Weltwelt JUNI - AUGUST 2020 C 51 78 - Kommunikation Was heißt das in diesen Zeiten? Erfahrungen von jungen Menschen - Nordkirche weltweit
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welt Schwerpunkt JUNI – AUGUST 2020 C 51 78 Kommunikation Was heißt das in diesen Zeiten? Erfahrungen von jungen Menschen weltbewegt 41
Schwerpunkt Kommunikation Aus dem Inhalt Editorial Welche Sprache Regierung nutzt Krise, sprechen wir eigentlich? um Rechte einzuschränken 4 Was brauchen wir, um ande- re zu erreichen? Helena Funk Francis R. Ablon befürchtet, dass der philippinische Prä- 18 Liebe Leserin, lieber Leser, Kirche braucht eine Sprache, die uns verständlich ist. Helena Funk meint: Hier kann Kirche noch sident die Meinungsfreiheit noch Wie reden wir eigentlich mit- Kommunikation ist immer geprägt von der Kultur, in der man aufge- lernen. stärker einschränkt. einander? Wie wollen wir über- wachsen ist. Arne Jureczek haupt miteinander reden und wie Wertschätzung ist Wir merken, wie sehr schaffen wir es, dass wir uns errei- Warum reduzieren wir uns auf Äußerlichkeiten? Diese Stereotypen entscheidend wir uns brauchen chen und verstehen – über alle Kul- 6 20 erschweren die Kommunikation erheblich. Johannes Tété Séna Davi tur-, Sprach- und Gendergrenzen hinweg? Mit diesen Immer noch prägt Rassismus Die Angst vor dem Virus ist im Fragen haben sich junge Autor*innen aus den Philipinnen, Wenn wir im Netz von der Lebenswirklichkeit anderer Menschen die Kommunikation und ver- Kongo so groß wie die vor Kongo, El Salvador und Deutschland, von denen sich erfahren, verstehen wir wirklich, was das für sie bedeutet? letzt. Johannes T. S. Davi weiß, Hunger. Da ist Zusammenhalt viele für die weltweite Ökumene engagieren, ausein- Flor M. Escobar Chávez dass es auch anders geht. gefragt, so Cédrick Y. Kitwa. andergesetzt. Das war kurz vor Beginn der Corona Krise, da wusste noch keiner der Autor*innen, wie stark der Der interkulturelle Austausch über Online-Plattformen bietet Erfah- Idealbilder und Osterfeier per Video Eingriff in den Alltag sein würde. In einer Zeit von Lock- rungen, die sonst nicht möglich wären. Lisa Paulsen Wirklichkeit down und Distanzgeboten lautet die Frage nun: Wie 8 reden wir denn miteinander, wenn wir uns nicht treffen Jeder Mensch ist ein Beziehungsmensch und kommuniziert, auch Dass Medien auch die harte Realität zeigen, ist wichtig für Für Daria Grzywacz aus Polen war es nicht leicht über Gren- 22 können? Wie verändert das unsere Kommunikation? wenn er sich zurückzieht. Nora Hess Weil Autor*innen in ihren Heimatländern mit den Folgen den Kampf gegen Ungerech- zen hinweg die Kommunikation der Pandemie zu kämpfen hatten, mussten einige ihre Bei- Es beunruhigt, wie viele nicht zwischen glaubwürdigen und zweifel- tigkeit, so Flor E. Chávez. aufrecht zu erhalten. träge noch kurz vor Redaktionsschluss absagen und andere haften Quellen differenzieren. Justin Howaldt einspringen. Mit Händen und In der Krise finden sich Fotos: C. Plautz (1), adpic (7), Wikimedia (1), Freiwilligenprogramme (1), Grützmann (1), S. Schäfer (1) Mit der Krise wuchs die Bedeutung digitaler Medien Trotz Social Media sehnen sich die Menschen nach persönlicher und Füßen neue Wege noch einmal mehr. Welch große Chance, sich trotz aller 24 Distanz austauschen zu können! Gleichzeitig zeigten sich 10 direkter Kommunikation. Paulo Plautz Arne Jureczek erfährt im Aus- In Koraput, Ostindien, werden die Gefahren der digitalen Kommunikation noch deut- tausch, dass nicht nur Worte Gottesdienste gestreamt und Die Schließung der philippinischen Sendeanstalt bedroht die öffent- licher. Wenn Wirklichkeiten, die beschrieben werden, nicht sondern auch Gesten zu Seelsorge-Gespräche per liche Kommunikation. Francis R. Ablon mehr unmittelbar erfahrbar sind, sondern digital vermittelt Missverständnissen führen. Handy geführt. werden, können Fake News oder Verschwörungstheorien Was gerade in diesen Zeiten wichtig ist: Reden darüber, wie es uns an Bedeutung gewinnen. So dass man „irgendwann gar in dieser Krise geht. Cédrick Y. Kitwa Hoffen auf ein besseres Am Anfang war nichts mehr glaubt, was man über Menschen in anderen Morgen das Wort Ländern sieht und hört und dann irgendwann aufhört sich dafür zu interessieren und mitzufühlen“, befürchtet die 13 Ich finde es sehr wichtig, im Gespräch immer nach einer gemein- Junge Menschen aus aller Das Christentum ist eine durch 26 samen Grundlage zu suchen. Daria Grzywacz Pädagogin Flor Chávez aus El Salvador. Genau dieses Welt tauschen sich als und durch kommunikative Re- Wissen sei aber wichtig, um sich für Klimagerechtigkeit zu Diese Krise kann Türen verschließen, aber auch neue Wege der Young Lutheran Reformer ligion. Austausch und Begeg- engagieren und gegen Gewalt, Ungerechtigkeit und Rassis- Kommunikation eröffnen. Sophia Schäfer aus. Lisa Paulsen ist dabei. nung sind zentral. mus zu protestieren. Wie weit das führen und welche Kraft Kommunikation entwickeln kann, das erleben wir in diesen Kommunikation gelingt da, wo Menschen zuhören, sich wahrnehmen Es gibt einem etwas „Lasst uns in Kontakt Wochen. und respektieren. Lennart Schulz Normalität zurück bleiben“ Wir bringen Impulse ein, die für das Zentrum für Mission und Öku- 16 Warum boomen in der Coro- na-Krise die Podcasts? Justin Die Krise hat den internatio- nalen Austausch intensiviert: 34 mene wichtig sind. Helena Bertling Ihre Meinung interessiert uns, darum schreiben Sie uns gern! Howaldt und Paulo Plautz ge- Erfahrungen aus Tansania, hen der Frage auf den Grund. Argentinien und Deutschland. weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach 52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: info@nordkirche-weltweit.de IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V ERLEGER: Zentrum für Mission und Ökumene DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE77 5206 0410 0000 1113 33 – Nordkirche weltweit, Breklum und Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. EVANGELISCHE BANK, BIC GENODEF1EK1. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des DIREKTOR: Pastor Dr. Christian Wollmann (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu bearbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gendergerechte Sprache KORREKTUR: Hedwig Gafga, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, w ww.nordkirche-weltweit.de. wenden wir in dieser Publikation an, indem wir das sogenannte Gendersternchen (*) in einem Wort benutzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier. 2 weltbewegt weltbewegt 3
Schwerpunkt Schwerpunkt rufen Welche Sprache sprechen wir eigentlich?! Wie reden wir eigentlich mitein- ander – auch über Ländergrenzen sagen, reden Sprache ist eines der wichtigsten Werkzeuge, um sich zu hinweg? Damit verständigen. Das wird gerade in dieser Zeit deutlich, in der Worte wirklich verstanden werden, Begegnung oft nur über Distanz möglich ist. Aber was ist müssen sie nötig, um verstanden zu werden und andere auch wirklich manchmal mehr Hürden überwin- fragen zu erreichen? Hier kann auch die Kirche noch viel lernen. den, als nur einen Mundschutz. Helena Funk antworten S preche ich Chinesisch, oder was? Sprüche wie diese sind wohl den meisten bekannt. Eine Person nizieren. Oder Telefongottesdienste. Oder singen vom Balkon. Wie kann man die Leute, die Mitchrist*innen te(!) als Grundlagen dienen, um Sprachen „ferner“ Länder zu erler- nen, sollte uns zum Nachdenken an- nebenbei auf einmal eine Standar- disierung des Gesprochenen statt. Bis heute berufen wir uns darauf, wenn Sheng – einer Sprache, die irgendwo zwischen Englisch und Swahili zu verorten ist. Swahili – Englisch – spricht – scheinbar – eine andere dort erreichen, wo sie gerade sind? regen. wir diese „fremden Sprachen“ lernen. wieder definieren wir in festen Sprache und nimmt dies als Begrün- Einsam, allein in ihren Zimmern Gehen wir noch einen Schritt Und so kann es auch heute noch Sprachkategorien. Als ob Sprache schreiben dung, dass die anderen sie nicht ver- und Häusern? Ganz neue Sprachen weiter zurück in die Vergangenheit, vorkommen, dass wir direkt nach etwas Statisches, Unveränderbares stehen. Wahlweise kann man Chi- und Sprechweisen entwickeln sich stoßen wir auf einen weiteren Mei- unserer Ankunft die lokale Bevöl- wäre. nesisch auch mit Spanisch, Kiswahi- gerade. Ob sie langfristig Bestand lenstein in der Geschichte von kerung – zum Beispiel in Tansania – Festgeschriebene Kategorien, die li oder jeder beliebigen anderen haben werden? Sprache und Kirche: Martin Luther, verbessern: „das müsste aber so und uns in dieser Lage nicht weiterhelfen. der Brief Sprache ersetzen. Was ausgedrückt wollte mit seiner Bibelübersetzung so heißen“. „Ahsante schreibt sich Ja, es ist ernst. Es ist Zeit, professionell werden soll, ist, dass der Gesprächs- Kirche und Sprache – das ist die Heilige Schrift für alle vers- aber ohne „h““– und warum? Weil zu handeln. Also Englisch? Aber partner absolut nichts zu verstehen so eine Sache für sich tändlich machen. Es ging ihm zum unsere Vorgänger das so festgelegt erreichen wir damit wirklich alle? scheint – und warum? Weil man einen um die Übersetzung aus dem haben. Wir, also weiße Mitteleuro- Das ist für Nairobi fraglich, und auch keine ge-meinsame Sprache spricht. Kirche und Sprache – ein altes Paar. Griechischen oder Hebräischen ins päer*innen, haben in vielen Län- für Berlin oder Hamburg. Erreichen Eine gemeinsame Sprache spre- Kirche und Sprache – das ist so eine Deutsche. Dahinter das Motiv, ver- dern das Gesprochene durch Gram- wir mit digitalen Angeboten wirk- das Zeichen chen hilft, sich gegenseitig zu ver- Sache für sich. Ein Paar mit einer ständlich zu sein und die Menschen matiken und Wörterbücher zu einer lich alle, die wir erreichen möchten? stehen. Dies ist in der aktuellen Lage, sehr langen gemeinsamen Geschich- dort zu erreichen, wo sie sind. Schriftsprache geformt. Und dennoch Und mit den analogen Angeboten? der „Corona-Krise“, super wichtig. te. Spätestens seit dem Buch von Doch gibt es „die“ Sprache wirk- helfen uns die Aufzeichnungen der Welche Wege könnten wir noch ge- Manchmal habe ich das Gefühl, wir Erik Flügge „Der Jargon der Betrof- lich?! Nein. „Die“ Sprache, die von Missionar*innen als Orientierung. hen? Welche Sprache müsste Kirche sind dabei, eine ganz neue Sprache zu fenheit - Wie die Kirche an ihrer den Missionaren als eine Art Stan- Orientierung für etwas, was stets im sprechen, um die zu werden, die sie das Wort lernen. Zu lernen, wie wir uns mit Sprache verreckt“ wurde der Kirche dardsprache institutionalisiert wurde, Wandel ist. sein möchte? Um von allen ver- möglichst wenig Kontakt verstän- schriftlich attestiert, dass sie nicht findet man auf der Straße kaum standen zu werden – so wie Luther es digen können. Lernen, wie wir digital immer verständlich ist, ja vielleicht genau so wieder. Jede*r spricht an- Manchmal muss man eine schon anstrebte? kommunizieren können. Digitale sogar die „falsche“ Sprache spricht. ders. Der eine mischt ein paar eng- Sprache neu erfinden Meiner Meinung nach braucht Angebote scheinen das Medium der Wenn wir einen Schritt zurück in lische Worte hinein. Die nächste Kirche keine Sprache im her- Fotos: G. Grützmann (1), REUTERS/Fabrizio Bensch (1), H. Funk (1) Zeit zu sein. Die eine ist damit mehr die Missionsgeschichte gehen, wird übernimmt lokale Dialekte und deren Auch in der heutigen Zeit sind wir kömmlichen Sinne. Egal ob Deutsch, vertraut, der andere bisher weniger. deutlich, wie eng sich Misionar*innen Aussprachen. Hier zu Lande kennen im Wandel. Ein schneller, plötzli- Spanisch, Chinesisch oder Swahili. Eine Sprache lernen ohne Wör- mit der Sprachwissenschaft ver- wir das mit plattdeutschen oder gar cher, unerwarteter Wandel. In Nai- Kirche braucht eine Sprache und terbuch, ohne Grammatik. Ohne bunden haben. Waren doch viele der friesischen Ausdrücken. Ja, auch eige- robi erlebte ich während meiner eine Sprechweise, die uns verständ- Helena Funk (27) Eselsbrücken und Kniffe, wie es gut Missionar*innen auch die ersten, die ne Wortkonstruktionen und Satzbau Feldforschung für die Masterarbeit, lich ist. Die uns in unserer ganz studiert Master gehen kann. Selbst Floskeln, die uns Sprachen schriftlich festhielten, Wör- findet Einzug in unsere Gespräche. wie Menschen, die es gewohnt sind, persönlichen Lage abholt und unser African Studies und das Erlernen anderer Sprachen er- terbücher und Grammatiken ver- Sprache kann somit kaum als ab- in mehreren Sprachen zu kommuni- Herz erreicht. Theologie in Leipzig, Missionare und Sprachwissenschaftler folgten leichtern, gibt es gerade kaum. öffentlichten, wie Bruno Gutmann, geschlossene Kategorie gelten. Mis- zieren, auch Gefühle und Situatio- Wie sich diese Sprache anhört? – Jugenddelegierte europäischen Normen, als sie in fernen Ländern Fast so wie ein kleines Kind der um 1900 Werke zur Sprache und sionare und Sprachwissenschaftler nen mit einzelnen Sprachen verbin- Das weiß ich auch nicht genau. der Nordkirche beim gesprochene Sprache in schriftlicher Form doku- sprechen lernt, lernen wir gerade, im Kultur der Wachagga in Nordtansa- brachten ihre Definitionen von Spra- den. So wurde immer wieder beteu- Grammatik? Wörterbuch? – Habe ich Lutherischen mentierten. So hatten Breklumer Missionare digitalen Raum zu kommunizieren nia veröffentlichte, die noch immer che mit, um Gesprochenes in den ert, dass wenn etwas wirklich ernst nicht. Hinhören, nachmachen, aus- Weltbund und im Wörterbücher in Oriya herausgegeben. und ganz neue Formate – nicht nur viel zitiert werden oder wie Ferdinand „fernen Ländern“ zu dokumentieren, sei oder man professionell herüber- probieren. Nicht nur jetzt, sondern Jugendbeirat des online – auszuprobieren. Learning by Kittel, der eine Grammatik für die analysieren und so aufzubereiten, kommen wolle, man Englisch spre- langfristig. Manchmal muss man Zentrums für doing. Sowohl der Staat als auch die südindische Sprache Kannada auf- dass es andere Europäer ebenfalls er- chen würde. Wer jedoch cool oder auch eine ganze Sprache neu erfin- Mission und Kirche. Auf einmal online kommu- schrieb. Dass diese Vorlagen bis heu- lernen können. Damit fand ganz hip sein wolle, tendiere eher zu den. Ökumene. 4 weltbewegt weltbewegt 5
Schwerpunkt Schwerpunkt Dankbarkeit und Wertschätzung sind entscheidend Wie wir anderen begegnen, bestimmen wir selbst. Gleich- Dankbarkeit aber auch andere Gefühle zu zeigen. Durch führt es dazu, dass wir ein Identifikationsproblem haben, Offenheit lassen wir zu, dass andere einen, wenn auch denn wir werden von beiden Gesellschaften nicht als zeitig ist unsere Kommunikation stark geprägt von unserer nur kleinen, Einblick in unser Leben erhaschen. Diese gleichwertig akzeptiert. Wir sind viel mehr als nur die Einstellung gegenüber anderen Menschen und dem Leben Form der Kommunikation prägt das eigene Leben stark. Menschen, deren Vorfahren irgendwann mal in einem überhaupt. Memento Mori – Wir alle sind nur Gast auf dieser Welt anderen Kontinent aufgewachsen sind. und irgendwann geht auch unsere Reise zu Ende. Angela Merkel brachte es im Frühjahr auf einer Bundes- Johannes Tété Séna Davi Angesichts dessen wäre es eine Schande, wenn wir den pressekonferenz prägnant auf den Punkt: Ihr Ur- Personen, die unser Leben bereichern, nicht sagen, wie großvater sei ursprünglich aus Polen. Sie müsse sich gut sie uns tun. Dies kann nicht nur durch verbale nicht für ihr „Deutschsein“ rechtfertigen, aber ihre Kol- Kommunikation erfolgen, sondern auch durch nonverbale, legin Frau Nantchar, CDU-Politikerin mit Wurzeln aus W enn ich an Kommunikation denke, fällt mir ein Satz ein, der auf den ersten Blick vielleicht etwas abwegig erscheint: „Memento mori“. Er kommt aus dem lateinischen und bedeutet „Bedenke, dass du stirbst.“ mit der wir oftmals mehr ausdrücken können, als mit bloßen Worten. Ein Lächeln, eine liebevolle Umarmung oder eine nette Geste, können ebenfalls ein Zeichen von Kamerun, die dunkelhäutig ist, müsse sich ständig rechtfertigen. Warum reduzieren wir uns immer nur auf irgendwelche Äußerlichkeiten? Warum muss man Er mag makaber klingen, aber treibt mich ständig dazu, meinem Herzen besonderer Wertschätzung sein. meine Hautfarbe so hervorheben? Warum muss man zu folgen und keinen Tag ungenutzt zu lassen: „Carpe diem“. Das hervorheben, dass die neue Chefin eine Frau ist? Bewusstsein der Endlichkeit ist für mich zur wichtigen Grundlage von Kommunikation und Rassismus Schließlich sind wir so zur Welt gekommen und haben Kommunikation geworden. Denn es sind doch die zwischenmenschli- uns die Sonderstellung nicht ausgesucht. Wir sind von chen Beziehungen, die den Tag erfüllen und das Leben bereichern. Doch möchte ich auch auf Faktoren eingehen, die eine außen Benannte und müssen immer darum kämpfen, Kommunikation negativ beeinflussen und prägen kön- uns selbst benennen zu dürfen. Diese bewussten oder Wir sollten den Mut haben, unsere Dankbarkeit zu zeigen nen: dazu gehören Vorurteile und Stereotypen. unbewussten Kategorisierungen, prägen die Kommuni- Ich selbst mache leider oft die Erfahrung, dass ich mich kation und erschweren sie oft erheblich. Ebenso wichtig ist das Wort „Danke“, das mittlerweile mein Lieblingswort ist. mit vorgefertigten Bildern auseinandersetzen muss, die Wann erkennen die Menschen, dass wir lediglich Gäste Daraus entsteht eine Haltung, die viel dazu beiträgt, dass Kommunikation in meinem Gegenüber verankert sind. Oft versuchen auf dieser Welt sind. Die Welt gehört uns allen. Große auch zu etwas wird, was einen glücklich machen kann. Das beginnt schon Menschen in meiner Gegenwart ein adäquates Wort für Herausforderungen wie die Coronakrise oder der bei kleinen Begegnungen: wenn ein Mensch zu mir „Danke“ sagt, dann mich zu finden: dunkelhäutig, schwarz, farbig etc. Klimawandel können nur gemeinschaftlich bewältigt zaubert es mir ein Lächeln ins Gesicht und gibt mir ein unbeschreiblich Menschen, die eine cremefarbene Haut haben werden werden. warmes Gefühl. Es versüßt mir den Tag und zeigt, dass ich einem anderen nicht auf ihre Hautfarbe angesprochen. Dagegen fühle Für Zuschreibungen anderer und Stereotypen, die eine Menschen helfen konnte. Ein ehrliches Danke erfüllt doch unsere Herzen, egal, ich mich immer aufgefordert, alles erklären zu müssen. Kommunikation prägen, sind wir nicht verantwortlich, wie klein die Hilfe war. Oft kommt dann ein Lächeln zurück. So teilen wir Aber mein Name ist Johannes und ich habe eine eigene aber für unser Verhalten, dafür, wie wir miteinander denselben glücklichen Moment. Persönlichkeit. Fragen hinsichtlich meiner Heimat, die umgehen. Weil Worte nicht nur Worte sind, sondern eine Dies habe ich besonders in dieser Zeit, während der Corona-Krise, erfahren. Herkunft meiner Eltern oder sonstiges geben mir das Wirkung haben, können sich Menschen auch durch Jedes Mal, wenn ich mich beim Einkaufen bei Mitarbeiter*innen in den Gefühl, von der Gesellschaft nicht hundertprozentig Worte verändern. Menschen können zu dem werden, Märkten bedankt habe, haben sie sich ebenfalls sofort bedankt. Ich wollte akzeptiert zu werden. Das geht nicht nur mir so, sondern was ihnen zugeschrieben wird. In dem Sinne hatte ihnen nur mitteilen, wie dankbar ich dafür bin, dass sie in der Krisenzeit für den meisten, die ähnliche Erfahrungen machen wie ich. Martin Luther King, der Bürgerrechtler aus den USA, die Bevölkerung da sind. Sie entgegneten mir jedes Mal mit Freude und Es gibt uns das Gefühl, nicht ganz deutsch zu sein, und Recht, als er 1963 sinngemäß sagte: Ich habe den sagten, dass ich einer der wenigen sei, die sich bedanken würden. in den Ländern, wo unsere Wurzeln sind, werden wir als Traum, dass meine Kinder eines Tages in einer Welt Dankbarkeit ist eine Grundlage für Wertschätzung anderen gegenüber und Deutsche bezeichnet. Aber was ist schon deutsch? aufwachsen, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe Johannes Tété die haben Menschen redlich verdient. Ein Dankeschön für die kleinen Auf- Wenn wir nicht vollends deutsch und nicht türkisch, beurteilt werden, sondern nach ihrem Charakter. Worte Séna Davi (25) merksamkeiten, wenn zum Beispiel im Büro ein Kaffee mitgekocht wird. Oder persisch, togolesisch etc. sind, was sind wir dann? Das können Menschen kleiner machen, aber Worte können lebt in Bielefeld ein Danke für die Verlässlichkeit, wenn Freunde alles stehen und liegen lassen, Hin und Her strapaziert unsere Nerven und es tut weh auch ihre Würde beschreiben, sie ermutigen und und studiert um für einen da zu sein. Wie oft sagen wir eigentlich denen, die uns stets in ständig als etwas Besonderes dazustehen. Im Endeffekt befreien. Jura. diversen Lebenssituationen begleiten, wie toll sie sind und wie viel Kraft sie uns dadurch geben? Dazu zähle ich auch Menschen, denen ich nur einmal begegnet bin, die aber meine Denkweise verändert haben, so dass ich mich in meiner Persönlichkeit weiterentwickeln konnte. Menschen, die mein Leben so viel bunter und liebenswerter machen, die für mich da gewesen sind, und Fotos: Davi (1), adpic (2) mir Rückenwind gegeben haben, um meine Ziele erreichen zu können. Mit Sicherheit kennen alle mindestens eine Person, die das eigene Leben zu einem noch besseren macht. Ich denke, dass es wahnsinnig viele Menschen gibt, die dankbar sind, für das, was eine Person für einen tut, es aber nicht aussprechen. Wir sollten das tun! Wir sollten öfter den Mut haben, unsere 6 weltbewegt weltbewegt 7
Schwerpunkt schen, die uns über die sozialen Idealbilder und Medien beeinflussen wollen. Auch sogenannte selbsternannte „weise“ Wirklichkeit Menschen, die uns überzeugen wol- len, dass bestimmte Dinge, Hand- lungen oder Reaktionen gut für uns sind. Dann kommt es zu Streitig- Digitale Medien präsentieren glitzernde keiten zwischen den Anhängern oder Gegnern der Meinungsma- Scheinwelten, aber sie zeigen auch die cher. Ich denke, dass diese Leute reale Wirklichkeit von Menschen, zu der oft deshalb so eine starke Anziehungs- auch Gewalt und Ungerechtigkeit gehören. kraft haben, weil sich viele wün- schen, dass einem andere Men- Dieses Wissen ist wichtig, um sich gemein- schen einmal sagen, wo es lang geht sam für eine gerechtere Welt einzusetzen. oder was die einfachste Lösung ist. Das ist in den verschiedensten ge- sellschaftlichen Bereichen so, ob Flor Marina Escobar Chávez Politik, Religion, Rassismus, Kul- tur, Handel oder Bildung. Wenn wir nicht aufpassen, kann uns diese Beeinflussung zu Menschen ma- chen, die wir gar nicht sein wollen, die wir dann vielleicht nicht einmal mehr verstehen und kennen. O hne Kommunikation ist eine Beziehung zu an- deren Menschen unmöglich. Aber die Art und Weise, wie wir uns begegnen, wie wir miteinander Wir versuchen, uns positiv zu zeigen, selbst wenn wir in Stücke zerbrechen Grundbedürfnisse erfüllen zu können. Kinder müssen stundenlang laufen, um eine Schule besuchen zu können. Das Leben ist unfair! Aber wenn wir von der Situation Im Grunde ist es sehr menschlich, etwas nachahmen zu wollen. Seit jeher gehört es ja zur Entwicklung von Menschen, das nachzuahmen, was sie sehen. Nur so umgehen, welche Worte oder Gesten wir wählen, die Fakt ist, unsere Generation liebt das digitale Leben, die anderer Menschen erfahren, verstehen wir sie wirklich? konnten wir überleben und die Traditionen und Gewohn- kann entscheidend sein. Sie prägt mein Leben und das Mehrheit jedenfalls. Wir können unser Idealbild präsen- Verstehen wir wirklich, was das für die Betroffenen heiten von Generation zu Generation weitergeben. Nur so der anderen. Alles hängt davon ab: das Familienwohl, tieren, uns so zeigen, wie wir uns selbst gerne sehen wür- bedeutet? Oft sehen und hören wir davon im Netz, doch konnten wir sprechen, kochen, tanzen oder singen lernen. Partnerschaften, unsere Freundschaften, aber auch un- den: Wir zeigen den schönsten Ort, an dem wir waren, dann ist es meist schnell wieder vergessen. Am nächsten Nur auf diese Weise haben wir nicht zuletzt auch gelernt, ser Berufsleben und die Geschäfte, die wir machen. Wie das großartigste Lächeln, das beste Outfit, all die Dinge, Tag gibt es ein neues Thema. Wir sind oft nur das wie wir uns zu informieren und die andere Welt wahrzu- Flor Marina wir kommunizieren, hängt davon ab, in welchem sozia- mit denen wir uns gut, vollständig und fröhlich fühlen. Publikum. Und das kann dazu führen, dass man denkt, nehmen haben. Escobar Chávez len Umfeld wir uns bewegen. Wir versuchen uns von der positiven Seite zu zeigen, man könne ja doch nichts tun. Fake News sind auch deshalb eine so große Gefahr, weil (27) aus El Heute leben wir in einer Zeit, in der soziale Medien selbst wenn wir in Stücke zerbrechen. Die Person, die wir Die Dinge würden sich ändern, wenn wir mindestens sie die Wahrnehmung trügen und dazu führen können, Salvador ist für viele die Hauptkommunikationsquelle sind. Mit all in sozialen Medien präsentieren, ist nicht das wahre Ich. zu einem Prozent davon etwas verstehen und mitfühlen dass man irgendwann gar nichts mehr glaubt, was man studierte Pädago- den positiven und negativen Folgen. Mit Hilfe der neuen Aber wer sind wir wirklich? Zeigen wir wirklich alles, würden. Wenn wir nicht nur reden, sondern handeln über Menschen in anderen Ländern sieht und hört. Und gin und arbeitet Medien können wir jederzeit erfahren, was wo auf der was in uns vorgeht, wenn wir etwas in sozialen Medien würden, wenn wir uns dann bewegen und arbeiten dann irgendwann sogar aufhört, sich dafür zu inter- bei der Lutheri- Welt vor sich geht. Wir sehen, wie Menschen auf anderen teilen? Zeigen wir jemals ein Foto oder Video, wo wir würden, um die Umstände zu verbessern. essieren. Sie können dazu führen, dass man aufhört schen Synode in Kontinenten leben, was ihre Lebenswirklichkeit ist, was traurig aussehen oder die Kontrolle verlieren, weil wir uns Es gibt bereits Tausende, die auf diese Weise arbeiten. mitzufühlen. Dabei ist es so wichtig, etwas über andere der Kommunikati- ihre Wünsche sind oder ihre Kämpfe. Gerade in dieser depressiv fühlen oder enttäuscht sind? Allerdings: würden An vielen Orten in der Welt sprechen Menschen über das, Lebenswirklichkeiten zu wissen! So erfahren wir, was on. 2019 war sie Corona-Krise ist der digitale Austausch mit anderen wir uns besser fühlen, wenn wir das tun könnten? Könnten was sie in der Gesellschaft bewegt, sie protestieren, weil sie unsere Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt Teilnehmerin bei Menschen natürlich ein großer Gewinn. Ein kleiner wir vertrauen, dass die anderen wirklich verstehen, wie wir sich Ungerechtigkeiten nicht gefallen lassen. Es ist genug durchmachen. Und wenn wir Menschen aus anderen #ConAction, der Nebeneffekt: Ich kann auch mal leichter mit Menschen in uns fühlen? Ich weiß es nicht. von allem für alle Menschen da. Ländern sogar persönlich kennen lernen, entsteht eine internationalen Kontakt kommen, die ich sonst persönlich nicht so mag Das wirkliche Leben ist schwerer und viel kompli- wunderbare Welt. Jugendkonsultati- oder treffen würde. Das gibt mir die Chance, auch ohne zierter. Viele um uns herum haben ihre eigenen Probleme Fake News können dazu führen, dass man Das ist so wichtig, um zu erfahren, dass wir alle gleich on, einem direkten Kontakt, erst einmal zu hören, was der andere und Herausforderungen, mit denen sie sich ausein- aufhört mitzufühlen sind. Dass wir alle Menschen sind, mit Gefühlen und Kooperationspro- wirklich meint. Die Diskussionen, das Streiten oder andersetzen müssen. Wir können alles hören und sehen, einem so schönen Herzen. Dass wir gleiche Wesen sind, jekt des Zentrums Fotos: adpic (1), C. Wenn (1) beleidigte Schweigen, all das, was früher Grund war, um was mit Einwanderern passiert, wo Gewalt, Diskriminie- Die Verbreitung vieler Fake News gehört zu den Schat- gleich geschaffen, geboren, um zu leben und zu sterben. für Mission und mich zurückzuziehen, nimmt beim Austausch auf digi- rung, Krieg, Missbrauch … herrscht. tenseiten der Medienkultur. Sie sind deshalb so gefähr- Dieses Wissen von anderen und die direkte Begegnung mit Ökumene (ZMÖ) talen Plattformen weniger Raum ein. Man hört mehr zu. Es gibt unglaublichen Reichtum und Menschen, die lich, weil viele Menschen immer noch allem vertrauen, Menschen aus anderen Ländern, egal ob digital oder real, und des Kirch- So erlebe ich das zumindest. Mir wird dann jedes Mal unter extremer Armut leiden müssen. Die Unterschiede was sie in den Medien hören, sehen oder lesen. Sie kön- das ist so wichtig, auch für die weltweite Solidarität. lichen Enwtick- bewusst, wie großartig es ist, zusammen zu sein, auch werden immer krasser. Während eine Minderheit in Luxus nen die Behauptungen nicht überprüfen und lassen sich lungsdienstes der wenn wir so verschieden sind. und Überfluss lebt, wünschen sich andere, zumindest ihre in die Irre führen. können. Es gibt leider sehr viele Men- Übersetzung: Ulrike Plautz Nordkirche (KED) 8 weltbewegt weltbewegt 9
Schwerpunkt Mit Händen und O b im Alltag oder im Urlaub: immer wieder frage ich einandergesetzt, Füßen mich, wie ich mich richtig verhalten muss. Wie aber mich über- begrüße ich richtig oder wie gebe ich eine Bestellung im raschte es doch, Restaurant auf? Mein Gegenüber wird schon wissen, dass es so viele was ich meine, denke ich mir. Zur Not kommuniziere deutsche Pasto- Missverständnisse gibt es ich mit Händen und Füßen – das funktioniert immer, ren in einem klei- so ist doch die allgemeine Annahme. nen Dorf in den im engen Freundes- und Wir leben in einer Gesellschaft, die sich in ihrer Struk Anden in Peru Familienkreis schon zuhauf. tur immer pluralistischer und interkultureller zeigt. Ist geben sollte. Als Wie läuft die Verständigung doch klar, dass da auch mal Missverständnisse in der auch ein kuba- Kommunikation aufkommen können. nischer Student erst in einer anderen Kultur? Die Herausforderungen sind jedoch nicht nur sprach- zustimmte und Wo nicht nur Worte, sondern licher Natur. Eine Unterhaltung ist eben nicht nur die sagte, auch bei auch Gesten anders ver- Verständigung durch Worte, sondern auch durch Gestik, ihm in Kuba gä- Mimik und Körperhaltung. Durch die interkulturelle be es viele deut- standen werden können, als Komponente wird es noch einmal herausfordernder. sche Pastoren, gewohnt. Schließlich ist Kommunikation – sei sie nun verbal oder fragte ich irritiert nonverbal – immer auch kulturell bedingt, beziehungswei- nach: predigen se dadurch geprägt, in welchem Kulturraum man über- deutsche Pastoren Arne Jureczek wiegend aufgewachsen ist: Wie man sich begrüßt, einen besonders gut Dialog führt oder Dinge, die man wahrnimmt, beschreibt. oder warum gibt es so viele davon in euren Regionen? Schon diese Es gibt verschiedene Sicht- und Ausdrucksweisen. Schon Großes Gelächter brach am Küchentisch aus. „Arne, kleine Hand- in der Muttersprache und im gewohnten Lebensraum ein Hund kann doch nicht predigen!“ Und dann fiel auch geste kann in entstehen Herausforderungen in der Kommunikation. bei mir der Groschen. Ich klatschte mir mit meiner Hand jedem Land Wie soll es dann erst auf einer interkulturellen Ebene an den Kopf (eine Geste, die ich meinen lateinamerika- etwas anderes werden? Wenn ich das Wort interkulturell benutze, denke nischen Freunden im Nachhinein erst erklären musste!). bedeuten: ich besonders an das Aufeinandertreffen von verschiede- Das Gespräch beruhte von Anfang an auf einem Miss- „Was willst nen Kulturen und all das, was damit zusammenhängt, wie verständnis. Pastor alemán heißt übersetzt nicht deutscher du?“ (Italien) beispielsweise Lebensstil und Sprachen. Pastor, sondern deutscher Schäferhund. Pastor ist das „Klein, wenig“ spanische Wort für Schäfer oder Hirte. Für den Rest mei- (Kongo) Vom Pastor zum Schäferhund nes Studienaufenthaltes wurde ich nun mit diesem „Schön, gut“ Spitznamen gebrandmarkt. Ich bin froh, dass dieses Miss- (Türkei) Ich erinnere mich noch gut an ein interkulturelles verständnis aufgeklärt werden konnte und in Heiterkeit „Gedulde dich“ sprachliches Missverständnis, das ich während meines mündete. Doch dies ist nicht immer der Fall. (Ägypten) Auslandsstudiums in Costa Rica 2019 erlebt habe. Ich Je besser meine Spanischkenntnisse wurden, desto we- wohnte in einem Wohnheim direkt neben der Universi- niger Missverständnisse gab es. Ganz weggefallen sind sie tät, zusammen mit Studierenden aus verschiedenen aber nicht. Die Sprache ist zwar eine wesentliche Kompo- Ländern Lateinamerikas. Besonders war auch, dass wir nente von Missverständnissen, aber nicht die einzige. verschiedenen Konfessionen angehörten, denn die Uni- Dennoch: ich musste mich während meines Auslands- versität, an der wir studierten, ist ökumenisch ausge- studiums im Laufe der Zeit immer weniger mit den richtet. Ich sitze also am Tisch zusammen mit lebensfro- sprichwörtlichen Händen und Füßen verständigen, hen Menschen aus Honduras, Kuba, Kolumbien und sondern konnte immer mehr aktiv am Gespräch teil- Zeichnung: A. de Watteau (1), Foto: C. Wenn (1) Peru. Missverständnisse sind da schon vorprogram- nehmen. miert, dachte ich mir. Und so kam es auch. In einem Gespräch erzählte mir ein peruanischer Christentum: Von Beginn an interkulturell Kommilitone, dass er den Pastor alemán gerne mag. Deutscher Pastor, so lautet die direkte Übersetzung. Ich Eine interkulturelle Kommunikation mit Händen und freute mich über sein Interesse. Er erzählte weiter, dass es Füßen – dieses Bild passt auch theologisch, finde ich: in seinem Dorf einige von ihnen gibt und sogar in seiner der Apostel Paulus beschreibt die christliche Gemeinde Familie. So langsam war ich irritiert. Ich habe mich auch als ein Leib mit vielen Gliedern. Wir alle sind Teil des kritisch mit der kolonialen Geschichte – und in dem Körpers Christus – dazu braucht es Interkulturalität: Zusammenhang auch mit der Rolle der Kirchen – aus- Hände und Füße, aber auch Augen und Ohren. Ich will 10 weltbewegt weltbewegt 11
Schwerpunkt Schwerpunkt Hoffen auf ein besseres Morgen Junge Menschen aus aller Welt vernetzen sich als Young Lutheran Reformer, um Erfahrungen auszutauschen. Dabei geht es um Projekte zum Thema Gerechtigkeit, Bildung und Erneuerung der Kirchen. Ohne virtuelle Kommunikation wäre das nicht möglich. Lisa Paulsen Davon lebt die interkulturelle Ich setze mich mit einer dampfenden Tasse Tee an meinen Schreibtisch und öffne den Computer, Kommunikation: rufe meine E-Mails auf, klicke den Einladungslink an und schon bin ich Online. In dem Programm, sich einlassen das mir ermöglicht, an einem Online-Meeting teilzunehmen. Bisher kann ich nur das Video eines auf Neues und Teilnehmers sehen, doch nach und nach loggen sich immer mehr Personen aus ihren Wohnzim- Ungewohntes mern oder Büros in Schweden, Südafrika, Polen, Indonesien, Australien, Brasilien ein. Ab und zu in der Kommu- knackt es, unterschiedliche Stimmen sind zu hören. Mikrophone werden getestet. Wer wird heu- nikation. te das Anfangsgebet sprechen? Ich höre die Stimme der Projektleiterin, die uns begrüßt und spontan einen Namen vorliest. Ich höre meinen Namen. Warte ab. Aber doch, sie meint mich. Nun ist alles still und wartet darauf, dass ich das Gebet spreche. Ich fühle mich ein wenig über- nicht behaupten, ein Körperteil sei relevanter als das von Bingen, Gustavo Gutierrez oder Dorothee Sölle. rumpelt. Kann nicht, wie sonst gewohnt, in die Gesichter der Zuhörer schauen. Kann keine Re- andere. Vielmehr will ich deutlich machen: es braucht Es ließen sich noch viele weitere Beispiele nennen. aktionen hören, kein leises Getuschel. Es ist ungewohnt und doch scheint es so, als würde sie viel Vielfalt. Doch diese Vielfalt funktioniert nur mit wirklich mich meinen. Okay, ich atme tief durch und bete in einer Sprache, die mir durchaus be- Verständigung. Wie wir zusammenwirken können, da- Eine Sichtweise mit Hand und Fuß kannt ist, aber die ich nicht täglich nutze. Englisch. Nach ein paar Sätzen ist es geschafft. Reak- rüber müssen wir uns verständigen! tion der Zuhörer? Fehlanzeige. Nach einem Dank wird eine Powerpoint-Seite links neben den Als Theologiestudent interessieren mich die Aus- Eine interkulturelle Kommunikation kann ich mir nicht Namen und Videos im Passbildformat geöffnet. Durch eine E-Mail ein paar Tage zuvor, wissen wirkungen einer interkulturellen Sichtweise auf die Theo- anlesen oder passiv aneignen. Vielmehr muss ich sie wir, was das Thema des heutigen Nachmittages ist. Zwei Stunden haben wir Zeit. Während ich logie und das Christentum. Im wissenschaftlichen Be- aktiv wahrnehmen und erlernen. Aus persönlicher Er- schnell nach der Arbeit nach Hause gefahren bin, um an dem Meeting teilnehmen zu können, reich ist diese Disziplin noch ein recht junges Phänomen fahrung weiß ich, wie wichtig es ist, sich direkt mitein- sind andere Teilnehmer aus anderen Teilen der Welt gerade erst aufgestanden oder wischen sich und sucht nach einer Position zwischen Christentums- ander auszutauschen, von Angesicht zu Angesicht. Die verträumt die Augen. und Theologiegeschichte, Missionswissenschaft, Dogma- Kommunikation in ihrer Gänze wahrzunehmen in tik und Ethik. Gestik, Mimik und Körperhaltung meines Gegenübers. Jungen Menschen Kirche näher bringen Was sich jedoch grundsätzlich sagen lässt: Menschen Wird er die Hände auf den Kopf schlagen, mit dem Fin- haben seit jeher immer wieder ihre Heimat verlassen und ger ein Augenlid herunterziehen, mit der Hand vor dem Denn wir, die Lutheran Young Reformer des Lutherischen Weltbundes (LWB), kommen aus den sind in andere Regionen eingewandert. So ist auch das Gesicht wedeln oder sich mit dem Finger an die Stirn unterschiedlichsten Ecken der Welt. Und eines verbindet uns besonders: der Wunsch, sich mit Christentum von Beginn an interkulturell. Wir berufen tippen? Hoffentlich nicht, denn diese Gesten sind Gleichaltrigen auszutauschen, Erfahrungen zu teilen, voneinander zu lernen und unser Anlie- Arne Jureczek uns auf Jesus Christus, einen Menschen, der als jüdischer typisch deutsch. gen, Themen von „Kirche“ untereinander und anderen jungen Menschen näher zu bringen. Wir (26), studiert Rabbi im Nahen Osten in einer römischen Kolonie gelebt Für mich persönlich, für meine Kirche und uns als wollen uns gegenseitig von Projekten und Aktionen berichten und neue planen. Dafür treffen wir evangelische hat. Paulus Theologie war beeinflusst vom geografischen christliche Gemeinschaft insgesamt, wünsche ich mir uns ungefähr einmal im Monat virtuell. Unsere Projektleiterin Pranita Biswasi fasst den Ablauf Theologie in Kiel. Kontext und dem philosophischen Zeitgeist. einen interkulturellen Austausch, der Hand und Fuß hat: des Nachmittages kurz zusammen. Heute bekommen wir einen Input einer Referentin aus dem 2019 Auslands- Spätestens der Blick auf die Missionsgeschichte macht ein Bewusstwerden und Wertschätzen für die Sensibi- Büro des LWB in Genf. studium in Costa deutlich, wie interkulturell die Ausprägungen doch sind. lität des Interkulturellen. Das Einlassen auf Neues und Bei jedem Online-Treffen gibt es eine kurze Präsentation von Mitarbeitenden des LWB, um einen Rica. Er ist Europäische Missionare begegnen neuen, fremden Kul- Ungewohntes in der Kommunikation – natürlich immer Überblick über die Arbeitsbereiche und aktuellen Themen im Weltbund zu geben. Danach folgt Jugenddelegier- turen auf der Welt. Gerade in Bezug auf dieses Thema ist im Bewusstsein, das auch mal etwas schiefgehen kann eine offene Diskussion, in der wir Aspekte oder Fragen thematisieren, die im Rahmen der Prä- ter der Nord- es wichtig, dass wir uns kritisch mit unserer kolonialen und Humor gefragt ist, wenn statt von einem Pastor sentation aufgekommen sind. Auch das verbunden mit einigen technischen Schwierigkeiten: Fotos: A. Jureczek (1), adpic (1) kirche beim Vergangenheit auseinandersetzen, denn dort war kein plötzlich vom Schäferhund die Rede ist. Wir sollten die mal fehlt das Bild, dann der Ton, manchmal beides, bis die Verbindung wieder steht. So werden Lutherischen wirklicher Austausch möglich, sondern wurde von einer Füße nutzen, um aufeinander zuzugehen und uns mit den langsam alle Themen abgearbeitet. Nach einem Abschlussgebet, verabschieden sich alle von- Weltbund und ist Seite dominiert. Händen zuwinken. Damit nicht alle Farben zu einem einander. Ich mache den Computer aus. Es herrscht Stille. Schnell nehme ich wahr, dass ich die im Jugendbeirat Die Theologiegeschichte ist maßgeblich geprägt von dunkeln Fleck verschwimmen ist Offenheit und eine ganze Zeit nur in meinem Wohnzimmer gesessen habe und frage mich, was die anderen wohl des Zentrums für Theologien und Philosophien aus verschiedenen Ländern positive Einstellung für die unterschiedlichen Farben mit ihrem Tag anfangen. Ich stelle meine Teetasse weg und es scheint, als wäre nichts gewesen. Mission und und Kulturen: dazu gehören Denker*innen wie Augu- wichtig. Mit dieser Haltung können wir die Buntheit und Es gibt keine Nachgespräche, auch keinen Fahrweg, auf dem ich noch einmal reflektiere, was Ökumene. stinus aus Nordafrika, Anselm von Canterbury, Hildegard Vielfalt christlicher Existenz viel besser wahrnehmen. ich in den letzten zwei Stunden gelernt, gehört oder gedacht habe. 12 weltbewegt weltbewegt 13
Schwerpunkt Auf die Pause-Taste gedrückt Sie ist in einer antirassistischen Gruppe aktiv und vernetzt mit jungen Leuten in aller Welt. Während des Lockdowns hat Nora Hess für sich etwas ganz anderes wieder neu entdeckt: die Kommunikation mit sich selbst. Abgesehen davon, dass es zurzeit unmöglich wäre sich persönlich zu treffen, aber diese Art der Kommunikation spart nicht nur Geld und Flugstunden, sondern auch ein weiteres wichtiges Gut: Zeit. Zeit, die ermöglicht, dass selbst die Teilnehmenden mit vollem Terminkalender, an den „Die Bedeutung von Kommunikation meiner Erfahrung für Teile der Gesell- Treffen teilnehmen können. Englisch als gemeinsame Sprache hilft, sich zu verständigen. Somit in der Krise“ – was fällt Dir dazu ein? schaft verallgemeinerbar ist. wird eine größere Gruppe von Personen angesprochen. Statt vielleicht sechs engagierten Per- fragte mich Ulrike Plautz. Eine Mail, So groß kann die Fraktion derer nicht sonen, können nun bis 30 Personen an den Treffen teilnehmen. Ein Erfahrungsschatz, der ohne die mich zum Lachen und zum sein, die aus der Krise eine Kur diesen virtuellen Rahmen nur schwer ausgeschöpft werden könnte. Anfangs wurden je zwei Grübeln brachte. Ich erklärte ihr, dass machen. Denn Millionen sind dadurch Personen (männlich und weiblich) von den jeweiligen Mitgliedskirchen eines Landes ausge- ich wohl kaum die richtige Autorin gesundheitlich oder wirtschaftlich wählt, um an dem Programm Lutheran Young Reformer des Lutherischen Weltbundes teilzu- dafür sei, weil ich durch die Corona- (existenziell) bedroht. nehmen. Doch mittlerweile gibt es immer mehr junge Menschen, die sich für die Aktivitäten des Krise nicht etwa mehr, sondern viel Trotzdem wächst bei mir der Ein- Weltbundes interessieren. So hätten nun auch junge Erwachsene aus meiner Kirchengemeinde weniger und auch weniger gerne mit druck, dass es in meinem Umkreis die Chance, an so einem Treffen teilzunehmen. Menschen kommuniziere. „Das ist einigen Menschen so geht wie mir; doch auch interessant,“ meinte da- dass auch andere noch die Pause- Trotz Isolation nicht allein sein raufhin Ulrike* – „dann schreib doch Taste gedrückt halten. Und auch bei vilegiertheit oder in den Blubber- über Kommunikation mit dir selbst.“ ihnen scheint es sich um ein Be- blasen, die wir mit ausgewählten an- Der Höhepunkt war Anfang des Jahres das Europatreffen des Global Young Reformer Network, Ich hatte ein etwas schlechtes Gewis- dürfnis nach weniger Verantwortung deren Menschen bilden. das parallel in Asien und in Europa, und hier in Neuendettelsau stattfand. Da war es noch mög- sen. War Corona bisher wirklich nicht oder Kontakt zu handeln – nicht nur Ich habe außerdem die Hoffnung, lich, dass sich Delegierte aus den verschiedenen Mitgliedskirchen des LWB persönlich treffen mehr als ein Art Urlaub, eine Pause, um Faulheit. Was diese reduzierte, dass die wahre Sichtbarmachung konnten. Wir sprachen über Themen, die auf der vorbereitenden Jugendkonferenz 2017 in Na- eine Anti-Krise für mich persönlich? mehr nach innen gerichtete „Kom- unserer Privilegien auch immer wie- mibia benannt wurden: Erneuerung/Wiedererweckung der Kirchen, Bildung sowie Gleichheit/ Bin ich so privilegiert und unbetroffen, munikation in der Krise“ zu bedeuten der zu neuer Verantwortung führt. Gerechtigkeit. Wir diskutierten Herausforderungen, Empfehlungen und Handlungspläne. Diese dass ich den Weg des geringsten hat? Ist sie ein Zeichen für die Ge- Dass wir auf unseren einsamen Ur- Kraft, die von diesen persönlichen Begegnungen ausgeht, die Intensität der Gespräche, die Widerstands gehe – nämlich den der schwindigkeit, den Stresspegel und laubsinseln einen genauen Blick auf Energie und Begeisterung der Teilnehmenden, die durch Gesten und direkte Interaktion über- langsamen, aber totalen sozialen und die Ambition, mit denen wir sonst die polierten Boote werfen können, tragen und manchmal sogar körperlich spürbar ist, all das erlebt man bei einem virtuellen Tref- politischen Einschläferung? leben? Indikator für den Mangel an die uns dorthin gebracht haben und fen nicht. Zwei Wochen lang war der Urlaub Kindsein, wenn wir mit zwanzig mei- die uns ermächtigen, politisch noch Allerdings werden angesichts der gegenwärtigen Situation bis auf weiteres nur digitale Zusam- noch offiziell, als ich mich mit meiner nen, schon erwachsen sein zu müs- ganz andere Ufer zu erreichen. Was menkünfte möglich sein und werden wohl ein Zukunftsmodell bleiben, auch nach der Krise. Bei Freundin in die leerstehende Woh- sen? Oder die Erfahrung, dass wir die zwischenmenschlichen Kontakte unserem letzten Online-Treffen im März, als von der Corona Pandemie immer mehr Länder be- nung meines Vaters verkrümelt habe, nicht mehr von der Welt begreifen, betrifft, denke ich, dass sozialer troffen waren, lag der Fokus auf gemeinsamen Gebeten und Fürbitten. Es ging darum, einander um dort in einer Blubberblase von wenn wir uns durchgehend ihrer Rückzug ebenso Ausdruck eines zu zeigen, dass wir in diesen Zeiten nicht alleine sind, sondern unsere Sorgen und Ängste, aber Zweisamkeit nur Spiele zu spielen, Komplexität aussetzen? wertvollen Privilegs sein kann, näm- auch freudvolle Nachrichten teilen können: Geschichten über wachsende Nächstenliebe, wo durch die Gegend zu skaten oder zu Eine strukturelle Analyse habe ich lich von Sicherheit und Vertrauen. Menschen sich für andere einsetzen, die von einem zum nächsten Tag in Not geraten sind. Alle kochen. Der Rest der Welt wie ange- nicht, und auch keine These, keine (Was nicht heißen soll, dass nicht in unserer Runde erzählen, wie sie diese Tage erleben, die keiner so erwartet hatte. Welche halten. Vergessen. Außen vor. Doch abschließende Interpretation. Dazu trotzdem irgendwann der Punkt er- Bedeutung der Glaube in dieser besonderen Zeit hat, schilderte zum Beispiel ein junger Mann. dann ging der Urlaub vorbei, meine müsste ich politisch denken – und reicht ist, an dem ich mich wieder bei Er erzählte vom Zusammenhalt in seiner Kirchengemeinde. Davon, dass viele zu Hause beteten, WG wollte mich wiedersehen, ein en- noch klemmt die Play-Taste. Viel- Leuten melden muss.) Wie gesagt, Lisa Paulsen dafür, dass die Menschen weiterhin zusammenhalten und aufeinander Rücksicht nehmen. Er ger Freund aus der Uni hätte mich leicht sind meine Spekulationen auch Luxus wäre verschwendet, wenn wir (26) lebt in erzählte aber auch, dass es schwierig sei, über Online-Plattformen miteinander zu kommunizie- gebraucht. Mittlerweile sind wieder Quatsch und ich bin bloß verliebt. ihn nicht auch verantwortlich nutzen Nordfriesland ren, weil viele Kirchenmitglieder keinen Zugang zum Internet oder technischen Geräten haben, zwei Wochen vergangen, in denen ich Das soll vorkommen. würden. und absolviert dass der Informationsfluss ins Stocken kommt, wenn nicht zumindest über andere Wege kom- kaum telefoniert habe. Auf meiner Jedenfalls ist der Mensch ein relatio- Das etwas schlechte Gewissen ha- derzeit eine muniziert werden kann. einen Schulter sitzt Schuld, auf der nales Wesen – es kann uns noch so be ich immer noch. Denn ja, ich muss Nora Hess (20) Ausbildung zur Eine junge Frau, die im Norden von Nordamerika lebt, erzählte, wie sie die letzten Tage erlebt anderen sitzt Trägheit – insgesamt gut gehen in unserer Isolation oder zugeben, dass ich es mir leisten studiert in Fotos: privat (1), L. Weitzer (1), adpic (2) Tischlerin. 2013 hatte. Wie Mitmenschen auf einmal Interesse aneinander zeigten und sich gegenseitig halfen: gehts mir aber super. noch so schlecht gehen in unserer kann, die aktuelle Ausnahmelage zu Heidelberg war sie als indem sie zum Beispiel füreinander einkauften. Es waren die Geschichten über persönliche Vielleicht nur eine Erholung, die ich Unfähigkeit, uns von den Fängen der genießen. Aber auch Dankbarkeit Ethnologie und Freiwillige in Begegnungen in einer Zeit, in der Abstand zueinander zum Alltag gehört. brauchte? Mag schon sein. Und doch Welt zurückzuziehen – um Beziehun- schwingt in jeder Zeile mit. Besonders Religionswissen- Tansania. Sie Dieses Treffen war so anders, ein wenig melancholisch und doch war da ein Funke von Hoff- wäre es falsch, dies nur darin zu gen und Kommunikation kommen wir für meine Freundin, und weil sie mir schaften. Im ist Mitglied im nung. begründen, dass ich im letzten nicht drum rum, auch wenn am Ende hilft, sowohl mich selbst als auch die Februar war sie Jugendbeirat • Hoffnung auf ein besseres Morgen für diejenigen, die die Krise besonders schwer getroffen hat. Semester mit zu vielen Menschen nur wir selbst und ein Spiegel existie- Welt besser zu begreifen. Ohne ein Praktikantin im des Zentrums • Hoffnung, dass der Zusammenhalt in der Gemeinschaft hilft, die Zeit zu überwinden. Kontakt und Freizeitstress hatte. Jetzt ren. Denn spiegeln können wir uns bisschen Selbstreflektion wäre mir Zentrum für für Mission und • Hoffnung, trotz menschlicher Isolation nicht alleine zu sein. – mit mir selbst kommunizierend – immer – ob in Pfützen von Einsamkeit, das gar nicht so bewusst. Danke Mission und Ökumene. • Hoffnung, dass der Glaube weiterhin Kraft und Halt gibt. frage ich mich, ob irgendetwas an in den glänzenden Fassaden von Pri- dafür, Ulrike. Ökumene. 14 weltbewegt weltbewegt 15
Schwerpunkt „Es gibt einem etwas von der Normalität zurück“ immer als Digitalisierungsform der Zukunft gepriesen wird. Bedarf es überhaupt einer neuen Ausrichtung, wenn wir jetzt merken, Wie kommt es, dass in dieser Krisenzeit, in der direkte Gespräche nur eingeschränkt dass die Sehnsucht nach einer persönlichen und direkten Kommunikationsform größer ist? möglich sind, Podcasts boomen? Was bedeutet das für die digitale Kommunikation? Was meinst du dazu? Justin Howaldt und Paulo Plautz haben sich darüber Gedanken gemacht und ihren Austausch als eine Art Podcast aufgeschrieben. Justin: Tatsächlich könnte man überlegen, ob ein Podcast nicht viel eher ein soziales Medium ist, als die klassischen Beispiele Facebook oder Instagram. Ich sehe die sozialen Netzwerke vor allem als Informations- und Diskussionsplattform. Und schätze sie auch in Paulo: Ich glaube, dass die Podcasts seit 2015 auch Krise umso stärker und gibt einem etwas von der verloren dieser Funktion. Aber durch das Verbreiten von deshalb so populär geworden sind, weil sie Teil eines gegangenen Normalität zurück. Gleichzeitig überrascht Fake-News und mangelnde Diskussions- Das Wort Nebenbei-Mediums sind und weil man sie unabhängig es mich, dass das Interesse an anderen Social Media möglichkeiten, erfüllen sie diesen Zweck „Podcast“ leitet von einem festen Programm jederzeit hören kann, so wie Formaten kaum zunimmt. Das ist zumindest in meinem momentan überhaupt nicht. Hier müssten sich aus dem Radio auf Abruf. Diese Gesprächsendungen, die man Umfeld so. Ich sehe nicht, dass die großen Formate, wie Innovationen also ansetzen. englischen aus dem Internet auch auf Smartphones runterladen Instagram oder Facebook, in dieser Krisenzeit bedeutend Begriff kann, lassen sich sehr leicht in den Alltag einbauen, weil an Einfluss gewinnen. Natürlich gibt es da zum Beispiel Beim Podcast erleben Zuhörende „broadcast“ man zum Beispiel zwischendurch immer wieder eine auch die Online-Konzerte. Aber ich hätte gedacht, dass einen wirklichen Austausch – ein (=Rundfunk) Pause einlegen kann. Wenn man also Podcasts, wie zum Social Media in so einer Krise eine größere Rolle spielt. gutes Format auch für die Kirche? und dem Beispiel Nachrichtenformate oder jetzt den zurzeit sehr Wie siehst du das? Namen des populären informativen Podcast mit dem Virologen Paulo: Ich denke bei Facebook oder Insta MP-3 Players Professor Christian Drosten hört, aber auch Sprach- Justin: Menschen merken im Moment, wie wichtig die gram weniger daran, dass sie eine informative „iPod“ ab. Lern-Podcasts oder Unterhaltungspodcasts, dann analoge Kommunikation für das Wohlbefinden ist. Die Aufgabe haben, sondern daran, dass sich Fotos: Howaldt (1), U. Plautz (1), adpic (1) eignet sich das Format gut, um noch andere Sachen Kommunikation in sozialen Netzwerken kann das direkte Leute hier vor allem selbstvermarkten, sich nebenbei zu machen. Zum Beispiel kann man kochen, persönliche Gespräch einfach nicht ersetzen. Die präsentieren wollen. Vielleicht sind in dieser Sport machen oder Podcasts auf dem Weg zur Arbeit sozialen Netzwerke werden ja eher genutzt, um die Zeit deshalb auch oberflächliche Social Media Platt- Paulo: Momentan sind alle Generationen durch ein hören. In Zeiten, in denen Selbstoptimierung gefragt ist eigene Meinung in die Öffentlichkeit zu tragen. Aber ich formen weniger gefragt, weil es momentan wenig einziges Thema verbunden. Vielleicht gibt es auch und Multi-Tasking, ist das eben auch ein Medium das denke, dass viele die Macht überschätzen, die sie dort Möglichkeit zur Selbstvermarktung gibt. Wichtig deshalb den Zulauf zum Podcast, vor allem im passt. durch ihre Facebook-Posts oder Kommentare haben. scheint aber, dass es in Zeiten, in denen existenzielle Informationssektor, weil dort der Schwerpunkt auf Nicht nur das ist für mich ein Zeichen für mangelnde Fragen im Vordergrund stehen, offensichtlich weder ausführlicher Information liegt und eben nicht auf Justin: Ja, gerade bei den informativen Podcasts sehe Medienkompetenz, sondern auch die starke Verbreitung angesagt noch gefragt ist, coole Lifestyle-Fotos zu Selbstvermarktung und Hau-Ruck-Kommunikation. ich das auch so. In den Podcast-Charts stehen aber von Fake-News in dieser Krise. Es beunruhigt mich, wie posten – was ja aufgrund von verschiedenen Beschrän- Zudem scheinen viele der Zuhörenden dafür auch in Kauf auch Formate ganz vorne, die durch ihre Sprache und viele Menschen nicht in der Lage sind zwischen kungen auch nur bedingt zu nehmen, dass sie manchmal gar keine fertigen die Art der Gesprächsführung den Eindruck normaler glaubwürdigen und zweifelhaften Quellen zu diffe- möglich ist. Informationen erhalten, sondern auch mal eine Grauzone Alltagsgespräche vermitteln. Ich glaube, viele Menschen, renzieren. Gleichzeitig finde ich es bewundernswert, wie erklärt bekommen. Die schwarz-weiß-Informationsver- die innerhalb ihres sozialen Umfeldes nicht die viele Menschen bestrebt Justin: Da stimme ich dir mittlung, die bei sozialen Medien oft generiert wird, ist Möglichkeit haben Gespräche zu führen, genießen die sind, sich eine fundierte zu. Soziale Netzwerke zurzeit scheinbar weniger gefragt. Möglichkeit, anderen Personen einfach mal zuzuhören. Meinung zu einem Thema werden zudem auch nie Justin Howaldt Man ist zwar nicht aktiv beim Gespräch dabei, kann sich zu bilden, die auf Fakten die ganze Gesellschaft Justin: Über Grauzonen lässt sich auch viel besser (25) studiert aber Gedanken machen, was man selbst sagen würde. basiert. abbilden können. Wenn zu mitdiskutieren. Es ist offensichtlich, dass viele mit dem Sportwissen- Einige Menschen lernen vielleicht durch Podcasts auch viele Ältere eintreten, Diskurs, der online in Kommentar-Spalten geführt wird, Paulo David schaften und erst, wie man Gespräche führt. Paulo: Was für mich bei all dann treten Jüngere aus, nicht zufrieden sind. Der Podcast bietet die Möglichkeit, Plautz (25) studiert Volkswirtschafts- dem die Frage ist: Wie während es den ganz an einem wirklichen Austausch teilzunehmen. Vielleicht Germanistik und lehre an der Paulo: Vielleicht ist es auch so, dass in so einer Zeit der könnte eine weitere Inno- Alten noch zu modern ist. können gesellschaftliche Institutionen, wie beispielsweise Philosophie an der Universität Krise, wie jetzt bei Corona, so eine Form der Gesprächs- vation der kommunikativen Wichtiger ist daher glaube die Kirche, diese Erkenntnis nutzen und ihre Konzepte Universität Regensburg. Simulation ein gutes Mittel ist, um Normalität zu ver- Medien oder der Nachrich- ich in dieser Krise zu ler- über die Krise hinaus hieran ausrichten. Allerdings Hamburg. Aktuell Zuletzt absolvierte mitteln und auch Gesprächsformen weiter am Laufen zu tenformate aussehen? Vor nen, wie ein gesamtgesell- werden sich die Menschen auch immer wieder nach ist er beim er ein Praktikum halten. Da der Mensch ein soziales Wesen ist, merkt er allem, wenn wir jetzt mer- schaftlicher Austausch einem analogen Gespräch sehnen. Norddeutschen bei der Deutschen vielleicht gerade jetzt, dass er auf so etwas angewiesen ken, dass Social Media in wieder stärker gefördert Rundfunk für die Olympischen ist. Und da das Podcast-Format auch vorher schon diesen Zeiten gar nicht so werden kann. Dieser Austausch fand Ende April statt. Heute würden die Fernsehsendung Akademie. ziemlich bekannt war, boomt dieses Format jetzt in der relevant wirkt, was sonst Autoren einige Entwicklungen anders beurteilen. NDR Info tätig. 16 weltbewegt Justin Howaldt weltbewegt 17 Paulo Plautz
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