Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...

Die Seite wird erstellt Christina Berg
 
WEITER LESEN
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
Christian Humborg

 Journalismus
 als öffentliches Gut
Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
Impressum
04/2021
Friedrich-Ebert-Stiftung
FES Medienpolitik
Godesberger Allee 149
53175 Bonn
www.fes.de/medienpolitik

Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich
Roland Feicht

Autor
Christian Humborg

Redaktion
Roland Feicht

Illustrationen
Belicta Castelbarco

Gestaltung und Satz
tigerworx Berlin

Verlag
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

ISBN: 978-3-96250-873-9

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht
notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Creative-Commons-Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0
Die Texte dieses Werks sind unter der Creative-Commons-Lizenz vom Typ
„Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen
4.0 International Lizenz“ lizenziert. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen,
besuchen Sie https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/. Diese Lizenz
beinhaltet unter anderem, dass die Texte bei Nennung des/der Autor_innen und
dieser Publikation als Quelle ohne Veränderung veröffentlicht und weitergegeben
werden dürfen. Ausgenommen von dieser Lizenz sind alle Nicht-Text-Inhalte wie
Fotos, Grafiken und Logos.

Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung dürfen nicht für Wahlkampfzwecke
verwendet werden.
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
Christian Humborg

 Journalismus
 als öffentliches Gut
Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
4              FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    Inhalt

    8
    6         12
             10                              14      18

                5         Einleitung

                6	
                  I. Die Krise der Zeitungen und des
                          öffentlich-rechtlichen Rundfunks

                10	
                   II. Aufstieg und Hegemonie der
                          Werbeplattformen

                14	
                   III. Unternehmertum und Innovation in
                          Zeiten der Krise

                20	
                   IV. Politische Rahmensetzung und Regulierung
                          für Aufklärung und Journalismus
    20
                24        V. Literatur
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS                         5

 Einleitung

E    s sind harte Zeiten für den Jour-
     nalismus. Die Digitalisierung und                 Journalismus ist ein öffentliches
der Aufstieg der Plattformen forcie-
ren einen tief greifenden Wandel der
                                                       Gut, das es zu schützen gilt.
Medienlandschaft. Hinzu kommt das                      Denn Journalismus ist als
Ringen um Glaubwürdigkeit und Ver-
trauen von Redaktionen, Journalist_­                   sogenannte vierte Macht im
innen, Verlagshäusern und Medienan-
stalten. In einer gereizten Gesellschaft,
                                                       Staat, insbesondere aber auch
in der Ablehnung und Skepsis gegen-                    für die Gemeinde und die
über Berichterstattung zunehmen,
muss an eigentlich selbstverständliche
                                                       Stadt, für eine funktionierende
Grundsätze erinnert werden, wie die                    und akzeptierte Demokratie
fundamentale Bedeutung freier Medien
für eine lebendige Demokratie. Quali­                  genauso wichtig wie andere
tätsjournalismus und Medienvielfalt
müssen sich behaupten.
                                                       öffentliche Güter, etwa Wasser,
     Es zeigt sich deutlich: Journalismus              Schulen und Krankenhäuser.
ist ein öffentliches Gut, das es zu schüt-
zen gilt. Denn Journalismus ist als so-
genannte vierte Macht im Staat, insbe-
sondere aber auch für die Gemeinde
und die Stadt, für eine funktionieren-       Journalismus sind und je bunter die       der Medienwelt unternommen? Wel-
de und akzeptierte Demokratie genau-         vielfältigen Medienorganisationen, des-   che politischen Rahmenbedingungen
so wichtig wie andere öffentliche Güter,     to besser für die Demokratie im digita-   braucht es bei strikter Wahrung der
etwa Wasser, Schulen und Krankenhäu-         len Kapitalismus.                         Unabhängigkeit der Medien? Um Ant-
ser. Folgerichtig zählte das Land Berlin          Die Funktionsfähigkeit des Jour-     worten zu finden, muss zunächst auf
während der Corona-Pandemie im Jahr          nalismus ist auch gleichermaßen Vor-      die Krise der Tageszeitungen, der Zeit-
2020 die Medienberufe, darunter Jour-        aussetzung für das Funktionieren der      schriften und des öffentlich-rechtlichen
nalist_innen, zu den systemrelevanten        Marktwirtschaft. Wenn nicht über un-      Rundfunks und auf die Bedeutung der
Berufen genauso wie die Berufe in den        verantwortliche Unternehmen, über         Plattformgiganten für die Zukunft des
Branchen der Wasser- und Energie-            schlechte Produkte, über katastropha-     Journalismus eingegangen werden.
versorgung und des Lebensmittel- und         len Kundenservice berichtet wird, dann
Drogeriefachhandels.                         haben es gute Unternehmen schwe-
     Zwei Kriterien gelten für die De­fi­    rer, sich am Markt durchzusetzen, zum
ni­tion eines öffentlichen Gutes: Nicht­     Schaden aller.
Rivalität im Konsum und Nicht-­Aus­               Öffentlichkeit konstituiert demo-
schließbarkeit. Im Netz kann ein             kratisches Handeln. Journalismus re-
Ar­ti­kel zum Zeitpunkt der Veröffent­       cherchiert, kuratiert und strukturiert
lichung zugleich von Tausenden gele-         die für den öffentlichen Diskurs not-
sen werden. Die digitale Ausschließbar-      wendigen Informationen. Damit wird
keit kann zwar durch Paywalls erreicht       fundierte Meinungsbildung in einer
werden, aber diese können nicht die          Öffentlichkeit erst möglich.
zentrale Information in ihrer Weiter-             Doch welche Wege sind einzuschla-
verbreitung über Agenturmeldungen            gen, um Medien- und Informations-
und Zitationen stoppen. Das ist auch         vielfalt zu gewährleisten? Durch welche
gut so. Entsprechend gilt für die Orga-      Anreize kann Aufklärung zum Zweck
nisation und Finanzierung des Jour-          fundierter Meinungsbildung in der Öf-
nalismus als öffentlichen Gutes: Je di-      fentlichkeit gestärkt werden? Welche
verser die F  ­ inanzierungsformen des       innovativen Anstrengungen werden in
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
6                   FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

    I. Die Krise der Zeitungen und des
    öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS                                               7

D     as Jahr 2020 ist im Rückblick ein
      Jahr, in dem sich die Krise des
 Journalismus rapide beschleunigt hat.
                                                   ating the quality of public projects and
                                                   local governments“ (Gao/Lee/Murphy
                                                   2018: 3).1
                                                                                                           Für die Zeitungen und Zeitschrif-
                                                                                                       ten, die wie „Der Spiegel“ und „Die
                                                                                                       Zeit“ nicht täglich gedruckt werden,
 In Großbritannien und den USA wur-                    In den USA ist die Situation schon              sind die Zukunftsaussichten besser,
den zahlreiche Zeitungen eingestellt               dramatischer als in Deutschland (Sul-               denn ihrem Abonnement- und Pro-
(Clayton 2020; Waterson 2020). Auch                livan 2020). In einer der größten Stu-              duktionsmodell droht weniger Umstel-
in Deutschland führte die Corona-Kri-              dien zum Niedergang des US-ameri-                   lung. Tageszeitungen gehen angesichts
se zu einem Anzeigenrückgang, zur                  kanischen Lokaljournalismus kommt                   der großen Herausforderung mit unter-
Einstellung von Angeboten wie „FAZ                 Abernathy (2020: 11) zum Ergebnis,                  schiedlichen Strategien vor.
Woche“ und „taz gazete“ und die Ver-               dass es in über 200 der 3.143 Landkrei-                 Die „Süddeutsche Zeitung“ etwa
lage meldeten vielerorts Kurzarbeit an.            se keine Zeitung oder Newsseite mehr                baut ihre Wochenendausgabe aus.
     Seit 1995 haben die Tageszeitungen            gibt. Die entstehenden Lücken werden                Nicht unkompliziert ist das Verhält-
in Deutschland die Hälfte ihrer Aufla-             durch politische Akteure gefüllt. Über              nis von Print- und Online-Redaktion,
ge verloren (Statista 2020a). Zwischen             1.300 lokale Newssites sind in allen 50             die noch in zwei verschiedenen Gesell-
2015 und 2019 gingen die Anzeigen­                 Bundesstaaten rund um den Unterneh-                 schaften zu unterschiedlichen Kondi-
umsätze der Zeitungen um 22 % zu-                  mer Brian Timpone entstanden, die                   tionen organisiert sind (Fromm 2020).
rück, während die Umsätze aus dem                  regelmäßig mit algorithmisch erzeug-                Sparvorgaben machen die Situation
Zeitungsvertrieb nur um 3 % stiegen                ten Artikeln gefüllt werden und sich                nicht einfacher. Die „Frankfurter All-
(Keller/Stavenhagen 2020: 7). Die alte             für konservative Meinungen bezahlen                 gemeine Zeitung“ (FAZ) muss sich zwi-
Faustregel, wonach zwei Drittel der                lassen, auch von Republikanern zuge-                schen ihrer Wochenendausgabe und
Umsätze aus dem Verkauf der Anzeigen               wandten Gruppen und PR-Firmen in-                   der „Frankfurter Allgemeinen Sonn-
und ein Drittel aus dem Verkauf der                ternationaler Konzerne (Alba/Nicas                  tagszeitung“ entscheiden. Die teure Zu-
­Tagespresse stammen, gilt schon seit              2020).                                              stellung am Sonntag führt dazu, dass
 20 Jahren nicht mehr (Pasquay 2018: 6).
 In einem Medienumfeld von Netflix,
 Spotify und Rundfunkbeitrag wirkt der
 monatliche Bezugspreis für sechsmal
 wöchentlich erscheinende Lokal- und
 Regionalzeitungen mit durchschnitt-
 lich 37,73 Euro hoch (vgl. Keller/­
                                                             Für die Zeitungen und Zeitschriften,
 Stavenhagen 2020: 31); für digitale                         die wie „Der Spiegel“ und „Die
 Abonnements hingegen liegt das obe-
 re Ende der empfohlenen Preisspan-                          Zeit“ nicht täglich gedru­ckt werden,
 ne laut Untersuchungen von Buschow/
 Wellbrock (2019: 33) bei etwa 10 Euro
                                                             sind die Zukunftsaussichten
 im Monat.                                                   besser, denn ihrem Abonnement-
     Der Verlust an klassischer Öffent-
 lichkeit, gerade vor Ort, ist dramatisch.                   und Produktionsmodell
 Kübler/Goodman (2019) haben ge-
 zeigt, dass in Regionen ohne Lokalzei-
                                                             droht weniger Umstellung.
 tung die Wahlbeteiligung zurückgeht.                        Tageszeitungen gehen angesichts
 Zivilgesellschaftliches Engagement ist
 da größer, wo es lokale Medien gibt
                                                             der großen Herausforderung mit
 (Barthel et al. 2016). Gao/Lee/Murphy                       unterschiedlichen Strategien vor.
 (2018) belegen einen Zusammenhang
 zwischen der Einstellung von Lokalzei-
 tungen in einer Region und steigenden
 Schulden der Kommune: „There is not a
 sufficient degree of substitutability bet-
 ween local newspapers and alternative
 information intermediaries for evalu-

1	Übersetzung: „Für die Bewertung der Qualität öffentlicher Projekte und lokaler Regierungen können alternative Internet-Plattformen Lokalzeitungen
   nur unzureichend ersetzen.“
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
8                                                 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Letztere inzwischen samstags erscheint     ten berichtet wird. Aufgrund der Ein-      Beiträgen zu überregionalen Themen.
(Wiegand 2020). Die „Tageszeitung“         schränkungen infolge der Corona-Pan-       Das Redaktionsnetzwerk Deutschland
(taz) geht davon aus, dass sie im kom-     demie ist das Veranstaltungsgeschäft       (RND) von Madsack und DuMont be-
menden Jahr ihren täglichen Druck          zusammengebrochen. Die Diversifika-        liefert nach eigenen Angaben über 50
auf Papier und Vertrieb einstellen wird    tion der Aktivitäten birgt überdies die    Lokalzeitungen und erreicht damit
­(Sagatz 2018), und beweist mit ihrer      Gefahr, dass sich die Verlage aus dem      mehr Menschen als „Bild“, „Süddeut-
 Planung strategischen Mut und Konse-      Kerngeschäft herausentwickeln. „Des-       sche“ und FAZ zusammen. Die Funke­
 quenz.                                    halb wird in der Branche seit längerem     Zentralredaktion in Berlin erreicht
     Um Erträge zu diversifizieren und     die Frage debattiert: Bleiben (Groß-)      als zweitgrößter Newsroom immer-
 die Abhängigkeit von Werbeeinnah-         Verlage journalistische Unternehmen?“      hin noch über eine Million Lesende,
 men zu reduzieren, bauen die Verla-       (Buschow/Wellbrock 2020b: 20).             vornehmlich in Nordrhein-Westfalen
 ge um ihre Marken herum neue Ge-              Der Umbruch steht den Lokalzei-        (Fromm 2018). Auch die Südwestdeut-
 schäftsfelder aus. Der „Tagesspiegel“     tungen noch bevor. Hohe Kosten für         sche Medienholding und Ippen haben
 bietet verschiedene hochpreisige Ent-     Redaktion, Vertrieb und Zustellung         Zentralredaktionen gegründet.
                                                                                           Buschow und Wellbrock (2020b: 19)
                                                                                      halten die Innovationsaktivitäten der
                                                                                      etablierten Verlage jedoch für unzurei-
                                                                                      chend, zumal sie sich nur inkremen-
                                                                                      tell vollzögen: „Im Verlagsmanagement
                                                                                      wurde, zugespitzt gesagt, vorzugsweise
Der Umbruch steht den                                                                 verwaltet und nicht innoviert.“
                                                                                           Doch nicht nur die Zeitungen, son-
Lokalzeitungen noch bevor. Hohe                                                       dern auch der öffentlich-rechtliche

Kosten für Redaktion, Vertrieb                                                        Rundfunk steht vor Herausforderungen
                                                                                      und gerät unter wachsenden Rechtfer-
und Zustellung auf der einen                                                          tigungsdruck. Von den rund 8 Milliar-
                                                                                      den Euro Einnahmen aus den Rund-
Seite und aufgrund der lokalen                                                        funkbeiträgen fließen rund 98 % zu den

Verbreitungsgebiete endliche                                                          öffentlich-rechtlichen Anstalten und
                                                                                      knapp 2 % an die Landesmedienanstal-
Abonnentenzahlen auf der anderen                                                      ten (Medienanstalten 2019: 37). Der
                                                                                      Publikumsanteil des öffentlich-recht-
Seite führen zu strukturellen                                                         lichen Rundfunks innerhalb des linea-
Problemen.                                                                            ren Fernsehens wächst seit Jahren leicht
                                                                                      und lag im Jahr 2018 bei 48 % weit vor
                                                                                      der Mediengruppe RTL Deutschland
                                                                                      mit 22 % und der ProSiebenSat.1 ­Media
                                                                                      mit 18 % (KEK 2019: 59). Aber ers-
                                                                                      tens ist das Durchschnittsalter des Pu-
                                                                                      blikums von ARD und ZDF mit über
scheider-Briefings und Fachforen an.       auf der einen Seite und aufgrund der       60 Jahren recht hoch (bei einem Durch-
Die „Zeit“ hat bereits eine lange Tradi-   lokalen Verbreitungsgebiete endliche       schnittsalter der Gesamtbevölkerung
tion, Veranstaltungen anzubieten, und      Abonnentenzahlen auf der anderen Sei-      von 45 Jahren). Zweitens bleibt bei die-
betätigt sich inzwischen auch als Reise-   te führen zu strukturellen Problemen.      ser Betrachtung die Abwanderung zum
veranstalter. Beispielsweise konnte im     Die Zustellungskosten steigen konti-       nicht linearen Fernsehen außen vor.
Jahr 2019 eine einwöchige Kreuzfahrt       nuierlich (Linß 2019). Hinzu kommt,        Bei der linearen Fernsehnutzung ist bei
von Hamburg nach New York gebucht          dass jede weniger zugestellte Zeitung      den 20- bis 29-Jährigen zwischen 2005
werden. Reisebegleiter war laut Pros-      die Kosten für die Zustellung pro Zei-     und 2018 die durchschnittliche Seh-
pekt einer der stellvertretenden Chef-     tung aufgrund sinkender Skaleneffekte      dauer pro Tag von 162 auf 110 Minu­
redakteure. Allerdings kann eine solche    steigen lässt. Wenn die Zustellung nicht   ten zurückgegangen; bei den 14- bis
Ertragsdiversifizierung zur unglückli-     mehr rentabel ist, kippt das Zustellsys-   19-­jährigen gab es sogar einen Rück-
chen Gemengelage werden, wenn im           tem.                                       gang von 109 auf 64 Minuten zu ver-
Blatt über die ökologischen Folgen der         Unter dem Kostendruck zentralisie-     zeichnen (KEK 2019: 51). Insgesamt
Kreuzfahrtschifffahrt oder über den        ren größere Verlagshäuser seit Länge-      verliert das lineare Fernsehen massiv
Kampf der Branche in Corona-Zei-           rem die Redaktion und Produktion von       an Bedeutung. Dies gilt zwar weniger
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS   9

  ausgeprägt für das Radio, aber auch
  dort gewinnt der Konsum nicht linea-
  rer Hörfunksendungen, vor allem Pod-
  casts, an Bedeutung.
      Wie sieht es in anderen Ländern
  aus? Großbritannien und die Schweiz
  haben in den vergangenen Jahren in-
  tensive öffentliche Debatten über die
  weitere Ausrichtung und Finanzierung
  ihres öffentlich-rechtlichen Rundfunks
  erlebt. Im Jahr 2018 wurde die Volks­
  initiative zur Abschaffung der Radio-
  und Fernsehgebühren ­(„No-Billag“)­
  mit rund 72 % abgelehnt. Der briti-
sche Premierminister Boris Johnson
stellt regelmäßig die Finanzierung
der British Broadcasting Corporation
(BBC) über Rundfunkgebühren infrage
­(Pribyl 2020).
      In den USA ist das National Public­
 Radio (NPR) am ehesten mit einem
 öffentlich-rechtlichen Rundfunk ver-
 gleichbar. Tatsächlich handelt es sich
 um eine lose Kooperation nicht kom-
 merzieller eigenständiger Hörfunk­
 sender.
      Der Umbruch erfolgt hier – sepa-
 rat vom NPR – durch den Aufstieg des
 sogenannten Talk Radio, des Formats
 für Monologe oder Gespräche über po-
 litische und gesellschaftliche Themen
 oder Lebenshilfe mit einem sehr hohen
 Wort­anteil. Brinkbäumer und Lamby
 (2020: 85) gehen davon aus, dass der
 Erfolg Donald Trumps indirekt auf die
 Neuausrichtung auf das Talk Radio der
 in den riesigen Flächenstaaten senden-
 den Mittelwellensender zurückgeht.
 Diese machten den Werbeplattformen
 wie Facebook und Google vor, dass
 ­Populismus und gesellschaftliche Spal-
  tung zu kommerziellem Erfolg führen
  können.
Journalismus als öffentliches Gut - Meinungsbildung im digitalen Kapitalismus Christian Humborg - Bibliothek der Friedrich ...
10                FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

 II. Aufstieg und Hegemonie
 der Werbeplattformen
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS                                          11

I   n einer Zeit, in der Aufklärung und
    die journalistische Kontrolle von
  Mächtigen besonders nötig sind, gerät
                                                    Ent­deckung eines steuerrechtlichen
                                                    Schlupflochs eine wesentliche Rolle,
                                                    nämlich die Regel, dass Onlinehändler
                                                                                                      Revolution für Menschen, die sich von
                                                                                                      der Revolution keinen Vorteil erwarten
                                                                                                      dürfen“ (Daun 2020: 125).
  der Journalismus in seine größte Krise            beim Versand in andere US-Bundes-                     Die Medienunternehmen gehörten
  (Bauerlein 2017). Die Auswirkungen                staaten keine Umsatzsteuer abführen               zu den ersten Akteuren, die den Auf-
  der Corona-Pandemie beschleunigen                 müssen (Foer 2017: 195). Peter Thiel              stieg der Plattformen zu spüren beka-
  den Trend hin zu digitalen, mobileren             gründete PayPal, um Onlinezahlungen               men, da Werbeplattformen wie Face-
  und plattformdominierten Medienum-                außerhalb des staatlich regulierten Ban-          book, Instagram oder YouTube ihre
  gebungen (Newman et al. 2020: 5).                 kensystems zu ermöglichen, sich der               Erträge aus Werbung generieren. Im
      Hinter dem Aufstieg der Plattfor-             Regulierung zu entziehen und diese zu             Jahr 2018 betrug der Anteil der Erträ-
  men verbirgt sich eine grundsätzliche             stören (Taplin 2017: 73). Fast medien­            ge aus Onlinewerbung bei Google 85 %
  Transformation des Wirtschafts­lebens,            ikonisch mutet ein Foto aus dem Jahr              und bei Facebook 99 % (Staab 2019:
  die Staab (2019) in Anlehnung an                  2007 an, das eine Gruppe ehemaliger               36 f.).
  Schiller (2000) als digitalen Kapitalis-          PayPal-Gründer und Angestellter zeigt.                Mit der ideologisch verankerten
  mus und Srnicek (2017) als Plattform-             Zur „PayPal-Mafia“ gehören die späte-             Skepsis gegenüber staatlichem Han-
  kapitalismus bezeichnet. Danach sind              ren Gründer weiterer Plattformen wie              deln setzen die Werbeplattformen alles
  die neuen dominanten Wirtschaftsak-               zum Beispiel LinkedIn, YouTube und                daran, Regulierung zu verhindern und
  teure Plattformunternehmen. Zu ihnen              Yelp, aber auch der Tesla-Gründer Elon            zu verzögern. Ihre besondere Position
  gehören Google, Facebook, Microsoft,              Musk (Tweney 2007).                               gründet sich im US-amerikanischen
  Uber und Airbnb. Mit dem Akronym                      Daun (2020) hat die ideenge-                  Rechtsraum auf Section 230 des Com-
  GAFA werden Google, Apple, Face-                  schichtlichen Überzeugungen der                   munication Decency Act, dem zufolge
  book, Amazon zusammengefasst. Die                 Tech-Gründer und ihre Narrative aus               die Werbeplattformen nicht wie jour-
  drei dominierenden chinesischen Platt-            Objektivismus und Libertarismus ent-              nalistische Medien für ihre Inhalte haf-
  formen Baidu, Alibaba, Tencent wer-               schlüsselt. Die Auseinandersetzung                ten müssen, sodass sie zu weltumspan-
  den als BAT bezeichnet (Staab/Butollo             über die viel zitierte Disruption ver-            nenden Konzernen aufsteigen konnten
  2018: 1).                                         wandele sich in eine Theodizee des                (Brinkbäumer/Lamby 2020: 98). Die-
      McAfee und Brynjolfsson (2017:               ­Hyperkapitalismus: „Paradoxerweise                ses auch im europäischen Recht veran-
  137) definieren Plattformen „as a digi-           ist die Disruption letzten Endes also             kerte Plattformprivileg führt zur von
  tal environment characterized by near-­           etwas wie Neuheit für Menschen, die               Turner (2020) beispielhaft angeführten
  zero marginal cost of access, reproduc-           sich vor genuin Neuem fürchten. Eine              Konstellation, dass der Verantwortliche
  tion and distribution“.2 Die Plattformen
streben nach Wachstum auf Angebots-
wie Nachfrageseite, um sich die Netz-
werkeffekte auf beiden Seiten zunut-
ze zu machen. Dies führt in der Praxis
zum ökonomischen Anreiz, ein Mono­
                                                             Mit dem Aufstieg der Werbe­
pol im spezifischen Markt zu erreichen,                      plattformen geraten nicht
um Monopolrenditen abzuschöpfen.
Staab (2019: 3) geht noch weiter, wenn                       nur die Medienunternehmen
er argumentiert, dass die Plattfor-
men nicht auf Märkten agieren, deren
                                                             als Institutionen unter Druck,
­Mechanismen sie verzerren: „Sie sind                        sondern auch ihr Produkt, der
 diese Märkte.“
      Taplin (2017) nutzte Facebooks
                                                             Journalismus selbst. Denn dank
 ­frühes Motto „Move fast and break                          der Werbeplattformen kann der
  things“ (Sei schnell und breche Din-
  ge auf) als Titel seines Buches, um zu                     oder die Einzelne viele Menschen
  zeigen, wie kulturelle Ausbeutung und
  Missachtung rechtlicher Standards we-
                                                             direkt erreichen.
  sentliche Faktoren für den Aufstieg
  der Plattformen sind. So spielte bei der
  Idee zur Gründung von Amazon die

2	Übersetzung: „als eine digitale Umgebung, die durch Grenzkosten von nahezu Null für Zugang, Reproduktion und Verteilung gekennzeichnet ist.“
12                                                         FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

e­ iner von Hunderten Personen gelese-            Nguyen 2018: 1). Die anfängliche Eu-               Investoren, der sich inzwischen kri-
 nen Schülerzeitung für den Beitrag ei-           phorie über die neuen Möglichkeiten                tisch zur Plattform stellt, hat im Film
 nes Schülers, das Mensaessen schmecke            trug zum Aufstieg der Piratenpartei                „The Social Dilemma“ die Targeting-
 nach Seife, vor Gericht zur Verantwor-           oder dem Arabischen Frühling bei. In-              Instrumente Facebooks scharf kriti-
 tung gezogen werden kann, nicht aber             zwischen ist angesichts von Problemen              siert: „Facebook is designed to mono-
 eine Werbeplattform, die dem Schüler             wie Desinformation und Hate Speech                 polize attention, just taking all the basic
 die tausendfache Weiterverbreitung ei-           Ernüchterung eingekehrt (Fielitz/                  tricks of propaganda, marrying them
 nes Enthauptungsvideos ermöglicht.               Marcks 2020: 25 ff.).                              to the tricks of casino gambling.“3 So
                                                                                                     sehr Facebook die Tricks der Aufmerk-
                                                                                                     samskeitsökonomie beherrscht, so sehr
                                                                                                     versagt Facebook beim Kampf gegen
                                                                                                     Hass und Hetze im Netz (Nabben et al.
                                                                                                     2020).
Trotz der wachsenden                                                                                      Ein möglicher Ausweg aus dem Tar-
                                                                                                     geting sind durch Nutzende finanzierte
Bedeutung der Influencer_innen                                                                       Inhalte, ohne Werbung und außerhalb
sind die Werbeplattformen                                                                            der Werbeökonomie. Das Privileg un-
                                                                                                     abhängiger Information ist dann de-
auch daran interessiert, die                                                                         nen vorbehalten, die über ausreichend

Inhalte traditioneller Verlage                                                                       finanzielle Ressourcen für den Kauf von
                                                                                                     Inhalten verfügen, die die Bedeutung
anzubieten, denn deren                                                                               unabhängiger Information erkannt ha-
                                                                                                     ben und die bereit sind, dafür Geld aus-
Marken verfügen über das                                                                             zugeben.

hohe Gut der Unabhängigkeit.                                                                              Bei der Werbefinanzierung von In-
                                                                                                     halten kommt es entscheidend darauf
Diese unabhängigen                                                                                   an, ob journalistische Unabhängigkeit
                                                                                                     und Transparenz gewahrt bleiben. Tra-
Informationen sind oft wichtiger                                                                     ditionell wird im Bereich der (Teil-)
Ausgangspunkt für emotional                                                                          Werbefinanzierung von Information
                                                                                                     deren Unabhängigkeit durch eine in
geprägte Auseinandersetzungen                                                                        der Praxis manchmal besser, manch-

mit der Ursprungsinformation.                                                                        mal schlechter vollzogene Trennung
                                                                                                     von Verlag und Redaktion gewährleis-
                                                                                                     tet. Anders beim Geschäftsmodell der
                                                                                                     Influencer_innen: Hier werden Wer-
                                                                                                     bung und Informationsbereitstellung
                                                                                                     geschickt verknüpft. Die meisten In-
     Mit dem Aufstieg der Werbeplatt-                 Eine der Ursachen für solche Fehl-             fluencer_innen beanspruchen nicht für
formen geraten nicht nur die Me-                  entwicklungen ist der den Werbeplatt-              sich, unabhängige Informationen anzu-
dienunternehmen als Institutionen                 formen inhärente Mechanismus: Die                  bieten, und bleiben damit ihrer Marke
unter Druck, sondern auch ihr Pro-                zu vermarktende Einheit zur Generie-               treu. Gleichwohl übernehmen sie für
dukt, der Journalismus selbst. Denn               rung von Erträgen heißt Interaktion.               eine wachsende Zahl von Nutzenden
dank der Werbeplattformen kann der                Die Wahrscheinlichkeit einer Interak-              die Funktion, die traditionell von Ver-
oder die Einzelne viele Menschen di-              tion steigt durch Emotionalisierung                lagen und Rundfunkanstalten wahrge-
rekt erreichen. „Wir alle sind zu Pub-            und Zuspitzung und nicht durch die                 nommen wurde. Ob allen Nutzenden
lizisten geworden, jeder ist Publizist.           Aufklärung oder Bildung der Nutzen-                die Verknüpfung von Werbung und In-
Das Publizieren ist nicht mehr den al-            den. Die Interaktionsmaschinerie der               formationsbereitstellung klar ist, sei da-
ten Gatekeepern, den Zeitungen, Zeit-             Werbeplattformen will immer neu be-                hingestellt.
schriften, Radiosendern und Fern-                 feuert werden, schneller, höher, weiter.                Trotz der wachsenden Bedeutung
sehanstalten vorbehalten“ (Humborg/               Mc­Namee, einer der ersten Facebook-               der Influencer_innen sind die Werbe-

3	Übersetzung: „Facebook ist ausgelegt, um Aufmerksamkeit zu monopolisieren, es wendet alle grundlegenden Propagandakniffe an und verbindet sie mit
   den Tricks des Casinos.“
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS   13

 plattformen auch daran interessiert, die    Google vorging, verkaufen Verlage wie
 Inhalte traditioneller Verlage anzubie-     „Der Spiegel“, „Stern“, WAZ, „Die Zeit“
 ten, denn deren Marken verfügen über        und „Der Tagesspiegel“ seit 2020 jour-
 das hohe Gut der Unabhängigkeit. Die-       nalistische Inhalte an Google (Rott-
 se unabhängigen Informationen sind          wilm 2020). Auch in die Vermarktung
 oft wichtiger Ausgangspunkt für emo-        digitaler Abonnements ist Google ein-
 tional geprägte Auseinandersetzungen        gestiegen. Im Jahr 2020 gab „Der Tages-
 mit der Ursprungsinforma­tion. Folge-       spiegel“ als weltweit erster Verlag eine
 richtig investieren die Werbeplattfor-      umfassende Technologie- und Marke-
 men in ihr Medien-Ökosystem. An-            tingkooperation mit Google bekannt
 fang 2019 gab Facebook bekannt, 300         (Friedrich/von Wysocki 2020).
 Millionen Euro an Journalismuspro-              Auch Facebook beginnt von Verla-
 jekte auszuschütten (Ingram 2019).          gen Inhalte zu kaufen, ab 2021 von den
 Seit Jahren beauftragt Facebook Ver-        großen britischen Verlagen, wie „Daily
 lage und Agenturen damit, die Rich-         Mirror“, „Economist“, „Independent“
 tigkeit von Inhalten auf Facebook zu        und „The Guardian“, kuratiert von der
 prüfen, in Deutschland AFP, dpa und         Axel-Springer-Tochter Upday (Water-
 CORRECTIV­ (Facebook 2020).                 son 2020b).
      Facebooks Macht zeigt sich auch in         Dank ihres Aufstiegs können sich
 seinen Algorithmen, die bestimmen,          die Werbeplattformen nicht nur die
 was Nutzende zu sehen bekommen              dominierenden Anteile am Werbebud-
 und welche Publisher leichter Reich-        getmarkt sichern, sondern sie schaf-
 weite aufbauen können. Bauerlein und        fen neue Kommunikationsräume, die
 Jeffery­(2020) zeigen, wie Facebook in      bisherige Kanäle der Informationsbe-
 den USA mehrfach bewusst eingriff           schaffung für Bürger_innen weniger
 und so mehr Personen zu politisch           wichtig erscheinen lassen. Der globale
 rechten Seiten wie „Daily Wire“ gelenkt     Handlungsrahmen der Werbeplattfor-
 hat, weg von unabhängigen Medien wie        men und ihre Monopolmacht verstär-
­„Mother Jones“.                             ken die kapitalistische Dynamik einer
      Der bedeutendste Förderer von          kulturellen Hegemonie.
 Medienunternehmen und Journalis-
 ­
 mus unter den Werbeplattformen ist
 Google. Dachwitz und Fanta (2020)
 haben im Auftrag der Otto-Brenner-
 Stiftung und des Deutschen Gewerk-
 schaftsbundes (DGB) die Förderung
 des europäischen Journalismus in Höhe
 von mehr als 200 Millionen Euro durch
 Google im Zeitraum 2013 bis 2020 un-
 tersucht. Sie sehen die Gelder als Trost-
 preis für unterlegene Rivalen. Google
 fülle dennoch eine dringende Lücke in
 der Finanzierung von Technologieent-
 wicklung im Journalismus (Dachwitz/
 Fanta 2020: 72). Durch die zusätzliche
 Konferenz- und Weiterbildungsfinan-
 zierung spiele Google „eine wichtige
 Rolle für die Vernetzung der Medien-
 branche in Deutschland und Europa“
 (Dachwitz/Fanta 2020: 81).
      Nachdem die Verwertungsge-
 sellschaft Media (inzwischen: Corint
 ­Media), zu der die Presseverleger gehö-
  ren, aufgrund des Vorwurfs der Verlet-
  zung von Leistungsschutzrechten gegen
14               FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

 III. Unternehmertum und Innovation
 in Zeiten der Krise
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS                                           15

P   essimismus ist fehl am Platz. Die
    neuen technischen Möglichkeiten
und institutionellen Arrangements bie-
                                                   I­ nvestitionen in Journalismus, Recher-
                                                    che, digitale Distribution und mit der
                                                    Konzentration auf Lesende und de-
                                                                                                      renden Grenzkosten digitaler Güter ist
                                                                                                      es für deutschsprachige Publikationen
                                                                                                      mit globalem Anspruch unmöglich,
ten ebenso Platz für Innovation und Er-             ren Bedürfnisse. Auch wenn Bezos die              ähnliche Zahlen zu erreichen, außer bei
neuerung und damit für Aufklärung,                  „Post“ selbst kaufte und diese getrennt           einer radikalen Fokussierung auf die
Demokratisierung und Emanzipation.                  von Amazon geführt wird, werden die               Veröffentlichung in englischer Sprache,
Neue Verlage, neue Formate, neue Pu-                Abonnements über Amazon angebo-                   wofür es allerdings bislang kein Beispiel
blikationen, neue Kommunikations-                   ten, mit einer Testperiode von sechs              gibt.
formen und vieles mehr entstehen. Die               Monaten. Die „Post“ veröffentlicht ihre               In den Verlagshäusern sind der
traditionellen Medienhäuser und de-                 Abonnementzahlen nicht, aber sie wer-             Wandel und die Neuorientierung deut-
ren Journalist_innen nehmen ihre neue               den inzwischen auf über 2 Millionen               lich spürbar. 2019 gelang es endlich,
Rolle des Gatewatching im Gegensatz                 geschätzt (Benton 2020).                          „Der Spiegel“ und „Spiegel Online“ zu
zum traditionellen Gatekeeping an                       „New York Times“ und „Washing-                fusionieren (Zingher 2020). Mit Z2X
(Bruns 2009).4                                      ton Post“ profitieren von ihrem An-               versucht „Die Zeit“, eine eigene Com-
    Ein US-amerikanisches Verlags-                  spruch globaler Berichterstattung und             munity unter 20- bis 29-Jährigen aufzu-
haus hat die Transformation erfolgreich             der Veröffentlichung in englischer                bauen. Der Chefredakteur des „Tages-
bewältigt. Abramson (2019) beschreibt               Sprache. Damit ist ihr potenzieller               spiegels“ Lorenz Maroldt schuf mit dem
ausführlich aus der Binnenperspektive               Markt global. Sie transformieren sich             Berliner „Checkpoint“ 2014 ein neues
die großen vor allem kulturellen Her-               selbst in digitale Plattformen.                   Nachrichtenformat. Der „Checkpoint“
ausforderungen der „New York Times“,                    Der Markt für deutschsprachige Pu-            ist ein lokales Informationsangebot in
den notwendigen Wandel in Verlags-                  blikationen ist wesentlich kleiner. Ge-           persönlicher und sprachlich launischer
haus, Redaktion und Belegschaft zu                  rade einmal 130 Millionen Menschen                Machart, das per E-Mail als Newsletter
vollziehen. Wichtiger Anstoß der Ver-               weltweit sprechen Deutsch (­Statista              versendet wird, unabhängig von Wer-
änderung war der interne, später veröf-             2020d). Angesichts der gen null tendie-           beplattformen und direkt zu den Lesen-
fentlichte „New York Times Innovation
Report“ im Jahr 2014, den das Nieman
Lab als „one of the key documents of
this media age“5 bewertete (Benton
2014) und der zeigte, wie unzureichend
sich die „New York Times“ der digitalen
Veränderung stellte (Abramson 2019:                              Pessimismus ist fehl am
218). Drei Jahre später wurden die stra-
tegischen Überlegungen im „Report of
                                                                 Platz. Die neuen technischen
the 2020 Group“ fortgeschrieben, mit                             Möglichkeiten und
der Empfehlung, Innovation und Ver-
änderung noch mehr zu beschleunigen.
                                                                 institutionellen Arrangements
Die Veränderungen und Neuorientie-                               bieten ebenso Platz für
rungen zahlten sich aus. Ende 2020 lag
die Zahl digitaler Abonnements der                               Innovation und Erneuerung
„New York Times“ bei über 6 Millionen
(Statista 2020b).
                                                                 und damit für Aufklärung,
    Eine vergleichbare Entwicklung                               Demokratisierung und
nahm die „Washington Post“, die nach
der „New York Times“ erfolgreichs-                               Emanzipation.
te Zeitung der Welt, wenn man die
Anzahl der Pulitzerpreise als Maß-
stab nimmt (Statista 2020c). Amazon-
Gründer Jeff Bezos kaufte die Zeitung
2013 und verordnete ihr eine radika-
le strategische Neuausrichtung, mit

4	Gatekeeping: Als Gatekeeper kontrollieren die Medien, welche Inhalte in den Medien veröffentlicht werden. Gatewatching: Als Gatewatcher beobachten
   die Medien, welche Informationen aus welchen Quellen fließen und bewerten dies.
5	Übersetzung: „eines der Schlüsseldokumente dieses Medienzeitalters“
16                                                 FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

Neben den bestehenden                                                                   10.000 und 15.000 Abonnierenden.
                                                                                        2016 konnte „Perspective Daily“ un-
Verlagshäusern drängten neue                                                            ter dem Schlagwort des konstruktiven
                                                                                        Journalismus eine vergleichbare Zahl
Publisher auf den Markt. Global                                                         an Abonnierenden gewinnen.
gehören dazu Angebote wie                                                                   Aufseiten der gemeinnützigen Jour-
                                                                                        nalismusorganisationen sind COR-
„Huffington Post“, „BuzzFeed“                                                           RECTIV, Finanztip und netzpolitik.org

und „Vice“, […. ]                                                                       hervorzuheben, die alle 2013 gegrün-
                                                                                        det bzw. als gemeinnützig anerkannt
Die Neugründungen in                                                                    wurden. Finanztip ist ein unabhängiger
                                                                                        Verbraucherratgeber, CORRECTIV ein
Deutschland haben nicht deren                                                           Zentrum für investigative Recherche
journalistische Breite und Umfang                                                       und Bildung zum aufklärenden Jour-
                                                                                        nalismus und netzpolitik.org eine jour-
erreicht, was sicher auch einem                                                         nalistische Plattform zum Themenbe-

Mangel an Wagniskapital in                                                              reich der digitalen Freiheitsrechte. 2016
                                                                                        folgte die Gründung der Journalisten-
Deutschland geschuldet ist.                                                             genossenschaft Investigate Europe, die
                                                                                        sich europäischen, länderübergreifen-
                                                                                        den Recherchen verschrieben hat. Auch
                                                                                        wenn der gemeinnützige Journalismus
                                                                                        auf absehbare Zeit nicht die Bedeutung
                                                                                        der privaten und öffentlich-rechtlichen
den. Das Format wurde zum sogenann-         bildung in Journalismus und Technolo-       Säulen des Mediensystems haben wird,
ten „Tagesspiegel Newsletter Leute“         gie zu verzahnen. Geplant ist, die Axel     kann er gerade auf lokaler Ebene eine
fortentwickelt, der für jeden der zwölf     Springer Akademie in die neue Einrich-      wichtige Rolle einnehmen (Humborg
Berliner Bezirke einmal pro Woche er-       tung zu integrieren.                        2017: 77).
scheint und im Januar 2021 insgesamt             Neben den bestehenden Verlags-             Digitale Publisher, deren Angebote
über 200.000 Abonnierende hatte.            häusern drängten neue Publisher auf         auf eher kleine Zielgruppen zugeschnit-
    Das „Mindener Tageblatt“ hat mit        den Markt. Global gehören dazu Ange-        ten sind, werden als Micro­publisher be-
„Kauf lokal“ eine eigene Plattform für      bote wie „Huffington Post“, „BuzzFeed“      zeichnet, wenngleich ihre Abgrenzung
die regionale Wirtschaft geschaffen, auf    und „Vice“, deren Aufstieg Abramson         nicht immer zweifelsfrei möglich ist.
der über 300 lokale Händler_innen ihre      (2019) beschreibt, die inzwischen aber      In diesem Bereich hat es in den letzten
Produkte und Dienstleistungen anbie-        unter erheblichen finanziellen Druck        zehn Jahren eine Gründungswelle ge-
ten. Chefredakteur Benjamin Piel traf       geraten sind. Die Neugründungen in          geben. Beispiele sind das im Jahr 2012
sich innerhalb eines Jahres unter dem       Deutschland haben nicht deren jour-         gegründete Social Medium Watchblog
Titel #200in365 mit 200 Menschen aus        nalistische Breite und Umfang erreicht,     mit dem im Namen vorgegebenen The-
dem Verbreitungsgebiet der Zeitung an       was sicher auch einem Mangel an Wag-        ma der sozialen ­Medien und das im
200 Orten.                                  niskapital in Deutschland geschuldet        Jahr 2016 gegründete „Über­medien“,
    Axel Springer suchte den Schulter-      ist. Ein früher Versuch mit täglichen In-   ein Onlinemagazin für Medienkri-
schluss mit der Technologie und grün-       halten und überregionaler Ausrichtung       tik. Beide finanzieren sich ausschließ-
dete gemeinsam mit Samsung 2015 den         im Jahr 2000 unter der Marke „Net­          lich über Abonnierende. Über Themen
Newsaggregator Upday. Inzwischen ist        zeitung“ scheiterte 2009. Im gleichen       rund um Start-ups informieren seit
das Angebot in über 30 Ländern und          Jahr wurde mit dem „Perlentaucher“          2007 „Deutsche Startups“ und seit 2020
in mehr als 20 Sprachen verfügbar.          ein werbefinanziertes Online­magazin        „Startup Insider“. Schon seit 2009 bie-
Laut Online-IVW-Ranking liegt es in         für kulturelle Themen gegründet. 2014       tet „Captain Cork“ Informationen für
Deutschland bereits auf Platz 5 (­ Mantel   startete das investoren- und werbefi-       Weintrinkende. Die Liste ließe sich lan-
2020a). Mit der Kernmarke „Bild“            nanzierte Angebot „Edition F“, ein On-      ge fortsetzen.
hat Axel Springer für das Aboange-          linemagazin für Frauen, das 2020 um             Die Gründungswelle hat auch die
bot „Bild Plus“ Ende 2020 die Schwelle      ein Paid-Content-Modell ergänzt wur-        lokale Berichterstattung erfasst, aber
von 500.000 zahlenden Abonnierenden         de. Aus der 2012 gegründeten Crowd-         bisher weder in vergleichbarer Grö-
überschritten (Mantel 2020b). 2020 gab      fundingplattform für Journalismus           ße noch Nachhaltigkeit. Einige Neu-
Axel Springer die Gründung der „Free-       „Krautreporter“ wurde 2014 ein jour-        gründungen mussten nach einigen
Tech Academy“ bekannt, um die Aus-          nalistisches Angebot mit zwischen           Jahren wieder eingestellt werden, wie
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS                        17

­„ altona.info“ (Schipkowski 2015).          versität Bremen wurde mit Mitteln des    sich dafür ausgesprochen, eine gemein-
 Die 2010 gegründeten „Prenzlauer            Bundesministeriums für Bildung und       same digitale Infrastruktur zum Ver-
 Berg Nachrichten“ konnten sich trotz        Forschung die journalistische Platt-     trieb journalistischer Inhalte finanziell
 schwieriger Jahre (Jacobs 2015) am          form molo.news entwickelt, die Inhal-    zu fördern, allerdings auf eine Weise,
 Markt halten und etablieren. Weitere        te von Medienpartnern und Stadtver-      die es jedem Inhalteanbieter ermög-
 Beispiele für lokale, rein digitale Ange-   waltungen nach Interessen strukturiert   licht, die eigene Markenwelt und das
 bote sind das Bürgerportal in Bergisch      und hyperlokalisiert an die Lesenden     eigene technologische Back-End auf-
 Gladbach, CityNEWS Köln, das „Lo-           ausspielen kann (Hepp/Loosen 2019:       rechtzuerhalten. Kommerziell hat dies
 kalblog Nürnberg“, die „Nordstadt-          62 ff.). Der Anwendungsfall der Platt-   das niederländische Start-up Blendle­
 blogger“ in Dortmund, „regensburg-          form ist die Region Bremen, aller-       umgesetzt, in den Niederlanden mit
 digital“, „Täglich Mettmann“ und der        dings wird eine Expansion innerhalb      großem Erfolg, in Deutschland gelang
 „Weddingweiser“.
      Besondere Aufmerksamkeit erreg-
 te das in Münster gegründete Lokal-
 projekt RUMS, da es prominente Jour-
 nalist_innen in und aus Münster und
 den VOCER NETZWENDE Award im
 Gründungsjahr 2020 gewann. Inner-
 halb von fünf Monaten wurden 3.400               Die Medienanstalt Berlin-
 Abonnierende mit einem kostenfrei-
 en Newsletter gewonnen, der dreimal
                                                  Brandenburg fördert
 die Woche erscheint (Humborg 2020).              medienübergreifend ab 2021
 In der Konversionsphase im Septem-
 ber 2020 entschieden sich 26 % dieser            lokaljournalistische Angebote,
 Abonnierenden dafür, das Abo fortzu-
 setzen, das im Standardmodell 8 Euro
                                                  auch von privaten Betreibern,
 im Monat kostet. Ende 2020 hatte                 sofern das Angebot ohne
 RUMS 1.200 Abonnierende.
      Die Medienanstalt Berlin-Branden­
                                                  Förderung wirtschaftlich
 burg fördert medienübergreifend ab               nicht umsetzbar wäre. Durch
 2021 lokaljournalistische Angebote,
 auch von privaten Betreibern, sofern             eine Fördersatzung sollen
 das Angebot ohne Förderung wirt-
 schaftlich nicht umsetzbar wäre. Durch
                                                  Unabhängigkeit und Staatsferne
 eine Fördersatzung sollen Unabhän-               bei der Mittelvergabe
 gigkeit und Staatsferne bei der Mittel-
 vergabe sichergestellt werden. Bereits           sichergestellt werden.
 2015 war in Nordrhein-Westfalen die
 Stiftung Vielfalt und Partizipation ge-
 gründet worden, um den Transforma­
 tionsprozess des lokalen und regiona-
 len Journalismus zu analysieren und
 digitale Publikationsstrukturen zu för-
 dern. Nach einem Regierungswechsel
 2017 ging die Stiftung „Vor Ort NRW“        Deutschlands angestrebt. Ein solcher     der Durchbruch nicht. 2020 wurde das
 in der Landesanstalt für Medien NRW         Informationshub könnte in ländlichen     Unternehmen vom französischen Wett-
 auf.                                        Regionen, in denen es kommerzielle       bewerber Cafeyn aufgekauft (Hooss
      Viele Neugründungen entstehen          Journalismusangebote immer schwerer      2020). Der Wettbewerber LaterPay bot
 an der Schnittstelle von Journalismus       haben, der Bevölkerung ein Angebot       keinen eigenen Onlinekiosk an, son-
 und Technologie. Das 2015 gegründe-         jenseits der kommerziellen Werbeplatt-   dern verkaufte die Technologie an Ver-
 te Buzzard entwickelte eine News- und       formen machen. molo.news kommt           lage, konnte sich damit aber nicht breit
 Debatten-App, in der sehr unterschied-      dem unter dem Schlagwort „Spotify        am deutschen Markt durchsetzen (Wei-
 liche Perspektiven zu gesellschafts-        für Journalismus“ bekannt geworde-       mer 2020).
 politischen Fragen aus verschiedenen        nen Vorschlag am nächsten. Der SPD-          Die Bedeutung der technischen
 Medien gebündelt werden. An der Uni-        Medienpolitiker Martin Rabanus hatte     Infra­struktur zeigt sich nicht allein bei
18                                                     FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

der Präsentation journalistischer In-          höht den Druck auf öffentlich-recht­         einem Jahresbudget von 45 Millionen
halte, integriert in einem Redaktions-         liche Rundfunkanstalten, entsprechen-        Euro aus (Lücker 2018). Seitdem wur-
system, sondern geht weit darüber hin­         de Plattformangebote aufzubauen. Die         den rund 150 Angebote realisiert bzw.
aus. Für Payment, Client Relationship          ebenfalls seit rund 15 Jahren diskutierte    in das Netzwerk integriert, von denen
­Management (CRM), E-Mail, Content             Umsetzung (Zota 2007) verläuft ähn-          etwa die Hälfte wieder eingestellt wurde
 Management System (CMS), Social               lich zögernd. Eine gemeinsame Platt-         (Müller 2019). Zu den Kanälen gehören
 Analytics, Events, Communitymanage-           form von ARD, ZDF und Deutschland-           Kurzgesagt, maiLab, MrWissen2Go,
 ment und Crowdfunding die techni-             radio, vielleicht sogar gemeinsam mit        World Wide Wohnzimmer und Y-Kol-
 schen Voraussetzungen zu schaffen und         Museen und Theatern, oder sogar eine         lektiv. Erst 2020 integrierten ARD und
 zu verknüpfen, stellt gerade für Lokal-       europaweite Plattform zusammen mit           ZDF die „funk“-Produktionen in ihre
 zeitungen und kleine Anbieter eine            anderen öffentlich-rechtlichen Ange-         Mediatheken (Hartmann 2020).
 ­große Hürde dar. Diese wird in Teilen        boten wie France Télévisions, Neder-             Gleichwohl werden weiterhin Platt-
  mit Steady genommen, denn dort wer-          landse Publieke Omroep, Radiotele­           formen wie Facebook, Instagram und
  den die Fragen von Crowdfunding,             visione Italiana, Corporación de Radio       YouTube bespielt, was den schwierigen
  Aboverwaltung, Payment und Paywall           y Televisión Española und weiteren           Spagat offenbart, junge Menschen zu
  integriert gelöst, weshalb viele der klei-   würde Unabhängigkeit schaffen. Davon         erreichen, dabei aber nicht zum bloßen
  nen unabhängigen Medien-Start-ups            ist man noch sehr weit entfernt (Berg-       Zulieferer für Plattformen degradiert
  über Steady zu abonnieren sind. Vie-         mann 2019).                                  zu werden. Dem öffentlich-rechtlichen
  le größere Verlage managen dies über
  Plenigo. Die Aboplattform Substack
  aus den USA ermöglicht ihren Kun-
  den die kostenpflichtige Versendung
  von Newslettern und behält einen An-
  teil von 10 % der Erträge ein (Genzmer
  2020). Im Crowdfunding dominieren
  der deutsche Anbieter Startnext sowie                  Der deutlich steigende
  die US-amerikanischen Anbieter Kick-
  starter und Indiegogo.
                                                         Anteil des Konsums nicht
       Ein neues Ökosystem spezialisier-                 linearer Medien erhöht
  ter Digitaldienstleister für Publisher ist
  entstanden. Die Abgrenzung, welche                     den Druck auf öffentlich-
  Technologie und Technologiekompe-
  tenz in Verlagshäusern und bei Publi­
                                                         rechtliche Rundfunkanstalten,
  shern vorgehalten wird und was spezia­                 entsprechende Plattform­
  lisierte Dienstleister übernehmen, ist
  im ständigen Fluss und in der Praxis
                                                         angebote aufzubauen.
  zeigt sich eine große Vielfalt.
       Beim Fernsehen und beim Radio
  ist das Ausmaß technischer Innovation
  vergleichsweise gering. Die kanalüber-
  greifende Journalismusproduktion und
  -distribution gewinnt unter dem Stich-
  wort der Tri- und Multimedia­lität, auch          Durch kommerzielle Plattfor-            Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
  bei den Publishern, rasant an Bedeu-         men wie YouTube und Spotify sind             ist dies nicht gelungen. Während ver-
  tung. Nach rund 15 Jahren Diskussi-          neue Formate außerhalb der privaten          mehrt Inhalte auf YouTube, Spotify und
  on und Umsetzungsplanung bei den             Fernseh- und Radioanstalten und öf-          Instagram angeboten wurden, bestehen
  öffentlich-rechtlichen Rundfunkan-           fentlich-rechtlichen Rundfunkanstal-         keine Anreize, auf die SRF-eigene Platt-
  stalten (Morr 2007) sind inzwischen          ten entstanden wie Rezo, Jung & Naiv,        form zu wechseln (Lüthi 2020).
  die Voraussetzungen dafür geschaffen.        ­Tomatolix und Unge. Die öffentlich-             Das ZDF hat erste Experimente mit
  Technologische Fortentwicklungen er-          rechtlichen Rundfunkanstalten reagier-      einer freien Lizenzierung von Inhalten
  möglichen schnellere, kleinere und mo-        ten 2016 mit der Gründung von „funk“,       gewagt, damit auch Plattformen wie
  bilere Berichterstattung über die Kanä-       einem Onlinemedienangebot, das über         Wikipedia beispielsweise Erklärvideos
  le hinweg.                                    Drittplattformen wie vor allem You­         einbinden können (Dobusch 2020).
       Der deutlich steigende Anteil des        Tube abrufbar ist für die Zielgruppe der    Der Umfang ist bisher ein Tropfen auf
  Konsums nicht linearer Medien er-             14- bis 29-Jährigen, und statteten es mit   den heißen Stein.
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS   19

    Der 2016 gegründete wöchentliche
Podcast „Lage der Nation“ über das ta-
gespolitische Geschehen, der inzwi-
schen rund 250.000 Mal pro Ausgabe
gestreamt oder heruntergeladen wird
(Barczok 2019), ist nur ein Beispiel für
unabhängige neue Podcasts. Auch bun-
desweite reine Digitalradios mit Voll-
programm sind entstanden, beispiels-
weise detektor.fm aus Leipzig.
    Das Umfeld für die öffentlich-recht-
lichen Rundfunkanstalten und übrigens
auch für die privaten Fernsehsender hat
sich mit dem Erfolg von Netflix, Ama-
zon Prime, Spotify und Apple Music
deutlich verändert. Die von den Gebrü-
dern Beetz 2020 produzierte Miniserie
„Rohwedder – Einigkeit und Mord und
Freiheit“ wäre typisch für das Abend-
programm der Öffentlich-Rechtlichen
gewesen, wurde allerdings für Netflix
produziert und dort ausgespielt.
    Das Medienangebot vervielfacht
sich und zerfasert. Wo die Menschen
ihre Zeit investieren, hängt nicht nur
von innovativer und geschäftlicher Fi-
nesse ab, sondern auch von den sie
massiv bestimmenden politischen Rah-
menbedingungen.
20                   FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

     IV. Politische Rahmensetzung
     und Regulierung für
     Aufklärung und Journalismus
JOURNALISMUS ALS ÖFFENTLICHES GUT – MEINUNGSBILDUNG IM DIGITALEN KAPITALISMUS                      21

D    as politische Handeln von Akteu-
     ren der Sozialen Demokratie ist
nicht auf die Interessenmaximierung
                                          Marktbeherrschung verstanden wer-
                                          den. In den Behörden müssen die not-
                                          wendigen Kompetenzen weiter ausge-
                                                                                     sprechenden Amtshandlungen sind die
                                                                                     Werbeplattformen mit Gebühren zu
                                                                                     belegen.
der Einzelnen gerichtet, sondern auf      baut werden, qualitativ wie quantitativ.        Nur wenn es den Werbeplattformen
das Gemeinwohl, dessen Charakter im-      Strafen müssen abschreckend sein.          mit gleicher Schnelligkeit und Konse-
mer wieder neu ausgehandelt werden                                                   quenz wie den Verlagen, Publishern
muss. Aus dieser Perspektive und der                                                 und Wikipedia kurzfristig gelingt, die
Notwendigkeit, fundierte Meinungs-        Algorithmen und Vielfaltssicherung         Hate Speech und den verbalen Dreck
bildung in einer Öffentlichkeit durch                                                von ihren Websites fernzuhalten, ist
Journalismus in Krisenzeiten zu erhal-    Algorithmen sind von großer Bedeu-         eine ungleiche presserechtliche Verant-
ten, müssen die Rahmenbedingungen         tung für Vielfalt. Die Diskriminie-        wortung weiterhin denkbar. Im Wahl-
für journalistische Angebote verbes-      rungsfreiheit und die verantwortliche      kampf forderte US-Präsident Joe Biden,
sert werden. Dies betrifft insbesonde-    Nutzung von Algorithmen müssen von         das US-amerikanische Providerprivileg
re die Regulierung von Plattformen als    unabhängigen Institutionen geprüft         für die Plattformen abzuschaffen (Gie-
Intermediären, da diese großen Ein-       werden können, die mit entsprechen-        semann/Becker 2020). Aber Plattfor-
fluss darauf haben, wie sich Geschäfts-   den Ressourcen ausgestattet sind. Die      men als Verleger zu betrachten, birgt
modelle entwickeln. Sie sind gleicher-    Werbeplattformen müssen die ent-           wiederum die Gefahr, auf ein globales
maßen Partner und Wettbewerber der        sprechenden Voraussetzungen schaf-         Verlegerduopol von beispielsweise Fa-
Inhalte­a nbieter (Rashidian/Brown/       fen. Dazu bedarf es eines Anspruchs        cebook und Google zuzusteuern und
Hansen 2018), haben aber durch ihre       auf Datenzugang. Rieger und Hof-           die Verlegervielfalt einzubüßen. Dann
Marktmacht und die ihnen zur Verfü-       mann (2020) weisen darauf hin, dass        wäre eine Alternative eine „Aufteilung
gung stehenden Daten sehr viel mehr       „Algorithmen nicht als einzelne, klare     der Plattformräume“, bei der „für Ak-
Möglichkeiten.                            und stabile Entitäten studiert oder re-    teure, die Massenkommunikation be-
                                          guliert werden können“. Sie plädieren      treiben, [...] ähnliche Normen und
                                          daher für ein Regulierungskonzept der      Standards gelten, wie wir sie von den
             Kartellrecht                 „observability“ (Beobachtbarkeit), das     herkömmlichen Medien kennen“ (Fie-
                                          über Transparenz und Auditverfahren        lietz/Marcks 2020: 240).
Den Werbeplattformen, die „move fast      hinausgeht. Die Möglichkeit, Bußgel-
and break things“ (sei schnell und bre-   der zu verhängen, ist wesentlich, um
che Dinge auf), muss Einhalt geboten      Kooperationsbereitschaft sicherzustel-                    Europa
werden, wenn sich ihr Erfolg auf for-     len.
male Regulierungslücken gründet. Eine          Effektive Vielfaltssicherung muss     Der Digital Services Act, den die EU-
wichtige Funktion kommt dabei dem         die Nutzenden stärker in den Blick neh-    Kommission 2020 vorgelegt hat, soll die
Kartellrecht zu.                          men: Wo immer möglich, müssen ihnen        E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr
    Die Fusionskontrolle muss gestärkt    Wahlmöglichkeiten eingeräumt wer-          2000 ablösen und im Sinne der Bür-
werden, gerade bei internationalen        den. Beispielsweise müssen die Nutzen-     ger- und Verbraucherrechte erweitern.
Sachverhalten. Während Plattform-         den die Freiheit haben, zwischen perso-    Die Kommission würde neue Eingriffs-
pläne aus Deutschland wie Amazonas        nalisierten und nicht personalisierten     rechte in digitale Märkte erhalten. Als
(Lückerath 2012) und Germany’s Gold       Angeboten zu wählen. Ihre Datensouve-      letztes Mittel könnte sie die Zerschla-
(Mantel 2013) vor dem Bundeskartell-      ränität muss gewährleistet sein.           gung von Unternehmen ermöglichen,
amt scheiterten, wurde der Zukauf von                                                die sich nicht an die Regeln halten
Instagram und WhatsApp durch Face-                                                   (Fanta/Rudl 2020). Staatliche Behör-
book genehmigt.                                      Hass und Hetze                  den brauchen mehr Rechte gegenüber
    Wenn digitale Infrastruktur für den                                              den marktdominanten Akteuren, nicht
Vertrieb journalistischer Inhalte auf-    Hass und Hetze müssen wirkungs-            gegenüber den Bürger_innen. Ein ge-
gebaut wird, darf dies kartellrechtlich   voll bekämpft werden. Das Netzwerk-        leaktes Strategiepapier zeigt Googles
nicht verhindert werden, denn das wäre    durchsetzungsgesetz ist zu novellieren     Planungen, mit einer Lobbykampagne
angesichts der Dominanz der Werbe-        (Rudl 2021) und konsequent umzuset-        gegen die Pläne der EU-Kommission
plattformen unverständlich.               zen. Löschen allein reicht aber nicht      vorzugehen (Wölbert 2020).
    Marktbeherrschendes Verhalten­        aus. Beleidigungen, Aufruf zu Strafta-
muss stärker eingegrenzt werden.          ten und zum Hass müssen auch straf-
Wichtige Instrumente dazu sind ver-       rechtlich verfolgt werden. Dazu sind                    Steuerrecht
pflichtende offene Schnittstellen und     auch die entsprechenden Kapazitäten
das Verbot von Exklusivverträgen mit      bei Behörden, Gerichten und Staatsan-      Die lückenhaften und veralteten inter-
Händlern. Daten müssen als Mittel zur     waltschaften vorzuhalten. Für die ent-     nationalen Steuerregeln führen dazu,
22                                                FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG

dass multinationale Unternehmen aus            Wenn digitale Infrastruktur für den   Vertrieb. Bei der Innovationsförderung
der Digitalwirtschaft, insbesondere        Vertrieb journalistischer Inhalte auf-    darf es nicht nur um Projekte gehen,
die Werbeplattformen, sich nicht aus-      gebaut wird, muss in der Fläche, also     sondern auch die Personalkosten in der
reichend am Steueraufkommen betei-         in ländlichen Räumen, überlegt wer-       Gründungsphase müssen förderfähig
ligen. Ein Zeitschriftenkiosk oder ein     den, wie das staatlich gefördert wer-     sein. Das Geld darf nicht überwiegend
mittelständischer Verlag haben weder       den kann. Zentraler Kostenfaktor bei      den Berater_innen der Unternehmen
ein Geschäftsmodell, die Kompetenz,        der Produktion von digitalem Quali-       zugutekommen, sondern den Unter-
Möglichkeiten oder Mittel, um ähnlich      tätsjournalismus ist das Personal, gut    nehmen und ihrer Belegschaft selbst.
komplexe Steuervermeidungsmodel-           ausgebildet und erfahren. Eine staatli-       Eine wichtige Rolle können die Me-
le zu nutzen, etwa durch Verschiebung      che Übernahme eines Teils der Kosten      dienanstalten der Länder einnehmen.
von Rechten am geistigen Eigentum          journalistischer Arbeit darf kein Tabu    Sie müssen die notwendige Freiheit er-
oder die Inanspruchnahme sogenann-         sein. Dabei darf der Staat nicht in den   halten, fördernd, gerade im ländlichen
ter Patentboxen. Das führt zu massi-       journalistischen Prozess eingreifen       Raum, einzugreifen.
ven Wettbewerbsverzerrungen. Darum         oder den Anschein einer Einflussnah-
haben viele andere Staaten mittlerwei-     me erwecken. Frankreich, Norwegen
le Steuern für Digitalkonzerne einge-      und Schweden haben bereits Erfahrun-      Gemeinnützigkeit von Journalismus
führt, darunter auch Frankreich 2019       gen gesammelt (Cagé 2016: 74).
unter dem Namen „GAFA-Steuer“,                                                       Journalismus, gerade Lokaljournalis-
etwa auf den Umsatz mit Werbegeldern                                                 mus, muss als gemeinnützig anerkannt
oder auf den Datenhandel (Kuchenbe-                  Presseförderung                 werden. Dazu ist entweder der Zweck-
cker 2019). Deutschland sollte nicht auf                                             katalog der Abgabenordnung zu erwei-
eine OECD-Regelung warten, sondern         Die Anfang 2021 beschlossene finanzi-     tern oder im entsprechenden Anwen-
zügig eine Digitalsteuer einführen.        elle Förderung der digitalen Transfor-    dungserlass des Bundesministeriums
Ebenso wichtig ist die Verpflichtung       mation gedruckter Zeitschriften und       der Finanzen klarzustellen, dass Jour-
zur öffentlichen länderspezifischen Be-    Zeitungen auf Grundlage der Printauf­     nalismus einen Bildungszweck erfüllt.
richterstattung multinationaler Kon-       lage zementiert den Status quo und        Dies würde helfen, die Medienvielfalt
zerne, damit deutlich wird, wo wie viel    verhindert eine konsequente digita-       zu bewahren, die Kritik- und Kontroll-
Steuern gezahlt werden.                    le Transformation. Verlage im Besitz      funktion des Journalismus zu stärken
                                           von Milliardären erhalten ohne Offen-     und so die fundierte Meinungsbildung
                                           legung der Bücher und ohne Bedarfs-       in der Demokratie zu sichern.
            Urheberrecht                   prüfung Steuergelder. Neugründungen
                                           und rein digitale Verlage sind von der
Im Urheberrecht müssen Meinungs-           Presseförderung ausgeschlossen und          Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
freiheit und Urheberrechtsinteressen       der Wettbewerb wird widersprüchlich
vernünftig ausbalanciert werden. Die       zu den Vorgaben des Bundesverfas-         Die Unabhängigkeit der Aufsicht über
Hoffnung auf Erträge durch ein Leis-       sungsgerichtes verzerrt. In Zeiten von    die öffentlich-rechtlichen Rundfunk-
tungsschutzrecht, die in der gewünsch-     Tri- und Multimedialität ist die Orien­   anstalten von der Parteipolitik ist in
ten Höhe kaum kommen werden, hat           tierung an der Mediengattung Text         gleichem Maße zu stärken wie die Auf-
die Verlage auf Jahre in ihrer digitalen   ebenso konservativ.                       sichts- und Kontrollmöglichkeiten
Transformation gelähmt.                                                              selbst. Eine gute Möglichkeit wäre, ei-
                                                                                     nen Teil der Rundfunkräte durch Los
                                                  Innovationsförderung               zu bestimmen (Dobusch 2019). Die
              Förderung                                                              Rundfunkräte sollten grundsätzlich of-
                                           Eine gezielte Innovationsförderung ist    fen tagen.
Um neue Plattformen auch im Medien­        für die digitale Transformation ganz          Die Personalentwicklung in den
bereich zu unterstützen und zu fördern,    entscheidend, für etablierte Unterneh-    Anstalten muss professionalisiert wer-
muss es möglich sein, Genossenschaf-       men wie für Neugründungen gleicher-       den, um Parteipräferenzen als Auf-
ten wirtschaftlich zu fördern. Das Ge-     maßen (Buschow/Wellbrock 2020b:           stiegskriterium ausschließen zu kön-
nossenschaftsmodell ist in besonderer      27–30). Entscheidende Bedeutung           nen. Während in der Tech-Branche
Weise geeignet, nicht gewinnorientier-     kommt neben der journalistischen Ar-      nicht unbedingt die besten Program-
te Plattformen zu betreiben. Was für       beit der Schnittstelle von Journalismus   mierer_innen und in der Automo-
selbstständige Taxiunternehmer_innen       und Technologie zu. Diese Schnittstel-    bilbranche nicht unbedingt die besten
und Restaurantbesitzer_innen gilt, gilt    le ist bedeutend mehr als ein verengter   Ingenieur_innen die Führungspositio-
auch für Journalist_innen und Medien-      Blick auf Datenjournalismus, sondern      nen übernehmen, scheint es, als seien
organisationen.                            umfasst auch Format, Produkt und          journalistische Expertise und Erfah-
Sie können auch lesen