Weitere Anmerkungen zu PISA, zu PISA-Reaktionen und Reaktionen auf PISA-Reaktionen

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Weitere Anmerkungen zu PISA,
zu PISA-Reaktionen und
Reaktionen auf PISA-Reaktionen
     Peter Bender

1    Warum kennt kaum jemand das Buch „Der PISA        durch den Pisa-Komplex doch nicht. Mit vielen
     Schwindel“ von Josef Kraus?                       Millionen Euro (ob über die OECD oder direkt, je-
                                                       denfalls aus Steuermitteln) im Hintergrund und
Schon wieder war mir eine wichtige Veröffent-          einer professionellen Pressearbeit hat man die
lichung im Umfeld des Pisa-Komplexes durch-            dpa (die ja dann die immer wieder als Sensatio-
gegangen! Vor zwei Jahren hatte ich nur durch          nen aufgemachten Meldungen an die deutschen
Zufall (vom Bielefelder Mathematiker Ringel auf        Medien verteilt), die „Zeit“ und andere für sich
Umwegen) erfahren, dass TIMSS im Vierjahres-           eingenommen. Auch so mancher renommierte
rhythmus passend zu den Alterskohorten (4., 8.         Buchverlag ist mehr an Pisa-originalen und Pisa-
und 12. Schj.) bis heute fortgeführt wird, – gerade    freundlichen Büchern mit großer Auflage als an
noch rechtzeitig, damit ich im Pisa-Kritik-Buch        Pisa-kritischen Büchern interessiert. Entsprechend
auf die teilweise Inkompatibilität der Ergebnisse      spärlich (an Zahl, Umfang und Informationsge-
von Pisa mit denen von TIMSS eingehen konnte.          halt) fallen Rezensionen von letzteren aus, und
Nun wies mich Karlhorst Meyer im April 2007 auf        so erfährt man fast zwei Jahre lang nichts vom
einige Stellungnahmen von solchen Lehrerverbän-        „Pisa-Schwindel“.
den hin, die etwas anders als die GEW orientiert       Es gibt eine zweite Ursache für diese fatale gegen-
sind. Mit diesen Verbänden nahm ich Kontakt auf,       seitige Ignoranz innerhalb der Pisa-Kritik:
und, siehe da!, seit 2005 existiert bereits das Buch
„Der PISA Schwindel“ (Signum-Verlag Wien) des
sprachmächtigen Präsidenten des Deutschen Leh-         2    Wieso sind „die“ „Progressiven“ für Pisa und „die“
rerverbands Josef Kraus mit einer gründlichen               „Konservativen“ dagegen?
und fundierten Kritik des Pisa-Komplexes. Von
diesem Buch wussten meine Entourage und ich            Bei meiner Auseinandersetzung mit Pisa hatte
bis dahin nichts, und Kraus wusste von unserem         ich 2003 mit Iglu und genuin mathematikdidak-
Buch nichts. Diese meine Ignoranz hat mir zu           tischen Themen angefangen, bin nun aber mitten
denken gegeben:                                        in einer bildungspolitischen Auseinandersetzung
Die Informations- und Meinungsmacht, die der           gelandet. Um es auf den Punkt zu bringen: Es
Pisa-Komplex zu bestimmten Bildungsthemen              geht um die Einführung der Einheitsschule in
in den deutschen Medien einseitig ausübt, ist ja       Deutschland. Ich kenne keine empirische Unter-
noch ausgeprägter als bisher schon angenom-            suchung, die die Überlegenheit der Einheitsschule
men. Ein wirklich souveränes Unternehmen mit           (etwa bis zum 10. Schuljahr) gegenüber einem ge-
wissenschaftlichem Anspruch würde sich der             gliederten Schulsystem (etwa ab dem 5. Schuljahr)
Kritik öffentlich stellen; es würde Tagungen da-       aufzeigen würde. Ein solcher Nachweis ist auch
zu veranstalten, und es würde für Berichte dar-        gar nicht zu führen: Man müsste da zwei oder
über sorgen oder solche zumindest nicht behin-         mehrere Schulsysteme unter sonst gleichen Be-
dern. Wenn man allerdings die dünnhäutigen             dingungen jahrzehntelang auf ihren Erfolg (und
Reaktionen einiger Pisa-Protagonistinnen und           ihren Aufwand!) hin vergleichen. Schon bei der
-Protagonisten auf den von Wuttke geäußerten           Definition von „Erfolg“ käme man in die Bre-
Verdacht eines Programmierfehlers (mit dem er          douille: viele Pisa-Punkte, niedrige Pisa-Punkte-
anscheinend den Pisa-Nerv getroffen hatte) und         Varianz, hohe Bildung (was auch immer das sein
das anschließende eiserne Schweigen zu sämtli-         soll), friedliche Menschen, erfolgreiche Volkswirt-
chen weiteren Kritikpunkten erlebt hat, erwartet       schaft, usw.? Die Messung des Erfolgs (wenn man
man einen solchen souveränen Umgang mit Kritik         ihn nicht allzu primitiv, z. B. in Form von Pisa-

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Punkten, versteht) ist praktisch unmöglich, die       erwartet, uns in dem o. a. „linken“, „progressi-
Herstellung eines passenden statistischen Szena-      ven“ Lager wiederzufinden, was auch i. W. unserer
rios, etwa: gleiche Bedingungen, ist sogar theore-    persönlichen Verortung entsprochen hätte, und
tisch unmöglich.                                      wir waren höchst konsterniert, dass wir genau
Insbesondere ist also Pisa kein geeignetes Instru-    aus diesem Lager angefeindet wurden, während
ment zur Erforschung des Merkmals „Gegliedert-        z. B. von der FAZ und ihrer Heike Schmoll äußerst
heit von Schulsystemen“. Wenn man aber aus Pisa       vernünftige Töne zu hören waren. (Die „konserva-
etwas zu dieser Frage herauslesen möchte, dann        tiven“ Lehrerverbände hatten wir, wie gesagt, gar
international: eine leichte Überlegenheit der ge-     nicht im Blick.)
gliederten Schulsysteme, denn die wenigen Län-        Wie lässt sich diese völlige Verkehrung der bei-
der mit einem solchen befinden sich beim Län-          den Lager erklären? – Leider ist es auch und ge-
derranking alle in der oberen Hälfte, mit Deutsch-    rade in der Wissenschaft üblich geworden, dass
land als Schlusslicht etwa in der Mitte; und inner-   man, wenn man in der (medialen und politischen)
halb Deutschlands: eine deutliche Überlegenheit       Öffentlichkeit wahrgenommen werden möchte,
der Bundesländer mit einer klaren Betonung der        seine Botschaft tunlichst als Sensationsmeldung,
Gegliedertheit (allen voran Bayern, das sich auf      am besten als Schreckensszenario, aufmacht. Da
Augenhöhe mit Finnland befindet), verbunden            geht es vielleicht durchaus um ernst gemeinte
mit einem desaströsen Abschneiden der Gesamt-         Warnungen, aber eben auch um persönliche oder
schule bei Pisa 2000 und Verzicht auf eine separa-    institutionelle Eitelkeiten, Einwerbung von För-
te Auswertung dieser Schulform bei Pisa 2003. –       dergeldern usw. So hat jedes teilnehmende Land
Um erneutes verfälschendes Zitieren zu erschwe-       (auch Finnland mit seinen deutlichen Leistungs-
ren (leider hat Marianne Demmer von der GEW           unterschieden zwischen den Geschlechtern) von
ihre sinnentstellende Wiedergabe einiger Textstel-    Pisa seine scharfe Kritik einstecken müssen. Na-
len von mir im Oktober 2006 trotz meiner Auffor-      turgemäß macht das Pisa den jeweils „Systemkri-
derung immer noch nicht korrigiert), möchte ich       tischen“ sympathisch und freuen sich weniger die
an dieser Stelle wieder einmal betonen: Für dieses    „Konservativen“.
desaströse Abschneiden gibt es gute Gründe, die       Trotz der hohen Kosten bis 2018, des erwartbar
nicht in dieser Schulform als solcher liegen. Aber    geringen Erkenntnisgewinns bei den viel zu kurz-
es ist doch dann pervers, sich zum Zwecke einer       taktigen Wiederholungen bis dahin und der Ten-
Fürsprache für die Einheitsschule ausgerechnet        denz zur Reduktion von Bildung auf Messbarkeit
auf Pisa zu stützen!                                  (ob gewollt oder nicht) – gelang es dem Pisa-
Und so hätte ich erwartet, im Anti-Pisa-Lager al-     Komplex, bei den „Progressiven“ zwei Saiten zum
les zu finden, was „links“, „progressiv“ und für       Klingen zu bringen: Es wurde deren etwas aus-
die Einheitsschule ist, also die GEW, die Grünen,     geprägterer Hang zum positivistischen Denken
die „Zeit“, die Frankfurter Rundschau sowie weite     befriedigt („endlich einmal wurde nachgewiesen,
Teile der universitären Pädagogik; und im Pro-        dass . . . “), und es wurden deren soziale Neigun-
Pisa-Lager alles, was „rechts“, „konservativ“ und     gen bedient („nirgends ist der Zusammenhang
für das traditionelle deutsche Schulsystem ist, al-   zwischen Mathematikkompetenz und Sozialstatus
so die Realschul- und Gymnasiallehrerverbände         so hoch wie in Deutschland“).
und die FAZ. Bei der GEW hat diese Einschätzung       Wie dieser Zusammenhang „gemessen“ wird, ist
sogar partiell gestimmt: Ehe Pisa startete, hätte     allerdings eine dubiose Angelegenheit. In meinen
man die Beteiligung Deutschlands ganz gern ver-       Vorträgen habe ich mich schon immer darüber
hindert; man hat auch später noch gefordert, dass     mokiert, dass ein Indikator für die Bildung der
zumindest die innerdeutschen Vergleiche unter-        Eltern die Anzahl der zuhause vorhandenen Bü-
bleiben sollten; und daran, dass bei Pisa 2000 in     cher ist. Aber das Amüsement verfliegt, wenn
Hamburg und Berlin die Teilnahmequote zu ge-          man sich den ESCS-Index (index of economic,
ring ausfiel, war die GEW nicht ganz unbeteiligt.      social and cultural status) einmal etwas genauer
Aber zumindest deren bildungspolitische Spre-         anschaut. Er beinhaltet u. a. eine Zuordnung von
cherin Marianne Demmer hat sich inzwischen de-        Berufen zu Sozialprestigekennwerten, die auf eine
zidiert auf die Seite von Pisa geschlagen; denn bei   Liste (im Folgenden nur auszugsweise wiederge-
allen Vorbehalten, die sie nach wie vor hat, meint    geben) zurückgeht, die sich ihrerseits auf eine
sie erklärtermaßen, Honig für die Einheitsschule      Zusammenstellung der Weltarbeitsorganisation
aus Pisa saugen zu können.                            von 1968 stützt und mit einer aktuellen deutschen
Jedenfalls hatten ich und mit mir die meisten der     Berufsprestigeskala eine Korrelation von etwa Null
Autorinnen und Autoren des Pisa-Kritik-Buchs          hat (alles von Wuttke ausgegraben).

GDM-Mitteilungen 83 · 2007                                                                            23
90   Judge                                                  Die Angaben, die die Jugendlichen nach der Be-
88   Hospital Physician                                     arbeitung der Testaufgaben über ihren persön-
85   Lawyer                                                 lichen, kulturellen und sozialen Hintergrund
84   Veterinarian
                                                            gemacht haben, sind doch arg willkürlich und
83   Armed Forces Officer
82   Patent Lawyer
                                                            unkontrolliert. Das Ganze erinnert stark an den
81   Ambassador                                             Wahlmodus beim „European Song Contest“ oder
79   Physicist                                              an ein CHE-Hochschulranking. Nachdem französi-
78   University Professor                                   sche Regierungsstellen diese Unsicherheit moniert
73   Chemist, Member of Parliament                          hatten, wurde im Bericht auf sie hingewiesen,
72   Political Scientist, Social Scientist, Psychologist,   aber nur „in the case of France“, als ob sie ledig-
     Large City Head                                        lich dort bestünde!
71   Statistician, Aircraft Pilot, High School Teacher,     Mit so einem weichen Wert wird dann harte Kor-
     Middle School Teacher                                  relationsrechnung getrieben und eine Rangfolge
69   Head of Large Firm, General Manager, Banker,           aufgestellt. Die Unschärfe ist dabei aber so groß,
     Elementary School Teacher
                                                            dass bei den verschiedenen Tests (Mathematik mit
65   Kindergarten Teacher, Teacher for the Blind
64   Large Shop Owner, Stock Broker, Computer
                                                            seinen Teilgebieten, Lesen, Naturwissenschaft,
     Programmer, Dancer                                     Problemlösen; verschiedene Jahre) im Prinzip viele
61   Real Estate Agent, Astrologer                          Länder auch einmal auf dem letzten Platz landen
60   Sales Promotor, Department Head Provincial             können, ohne dass sie sich signifikant von der
     Government                                             breiten Mehrheit aller Länder unterscheiden wür-
58   Orthopedic Technician, Secretary, Soldier,             den. Auch Deutschland trug hin und wieder die
     Embalmer                                               rote Laterne, und mit diesem Umstand werden
56   Railway Station Master                                 nun gewaltige bildungspolitische Forderungen
55   Priest, Missionary, Faith Healer                       begründet, nämlich letztlich der Umbau des deut-
54   Singer, Composer, Conductor, Clown                     schen Schulsystems zur Einheitsschule.
53   Tax Collector
                                                            Weil inzwischen vielleicht noch nicht dem Letz-
52   Automobile Dealer
51   Dentist’s Receptionist
                                                            ten, aber doch Vielen klar geworden ist, dass de-
49   Large Farmer, Restaurant Owner                         ren Überlegenheit nicht aus Pisa gefolgert wer-
48   Coffeeshop Operator, Air Traffic Controller             den kann, wird die Forderung nach ihr nur noch
46   Cinema Projectionist                                   mittelbar auf Pisa gestützt, eben mit der gerade
45   Meter Reader, Proofreader, Xerox Machine Operator      beschriebenen Argumentation. Ob diese inhalt-
44   Aircraft Engine Mechanic, Airline Stewardess,          lich schlüssig ist, sei jetzt dahingestellt. Jeden-
     Croupier                                               falls ist bei den deutschen Pisa-Berichten trotz
42   Head Nurse                                             aller reklamierten Objektivität immer wieder ei-
41   Fashion Model                                          ne Sympathie für die Gesamtschule direkt oder
39   Demolition Worker, Quality Inspector, Uncertified       indirekt spürbar. Vielleicht weniger die Fachdi-
     Nurse, Nurse Trainee
                                                            daktikerinnen und Fachdidaktiker und eher die
37   Elevator Operator, Shoe Shiner, Tobacco Factory
     Worker
                                                            beteiligten allgemeinen Pädagoginnen und Päd-
36   Noodle Maker                                           agogen, darunter deren langjähriger Präzeptor
35   Money Lender, Street Vendor, Telephone Solicitor,      Jürgen Baumert, konnten anscheinend nicht über
     Museum Guard                                           ihren Schatten springen. Das ging schon los mit
34   Power-Reactor Operator                                 dem Eiertanz um die Geheimhaltung der Ergeb-
33   Brewer, Wine Maker, Ice-Cream Maker, Taxi Driver       nisse der Bundesländer bei TIMSS, und bei Pisa
32   Wine Waiter, Tree Surgeon, Oyster-Farm Worker,         konnte ich es an vielen Stellen aufzeigen, u. a.
     Trapper, Hunter, Whaler                                wenn es dort darum ging, die Erfolge von Bayern
31   Auto Repairman                                         klein zu reden oder die Auswirkung der Migra-
30   Paving Machine Operator, Master Cook                   tionsquote auf die o. a. Korrelationsrechnung zu
29   Pig Farmer, Mushroom Grower, Musical Instrument
                                                            bagatellisieren, usw.
     Maker
28   Road Construction Worker, Soda Fountain Clerk
                                                            Dazu kommt die Dauerkampagne des (zufällig
24   Clothes Washer, Chambermaid, Domestic Servant,         deutschen) Pisa-Koordinators der OECD Andre-
     Companion                                              as Schleicher gegen das deutsche dreigliedrige
20   Animal-Drawn Vehicle Driver, Poultry Farm Worker       Schulsystem. Schleicher wird immer wieder als
18   Small Farmer                                           Experte für Bildung und Wirtschaft zitiert, und
10   Cook’s Helper, Apiary Worker, Picker, Gatherer         mit der geldschweren OECD im Rücken war es
                                                            ihm ein Leichtes, in den deutschen Medien bis

24                                                                                         GDM-Mitteilungen 83 · 2007
auf wenige Ausnahmen die Meinungsherrschaft            Artikel aus der 1. Auflage bis auf Kleinigkeiten
zu erringen. Trotz seines OECD-Hintergrunds            unverändert übernommen. Lediglich Wuttke hat
lieben ihn jedenfalls „die“ „Progressiven“ wegen       seinen Beitrag deutlich überarbeitet und dabei
seines Einsatzes für die Einheitsschule. Mir dage-     weitere erhebliche Unzulänglichkeiten aus dem
gen ist weder klar, worauf sich sein Expertentum       Pisa-Komplex zutage gefördert.
für Bildung und Wirtschaft, noch, worauf er sei-       Vieles davon hatte man ja geahnt; aber man hat-
ne Abneigung gegen das deutsche Schulsystem            te nicht genug Erfahrung mit der Filosofie und
gründet; Pisa kann es jedenfalls nicht sein. Am        der Praxis der verwendeten psychometrischen Sta-
15.09.2004 stellte Heike Schmoll denn auch in der      tistik; die wesentlichen Gedanken sind in vielen
FAZ fest: „Auf eine wertungsfreie Analyse der          Publikationen, und innerhalb dieser in unzusam-
vorhandenen Daten mit Ursachenforschung läßt           menhängenden Teilen, verstreut, versteckt bzw.
Schleicher die deutsche Bildungspolitik vergeblich     nicht dargelegt; die Präsentationen sind häufig
warten.“ Dieser Vorwurf besteht heute – fast drei      (bestimmt nicht mit Absicht, sondern aus didak-
Jahre und viele Interviews, Berichte usw. später –     tischer Unfähigkeit bzw. – oft davon herrührend –
noch in vollem Umfang. Ich habe in den letzten         aus didaktischem Desinteresse) schwer verständ-
GDM-Mitteilungen (Nr. 82) ja einige von Schlei-        lich; und man war ja selbst dieser Suggerierung
chers hanebüchenen Argumenten aufgespießt.             von prinzipieller Genauigkeit und Methodensau-
Seine verbissene Kampagne ist zutiefst unwissen-       berkeit unterlegen.
schaftlich und demagogisch.                            Dies alles hat Wuttke (wohl in einer „jetzt-erst-
Die Verbissenheit erklärt sich womöglich aus ei-       recht“-Stimmung) aufgearbeitet sowie luzide und
nem biografischen Detail, das ich nur deswegen          mit einem gewissen Sarkasmus dargestellt. Es ist
zu erwähnen mir erlaube, weil Schleicher immer         ein Genuss, diesen Beitrag zu lesen (wenn man
wieder selbst damit renommiert. Am Ende des            nicht gerade Pisa-Anhängerin oder -Anhänger ist),
4. Schuljahrs wurde er nämlich als „ungeeignet         und man langweilt sich trotz des großen Umfangs
für das Gymnasium“ eingestuft, und nachdem             keine Sekunde lang. Schade, dass Wuttke kein
ihn seine Eltern trotzdem zur „höheren“ Schu-          Mitglied der mathematikdidaktischen Kommuni-
le schickten, schloss er diese mit einem Einser-       tät i. e. S. ist; er wäre eine Zierde für uns.
Abitur ab. – Andreas Schleicher ist der beste          Die Grafik auf der folgenden Seite, ebenfalls von
Beleg für die Durchlässigkeit des deutschen Bil-       ihm stammend, zeigt auf einen Blick, was bei Pisa
dungssystems: Ohne Gymnasiumsempfehlung und            so alles im Argen liegt:
ohne Promotion ist er Professor geworden (Hono-        Das sind jetzt nur die Schwachstellen, wie sie
rarprofessor in Heidelberg).                           sich aus den Pisa-Berichten selbst ergeben bzw.
Eigentlich müssten alle im Bildungssystem Tä-          wie sie bis jetzt publik geworden sind. Man lernt
tigen trotz gewisser Errungenschaften von Pisa         ja zunehmend Pisa-kritische Menschen aus an-
erhebliche Vorbehalte gegen dessen Vermessungs-        deren Ländern kennen und erfährt so von man-
wahn haben – und haben sie oft auch. Viele „Pro-       cherlei weiteren lokalen Ungereimtheiten. Inzwi-
gressive“ stellen sie aber zugunsten ihrer politi-     schen ist ein Buch geplant, in dem die Pisa-Kritik
schen Überzeugungen zurück. Viele „Konservati-         international gebündelt wird. Nach meiner Ein-
ve“ pflegen sie, und ich als Alt-68er teile sie voll.   schätzung wird selbst dieses nur die Spitze eines
                                                       Eisbergs an Pisa-Unzulänglichkeiten darstellen
                                                       können, wobei der ganze Eisberg wohl auf im-
3      Warum kriegen wir für einige Stellungnahmen     mer verborgen bleiben wird. Man braucht sich
       aus dem Pisa-Lager keine Abdruckgenehmigung     doch nur einmal die test-kritische Literatur aus
       für die 2. Auflage des Pisa-Kritik-Buchs?        den USA anzuschauen, die sich derzeit mit dem
                                                       „No Child Left Behind“-Programm der Bush-
Wie es sich für eine (nicht nur) wissenschaftli-       Regierung befasst. In den Rund-Mails von Jerry
che Auseinandersetzung gehört, hat Wuttke den          Becker werden wir ja auf dem Laufenden gehal-
Fehler, der ihm bei seinem Programmierfehler-          ten. Die negativen Auswirkungen bestehen zum
Vorwurf unterlaufen ist, direkt eingeräumt (s.         einen aus gewissen pädagogisch nachteiligen und
meine Glosse in den letzten GDM-Mitteilungen),         test-konterkarierenden Automatismen (Selekti-
und wird dieser Fehler in einer bevorstehenden         on der Lern-Inhalte, Teaching to the Test usw.)
2. Auflage unseres Pisa-Kritik Buchs ausgemerzt:       und zum anderen aus aktiven Verfälschungen auf
Thomas Jahnke und Wolfram Meyerhöfer (2007):           Schul-, Distrikt- und Staats-Ebene. Da braucht
PISA & Co – Kritik eines Programms. 2. Auflage.        mir niemand zu erzählen, dass das bei Pisa welt-
Hildesheim u. a.: Franzbecker. Dort werden die         weit anders sei.

GDM-Mitteilungen 83 · 2007                                                                            25
Man muss einräumen, dass die (TIMSS- und)            die 2. Auflage unseres Pisa-Kritik-Buches sind,
Pisa-Leute früher schon vereinzelt auf Kritikpunk-   sondern wir wollten auch den Pisa-Komplex selbst
te eingegangen sind. Offenbar waren sie dabei        zu Wort kommen lassen und baten daher ver-
aber in ihrem Pisa-Denken befangen und hatten        schiedene Protagonisten um Genehmigung zum
das Wesen der jeweiligen Kritik wiederholt nicht     Abdruck ihrer damaligen Stellungnahmen, die sie
richtig aufgenommen, so dass sie immer wieder        im Internet platziert, manchmal auch nur brief-
dazu kamen, den Kritikerinnen und Kritikern feh-     lich geäußert hatten und die in der Presse, teils
lendes Verständnis zu unterstellen und sie dann      wortwörtlich, auch als Grundlage für die diffa-
persönlich herunterzumachen. Lediglich als Pren-     mierenden Vorwürfe gegen Wuttke gedient hat-
zel und Walter es im November 2006 unternah-         ten. Da holten wir uns eine Abfuhr nach der an-
men, die von Wuttke nachgewiesene Inkonsistenz       deren. Man war schon froh, wenn die Genehmi-
in der „amtlichen“ Beschreibung des Skalierungs-     gung lediglich kurz und bündig verweigert wurde.
verfahrens zu beheben (und übrigens selbst noch      Sich auf dem hohen Ross wähnend, reagierten auf
eine arg daneben liegende Kurve erzeugten, die       unser Ansinnen ansonsten der eine wie eine belei-
Sache also keineswegs korrekt darstellten), hat-     digte Leberwurst, der andere wie ein von seinen
te man den Eindruck, dass hier endlich einmal        Schülerinnen und Schülern enttäuschter Pädagoge
wirklich auf den Gehalt einer Kritik eingegangen     und ein dritter wie ein Arachnophobiker, voller
wurde. Allerdings ging es auch da nicht ohne bla-    Ekel, Angst und Unsicherheit, transformiert in
sierte Abkanzelei ab.                                Aggression. – Menschlich verständlich, von der
Redlicherweise wollten wir nicht nur unsere Sicht    Sache her unangemessen.
jener Ereignisse darstellen, die ja der Anlass für   Warum machen wir mit unserer Kritik weiter?

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Dazu ein Blick in die nahe Zukunft: Anfang De-             mächtig ist, die Leviten lesen“ ohne weiteren
zember 2007 wird Manfred Prenzel wieder eine               Kommentar präsentierte. Zunächst lehnte ich die-
Pressekonferenz einberufen und die Ergebnis-               sen Teil der Kritik an der Instrumentalisierung
se von Pisa 2006 vorstellen. Er wird eine leichte          der Muñoz-Visite als nicht einschlägig ab. Aber
Verbesserung gegenüber Pisa 2003 konstatieren              dann überlegte ich mir, dass Muñoz’ fehlende
und diesen „Erfolg“ für Pisa reklamieren. Aber             deutsche Sprachkenntnisse tatsächlich eine echte
es werden auch dramatische, erschreckende, be-             Beeinträchtigung seiner Arbeit bedeuten. Er ist ja
stürzende . . . (setzen Sie selbst weitere Vokabeln ein)   noch weniger Bildungsexperte als etwa Schleicher,
Befunde zu vermelden sein. Die dpa wird die Ka-            ist in der Sache schon darauf angewiesen, was
tastrophennachrichten im O-Ton „Pisa“ an die               seine Gesprächspartnerinnen und -partner ihm
Medien weiterleiten, die „Zeit“ wird Pisa auf eini-        jeweils vermitteln, und kann sich kaum ein eige-
gen Sonderseiten huldigen, und die nächste Pisa-           nes Urteil bilden. Dieser Mangel wird durch das
Welle wird über das Land rollen. Mittels einer als         Fehlen der Sprachkenntnisse natürlich verschärft.
Indiskretion ausgegebene Vorabveröffentlichung             Einer der Hauptvorwürfe gegen diese ganze Akti-
einiger Ergebnisse Ende Oktober wird der Umfang            on lautet ja, dass Muñoz sich zu wenig selbst ein
der Medienaufmerksamkeit optimiert werden. Da-             Bild von der deutschen Schule, insbesondere auch
nach wird die OECD in Vierteljahresabständen               in den südlichen Bundesländern, gemacht hat.
über „Sonderauswertungen“ berichten, negative              Statt eines geplanten eigenen Kommentars ist im
Auswirkungen des dreigliedrigen Schulsystems               Folgenden mit freundlicher Genehmigung von
auf die deutsche Wirtschaft mit Pisa „belegen“             „Profil“, der Zeitschrift des Deutschen Philolo-
und, überhaupt, viele Schleicher-Interviews streu-         genverbandes, ein Leitartikel von dessen Bundes-
en. – Vielleicht werden diese und die nächsten             vorsitzenden Heinz-Peter Meidinger (Profil, April
Pisa-Olympiaden (= Dreijahreszeitraum zwischen             2007, S. 3) abgedruckt.
zwei Veröffentlichungsterminen, also von Dezem-
ber 2001 bis Dezember 2004 usw.) auch ein wenig                 Deutschland, ein Fall für ein
anders verlaufen. Aber eine kritische Begleitung                Menschenrechtstribunal?
des ganzen Pisa-Komplexes ist jedenfalls nach wie               Der Sonderberichterstatter des UN-Menschen-
vor dringend erforderlich.                                      rechtsrats für Bildungsfragen, Vernor Muñoz
                                                                Villalobos, Juraprofessor aus Costa Rica, war
                                                                neun Tage in Deutschland zu Besuch und hat
4      Welchen Beitrag kann der Jura-Professor Vernor           den deutschen Schulen kein gutes Zeugnis
       Muñoz aus Costa Rica zur deutschen Schuldebatte          ausgestellt. Sein Rat, die relativ frühe Dif-
       leisten?                                                 ferenzierung der Schularten zu überden-
                                                                ken, beherrschte einige Tage die Schlagzei-
Bereits während der Inspektionsreise des UN-Men-                len der Medien. Dabei brachte Herr Muñoz
schenrechtskommissions-Sonderberichterstatters                  das Kunststück fertig, einerseits zu fordern,
Vernor Muñoz aus Costa Rica in Deutschland im                   Deutschland möge die sozialen Wirkungen
Februar 2006 hatte die dpa das Ergebnis dieser                  seines gegliederten Schulsystems genauer
„Untersuchung“ als vernichtende Kritik am deutschen             wissenschaftlich untersuchen lassen, und an-
Schulsystem in den Medien verbreitet. Im März                   dererseits bereits im gleichen Atemzug das
2007 erstattete Muñoz dem UN-Menschenrat in                     (von ihm unterstellte) Ergebnis schon vor-
Genf offiziell Bericht, – die dpa nahm dies zum                  wegzunehmen: Deutschlands Schulsystem sei
Anlass, dasselbe Ergebnis erneut als vernichtende               sozial diskriminierend.
Kritik am deutschen Schulsystem durch die Medien                Dabei hätte ein Blick in die OECD-Studien
zu jagen. Dies war das dritte Mal; denn wie üblich              genügt, um zu zeigen, dass alle die Länder,
hatte es schon vier Wochen zuvor eine als Indis-                die nach OECD-Kriterien einen noch engeren
kretion getarnte Vorabmeldung der dpa über die                  Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft
vernichtende Kritik am deutschen Schulsystem gege-              und Bildungserfolg aufweisen als Deutsch-
ben.                                                            land, wie etwa Ungarn und die Slowakei, inte-
Heike Schmoll in der FAZ am 22. 3. 2007 hatte                   grierte und nicht differenzierte Schulsysteme
als eine der wenigen in angemessener Gelassen-                  haben, übrigens auch die fünf Länder, die bei
heit reagiert. Auf ihren Artikel wurde ich durch                PISA 2003 leistungsmäßig die Schlusslichter
Harald Schmidt aufmerksam, der in seiner Late                   bilden.
Night Show den Passus „lässt sich von einem Pro-                Der Menschenrechtsrat, der Herrn Muñoz be-
fessor aus Costa Rica, der kaum des Deutschen                   auftragt hat, ist das Nachfolgeorgan der UN-

GDM-Mitteilungen 83 · 2007                                                                                 27
Menschenrechtskommission, die 2006 auf-               der Korruption von Lehrern und Schulleitern
     gelöst wurde, weil darin jahrzehntelang die           Vorschub geleistet werde, oder wenn er das
     Länder mit den offenkundigsten Menschen-              Homeschooling, also die Beschulung von Kin-
     rechtsverletzungen sich erfolgreich gegensei-         dern zuhause durch ihre Eltern, empfahl, was
     tig vor Untersuchungen schützten. Im neu-             in Deutschland vor allem bestimmte Sekten
     en Menschenrechtsrat scheint es, so das ein-          fordern und was die Koppelung von sozialer
     hellige Urteil von Experten, nicht anders zu          Herkunft und Bildungserfolg eher verstärken
     sein. Auch darin haben jene Länder wie Chi-           als mindern würde.
     na, Tunesien, Saudi-Arabien und Kuba Sitz             Natürlich müssen sich auch deutsche Schulen
     und Stimme, die nachweislich schwere Men-             internationaler Begutachtung und Kritik stel-
     schenrechtsverletzungen begehen. Darüber              len. Was man aber zumindest dabei erwarten
     hinaus wurde unter anderem genau von die-             müsste, wäre eine wissenschaftlich fundier-
     sen Staaten im neuen UN-Menschenrechtsrat             te und umfassende Bestandsaufnahme. Diese
     die Regelung mit durchgesetzt, dass die UN-           hat nicht stattgefunden. Herr Muñoz war ein
     Sonderberichterstatter nicht von sich aus             willkommener Spielball politischer Interessen
     Länder besuchen dürfen, in denen sie Men-             von Einheitsschulbefürwortern. Dafür kann er
     schenrechtsverletzungen vermuten, sondern             zunächst nichts. Was man ihm allerdings an-
     eine Einladung aus dem jeweiligen Land brau-          lasten muss, ist, dass er diese ihm zugedachte
     chen.                                                 Rolle willig mitgespielt hat.
     Und damit sind wir wieder bei Prof. Muñoz
     und der Frage, warum er nicht Uganda, Ko-        Zeitweilig drohte übrigens die EU mit dem Aus-
     lumbien oder Nordkorea, sondern Deutsch-         tritt aus dem UN-Menschenrechtsrat wegen ge-
     land besuchte. Nach eigenem Bekunden             nau der Probleme, die Meidinger hier dargestellt
     hat Muñoz mehrere Länder angefragt, –            hat (Frankfurter Rundschau vom 16. 6. 2007). In-
     und die allererste Einladung kam prompt          zwischen raufte man sich aber doch wieder zu-
     aus Deutschland, wo die damalige KMK-            sammen. So lange allerdings Sonderberichterstat-
     Präsidentin und der zuständige OECD-             terinnen und Sonderberichterstatter ihre Ener-
     Koordinator, zwei ausgewiesene Gemein-           gie darauf verwenden, in Mitteleuropa tätig zu
     schaftsschulbefürworter, schon auf Schüt-        werden und das deutsche Schulsystem als be-
     zenhilfe warteten.                               sonders perfide Form der Menschenrechtsver-
     Um die Bildungsfachkompetenz des Jurapro-        letzung zu entlarven, können sich die wahren
     fessors zu untermauern, verwiesen übrigens       Menschenrechtsverletzerinnen und Menschen-
     gesamtschulfreundliche Kommentatoren ger-        rechtsverletzer aus aller Welt ins Fäustchen la-
     ne auf das vorbildliche Bildungssystem Costa     chen und nach wie vor beruhigt zurückleh-
     Ricas mit seiner relativ niedrigen Analphabe-    nen.
     tenquote. Verschwiegen wurde, warum Costa
     Rica in den PISA-Studien nicht auftaucht: Da
     die Schulpflicht dort mit dem 13. Lebensjahr      5    Warum verlieh der „Aktionsrat Bildung“ seinen
     endet, konnte das Hauptkriterium für PISA,            Medienpreis 2006 gerade an die „Zeit“?
     die Testung eines ganzen Jahrgangs der 15-
     jährigen Schüler nicht erfüllt werden. Dies      Zum Amtsantritt der Regierung Schröder 1999
     diskreditiert natürlich nicht Herrn Muñoz,       wurde im Auftrag des Arbeitgeberverbands „Ge-
     aber es diskreditiert all jene, die Costa Rica   samtmetall“ die „Initiative Neue Soziale Markt-
     zum schulpolitischen Musterstaat aufblasen       wirtschaft“ (INSM) gegründet. Es ging darum,
     wollten.                                         in der Bevölkerung „die Einstellung zu unserer
     Prof. Muñoz hat keine neuen Analysen und         Wirtschafts- und Sozialordnung zu ändern“ und
     Untersuchungen vorgelegt, er hat lediglich       so u. a. die „Gesundheits-, Regional-, Steuer- und
     eine Meinung präsentiert, die er allerdings      Abgabenpolitik“ zu beeinflussen. Dafür wurde
     allem Anschein nach schon aus Südamerika         von Anfang an eine unauffällige, aber wirkungs-
     mitgebracht hatte. Dabei gewann man wäh-         volle „Verflechtung von Öffentlichkeit und Journa-
     rend seines Besuchs oft den Eindruck, Herr       lismus“ betrieben.
     Muñoz rede auch in Deutschland über Süd-         „Ein wichtiges Instrument der INSM sind die so
     amerika und nicht über Deutschland, etwa         genannten Botschafter und Kuratoren. Sie ge-
     wenn er große Bedenken gegen Kontakte von        ben Interviews, schreiben Gastbeiträge, treten in
     Schulen zur Wirtschaft äußerte, weil dadurch     Talkshows auf und vermitteln dann – zu genau

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dem Zeitpunkt, den die Kampagnenmacher [der            und betreibt die Plutokratisierung der deutschen
INSM] bestimmt haben – Ideen, Ziele und Vor-           Universitäten in Verbindung mit der Beseitigung
stellungen der Initiative. Zu diesem illustren Kreis   von deren Humboldtschen Idealen wie „Einheit
zählen“ bzw. zählten u. a. Hans Tietmeyer (früher      von Forschung und Lehre“, „Unabhängigkeit
Bundesbankpräsident), Martin Kannegießer (Ge-          der Universität von Staat und Wirtschaft“ usw.
samtmetall), Oswald Metzger (Finanzexperte der         – in Form von Studiengebühren, Gehaltssen-
Grünen), Lothar Späth (CDU-Ministerpräsident           kung für Professoren (genannt W-Besoldung mit
a. D.), Thomas Straubhaar (Weltwirtschaftsinstitut     ihrer unsäglichen „leistungsbezogenen“ Sprei-
Hamburg), Christine Scheel (Grüne, früher Vor-         zung), Differenzierung von Forschungs- und Lehr-
sitzende des Finanzausschusses des Bundestags),        Universitäten sowie von Forschungs- und Lehr-
Klaus von Dohnanyi (SPD, früher Hamburger Bür-         Professuren, Aufzwingen von Bachelor-Master-
germeister), Wolfgang Clement (SPD, Minister im        Studiengängen, Propagierung eines Manager-
Kabinett Schröder, zu der Zeit allerdings nicht        Wesens an den Hochschulen, Einführung von
INSM-Botschafter), Paul Kirchhof (CDU, zeitwei-        Hochschulräten, qualitative Überbewertung von
se Finanzminister-Kandidat) sowie Dieter Lenzen        Drittmitteln, und nicht zuletzt Erzeugen und For-
(Erziehungswissenschaftler und Präsident der FU        cieren von Wettbewerb zwischen den Hochschu-
Berlin), der uns gleich noch in anderem Zusam-         len, u.a . mit Kindereien wie dem Hochschulran-
menhang begegnen wird. „Nur selten wird bei            king. – Müller-Böling wird uns ebenfalls gleich
Namensartikeln oder Interviews das Engagement          noch begegnen.
des Betreffenden für die INSM deutlich“ gemacht;       Auch das CHE treibt erfolgreiche Pressepoli-
sie werden vielmehr „beispielsweise als ’Experten      tik. Unter dem Titel „Die Zeit – sponsored by
für Steuerrecht’ vorgestellt oder einfach mit ihrer    Bertelsmann“ beschreiben „Die NachDenkSei-
beruflichen Funktion“.                                  ten“ (www.nachdenkseiten.de; Artikel von Jür-
Diese Fakten habe ich einem Beitrag von Sabine         gen Amrhein; Seite gesehen am 27. 11. 2006), wie
Nehls und Magnus Sebastian Kutz in der Frank-          sich die „Zeit“ ihrer „Pluralität des alten libera-
furter Rundschau vom 9. 1. 2007 entnommen. Ex-         len Schlachtschiffes“ entledigt hat und „sich in
emplarisch wird dort von einem Interview unter         Fragen der Hochschulpolitik zum Sprachrohr der
dem Titel „Beamtentum der Lehrer abschaffen“           Bertelsmann-Stiftung gemacht“ hat „mit auch
des Bonner Generalanzeigers mit Lenzen berich-         im redaktionellen Teil . . . geradezu peinliche[n]
tet, wo auch der Interviewer „bereits seit vier        Schmeicheleien für den Sponsor“ CHE. Der Ar-
Jahren im Dienst der INSM“ steht, der doppel-          tikel analysiert dazu die Ausgabe vom 4. 5. 2006;
te INSM-Bezug aber vor den Leserinnen und Le-          man kann das aber über Monate und Jahre gut
sern der Zeitung sorgfältig verborgen wird. – Die      verfolgen.
Frankfurter Rundschau hat dies zwar alles ent-         Eine ähnlich enge Zusammenarbeit scheint es
hüllt, aber sie arbeitet selbst brav mit der INSM      zwischen der „Zeit“ und Pisa zu geben. Man
zusammen, etwa innerhalb einer hessenweiten            braucht nur an die vielen Sonderseiten voll des
Reihe von Podiumsdiskussionen (organisiert und         Lobes für Pisa und seinen Sprecher in Deutsch-
bezahlt von der INSM), wo die jeweilige lokale         land, Manfred Prenzel, ohne jeden kritischen Ne-
Zeitung als Mitveranstalterin gewonnen wird, z. B.     benton Anfang Dezember 2004 zu denken, an die
am 15. 5. 2007 in Frankfurt zum Thema „Niedrig-        anschließende Unterdrückung der Fehlermeldung
lohnsektor . . . “. Anscheinend kann man sich auch     zur Pisa-Musteraufgabe oder an die Diffamierung
als SPD- und Grünen-freundliche Zeitung einem          Wuttkes im November 2006.
solchen Angebot nicht entziehen, so wie man sich       Im Jahre 2005 wurde auf Initiative der Vereini-
auf den ersten Seiten für eine dezidiert ökologi-      gung der bayerischen Wirtschaft (vbw) ein „Akti-
sche Politik ausspricht und hinten im Autoteil als     onsrat Bildung“ (AB) gegründet, mit einer etwas
redaktionelle Beiträge aufgemachte Werbetexte für      anderen Struktur (er besteht aus sieben klar be-
Luxusgeländewagen abdruckt.                            nannten Mitgliedern), aber ähnlicher Zielsetzung
Eine ähnlich wirkungsvolle Pressearbeit betreibt,      wie die INSW oder das CHE, nun aber speziell auf
wie oben beschrieben, Andreas Schleicher mit sei-      die Bildungspolitik in Deutschland unterhalb der
ner Einheitsschulkampagne.                             Hochschulen gerichtet. Anfang März 2007 legte
Eine etwas andere Form von Wirtschafts-Ableger         der AB ein 160-seitiges Gutachten vor mit, trivia-
stellt das Centrum für Hochschul-Entwicklung           lerweise, vielen bedenkenswerten Forderungen,
(CHE) mit seinem Chef Detlef Müller-Böling dar.        aber auch: „Die Kontrolle der Standards im Bil-
Es wurde von der Bertelsmann-Stifung und der           dungssystem soll . . . über die qualitätsbezogene
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gegründet             Finanzierung von Schulen erfolgen. Dafür sollen

GDM-Mitteilungen 83 · 2007                                                                             29
die Schulen . . . ihre Lehrer nach Leistung bezah-                Unter anderem verleiht der AB auch jährlich
    len“ (FR vom 9. 3. 2007). Jetzt geraten also auch                 einen „Medienpreis Bildung“. Für das Jahr 2006
    schon die Schulen ins Visier der Plutokratisiere-                 erhielt diesen Preis die „Zeit“ für „herausragende
    rinnen und Plutokratisierer!                                      journalistische Leistungen zum Thema Bildung“.
    Auf der Homepage (www.aktionsrat-bildung.de)                      Nun müssen wir nur noch wissen, wer die Mit-
    kann man sich über die Ziele informieren, die                     glieder im AB sind, und wir können die Frage in
    wiederum in drei Aktionsfeldern umgesetzt wer-                    der Überschrift dieses Abschnitts beantworten:
    den, von denen eines „Beraten und Aufklären“                      Neben dem schon im Zusammenhang mit der
    lautet und etwas genauer so beschrieben wird:                     INSM genannten Vorsitzenden des AB, Dieter Len-
    „der Aktionsrat Bildung informiert und berät in                   zen, sind dies Hans-Peter Blossfeld (U Bamberg),
    Hintergrundgesprächen Journalisten und Politi-                    Jürgen Oelkers (U Zürich; bis 2006), Ludger Wöß-
    ker.“ Als Beispiel dafür wird ein „Journalisten-                  mann (LMU München), Wilfried Bos (Iglu) und
    seminar“ am 6. 7. 2006 im Haus der bayerischen                    last but not least Detlef Müller-Böling (CHE) so-
    Wirtschaft in München mit einem wissenschaft-                     wie Manfred Prenzel (Pisa). So wäscht eine Hand
    lichen Vortrag von Manfred Prenzel angeführt                      die andere.
    (Seite gesehen am 21. 5. 2007).

    Ein Zwischenruf zum
    Baumert-Gutachten
          Andreas Vohns und Rainer Danckwerts

    Im Herbst letzten Jahres hat die Landesregierung                  Lehrerausbildung.2 Die Kommission hat diesen
    Nordrhein-Westfalens eine Expertenkommission                      Auftrag angenommen, obwohl ihr die Schwere
    zur „Weiterentwicklung und Harmonisierung der                     des Auftrags durchaus bewusst war, sie „hat die-
    Lehrerbildung“1 unter Leitung von Prof. Dr. Jür-                  se Vorgaben als pragmatische Arbeitsgrundlage
    gen Baumert (Berlin) einberufen, die am 30. April                 akzeptiert – wohl wissend, dass in diesen Vorga-
    2007 ihre Ergebnisse vorgelegt hat.                               ben Widersprüche und kaum auflösbare Span-
    Einige Eckpunkte der Arbeit hatte die Landesre-                   nungen eingeschlossen sind, die zu schwierigen
    gierung bereits als Arbeitsgrundlage festgelegt,                  Kompromissen und in Einzelfällen auch zu deut-
    insbesondere die flächendeckende Umstellung auf                    lich suboptimalen Lösungen führen“. Betont wird
    das BA/MA-Modell und die Zweiphasigkeit der                       hier das Spannungsfeld zwischen „der Bologna-

1   Gutachten „Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Nordrhein-Westfalen – Empfehlungen der Expertenkommission zur Ersten
    Phase“, S. 6. Das Gutachten ist unter http://www.innovation.nrw.de/Service/broschueren/BroschuerenDownload/Broschuere.pdf
    verfügbar. Soweit nicht anderweitig gekennzeichnet, beziehen sich alle folgenden Zitate auf diesen Text.
2   Mittlerweile haben sich zur Zweiphasigkeit innerhalb der regierungstragenden Fraktionen allerdings auch andere Stimmen gemeldet,
    vgl. etwa die Diskussion um die Vorstellungen des CDU-Fraktionsvorsitzenden Stahl
    http://bildungsklick.de/pm/52543/cdu-plaene-zur-lehrerausbildung/.

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