            PORTRÄT
           POTENZIAL VON 3D-DRUCK NUTZEN                      WAS KANN KÜNSTLICHE INTELLIGENZ?                   MIT GENTHERAPIE GEGEN ARTHROSE

           SEITE 06                                           SEITE 08                                           SEITE 16

           NEWS                                               SPECIAL                                            PORTRÄT

           NACHRICHTEN AUS WIRTSCHAFT                         MASCHINELLES LERNEN UND KI                         DER NORDEN IM PROFIL
           UND WISSENSCHAFT
                                                              08–Was kann künstliche Intelligenz leisten?        16–Der Gentherapeut
           04–Cluster erwirtschaftet                          Künstliche Intelligenz bietet immer dann           Der Pharmazeut Kilian Guse entwickelt
           4,3 Milliarden Euro                                Potenzial, wenn große Datenmengen bewältigt        mit seinem Startup GeneQuine molekulare
           Das Cluster Life Science Nord hat seinen öko-      werden müssen. Das Special beleuchtet, wie die     Therapien gegen das Gelenkleiden Arthrose.
           nomischen Fußabdruck in der industriellen Ge-      Medizin von KI-Algorithmen profitieren kann
           sundheitswirtschaft für 2016 bestimmen lassen.     und wie Akteure im Norden Einsatzgebiete für       17–Baustart für neues Medizintechnikwerk
                                                              maschinelles Lernen in Pilotprojekten erproben.    Olympus baut am Standort in Hamburg-Jenfeld
           05–Amputierte besser versorgen                                                                        sein Forschungs- und Produktionszentrum aus.
           Das neue Exoprothesennetz.SH will Menschen
           helfen, denen Gliedmaßen amputiert wurden          BUSINESS NORD
           und die fortan auf Prothesen angewiesen sind.                                                         TALENTE
                                                              NACHRICHTEN AUS DEN UNTERNEHMEN
           05–Standorte für Nano-Forschung                                                                       EXZELLENTE LEISTUNGEN
           Das Centrum für Angewandte Nanotechnologie         12–Von der Tumorbiobank zur Krebstherapie          AUS DEM NORDEN
           (CAN) wird Fraunhofer-Einrichtung, das Center      Die Indivumed GmbH will mit einem Darlehen
           for Hybrid Nanostructures (CHyN) auf dem           von 40 Mio. Euro und 20 Mio. Euro von Privatin-    18–Hamburg wird Top-Informatikstandort
           Campus Bahrenfeld ist bezugsfertig.                vestoren ihre Krebsdatenbank ausbauen.             Die Informatikplattform „ahoi.digital“ ist gestar-
                                                                                                                 tet und adressiert auch medizinische Themen.
                                                              13–Patienten digital rekrutieren
           KNOW-HOW                                           Mit einer neuen Finanzierungsrunde will das        18–Herr Gerkmann, woran forschen Sie
                                                              Hamburger Startup Mondosano sein Portal für        gerade?
           KOMPETENZEN AUS DER REGION                         klinische Studien erweitern und langfristig auch   Timo Gerkmann erforscht im Rahmen von „ahoi.
           AUF EINEN BLICK                                    internationale Patienten ansprechen.               digital“ die Sensor-Datenerfassung bei medizini-
                                                                                                                 schen Geräten.
           06–Spitzenzentrum für 3D-Druck ausgebaut           13–Lokale Elastin-Produktion ankurbeln
           Mit dem Fraunhofer IAPT wird Hamburg zum           Die MedDrop GmbH bringt ihre Expertise             19–In neuen Vorstand gewählt
           Spitzenstandort für additive Fertigungstechno-     bei Applikationssystemen in ein neues EU-          Der BVMA hat Ralf Freese von der CTC North
           logien.                                            Verbundprojekt zur Narbenheilung ein.              GmbH zum stellvertretenden Vorsitzenden
                                                                                                                 gewählt.
           07–Virtuelle Operationshelfer für Chirurgen        14–Life Sciences in Kalifornien:
           Das Startup apoQlar entwickelt Daten-Brillen für   Hotspot für digitale Medizin                       19–Neue Präsidentin startet ins Amt
           den OP. Mixed Reality blendet MRT-Bilder des       Die San Francisco Bay Area ist Innovationsma-      Die Humangenetikerin Gabriele Gilessen-Kaes-
           Patienten während des Eingriffs ein.               schine für Biotechnologie und digitale Gesund-     bach ist neue Präsidentin der Universität Lübeck.
                                                              heitstechnologien.

                                                              15–„Achse Kiel – San Francisco“
                                                              Axel Schulz vom Kieler Verein The Bay Areas e.
                                                              V. über das Netzwerken zwischen Förde und der
                                                              Bucht von San Francisco.

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
Editorial                                                                 03

        Digitale Medizin

        Was kann künstliche
        Intelligenz in der                                                                                      Besuchen Sie uns auf Facebook:
        Medizin leisten?                                                                                        www.facebook.com/LifeScienceNord

                                                                                tan und einen „Innovation Hub“ gegründet, in dem eine ganze Band-
                                                                                breite von unterschiedlichen Computerassistenzsystemen für Medi-
                                                                                ziner und Pflegekräfte erarbeitet wird. Philips wiederum arbeitet mit
                                      Dr. Hinrich Habeck,                       der TU Hamburg-Harburg und dem Universitätsklinikum Eppendorf
                                      Geschäftsführer                           zusammen. Und mittendrin agiert das Startup FUSE-AI ebenfalls mit
                                      Life Science Nord Management GmbH         vielversprechenden Ansätzen für die medizinische Diagnostik.
                                                                                   Auch an anderen Stellen dieser Ausgabe des LSN Magazins wird
                                                                                deutlich, wie digital die Medizin bereits geworden ist. Das Startup
                                                                                apoQlar stellt Hightech-Brillen für Chirurgen her, mittels sogenannter
        Liebe Leserinnen und Leser, der Hype um die Künstliche Intelligenz      Mixed Reality werden sie bei Eingriffen mit eingeblendetem Bildma-
        ist groß. Kaum eine Konferenz, kaum ein Technologieartikel kommt        terial aus MRT-Scans unterstützt. Das sind Technologien, wie wir sie
        mehr ohne die Schlagworte „Deep Learning“ oder „Machine Learning“       bisher nur von den Superhelden aus Hollywood kannten. Warum
        aus. Doch was könnten IT-gestützte Algorithmen tatsächlich für die      Kalifornien als Wiege der molekularen Biotechnologie nun auch
        Medizin – und hier vor allem im klinischen Einsatz leisten? Dieser      zum Hotspot und Schrittmacher in der digitalen Medizin geworden
        Frage gehen wir in unserem Special zur Künstlichen Intelligenz nach.    ist und wie Unternehmen aus dem Norden hier Kontakte knüpfen
        Der Norden ist hier gut aufgestellt: Die Fraunhofer-Gesellschaft hat    können, beleuchten wir in unserem Länderspecial. Und wir stellen
        mit dem MEVIS eine auf bildgestützte Verfahren in der Medizin spe-      „ahoi.digital“ vor und erläutern, wie diese hochschulübergreifende
        zialisierte Einrichtung, die Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf     Informatikplattform auch Medizintechnologien erforscht.
        Spitzenniveau betreibt. Aktuell arbeiten die IT-Experten mit der Ham-
        burger Asklepios Klinik zusammen, um Radiologen die Arbeit bei der      Mein Team und ich wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen!
        Diagnostik von Krebsleiden zu erleichtern. Das Universitätsklinikum
        Schleswig-Holstein hat sich mit dem IT-Konzern IBM zusammenge-                                                             Hinrich Habeck

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
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          ÖKONOMISCHER FUSSABDRUCK

          CLUSTER ERWIRTSCHAFTET
          4,3 MILLIARDEN EURO
          Das Cluster Life Science Nord hat erneut seine Wirtschaftskraft ver-
          messen lassen. Besonders erfreulich: 2016 gab es in der industriellen
          Gesundheitswirtschaft in Hamburg und Schleswig-Holstein 1.000 Jobs
          mehr in Forschung und Entwicklung als noch zwei Jahre zuvor.

            Vorderste Reihe v.l.n.r.: Benno Legler, Dr. Hinrich Habeck, Senator Frank Horch,
            Peter Vullinghs, Minister Dr. Bernd Buchholz (ganz rechts)

          Das Cluster Life Science Nord hat sich zum             von 4,3 Mrd. Euro. „Ein Plus von knapp 300      verwies auf eine verbesserte Datenbasis, die
          zweiten Mal aus volkswirtschaftlicher Sicht            Mio. Euro bei der Bruttowertschöpfung und       auch einen bundesweiten Vergleich der Bun-
          den Puls fühlen lassen: Mit der marktöko-              3.300 Beschäftigte mehr in den vergangenen      desländer ermögliche. „Insbesondere der An-
          nomischen Bewertung der „industriellen                 zwei Jahren zeigen, dass sich die Branche in    stieg an Jobs in Forschung und Entwicklung
          Gesundheitswirtschaft“, insbesondere der               Schleswig-Holstein und Hamburg positiv          ist für uns sehr wichtig – denn sie sind das
          Bereiche Produktion und Vertrieb, hatte                entwickelt“, sagte WifOR-Forscher Benno         Scharnier für eine erfolgreiche Zukunft des
          das Cluster wie bereits vor zwei Jahren das            Legler bei der Präsentation. „Vor allem im      Clusters“, sagte Hinrich Habeck, Geschäfts-
          Darmstädter Wirtschaftsforschungsinstitut              Bereich Forschung und Entwicklung sind          führer der Life Science Nord Management
          WifOR beauftragt. Die Kennzahlen, die sich             seit dem Jahr 2014 mehr als 1.000 zusätzliche   GmbH. Die Potenziale, die im hohen Vernet-
          auf amtliche Daten des Statistischen Bundes-           Arbeitsplätze entstanden.“                      zungsgrad mit anderen Branchen im Norden
          amtes sowie der Statistischen Landesämter                                                              schlummern, wolle man noch stärker nutzen.
          stützen, wurden im Januar im Hamburger                 Hoher Grad an Vernetzung                        Sowohl der Hamburger Wirtschaftssenator
          Firmensitz des Technologie-Konzerns Phi-               Zudem besitze das Cluster eine überdurch-       Frank Horch als auch Schleswig-Holsteins
          lips vorgestellt. Die Bühne bereitete dort             schnittlich hohe Ausstrahlungskraft auf die     Wirtschaftsminister Bernd Buchholz be-
          der neue Health Innovation Port (HIP), eine            Gesamtwirtschaft der Region. Je Euro Wert-      grüßten die Cluster-Analyse und machten
          Kreativzone für Gesundheitstech-Startups.              schöpfung im Cluster entstünden weitere         sich für eine Fortführung der Clusterpolitik
          Die Life-Science-Branche im Norden hat                 0,39 Euro in der Gesamtwirtschaft in Ham-       und der länderübergreifenden Zusammenar-
          demnach im betrachteten Jahr 2016 einen                burg und Schleswig-Holstein. „Diese hohen       beit stark.                              pg
          markanten „ökonomischen Fußabdruck“                    indirekten Wertschöpfungseffekte sind In-
          hinterlassen: 49.900 Erwerbstätige im Clus-            diz für die Ausstrahlwirkung des Clusters       Weitere Infos: www.lifesciencenord.de/
          ter erzielten eine Bruttowertschöpfung                 und den hohen Grad an Vernetzung.“ Legler       cluster-kennzahlen

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
NEWS                                                                 05

       EXOPROTHESENNeTZ.SH

       AMPUTIERTE BESSER Versorgen                                                                        MEDTECH-ALLIANZ MAGIA

                                                                                                          Vier Life-Science-Cluster mit Schwerpunkt
       Es sind hierzulande vor allem Menschen mit        soll für Betroffene die Anlaufstelle bei allen   Medizintechnik haben sich seit Januar
       Diabetes, denen Gliedmaßen amputiert wer-         Fragen zu medizinischen Problemen, körperli-     2018 in der europäischen Allianz MAGIA
       den müssen. Nach der Operation beginnt für        chen Beschwerden und prothetischen Lösun-        zusammengetan, um sich gemeinsam für
       sie oft eine Zeit mit erheblichen physischen      gen werden. Damit werde eine neue Qualität       die Kleinen und Mittleren Unternehmen
       und psychischen Herausforderungen. Eine           der Patientenversorgung ermöglicht, betonte      des Sektors einzusetzen und Potenzial für
       enge Betreuung seitens der Klinik existiert oft   der Netzwerk-Koordinator, die Kieler Wirt-       Synergien zu heben. Dem EU-geförder-
       nicht oder ist meist nicht lang genug. Das soll   schaftsförderung KiWi. Life Science Nord ist     ten Verbundprojekt gehören neben Life
       sich mit dem Exoprothesennetz.SH ändern:          als Vernetzungspartner an Bord. Neben dem        Science Nord noch BioPmed (Piemont),
       Ende 2017 haben sich 26 Unternehmen und           auf Exoprothetik ausgerichteten Versor-          das wallonische Cluster BioWin und das
       Institutionen aus Schleswig-Holstein zusam-       gungs- und Innovationsnetzwerk gibt es mit       französische Cluster Lyonbiopole (Region
       mengeschlossen, um Menschen, die sich ei-         dem von der Life Science Nord Management         Auvergne-Rhone-Alpes) an. Gemeinsam
       ner Amputation unterziehen müssen, künftig        GmbH koordinierten Verbund NORTHOPE-             wollen die vier Partner ihre Stärken und
       über den gesamten Behandlungsweg zuver-           DICS ein weiteres Innovationsnetzwerk im         Schwächen ausloten und bis zum Som-
       lässig die bestmögliche Versorgung zu bieten.     Norden – es konzentriert sich auf das Thema      mer die zwei bedeutendsten außereuro-
       Das bundesweit einzigartige Netzwerk wird         Knochenheilung. Andreas Seekamp, Direk-          päischen Absatzmärkte bestimmen, die
       aus Mitteln des Bundeswirtschaftsministe-         tor der Klinik für Orthopädie und Unfallchi-     die Allianz besonders adressieren wird.
       riums unterstützt. Im Exoprothesennetz.SH         rurgie am Universitätsklinikum Schleswig-
       ist die gesamte Prozesskette an Leistungs-        Holstein in Kiel, ist an beiden Netzwerken       Weitere Infos: www.clustercollaborati-
       erbringern vertreten: Orthopädietechnik,          beteiligt: „Die beiden Netzwerke ergänzen        on.eu/escp-profiles/magia
       Softwareentwicklung, additive Fertigung           sich ideal und heben unsere Region als Spit-
       (3D-Druck), Gesundheitsmanagement und             zenstandort für Orthopädie, Traumatologie
       spezialisierte Rehabilitation ebenso wie Fach-    und Orthopädietechnik hervor.“             pg
       kliniken, Forschungseinrichtungen und Pfle-                                                        #Optik

                                                                                                          2,3 Mio
       geeinrichtungen. Das Exoprothesennetz.SH          Weitere Infos: www.kiwi-kiel.de

       CAN & CHYN
                                                                                                          Eur0 gibt es für das Lübecker Verbundpro-
       STANDORTE FÜR NANO-FORSCHUnG                                                                       jekt Neuro-Oct vom Bundesforschungs-
                                                                                                          ministerium. Im Fokus: hochauflösende
                                                                                                          3D-Mikroskope für Neurochirurgen.
       Das Centrum für Angewandte Nanotechno-            Unterdessen hat das Center for Hybrid Na-
       logie (CAN) GmbH forscht fortan unter der         nostructures (kurz CHyN) in einem neu er-
       Flagge der Fraunhofer-Gesellschaft: Zum 1.        richteten Bau auf dem Forschungscampus
       Januar 2018 wurde das CAN in das Fraun-           Bahrenfeld – in direkter Nachbarschaft zum       EVOTEC-SANOFI-PlATTFORM
       hofer-Institut für Angewandte Polymerfor-         DESY – den Betrieb aufgenommen. Genutzt
       schung IAP integriert. Unter der Leitung des      werden die Labor- und Büroflächen von acht       Die Evotec AG und der Pharmakonzern
       Chemikers Horst Weller werden die 23 For-         Arbeitsgruppen des Instituts für Nanostruk-      Sanofi verhandeln exklusiv über den
       schenden ihre Arbeiten am Standort Ham-           tur- und Festkörperphysik (INF) der Univer-      Aufbau einer Open-Innovation-Plattform
       burg fortsetzen. Im Fokus des Fraunhofer-         sität Hamburg. In einem interdisziplinären       zur Erforschung und Entwicklung von
       Zentrums für Angewandte Nanotechnologie           Ansatz beschäftigen sich Forschende aus der      Medikamenten gegen Infektionskrank-
       CAN steht die Herstellung und Charakterisie-      Physik, Chemie, Biologie und Medizin mit         heiten. Das von Evotec geführte Zentrum
       rung einer Vielzahl von Materialien in Form       dem Studium von Nanostrukturen. Ziel ist,        soll im französischen Lyon entstehen.
       von Nanopartikeln und Nanocompositen.             die Eigen­schaften von Festkörpern und von       Sanofi transferiert sein Antiinfektiva-
       „Das Portfolio vom CAN ergänzt das Kom-           Bio-Materia­lien zu ana­lysieren, diese ein-     Forschungsportfolio sowie sein Exper-
       petenzspektrum des Fraunhofer IAP hervor-         ander anzupassen, um daraus schließlich          tenteam an das Hamburger Unterneh-
       ragend um Aktivitäten in den Geschäftsfel-        neue Material­eigenschaften hybrider Nano­       men. Mehr als 150 Wissenschaftler sollen
       dern Optoelektronik und Medizintechnik“,          strukturen für chemische, bio­logische und       künftig für Evotec in diesem Bereich for-
       sagt der Potsdamer Leiter des Fraunhofer          medi­zinische Anwen­dungen zu entwickeln.        schen. Evotec erhält vorab 60 Mio. Euro
       IAP, Alexander Böker. Gegründet wurde die         Für den Neubau inves­tierten Bund und Land       und eine langfristige Finanzierung, um
       CAN GmbH im Jahr 2005 als Public Private          mehr als 61 Mio. Euro.                  pg      das Portfolio weiterzuentwickeln.
       Partnership von der Freien und Hansestadt
       Hamburg, der Universität Hamburg sowie            Weitere Infos:                                   Weitere Infos: www.evotec.com
       Industrieunternehmen.                             www.iap.fraunhofer.de; www.chyn.de

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
06                                                             Know-How

          MaterialForschung

          SPITZENZENTRUM
          für 3D-Druck AUSGEBAUT
          Hamburg wird zum führenden Standort für 3D-Druck: 50 Mio. Euro                                 schichtweisen Aufbau erheblich leichter. „In
          fließen in das Institut für Additive Produktionstechnologien – ehemals                         meinen Augen ist es elementar, dass jedes
                                                                                                         Unternehmen erkennt, welche Chancen
          Laser Zentrum Nord – das seit Anfang des Jahres eigenständig zur                               die 3D-Drucktechnologie ihm bietet – und
          Fraunhofer-Gesellschaft gehört. Ein Fokus ist die Medizintechnik.                              welche Herausforderungen sie birgt“, sagt
                                                                                                         Emmelmann.

          Wo früher aus klobigen Metallteilen ein                                                        Glatte Hüfte aus dem Drucker
          Werkstück gebohrt, gepresst, zerspant oder                                                        Aktuell wird unter anderem an Innovatio-
          geschliffen werden musste, setzt heute                                                                 nen für die Endoprothetik gearbeitet.
          hochmoderne Lasertechnik feinstes                                                                          Zusammen mit der Firma Johnson
          Metallpulver Schicht für Schicht                                                                             & Johnson forscht das IAPT an
          aufeinander. Mit dieser Kompe-                                                                                 neuartigen Titanprodukten
          tenz im 3D-Druck hat sich das                                                                                    für Hüftpfannen. Hinzu
          Laser Zentrum Nord (LZN)                                                                                           kommt ein weiterer Clou:
          in den vergangenen zehn                                                                                             Poröse Gitterstrukturen
          Jahren immer mehr als Ko-                                                                                            auf der Oberfläche der
          operationspartner für die                                                                                             Implantate sollen die
          Industrie etabliert. Mehr                                                                                             Osteointegration, also
          als 100 Mitarbeiter sind                                                                                              das Einheilverhalten, be-
          am Hamburger Standort                                                                                                 schleunigen. „Die Lang-
          in Bergedorf tätig, Indust-                                                                                           zeitstudienergebnisse
          riekonzerne wie Airbus, Por-                                                                                         stehen noch aus. Aber
          sche, Daimler und Johnson &                                                                                         man geht davon aus, dass
          Johnson gehören zu den Kun-                                                                                        die so beschaffenen Im-
          den. Ca. 2.000 3D-Druck-Exper-                                                                                   plantate durch ihre Oberflä-
          ten hat das LZN über seine Akade-                                                                              chenstruktur länger im Körper
          mie in diesem Jahr ausgebildet.                                                                              verbleiben können als die bishe-
             Seit Anfang des Jahres ist das LZN                                                                     rigen, glatten Implantate“, sagt Em-
          nun ganz offiziell Teil der Fraunhofer-Ge-                                                            melmann. Das dürfte nicht nur erhebli-
          sellschaft. Insgesamt 50 Mio. Euro werden                                                      che Kosten sparen, sondern auch die vielfach
          Bund und Land investieren, damit Hamburg       Diese Hüftpfanne wurde mittels 3D-              üblichen Revisionsoperationen vermeiden
          mit seinem ersten eigenständigen Fraunho-      Druck am IAPT gefertigt.                        helfen. „Der endoprothetische Markt hat den
          fer-Institut für Additive Produktionstechno-                                                   3D-Druck bereits akzeptiert und wird sich
          logien (IAPT) die Weltführerschaft im Tech-    fahren hergestellt“, berichtet Emmelmann.       schnell weiterentwickeln“, so Emmelmann.
          nologietransfer weiter ausbauen kann. „Das     Vor allem die geringeren Kosten sind ein        Auch die Druck-Anlagen entwickeln sich
          ist ein Riesenwurf“, betont Institutsleiter    Wettbewerbsvorteil, nicht nur in der Zahn-      rapide weiter: in Kürze gibt es Anlagen mit
          Claus Emmelmann, der seine Einrichtung         medizin. Dreidimensionale, am Computer          zehn Lasern, wodurch sich die Aufbauraten
          als Schnittstelle zwischen Forschung und       modellierte Werkstücke, gefertigt durch 3D-     extrem verkürzen. Das IAPT hat sich in Ham-
          Industrie versteht.                            Laserdruck, bieten etwa der Zulieferindustrie   burg als wichtiger Partner für die Wirtschaft
                                                         erhebliche Einsparungsmöglichkeiten, wenn       etabliert. 10 Mio. Euro Umsatz sind 2018 ange-
          Medizintechnik effizienter produzieren         es um die Produktion von Prototypen oder        peilt. Dabei unterstützen wird auch das neue
          Aus wirtschaftlicher Perspektive ist der 3D-   Werkzeugen geht. „Gegenüber herkömmli-          3D-Druck-Netzwerk, das Mitte Februar mit
          Druck ein Markt mit großem Wachstum-           chen Herstellungsverfahren wird deutlich        mehr als 180 3D-Druck-Experten als Informa-
          spotenzial – sowohl für die Automobil- und     weniger Rohstoff benötigt, da es keinen Ver-    tionsplattform und Kompetenzforum für den
          Luftfahrtindustrie oder den Schienenfahr-      schnitt mehr gibt“, so Emmelmann. Gleich-       3D-Druck in Hamburg gestartet wurde. jmr
          zeug- und Schiffsbau, als auch für die Medi-   zeitig gebe es deutlich weniger Restriktio-
          zintechnik. „Bereits heute werden weltweit     nen bei der geometrischen Formengebung.         Weitere Infos: www.iapt.fraunhofer.de/
          etwa 10% der Zahnkronen im 3D-Druckver-        Und die fertigen Metallteile sind durch den     www.3d-druckhamburg.de

06_LSNM_2018_01_Know-How_3D-Druck_.indd 6                                                                                                    10.04.2018 13:54:59 Uhr
Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
Know-How                                                                     07

       MixeD Reality

       Virtuelle OpERATIONSHelfer
       für ChirurgEN
       Das Startup apoQlar stellt mithilfe seiner Software MRT-Bilder dreidimen-
       sional in einer Mixed-Reality-Brille dar. Die Aufnahmen können Eingriffe
       verbessern, zur Patientenaufklärung dienen oder Assistenzärzte an
       komplexe Organe heranführen.

       Bilder dreidimensional in den Raum pro-        Startups dar und sichern so die weitere Op-       Patient arbeiten. Bisher liegt die Abweichung
       jizieren – das klingt nach Hollywood und       timierung. „Die VSI ist eine intelligente Soft-   bei drei Millimetern, wir wollen aber min-
       Zukunftsmusik. Doch das Hamburger              ware. Sie basiert auf Mixed-Reality-Techno-       destens bis auf einen Millimeter kommen.“
       Startup apoQlar mit Sitz im Health Inno-       logien und nutzt Künstliche Intelligenz (KI)“,    Zudem soll die Software in Zukunft auch
       vation Port (HIP) ermöglicht Chirurgen ge-     sagt Nadja Parfenov, Marketing-Managerin          für die Patientenaufklärung oder zu Ausbil-
       nau das: Mithilfe einer Mixed-Reality-Brille   bei apoQlar. „Im Gegensatz zur Virtual Reali-     dungszwecken eingesetzt werden.
       können Ärzte Patientenaufnahmen aus einer      ty bleibt bei der Mixed Reality die reale Um-
       Magnetresonanztomographie (MRT) oder           gebung vollständig sichtbar.“ Dafür wird den      Kooperation mit Fraunhofer MEVIS
       Computertomographie (CT) während einer         Chirurgen während der OP eine Brille aufge-       Für Mitte 2018 wird eine neue Brille von Mi-
       OP aufrufen und auf den Patienten projizie-    setzt: die HoloLens von Microsoft. Mithilfe       crosoft auf dem Markt erwartet, die einen
       ren, um sich beispielsweise der Lokalisation   von Handgestik lassen sich dann die Soft-         stärkeren Prozessor und einen verbesserten
       eines Tumors zu vergewissern. Dadurch sol-     ware aktivieren und die Scans aufrufen. Die       KI-Chip enthalten soll. Bis dahin will auch
       len OP-Risiken wie eine falsche Schnittfüh-    Ärzte durchsuchen die jeweilige Aufnahme          apoQlar seine VSI-Software aufrüsten. Ne-
       rung minimiert werden.                         nach der gewünschten Stelle und können            ben dem Hamburger Marienkrankenhaus
                                                      per Sprachsteuerung auf den Patienten             kooperieren die Entwickler des Startups seit
       Steuerung per Gestik und Sprache               selbst fixieren. Der Clou: Sogar während der      Kurzem auch mit dem Fraunhofer-Institut
       Möglich wird diese 3D-Darstellung von CT-      OP kann sie auf dem Patienten liegen bleiben      für Bildgestützte Medizin MEVIS. Dabei
       und MRT-Scans durch die Virtual Surgery        oder mittels Fingerzeig beiseite geschoben        sollen durch sogenannte Segmentierung
       Intelligence (VSI) Software, die gemeinsam     werden. Schon jetzt seien die Anwender in         die einzelnen Gewebearten durch KI auto-
       mit Chirurgen wie Oberarzt Hans-Jürgen         der Medizin begeistert, doch laut Parfenov        matisch erkannt und entsprechend farblich
       von Lücken vom Hamburger Marienkran-           gibt es auch noch einige Herausforderungen        markiert werden. „Wir haben zwar mit dem
       kenhaus entwickelt wurde. Diese Ärzte stel-    zu meistern: „Wir müssen noch etwas an der        Kopf-Hals-Bereich angefangen, wollen aber
       len auch das Medical Advisory Board des        Präzision der Überlagerung von Scan und           auf weitere medizinische Anwendungsge-
                                                                                                        biete, wie beispielsweise Biopsien erweitern“,
                                                                                                        berichtet Parfenov. Auch weitere Weichteile
                                                                                                        und Gelenke sollen bald in den Anwendungs-
                                                                                                        katalog aufgenommen werden. „Unser VSI-
                                                                                                        System könnte theoretisch für jede erdenk-
                                                                                                        liche Operation eine Hilfestellung für den
                                                                                                        Chirurgen sein.“ Ein Mitmach-Paket für Ärzte
                                                                                                        ist schon online erhältlich. Das Marienkran-
                                                                                                        kenhaus hat es bereits eingeführt und an der
                                                                                                        University of Calgary wird es derzeit instal-
                                                                                                        liert. In naher Zukunft ist ein Basispaket der
                                                                                                        Software geplant. In etwa sechs Monaten soll
                                                                                                        es entsprechende Module für die einzelnen
                                                                                                        Fachbereiche geben. Geplant ist außerdem
                                                                                                        eine Funktion, die es erlaubt, bestimmte
                                                                                                        Stellen in den Scans farbig zu markieren oder
                                                                                                        etwas einzuzeichnen.                     jmr

                                                                                                        Weitere Infos: https://apoqlar.com/de

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
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          MEDIZIN                                              Sabrina Reimers-Kipping kennt sich aus mit dem menschlichen Ge-
                                                               hirn. Die Biochemikerin war einst in der Hirnforschung tätig – das
                                                               kommt ihr heute beim Hamburger IT-Startup FUSE-AI zugute, wenn

          Was kann                                             sie sich mit künstlichen neuronalen Netzen beschäftigt. Während
                                                               der Mensch dank der Architektur des Gehirns natürlicherweise in

          künstliche
                                                               der Lage ist, eine massive Parallelbearbeitung zu betreiben, müssen
                                                               Informatiker diese Prozesse in einer Computerumgebung künstlich
                                                               erzeugen. Sie wollen Maschinen trainieren, bestimmte Muster oder

          Intelligenz
                                                               Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu lernen.
                                                                  Unter dem Stichwort „Machine Learning“ oder „Deep Learning“
                                                               gibt es heute die verschiedensten Algorithmen, um Gesichter, Sprache,

          Leisten?
                                                               Schriften oder Bilder automatisch zu erkennen und gezielt weiterzu-
                                                               verarbeiten. „Künstliche Intelligenz ist ein faszinierendes Instrument
                                                               mit dem riesigen Potenzial, Prozesse zu verbessern und dem Arzt die
                                                               Diagnosearbeit stark zu erleichtern“, sagt Reimers-Kipping. In zwei
          Mensch und Technik können sich immer besser          Entwicklungsprojekten setzen die Hamburger Methoden der Künst-
          ergänzen. Vor allem bei der Analyse medizini-        lichen Intelligenz (KI) bei bildgebenden Verfahren in der Medizin
                                                               ein: Mit dem Wuppertaler Radiologie-Zentrum Radprax entwickelt
          scher Daten und Bilder sind smarte Rechen-           FUSE-AI ein System zur automatischen Erkennung von Prostata-
          leistungen gefragt. Akteure im Norden wollen         krebs. „In einem ersten Schritt haben wir dem Algorithmus antrai-
          dieses Potenzial für den Patienten gezielt           niert, die Prostata zu markieren“, erläutert Reimers-Kipping.
          ausschöpfen und haben erste Pilotprojekte in            Als nächstes soll das neuronale Netz darauf getrimmt werden,
                                                               krebsverdächtige Bereiche im Prostatagewebe zu erkennen und diese
          der Klinik gestartet.                                zu klassifizieren. Ein Entwicklerteam mit derzeit sechs Mitarbeitern
                                                               füttert die Algorithmen dazu zunächst mit MRT-Bildern, auf denen

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Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
SpeCial                                                                   09

        die Wuppertaler Mediziner als Coaches verdächtige Stellen markiert
        haben. „Diese Daten mit bekannten Diagnosen zeigen wir unseren
        neuronalen Netzen“, so Reimers-Kipping. Ähnlich wie Kinder durch           CCMME 2018: Cognitive
        das Zeigen der immer wieder gleichen Dinge Erkenntnisse hinzuge-
        winnen, kann auch das computergenerierte System lernen, Assozia-
                                                                                   computing in MeDicine and
        tionen herstellen und mit der Analyse beginnen.                            Radiology, 8. Juni, Hamburg
           „Unser künstliches neuronales Netz unterstützt den Arzt bei der
        Diagnose, wir wollen ihn aber nicht ablösen. Die letzte Entscheidung       Informationstechnologien dringen in immer mehr Berei-
        über den Befund trifft immer der Arzt“, betont Reimers-Kipping. In         che der Medizin ein und werden in naher Zukunft zentrale
        einem halben Jahr will FUSE-AI einen Prototypen des Prostatakrebs-         Arbeitsabläufe in der Radiologie betreffen. Große und gut
        erkennungstools fertig haben. Ein zweites Projekt fokussiert eben-         standardisierte Datenmengen entstehen, und Startups und
        falls auf die medizinische Bildgebung und zwar in der Dermatologie.        KI-Forscher versprechen fundamentale Veränderung in der
        In einer Allianz mit den Partnern Jenoptik und dem Universitätskli-        Arbeit der Ärzte durch automatisierte Analysen der trainier-
        nikum Jena wollen die Hamburger ein intelligentes Dermatoskop zur          ten Algorithmen. Was aber wird tatsächlich benötigt und
        Erkennung von Hautkrebs entwickeln.                                        was ist machbar? Auf der Konferenz CCMME 2018 kommen
                                                                                   Experten und Entscheider zusammen, um klinische Ziele,
        Gebündelte KI-Kompetenzen im Norden                                        wissenschaftliche Methoden und wirtschaftliche Expertise
        In der Hansestadt fühlen sich Reimers-Kipping und ihr Team bes-            zu bündeln: in Lösungen, die praktisch helfen.
        tens aufgehoben. Das Thema KI ist im gesamten Cluster Life Science
        Nord präsent. Reimers-Kipping: „Wir sehen uns mit unserer flexi-           Mehr Infos: www.ccmme.org
        blen KI-Plattform als ideale Ergänzung in der hiesigen Wertschöp-
        fungskette. Wir entwickeln kommerzielle Lösungen und betreiben
        gleichzeitig Auftragsforschung.“ Regelmäßigen Austausch pflegt das
        Startup unter anderem mit dem Fraunhofer-Institut für bildgestütz-     klinischen und akademischen Partnern hat sich Fraunhofer MEVIS
        te Medizin (MEVIS) in Bremen. Eingebunden in ein Netzwerk aus          auf die Fahnen geschrieben, praxistaugliche Softwaresysteme für
                                                                               die bildgestützte Früherkennung, Diagnose und Therapie zu entwi-
                                                                               ckeln. „Mit diesem Fokus auf die Medizin haben wir in den vergan-
                                                                               genen Jahren eine hohe Kompetenz aufgebaut, um die spezifische
                                                                               Komplexität medizinischer Daten – vor allem im Klinikumfeld – zu
                                                                               verstehen“, erklärt MEVIS-Experte Markus Wenzel. Gemeinsam mit
                                                                               der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Lübeck und der Uni-
                                                                               versität zu Lübeck wird inzwischen ein gemeinsamer Arbeitskreis
                                                                               zu KI und Deep Learning angeboten. Seit etwa fünf Jahren tüfteln
                                                                               die Fraunhofer-Forscher an sogenannten kognitiven Computerassis-
                                                                               tenten. „Mit dieser KI-Plattform wollen wir Mediziner bei Arbeiten
                                                                               unterstützen, die langwierig, monoton und immer wiederkehrend
                                                                               sind – etwa, wenn es darum geht, die Umrisse eines Organs auf
                                                                               einer CT-Aufnahme präzise zu bestimmen. Außerdem sind die As-
                                                                               sistenten in der Lage, Informationen aus medizinischen Bilddaten
                                                                               herauszudestillieren, die ein Mediziner beim bloßen Blick auf den
                                                                               Bildschirm kaum zu erkennen vermag“, berichtet Wenzel. Bislang
                                                                               werden solche „Deep-Learning“-Algorithmen im Wesentlichen von
                                                                               Informatikern konzipiert und geschrieben. Dann werden die Er-
                                                                               gebnisse für solche Assistenten im Rahmen spezieller Wettbewerbe
                                                                               miteinander verglichen, sogenannter Challenges. Das Prinzip: Zu
                                                                               Beginn erhalten mehrere konkurrierende Programmierer-Teams
                                                                               ein- und denselben medizinischen Datensatz. Auf dessen Grundlage
                                                                               trainieren die Bildverarbeitungsexperten dann ihre Algorithmen. Am
                                                                               Ende hat die Software, die die gestellte Aufgabe anhand eines unab-
                                                                               hängigen Datensatzes am besten zu erledigen weiß, den Wettbewerb
                                                                               gewonnen. Da die Algorithmen auf denselben Datensatz angewen-
                                                                               det werden, sind die Resultate sehr gut vergleichbar. Aber: „Diesen
                                                                               Challenges mangelt es aus Sicht der Kliniker nicht selten an Praxisre-
                                                                               levanz“, sagt Wenzel. Aus diesem Grund binden die Bremer Experten
                                                                               nun die Mediziner in ihren Projekten noch enger als bislang in die
                                                                               Software-Entwicklung ein – so in einem laufenden Pilotprojekt an
                                                                               der Asklepios Klinik Barmbek in Hamburg. Hier geht es unter ande-
                                                                               rem darum, das Volumen der Leber auf einer Computertomographie
                                                                               (CT)- oder Magnetresonanztomographie (MRT)-Aufnahme im Laufe
                                                                               einer Therapie präzise zu vermessen: Wie zum Beispiel verändert
                                                                               sich die Größe eines Organs durch eine wiederholte Bestrahlung?

08-11_LSNM_2018_03_Special.indd 9                                                                                                           10.04.2018 14:07:16 Uhr
Was kann künstliche intelligenz? - Wie Akteure im Norden das Potenzial von maschinellem Lernen nutzen wollen - Life Science Nord
10                                                             SpeCial

                                                                              „Diese Volumenbestimmung ist besonders bei großen oder komple-
                                                                              xen Organen wie der Leber eine zeitaufwendige Prozedur. Ein Arzt
                                                                              bei mir würde mit einem zugelassenen Medizinprodukt gut eine
                                                                              halbe Stunde dafür brauchen“, sagt Roland Brüning, Chefarzt für Ra-
                                                                              diologie und Neuroradiologie an der Asklepios Klinik Barmbek. Ein
                                                                              Computerassistent hingegen könnte das Organ auf der Aufnahme
                                                                              automatisch erkennen und sein Volumen erfassen. Wenzel: „Unse-
                                                                              re KI-Plattform segmentiert die Leber in bis zu 400 Schichten und
                                                                              misst den Umfang in wenigen Sekunden. Nun geht es darum her-
                                                                              auszufinden, ob sie auch verdächtige Stellen erkennen kann.“ Die KI-
                                                                              Plattform der Fraunhofer-Forscher ist so ausgelegt, dass sie auf der
                                                                              Basis eines gemeinsam aufgebauten Bilddatenbestandes erste Versi-
                                                                              onen der Computerassistenten entwickeln. Dann wird das System in
                                                                              der klinischen Umgebung mit den Medizinern getestet. Regelmäßig
                                                                              speisen sie neue Fälle aus ihrer üblichen Routine in die Software ein,
                                                                              begutachten, was der Assistent daraus macht, und korrigieren Ergeb-
                                                                              nisse. „Dadurch sehen die Kliniker jederzeit, auf welchem Lernstand
                                                                              der Computer ist und können regelmäßig Verbesserungshinweise
                                                                              geben“, beschreibt Wenzel die Vorteile dieser Vorgehensweise. „Wir
                                                                              Entwickler können dann gezielt auf ihre Bedürfnisse und etwaige
                                                                              Probleme reagieren.“ Die Folge: Der Computerassistent erfährt ein
                                                                              praxisrelevantes Training und wird nach und nach immer leistungs-
                                                                              fähiger. „In die Entwicklung solcher lernenden Assistenten so direkt
                                                                              eingebunden zu sein, ist nicht nur wissenschaftlich spannend. Es
                                                                              hilft mir auch, Vertrauen in die Fähigkeiten der Software zu gewin-
                                        Dr. Sabrina Reimers-                  nen“, sagt Chefarzt Roland Brüning. Aus seiner Perspektive hat KI vor
                                              Kipping                         allem angesichts des wachsenden Kostendrucks im medizinischen
                                     Head of Medical Adivsory, FUSE-AI
                                                                              Alltag großes Potenzial und aufgrund der großen Datenmengen, die
                                                                              in der Radiologie naturgemäß anfallen, lässt sich hier ein direkter
                                                                              Einsatz in naher Zukunft am schnellsten umsetzen.

                                                                              Herausforderung Versorgungskrankenhaus
                                                                              Um sich mit anderen Experten auszutauschen, haben Wenzel und
                                                                              Brüning die Konferenz „Cognitive Computing in Medicine and Ra-
                                                                              diology“ initiiert, die am 8. Juni in Hamburg stattfindet. „Wir wollen
                                                                              uns hier mit KI- und Radiologie-Experten über den aktuellen Stand
                                                                              der Technik und unsere Erfahrungen austauschen“, erläutern sie ihre
                                                                              Motivation. Radiologen wie Michael Forsting, Professor am Universi-
                                                                              tätsklinikum in Essen, oder Stephan Schönberg, Professor am Univer-
                                     Prof. Dr. Roland Brüning                 sitätsklinikum in Mannheim, werden ebenso erwartet wie Vertreter
                                                 Chefarzt                     von IBM oder Philips (siehe Kasten S. 9). Brüning verspricht sich vor
                                         Asklepios Klinik Barmbek
                                                                              allem im Austausch mit Kollegen aus den forschenden Kliniken eine
                                                                              regen Wissenstransfer. Denn die technischen Voraussetzungen für
                                                                              den Einsatz eines Deep-Learning-Systems an einer privaten Klinik
                                                                              wie in Barmbek zu schaffen, ist eine Herausforderung.
                                                                                 „Zu gewährleisten, dass der Algorithmus innerhalb einer Hoch-
                                                                              sicherheits-IT-Umgebung arbeiten und die Patientendaten sehen
                                                                              darf, ist in einem Versorgungskrankenhaus schwieriger als in einer
                                                                              Uniklinik, an der routinemäßig mit Patientendaten geforscht wird“,
                                                                              weiß auch Wenzel. Aufbauend auf Public-Domain-Ansätzen wurde
                                                                              in den letzten Jahren eine servicebasierte IT-Architektur entwickelt,
                                                                              die über sogenannte Paravirtualisierung ein maschinell lernendes
                                           Christian Elsner                   System innerhalb eines Klinikumfeldes ermöglicht. „Wir verkapseln
                                         Kaufmännische Direktion              dabei Hardware und Software in einzelne Komponenten, die sich
                                                 UKSH                         selbst erkennen und die über einen Memorystick an die Klinik-IT
                                                                              angeschlossen werden. Die Mediziner können dadurch auf jedem Kli-
                                                                              nikrechner über eine spezielle Software auf das System zugreifen“, er-
                                                                              läutert Informatiker Wenzel. Und inzwischen habe man das Interface
                                                                              schon so gestaltet, dass es auch für Ärzte benutzerfreundlich ist. Erste
                                                                              Versionen wurden auf der Konferenz „SPIE Photonics West“ vorge-
                                                                              stellt, die Anfang Februar in San Francisco, USA, stattgefunden hat.

08-11_LSNM_2018_03_Special.indd 10                                                                                                        10.04.2018 14:07:19 Uhr
SpeCial                                                  11

        Symbiose von Maschinen und Menschen in der Klinik
        Dass klinische Daten das neue Gold sind, das es mithilfe künstlicher
        Intelligenz zu bergen gilt – davon ist auch Christian Elsner über-
        zeugt. „Wenn wir uns als Universitätsklinik in diesem Feld nicht ak-
        tiv beteiligen, dann sind wir langfristig verloren“, bringt es der kauf-
        männische Direktor am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
        (UKSH) auf den Punkt. „Wir müssen Maschinen und Menschen
        bestmöglich miteinander vernetzen, damit jeder entsprechend
        seiner Fähigkeit einsetzbar ist.“ Im Klinikalltag stehen dabei Spra-
        cherkennungstools und Bewegungserkennung im Vordergrund,
        aber auch softwaregestützte Medikamentendosierungssysteme.
        Das Ziel ist immer das Gleiche: Der Dokumentationsaufwand in
        der Pflege und bei der Betreuung der Patienten soll so erleichtert
        werden, dass wieder mehr Zeit für den Patienten bleibt. Elsner: „Das                   Bart de Witte
                                                                                          Director Digital Health DACH
        papierlose Krankenhaus hat unsere Ärzte und unser Pflegeperso-                                 IBM
        nal an die Tastatur gefesselt, wir wollen sie davon wieder befreien.“
        Im Jahr 2017 ist das UKSH mit Tempo in das Thema eingestiegen.
        Gemeinsam mit der deutschen Dependance des IT-Konzerns IBM
        testet das UKSH neue Ansätze unter anderem in einem „Kognitiven
        Zimmer“ – eine Spielwiese von Internet of Things-Anwendungen
        im klinischen Umfeld, die das Potenzial vernetzter Geräte für Pati-
        enten und Ärzte in einem Praxisumfeld demonstrieren soll. Begon-
        nen hat die Kooperation zwischen UKSH und IBM beim „Healthcare
        Hackathon“ im Herbst 2017. Inzwischen wurde sie in einem „Inno-
        vation Hub“ institutionalisiert. Gemeinsam soll hier mit Startups
        und Forschungseinrichtungen an neuen kognitiven Technologien
        und Lösungen für das Gesundheitswesen gearbeitet werden. Bart
                                                                                        Dr.-Ing. Markus Wenzel
        de Witte, Director Digital Health DACH bei IBM Deutschland hofft,                      Computer Scientist
        dass sich diese offene, unternehmens- und grenzüberschreitende                         Fraunhofer MEVIS
        Zusammenarbeit als Keimzelle für ein neues Innovations-Ökosys-
        tem in Schleswig-Holstein etabliert.
           Elsner betrachtet solche Aktivitäten als wesentliche Strategie, um
        langfristig als Universitätsklinikum in der ersten Liga mitspielen zu
        können. Unter den sechs Forschungsbereichen, die im Innovation
        Hub in mehreren Teams vorangetrieben werden, gibt es auch ein
        Big-Data-Projekt. Mit einem KI-Tool wird an einem besseren Ver-
        fahren zur Erkennung von Mustern in Daten von Intensivpatien-
        ten gearbeitet, um kritische Zustände in Zukunft noch früher zu
        erkennen. Ein weiterer Meilenstein wird im Mai der offizielle Start
        des Avatars „HospitalGenius“ in der Patientenaufnahme des UKSH
        sein. Elsner: „Damit wollen wir die Eingabe von Standarddaten au-                    Dr. Michael Graß
        tomatisieren.“                                                                 Principal Scientist, Philips Research

        Philips mit neuem KI-Projekt in Hamburg
        Auch Medizinproduktehersteller wie Philips haben längst das Po-
        tenzial Künstlicher Intelligenz erkannt. Von den 1,7 Mrd. Euro, die
        jährlich in die Forschung und Entwicklung des Konzerns fließen,
        entfallen allein 60% auf die Entwicklung von Software und in die
        Datenwissenschaft. Nun ist Philips Konsortialführer eines gemein-
        samen Projekts mit der TU Hamburg-Harburg sowie der Radiologie
        und Kardiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf,
        um maschinelle Lernverfahren für die kardiovaskuläre Bildgebung
        zu entwickeln. „Mithilfe von KI-Algorithmen wollen wir Gefäßver-
        engungen automatisch vermessen und Ablagerungen automatisch
        finden“, erläutert Philips-Wissenschaftler Michael Graß. Gemein-
        sam sollen alle notwendigen Schritte von der Annotation klinischer
        Bilddaten über das Training verschiedener KI-Netzwerkarchitektu-
        ren bis zur Evaluation erforscht werden. Im November hat die Ham-
        burgische Investitions- und Förderbank die Finanzierung vorläufig
        bewilligt. Künstliche Intelligenz – so viel wird deutlich – ist aus der
        Medizin von morgen nicht mehr wegzudenken.                      pg/sw

08-11_LSNM_2018_03_Special.indd 11                                                                                             10.04.2018 14:07:21 Uhr
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          indivumed

          Von der Tumorbiobank
          zur Krebstherapie
          Die Hamburger Firma Indivumed will dank eines Darlehens von 40
          Mio. Euro durch die Europäische Investitionsbank sowie weiteren 20
          Mio. Euro von Privatinvestoren ihre Krebsdatenbank global deutlich
          erweitern und so zur schnelleren Wirkstoffentwicklung beitragen.

                                                                                                                Rund 700.000 Proben von 30.000
                                                                                                                Krebspatienten lagern schon jetzt in
                                                                                                                der Krebsdatenbank der Indivumed.
                                                                                                                Durch die Erweiterung des Kliniknetz-
                                                                                                                werks sollen jährlich Daten von 20.000
                                                                                                                Patienten aufgenommen werden.

          Die Indivumed GmbH hat sich seit der Grün‑     Indivumed inzwischen angewachsen. Dank         Darüber hinaus will der Hamburger nun
          dung im Jahr 2002 vor allem als Forschungs‑    eines 40-Mio.-Euro-Darlehens der European      endlich jenen Schritt gehen, der ihn bereits
          dienstleister für die Krebsmedizin einen Na‑   Investment Bank (EIB) sowie weiteren 20        bei der Gründung der Indivumed vor 16 Jah‑
          men gemacht: Die Hamburger unterhalten         Mio. Euro von privaten lokalen Investoren      ren angetrieben hat: „Ich wollte schon immer
          eine weltweit anerkannte Krebsdaten‑ und       aus dem Hamburger Umfeld will das Unter‑       etwas bewegen und bessere Krebstherapien
          Biobank, in der isolierte Muster von Bio‑      nehmen seine nächsten Expansionsschritte       zu den Patienten bringen. Bisher haben
          molekülen wie RNA, DNA und Proteinen so        vollziehen: Tausende Gewebeproben sollen       aber schlichtweg die Datenmengen und IT-
          aufbewahrt werden, wie sie im menschlichen     nun molekular und phenotypisch charak‑         Lösungen gefehlt. Nun können wir unsere
          Körper existiert haben. „Für diese Biobank     terisiert und über eine portable IT-Lösung     Infrastruktur unmittelbar auch in Pharma‑
          haben wir eigene Standards und Verfahren       zusammen mit den klinischen Daten aus‑         partnerschaften zur Medikamentenentwick‑
          etabliert, sodass wir eine hohe Qualität an    gewertet und Partnern zugänglich gemacht       lung einbringen, an der wir partizipieren wol‑
          Daten sicherstellen können“, betont Indivu‑    werden. Der weitere Ausbau des Kliniknetz‑     len.“ Hierfür sollen in einem ersten Schritt
          med-Gründer Hartmut Juhl.                      werkes in Europa, den USA und Asien soll zu‑   fünf bis zehn gezielte Entwicklungspartner‑
            700.000 Proben aus 30.000 Krebspatien‑       künftig für einen zusätzlichen Datenstrom      schaften mit Pharma- oder Biotech-Firmen
          ten weltweit sind in der Biobank des Un‑       von etwa 20.000 Patienten jährlich sorgen.     gestartet werden. Langfristig will Juhl mit‑
          ternehmens bereits gespeichert. Zahlreiche     „Hierfür wollen wir uns eine smarte und in‑    hilfe der Krebsdatenbank auch Diagnostika
          Pharmafirmen nutzen den Datenschatz            telligente IT-Infrastruktur aufbauen, sodass   entwickeln, die die personalisierte Krebs‑
          schon heute, um ihn nach relevanten Bio‑       wir eine globale Krebsdatenbank besitzen,      medizin von Patienten unterstützen.        sw
          markern für Darm-, Lungen- oder Brustkrebs     die als Ausgangspunkt für die Entwicklung
          zu durchforsten. Auf 180 Mitarbeiter – da‑     individualisierter Krebstherapien dienen       Mehr Infos:
          von die große Mehrheit in Hamburg – ist        kann“, sagt Juhl.                              www.indivumed.de

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        Klinische Studien

        Patienten DIGITAL rekrutieren
        Mit frischem Kapital aus einer neuen             Erkrankungen wie Diabetes, Rheuma, Asth-        über digitale Kanäle angesprochen. „Die di-
        Finanzierungsrunde ist das Hamburger             ma sowie Herz- oder Hauterkrankungen. Mit       gitale Patientenrekrutierung in Deutschland
        Startup Mondosano weiter auf Wachs-              dem frischen Kapital aus der Finanzierungs-     steckt zwar noch in den Kinderschuhen, doch
        tumskurs: Etwa 54.000 Patienten sind             runde im Januar wollen Abraham und Erb in       die Branche wächst. Und viele Teilnehmer für
        über das Onlineportal der Firma bereits          Zukunft ihr Studienangebot erweitern: „Noch     klinische Studien werden über traditionelle
        registriert und können für klinische Stu-        in diesem Jahr werden wir den Bereich Onko-     Rekrutierungswege wie Zeitungsanzeigen
        dien vermittelt werden.                          logie mit in unser Repertoire aufnehmen.“       gar nicht mehr erreicht“, so Abraham.
                                                            Einen einstelligen Millionenbetrag konnte       Unterstützung erhalten die Gründer von
        Im April 2016 von Anna Abraham und Christi-      das Startup für das weitere Wachstum ein-       ihren Geldgebern. 2016 konnte das Team
        an Erb gegründet, hat sich Mondosano inner-      sammeln. Langfristig ist zudem eine Inter-      dank einer Seed-Finanzierung das Online-
        halb von zwei Jahren im deutschsprachigen        nationalisierung des Geschäfts geplant. „Die    portal aufbauen. Anfang 2018 wurde der Ge-
        Markt der digitalen Patientenrekrutierung        großen Pharmaunternehmen wie Pfizer,            sellschafterkreis rund um Hanse Ventures
        bereits erfolgreich etabliert. Die junge Firma   Bayer oder GlaxoSmithKline agieren inter-       und den Berliner Gesundheitsinvestor „Die
        versteht sich dabei als neutrales Bindeglied     national. Deshalb wollen auch wir unseren       Brückenköpfe“ erweitert. Neu an Bord ist
        zwischen Patient und Forschung. „Der Lei-        potenziellen Patientenpool in naher Zukunft     unter anderem Roland Sand, Beiratsvorsit-
        densdruck vieler chronisch kranker Patienten     europaweit ausweiten.“ Aktuell sind nach Fir-   zender der Berliner Biotech-Firma Glycoto-
        und somit der Informationsbedarf zu neuen        menangaben etwa 54.000 Nutzer registriert.      pe, der seine Expertise im Bereich der Krebs-
        Therapien ist enorm“, berichtet Geschäfts-       Aus diesem Pool kann Mondosano in der Regel     erkrankungen beisteuern soll.            jmr
        führerin Abraham. Bisher konzentrierte sich      10 bis 20% der Studienteilnehmer stellen. Die
        das Unternehmen vor allem auf chronische         darüber hinaus benötigten Patienten werden      Weitere Infos: www.mondosano.de

        Narbenheilung

        LOKALE Elastin-Produktion IN der
        Haut ANKURBELN
        Ein neuartiger Wirkstoff soll mit einer          sie im Rahmen der EuroTrans-                                 soll eine nicht-invasive, zielge-
        innovativen Applikationsmethode unter            Bio-Förderinitiative 230.000                                   richtete Abgabe von Elastin
        die Haut gebracht werden, um dort die            Euro vom Bundesminis-                                            mRNA durch die epider-
        Elastinproduktion anzukurbeln. Zusam-            terium für Bildung und                                            male Hautbarriere unter
        men mit Tübinger mRNA-Experten ent-              Forschung (BMBF). Insge-                                           die Haut ermöglichen.“
        wickelt die Hamburger MedDrop GmbH               samt wird das Projekt mit                                          Im Rahmen des dreijäh-
        die neue Narbenbehandlungstherapie.              770.000 Euro gefördert.                                            rigen Förderprojektes soll
                                                            Die Idee: Die von den                                          das therapeutische Pro-
        Für eine gute Narbenbildung und Wieder-          Tübinger Wissenschaftlern                                        dukt (DESCAR) entwickelt
        herstellung der Hautstruktur und -elastizi-      erstmals isolierte genetische                                  und die Funktionalität des
        tät benötigt der Körper Elastin. Allerdings      Information von Elastin, die                                 Ansatzes in präklinischen Tests
        wird dieses Protein nach dem 20. Lebensjahr      mRNA, soll in menschliche Haut-                           abgeklärt werden. Zwar verwendet
        kaum noch vom Körper produziert. Die Fol-        zellen eingebracht werden, um dort die Elas-    MedDrop ähnliche Applikationssysteme
        ge: Die Haut altert, Falten bilden sich und      tin-Produktion wieder anzukurbeln. Hierfür      bereits für Kosmetikprodukte, für DESCAR
        Wunden heilen schlechter.                        soll die Elastin-mRNA von den Wiener Bio-       muss die Technologie allerdings noch auf
          Nun wollen Hamburger Forscher der              tech-Experten in leere Bakterienhüllen, den     die Behandlung von Narben abgestimmt
        MedDrop GmbH gemeinsam mit Wissen-               Bacterial Ghosts (BG), eingesetzt werden. An    werden. Beispielsweise muss die Trägersub-
        schaftlern des Universitätsklinikums Tü-         dieser Stelle kommt dann die Expertise der      stanz noch speziell auf die Bacterial Ghosts
        bingen sowie der österreichischen Biotech-       Hamburger ins Spiel. „Wir wollen unser Ap-      und ihr kostbare Fracht, nämlich die Elastin-
        Firma Bird C die genetische Information von      plikationssystem aus der Kosmetikbranche        mRNA, abgestimmt werden. 	 jmr
        Elastin für die medizinische Behandlung          verwenden“, berichtet Alexa Kreidel, Koordi-
        von Wunden verwenden. Dafür erhalten             natorin des Projektes bei MedDrop. „Dieses      Weitere Infos: www.meddrop.de

13_LSNM_2018_01_Business-North.indd 13                                                                                                        10.04.2018 13:57:26 Uhr
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           Life Sciences in Kalifornien

           HotSPOT Für Digitale Medizin

                                                                                                              Daten & Fakten

                                                                                                              l S chwerpunkte:
                                                                                                                Stammzelltechnologien,
                                                                                                                Biopharmazeutika, Biotechnologie, In-
                                                                                                                vitro-Diagnostik, Digitale Medizin

                                                                                                              lU
                                                                                                                msatz Life Sciences (2015):
                                                                                                                147,7 Mrd. US-Dollar (CLSA-pwc)

                                                                                                              lB
                                                                                                                eschäftigte Life Sciences (2015)
                                                                                                                287.200

                                                                                                              l Z ahl der Unternehmen (2015):
                                                                                                                1.326 Biotech- und Pharma
                                                                                                                1.714 Medizintechnik

                                                                                                              lÖ
                                                                                                                ffentliche Förderer für F&E:
                                                                                                                NIH, CIRM

                                                                                                              lW
                                                                                                                ichtige Netzwerke:
                                                                                                                California Life Science Association
                                                                                                                (CLSA)

                                                                                                              lW
                                                                                                                eitere Infos:
                                                                                                                https://califesciences.org

           Kalifornien ist die Innovationsmaschine in den Life Sciences. Die San                         schäftigte, insgesamt hängen 884.200 Jobs
           Francisco Bay Area ist nicht nur Kraftzentrum der Biotech-Industrie.                          mit der Life-Sciences-Branche zusammen.
                                                                                                         Innerhalb Kaliforniens formt die Bucht von
           Die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley haben Gesundheit und Me-                             San Francisco – die Bay Area – ohne Frage
           dizin als Wachstumsmarkt entdeckt. Das beflügelt das Interesse der                            das bedeutendste Cluster. Zu den Schwerge-
           Wagniskapitalgeber und bietet Chancen für deutsche Unternehmen.                               wichten der hier angesiedelten Biopharma-
                                                                                                         Branche zählen das Roche-Tochterunterneh-
                                                                                                         men Genentech sowie Gilead. Aber auch die
           In den Life Sciences nimmt Kalifornien         Daten aus der Gesundheitsbranche setzt.        Bayer AG hat in der San Francisco Bay ein
           eine unangefochtene Spitzenposition ein,       Gleichzeitig wird diese gigantische Innova-    Innovationszentrum aufgebaut und zählt zu
           in den Vereinigten Staaten wie auch welt-      tionsmaschine durch viel Wagniskapital und     den bedeutenden Arbeitgebern.
           weit. Die Branche profitiert von internatio-   öffentliche Fördermittel angetrieben. Nach        Das geballte Know-how und die wirtschaft-
           nal renommierten Top-Universitäten, einer      dem jüngsten Report der California Life Sci-   liche Stärke in Biotechnologie, Pharma und
           regen Startup-Szene sowie der Präsenz von      ences Association (CLSA) und der Unterneh-     Medizintechnik sowie in Informationstech-
           global erfolgreichen großen Biotechnologie-    mensberatung PwC gab es 2015 insgesamt         nologien im nahe gelegenen IT-Supercluster,
           und Pharma-Unternehmen. Hinzu kommen           3.040 Unternehmen in den Life Sciences in      dem Silicon Valley, bereiten den Boden für
           Medizintechnik-Unternehmen und natür-          Kalifornien, rund 200 mehr als noch ein Jahr   hochdynamische Entwicklungen für die di-
           lich: eine IT-Branche, die immer stärker auf   zuvor. Die Branche zählte 287.000 direkt Be-   gitale Medizin.

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Business Nord                                                              15

        Dieser Markt regt auch die Phantasie der
        Wagniskapital-Investoren an. Allein in der
        Bay Area wurde 2015 1,6 Mrd. US-Dollar an
        Risikokapital in Digitale Medizin investiert,
        so viel wie in keiner anderen Region in Ka-
        lifornien und in den Vereinigten Staaten
        überhaupt. Besonders viel Kapital fließt in
        die sogenannten Wearables, zu denen Fit-
        nessarmbänder und tragbare Biosensorsys-
        teme gehören. Auch die Bereiche Wellness
        und Consumer Health gehören zu den Lieb-
        lingen der VC-Investoren in Kalifornien. Ein
        Paradebeispiel dafür ist Verily, der 2015 ge-
        gründete Life-Sciences-Ableger des Google-
        Mutterkonzerns Alphabet. Das Unterneh-
        men hat sich darauf spezialisiert, Daten mit      Life Sciences in KALifornien
        smarter Elektronik zu erfassen, diese mit
        Genomanalyse-Daten zu verknüpfen und
        zu integrieren. Dabei wird Verily auch im         „ACHSE Kiel–SAN FRANCISCO“
        Rahmen der Precision Medicine Initiative
        unterstützt, die noch US-Präsident Barack         Vor einem Jahr wurde der Verein „The Bay Areas e.V.“ gegründet. Mittlerweile
        Obama angestoßen hatte.                           zählt der Verein mit Sitz in Kiel 130 Mitglieder – Tendenz steigend. Axel Schulz ist
           „In Sachen Digitalisierung sind die            der erste Vorsitzende des Vereins. Dieser wird rein aus Mitgliedsbeiträgen finan-
        USA hinsichtlich Infrastruktur und Kapi-          ziert und bietet eine Anlaufstelle unter anderem für Unternehmer aus Schleswig-
        talmöglichkeiten wesentlich attraktiver als       Holstein, die den Austausch mit Kollegen vor Ort oder in der Bay Area suchen.
        Deutschland“, sagt Jared Sebhatu, der beim
        German Accelerator Life Sciences (GALS)           Was ist das Ziel des Vereins?
        junge Unternehmen aus Deutschland mit             Schulz: Wir sind ein ehrenamtlich geführter Verein und unsere Hauptaufgabe ist es,
        Know-how und Kontakten unterstützt und            Partnerschaften zwischen Menschen, Organisationen und Institutionen in Schleswig-
        berät. Das GALS-Büro sitzt zwar in Cam-           Holstein mit Gleichgesinnten in San Francisco und der Bay Area zu schaffen. Eine Städ-
        bridge an der US-Ostküste, das Netzwerk           tepartnerschaft zwischen Kiel und San Francisco wurde bereits initiiert: Kiel ist die
        strahle aber weit bis nach Kalifornien und        einzige deutsche Partnerstadt von San Francisco, wir haben also eine ganz besondere
        das Silicon Valley aus. „In den USA gibt es       Verbindung. Zudem wollen wir Schleswig-Holstein als Standort international bekannt-
        einen riesigen Markt, und digitale Lösungen       machen.
        sind in der Gesundheitsversorgung etabliert
        und akzeptiert“, so Sebhatu. Auch deutsche        Welche Themen stehen im Fokus?
        Unternehmen seien in diesem Technologie-          Schulz: Wir bedienen ganz unterschiedliche Themen – beispielsweise gibt es sowohl
        Feld schneller in der Lage, einen Marktzu-        in Kiel als auch in San Francisco eine große Segel-Community. Wir haben aber auch
        gang zu erreichen und zu wachsen.                 Experten aus Wirtschaft und Bildung, bis hin zu Wissenschaft und Medizin. Auch die
           Für die Unternehmen aus Schleswig-             Life Sciences bieten sich an, aber unserem jungen Verein fehlen schlicht noch die Mit-
        Holstein will künftig der Verein „The Bay         glieder, die mit ihrem Interesse dieses Thema voranbringen.
        Areas e. V. “ so manche Türen und Tore in
        der Bucht von San Francisco öffnen. Der im        Worauf sollten Unternehmen achten, die in der Bay Area Fuß fassen wollen?
        vergangenen Jahr gegründete Verein mit Sitz       Schulz: Man sollte sich im Klaren sein, dass es dort im Bereich Gesundheit und Medizin
        in Kiel hat offenbar einen Nerv getroffen (sie-   ein ganz anderes System gibt als bei uns. Vor allem im Bereich digitale Medizin gibt
        he Interview rechts). Im Sommer 2018 wird in      es unwahrscheinlich viele Neuerungen, welche sich der Patient dort quasi zu seiner
        San Francisco auf Initiative des Vereins hin      Behandlung hinzukaufen kann. Die Akzeptanz für neue, digital gestützte Therapien
        ein Gemeinschaftsbüro Schleswig-Holstein          ist zudem viel größer. Allgemein sind medizinische Entwicklungen in den USA eher
        eingerichtet. Das Büro wird von der WT.SH         marktgetrieben und der Patient ähnelt mehr einem Kunden. In Deutschland muss hin-
        – Wirtschaftsförderung und Technologie-           gegen der therapeutische Nutzen einer Therapie nachgewiesen werden, bevor sie von
        transfer Schleswig-Holstein im Auftrag der        Krankenkassen übernommen wird.
        Landesregierung aufgebaut. Die Stadt Kiel
        und die Stadt Hamburg beteiligen sich neben       Wie kann der Verein jungen Unternehmen helfen?
        vier Unternehmen ebenfalls an den Kosten.         Schulz: Wir bieten ein Netzwerk aus Ansprechpartnern in den verschiedensten Bran-
        Derzeit ist man bei WT.SH noch damit be-          chen sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Kalifornien und vermitteln diese Kon-
        schäftigt, eine Büroleitung für San Francisco     takte. Wir organisieren auch regelmäßig Reisen nach San Francisco. Die Kosten müs-
        zu finden. „Hier wird jemand sitzen, der be-      sen zwar individuell getragen werden, aber wir organisieren ein straffes Programm mit
        reits über ein exzellentes Netzwerk in der Bay    vielen branchenübergreifenden Meetings. Bei diesen Reisen steht aber auch immer der
        Area verfügt und damit zielgerichtet Kontak-      Netzwerkgedanke innerhalb der Reisegruppe aus Schleswig-Holstein im Fokus.
        te für Unternehmen aus Schleswig-Holstein
        knüpfen kann.“                        jmr/pg     Weitere Infos: www.the-bay-areas.de

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