WEIBLICH. NACHHALTIG. DIGITAL. TOURISMUS IN AFRIKA - Studienergebnisse für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Südafrika, Ägypten und Kenia

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WEIBLICH. NACHHALTIG. DIGITAL. TOURISMUS IN AFRIKA - Studienergebnisse für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Südafrika, Ägypten und Kenia
WEIBLICH.
NACHHALTIG.
DIGITAL.
TOURISMUS
IN AFRIKA
Studienergebnisse für kleine
und mittlere Unternehmen (KMU)
aus Südafrika, Ägypten und Kenia

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                                   Empowering
                                   Entrepreneurship
                                   Initiative
WEIBLICH. NACHHALTIG. DIGITAL. TOURISMUS IN AFRIKA - Studienergebnisse für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Südafrika, Ägypten und Kenia
TOURISM RECOVERY PROGRAMME
UND DIE STUDIE
Um Tourismusunternehmen in der Corona-Krise zu helfen, haben enpact und die
TUI Care Foundation 2020 eine gemeinsame Initiative ins Leben gerufen. Die Initiative
unterstützt durch eine innovative Kombination von Lerninhalten und finanzieller Hilfe
die Direktförderung von Unternehmerinnen und Unternehmern in Entwicklungs-
und Schwellenländern. Mit zwei im Jahr 2020 gestarteten Programmen wurden
330 Unternehmen in Ägypten, Ghana, Indonesien, Jordanien, Kenia und Mexiko bei
der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Krise unterstützt.

Das Tourism Recovery Programme ist das aktuell dritte
Programm der Empowering Entrepreneurship Initiative und
wird von enpact und der TUI Care Foundation in Kooperation       ERKENNTNISSE
mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammen-
                                                                 Geschlechterspezifische Unterschiede       4
arbeit (GIZ) GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ)             Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit          5
durchgeführt. Hierdurch werden zusätzlich 415 kleine und
                                                                 Wirtschaftlicher Stellenwert               7
mittlere Unternehmen (KMU) im Tourismussektor in Ägypten,
Mexiko, Kenia, Südafrika und Tunesien mit einer Kombination      Digitale Vertriebskanäle                   9
aus Mentoring, digitalen Lerninhalten und finanziellen Direkt-
                                                                 Wesentliche Hürden                        10
hilfen unterstützt.
                                                                 Bedeutung des Mentorings                  11
Im Auftrag des Tourism Recovery Programmes hat das Insitut
für nachhaltigen Tourismus unter Führung von Prof. Dr. Harald
Zeiss analysiert, mit welchen Hürden die KMU konfrontiert
sind. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Wie wirken sich die
Rahmenbedingungen in den drei afrikanischen Ländern auf          VOR ORT
die Entwicklung der touristischen KMU aus? Die Studie basiert
                                                                 Kamaroutes
auf Experteninterviews sowie einer Online-Befragung von
                                                                 Unternehmerinnen braucht das Land         12
206 KMU des Tourism Recovery Programme, die zwischen
November 2021 und Februar 2022 durchgeführt wurden. Die          Wild Routes Africa
ausgewählten Unternehmen nehmen am Tourismus Recovery            Mehr Resilienz für Südafrikas Tourismus   14
Programme teil, sind nicht älter als 10 Jahre, weisen soziales
                                                                 Dayra Camp
und ökologisches Innovationspotenzial auf und wurde durch
                                                                 Heimat für weltoffene Reisende            16
die Effekte der Pandemie stark in ihrer Existenz bedroht.
                                                                 Nubien
                                                                 Mit Tourismus eine Jahrtausende
BEDEUTUNG DES TOURISMUS                                          alte Kultur bewahren                      18

Der Tourismus hat in Afrika bis zum Ausbruch der Corona-         The African Thrillist
Pandemie im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren ein         Kenia ungeschminkt                        20
überdurchschnittliches Wachstum verzeichnet. Die pandemie-
                                                                 Hikemaniak
bedingten Folgen sind allerdings erheblich: Etwa 30 Prozent
                                                                 Kenia ist soviel mehr als Safari          22
der vormaligen Arbeitsplätze sind verloren gegangen, und der
Tourismussektor in den Ländern kam zwischenzeitlich fast
vollkommen zum Erliegen.

KMU kommt generell eine besondere Rolle zu: In den Ländern       HANDLUNGS-
des globalen Südens prägen sie den Großteil der touristischen
Wertschöpfungskette, bieten Ausflüge an, betreiben Hotels,       EMPFEHLUNGEN24
Unterkünfte und Restaurants, sind Zulieferer und Dienst-
leistungsunternehmen. Dabei haben sie großes Innovations-
potenzial und einen starken Einfluss auf die touristischen
Zielgebiete.

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HIGHLIGHTS DER STUDIE

FRAUEN SIND BESONDERS

                                                76,8 %
AMBITIONIERT UND MUTIG

                                                                                                     75,2 %
Unter den befragten Frauen wollen 76,8 %
neue Produkte und Dienstleistungen ent-
wickeln, zwölf Prozentpunkte mehr als unter
den befragten Männern. Zugleich wollen sie
Nachhaltigkeit und Innovation in ihren Unter-                            LOKALE GEMEINSCHAFTEN
nehmen deutlich stärker vorantreiben.
                                                                         PROFITIEREN ERHEBLICH
                                                                         Bei drei Viertel der Befragten profitieren
                                                                         die lokalen Gemeinschaften direkt von
                                                                         den touristischen Angeboten.

92,7 %            INTERNATIONALE GÄSTE SIND TREIBER
                  DES NACHHALTIGKEITSGEDANKENS
                  Aus Sicht der Befragten spielt Umweltschutz für 92,7 % der
                  internationalen Gäste eine wichtige oder sehr wichtige Rolle, bei
                  nationalen Gästen liegt der Wert 16 Prozentpunkte niedriger.

                                                                                                                97,6 %
                                                                  KMU IN ÄGYPTEN, KENIA UND SÜD-
                                                                  AFRIKA VERSTEHEN NACHHALTIGKEIT
                                                                  ALS WICHTIGEN WIRTSCHAFTSFAKTOR

74,3              %                                               Für 89 % der Befragten ist nachhaltiges Engagement wichtig
                                                                  oder sehr wichtig für die Situation ihres Unternehmens – für
                                                                  die künftige Entwicklung liegt der Wert sogar bei 97,6 %.

KMU IM TOURISMUSSEKTOR
SIND AUF NICHT STAATLICHE
                                                                                              Die Langfassung
GELDER ANGEWIESEN                                                                         der Studie inklusive aller
Für drei Viertel (74,3 %) der Unternehmen stellte der                                     Daten ist abrufbar unter:
Zugang zu Finanzierungsquellen die größte Hürde dar.                                     bit.ly/afrikastudie2022
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WESENTLICHE ERKENNTNISSE
  DER NACHHALTIGKEITSSTUDIE

                       1     GESCHLECHTERSPEZIFISCHE UNTERSCHIEDE
                             Deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind ein Indiz dafür,
                             dass die (finanzielle) Förderung von jungen Unternehmen berücksichtigen
                             sollte, welches Geschlecht die Gründenden haben.

                                                                   Weibliche Teilnehmende finanzieren die Grün-
ABB 1 Finanzierung                                                 dung ihrer Unternehmungen mehrheitlich durch

                           53,7 %
der Unternehmens-                                                  Ersparnisse (53,7 %). Bei den Männern waren es
gründung durch                                                     nur 43,5 % ABB 1 . Das ist ein Indikator, dass Frauen
Ersparnisse                                                        schlechter auf alternative Fördermöglichkeiten
                                                                   zurückgreifen können. Dies könnte auch kulturell

                                                     43,5 %
                                                                   bedingt sein, wie sich aus den individuellen Ge-
                                                                   sprächen ergeben hat, denn ihre Familien scheinen
                                                                   sie seltener dabei zu unterstützen, ein eigenes
                                                                   Geschäft aufzubauen und erfolgreich zu betreiben.

                                                                   Auch im unternehmerischen Umfeld nach der
                           Frauen           Männer                 Gründung sehen sich Frauen stärker als Männer
                                                                   mit Schwierigkeiten konfrontiert. Ein Viertel der
                              ABB 2 Pläne zur Entwicklung
                                                                   Frauen attestiert sich einen Mangel an Manage-
                                                                   mentkompetenzen und Weiterbildungsmöglich-
                             neuer Produkte und Dienstleistungen
                                                                   keiten. Bei den Männern sind es deutlich weniger
                                                                   (14,5 %). Weibliche Unternehmerinnen nehmen
                                                                   auch die Konkurrenz als ein größeres Hindernis
                                                                   wahr (28 % der Frauen, 17,7 % bei Männern).

  76,8 %
    Frauen
                                    64,5       %
                                            Männer
                                                                   Ähnlich problematisch sieht es bei dem Zugang
                                                                   zu den internationalen Märkten für die weiblichen
                                                                   Teilnehmenden aus (Frauen: 63,4 %). Das sehen
                                                                   die Männer nicht ganz so kritisch (52,4 %). Hier
                                                                   muss künftig stärker in der Entwicklungsförderung
                                                                   angesetzt werden: Unterstützungsprogramme
                                                                   für frauengeführte Unternehmen im Tourismus
                                                                   sollten sich auf den Zugang zu geschlechter-
 ABB 3 Pläne zur Verbesserung                                      spezifischen Lerninhalten, gezielter finanzieller

                                              45,1 %
ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit                           Förderung und dem Aufbau von internationalen
                                                                   Netzwerken konzentrieren. So kann das beste-
                                                                   hende Potenzial von Unternehmerinnen im Touris-
                                                                   mus stärker gefördert werden.
            Frauen
                                                                   Geschlechtsbezogene Maßnahmen würden nicht
                                                                   nur den Frauen zugutekommen, sondern auch der
                                                                   Gesamtwirtschaft. Denn auf die Frage zu den Plä-
            Männer
                                           32,3 %                  nen zur Entwicklung neuer Produkte/Dienstleistun-
                                                                   gen zeigen die befragten Unternehmerinnen eine
                                                                   besonders innovative Einstellung. 76,8 % haben
                                                                   diesbezüglich Pläne, während bei den männlichen
                                                                   Befragten nur 64,5 % diese Innovationsabsicht auf-
                                                                   weisen ABB 2 . Das gleiche Bild zeigt sich bei der

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                     Erschließung neuer Absatzmärkte – hier wollen         Vor dem Hintergrund der im folgenden Abschnitt
                     sich 75,6 % der Frauen engagieren, während nur        diskutierten Ergebnisse der Nachhaltigkeit in den
                     63,7 % der Männer dazu bereit sind. Diese Zahlen      befragten Ländern zeigen weibliche Befragte eine
                     unterstreichen eindrucksvoll, welche wirtschaft-      gute Einschätzung für die Potenziale der internatio-
                     liche Kraft im weiblichen Unternehmertum steckt.      nalen Kundschaft. Gleichzeitig weisen sie eine hohe
                                                                           Bereitschaft auf, die ökologischen und sozialen
                     Eine deutliche Auffälligkeit zwischen weiblichen
                                                                           Umstände in ihren Heimatländern zu verbessern
                     und männlichen Teilnehmenden zeigt sich bei der
                                                                           und bewusst zu den Nachhaltigen Entwicklungs-
                     Planung von Maßnahmen zur Verbesserung der
                                                                           zielen der Vereinten Nationen beizutragen. Männer
                     ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit. Fast
                                                                           hingegen benötigen mehr Unterstützung dabei, die
                     die Hälfte der Frauen (45,1 %) gibt dies als Plan
                                                                           Bedeutung von sozialer und ökologischer Nachhal-
                     für die kommenden drei Jahre an. Unter den Män-
                                                                           tigkeit einzuordnen.
                     nern ist es jedoch nur ein Drittel (32,3 %) ABB 3 .

               2     MASSNAHMEN FÜR MEHR NACHHALTIGKEIT
                     Die Ergebnisse aus den drei afrikanischen Ländern zeigen, dass das soziale
                     Engagement in der lokalen Gesellschaft sehr hoch ausgeprägt ist. So unterstüt-
                     zen drei Viertel der Befragten lokale Gemeinden. Gelder aus dem Tourismus
                     schaffen Arbeitsplätze, fördern die Weiterbildung und tragen zu bescheidenem
                     Wohlstand bei. Deutliches Potenzial gibt es hinsichtlich der Produktentwicklung
                     auf ökologischer Ebene: Obwohl vor allem internationale Gäste Umweltaspek-
                     ten sehr positiv gegenüberstehen, lässt sich dies nicht in gleichem Maße in der
                     Umsetzung bei den Befragten wiederfinden.

                     Die Teilnehmer wurden gefragt, wie sie die Situa-     Darüber hinaus werden gezielt junge Menschen
                     tion in ihrem Land und ihrem Umfeld zur Nachhal-      aus diesen Communities ausgebildet und einge-
                     tigkeit beurteilen. Überraschend ist, wie hoch das    stellt, wie 70,9 % der Befragten angaben.
                     soziale Engagement aller Teilnehmer ausfällt –
                                                                           Damit können KMU einen entscheidenden Beitrag
                     unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Mehr
                                                                           für die lokale Entwicklung liefern. Gerade im
                     als drei Viertel der Unternehmen (75,2 %) geben
                                                                           ländlichen Raum ist diese Art von Wirkung sehr
                     an, mit ihren Geschäftsmodellen lokale Gemein-
                                                                           wichtig, da neben der Landwirtschaft weitere Ein-
                     schaften zu fördern. ABB 4 . In erster Linie geht
                                                                           kommensquellen geschaffen werden, die der stei-
                     es um eine gute Zusammenarbeit, was sich auch
                                                                           genden Landflucht entgegenwirken. Es ist positiv,
                     mit den Ergebnissen aus den persönlichen Inter-
                                                                           dass diese Unternehmerinnen und Unternehmer
                     views deckt. Nahezu alle Teilnehmer sehen die
                                                                           eine solche Einstellung zum Ausdruck bringen. Hier
                     Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung als
                                                                           können Förderprogramme ansetzen.
                     Voraussetzung für den Erfolg ihres Geschäfts an.
                                                                           Leider schlägt sich das hohe soziale Engagement
                                                                           nicht in gleichem Maße in der ökologischen Nach-
                                                                           haltigkeit nieder. Auch wenn die Befragten sehen,
ABB 4  Junge Tourismusunternehmen fördern                                  dass ihre internationalen Gäste sehr viel Wert auf
lokale Gemeinschaften                                                      die Umwelt legen, engagiert sich noch nicht mal die
                                                                           Hälfte der Teilnehmer für diese Themen. Die Litera-
                                                                           tur bestätigt: Viele Länder auf dem afrikanischen
                                                                           Kontinent liegen im internationalen Vergleich in
                                                                           Bezug auf die ökologische Säule der Nachhaltigkeit
                                                                           zurück.1

          75,2 %
WEIBLICH. NACHHALTIG. DIGITAL. TOURISMUS IN AFRIKA - Studienergebnisse für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Südafrika, Ägypten und Kenia
ABB 5     Aus Perspektive der befragten KMU: Internationale Gäste Treiber bei Nachhaltigkeitsthemen

                                                                                85,0              %
                                                                                                               Wichtig, sehr wichtig

                                                                                                               Mäßig wichtig
SOZIALE ASPEKTE 2,4 % 12,6 %
                                                                                                               Nicht wichtig, unwesentlich
         Interesse der
internationalen Gäste

             Interesse der
         nationalen Gäste

                                                                                73,3 %
                             7,3 %           19,4 %

                                 UMWELTASPEKTE 0,5 % 6,8 %
                                              Interesse der
                                                                                                           92,7 %
                                     internationalen Gäste

                                             Interesse der
                                         nationalen Gäste

                                                                                                           74,3 %
                                                              8,8 %   17,0 %

   KLIMAWANDEL 1,5
         Interesse der
                                %
                                      16,5   %                                  82,0 %
internationalen Gäste

             Interesse der
         nationalen Gäste

                                                                                66,5 %
                             11,6 %          21,8 %

                                      Eine verstärkte Förderung von kleinen und             Entsprechend den Einschätzungen der Befragten
                                      mittleren Tourismusunternehmen, insbesondere          ist das Interesse an Nachhaltigkeitsthemen bei
                                      frauengeführte Unternehmen, mit einem Fokus           nationalen und internationalen Gästen unter-
                                      auf Umwelt- und Artenschutz und erneuerbare           schiedlich ausgeprägt ABB 5 . So meinen 63,1 %,
                                      Energien, wäre sinnvoll. Förderprogramme wie          dass das Interesse der internationalen Gäste am
                                      das Tourism Recovery Programme schaffen Zu-           Umweltschutz sehr hoch ist. Das kontrastiert mit
                                      gang zu Fördermitteln und digitalen Lerninhalten,     der Einschätzung zum Umweltschutz bei den
                                      die den Wert der Natur und die wirtschaftlichen       nationalen Gästen. Nur 46,1 % attestierten diesen
                                      Möglichkeiten durch nachhaltige naturbasierte         ein sehr hohes Interesse am Umweltschutz.
                                      Angebote in den Vordergrund stellen. Das würde
                                      die lokalen Unternehmerinnen und Unternehmer
                                      im Hinblick auf internationale Märkte, lokale Wett-
                                      bewerbsfähigkeit und Investitionsattraktivität
                                      erheblich stärken.

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3   WIRTSCHAFTLICHER STELLENWERT
    Die Befragten schätzen nachhaltiges Wirtschaften für die wirtschaftliche
    Situation ihrer Unternehmen bereits heute als bedeutend ein – Tendenz
    klar steigend. Die Ergebnisse zeigen jedoch auch, dass die Umsetzung der
    Maßnahmen als schwierig bewertet wird.

    Ausgehend von den Gästeinteressen rund um                   Im Vergleich der drei Länder ist interessant, dass
    das Thema Nachhaltigkeit sind sich die KMU der              die kenianischen KMU sowohl die aktuelle als
    wichtigen Bedeutung von nachhaltigem Engage-                auch die künftige Bedeutung der nachhaltigen Ent-
    ment für den Erfolg ihrer Unternehmen bewusst.              wicklung gegenüber den anderen Ländern deutlich
    Gefragt wurde zunächst nach der heutigen Bedeu-             höher einschätzen. 80,8 % der kenianischen KMU
    tung von Nachhaltigkeit auf ökonomischer Ebene.             bewerten die ökonomische Bedeutung als sehr hoch
    Mit 68,4 % schätzt die Mehrheit der Befragten diese         (im Vergleich dazu: Ägypten 55,1 % und Südafrika
    Bedeutung als sehr hoch und ein weiteres Fünftel            64,6 %). Für das künftige Unternehmenswachstum
    (21,4 %) als hoch ein ABB 6 .                               schätzen 92,3 % der kenianischen Befragten Nach-
                                                                haltigkeit als sehr wichtig ein. Von den südafrika-
    Zudem wurden die KMU um eine Einschätzung des
                                                                nischen Befragten waren es 79,7 % und von den
    Einflusses von Nachhaltigkeit auf die künftige
                                                                ägyptischen Befragten 63,3 % ABB 7 .
    wirtschaftliche Entwicklung gebeten. Auch hier
    erkennen die Teilnehmer der Befragung die große             Gleichzeitig zeigen die Befragungsergebnisse
    Bedeutung von Nachhaltigkeit. 80,6 % der Teilneh-           jedoch auch, dass eine nachhaltige Ausrichtung
    menden gaben an, Nachhaltigkeit sei dafür sehr              des Unternehmens für die kenianischen KMU ein
    wichtig und weitere 17 % stuften sie als wichtig ein.       größeres Problem darstellt als für Unternehmen

         ABB 6     Ökonomische Bedeutung von nachhaltigem Handeln steigt

         Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Bedeutung
         der Nachhaltigkeit für Ihr Unternehmen heute ein?

         1,0 % 9,2 %              21,4 %
                                                                                     68,4 %
         Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Bedeutung der Nachhaltigkeit
         für die zukünftige Entwicklung Ihres Unternehmens ein?

         0,5 % 1,9 % 17,0 %
                                                                                     80,6 %
                 Nicht wichtig     Mäßig wichtig             Wichtig         Sehr wichtig
WEIBLICH. NACHHALTIG. DIGITAL. TOURISMUS IN AFRIKA - Studienergebnisse für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Südafrika, Ägypten und Kenia
aus den anderen beiden Ländern. Über ein Drittel    für die Teilnehmenden steigt, diese Erwartungen zu
                              (37,2 %) der Teilnehmenden wählten diese Ant-       erfüllen.
                              wortmöglichkeit. Im Vergleich dazu waren es aus
                                                                                  Besonders im Fall der kenianischen KMU sollte
                              Ägypten nur 16,3 %. In Südafrika gaben 17,7 % das
                                                                                  untersucht werden, worin die Hürden bezüglich
                              nachhaltige Handeln als Schwierigkeit an ABB 8 .
                                                                                  der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen
                              Aus den Ergebnissen geht ebenfalls hervor, dass     liegen. Da die Erwartung der Gäste durch die
                              die Erwartungen der Reisenden, die die KMU          kenianischen Befragten höher eingeschätzt werden
                              zu erfüllen haben, in Bezug auf Nachhaltigkeit      als bei den Vergleichsgruppen, könnte das erklä-
                              wachsen. An der großen Bedeutung, die Nach-         ren, warum die Gruppe aus Kenia sich hier im Be-
                              haltigkeit für die ökonomische Situation der KMU    sonderen sorgt, die Erwartungen nicht erfüllen zu
                              beigemessen wird, wird deutlich, dass der Druck     können.

 ABB 7   Künftige Bedeutung von nachhaltigem Handeln wird in den Ländern unterschiedlich gewichtet

Anteil der Befragten, die die
wirtschaftliche Bedeutung der
Nachhaltigkeit für die zukünftige                                                             ABB 8Nachhaltigkeit in der
Unternehmensentwicklung als                                                                  Unternehmensentwicklung –

                                                92,3 %
„sehr wichtig“ einschätzen.
                                                                                             insbesondere in Kenia eine
                                                                                             Herausforderung
                                                             Kenia

                    79,7 %  Südafrika                                                      37,2 %      Kenia

                                                                            Anteil der

                                                                                                          17,7 %
                                                                            Befragten, die
                                                                            die nachhaltige
                                                                            Ausrichtung der
                                                                                                               Südafrika
                                                                            Geschäftsaktivitäten

                                         63,3 %
                                                                            als „schwierig“
                                                                            einschätzen
                                                 Ägypten
                                                                                               16,3 %  Ägypten

  Seite 8
WEIBLICH. NACHHALTIG. DIGITAL. TOURISMUS IN AFRIKA - Studienergebnisse für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Südafrika, Ägypten und Kenia
ABB 9   Digitale Kanäle als zentrales Marketinginstrument                                                                       Seite 9

91,3 %
                           82,5 %
                                             73,8 %
                                                                „Bitte geben Sie die drei wichtigsten
                                                                sozialen Netzwerke für Ihr Unternehmen an.“

                                                            23,3 %
                                                                                15,0 %
                                                                                                  3,4 %               7,8 %

  Facebook            Instagram         WhatsApp            LinkedIn            Twitter             TikTok             Andere

                  4     DIGITALE VERTRIEBSKANÄLE
                        KMU nutzen fast ausschließlich Social-Media-Kanäle und Messenger-Dienste
                        für den Vertrieb und das Marketing. Die Digitalisierung und die Verfügbarkeit
                        vom Internet sind somit wichtige Voraussetzungen für den Zugang zu (inter-
                        nationalen) Märkten. Dabei sind die Plattformen Facebook und Instagram
                        sowie der Messenger-Dienst WhatsApp in allen drei afrikanischen Ländern
                        die wichtigsten Kanäle für die Kundenkommunikation der KMU.

                        Gefragt wurde nach der Bedeutsamkeit sozialer           gut wie gar nicht genutzt wird (2 %), in Kenia hin-
                        Netzwerke und Messenger-Dienste. Im Durch-              gegen mehr als zehnmal häufiger (24,4 %). Auch
                        schnitt nutzen die Teilnehmer rund drei soziale         in Südafrika spielt Twitter immerhin noch für jeden
                        Netzwerke für ihre Arbeit (konkret 2,97). Am            siebten Befragten eine wichtige Rolle (13,9 %).
                        häufigsten wurde Facebook (91,3 %) genannt, ge-         Anders verhält es sich mit TikTok, einer Video-
                        folgt von Instagram mit 82,5 % – eine Plattform, die    plattform, die international sehr schnell wächst.
                        in erster Linie für die Verbreitung von Fotos genutzt   In Ägypten spielt sie bereits eine relevante Rolle
                        wird und Möglichkeiten der klassischen Informa-         (6,1 %), während sie in Südafrika (3,8 %) und
                        tionsübermittlung nur eingeschränkt ermöglicht.         Kenia (1,3 %) noch deutlich weniger genutzt wird.
                        An dritter Stelle folgt WhatsApp, das bei 73,8 % der
                                                                                Die Ergebnisse zeigen mehrere wichtige Punkte.
                        Befragten regelmäßig zum Einsatz kommt. Weniger
                                                                                Zuvorderst muss festgehalten werden, dass die
                        wichtig sind die Netzwerke LinkedIn (23,3 %),
                                                                                Befragten innovative und „junge“ Vertriebskanäle
                        Twitter (15 %) und TikTok (3,4 %) ABB 9 . Die Er-
                                                                                für ihre Produkte nutzen. Dies ist nur möglich, weil
                        gebnisse sind beeindruckend, weil die klassischen
                                                                                die Verbreitung von Smartphones und die Netz-
                        Vertriebskanäle (Print, Radio, TV und Out-of-home),
                                                                                werkabdeckung in den Ländern in manchen Teilen
                        die in Europa immer noch eine große Rolle spielen,
                                                                                besser ist als in Europa. In Einzelinterviews wurde
                        so gut wie gar nicht genutzt werden, wie in den Ein-
                                                                                bestätigt, dass selbst in ländlichen Gegenden
                        zelinterviews deutlich wurde. Die sozialen Medien
                                                                                Einkäufe mit dem Handy getätigt werden – keine
                        sind schneller, preiswerter und erlauben auch
                                                                                Selbstverständlichkeit in Ländern wie Deutsch-
                        einen flexibleren Auftritt. Darüber hinaus sind sie
                                                                                land. Dadurch erzielen die Befragten schneller
                        sowohl national wie international einsetzbar, ohne
                                                                                und kostengünstiger gute Vertriebsergebnisse,
                        zusätzliche Kosten zu verursachen.
                                                                                ohne dafür auf externes Know-how zurückgreifen
                        Unterschiede ergeben sich im Vergleich unter den        zu müssen. Mehrere Befragte haben sich diese
                        drei Ländern bei einzelnen Diensten. Interessant        Kenntnisse autodidaktisch angeeignet.
                        ist, dass Twitter von ägyptischen Teilnehmern so
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ABB 10   Top-9-Probleme bei der Unternehmensgründung

           Finanzierung
                                                                           74,3 %              „Welche Herausforderungen
                                                                                               waren für Sie am schwierigsten
           Marktzugang
                                                                    56,8 %                     zu bewältigen? Bitte wählen Sie
                                                                                               maximal drei Antworten aus.“

           Fehlende staatliche Unterstützung
                                                37,4 %
                                   24,8 %             Nachhaltige Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten

                                 21,8 %               Wettbewerbssituation

                                20,9 %                Qualifikation und Verfügbarkeit von Angestellten

                             18,4 %                   Mangel an Führungskompetenzen und Weiterbildungsmöglichkeiten

                             18,0 %                   Beschaffung der erforderlichen Lizenzen und Genehmigungen

                       11,7 %                         Korruption

                       5    WESENTLICHE HÜRDEN
                            Für drei Viertel der Befragten war die Finanzierung des Unternehmens eine
                            besondere Hürde. Es fehlt der Zugang zu bezahlbaren Krediten, staatlicher
                            Förderung und privaten Investoren. Aus diesem Grund sind viele auf eigene
                            Ersparnisse oder Gelder aus der Familie angewiesen. Immerhin: Korruption
                            ist – entgegen anderslautender Zahlen öffentlicher Quellen – für die befragten
                            Tourismusunternehmen kein großes Problem.

                            Fast die Hälfte der Teilnehmenden hat die Grün-        wird auch deutlich, wenn man die KMU direkt nach
                            dung des Unternehmens überwiegend durch                den größten Schwierigkeiten fragt: Für drei Viertel
                            eigene Ersparnisse finanziert (47,6 %) ABB 10 .        (74,3 %) der Unternehmen stellte der Zugang zu
                            Staatliche Förderungen, wie sie beispielsweise in      Finanzierungsquellen die größte Hürde dar.
                            Europa üblich sind, spielten bei den Befragten keine
                                                                                   Analog dazu spielt auch das Wissen über Finanzie-
                            Rolle. Lediglich 2,4 % der Teilnehmenden haben
                                                                                   rungsquellen, Investitionen und Finanzmanage-
                            zur Gründung finanzielle Hilfe seitens der Regie-
                                                                                   ment eine große Rolle. Die Hälfte der Befragten gab
                            rung bekommen. Die Unternehmerinnen und
                                                                                   an, dass Finanzierung und Investitionen (46,1 %)
                            Unternehmer waren demnach fast ausschließlich
                                                                                   sowie Finanzmanagement (44,2 %) wichtige Fähig-
                            auf eigene Gelder angewiesen. Dieses Problem
                                                                                   keiten sind.

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    Korruption ist in Afrika für KMU ein großes Prob-                    Jahren schon im Ausland, privat oder zum Studium.
    lem.2 Die Ergebnisse der Befragung spiegeln dies                     Allerdings zeigten sich die Befragten enttäuscht
    jedoch nicht wider. Nur 11,7 % der Teilnehmenden                     darüber, dass der Staat mit aufwändiger Bürokra-
    nannten Korruption als Schwierigkeit.                                tie selbst einfache behördliche Gänge kompliziert
                                                                         macht. So hätten sie weniger Zeit, sich auf das
    Im Vergleich zu Europa wird deutlich, dass in den
                                                                         Wesentliche zu konzentrieren.
    befragten Ländern die Gründung von Unterneh-
    men hauptsächlich von der eigenen finanziellen                       Um auch weniger privilegierten Gruppen den
    Leistungsfähigkeit abhängt – oder der der Familie.                   Schritt zum Unternehmertum zu ermöglichen,
    In den Interviews zeigte sich auch häufiger als er-                  müssten bedarfsorientierte Förderprogramme
    wartet, dass die Befragten aus Familien der geho-                    und Finanzinstrumente zum Einsatz kommen, die
    benen Mittelschicht bzw. der Oberschicht stammen                     skalierbare Unterstützung für unternehmerisches
    (Staatsangestellte, selbstständige Unternehmer),                     Handeln unabhängig von Einkommen, Geschlecht
    und überdurchschnittlich viele waren in jungen                       und Bildungsgrad anbieten.

6   BEDEUTUNG DES MENTORINGS
    Für ein Viertel (24,4 %) der Gründerinnen stellt                     Was fehlt, sind jedoch vor allem ausländische
    der Mangel an Weiterbildungsmöglichkeiten eine                       Unternehmen als Informations- und Kommunika-
    Schwierigkeit dar. Unter den männlichen Teilneh-                     tionspartner. Die Befragten wünschten sich in den
    menden ist dies nur für 14,5 % ein Problem. Anzu-                    Interviews einen besseren Kontakt zu diesen
    nehmen ist, dass es erneut auf die kulturellen und                   Unternehmen, um sich einen leichteren Zugang
    gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber der                         zu den europäischen Märkten zu verschaffen.
    Frau und dem erschwerten Zugang zu unter-                            Diese fehlenden Kooperationen werden auch in
    nehmerischer Bildung zurückzuführen ist.                             der Literatur als Hemmnis für KMU angeführt.3

    Interessant ist, dass es offenbar einen regen Aus-
    tausch zwischen Unternehmen gibt – gegebenen-
    falls sogar unter Wettbewerbern. So gab die Mehr-                          ABB 11 Mentoren sind wichtigste

    heit der Befragten an, bei unternehmensbezogenen                          Kontaktgruppe bei unternehmens-
    Fragen ihre Kontakte zu anderen Unternehmen zu                            bezogenen Fragen
    nutzen. Vor allem der Kontakt zu Mentoren aus
    größeren Unternehmen wurde mehrheitlich
    (57,3 %) genannt ABB 11 . Die Hälfte der Teilneh-
    menden gab zudem an, Unternehmensverbände
    bzw. andere KMU kontaktieren zu können. Das
                                                                                      53,7 %
    bedeutet, dass diese Netzwerke auch in den drei
    Ländern eine wichtige Rolle spielen.

    1
        Vgl. Hartmann, Rainer. Tourismus in Afrika: Chancen und Herausforderungen einer nachhaltigen
        Entwicklung. Berlin/Boston: Walter de Gruyter GmbH 2020: S. 44.
    2
        Vgl. Muriithi, Samuel M. African Small and Medium Enterprises (SMEs) Contributions, Challenges
        and Solutions, in: European Journal of Research and Reflection in Management Sciences 6(2017), S. 43.
    3
        Vgl. OECD. Tourism in OECD Countries 2008. Trends and Policies. Paris: OECD Publishing 2008: S. 31ff.
Als schwarze Frau in Südafrika unternehmerisch Fuß zu fassen, ist
                                      nicht leicht. Wenn sie dann noch aus einem ärmeren Land im süd-
                                                          lichen Afrika eingewandert ist, ist es besonders
                                                              schwer, die strukturellen und kulturelles Bar-
                                        „Südafrika hat mir       rieren zu überwinden. Vanessa Mbenoun,
                                       die Chance gegeben,
                                                                  geboren und aufgewachsen in Kamerun,
                                        mich zu beweisen.
                                       Der Tourismus öffnet        weiß das und geht mit ihrem Reise-
                                            hier Türen.“           unternehmen Kamaroutes ihren ganz
                        West Assuan       VANESSA MBENOUN         eigenen Weg.
                                               Gründerin

                                                           KAMAROUTES
                                                           UNTERNEHMERINNEN
                                                           BRAUCHT DAS LAND

   GRÜNDERIN
                                      SEHNSUCHTSLAND
   Vanessa Mbenoun                    SÜDAFRIKA
   GRÜNDUNG                           Mit 18 Jahren zieht Vanessa Mbenoun nach
   2017                               Süd­afrika, um Touristik zu studieren. Ge-
                                      messen an ihrer Heimat ist die Reisebran-
   MITARBEITENDE
                                      che hier um ein Vielfaches weiter: Gegen-
   20
                                      über Gästen herrscht eine authentische
   GÄSTE/JAHR VOR CORONA              Willkommenskultur, es wird mehr inves-
   120                                tiert und der Umwelt- und Tierschutz ist
                                      deutlich ausgeprägter: „Das war ein ganz
   INTERNATIONALE GÄSTE
                                      anderer Tourismus als in Kamerun, einfach
   100 %                                                                              kapital startet Vanessa in die Selbstständig-
                                      großartig. Daran wollte ich anknüpfen.“
                                                                                      keit. Zeitgleich ist sie Mutter geworden. Was
   STANDORT
                                      Während des Studiums arbeitet Vanessa           ihr allerdings fehlt: Ein Babysitter, ein Busi-
   Johannesburg, Südafrika
                                      nebenbei in einem Reisebüro. „Das war           nessplan, ein Computer … Die Liste ist lang.
   Windhoek, Namibia
                                      eine sehr gute Arbeit, aber ich wollte                   Erschwerend hinzu kommt das ge-
                                      Reisen in Südafrika auf meine                                 sellschaftliche Umfeld, das Erbe
                                      eigene Art und Weise ver-                                        der Apartheit. Vanessa: „Als
                                      kaufen. Als jemand, der aus            „Ich war sicher,             schwarze Frau aus dem
    Windhoek                          Westafrika stammt und             dass ich im südafrika-              Ausland ist es schwer, in
                                      nachempfindet, wonach               nischen Tourismus                 der Branche Fuß zu fas-
                                      sich Ausländerinnen und                                                sen. Ich will es nicht Ras-
               Johannesburg                                              etwas finden würde,
                                      Ausländer hier sehnen.“                                                sismus nennen, aber es
NAMIBIA
                                      Mit ihrem Einfühlungs-
                                                                              was ich liebe.“               gibt noch immer großen
                                      vermögen als Grund-                    VANESSA MBENOUN               Widerstand“, erzählt sie.
                                                                                  Gründerin
          SÜDAFRIKA
Seite 13

GERADLINIG, AUCH WENN’S SCHMERZT
Als Unternehmerin ist sie eine von Wenigen. Viel-      wegs in einem klagenden Ton. Sie nimmt es zur
fach fehle die Möglichkeit und die Vorstellung, dass   Kenntnis, protestiert und zieht ihre Konsequenzen.
eine schwarze Frau eine Führungsposition über-         Vanessa: „Mitunter kann ich die Diskriminierungen
nehmen könne, so Vanessa. Sie begleitet ihre Gäste     nicht ertragen. Ich wechsle dann das Hotel und
auf den Reisen, übernachtet mit ihnen in Hotels und    erkläre meinen Gästen, die oftmals aus Europa
Lodges – und wird von den Angestellten dennoch         kommen, die Situation.“
oftmals abgekanzelt. Vanessa erzählt das keines-

NACHHALTIGKEIT – EIN IMPULS DER GÄSTE
Von dort kommen nicht nur Kunden, sondern auch         So besucht sie mit ihren Gästen Kliptown, einen
neue Ideen. Vanessa: „Mein Fokus lag ursprünglich      Stadtteil von Johannesburg. Die Arbeitslosigkeit
nicht auf Nachhaltigkeit. Aber die Erwartungs-         liegt bei 70 Prozent , informelle Siedlungen prägen
haltung meiner europäischen Kunden hat mich            das Bild. Gleichzeitig erlaubt es den Bewohnerin-
zum Umdenken gebracht.“ Spaziergänge mit Löwen         nen und Bewohnern, durch die ausländischen Tou-
oder Elefantenreiten kann man über Kamaroutes          risten neue Einkommensquellen zu erschließen,
nicht mehr buchen. Einen besonderen Schwer-            Geschäftsmodelle zu entwickeln und Aufmerksam-
punkt legt Vanessa nun auf soziale Aspekte.            keit auf ihre Heimat zu lenken, so Vanessa.

VORBILD FÜR FEMALE EMPOWERMENT
Auf eigene Kosten unterstützt sie in Kliptown ein      Die Unternehmerin steht für Geschlechtergleich-
Waisenhaus für Mädchen. Diese geschlechter-            heit und Inklusion von marginalisierten Bevölke-
spezifische Ausrichtung kommt nicht von ungefähr.      rungsgruppen. Das zeigt ihr Werdegang, ihr sozia-
Rund drei Viertel ihrer Gäste sind weiblich. Jüngst    les Engagement und auch ihre Zukunftspläne:
hat Vanessa die Marke Solo Womxn gegründet,            So will Vanessa eine Doktorarbeit über Frauen,
die ausschließlich auf die besonderen Bedürfnisse      Inklusion und Diversität schreiben: „Ich glaube, das
von Frauen abzielt. Vanessa zum Hintergrund:           ist sehr wichtig für den Kontinent. Ich sehe noch
„Immer wieder können Frauen ihre Reisen nicht          nicht genug Frauen in führenden Positionen.“
völlig genießen, weil sie in unsichere Situationen     Und neben Solo Womxn will sie eine Reiseplatt-
geraten, falsch eingeschätzt oder diskriminiert        form allein für Frauen anbieten. „Da kommt auch
werden. Bei uns ist das anders – egal wie die Haut-    die Unterstützung durch das Tourism Recovery
farbe unsere Kundinnen sind, wo sie herkommen          Programme gerade recht, zumal ich während des
oder welche sexuelle Orientierung sie haben.“          Lockdowns ohne Einkommen war. So konnte ich
                                                       mich darauf konzentrieren, unternehmerisch vieles
                                                       dazulernen, was mir dabei hilft, mein neues Projekt
                                                       umzusetzen .“
Justin Perumal wächst in Südafrika auf. 2006 verlässt er das Land,
                                  um erst zehn Jahre später zurückzukehren. Der erhoffte gesellschaft-
                                                       liche Wandel – eine Illusion. Doch er bleibt und
                                                           gründet die Reiseagentur Wild Routes Africa.
                                    „Meine Philosophie        Touren mit lokalen Künstlern und ganz
                                   ist es, Verantwortung
                                                               neue Angebote für den Inlandstourismus:
                                   für die Einzigartigkeit
                                    seiner persönlichen        Justin denkt vieles anders und gibt Impulse
                    West Assuan   Umstände zu nehmen.“         für neue Tourismusformate in Südafrika –
                                        JUSTIN PERUMAL         nachhaltiger, inklusiver und resilienter in
                                            Gründer
                                                             Krisenzeiten.

                                                        WILD ROUTES
                                                        AFRICA
                                                        MEHR RESILIENZ
                                                        FÜR SÜDAFRIKAS
                                                        TOURISMUS
                                  Seine Rückkehr nach Südafrika nach Jahren         wirtschaft gehabt. Dennoch findet er genau
GRÜNDER                           in England empfindet Justin als Kultur-           hier sein Aufgabenfeld. Erstens sieht er die
Justin Perumal                    schock. „Ich sah die Situation im Land mit        hier tätigen Menschen als aufgeschlossener
                                  völlig anderen Augen als die Person, die da-      und engagierter an, zweitens will er auf
GRÜNDUNG
                                  mals Südafrika verlassen hatte.“ Gleichzeitig     diese Weise seine Heimat neu kennenlernen.
2016
                                  verspürte er den Drang, Verantwortung zu          Über soziale Netzwerke tritt er mit Reisen-
MITARBEITENDE                     übernehmen. Für mehr Klimaschutz, die             den in Kontakt, erkennt über deren digitale
12                                Bewahrung der Kultur und die besonderen           Profile ihre Bedürfnisse und gewinnt so
                                  Eigenheiten der Gemeinden vor Ort. Er             für sein Unternehmen Wild Routes Africa
GÄSTE/JAHR VOR CORONA
                                  hatte Betriebswirtschaft studiert, dabei          erste Kunden.
994
                                  aber keinerlei Berührung zur Tourismus-
INTERNATIONALE GÄSTE
93 %

STANDORT
Durban, Südafrika
                                  TRANSFERFAHRTEN – MEHR ALS NUR VON A NACH B
                                  Wild Routes Africa startet 2016 als Boutique-     Organisierte Tagestouren sind der nächste
                                  Transferservice für Reisen in die Natur-          Entwicklungsschritt. Justin: „Wir wollten Rei-
                                  schutzgebiete. Herkömmliche Anbieter              senden wirklich eindringliche Erfahrungen
                                  beschränken sich auf den reinen Shuttle-          bieten. Dafür sind Interaktionen mit Men-
                                  service – teuer und ohne Informationen zu         schen, die mit der Tourismusbranche im
                                  Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke.           Kern nichts zu tun haben, ideal. Seine Gäste
                                  Justin: „Sie stifteten keinen Wert, meine Idee    bringt er nun mit lokalen Straßenkünstlern,
                                  war es, den Transfer bereits als Teil der Reise   Museumskuratorinnen, Naturschützerinnen
                    Durban        miteinzubeziehen.“ Ferngläser für die Gäste,      oder Wildtierärzten zusammen, deren Zeit-
                                  ein lokaler Tourguide und mit iPads ausge-        aufwand entlohnt wird. Das drückt zwar die
 SÜDAFRIKA                        stattete Fahrzeuge, die über das Tracking         Marge, zahlt aber gleichzeitig auf die sozia-
                                  von Wildtieren und Naturschutz informieren        len Aspekte der Nachhaltigkeit und das
                                  machen die Transfers mit Wild Routes Africa       Alleinstellungsmerkmal ein. Justin brennt
                                  aus.                                              für das Besondere, das Authentische.
Seite 15

INLANDSTOURISMUS SCHLÜSSEL FÜR MEHR RESILIENZ
Gesellschaftliche Inklusion ist eine Kernkompetenz Dabei sei es, so Justin, nur ein anderer Markt. Um
von Wild Routes Africa. Das zeigt sich auch, als mit   insbesondere junge schwarze Südafrikaner anzu-
der COVID-19-Krise der Anteil internationaler          sprechen, gründet er 2020 sein Tochterunterneh-
Gäste einbricht. „Vorher kamen die Gäste                      men Locals Who Wander. Hier bietet er
überwiegend aus Europa und den USA.                                zum Beispiel bezahlbare Gin Journeys
Von einem auf den anderen Tag                                         an – eine Safari, die auch Cocktail-
mussten wir umdenken.“                                                 Workshops umfasst. „Man muss
                                           „Ich sehe aktuell
So rückt der Inlandstourismus                                            dazu wissen, dass sie sich in vor-
in den Vordergrund, und Justin            schon viele ,grüne‘             nehmlich von Weißen bereisten
zieht seine Schlüsse: „Ein            Ansätze im Gastgewerbe,             Räumen wie Safari Lodges oft-
widerstandfähiger Tourismus in         vor allem beim Design.“            mals als Fremde fühlen.“ Justin
Südafrika funktioniert nur über               JUSTIN PERUMAL              zielt auf mehr Diversität ab.
einen stärkeren Inlandstouris-                    Gründer                Die Unterstützung des Tourism
mus.“ Lange wird dieser als eine                                       Recovery Programmes habe ihm
Art Discountermarkt betrachtet,                                      für dieses neue Businessmodell
internationale Gäste bevorzugt.                                    wichtige Impulse gegeben.

MANIPULATION IM NAMEN DER UMWELT
Soziale Nachhaltigkeit lebt Justin von Beginn an.     Marketingaktionen. Mit zweifelhaftem Mehrwert.
Ökologische Themen treiben ihn ebenso an. „Wir        Justin hingegen hat konkrete Ziele und weiß, wie
müssen künftig kohlenstoffärmer werden und uns        er diese gemeinsam mit seinen Gästen erreichen
bewusst werden, wie wir mit der Umwelt umge-          kann: „Es gibt viele Möglichkeiten grüne Produkte
hen.“ Immer wieder, so erzählt Justin, erscheinen     einzubauen, ohne dass die Gäste das Gefühl haben,
ihm im Tourismus vermeintliche Ökoprojekte als        einen Kompromiss eingehen zu müssen – ich nenne
                                                      es konstruktive Manipulation.“ Zero Waste steht
                                                      oben auf der Agenda. Ebenso Safaris, wo ein Teil
                                                      des Gewinns zum Beispiel an Organisationen zum
                                                      Schutz von Nashörnern gespendet wird. Eine Win-
                                                      Win-Situation eben – geschaffen durch Tourismus.
Als Maschinenbauingenieur arbeitet der 36-jährige Mohamed Seragel-
                            din jahrelang für internationale Konzerne. Dann der Bruch. Er kündigt
                                                seinen Job und eröffnet 2015 gemeinsam mit seiner
                                                    Frau und einem weiteren Partner das Öko-
                                „Bei Dayra geht       Camp Dayra in Nuweiba. Am Strand des fernab
                             es um Gemeinschaft.
                                                       der Touristenströme gelegenen Hafenorts
                              Wir haben das Ziel,
                                Gleichgesinnte          eröffnen sie Musikerinnen und Künstlern,
                                 zu vereinen.“          Weltenbummlerinnen und Backpackern
                              MOHAMED SERAGELDIN       eine Begegnungsstätte. Ihre Motivation:
                                   Mitgründer
                                                      Gastgeber für tolerante Menschen aus allen
                                                    Ländern zu sein ­– und das nachhaltig.

                                                 DAYRA CAMP
                                                 HEIMAT FÜR
                                                 WELTOFFENE
                                                 REISENDE
                            FRIEDVOLLES MITEIN­ANDER –
                            AN DER NAHTSTELLE DER KULTUREN
                            Wer die Reise in das Dayra Camp am Fuße         sein Team täglich um 5 Uhr morgens auf,
GRÜNDER*INNEN
                            des Sinai-Gebirges antritt, erwartet keine      musizieren, säubern den Strand von Müll,
Mohamed Serageldin
                            luxuriöse Unterkunft. Die Gäste übernachten     der sich über Jahre angehäuft hatte, pflanzen
Reem Abu Ellela
                            in einfachen Hütten und Zelten am Strand.       Hunderte von Bäumen und bauen die Infra-
A. Abo EL Seoud
                            Umso intensiver das Umfeld: Es gibt Kunst-      struktur auf. Mohammed: „Wir hatten nicht
GRÜNDUNG                    workshops, Yoga und musikalische Events.        viel und haben nicht viel über die Zukunft
2015                        Die Atmosphäre ist geprägt von Toleranz         nachgedacht. Es war magisch, wir haben
                            und Weltoffenheit. Mohamed: „Man kann am        Achtsamkeit in Perfektion praktiziert.“
MITARBEITENDE
                            Strand verschleierte Frauen sehen, die sich
19
                            sonnen. Wenige Meter entfernt badet jemand
GÄSTE/JAHR VOR CORONA       völlig nackt. Unterschiedlichste Menschen
2.200                       finden hier zusammen und alle wissen, dass
                            sie hier sicher sind und sich ausleben kön-
INTERNATIONALE GÄSTE
                            nen, solange sie nicht die Privatsphäre ande-
30 %
                            rer stören.“ Diese praktizierte Weltoffenheit
STANDORT                    setzt ein wichtiges Zeichen in der bedeuten-
Nuweiba, Sinai-Halbinsel,   den ägyptischen-israelischen Grenzregion.
Ägypten
                            Seit seiner Jugend liebt Mohamed es, Partys
                            und kürzere Trips zu organisieren. Um
                            Menschen zusammenzubringen und Spaß
                            zu haben. Immer wieder organisiert er auch
                            Trips nach Sinai, lange jedoch nur als Hobby.
        Nuweiba             2015 wagt er schließlich den Sprung in die
                            Professionalität mit seinem eigenen Camp in
     ÄGYPTEN                Nuweiba. „Das sollte der Beginn von etwas
                            Größerem sein“, erinnert sich Mohamed. In
                            den ersten Monaten stehen Mohamed und
Seite 17

ACHTSAMKEIT – SCHLÜSSEL ZUR NACHHALTIGKEIT
Diese Achtsamkeit umfasst von Beginn wesent-             kommen. Mohammed: „Für die Beduinen-
liche Nachhaltigkeitskategorien. So zählt                    kinder haben wir auch schon Events mit
es zu den Kernanliegen des Camps,                                argentinischen Clowns veranstaltet.
das kulturelle Erbe der Beduinen –                                 Wir nutzen jede Gelegenheit, um
                                             „Wir nutzen
deren Heimat der Sinai seit Jahr-                                     der Gesellschaft etwas zurück-
hunderten ist – zu bewahren
                                          jede Gelegenheit,            zugeben.“ Ähnlich wichtig ist
und ihre Lebensweise beispiels-             um der lokalen             die ökologische Komponente.
weise über Video-Dokumen-                Gesellschaft etwas            Speisereste werden an die Tiere
tationen einer breiten Öffent-             zurückzugeben.“             der Beduinen verfüttert. Auf
lichkeit näher zu bringen.                                             Plastik wird gänzlich verzichtet.
                                          MOHAMED SERAGELDIN
Gleichzeitig bindet das Camp                   Mitgründer             Gewaschen    wird sich ausschließ-
Frauen des lokalen Stammes                                         lich mit biologisch abbaubarer
ein und bietet ihnen ein festes Ein-                             Seife.

ZEHNTAUSENDE FOLLOWER
Mit seinem innovativen Konzept steht das Camp           hen – auch im rund 500 Kilometer entfernten
für die Zukunft des ägyptischen Tourismus: nach-        Kairo.“ Fast alle seiner Gäste sind über die sozialen
haltiger und digitaler. Parallel zu der Eröffnung des   Medien auf Dayra aufmerksam geworden. Die
Camps 2015 startete Mohamed seinen Facebook-            Digitalisierungspläne gehen aber noch weit darü-
Kanal, später kam Instagram hinzu – mit inzwischen      ber hinaus: So soll Mitgliedern künftig ein Online-
43.000 beziehungsweise 20.000 Followern! „Das           Self-Check-In-System zur Verfügung stehen.
hilft uns enorm, Aufmerksamkeit auf uns zu zie-

AGILITÄT STÄRKT RESILIENZ
Natürlich sind die Gästezahlen durch die Corona-        Programmes kam gerade zur rechten Zeit. „Die
Pandemie auch im Dayra Camp massiv eingebro-            digitalen Lerninhalte und der regelmäßige Aus-
chen. Landesweit sind in der Branche schätzungs-        tausch mit meinem Mentor haben mir sehr gehol-
weise 900.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.          fen, den Aufbau des neuen Standorts zu struk­turie-
Allerdings: „Wir sind agil und klein. Deshalb kamen     ren – vom Marketing bis zur Personalgewinnung“,
wir gut durch die schwierige Zeit und mussten auch      so Mohammed. Die Möglichkeiten für den Umwelt-
niemanden entlassen“, sagt Mohamed.                     schutz sind dort zudem größer: Strom aus Wind-
                                                        energie, klimaschonende Kühlschränke, Gebäude
Nun stehen die Zeichen auf Wachstum. So werden
                                                        und Möbel aus nachwachsenden Materialien – das
Mohamed und seine Partner bald ein zweites Camp
                                                        Team zeigt, dass Nachhaltigkeit auch in Ägypten
in Sokhna eröffnen, rund eine Stunde außerhalb
                                                        längst „keine verrückte Idee mehr ist“, wie Moha-
von Kairo. Die Unterstützung des Tourism Recovery
                                                        med sagt.
Die Nubier sind sagenumwoben. Mehrere Tausend Jahre vor Christus
                         gründeten sie das erste Königreich in Afrika. Bis tief ins 20. Jahr-
                                             hundert pflegen sie eine eigene Sprache, eigene
                                                 Sitten und Gebräuche. Allerdings: Angetrieben
                             „Unsere ersten        von sozialer Mobilität, neuen Lebens- und
                             Gäste waren so
                                                     Arbeitsformen verblassen die kulturellen
                           zufrieden, dass sie
                        applaudiert haben – eine     Eigenheiten seit einigen Jahrzehnten. Die
                        unglaubliche Erfahrung.“     Familie von Mahmoud Atiya will dem etwas
                              MAHMOUD ATIYA          entgegen­setzen – siehe das 2015 gegrün-
                                 Gründer
                                                   dete „Nubian Eco Village“, eine Öko-Lodge in
                                                Assuan.

                                              NUBIEN
                                              MIT TOURISMUS
                                              EINE JAHRTAUSENDE
                                              ALTE KULTUR
                                              BEWAHREN
                         Mahmoud Atiya ist in Assuan geboren, er ist      treibt das Thema bereits sein halbes Leben
GRÜNDER*INNEN
                         Nubier. Das Bewusstsein um die einzigartige      um. 2010 hat er eine NGO gegründet, um die
Mahmoud Atiya
                         Kultur seiner Ethnie – und die Bedrohung         Sprache und Kultur vor dem Aussterben zu
Mohamed Beshir
                         derselben – sind in seiner Familie ausge-        bewahren.“
Adel Edris
                         prägt. Mahmoud: „Mein Onkel, Mohamed,
GRÜNDUNG
2015

MITARBEITENDE
10
                         NUBISCHE KULTUR – EIN WERTVOLLES GUT
                         Der Tourismus soll im Rahmen der NGO eine        Speisen, dem Kunsthandwerk oder der Klei-
GÄSTE/JAHR VOR CORONA
                         besondere Rolle einnehmen. Ausgerechnet.         dung. Statt sie zu vergessen, können sie
680
                         Mahmoud: „Unsere Region ist seit vielen          diese Fertigkeiten in neue Einkommens-
INTERNATIONALE GÄSTE     Jahren bei Reisenden beliebt. Das schafft        quellen verwandeln.“ Diese Perspektive
80 %                     Arbeit, trägt aber auch dazu bei, die kultu-     wiegt in einer Region, die eine Jugend-
                         rellen Eigenheiten zu verwässern.“ Das hat       arbeitslosigkeit von rund 40 Prozent ver-
STANDORT
                         strukturelle Gründe: Die Reiseanbieter seien     zeichnet, schwer. Mahmoud und seine
West Assuan, Ägypten
                         beispielsweise selten Nubier. Ihnen fehle laut   Familie bieten insbesondere Mädchen und
                         Mahmoud oftmals das tiefere Verständnis für      geschiedenen Frauen Fortbildungen, wie sie
                         die Kultur, und auch Nachhaltigkeitsaspekte      Gäste bewirten, Speisen und handwerkliche
                         kämen vielfach zu kurz.                          Arbeiten an Reisende verkaufen und somit
                                                                          das Familien­einkommen steigern können.
                         Mahmoud und seine Familie verfolgen mit
                                                                          Natürlich wird die Kultur auch im Eco Village
                         dem Nubian Eco Village einen gänzlich
                                                                          selbst gelebt. Gäste können traditionelle
                         anderen Ansatz. Mahmoud: „Im Kern zeigen
                                                                          Sand- und Aromatherapien genauso wahr-
   ÄGYPTEN               wir den Nubiern, dass ihre Kultur tausende
                                                                          nehmen wie Heilmassagen oder traditionell-
                         wertvolle Eigenarten hat. Sei es bei den
                                                                          nubische Hausmannskost.
     West Assuan
Seite 19

                                                                                   Mohamed Beshir
                                                                                   Gründer der NGO und
                                                                                   Onkel von Mahmoud

ÖKOLOGIE IM FOKUS
Parallel verfolgt Mahmoud auch                                      Radios wird verzichtet. Hinzu kommt
ökologische Ziele. Der Wasser-                                        der Anbau von Bio-Gemüse und
                                        „Onkel und Tanten,
verbrauch im Nubian Eco Village                                         -Früchten. Auch Möbel und
ist pro Gast gegenüber her-                Cousinen und                 Inneneinrichtungen sind aus
kömmlichen Hotelanlagen                 Schwiegermutter –                nachwachsenden und in der
etwa zwei Drittel niedriger. Der       sie alle machen mit.“             Umgebung vorkommenden
Stromverbrauch – es gibt keine             MAHMOUD ATIYA                Materialien hergestellt. Öko-
Klimaanlagen und statt Lampen                 Gründer                  logische Verträglichkeit ist hier
brennen Kerzen – liegt sogar bei                                      mehr als Strategie, es ist das
einem Zehntel. Auf Fernseher oder                                   kulturelle Erbe der Nubier.

KEINE ZERTIFIZIERUNG – UND DANN KAM CORONA
Ein überzeugendes Konzept. Allerdings spielt         turelle Problem ist nicht neu. Anders die Corona-
Nachhaltigkeit im Zertifizierungssystem der ägyp-    Pandemie: 2021 sank die Gästezahl um rund
tischen Hotelwirtschaft keine Rolle. Im Gegenteil:   95 Prozent. Anfang 2022 liegt das Einkommen bei
Fehlende Klimaanlagen bedeuten zum Beispiel          Null. Nur ein Drittel der Angestellten kann gehalten
ein Down­grade. Die Vermarktung über klassische      werden.
Reise­büros scheidet weitgehend aus. Dieses struk­

DIGITAL WEIST DEN WEG
Für Mahmoud und sein Team kommt die Unterstüt-       der finanziellen Unterstützung und dem Mentoring
zung durch das Tourism Recovery Programme zum        durch einen Mitarbeiter der TUI in Deutschland
richtigen Zeitpunkt. „Es ist in den ganzen Jahren    arbeiten sie nun an dem Rebranding: „Wir wollen
das erste Mal, das wir Hilfe bekommen.“ Mithilfe     unseren Zugang zum internationalen Markt ver-
                                                     bessern. Dafür müssen wir digitaler werden. Wir
                                                     müssen die Gäste über unsere eigenen Kanäle
                                                     direkt erreichen und zeigen, was wir bieten.“ Für
                                                     die internationalen Gäste, die vielfach Assuan und
                                                     Luxor besuchen und auf dem Nil des Nachts per
                                                     Kreuzfahrtschiff befördert werden, plant Mahmoud
                                                     nachhaltigere Angebote: „Wir wollen Segelkreuz-
                                                     fahrten anbieten. Die sind exklusiver, ruhiger und
                                                     lassen sich mit Yoga oder Meditation verbinden“,
                                                     schwärmt er. Und der CO₂-Fußabdruck wäre auch
                                                     niedriger. „Meine Traumvorstellung lautet, dass
                                                     wir am wenigsten Ressourcen in ganz Ägypten
                                                     verbrauchen.“
Der erste Gast von Raisa Ochola kommt aus Belgien. Er spricht
                                 weder Englisch noch Swahili, zweite Amtssprache des Landes. Ver-
                                                     ständigung ist möglich – aber nur mit Gestik und
                                                         Mimik. Ein Abenteuer für beide. Es gelingt
                                     „Es geht auch         Raisa, ihren Gast in die kenianische Kultur
                                   darum, Menschen
                                                            eintauchen zu lassen und fühlt sich be-
                                    ein ordentliches
                                     Einkommen zu            stätigt: „Urlaub ist mehr als ein Aufenthalt
                                     ermöglichen.“           im 5-Sterne-Hotel. Es geht darum, Gäste
                                      RAISA OCHOLA          Authentisches erleben zu lassen und dabei
                                         Gründerin
                                                           auch noch Sinnstiftendes zu unternehmen.”

                                                       THE AFRICAN
                                                       THRILLIST
                                                       KENIA
                                                       UNGESCHMINKT

uweiba

         GRÜNDERIN
                                 KENIA VERMARKTEN –
TEN
         Raisa Ochola            AUF UNKONVENTIONELLEM WEGE
         GRÜNDUNG                A day in the life of a local Kenyan – mit die-    stalten, und zwar im Einklang mit der lokalen
         2019                    sem Titel beginnt die gebürtige Kenianerin        Gemeinschaft.“ Ein Selbstläufer ist das nicht.
                                 2018 über eine Internetplattform ihre Touren      Für Frauen schon mal gar nicht. So muss sie
         MITARBEITENDE
                                 zu bewerben. So erreicht sie besonders            sich als Unternehmerin in der männerdomi-
         3
                                 internationale Gäste. Raisa: „Ich bin von hier.   nierten Umgebung Respekt erarbeiten, zum
         GÄSTE/JAHR VOR CORONA   Ich weiß über typisch-kenianischen Lifestyle      Beispiel bei den muslimischen Kapitänen,
         300                     in all seinen Facetten Bescheid. Diese Welt       die Reisende in klassischen Dhow-Booten
                                 möchte ich insbesondere meinen internatio-        über den indischen Ozean schippern. Heute
         INTERNATIONALE GÄSTE
                                 nalen Gästen zeigen. Von dem klassischen          arbeitet sie unter anderem mit einem halben
         70 %
                                 Kenia-Urlaub unterscheidet sich das ziem-         Dutzend Kapitänen zusammen.
         STANDORT                lich.“
         Nairobi und Kilifi,
                                 Das Konzept trägt und Raisa baut ihr Angebot
         Kenia
                                 aus. Sie bietet auch Bootstouren und Safaris
                                 an und gründet 2019 ihre eigene Reise-
                                 agentur – die Geburtsstunde von The African
                                 Thrillist. „Ich sah im Tourismus die Möglich-
                                 keit, das zu tun, was ich mag. Reisen zu ge-

                 KENIA

                    Nairobi

                 Kilifi
Seite 21

REALITÄT STATT FOLKLORE
Mit touristischer Folklore hat das nichts zu tun.    In Absprache mit den Project-Life-Africa-Partnern –
Raisa sieht die enormen Probleme, mit denen die      und sofern die Gäste dafür offen sind – unternimmt
Menschen alltäglich zu kämpfen haben. Die Situa-     Raisa Touren dorthin. „Da findet echte Interaktion
tion in den Slums. Noch heute zählt Kenia zu den     statt, wenn die Kinder und meine Gäste zum Bei-
50 ärmsten Ländern der Welt. Schon als Jugend-       spiel gemeinsam Fußballspielen, Singen oder sich
liche engagiert sie sich mit ihren Freundinnen       schlicht unterhalten“. Dabei zielt sie darauf ab,
ehrenamtlich. Das behält sie bei und startet                 Begegnungen möglichst auf Augenhöhe zu
das Project Life Africa, das Schulen,                             schaffen: „Slum-Safari geht gar nicht.
Kinderheime und Sportvereine weit                                    Wenn man Touren in schwierige
abseits der Touristenströme ge-                                        Gegenden unternimmt, muss man
zielt und dauerhaft unterstützt.        „Je mehr wir wachsen,           verantwortungsbewusst vorge-
                                       desto mehr Leben können           hen und im Vorfeld klären, ob
                                                                         es für die Menschen vor Ort
                                       wir positiv beeinflussen.“
                                                                         in Ordnung ist.“
                                              RAISA OCHOLA
                                                Gründerin

VERTRIEBSKANÄLE ÖFFNEN
Zur Begegnung auf Augenhöhe zählt auch, Fähig-         Spiel und unterstütze sie.“ Raisa schafft damit
keiten und Talente der Menschen vor Ort zu zeigen.     Arbeit und trägt zu einem bescheidenem Wohl-
So vertreibt Raisa an ihre Gäste seit Kurzem Hüte      stand bei: „Viele Kenianer leben in Armut, haben
und Schmuck, die von lokalen Künstlerinnen und         kaum Perspektiven. Ich möchte ihnen zeigen,
Kunsthandwerkern gefertigt werden. „Die Men-           dass es sich lohnt, eigene Ideen zu verfolgen und
schen sind sehr kreativ, ihnen fehlt es aber an        Chancen zu erkennen.“
Erfahrungen im Marketing. Hier komme ich ins

PIONIERIN AM INDISCHEN OZEAN
Erhebliche Hürden hat auch Raisa selbst zu über-       rund 30.000 Einwohnenden am indischen
winden. Allen voran die Auswirkungen der Corona-       Ozean, ein eigenes Büro aufbauen, um Touren
Pandemie. Die Gästezahlen brechen ein, unzählige       und Merchandise direkt verkaufen zu können.
Male will sie aufgeben. Raisa: „Das Tourism            „Ich will da auch die erste Wasser-Auffüllstation
Recovery Programme war für mich wie ein Segen.         Kilifis aufbauen. Gerade der Tourismus muss
Ich brauchte die finanzielle Unterstützung. Vor al-    endlich was gegen das Plastikproblem unter-
lem aber hat mir meine Mentorin Mut gemacht und        nehmen.“ Raisa wird auch dort eine Pionierin sein –
Wege für meine weitere Strategie aufgezeigt.“ Ihre     und nachhaltigen Tourismus mit Leben füllen.
Pläne? Im Juni will Raisa in Kilifi, einer Stadt mit
UNESCO-Welterbe, Heimat der Big Five – wer an Kenia denkt, hat
                                    die Savanne Serengeti schnell vor Augen. Vielleicht auch noch die
                                                       Strände am Indischen Ozean. Die Bergwelt mit
                                                             Gipfeln auf bis zu 5.000 Metern Höhe ist hin-
                                         „Der Corona-          gegen weitgehend unentdeckt, auch von
                                     Lockdown war hart.
                                                                den Kenianern selbst. Gitonga Wandai will
                                  Ich habe die Zeit genutzt,
                                        um Angebots-             das ändern – und ermöglicht mit seinen
                                 verbesserungen zu planen.“      Bergtouren zugleich eine besondere
                                        GITONGA WANDAI          Verbindung zwischen den Gästen und
                                            Gründer
                                                               der lokalen Gemeinde.

                                                        HIKEMANIAK
                                                        KENIA IST SOVIEL
                                                        MEHR ALS SAFARI

uweiba
                                  Gitonga Wandai wächst in einer ländlichen        „Es klingt komisch, aber auf dem Gipfel
TEN      GRÜNDER
                                  Region Kenias auf, seine Zeit verbringt er am    dachte ich mir: ,Mach was eigenes! Hilf
         Gitonga Wandai
                                  liebsten in der Natur. Zum Studium zieht er in   Menschen, die auch im Alltag feststecken,
         GRÜNDUNG                 die Stadt. In anschließenden Jobs dominiert      neue Orte zu erkunden – am besten durch
         2016                     die Büroarbeit, Unzufriedenheit macht sich       Wandertouren‘ “, so Gitonga. Für den kenia-
                                  breit. Im Oktober 2015 unternimmt er eine        nischen Tourismus, der sich weitestgehend
         MITARBEITENDE
                                  Wanderung in der kenianisch-ugandischen          auf Safaris und Strandurlaube konzentriert,
         3
                                  Grenzregion. Für die Wanderung werden            eine ungewöhnliche Idee und ein ambitio-
         GÄSTE/JAHR VOR CORONA    gewöhnlich vier Tage veranschlagt. Gitonga       nierter Traum. „Wandern war zu dieser Zeit
         1.942                    geht allein und halbiert die Zeit. Als er den    weder bekannt noch beliebt unter Kenianern.
                                  Gipfel in 4.200 Meter Höhe erreicht, schreibt    Das hat auch damit zu tun, dass Outdoor-
         INTERNATIONALE GÄSTE
                                  er „hike maniac“ in sein Notizbuch. Wenige       Aktivitäten lange Zeit ausschließlich inter­
         10 %
                                  Monate danach gründet er sein gleich-            nationalen Gästen vorbehalten waren.“
         STANDORT                 namiges Unternehmen.
         Ikigai, Lavington,
         Nairobi, Kenia

                                  INTERAKTION DER BESONDEREN ART
                                  Gitonga will das ändern. Zunächst bietet er      Gesamteinnahmen in den lokalen Gemein-
                                  geführte Wanderungen alle zwei Wochen an,        schaften. Für längere Touren, etwa vier- bis
                                  dann wöchentlich. Für Tageswanderungen           fünftägige Expeditionen zum Mount Kenya,
                                  gewinnt er lokale Guides, die damit das Ein-     engagiert Gitonga zusätzlich einen Koch und
                                  kommen ihrer Familien steigern. Am Ende          einen Träger. Egal ob für einen oder mehrere
                                  der Wanderung bereiten die lokalen Commu-        Tage: Neben den Natureindrücken leben
                 KENIA
                                  nities das Essen zu, bieten Tee an und kön-      die Touren aus Sicht Gitongas von der Inter-
                                  nen mitunter Handwerkskunst vertreiben.          aktion. „Die schönsten Momente sind die, in
                   Nairobi
                                  Dadurch verbleiben 10 bis 15 Prozent der         denen Reisende und Einheimische am Ende
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