WENDEPUNKTE - Siegessäule
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OKTOBER 2021 • SIEGESSAEULE.DE Henri Jakobs WENDEPUNKTE 30 Jahre deutsche Erstausgabe: „Das Unbehagen der Geschlechter“ von Judith Butler Körper von Gewicht: Die Debatte um Detransition Einzelkämpfer: Tubbe-Sänger Henri Jakobs startet solo durch BERLINS MEISTGELESENES STADTMAGAZIN EXPANDED CONTENT IN ENGLISH
INHALT 3 10 Community Die Berliner Pride-Parade „Behindert und verrückt fei- ern“ findet am 10. Oktober zum ersten Mal als Live-Online- Event statt FOTO: SALLY B. 22 FOTO: MARCUS WITTE Musik Ex-Tubbe-Sänger Henri Jakobs meldet sich zurück „DAS HEISST, ES GEHT UM DEN mit neuer EP und Konzert im Badehaus Berlin VERSUCH, ZUR GESCHLECHTER- VERWIRRUNG ANZUSTIFTEN“ 18 JUDITH BUTLER: „DAS UNBEHAGEN Thema DER GESCHLECHTER“ Viel Spaß mit der Oktoberausgabe der Im Oktober 1991 erschien SIEGESSÄULE wünscht die deutsche Erstausgabe die Redaktion von Judith Butlers „Gen- der Trouble“ („Das Unbe- hagen der Geschlechter“). Zum 30-jährigen Jubiläum der deutschen Fassung FOTO: SUHRKAMP VERLAG des queertheoretischen Standardwerks kommen- tieren Muri Darida, Mike Laufenberg und Patsy l‘Amour laLove Special Media SDL GmbH SIEGESSÄULE Ritterstr. 3 10969 Berlin Themen Kultur Service Redaktion, Tel.: 23 55 39-0 5 INTRO 22 MUSIK 46 KLATSCH redaktion@siegessaeule.de Am 14. September zündete sich am Interview mit Henri Jakobs, Konzert- SIEGESSÄULE.DE Alex eine trans Frau selbst an und reihe im SchwuZ: „Queers in Concert“ 47 PROGRAMM Redaktionsschluss: 04.10. verstarb kurze Zeit später. Jayrôme C. Das ganze Berlin-Programm Programmtermine: -33, -46 Robinet kommentiert 28 FILM English calendar of events Interview mit Monika Treut, Soura Film termine@siegessaeule.de Terminschluss: 07.10. 08 COMMUNITY Festival, Pornfilmfestival 64 ESSEN Die Debatte um Detransition, „Mad & Köstliche Rohlinge: Sushi Bars Anzeigen: -13 Disability Pride“, Paula Balov berichtet 34 BÜHNE anzeigen@siegessaeule.de zur Öffnung der Clubs Johannes Kram und Florian Ludewig 66 KLEINANZEIGEN Anzeigenschluss: 12.10. im Interview zur „Operette für zwei Kleinanzeigen bitte online 12 INTERNATIONAL schwule Tenöre“ 72 FLASHLIGHTS Interview zur Situation von LGBTIQ* in aufgeben: siegessaeule.de/marktplatz Afghanistan 36 BUCH 74 DAS LETZTE „Westberlin – ein sexuelles Porträt“, Kolumne von Wolfgang Müller Kleinanzeigenschluss: 10.10. 44 ENGLISH Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“ Abonnement: -55 The Pornfilmfestival Berlin, speaking 74 IMPRESSUM abo@siegessaeule.de up, Instagram activism 40 AUSSTELLUNGEN Bunte Riesen: Die Quilts von Scott SIEGESSÄULE 11/2021 Culley in der Tête Gallery erscheint am 28.10.
4 STADTBILD David Dave Solar from the Kiki House of Solar beim „Wack Ass Kiki Pt. 2“ am 12.09. im Weltwirtschaft am HKW Festgehalten von MrHotshoe
INTRO 5 Feuer und Wasser Fire and water Am 14. September zündete sich auf dem Alexanderplatz eine trans Frau On September 14, a trans woman set herself on fire on Alexanderplatz and selbst an und verstarb kurze Zeit später an den Folgen. Bei Redak- died shortly after as a result. At the time of press, the background details tionsschluss war zu den Hintergründen noch nichts bekannt. Dennoch were still not clear. Nevertheless, we’d like to take this opportunity to talk möchten wir diesen Vorfall zum Anlass nehmen, um über die Belas- about the burdens on trans* people in general. A reflection by spoken word tungen für trans* Personen allgemein zu sprechen. Eine Reflexion von artist and author Jayrôme C. Robinet. Spoken-Word-Künstler und Autor Jayrôme C. Robinet Wie kann es sein, dass ein Mensch verbrennt? Löscht das Wasser How can a person burn? Does water not put out fire? Our bodies are nicht das Feuer? Unser Körper besteht zum größten Teil aus Was- made up primarily of water, up to about 70 percent. There are plenty ser, zu ungefähr 70 Prozent. Es gibt viele Studien und Publikationen of studies and publications about discrimination against trans* peo- über die Diskriminierung von trans* Personen im Bildungswesen, ple in academia, in healthcare, in sports, in the job market, in the im Gesundheitswesen, im Sport, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem housing market, in family and marriage law. Does this somehow Wohnungsmarkt, im Familien- und Eherecht. Wirkt sich das etwa have an effect on the water structures of our bodies? auf die Wasserstruktur unseres Leibes aus? Researcher Masaru Ernoto had water “spoken to” with words – Der Forscher Masaru Emoto ließ Wasser mit Worten „bereden“ – “Thank you” / “You’re crazy” / “I’ll kill you” / “Love and gratitude”. „Danke“ / „Du bist verrückt“ / „Ich bring Dich um“ / „Liebe und Dank- He also had water filled with music. That’s how a bottle of water barkeit“. Auch ließ er Wasser mit Musik beschallen. So hörte eine heard Beethoven’s Pastoral Symphony, a bright and cheerful piece. Flasche Beethovens Pastorale, ein helles und fröhliches Stück. Eine Another got Mozart, Symphony Nr. 40 in G minor – others listened andere bekam Mozart, die Symphonie Nr. 40 in G-Moll – eine andere to Bach, Elvis Presley or heavy metal. For hours on end, each bottle lauschte Bach, Elvis Presley oder Heavy Metal. Stundenlang stan- stood between two speakers. Next, Ernoto had the water frozen and den die Flaschen jeweils zwischen zwei Boxen. Dann ließ Emoto das photographed the water crystals that formed. The crystals in each Wasser einfrieren, und er fotografierte die Wasserkristalle, die sich bottle looked completely different from each other depending on the gebildet hatten. Je nach Lied und je nach Worten, die sie gehört hat- song and the words that the bottle heard. “Love and gratitude” caused ten, sahen die Eiskristalle ganz anders aus. Bei „Liebe und Dankbar- the crystals to be fully open like some kind of blooming flower, as keit“ war der Kristall völlig offen wie eine blühende Blume, als würde if the water had opened its arms wide in an expression of joy. Cho- das Wasser seine Arme weit öffnen, um seine Freude auszudrücken. pin’s Farewell Waltz broke the basic shape of the crystals into small, Bei Chopins Abschiedslied wurde die Grundform des Kristalls in klei- nearly perfectly separated pieces. Heavy metal caused the normally ne, fast perfekt voneinander getrennte Stücke gebrochen. Bei Heavy hexagonally-structured crystals to look as if they had been run over Metal sah die regelmäßige sechseckige Struktur so aus, als wäre sie by a lawnmower. von einem Rasenmäher überfahren worden. There’s rarely a simple explanation for suicide. Trans* people lead Eine einfache Erklärung gibt es für einen Suizid selten. Trans* Perso- complex lives. Public self-immolations are however often politically nen führen ein komplexes Leben. Öffentliche Selbstverbrennungen motivated. In 1982, poet Semra Erta set herself on fire in protest sind aber meistens politisch motiviert. Die Dichterin Semra Ertan against racism in Germany. verbrannte sich 1982 in Hamburg How desperate must one be to take this step? On so- aus Protest gegen den Rassismus in Trans* Personen cial media, some complained of the self-immolation in Deutschland. ... führen ein komplexes Leben Berlin as reckless. Because other people smelled the Wie verzweifelt muss ein Mensch lighter fluid, felt the flames, heard sein, um diesen Schritt zu gehen. In den Sozialen Medien wurde Trans* people the screams, had to look on as a per- die Selbstverbrennung in Berlin zum Teil als rücksichtslos be- ... lead complex lives son burned in front of them. Yes, the anstandet. Denn andere Menschen haben die brennbare Flüs- suffering and pain of others leave sigkeit gerochen, die Flammen gespürt, Schreie gehört, mussten mit marks on us. Conversely: the state violence against trans* people, ansehen, wie ein Mensch vor ihnen verbrennt. Ja, das Leid und die the structural violence, the interpersonal violence, the media vio- Schmerzen anderer hinterlassen Spuren in uns. Umgekehrt heißt lence, the intersectionally reinforced violence – has ingrained itself es: die staatliche Gewalt gegen trans* Personen, die strukturelle Ge- in society as a whole. Connections and cross-connections are con- walt, die zwischenmenschliche Gewalt, die mediale Gewalt, die inter- tinuous. The next Bundestag must pass the self-determination law sektional verstärkte Gewalt – kerben sich in die Gesamtgesellschaft for trans- and intersex people. We’re made up of water, but can still ein. Konnexionen und Querverbindungen sind kontinuierlich. Der burn. We need the water of others. Protection and solidarity offer the nächste Bundestag muss das Selbstbestimmungsgesetz für trans- possibility of a more just and happy world for all of us. und intergeschlechtliche Menschen verabschieden. Wir bestehen Translation: Walter Crasshole aus Wasser, können aber verbrennen. Wir brauchen das Wasser der anderen. Schutz und Solidarität bieten die Möglichkeit einer ge- rechteren und glücklicheren Welt für uns alle. Hilfsangebote bei Suizidgedanken u. a. unter: You struggle with suicidal ideations? Find help here: berliner-krisendienst.de berliner-krisendienst.de
6 MAGAZIN FOTO: JAKOB BEHRENS Neue Freiheit ILLUSTRATION: FLORIAN HIRSCH Neue Betreiber, neues Konzept und ein neues Design gibt‘s ab Oktober in der Friedrichshainer FOTO: XXX Szenebar Große Freiheit 114. Mit Danjel Zarte (Foto, li.) und Markus Hubertus (Foto, re.) übernimmt ein Heiße Ohren frisches Team die Darkroom-Bar und pimpt den Laden ordentlich Der Regisseur und Autor Axel Ra- auf. „Wir freuen uns, einen queeren nisch („Ich fühl mich Disco“) und Safe Space anbieten zu können, der sein Mann Paul Zacher haben eine offen für alle ist und niemanden aus- queere Hörspielserie fürs Radio schließt“, erklärt Danjel. Das neue, geschrieben und produziert. „Anton queere Profil soll ergänzt werden und Pepe“ erzählt – inspiriert von durch Kulturprogramm und Partys. der eigenen gemeinsamen Bio- So sind bereits Veranstaltungsrei- grafie des Paares – von zwei un- hen mit Patsy l‘Amour laLove und gleichen Freunden, die sich nach FOTO: DIRK MASCHKE Fabienne du Neckar geplant. Die Doppelte Tunte einer unausgesprochenen Verliebt- Eröffnungssause steigt am 1. und heit in Kindertagen aus den Augen 2. Oktober (inkl. 2G-Regel) jeweils Während der Pandemie hat das verlieren, um sich Jahre später ab 19:00. Gäste: Delicious Bellici- SchwuZ sich zum echten Mer- wiederzufinden. Das tragikomische ous, Fabienne du Neckar, Bambi chandise-Profi gemausert: Von Patchworkfamilien-Hörspiel kann Frische Farbe Mercury und Rosetta Bleach. Wir Beuteln über Tassen bis hin zu So- man ab Oktober unter ndr.de/anton- wünschen alles Gute! cken und Kaffee. Der neueste Coup undpepe sowie in der NDR Hörspiel- Auch der schwule Schöneberger im SchwuZ-Onlinelädchen ist das box und der ARD Audiothek finden. Traditionsclub Connection erwacht Memo-Spiel „Tunten, Drags And Gesendet wird die erste Staffel ab langsam aus dem Corona-Schlaf. Criminal Queers“, das „45 Jahre dem 6. Oktober auf NDR Kultur. Ab dem 6. November werden hier Drag- und Tuntengeschichte des wieder Partys steigen, und zwar in SchwuZ“ in einem Spiel zusammenbringen möchte. Die Regeln einem generalüberholten Ambien- sind bekannt: Man deckt Karten auf und versucht, zweimal die- te. Die neuen Betreiber – Marke- selbe Tunte zu erwischen. Die Kartenpaare zeigen zwar jeweils tingmann Sebastian Goldhagen und dieselbe Person, aber auf unterschiedlichen Fotos. Auf schwuz. Clubmanager Dirk Maschke – haben die Lockdown-Monate für umfängliche de/start/memo/ gibt‘s außerdem zu jeder Berliner Szenegröße Renovierungsarbeiten genutzt und wollen auch am musikalischen Konzept aus dem Spiel einen ausführlichen Infotext. Auch wenn sicher ei- schrauben: „Bekannte Berliner DJs wie Super Zandy, DJ Tiasz, De Almen- nige an der Auswahl der Tunten herummäkeln werden („Warum dra DJ, DJ BassT gepaart mit neuen, interessanten Künstlern werden die die???“), ist dieses Spiel mit Geschichtsbewusstsein eine tolle Nächte mit geilem Berliner Club Sound bereichern“, verspricht die Presse- Sache. Für 14,50 Euro auf schwuz.de mitteilung. Wir sind gespannt.
MAGAZIN 7 Jahrzehntelang hatten sie ein Comeback ausgeschlos- sen, es dann vor einigen Jahren doch überraschend angekündigt – in der Folge passierte allerdings nichts. Nun ist geschehen, woran fast niemand mehr geglaubt 30.9.-3.10. hatte: ABBA sind zurück! Vier Heten, die zum größten FLORIAN SCHROEDER queeren Pop-Phänomen ever wurden – ohne je selbst zu begreifen, wie es dazu kommen konnte. Zwei neue Songs („Don‘t Shut Me Down“ und „I Still Have Faith In You“) wurden im September veröffentlicht, im Novem- ber kommt nach fast 40 Jahren mit „Voyage“ der Nach- 3.10. folger zu ihrem Album „The Visitors“ von 1981. Eine Tour mit digitalen „Abbataren“ ist für nächstes Jahr MARC WEIDE geplant. Beim ABBA-„Voyage“-Livestream-Event, das 4.10. FOTO: UNIVERSAL/BAILLIE WALSH am 2. September u. a. im Berliner Universal-Gebäude DER BLAUE MONTAG stattfand, waren etliche Fans aus der LGBTIQ*-Com- 7.+8.10. munity geladen. Da sah man auch Berliner Starlets wie VINCE EBERT Bambi Mercury und Betty BücKse durchs Bild hüpfen. Was ABBA für queere Menschen so anziehend macht, ist schwer zu beantworten. Dass ihre glitzernd-eska- TOP! pistische Popwelt so konsequent frei von jedem Ma- chogehabe ist und sich jedem Versuch, cool zu wirken, 9.+10.10. widersetzt, mag dabei nicht unwichtig gewesen sein. ABBA sind zurück ABBAs Musik hatte in jedem Fall immer die Kraft, Men- ABDELKARIM schen miteinander zu verbinden – eine Magie, die wir gerade jetzt vielleicht so sehr brauchen wie schon lange nicht mehr. In diesem Sinne: Welcome back! 11.+12.10. DAS GROSSE KLEINKUNSTFESTIVAL Uff. Eine niederschmetternde Aussage, aber sie bringt das Problem auf den Punkt: „Die Lebensqualität von Menschen mit HIV“, stellte die Deutsche Aids-Hilfe 14.10.-30.10. (Do-Sa) kürzlich fest, „wird heute vor allem durch Vorurteile und Diskriminierung eingeschränkt.“ So lautete die zentra- MATHIAS RICHLING le Erkenntnis der Studie „positive stimmen 2.0“, die die 16.10. Aids-Hilfe in Kooperation mit dem Institut für Demokratie V. MEYER-DABISCH und Zivilgesellschaft veröffentlicht hat. 500 HIV-positive 19.10. Menschen wurden dafür interviewt, außerdem nahmen THOMAS REIS rund 1.000 Positive an einer Online-Befragung teil. Mit einem erst mal auch erfreulichen Ergebnis: Rund 90 20.10. Prozent der Befragten gaben an, dank der heute vor- LUISE KOSCHINSKY handenen Therapiemöglichkeiten gut mit ihrer HIV-In- fektion zu leben, drei Viertel fühlen sich gesundheitlich gar nicht oder nur wenig eingeschränkt. Erschreckend hingegen: 95 Prozent berichteten, in den letzten zwölf Monaten mindestens eine diskriminierende Erfahrung 23.10. gemacht zu haben, 52 Prozent fühlten sich durch Vor- FRANK LÜDECKE FLOP! urteile in ihrem Leben beeinträchtigt. Besonders groß scheint das Problem im Gesundheitswesen: acht 24.10. HIV-positive Menschen Prozent wurde mindestens einmal eine allgemeine KARSTEN KAIE Gesundheitsleistung verweigert, bei zahnärztlichen werden noch immer Behandlungen waren es sogar 16 Prozent. Absurd, vor stark diskriminiert allem vor dem Hintergrund, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist. Dies zeigt einmal mehr, wie viel Unwissen beim Thema HIV – auch unter Ärzt*innen 24.+25.10. – noch besteht. Fazit der Deutschen Aids-Hilfe: „Wir WOLFGANG TREPPER brauchen weiterhin Aufklärung.“ Mehr Infos zur Studie gibt‘s auf: positive-stimmen.de Tel. 030 30673011 www.wuehlmaeuse.de
8 COMMUNITY werden von rechtsradikalen, evangelikalen oder radikal feministischen Gruppen instru- mentalisiert, um Stimmungsmache gegen Transsexualität zu betreiben und die Selbst- bezeichnung trans* infrage zu stellen.“ Zeit- schriften wie die Emma und konservative Parteien wie die CDU haben das Thema für sich entdeckt und kamen in den letzten Jahren mehrfach darauf zurück, wenn es darum ging, sich gegen mehr Rechte von trans* Personen auszusprechen. Insbeson- dere im Kontext von trans* Kindern und Jugendlichen wird detrans* als angebliches „Warnsignal“ herangezogen und als Argu- ment dafür, warum man jungen Menschen nicht zu früh die Transition „erlauben“ soll- te. „Gerade, wenn man trans* ist, überlegt man sich diesen Schritt sehr, sehr genau“, weiß hingegen Julia Monro. „Das ist keine plötzliche Idee, auf die man mal eben Lust hat. In der Regel geht der Entscheidung zur Transition ein langer und intensiver Selbst- findungsprozess vorweg.“ Klar könne es dazu kommen, dass man einzelne Schritte DEBATTE UM DETRANSITION später anders bewertet, sie vielleicht sogar Out of the box rückgängig machen möchte. Diese Schritte deshalb gar nicht erst zu ermöglichen oder sie mit hohen Hürden zu verbinden, wie Das Thema Detransition ist in Mainstreammedien derzeit sehr präsent dies in Deutschland selbst bei der Änderung – und wird oft als angeblicher Beweis dafür herangezogen, dass zu viel des Geschlechtseintrags – eigentlich nur ein Selbstbestimmung für trans* Personen gefährlich wäre. Tatsächlich wol- simpler Verwaltungsakt – praktiziert wird, len aber nur wenige Menschen, die sich für eine Transition entscheiden, findet Monro jedoch grundfalsch. Dies wäre diese später „rückgängig“ machen. Warum also steht das Thema derart im so, sagt sie, als ob man Hochzeiten verbie- Fokus? Wir baten die detrans* Aktivistin Eli Kappo und Julia Monro von der ten würde, nur weil manche Ehen später dgti um eine kritische Einordnung der Diskussion geschieden werden. „Es kann theoretisch jederzeit zu einer Detransition kommen, wie shesindetransition. Um es vorweg zu sagen: Niemand leugnet, dass es Menschen gibt, es auch bei einer Eheschließung immer zur wordpress.com die detransitionieren. Und keiner Person soll es abgesprochen wer- Scheidung kommen kann. In dem Moment den, detrans* zu sein. „Wir fordern generell Selbstbestimmung“ aber, wo man die Selbstaussage eines Men- dgti.org – dies ist auch Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Trans- schen nicht akzeptiert, fehlt der Respekt identität und Intersexualität e. V. (dgti) in diesem Kontext wichtig dieser Person gegenüber.“ zu betonen. „Diese Forderung gilt selbstverständlich ebenso für de- Foto: Eli Kappo trans* Personen.“ „Fatale Fehler“? Detransition: darunter wird im Allgemeinen die „Rückkehr“ zu dem Geschlecht verstanden, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde. Ähnlich sieht dies die 28-jährige Aktivistin Tatsächlich kann der Begriff aber vieles bedeuten. Er kann zum Eli Kappo, die das Label detrans*, wie sie im Beispiel für Menschen passend sein, die bestimmte geschlechts- Gespräch mit SIEGESSÄULE erzählt, für sich angleichende Maßnahmen, die sie früher begonnen haben, wieder verwendet, aber „anders besetzt“. Mit 19 ou- stoppen, wie die Einnahme von Hormonen. Er kann für Personen tete Eli sich als trans, heute beschreibt sie gelten, die den Wechsel ihres Vornamens und Geschlechtseintrags sich als nicht binäre detrans* Frau, die „aus- zurücknehmen, körperlich aber nichts verändern, und so weiter. drücklich nicht transfeindlich ist“. Auf ihrem Betreffen dürfte die Thematik auch nur wenige. Zwar gebe es keine Blog „shesindetransition“ schreibt sie unter belastbaren Studien zu Detrans*, sagt Monro. Bernd Meyenburg, anderem über Körperbilder, Identität, Bio- Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus Frankfurt, habe allerdings politik oder über ihren trans* Aktivismus, mal für einen Zeitraum von zehn Jahren Buch geführt. Von knapp „den ich als detrans* Person mache“. 700 Personen, die eine rechtliche Transition nach dem „Transsexu- So deutlich wie Eli ergreifen jedoch nicht ellengesetz“ machten, revidierte weniger als ein Prozent das Verfah- alle Menschen, die eine detrans* Geschich- ren. Bei medizinischen Transitionsschritten dürfte die Zahl ähnlich te haben, Partei für trans* Rechte. Einzelne gering sein, schätzt Monro. Gruppen und Organisationen, zum Beispiel Im Verhältnis dazu sei das „Phänomen Detransition“ derzeit über- „Post Trans“, die auf dem diesjährigen Les- präsent in den Medien. Die Art und Weise, wie darüber gesprochen benfrühlingstreffen (LFT) mit einem Info- wird, findet Monro außerdem problematisch: „Detrans* Positionen stand vertreten waren, treten durchaus auch
COMMUNITY 9 polarisierend auf. „Viele detrans* Geschichten gehen mir nahe, aber wenn ich sehe, dass diese Personen daraus transfeindliche Schlüsse ziehen, hört meine Empathie auf“, sagt Eli Kappo. Die eigene Ent- scheidung, zu transitionieren, werde in solchen Diskussionen oft als fataler Fehler dargestellt, berichtet Julia Monro. „Aber das ist es nicht immer. Und selbst wenn es ein Fehler wäre, müssen wir auch Fehler machen dürfen.“ Stattdessen werde „jede Gelegenheit ver- wendet, um auf mögliche Gefahren hinzuweisen und das Thema trans* im Allgemeinen schlechtzureden.“ Dies führe letzten Endes zum Schaden für Personen, „die sich wirklich ernsthaft nach einer Transition sehnen“. Um fachliche Aufklärung, die auf belegbaren Zahlen beruht, oder um mehr tatsächliche Hilfen für Menschen, die sich, vielleicht auch zweifelnd oder suchend, mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität auseinandersetzen, gehe es in diesem Kontext meist gar nicht. So räumte etwa die Emma ein, dass sie noch nie so erfolgreiche Beiträge veröffentlicht hätten wie die – laut Eigen- beschreibung der Zeitschrift „transkritischen“– Artikel zu Detrans*. „Sie haben damit ein Thema gefunden, mit dem sie wieder Leute für sich gewinnen können, und deshalb werden sie weiter darüber berichten“, vermutet Julia Monro. Von B nicht zurück nach A, sondern nach C Eli Kappo wünscht sich ein anderes Gesellschaftsverständnis davon, was trans* sein bedeutet. „Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, aber immer wieder Rückschläge bekommen von konservati- ven Gruppen, die Aussagen salonfähig machen wollen wie die von einem angeblichen ,Transhype‘“. Detransition wird meist platt als Rückwärtsschritt verstanden. Aber es geht gar nicht darum, von B zurück nach A zu gehen. Eine klare Linie zwischen trans*/nicht trans* und zwischen den Geschlechtern gibt es nicht, auf B folgt C, so wie dies etwa Eli Kappo erlebt hat. Blendet man das aus, wird alles Uneindeutige, Genderqueere ebenso ausgeblendet. Seitens „transkritischer“ Gruppen wird auch oft eine angeblich feh- lende Kontrolle während Transitionen bemängelt. „Zu schnelle“ Pro- zesse würden zu Fehlentscheidungen führen. Dazu sagt Eli Kappo: „Mir gefällt nicht, was detrans* Personen, wie etwa im Umfeld von ,Post Trans‘, für ein Bild darüber vermitteln, wie schnell der Transi- tionsprozess gehen soll und dass es da keine Kontrollen mehr gebe. Ich will den detrans* Leuten, die eine schlechte Aufklärung bei ihrer eigenen Transition erlebten, ihre Erfahrungen nicht absprechen. Es ist wichtig, das zu benennen, und ich sage auch nicht, dass es gar nicht vorkommen kann. Aber es sollte als konkreter Behand- lungsfehler einer konkreten ärztlichen Person erkannt werden, nicht als pauschale Vorgehensweise in der Trans*behandlung und -beratung allgemein.“ Monro schließt sich dem an: „Unseriöse The- rapeut*innen, die Humbug treiben, gibt es leider überall. Wenn eine trans* Person an so eine*n Therapeut*in kommt, will ich nicht aus- schließen, dass es da auch zu Fehlentscheidungen kommen kann. Aber das ist nicht die Regel, man guckt schon sehr genau hin.“ Bei einer Transition gebe es auch „keinen Königsweg, der etwa vor- gibt, man müsse alle Operationen durchziehen, sonst ist man nicht trans*“. In dem Moment, in dem die geschlechtliche Identität wieder an körperliche Merkmale geknüpft werde, „hat das nichts mehr mit selbstbestimmter Transgeschlechtlichkeit zu tun“. Denn bei Selbst- bestimmung geht es um die Selbstaussage eines Menschen, darum, dass nur man selbst sich definieren und über den eigenen Körper bestimmen kann. Dies, so sind sich Julia Monro und Eli Kappo einig, sollte innerhalb und außerhalb von trans* Communitys respektiert werden. „Wir müssen davon wegkommen, Menschen in Kategorien einzusortieren“, wünscht sich Monro zum Abschluss, „und Men- schen stattdessen als Menschen annehmen.“ Amanda Beser
10 COMMUNITY Foto: Beim „Mad and Disability Pride“ 2019 sind“, sagt Mélina. Das Team achtet genau auf Hygienemaßnahmen und Abstandsre- geln, deswegen werden die Künstler*innen, die am Veranstaltungstag vor Ort sind, meist einzeln auftreten. Trotz der schwierigen Umstände sei es wich- tig, auf sich aufmerksam zu machen, betont Mélina. Personen, die behindert werden, seien überall unterrepräsentiert und wür- den in den Medien oft mit Vorurteilen be- legt. „Wir feiern unsere Behinderung, trotz des Stigmas, das uns umgibt. Wir feiern, dass wir lebenswert sind.“ Krise als Chance Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Community von Corona besonders betroffen ist – auch aufgrund pandemiebe- dingter Beeinträchtigungen in der medizi- nischen Fürsorge. Das Gefühl von Isolation, FOTO: SALLY B. das der gesamten Gesellschaft zu schaffen macht, trifft Menschen, die behindert wer- den, ungleich härter, da diese sowieso schon MAD AND DISABILITY PRIDE PARADE 2021 mehr als andere – unter anderem wenn sie in gesonderten Einrichtungen unter- Zugehörig fühlen gebracht sind – von der Außenwelt abge- schottet werden. Dieser Umstand wird von Eine große Demo wird es zwar auch 2021 nicht geben, doch die Berliner Betroffenen allgemein kritisiert. In der Pan- Pride-Parade „Behindert und verrückt feiern“ findet am 10. Oktober zum demie hat sich die Situation allerdings noch ersten Mal als Live-Online-Event statt. Der Pride für Menschen, die behin- einmal zugespitzt. Mélina erzählt, dass sich dert werden, steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Paradestream – Be- einige seit anderthalb Jahren nicht mehr hindert und verrückt durch die Pandemie. Online statt Straße“ rausgetraut haben. Trotz all dieser Negativauswirkungen hatte Mad and Disability Gesendet wird am 10. Oktober von 17 bis 20 Uhr aus dem S036: Es sich die Community durch die Krise ein ge- Pride Parade 2021, gibt Gesangs- und Textbeiträge, die sowohl als Videos vorproduziert samtgesellschaftliches Umdenken erhofft 10.10., 17:00–20:00., wurden als auch direkt von der Bühne des SO36 übertragen oder – zumal im Lockdown Online-Partizipation Livestream aus dem live zugeschaltet werden. Zwischen den jeweiligen Beiträgen wird an Schule, Uni und im Büro plötzlich Wirk- SO36 moderiert, zum Spenden aufgerufen und interviewt. Außerdem wird lichkeit wurden: „Wir nahmen an, dass die die Glitzerkrücke als Negativpreis an eine Einrichtung, einen Verein Menschen sich nun in unsere Haut verset- Mehr Infos unter oder eine Person verliehen, die durch besonders diskriminierendes zen könnten und zumindest auf Hybrid- pride-parade.de Verhalten aufgefallen ist. Mélina Germes organisiert zusammen mit veranstaltungen pochen würden, damit wir zehn anderen Aktiven den Parade-Stream. Sie erzählt, worum es online teilnehmen können.“ Die Tendenz im Programm inhaltlich geht: „Erfahrungen der Coronazeit werden sei jedoch, dass die meisten wieder zu einer ausgetauscht, wir reflektieren über Herausforderungen und feiern Vor-Ort-Präsenz zurückwollten: „Die Sensi- behinderte und queerbehinderte Identitäten.“ Seit dem ersten Pride bilität für unsere Belange fehlt.“ Vergessen 2013 lautet das zentrale Motto des Events: „Behindert und verrückt und verstecken lassen will man sich aber feiern“. Begriffe, die im Mainstream oft beleidigend gemeint sind, nicht. Und auch wenn man mit dem Pride werden so positiv umgedeutet. „Wir müssen uns nicht verstecken, versucht, Leute außerhalb der Community wir dürfen uns mit bunten Farben, Musik, Tanz und Freude zeigen.“ zu erreichen, sei nach wie vor das oberste 2020 hatte das Parade-Team als Ersatz für die ausgefallene Demo Ziel, diejenigen anzusprechen, die sich nir- einen eigenen Pride-Film mit verschiedenen Künstler*innen und gendwo zugehörig fühlen: „Wir wollen für Aktivist*innen produziert. Dass auch in diesem Jahr ein großer Stra- Menschen da sein, die mit ihren Problemen ßenzug nicht realisierbar ist, sei zwar schade, auf „schöne spaßige allein sind. Sie sollen wissen, dass es eine Ge- Momente“ wolle man aber nicht verzichten: „Wir laden dazu ein, meinschaft gibt, zu der sie gehören könn- dass alle, die sich mit uns solidarisieren, zumindest online dabei ten.“ Anette Stührmann
COMMUNITY 11 Foto: Bald könnte es wieder so aussehen – Party im SchwuZ vor Corona Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Planbarkeit: Bei den steigenden Infektionszahlen sei zu erwarten, dass in den kalten Monaten die Regelungen wieder verschärft werden. Nach Ansicht der Clubcommission kämen Partys aber nur ohne Maskenpflicht FOTO: GUIDO WOLLER infrage. Veranstalter*innen hätten somit nicht die nötige Planungs- sicherheit, um lukrativ zu wirtschaften. Allein die Personalsuche sei dadurch schon erschwert, findet SchwuZ-Chef und Vorstand der Clubcommission Marcel Weber: „Die Leute, die Minijobs bei uns hatten, haben NEUSTART DER CLUBS mittlerweile was anderes gefunden. Da ist die Feiern, aber sicher Frage: Würden sie überhaupt zurückkom- men wollen, obwohl wir nicht wissen, was in drei Monaten ist?“ Neue Bewerber*innen Tanzen gehen in Innenräumen ohne Maske und Abstand – trotz Pandemie dürften sich ganz ähnliche Fragen stellen. ist das für Genesene und Geimpfte in Berlin seit dem 4. September wieder möglich. Doch die Probleme der Clubkultur sind damit längst nicht gelöst Verpflichtende PCR-Tests für alle Gäste und die Zukunft ist nach wie vor unsicher. Paula Balov berichtet Die Clubcommission plädierte deshalb dafür, clubcommission.de Clubs wie das SO36 oder Insomnia feierten PCR-Tests ins Konzept einzubinden: Bei niedriger Inzidenz könnten bereits ihre Wiedereröffnung. Andere Loca- auch Gäste reingelassen werden, die nicht geimpft oder genesen tions brauchen mehr Zeit, da sie erst neues sind, sofern sie einen negativen PCR-Test vorweisen können. Bei Personal einstellen und ein Programm ent- hoher Inzidenz würden PCR-Tests für alle Gäste verpflichtend sein. wickeln müssen. Das SchwuZ wird z. B. erst Damit der Vorschlag funktioniert, müssten kostenlose PCR-Tests zur Ende Oktober wieder seine Pforten öffnen Verfügung gestellt werden. Marcel Weber hält das für realistisch: „Da können. wäre es für den Staat günstiger, so zumindest unsere These, die Kos- Ende August erklärte das Berliner Verwal- ten für die PCR-Tests zu übernehmen, anstatt die Wirtschaftsunter- tungsgericht das Verbot von Tanzveranstal- nehmen weiter mit Hilfen am Leben zu erhalten.“ Da die Clubs auf tungen in Innenräumen für genesene und diesem Wege auch bei hoher Inzidenz den Betrieb ohne Masken- geimpfte Menschen als unverhältnismäßig. pflicht fortsetzen könnten, würden sie eine langfristige Perspektive Daraufhin beschloss der Senat, gegen dieses gewinnen. Urteil nicht in Berufung zu gehen: Clubs Die Clubcommission beruft sich in ihren Überlegungen auch auf das dürfen also mit der 2G-Regel wieder öffnen. erfolgreiche Pilotprojekt „Clubculture Reboot“, an dem 2100 Men- Ist das die lang ersehnte Rückkehr zur schen teilnahmen. Das Ergebnis habe gezeigt, dass „auch bei hohen Normalität für die Veranstaltungsbranche? Inzidenzen sichere Veranstaltungen in Innenräumen möglich sind.“ Jein. Die Clubcommission begrüßt die Ent- Auf den Vorschlag des Verbands hat der Berliner Senat noch nicht wicklung prinzipiell: Mit der 2G-Regel ent- reagiert. Bei den Änderungen der Corona-Verordnung vom 14. Sep- fallen in Innenräumen Maskenpflicht und tember wurden keine Neuerungen für Clubs beschlossen. Der Senat Abstandsregeln, wodurch wieder regulärer führte zwar das Optionsmodell ein, wonach Betriebe selbst entschei- Betrieb mit mehr Gästen möglich wird. den können, ob sie die 2G- oder 3G-Regel anwenden wollen. Aus- Trotzdem ist die Entscheidung umstritten. genommen sind allerdings neben Saunen und Prostitutionsstätten In einem Statement zur Erklärung des Ber- auch Clubs – hier gilt nach wie vor die 2G-Regel. liner Verwaltungsgerichts bemängelte der Die Clubcommission will ihren Vorstoß weiterhin dem Senat nahele- Lobbyverband, dass durch die 2G-Regelung gen und mit Argumenten überzeugen. Marcel Weber wünscht sich, Menschen ausgeschlossen werden, die zum „dass wir alle Möglichkeiten nutzen, die wir haben, und mutig sind Beispiel aufgrund einer Vorerkrankung sie auch auszuprobieren.“ nicht geimpft werden können.
12 INTERNATIONAL Foto: Solidaritäts-Aktion in der Türkei für afgha- nische LGBTIQ* FOTO: ADEM ALTAN/AFP VIA GETTY IMAGES LGBTIQ* IN AFGHANISTAN erleben somit massive geschlechtsspezifi- „Holt die Leute raus“ sche Verfolgung. Außerdem überschneiden sich diese Gruppen natürlich. Nach der Machtergreifung der Taliban sind Freiheit und Leben vieler Men- Steht ihr gerade mit jemandem vor schen in Afghanistan bedroht. Seit dem Stopp der Luftbrücke bleibt auch Ort in direktem Kontakt? LGBTIQ*-Or- vielen LGBTIQ* nichts anderes mehr übrig, als unterzutauchen. Eine der ganisationen in Deutschland wurden wäh- Gruppen, die versuchen, jetzt afghanische Queers zu unterstützen, ist die rend der Luftbrücke, bis zu deren Stopp am Rosa Strippe e. V., Bochumer Beratungszentrum für sexuelle und geschlecht- 26. August, direkt von Personen kontaktiert, liche Vielfalt. Wir sprachen Anfang September mit Alva Träbert vom Team die verzweifelt Wege suchten, auf Evaku- ierungslisten zu kommen und Afghanistan Alva, wie ist die Lage für LGBTIQ* in Afghanistan aktuell? zu verlassen. Viele Kolleg*innen arbeiten Bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban drohten sexu- zwar seit Jahren in der Beratung und Ver- ellen und geschlechtlichen Minderheiten langjährige Haftstrafen sorgung Geflüchteter, aber ohne praktische und die Todesstrafe. In den letzten 20 Jahren hat sich die Men- Erfahrung darin, wie wir Menschen außer- schenrechtslage für afghanische LGBTIQ* nicht verbessert. halb Deutschlands in einer solchen Notsitu- Und inwiefern ist die Situation jetzt noch schlimmer ge- ation unterstützen können. Wir haben uns worden? Aufgrund der chaotischen Informationslage ist es in den vergangenen Wochen viel ausge- schwierig, hierzu allgemeingültige Aussagen zu treffen. Meine tauscht, Lösungswege gesucht, Ressourcen Einschätzung ist aber, dass genau dieses Chaos den Alltag für und Kontakte geteilt — aber auch unsere LGBTIQ* noch gefährlicher macht als zuvor. Es ist unmöglich ge- Frustration, Hilflosigkeit und Trauer. Über worden, alltägliche Risiken einzuschätzen. Wie systematisch die den LGBTIQ*-Dachverband ILGA sind wir Taliban aktuell nach LGBTIQ*-Personen fahnden, ist unklar. Wo mit Organisationen vernetzt, die regelmäßi- Foto: Alva Träbert von auch immer sie jedoch sichtbar werden, ist davon auszugehen, gen Kontakt zu Betroffenen vor Ort haben. Rosa Strippe e. V., dass sie mit massiver Gewalt rechnen müssen. Das jedoch in konkrete Hilfsmaßnahmen dem Bochumer In Medien wird derzeit viel über die Lage von Frauen in innerhalb Deutschlands und der EU zu Beratungszentrum Afghanistan diskutiert, die sich unter den Taliban massiv übersetzen bleibt eine koordinatorische für sexuelle und ge- verschlechtern wird. Wie hängt dies mit den Bedrohungen und politische Herausforderung. schlechtliche Vielfalt für LGBTIQ* zusammen? Seit der Machtübernahme der Taliban Laut der religiösen Auffassung der erreichen uns grausame Bilder und Nachrichten von Menschen- Taliban ist Homosexualität eine un- rosastrippe.net rechtsaktivist*innen, die in Afghanistan mit Gewalt, Folter und Tod verzeihliche Sünde, die mit Stei- rechnen müssen. Diese akute Bedrohung betrifft insbesondere nigung zu bestrafen ist. Ihr von Frauen und Mädchen, aber auch alle, deren geschlechtliche und der Rosa Strippe habt euch unter sexuelle Identität von der vermeintlichen gesellschaftlichen Norm anderem an einer gemeinsamen abweicht und damit ungewollt gelebten Widerstand gegen die is- Pressemitteilung der Bundesweiten lamistische Herrschaft bedeutet. Sowohl Frauen als auch LGBTIQ* Arbeitsgemeinschaft der psycho-
INTERNATIONAL 13 sozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) beteiligt. Darin wird die Evakuierung von afghanischen Personen gefordert, die aufgrund ihrer geschlechtlichen und/oder sexuellen Identität mit Gewalt und Tod rech- nen müssen. Kannst du mir darüber mehr erzählen? Was genau müsste jetzt getan werden? Zum Zeitpunkt der Presse- mitteilung bestand die Luftbrücke noch. Wir hatten die Hoffnung, darüber LGBTIQ*-Personen aus Kabul herausholen zu können. Nun geht es darum, die Menschen ausfindig zu machen, die es auf die Evakuierungsliste, nicht aber auf das Flughafengelände geschafft haben. Natürlich gibt es viele nicht staatliche Akteur*innen, die gerade unschätzbar wertvolle Arbeit leisten. Ich möchte aber davor warnen, ihnen in der aktuellen Lage zu viel Verantwortung zuzu- schreiben. Asyl ist ein Menschenrecht. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, dieses Recht einzuhalten und zu verteidigen. Heiko Maas sprach Anfang August in seiner Rolle als Außenminister davon, circa 50.000 Personen aus Afghanis- tan aufzunehmen, deren Leben unter Taliban-Herrschaft bedroht ist. Hat das Auswärtige Amt auch euer Anliegen unterstützt? Stehen LGBTIQ* auf den Listen der besonders Schutzbedürftigen? Neben der Liste der Ortskräfte gab es eine BERLIN berlinlastmile.de zweite Liste, über die andere schutzbedürftige Personen mit drin- LAST MILE info@berlinlastmile.de gendem Evakuierungsbedarf an das Auswärtige Amt gemeldet werden konnten. LGBTIQ*-Organisationen aus ganz Deutschland GMBH +49 30-230 96 30 haben dort Personen gemeldet, mit denen sie im Kontakt standen. COMING Aus dem Kontakt mit dem Auswärtigen Amt wissen wir, dass der Schutzbedarf afghanischer LGBTIQ* als Thema präsent ist und auch ernst genommen wird. Eine offizielle Stellungnahme dazu, ob die gemeldeten Fälle in den nächsten Wochen und Monaten OF AGE Berücksichtigung finden, liegt aber bislang nicht vor. Wir hoffen, dass die gemeldeten afghanischen LGBTIQ* die Möglichkeit haben werden, einzureisen. Wie diese Einreise in der Praxis gewährleis- tet werden kann, ist aktuell aber noch völlig unklar. Solange diese Menschen nicht sicher angekommen sind, müssen wir den politi- schen Druck aufrechterhalten. Was fordert ihr ganz konkret von der Bundesregierung? Transparenz in Bezug auf die geplanten Maßnahmen und dann An die Bereitschaft, mit den zivilgesellschaftlichen Expert*innen im intergenerational Gespräch zu bleiben, um Lösungen zu finden, die so vielen Men- performance festival schen wie möglich das Leben retten. Wenn diese Menschen hier tatsächlich ankommen, muss ihre bedarfsgerechte Versorgung September 15 — sichergestellt werden, auch im Hinblick auf ihre psychische Ge- November 07 sundheit und zu erwartende schwere Traumafolgen. Schutzbe- sophiensaele.com dürftige aufzunehmen bedeutet mehr als nur das bloße Überleben zu sichern. Außerdem erleben wir seit Jahren, dass viele LGBTIQ* Asylsuchende etwa aus Pakistan und Iran abgelehnt und abge- schoben werden. Dort ist die Menschenrechtslage für LGBTIQ* in vielen Punkten nicht besser als in Afghanistan. Die aktuelle Argumentation der europäischen Politik ist, dass flüchtende Af- ghan*innen Schutz in den Nachbarländern finden könnten. Dies ist brandgefährlich. Unsere Arbeit ist noch lange nicht getan. Wie, denkst du, können wir als Community hier die Queers in Afghanistan am besten unterstützen? Wir kön- nen den politischen Druck aufrechterhalten, laut bleiben, uns dafür einsetzen, dass die Notlage schutzbedürftiger Afghan*innen nicht untergeht. Interview: Manu Abdo
14 COMMUNITY Zündstoffe Queere Positionen und Kritik Ina Rosenthal, Autorin,und heteronormative Wertvorstellungen erst gar nicht infrage ge- Coach für Non-Pro- stellt werden. fit-Organisationen und Aber wir Lesben wollen nicht unsichtbar sein, wir wollen in unse- Leiterin von RuT Rad rer eigenen Lebensrealität wahrgenommen und gesehen werden. und Tat e. V., Gründe- Und genau an dieser Stelle kommt die lesbische Geschichte (bzw. rin von Pinkdot, lebt, Historie) ins Spiel. Denn bis weit in die 80er-Jahre hinein war es möglich, dass Ehefrauen, die sich aufgrund ihres Coming-outs von FOTO: CAROLINE WALBURG schreibt und arbeitet in Berlin ihren Männern trennen wollten, das Sorgerecht für ihre Kinder verloren. Aber auch unverheirateten Müttern, die lesbisch lebten, wurde dieses Schicksal zugewiesen. Da war in keiner Weise die Rede von Bindung oder davon, welcher Elternteil die Verantwor- tung und Versorgung der Kinder übernommen hatte. Oft Eine schriftliche Anfrage der FDP an das Bundesjustizministerium im Au- sind diese Kinder in Heimen oder Pflegefamilien zwangs- gust ergab, dass die Bundesregierung gegenwärtig keinerlei Pläne hat, untergekommen. Bindungen wurden gewaltsam zerstört, lesbische Mütter zu entschädigen, die in der Bundesrepublik jahrzehnte- die Lebensweisen der Mütter mutwillig verunglimpft und lang systematisch diskriminiert wurden. Ina Rosenthal kommentiert moralisch abgewertet. Die Biografien dieser Mütter und Kinder sind durchtränkt von Scham und der tiefen Wunde, Eine Mutter im Coming-out, zwei Frauen, die gemeinsame Kinder versagt zu haben, weil sie leben und lieben wollten, wie es ihnen haben, all das sollte heute kein Thema mehr sein, oder doch? Was entsprach. immer häufiger in den Medien als problemlos dargestellt wird, ist Im Januar 2020 wurde zum ersten Mal öffentlich auf einem Fachtag in der Realität noch lange nicht angekommen. Auch heute noch im Bundestag ausgesprochen, dass lesbischen Müttern schwerwie- müssen sich Mütter mit Vorurteilen in Schule und Kita, aber vor gende Diskriminierung und Unrecht in Deutschland widerfahren allem mit der Stiefkindadoption herumärgern. Selbst dann, wenn ist. Und das ist gut. Nun müssen Taten folgen. Schauen wir einmal das Kind in der Ehe der Mütter geboren wurde. Stellen wir uns das ganz neidfrei auf unsere Bruder-Communitys der Schwulen und doch einmal als „Normalfall“ in einer heterosexuellen, normativen der bisexuellen Männer: Mit welch großartiger Kraft und Ausdau- Familie vor: Dann müsste der Vater gegenüber den Behörden be- er sie um die Wiedergutmachung hinsichtlich des Paragrafen 175 weisen, dass er tatsächlich seinen Vaterpflichten nachkommt sowie gestritten haben! Es ist richtig, dass diesem Unrecht eine Wieder- eine gute Bindung zum Kind lebt. Absurd, oder? Die „Ehe für alle“ gutmachung, wenn auch zumeist in symbolischer Höhe, und Recht ist also keine Ehe für alle, sondern immer noch eine, die die hetero- entgegengestellt wird. Es geht aber eben nicht darum, aus dem Wie- normativen Familienideale begünstigt und andere Lebensentwürfe dergutmachungsfonds des Paragrafen 175 auch Rechte und Wie- benachteiligt. dergutmachung für lesbische Mütter zu fordern. Sondern es geht Apropos Medien und Politik: Auch ein verstörendes Kapitel zum darum, das Leiden und die Ungerechtigkeit gegenüber homo-, bi-, Thema strukturelle Diskriminierung von Lesben heißt „Queeres Fa- trans- und intersexuellen Menschen in ihren ganzen Facetten zu milienzentrum“. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir in Berlin er- benennen und ihnen allen einen Platz in unserer Geschichte und leben müssen, dass ein Verein, der sich seit vielen Jahren aktiv für gegenwärtigen Realität einzuräumen. die Belange von Regenbogenfamilien einsetzt, den Zuschlag nicht Der Kampf um den Paragrafen 175 zeigt uns, dass es möglich ist. bekommen hat, weil das Konzept „zu lesbisch“ war. Wie genau das Der Staat Deutschland ist in der Lage, für seine Geschichte Verant- gehen sollte, habe ich nicht verstanden – schließlich ist es doch eine wortung zu übernehmen. Deshalb benötigen wir Mittel für die Er- Tatsache, dass 90 Prozent aller Regenbogenfamilien lesbisch bzw. forschung des Unrechts an lesbischen Müttern und wir brauchen Frauen*familien sind. einen eigenen Entschädigungsfonds. Dies wäre ein klares gesell- Die Lesbe an sich, auch das ist eine Realität, ist in der Gesellschaft schaftliches und politisches Zeichen, um lesbisches Leben, auch im nicht gern gesehen – nicht als Mutter und nicht als Aktivistin. Auch Gestern, sichtbar zu machen. deshalb ist es im Alltag oft einfacher, uns unsichtbar zu machen. Da Wir leben immer noch nicht in einer Gesellschaft, in der Menschen ist der irgendwie wohlwollende (ich gehe jetzt einfach mal davon unabhängig davon, welches Geschlecht sie sich zuweisen und/oder aus) Kommentar: „Ach, Sie leben mit einer Frau zusammen? Sie welche Menschen sie begehren, frei von Diskriminierung sind. Aber sehen gar nicht aus wie eine Lesbe“, nichts anderes als Diskrimi- genau das muss unser Ziel sein. Erreichen können wir dies, wenn nierung mit deutlich homophobem Unterton. Wenn diese Form von wir zusammenarbeiten. In diesem Sinne, liebe Freund_innen* aus Unsichtbarmachung nicht gelingt, dann unterteilt man uns auch allen Communitys: Wir können viel voneinander lernen und viel gern in den männlichen und weiblichen Part, damit patriarchale füreinander tun. Fangen wir an!
Register your contact details at https://register.berghain.de of full vaccination or recovery and personal photo ID. For all club visits the 2G-protocol applies: Please bring digital proof Further details at www.berghain.berlin. Klubnacht is back, every Saturday in October … Kontaktdaten registrieren unter https://register.berghain.de vollständigem Impfschutz oder Genesung sowie Lichtbildausweis mitbringen. Für den Klubbesuch gilt die 2G-Regel: Bitte digitalen Nachweis von Weitere Details auf www.berghain.berlin Es gibt sie wieder, unsere Klubnacht, und zwar jeden Samstag im Oktober … Doris Belmont geistert durch die Berliner Szene, mes- meriert ihr Publikum mit dem Charme einer Gründerzeit-Biblio- Wir sind zurück … thekarin und engagiert sich leidenschaftlich in der Deutschen Nagelpilzstiftung facebook.com/ belmontdoris FOTO: MATTHES VON BIEBERSTEIN instagram.com/ doris_belmont Abgeschminkt von Doris Belmont Meine lieben Herbstanemon*innen, ich komme nen einen antisemitischen Anstrich bekommen. diesmal gleich zur Sache: Gerade in den letzten Ich warte bis heute auf den Shitstorm aus der Monaten offenbarten sich mir häufiger gewisse Community, ist eine unreflektierte Pro-Palästi- Doppelstandards, die in unserer sogenannten na-Haltung, die vor allem laut „Buttons“-State- Community an der Tagesordnung sind. Und da ment ein zutiefst queeres Anliegen sei, doch muss ich jetzt mal was zu sagen. durchaus nicht frei von Zynismus. Schließlich Was meine ich? Ein schönes Beispiel ist der gilt Israel bis heute als das einzige Land in der Berliner „Internationalist Pride“ in diesem Region, in dem uns LGBTIQ* keine drakoni- Sommer. Dieser „alternative CSD“ wurde vom schen Strafen erwarten. Mir ist an dieser Stelle israelfeindlichen BDS Berlin mitorganisiert, wichtig, Folgendes klar zu sagen (auch wenn einer politischen Kampagne, die Israel u. a. das vermutlich jetzt gerne überlesen wird): als Apartheidsstaat bezeichnet. Daraus wurde Kritik an menschenrechtsverletzender Politik, im Vorfeld kein Geheimnis gemacht und das auch an der des israelischen Staates, ist aus- schien offenbar niemanden zu stören: Hey, im nahmslos legitim! Aber dennoch ist nicht von We are back … Aufruf stand ja auch klein „gegen Antisemitis- der Hand zu weisen, dass sogenannte Israel- mus“, und immerhin ging es dort auch um kritik sehr oft mit Antisemitismus einhergeht ... Antikapitalismus oder so. Mit dieser oberfläch- bzw. es im Kern eigentlich um Antisemitismus lichen Haltung nahmen auch einige Freund*in- geht, der nur schlecht versteckt wird. Dass nen von mir am „Internationalist Pride“ teil, dieser unter einigen linken Queers einfach hin- ebenso manche Szenefigur. Persönlichkeiten, genommen wird, nervt gewaltig. die bei antirassistischen Veranstaltungen und Doch wie schaffen wir es, Antisemitismus klar Themen gern an vorderster Front mitkritisieren. zu erkennen? Nun, der Unterschied zwischen Das bisschen Israelhass war hier aber offen- legitimer Kritik und antisemitischen Bildern sichtlich kein triftiger Grund, der Veranstaltung lässt sich relativ leicht mit der „Drei-D-Regel“ fernzubleiben. Ungefähr zur selben Zeit ver- offenlegen: Dämonisierung, Doppelstandards, abschiedete sich die „Buttons“-Party nach Delegitimierung. Das heißt: Sobald Israel dä- jahrelanger Zusammenarbeit aus den Räum- monisiert wird, also als „Symbol“ für etwas Ne- lichkeiten des about blank. Begründung: die gatives herhalten muss; wenn gesagt wird, der israelfreundliche Haltung des Ladens. Es gab Staat als solcher dürfe nicht existieren; oder viel Applaus zu dieser Entscheidung. wenn Israel anders bewertet wird als andere Es ist verblüffend, dass bei dem in queeren Staaten, ist das Antisemitismus. Kontexten weit verbreiteten Hang zur morali- Abgeschminkt betrachtet, bleibt mir nur der schen Empörung offensichtlich kaum Kritik laut dringende Appell: Lasst uns bitte auch bei Anti- wird, wenn sogenannte antirassistische Aktio- semitismus aufmucken! Eure moralische Doris
16 COMMUNITY Foto: Die schwulen Schrebergärtner vom YouTube-Blog „Unser Kleingarten“: Martin, Georgette Dee Tim und Robert (v. l. n. r.) & Die Dreamboys Traum-Zeit-Gesänge 12. – 17. Oktober Tickets 030. 883 15 82 // www.bar-jeder-vernunft.de SCHWULE SCHREBERGÄRTNER Tim Fischer Szene machen Zeitlos – Cabaret Berlin Tue Gutes im Garten – und rede darüber! So könnte das Motto von Tim, Robert und Mar- 19. – 23. Oktober tin lauten. Seit Februar bewirtschaften die drei eine Parzelle in Pankow und berichten davon auf YouTube. 1.660 Fans verfolgen schon, wie sie ein verwuchertes Stück Land Tickets 030. 883 15 82 // www.bar-jeder-vernunft.de in eine Oase verwandeln – und die Schrebergartenwelt ein bisschen schwuler machen youtube.com/c/ Im Frühjahr hatten Tim und sein Ar- se seltener beim CSD rumspringen.“ UnserKleingarten beitskollege Robert recht spontan die Ihr Bezirksverein ist angetan und be- Möglichkeit, eine Gartenparzelle in wirbt die Videos auf seiner Website. Pankow zu bekommen. Das lag daran, Tim hat in den letzten Monaten ge- dass diese seit zehn Jahren nicht ge- lernt, dass die Schrebergärtnerei eine pflegt worden war. Der zuständige wichtige soziale Dimension hat: „So Verein Rosenthal Süd war froh, end- eine Kleingartenanlage ist kein reines lich tatendurstige Nachpächter gefun- Privatvergnügen. Es geht auch darum, den zu haben. Naturräume zu pflegen und Nah- Hotel Anfangs galt es erst mal, Unrat und erholungsgebiete zu erhalten.“ Und Gl’Amouresque gefällte Bäume abzutransportieren. Mit jedem Arbeitsschritt kam der ur- die sollten offen sein für alle, auch für Spaziergänger*innen. Das ist nicht Sheila Wolf präsentiert sprüngliche Garten mehr und mehr selbstverständlich, manche Anlagen ‚Die Gl’Amouresque‘ zum Vorschein. „Beim Mähen und kapseln sich ab. Das findet Tim falsch. 22. & 23. Oktober / 27. November Jäten haben wir plötzlich einen wun- Die Kosten für eine Parzelle sind hoch derschönen Kopfsteinpflasterweg und nur wenige können sich das leis- Tickets 030. 883 15 82 // www.bar-jeder-vernunft.de entdeckt“, erzählt Tim. In mehr als 30 ten. Bei ihnen waren es 10.000 Euro YouTube-Folgen kann alle Welt den Ablöse, dazu kommen 800 Euro pro Fortschritt verfolgen: Heckenschnitt, Jahr für Pacht und Nebenkosten. „Ein Beetgestaltung, Teichaushub, erste Kleingarten kann schnell zum elitä- Ernte. Jede Woche gibt es ein neues ren Vergnügen werden“, sagt Robert, Video, das den Fortschritt dokumen- „aber dann verliert er seine soziale tiert. und politische Bedeutung.“ Doch online präsentieren sie nicht nur In ihren Videos berichten die drei des- Gartentipps wie viele andere, sondern halb auch aus anderen Gärten. Und auch eine Art „Gay Gardening Show“. auch in ihrem Paradies ist Besuch Robert und Martin sind ein Paar, Tim willkommen. Im nächsten Sommer URSLI & TONI PFISTER ALS gibt die „Gartendiva“ – das ist von Folge planen die schwulen Kleingärtner CINDY & BERT MIT DEN JO ROLOFF-SINGERS & BAND eins an klar. „Wir nutzen unseren Kanal auch, um auf Themen wie den eine Mini-CSD-Demo. Angeführt von einem Aufsitzmäher. Philip Eicker IDAHOBIT* hinzuweisen“, sagt Tim, So, als ob du schwebtest „gerade weil Leute aus der Gartenbla- 20. 10. – 28. 11. Tickets 030. 39 06 65 50 // www.tipi-am-kanzleramt.de
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