Weitere Anmerkungen zu PISA, zu PISA-Reaktionen und Reaktionen auf PISA-Reaktionen
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Weitere Anmerkungen zu PISA, zu PISA-Reaktionen und Reaktionen auf PISA-Reaktionen Peter Bender 1 Warum kennt kaum jemand das Buch „Der PISA durch den Pisa-Komplex doch nicht. Mit vielen Schwindel“ von Josef Kraus? Millionen Euro (ob über die OECD oder direkt, je- denfalls aus Steuermitteln) im Hintergrund und Schon wieder war mir eine wichtige Veröffent- einer professionellen Pressearbeit hat man die lichung im Umfeld des Pisa-Komplexes durch- dpa (die ja dann die immer wieder als Sensatio- gegangen! Vor zwei Jahren hatte ich nur durch nen aufgemachten Meldungen an die deutschen Zufall (vom Bielefelder Mathematiker Ringel auf Medien verteilt), die „Zeit“ und andere für sich Umwegen) erfahren, dass TIMSS im Vierjahres- eingenommen. Auch so mancher renommierte rhythmus passend zu den Alterskohorten (4., 8. Buchverlag ist mehr an Pisa-originalen und Pisa- und 12. Schj.) bis heute fortgeführt wird, – gerade freundlichen Büchern mit großer Auflage als an noch rechtzeitig, damit ich im Pisa-Kritik-Buch Pisa-kritischen Büchern interessiert. Entsprechend auf die teilweise Inkompatibilität der Ergebnisse spärlich (an Zahl, Umfang und Informationsge- von Pisa mit denen von TIMSS eingehen konnte. halt) fallen Rezensionen von letzteren aus, und Nun wies mich Karlhorst Meyer im April 2007 auf so erfährt man fast zwei Jahre lang nichts vom einige Stellungnahmen von solchen Lehrerverbän- „Pisa-Schwindel“. den hin, die etwas anders als die GEW orientiert Es gibt eine zweite Ursache für diese fatale gegen- sind. Mit diesen Verbänden nahm ich Kontakt auf, seitige Ignoranz innerhalb der Pisa-Kritik: und, siehe da!, seit 2005 existiert bereits das Buch „Der PISA Schwindel“ (Signum-Verlag Wien) des sprachmächtigen Präsidenten des Deutschen Leh- 2 Wieso sind „die“ „Progressiven“ für Pisa und „die“ rerverbands Josef Kraus mit einer gründlichen „Konservativen“ dagegen? und fundierten Kritik des Pisa-Komplexes. Von diesem Buch wussten meine Entourage und ich Bei meiner Auseinandersetzung mit Pisa hatte bis dahin nichts, und Kraus wusste von unserem ich 2003 mit Iglu und genuin mathematikdidak- Buch nichts. Diese meine Ignoranz hat mir zu tischen Themen angefangen, bin nun aber mitten denken gegeben: in einer bildungspolitischen Auseinandersetzung Die Informations- und Meinungsmacht, die der gelandet. Um es auf den Punkt zu bringen: Es Pisa-Komplex zu bestimmten Bildungsthemen geht um die Einführung der Einheitsschule in in den deutschen Medien einseitig ausübt, ist ja Deutschland. Ich kenne keine empirische Unter- noch ausgeprägter als bisher schon angenom- suchung, die die Überlegenheit der Einheitsschule men. Ein wirklich souveränes Unternehmen mit (etwa bis zum 10. Schuljahr) gegenüber einem ge- wissenschaftlichem Anspruch würde sich der gliederten Schulsystem (etwa ab dem 5. Schuljahr) Kritik öffentlich stellen; es würde Tagungen da- aufzeigen würde. Ein solcher Nachweis ist auch zu veranstalten, und es würde für Berichte dar- gar nicht zu führen: Man müsste da zwei oder über sorgen oder solche zumindest nicht behin- mehrere Schulsysteme unter sonst gleichen Be- dern. Wenn man allerdings die dünnhäutigen dingungen jahrzehntelang auf ihren Erfolg (und Reaktionen einiger Pisa-Protagonistinnen und ihren Aufwand!) hin vergleichen. Schon bei der -Protagonisten auf den von Wuttke geäußerten Definition von „Erfolg“ käme man in die Bre- Verdacht eines Programmierfehlers (mit dem er douille: viele Pisa-Punkte, niedrige Pisa-Punkte- anscheinend den Pisa-Nerv getroffen hatte) und Varianz, hohe Bildung (was auch immer das sein das anschließende eiserne Schweigen zu sämtli- soll), friedliche Menschen, erfolgreiche Volkswirt- chen weiteren Kritikpunkten erlebt hat, erwartet schaft, usw.? Die Messung des Erfolgs (wenn man man einen solchen souveränen Umgang mit Kritik ihn nicht allzu primitiv, z. B. in Form von Pisa- 22 GDM-Mitteilungen 83 · 2007
Punkten, versteht) ist praktisch unmöglich, die erwartet, uns in dem o. a. „linken“, „progressi- Herstellung eines passenden statistischen Szena- ven“ Lager wiederzufinden, was auch i. W. unserer rios, etwa: gleiche Bedingungen, ist sogar theore- persönlichen Verortung entsprochen hätte, und tisch unmöglich. wir waren höchst konsterniert, dass wir genau Insbesondere ist also Pisa kein geeignetes Instru- aus diesem Lager angefeindet wurden, während ment zur Erforschung des Merkmals „Gegliedert- z. B. von der FAZ und ihrer Heike Schmoll äußerst heit von Schulsystemen“. Wenn man aber aus Pisa vernünftige Töne zu hören waren. (Die „konserva- etwas zu dieser Frage herauslesen möchte, dann tiven“ Lehrerverbände hatten wir, wie gesagt, gar international: eine leichte Überlegenheit der ge- nicht im Blick.) gliederten Schulsysteme, denn die wenigen Län- Wie lässt sich diese völlige Verkehrung der bei- der mit einem solchen befinden sich beim Län- den Lager erklären? – Leider ist es auch und ge- derranking alle in der oberen Hälfte, mit Deutsch- rade in der Wissenschaft üblich geworden, dass land als Schlusslicht etwa in der Mitte; und inner- man, wenn man in der (medialen und politischen) halb Deutschlands: eine deutliche Überlegenheit Öffentlichkeit wahrgenommen werden möchte, der Bundesländer mit einer klaren Betonung der seine Botschaft tunlichst als Sensationsmeldung, Gegliedertheit (allen voran Bayern, das sich auf am besten als Schreckensszenario, aufmacht. Da Augenhöhe mit Finnland befindet), verbunden geht es vielleicht durchaus um ernst gemeinte mit einem desaströsen Abschneiden der Gesamt- Warnungen, aber eben auch um persönliche oder schule bei Pisa 2000 und Verzicht auf eine separa- institutionelle Eitelkeiten, Einwerbung von För- te Auswertung dieser Schulform bei Pisa 2003. – dergeldern usw. So hat jedes teilnehmende Land Um erneutes verfälschendes Zitieren zu erschwe- (auch Finnland mit seinen deutlichen Leistungs- ren (leider hat Marianne Demmer von der GEW unterschieden zwischen den Geschlechtern) von ihre sinnentstellende Wiedergabe einiger Textstel- Pisa seine scharfe Kritik einstecken müssen. Na- len von mir im Oktober 2006 trotz meiner Auffor- turgemäß macht das Pisa den jeweils „Systemkri- derung immer noch nicht korrigiert), möchte ich tischen“ sympathisch und freuen sich weniger die an dieser Stelle wieder einmal betonen: Für dieses „Konservativen“. desaströse Abschneiden gibt es gute Gründe, die Trotz der hohen Kosten bis 2018, des erwartbar nicht in dieser Schulform als solcher liegen. Aber geringen Erkenntnisgewinns bei den viel zu kurz- es ist doch dann pervers, sich zum Zwecke einer taktigen Wiederholungen bis dahin und der Ten- Fürsprache für die Einheitsschule ausgerechnet denz zur Reduktion von Bildung auf Messbarkeit auf Pisa zu stützen! (ob gewollt oder nicht) – gelang es dem Pisa- Und so hätte ich erwartet, im Anti-Pisa-Lager al- Komplex, bei den „Progressiven“ zwei Saiten zum les zu finden, was „links“, „progressiv“ und für Klingen zu bringen: Es wurde deren etwas aus- die Einheitsschule ist, also die GEW, die Grünen, geprägterer Hang zum positivistischen Denken die „Zeit“, die Frankfurter Rundschau sowie weite befriedigt („endlich einmal wurde nachgewiesen, Teile der universitären Pädagogik; und im Pro- dass . . . “), und es wurden deren soziale Neigun- Pisa-Lager alles, was „rechts“, „konservativ“ und gen bedient („nirgends ist der Zusammenhang für das traditionelle deutsche Schulsystem ist, al- zwischen Mathematikkompetenz und Sozialstatus so die Realschul- und Gymnasiallehrerverbände so hoch wie in Deutschland“). und die FAZ. Bei der GEW hat diese Einschätzung Wie dieser Zusammenhang „gemessen“ wird, ist sogar partiell gestimmt: Ehe Pisa startete, hätte allerdings eine dubiose Angelegenheit. In meinen man die Beteiligung Deutschlands ganz gern ver- Vorträgen habe ich mich schon immer darüber hindert; man hat auch später noch gefordert, dass mokiert, dass ein Indikator für die Bildung der zumindest die innerdeutschen Vergleiche unter- Eltern die Anzahl der zuhause vorhandenen Bü- bleiben sollten; und daran, dass bei Pisa 2000 in cher ist. Aber das Amüsement verfliegt, wenn Hamburg und Berlin die Teilnahmequote zu ge- man sich den ESCS-Index (index of economic, ring ausfiel, war die GEW nicht ganz unbeteiligt. social and cultural status) einmal etwas genauer Aber zumindest deren bildungspolitische Spre- anschaut. Er beinhaltet u. a. eine Zuordnung von cherin Marianne Demmer hat sich inzwischen de- Berufen zu Sozialprestigekennwerten, die auf eine zidiert auf die Seite von Pisa geschlagen; denn bei Liste (im Folgenden nur auszugsweise wiederge- allen Vorbehalten, die sie nach wie vor hat, meint geben) zurückgeht, die sich ihrerseits auf eine sie erklärtermaßen, Honig für die Einheitsschule Zusammenstellung der Weltarbeitsorganisation aus Pisa saugen zu können. von 1968 stützt und mit einer aktuellen deutschen Jedenfalls hatten ich und mit mir die meisten der Berufsprestigeskala eine Korrelation von etwa Null Autorinnen und Autoren des Pisa-Kritik-Buchs hat (alles von Wuttke ausgegraben). GDM-Mitteilungen 83 · 2007 23
90 Judge Die Angaben, die die Jugendlichen nach der Be- 88 Hospital Physician arbeitung der Testaufgaben über ihren persön- 85 Lawyer lichen, kulturellen und sozialen Hintergrund 84 Veterinarian gemacht haben, sind doch arg willkürlich und 83 Armed Forces Officer 82 Patent Lawyer unkontrolliert. Das Ganze erinnert stark an den 81 Ambassador Wahlmodus beim „European Song Contest“ oder 79 Physicist an ein CHE-Hochschulranking. Nachdem französi- 78 University Professor sche Regierungsstellen diese Unsicherheit moniert 73 Chemist, Member of Parliament hatten, wurde im Bericht auf sie hingewiesen, 72 Political Scientist, Social Scientist, Psychologist, aber nur „in the case of France“, als ob sie ledig- Large City Head lich dort bestünde! 71 Statistician, Aircraft Pilot, High School Teacher, Mit so einem weichen Wert wird dann harte Kor- Middle School Teacher relationsrechnung getrieben und eine Rangfolge 69 Head of Large Firm, General Manager, Banker, aufgestellt. Die Unschärfe ist dabei aber so groß, Elementary School Teacher dass bei den verschiedenen Tests (Mathematik mit 65 Kindergarten Teacher, Teacher for the Blind 64 Large Shop Owner, Stock Broker, Computer seinen Teilgebieten, Lesen, Naturwissenschaft, Programmer, Dancer Problemlösen; verschiedene Jahre) im Prinzip viele 61 Real Estate Agent, Astrologer Länder auch einmal auf dem letzten Platz landen 60 Sales Promotor, Department Head Provincial können, ohne dass sie sich signifikant von der Government breiten Mehrheit aller Länder unterscheiden wür- 58 Orthopedic Technician, Secretary, Soldier, den. Auch Deutschland trug hin und wieder die Embalmer rote Laterne, und mit diesem Umstand werden 56 Railway Station Master nun gewaltige bildungspolitische Forderungen 55 Priest, Missionary, Faith Healer begründet, nämlich letztlich der Umbau des deut- 54 Singer, Composer, Conductor, Clown schen Schulsystems zur Einheitsschule. 53 Tax Collector Weil inzwischen vielleicht noch nicht dem Letz- 52 Automobile Dealer 51 Dentist’s Receptionist ten, aber doch Vielen klar geworden ist, dass de- 49 Large Farmer, Restaurant Owner ren Überlegenheit nicht aus Pisa gefolgert wer- 48 Coffeeshop Operator, Air Traffic Controller den kann, wird die Forderung nach ihr nur noch 46 Cinema Projectionist mittelbar auf Pisa gestützt, eben mit der gerade 45 Meter Reader, Proofreader, Xerox Machine Operator beschriebenen Argumentation. Ob diese inhalt- 44 Aircraft Engine Mechanic, Airline Stewardess, lich schlüssig ist, sei jetzt dahingestellt. Jeden- Croupier falls ist bei den deutschen Pisa-Berichten trotz 42 Head Nurse aller reklamierten Objektivität immer wieder ei- 41 Fashion Model ne Sympathie für die Gesamtschule direkt oder 39 Demolition Worker, Quality Inspector, Uncertified indirekt spürbar. Vielleicht weniger die Fachdi- Nurse, Nurse Trainee daktikerinnen und Fachdidaktiker und eher die 37 Elevator Operator, Shoe Shiner, Tobacco Factory Worker beteiligten allgemeinen Pädagoginnen und Päd- 36 Noodle Maker agogen, darunter deren langjähriger Präzeptor 35 Money Lender, Street Vendor, Telephone Solicitor, Jürgen Baumert, konnten anscheinend nicht über Museum Guard ihren Schatten springen. Das ging schon los mit 34 Power-Reactor Operator dem Eiertanz um die Geheimhaltung der Ergeb- 33 Brewer, Wine Maker, Ice-Cream Maker, Taxi Driver nisse der Bundesländer bei TIMSS, und bei Pisa 32 Wine Waiter, Tree Surgeon, Oyster-Farm Worker, konnte ich es an vielen Stellen aufzeigen, u. a. Trapper, Hunter, Whaler wenn es dort darum ging, die Erfolge von Bayern 31 Auto Repairman klein zu reden oder die Auswirkung der Migra- 30 Paving Machine Operator, Master Cook tionsquote auf die o. a. Korrelationsrechnung zu 29 Pig Farmer, Mushroom Grower, Musical Instrument bagatellisieren, usw. Maker 28 Road Construction Worker, Soda Fountain Clerk Dazu kommt die Dauerkampagne des (zufällig 24 Clothes Washer, Chambermaid, Domestic Servant, deutschen) Pisa-Koordinators der OECD Andre- Companion as Schleicher gegen das deutsche dreigliedrige 20 Animal-Drawn Vehicle Driver, Poultry Farm Worker Schulsystem. Schleicher wird immer wieder als 18 Small Farmer Experte für Bildung und Wirtschaft zitiert, und 10 Cook’s Helper, Apiary Worker, Picker, Gatherer mit der geldschweren OECD im Rücken war es ihm ein Leichtes, in den deutschen Medien bis 24 GDM-Mitteilungen 83 · 2007
auf wenige Ausnahmen die Meinungsherrschaft Artikel aus der 1. Auflage bis auf Kleinigkeiten zu erringen. Trotz seines OECD-Hintergrunds unverändert übernommen. Lediglich Wuttke hat lieben ihn jedenfalls „die“ „Progressiven“ wegen seinen Beitrag deutlich überarbeitet und dabei seines Einsatzes für die Einheitsschule. Mir dage- weitere erhebliche Unzulänglichkeiten aus dem gen ist weder klar, worauf sich sein Expertentum Pisa-Komplex zutage gefördert. für Bildung und Wirtschaft, noch, worauf er sei- Vieles davon hatte man ja geahnt; aber man hat- ne Abneigung gegen das deutsche Schulsystem te nicht genug Erfahrung mit der Filosofie und gründet; Pisa kann es jedenfalls nicht sein. Am der Praxis der verwendeten psychometrischen Sta- 15.09.2004 stellte Heike Schmoll denn auch in der tistik; die wesentlichen Gedanken sind in vielen FAZ fest: „Auf eine wertungsfreie Analyse der Publikationen, und innerhalb dieser in unzusam- vorhandenen Daten mit Ursachenforschung läßt menhängenden Teilen, verstreut, versteckt bzw. Schleicher die deutsche Bildungspolitik vergeblich nicht dargelegt; die Präsentationen sind häufig warten.“ Dieser Vorwurf besteht heute – fast drei (bestimmt nicht mit Absicht, sondern aus didak- Jahre und viele Interviews, Berichte usw. später – tischer Unfähigkeit bzw. – oft davon herrührend – noch in vollem Umfang. Ich habe in den letzten aus didaktischem Desinteresse) schwer verständ- GDM-Mitteilungen (Nr. 82) ja einige von Schlei- lich; und man war ja selbst dieser Suggerierung chers hanebüchenen Argumenten aufgespießt. von prinzipieller Genauigkeit und Methodensau- Seine verbissene Kampagne ist zutiefst unwissen- berkeit unterlegen. schaftlich und demagogisch. Dies alles hat Wuttke (wohl in einer „jetzt-erst- Die Verbissenheit erklärt sich womöglich aus ei- recht“-Stimmung) aufgearbeitet sowie luzide und nem biografischen Detail, das ich nur deswegen mit einem gewissen Sarkasmus dargestellt. Es ist zu erwähnen mir erlaube, weil Schleicher immer ein Genuss, diesen Beitrag zu lesen (wenn man wieder selbst damit renommiert. Am Ende des nicht gerade Pisa-Anhängerin oder -Anhänger ist), 4. Schuljahrs wurde er nämlich als „ungeeignet und man langweilt sich trotz des großen Umfangs für das Gymnasium“ eingestuft, und nachdem keine Sekunde lang. Schade, dass Wuttke kein ihn seine Eltern trotzdem zur „höheren“ Schu- Mitglied der mathematikdidaktischen Kommuni- le schickten, schloss er diese mit einem Einser- tät i. e. S. ist; er wäre eine Zierde für uns. Abitur ab. – Andreas Schleicher ist der beste Die Grafik auf der folgenden Seite, ebenfalls von Beleg für die Durchlässigkeit des deutschen Bil- ihm stammend, zeigt auf einen Blick, was bei Pisa dungssystems: Ohne Gymnasiumsempfehlung und so alles im Argen liegt: ohne Promotion ist er Professor geworden (Hono- Das sind jetzt nur die Schwachstellen, wie sie rarprofessor in Heidelberg). sich aus den Pisa-Berichten selbst ergeben bzw. Eigentlich müssten alle im Bildungssystem Tä- wie sie bis jetzt publik geworden sind. Man lernt tigen trotz gewisser Errungenschaften von Pisa ja zunehmend Pisa-kritische Menschen aus an- erhebliche Vorbehalte gegen dessen Vermessungs- deren Ländern kennen und erfährt so von man- wahn haben – und haben sie oft auch. Viele „Pro- cherlei weiteren lokalen Ungereimtheiten. Inzwi- gressive“ stellen sie aber zugunsten ihrer politi- schen ist ein Buch geplant, in dem die Pisa-Kritik schen Überzeugungen zurück. Viele „Konservati- international gebündelt wird. Nach meiner Ein- ve“ pflegen sie, und ich als Alt-68er teile sie voll. schätzung wird selbst dieses nur die Spitze eines Eisbergs an Pisa-Unzulänglichkeiten darstellen können, wobei der ganze Eisberg wohl auf im- 3 Warum kriegen wir für einige Stellungnahmen mer verborgen bleiben wird. Man braucht sich aus dem Pisa-Lager keine Abdruckgenehmigung doch nur einmal die test-kritische Literatur aus für die 2. Auflage des Pisa-Kritik-Buchs? den USA anzuschauen, die sich derzeit mit dem „No Child Left Behind“-Programm der Bush- Wie es sich für eine (nicht nur) wissenschaftli- Regierung befasst. In den Rund-Mails von Jerry che Auseinandersetzung gehört, hat Wuttke den Becker werden wir ja auf dem Laufenden gehal- Fehler, der ihm bei seinem Programmierfehler- ten. Die negativen Auswirkungen bestehen zum Vorwurf unterlaufen ist, direkt eingeräumt (s. einen aus gewissen pädagogisch nachteiligen und meine Glosse in den letzten GDM-Mitteilungen), test-konterkarierenden Automatismen (Selekti- und wird dieser Fehler in einer bevorstehenden on der Lern-Inhalte, Teaching to the Test usw.) 2. Auflage unseres Pisa-Kritik Buchs ausgemerzt: und zum anderen aus aktiven Verfälschungen auf Thomas Jahnke und Wolfram Meyerhöfer (2007): Schul-, Distrikt- und Staats-Ebene. Da braucht PISA & Co – Kritik eines Programms. 2. Auflage. mir niemand zu erzählen, dass das bei Pisa welt- Hildesheim u. a.: Franzbecker. Dort werden die weit anders sei. GDM-Mitteilungen 83 · 2007 25
Man muss einräumen, dass die (TIMSS- und) die 2. Auflage unseres Pisa-Kritik-Buches sind, Pisa-Leute früher schon vereinzelt auf Kritikpunk- sondern wir wollten auch den Pisa-Komplex selbst te eingegangen sind. Offenbar waren sie dabei zu Wort kommen lassen und baten daher ver- aber in ihrem Pisa-Denken befangen und hatten schiedene Protagonisten um Genehmigung zum das Wesen der jeweiligen Kritik wiederholt nicht Abdruck ihrer damaligen Stellungnahmen, die sie richtig aufgenommen, so dass sie immer wieder im Internet platziert, manchmal auch nur brief- dazu kamen, den Kritikerinnen und Kritikern feh- lich geäußert hatten und die in der Presse, teils lendes Verständnis zu unterstellen und sie dann wortwörtlich, auch als Grundlage für die diffa- persönlich herunterzumachen. Lediglich als Pren- mierenden Vorwürfe gegen Wuttke gedient hat- zel und Walter es im November 2006 unternah- ten. Da holten wir uns eine Abfuhr nach der an- men, die von Wuttke nachgewiesene Inkonsistenz deren. Man war schon froh, wenn die Genehmi- in der „amtlichen“ Beschreibung des Skalierungs- gung lediglich kurz und bündig verweigert wurde. verfahrens zu beheben (und übrigens selbst noch Sich auf dem hohen Ross wähnend, reagierten auf eine arg daneben liegende Kurve erzeugten, die unser Ansinnen ansonsten der eine wie eine belei- Sache also keineswegs korrekt darstellten), hat- digte Leberwurst, der andere wie ein von seinen te man den Eindruck, dass hier endlich einmal Schülerinnen und Schülern enttäuschter Pädagoge wirklich auf den Gehalt einer Kritik eingegangen und ein dritter wie ein Arachnophobiker, voller wurde. Allerdings ging es auch da nicht ohne bla- Ekel, Angst und Unsicherheit, transformiert in sierte Abkanzelei ab. Aggression. – Menschlich verständlich, von der Redlicherweise wollten wir nicht nur unsere Sicht Sache her unangemessen. jener Ereignisse darstellen, die ja der Anlass für Warum machen wir mit unserer Kritik weiter? 26 GDM-Mitteilungen 83 · 2007
Dazu ein Blick in die nahe Zukunft: Anfang De- mächtig ist, die Leviten lesen“ ohne weiteren zember 2007 wird Manfred Prenzel wieder eine Kommentar präsentierte. Zunächst lehnte ich die- Pressekonferenz einberufen und die Ergebnis- sen Teil der Kritik an der Instrumentalisierung se von Pisa 2006 vorstellen. Er wird eine leichte der Muñoz-Visite als nicht einschlägig ab. Aber Verbesserung gegenüber Pisa 2003 konstatieren dann überlegte ich mir, dass Muñoz’ fehlende und diesen „Erfolg“ für Pisa reklamieren. Aber deutsche Sprachkenntnisse tatsächlich eine echte es werden auch dramatische, erschreckende, be- Beeinträchtigung seiner Arbeit bedeuten. Er ist ja stürzende . . . (setzen Sie selbst weitere Vokabeln ein) noch weniger Bildungsexperte als etwa Schleicher, Befunde zu vermelden sein. Die dpa wird die Ka- ist in der Sache schon darauf angewiesen, was tastrophennachrichten im O-Ton „Pisa“ an die seine Gesprächspartnerinnen und -partner ihm Medien weiterleiten, die „Zeit“ wird Pisa auf eini- jeweils vermitteln, und kann sich kaum ein eige- gen Sonderseiten huldigen, und die nächste Pisa- nes Urteil bilden. Dieser Mangel wird durch das Welle wird über das Land rollen. Mittels einer als Fehlen der Sprachkenntnisse natürlich verschärft. Indiskretion ausgegebene Vorabveröffentlichung Einer der Hauptvorwürfe gegen diese ganze Akti- einiger Ergebnisse Ende Oktober wird der Umfang on lautet ja, dass Muñoz sich zu wenig selbst ein der Medienaufmerksamkeit optimiert werden. Da- Bild von der deutschen Schule, insbesondere auch nach wird die OECD in Vierteljahresabständen in den südlichen Bundesländern, gemacht hat. über „Sonderauswertungen“ berichten, negative Statt eines geplanten eigenen Kommentars ist im Auswirkungen des dreigliedrigen Schulsystems Folgenden mit freundlicher Genehmigung von auf die deutsche Wirtschaft mit Pisa „belegen“ „Profil“, der Zeitschrift des Deutschen Philolo- und, überhaupt, viele Schleicher-Interviews streu- genverbandes, ein Leitartikel von dessen Bundes- en. – Vielleicht werden diese und die nächsten vorsitzenden Heinz-Peter Meidinger (Profil, April Pisa-Olympiaden (= Dreijahreszeitraum zwischen 2007, S. 3) abgedruckt. zwei Veröffentlichungsterminen, also von Dezem- ber 2001 bis Dezember 2004 usw.) auch ein wenig Deutschland, ein Fall für ein anders verlaufen. Aber eine kritische Begleitung Menschenrechtstribunal? des ganzen Pisa-Komplexes ist jedenfalls nach wie Der Sonderberichterstatter des UN-Menschen- vor dringend erforderlich. rechtsrats für Bildungsfragen, Vernor Muñoz Villalobos, Juraprofessor aus Costa Rica, war neun Tage in Deutschland zu Besuch und hat 4 Welchen Beitrag kann der Jura-Professor Vernor den deutschen Schulen kein gutes Zeugnis Muñoz aus Costa Rica zur deutschen Schuldebatte ausgestellt. Sein Rat, die relativ frühe Dif- leisten? ferenzierung der Schularten zu überden- ken, beherrschte einige Tage die Schlagzei- Bereits während der Inspektionsreise des UN-Men- len der Medien. Dabei brachte Herr Muñoz schenrechtskommissions-Sonderberichterstatters das Kunststück fertig, einerseits zu fordern, Vernor Muñoz aus Costa Rica in Deutschland im Deutschland möge die sozialen Wirkungen Februar 2006 hatte die dpa das Ergebnis dieser seines gegliederten Schulsystems genauer „Untersuchung“ als vernichtende Kritik am deutschen wissenschaftlich untersuchen lassen, und an- Schulsystem in den Medien verbreitet. Im März dererseits bereits im gleichen Atemzug das 2007 erstattete Muñoz dem UN-Menschenrat in (von ihm unterstellte) Ergebnis schon vor- Genf offiziell Bericht, – die dpa nahm dies zum wegzunehmen: Deutschlands Schulsystem sei Anlass, dasselbe Ergebnis erneut als vernichtende sozial diskriminierend. Kritik am deutschen Schulsystem durch die Medien Dabei hätte ein Blick in die OECD-Studien zu jagen. Dies war das dritte Mal; denn wie üblich genügt, um zu zeigen, dass alle die Länder, hatte es schon vier Wochen zuvor eine als Indis- die nach OECD-Kriterien einen noch engeren kretion getarnte Vorabmeldung der dpa über die Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft vernichtende Kritik am deutschen Schulsystem gege- und Bildungserfolg aufweisen als Deutsch- ben. land, wie etwa Ungarn und die Slowakei, inte- Heike Schmoll in der FAZ am 22. 3. 2007 hatte grierte und nicht differenzierte Schulsysteme als eine der wenigen in angemessener Gelassen- haben, übrigens auch die fünf Länder, die bei heit reagiert. Auf ihren Artikel wurde ich durch PISA 2003 leistungsmäßig die Schlusslichter Harald Schmidt aufmerksam, der in seiner Late bilden. Night Show den Passus „lässt sich von einem Pro- Der Menschenrechtsrat, der Herrn Muñoz be- fessor aus Costa Rica, der kaum des Deutschen auftragt hat, ist das Nachfolgeorgan der UN- GDM-Mitteilungen 83 · 2007 27
Menschenrechtskommission, die 2006 auf- der Korruption von Lehrern und Schulleitern gelöst wurde, weil darin jahrzehntelang die Vorschub geleistet werde, oder wenn er das Länder mit den offenkundigsten Menschen- Homeschooling, also die Beschulung von Kin- rechtsverletzungen sich erfolgreich gegensei- dern zuhause durch ihre Eltern, empfahl, was tig vor Untersuchungen schützten. Im neu- in Deutschland vor allem bestimmte Sekten en Menschenrechtsrat scheint es, so das ein- fordern und was die Koppelung von sozialer hellige Urteil von Experten, nicht anders zu Herkunft und Bildungserfolg eher verstärken sein. Auch darin haben jene Länder wie Chi- als mindern würde. na, Tunesien, Saudi-Arabien und Kuba Sitz Natürlich müssen sich auch deutsche Schulen und Stimme, die nachweislich schwere Men- internationaler Begutachtung und Kritik stel- schenrechtsverletzungen begehen. Darüber len. Was man aber zumindest dabei erwarten hinaus wurde unter anderem genau von die- müsste, wäre eine wissenschaftlich fundier- sen Staaten im neuen UN-Menschenrechtsrat te und umfassende Bestandsaufnahme. Diese die Regelung mit durchgesetzt, dass die UN- hat nicht stattgefunden. Herr Muñoz war ein Sonderberichterstatter nicht von sich aus willkommener Spielball politischer Interessen Länder besuchen dürfen, in denen sie Men- von Einheitsschulbefürwortern. Dafür kann er schenrechtsverletzungen vermuten, sondern zunächst nichts. Was man ihm allerdings an- eine Einladung aus dem jeweiligen Land brau- lasten muss, ist, dass er diese ihm zugedachte chen. Rolle willig mitgespielt hat. Und damit sind wir wieder bei Prof. Muñoz und der Frage, warum er nicht Uganda, Ko- Zeitweilig drohte übrigens die EU mit dem Aus- lumbien oder Nordkorea, sondern Deutsch- tritt aus dem UN-Menschenrechtsrat wegen ge- land besuchte. Nach eigenem Bekunden nau der Probleme, die Meidinger hier dargestellt hat Muñoz mehrere Länder angefragt, – hat (Frankfurter Rundschau vom 16. 6. 2007). In- und die allererste Einladung kam prompt zwischen raufte man sich aber doch wieder zu- aus Deutschland, wo die damalige KMK- sammen. So lange allerdings Sonderberichterstat- Präsidentin und der zuständige OECD- terinnen und Sonderberichterstatter ihre Ener- Koordinator, zwei ausgewiesene Gemein- gie darauf verwenden, in Mitteleuropa tätig zu schaftsschulbefürworter, schon auf Schüt- werden und das deutsche Schulsystem als be- zenhilfe warteten. sonders perfide Form der Menschenrechtsver- Um die Bildungsfachkompetenz des Jurapro- letzung zu entlarven, können sich die wahren fessors zu untermauern, verwiesen übrigens Menschenrechtsverletzerinnen und Menschen- gesamtschulfreundliche Kommentatoren ger- rechtsverletzer aus aller Welt ins Fäustchen la- ne auf das vorbildliche Bildungssystem Costa chen und nach wie vor beruhigt zurückleh- Ricas mit seiner relativ niedrigen Analphabe- nen. tenquote. Verschwiegen wurde, warum Costa Rica in den PISA-Studien nicht auftaucht: Da die Schulpflicht dort mit dem 13. Lebensjahr 5 Warum verlieh der „Aktionsrat Bildung“ seinen endet, konnte das Hauptkriterium für PISA, Medienpreis 2006 gerade an die „Zeit“? die Testung eines ganzen Jahrgangs der 15- jährigen Schüler nicht erfüllt werden. Dies Zum Amtsantritt der Regierung Schröder 1999 diskreditiert natürlich nicht Herrn Muñoz, wurde im Auftrag des Arbeitgeberverbands „Ge- aber es diskreditiert all jene, die Costa Rica samtmetall“ die „Initiative Neue Soziale Markt- zum schulpolitischen Musterstaat aufblasen wirtschaft“ (INSM) gegründet. Es ging darum, wollten. in der Bevölkerung „die Einstellung zu unserer Prof. Muñoz hat keine neuen Analysen und Wirtschafts- und Sozialordnung zu ändern“ und Untersuchungen vorgelegt, er hat lediglich so u. a. die „Gesundheits-, Regional-, Steuer- und eine Meinung präsentiert, die er allerdings Abgabenpolitik“ zu beeinflussen. Dafür wurde allem Anschein nach schon aus Südamerika von Anfang an eine unauffällige, aber wirkungs- mitgebracht hatte. Dabei gewann man wäh- volle „Verflechtung von Öffentlichkeit und Journa- rend seines Besuchs oft den Eindruck, Herr lismus“ betrieben. Muñoz rede auch in Deutschland über Süd- „Ein wichtiges Instrument der INSM sind die so amerika und nicht über Deutschland, etwa genannten Botschafter und Kuratoren. Sie ge- wenn er große Bedenken gegen Kontakte von ben Interviews, schreiben Gastbeiträge, treten in Schulen zur Wirtschaft äußerte, weil dadurch Talkshows auf und vermitteln dann – zu genau 28 GDM-Mitteilungen 83 · 2007
dem Zeitpunkt, den die Kampagnenmacher [der und betreibt die Plutokratisierung der deutschen INSM] bestimmt haben – Ideen, Ziele und Vor- Universitäten in Verbindung mit der Beseitigung stellungen der Initiative. Zu diesem illustren Kreis von deren Humboldtschen Idealen wie „Einheit zählen“ bzw. zählten u. a. Hans Tietmeyer (früher von Forschung und Lehre“, „Unabhängigkeit Bundesbankpräsident), Martin Kannegießer (Ge- der Universität von Staat und Wirtschaft“ usw. samtmetall), Oswald Metzger (Finanzexperte der – in Form von Studiengebühren, Gehaltssen- Grünen), Lothar Späth (CDU-Ministerpräsident kung für Professoren (genannt W-Besoldung mit a. D.), Thomas Straubhaar (Weltwirtschaftsinstitut ihrer unsäglichen „leistungsbezogenen“ Sprei- Hamburg), Christine Scheel (Grüne, früher Vor- zung), Differenzierung von Forschungs- und Lehr- sitzende des Finanzausschusses des Bundestags), Universitäten sowie von Forschungs- und Lehr- Klaus von Dohnanyi (SPD, früher Hamburger Bür- Professuren, Aufzwingen von Bachelor-Master- germeister), Wolfgang Clement (SPD, Minister im Studiengängen, Propagierung eines Manager- Kabinett Schröder, zu der Zeit allerdings nicht Wesens an den Hochschulen, Einführung von INSM-Botschafter), Paul Kirchhof (CDU, zeitwei- Hochschulräten, qualitative Überbewertung von se Finanzminister-Kandidat) sowie Dieter Lenzen Drittmitteln, und nicht zuletzt Erzeugen und For- (Erziehungswissenschaftler und Präsident der FU cieren von Wettbewerb zwischen den Hochschu- Berlin), der uns gleich noch in anderem Zusam- len, u.a . mit Kindereien wie dem Hochschulran- menhang begegnen wird. „Nur selten wird bei king. – Müller-Böling wird uns ebenfalls gleich Namensartikeln oder Interviews das Engagement noch begegnen. des Betreffenden für die INSM deutlich“ gemacht; Auch das CHE treibt erfolgreiche Pressepoli- sie werden vielmehr „beispielsweise als ’Experten tik. Unter dem Titel „Die Zeit – sponsored by für Steuerrecht’ vorgestellt oder einfach mit ihrer Bertelsmann“ beschreiben „Die NachDenkSei- beruflichen Funktion“. ten“ (www.nachdenkseiten.de; Artikel von Jür- Diese Fakten habe ich einem Beitrag von Sabine gen Amrhein; Seite gesehen am 27. 11. 2006), wie Nehls und Magnus Sebastian Kutz in der Frank- sich die „Zeit“ ihrer „Pluralität des alten libera- furter Rundschau vom 9. 1. 2007 entnommen. Ex- len Schlachtschiffes“ entledigt hat und „sich in emplarisch wird dort von einem Interview unter Fragen der Hochschulpolitik zum Sprachrohr der dem Titel „Beamtentum der Lehrer abschaffen“ Bertelsmann-Stiftung gemacht“ hat „mit auch des Bonner Generalanzeigers mit Lenzen berich- im redaktionellen Teil . . . geradezu peinliche[n] tet, wo auch der Interviewer „bereits seit vier Schmeicheleien für den Sponsor“ CHE. Der Ar- Jahren im Dienst der INSM“ steht, der doppel- tikel analysiert dazu die Ausgabe vom 4. 5. 2006; te INSM-Bezug aber vor den Leserinnen und Le- man kann das aber über Monate und Jahre gut sern der Zeitung sorgfältig verborgen wird. – Die verfolgen. Frankfurter Rundschau hat dies zwar alles ent- Eine ähnlich enge Zusammenarbeit scheint es hüllt, aber sie arbeitet selbst brav mit der INSM zwischen der „Zeit“ und Pisa zu geben. Man zusammen, etwa innerhalb einer hessenweiten braucht nur an die vielen Sonderseiten voll des Reihe von Podiumsdiskussionen (organisiert und Lobes für Pisa und seinen Sprecher in Deutsch- bezahlt von der INSM), wo die jeweilige lokale land, Manfred Prenzel, ohne jeden kritischen Ne- Zeitung als Mitveranstalterin gewonnen wird, z. B. benton Anfang Dezember 2004 zu denken, an die am 15. 5. 2007 in Frankfurt zum Thema „Niedrig- anschließende Unterdrückung der Fehlermeldung lohnsektor . . . “. Anscheinend kann man sich auch zur Pisa-Musteraufgabe oder an die Diffamierung als SPD- und Grünen-freundliche Zeitung einem Wuttkes im November 2006. solchen Angebot nicht entziehen, so wie man sich Im Jahre 2005 wurde auf Initiative der Vereini- auf den ersten Seiten für eine dezidiert ökologi- gung der bayerischen Wirtschaft (vbw) ein „Akti- sche Politik ausspricht und hinten im Autoteil als onsrat Bildung“ (AB) gegründet, mit einer etwas redaktionelle Beiträge aufgemachte Werbetexte für anderen Struktur (er besteht aus sieben klar be- Luxusgeländewagen abdruckt. nannten Mitgliedern), aber ähnlicher Zielsetzung Eine ähnlich wirkungsvolle Pressearbeit betreibt, wie die INSW oder das CHE, nun aber speziell auf wie oben beschrieben, Andreas Schleicher mit sei- die Bildungspolitik in Deutschland unterhalb der ner Einheitsschulkampagne. Hochschulen gerichtet. Anfang März 2007 legte Eine etwas andere Form von Wirtschafts-Ableger der AB ein 160-seitiges Gutachten vor mit, trivia- stellt das Centrum für Hochschul-Entwicklung lerweise, vielen bedenkenswerten Forderungen, (CHE) mit seinem Chef Detlef Müller-Böling dar. aber auch: „Die Kontrolle der Standards im Bil- Es wurde von der Bertelsmann-Stifung und der dungssystem soll . . . über die qualitätsbezogene Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gegründet Finanzierung von Schulen erfolgen. Dafür sollen GDM-Mitteilungen 83 · 2007 29
die Schulen . . . ihre Lehrer nach Leistung bezah- Unter anderem verleiht der AB auch jährlich len“ (FR vom 9. 3. 2007). Jetzt geraten also auch einen „Medienpreis Bildung“. Für das Jahr 2006 schon die Schulen ins Visier der Plutokratisiere- erhielt diesen Preis die „Zeit“ für „herausragende rinnen und Plutokratisierer! journalistische Leistungen zum Thema Bildung“. Auf der Homepage (www.aktionsrat-bildung.de) Nun müssen wir nur noch wissen, wer die Mit- kann man sich über die Ziele informieren, die glieder im AB sind, und wir können die Frage in wiederum in drei Aktionsfeldern umgesetzt wer- der Überschrift dieses Abschnitts beantworten: den, von denen eines „Beraten und Aufklären“ Neben dem schon im Zusammenhang mit der lautet und etwas genauer so beschrieben wird: INSM genannten Vorsitzenden des AB, Dieter Len- „der Aktionsrat Bildung informiert und berät in zen, sind dies Hans-Peter Blossfeld (U Bamberg), Hintergrundgesprächen Journalisten und Politi- Jürgen Oelkers (U Zürich; bis 2006), Ludger Wöß- ker.“ Als Beispiel dafür wird ein „Journalisten- mann (LMU München), Wilfried Bos (Iglu) und seminar“ am 6. 7. 2006 im Haus der bayerischen last but not least Detlef Müller-Böling (CHE) so- Wirtschaft in München mit einem wissenschaft- wie Manfred Prenzel (Pisa). So wäscht eine Hand lichen Vortrag von Manfred Prenzel angeführt die andere. (Seite gesehen am 21. 5. 2007). Ein Zwischenruf zum Baumert-Gutachten Andreas Vohns und Rainer Danckwerts Im Herbst letzten Jahres hat die Landesregierung Lehrerausbildung.2 Die Kommission hat diesen Nordrhein-Westfalens eine Expertenkommission Auftrag angenommen, obwohl ihr die Schwere zur „Weiterentwicklung und Harmonisierung der des Auftrags durchaus bewusst war, sie „hat die- Lehrerbildung“1 unter Leitung von Prof. Dr. Jür- se Vorgaben als pragmatische Arbeitsgrundlage gen Baumert (Berlin) einberufen, die am 30. April akzeptiert – wohl wissend, dass in diesen Vorga- 2007 ihre Ergebnisse vorgelegt hat. ben Widersprüche und kaum auflösbare Span- Einige Eckpunkte der Arbeit hatte die Landesre- nungen eingeschlossen sind, die zu schwierigen gierung bereits als Arbeitsgrundlage festgelegt, Kompromissen und in Einzelfällen auch zu deut- insbesondere die flächendeckende Umstellung auf lich suboptimalen Lösungen führen“. Betont wird das BA/MA-Modell und die Zweiphasigkeit der hier das Spannungsfeld zwischen „der Bologna- 1 Gutachten „Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Nordrhein-Westfalen – Empfehlungen der Expertenkommission zur Ersten Phase“, S. 6. Das Gutachten ist unter http://www.innovation.nrw.de/Service/broschueren/BroschuerenDownload/Broschuere.pdf verfügbar. Soweit nicht anderweitig gekennzeichnet, beziehen sich alle folgenden Zitate auf diesen Text. 2 Mittlerweile haben sich zur Zweiphasigkeit innerhalb der regierungstragenden Fraktionen allerdings auch andere Stimmen gemeldet, vgl. etwa die Diskussion um die Vorstellungen des CDU-Fraktionsvorsitzenden Stahl http://bildungsklick.de/pm/52543/cdu-plaene-zur-lehrerausbildung/. 30 GDM-Mitteilungen 83 · 2007
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