" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
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„Wichtig ist nicht nur auf’m Platz“ Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
Inhalt 04 Editorial Einleitung 05 Ein offenes Tor für Rechtsextremismus oder Spielfeld für Veränderung? Trotz Aufklärungskampagnen und hohem Engagement: Rassismus, Antisemitismus und Sexismus bleiben ein Problem im Fußball Hintergründe 09 Nur für „echte“ Männer? Männlichkeitsbilder und die weite Verbreitung von Ungleichwertigkeitsideologien im Fußball 14 Fußball und Gewalt: das Beispiel Hooligans Die Entwicklung des Hooliganismus durch rechtsextreme Gruppen Handlungsmöglichkeiten 17 Positionieren – aber wie? Zur gesellschaftspolitischen Dimension des Fußballs 21 Mit Teamwork zum Erfolg Wie Fußballvereine lokale Netzwerke für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus knüpfen, nutzen und pflegen können 26 Wie ein anderer Fußball möglich ist Interview mit Roter Stern Leipzig und Borussia Leer über ihr Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus 32 „Müssen wir jetzt neutral sein?“ Acht Empfehlungen: Wie Vereine und Fanprojekte mit rechten Diffamierungskampagnen umgehen können Praxisempfehlungen 36 Was Vereine, Verbände und Engagierte tun können Empfehlungen und Beispiele aus der Praxis 37 Reflexion im Verein: Was haben wir damit zu tun? Ein Fragenkatalog, der den (selbst-)kritischen Austausch anstoßen kann Beratung und Unterstützung 38 Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus 39 Beratungsangebote, Praxisbeispiele und Faninitiativen – eine Auswahl 42 Impressum
Editorial Liebe Leser*innen, wir freuen uns, Ihnen unsere neue Publikati- tische Kultur einsetzen. Fußballvereine sind auch on in der BMB-Reihe „Wegweiser“ zu präsentie- Orte des Zusammenkommens und des sozialen ren. Entstanden ist sie aus einer Arbeitsgruppe Lernens. Die Teams der Mobilen Beratung unter- im Bundesverband Mobile Beratung e. V. (BMB), stützen alle, die sich hier engagieren. die sich Anfang 2022 mit Blick auf die Männerfuß- Für ein Verständnis von Zusammenhängen ball-WM im Herbst 2022 gegründet hat. blicken wir auf Männlichkeitsbilder und Ungleich- Im Austragungsland Katar werden Menschen- wertigkeitsideologien im Männerfußball, beschäf- rechte verletzt, herrschen Rassismus, Queer- und tigen uns mit der gesamtgesellschaftlichen Ver- Homofeindlichkeit sowie andere Ungleichwertig- antwortung und Rolle der Verbände und nehmen keitsideologien. Darüber wurde und wird zu Recht Rechtsextremismus im Fußballverein in den Blick. viel diskutiert. Doch wie steht es um diese The- In einem Interview mit Aktiven von Borussia Leer men in Deutschland? Vergangene sowie aktuelle und Roter Stern Leipzig geht es um den Umgang Beratungsfälle bei den Mobilen Beratungsteams mit Hass im Stadion. Ein weiterer Text widmet sich (MBTs) zeigen, dass diese Phänomene vor allem dem Einfluss der AfD und der Frage, wie Vereine im Männerfußball auch in Deutschland nach wie ihre Fanszenen im Umgang mit der Rechtsau- vor ein reales Problem sind. Spieler wenden sich ßen-Partei unterstützen können. an die Mobile Beratung, weil ihnen der Hitlergruß Aus alledem ergeben sich praktische Hand- gezeigt wird, Trainer kommen aus rechtsextremen lungsempfehlungen für den Umgang mit Rechts- Netzwerken, Frauen werden im Stadion bedrängt extremismus, Rassismus und Antisemitismus im und beschimpft. Und nicht zuletzt gibt es in nahezu Fußball – im Verband, im Verein und beim einzel- allen Ligen des Männerfußballs rechte Fangruppie- nen Spiel. Ergänzt wird der Praxisteil durch aus- rungen, die nicht nur die fröhliche Stadionstimmung gewählte Fragen, die im Verband, Verein und auf stören, sondern eine echte Bedrohung darstellen Fanebene zur Reflexion anregen sollen. für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. Vielen Dank an alle Kolleg*innen und Inter- Diese Publikation soll weniger die Probleme viewpartner*innen, die an der Erstellung dieser an sich darstellen als vielmehr konkrete Hand- Publikation mitgewirkt haben. Allen Leser*innen lungsempfehlungen bieten. Sie richtet sich an wünschen wir, dass sie die Lektüre dieser Hand- Fachkräfte, an Engagierte im Fußballverein und reichung ermutigt, sich gegen Rechtsextremis- an andere Interessierte. Die MBTs lernen in ihren mus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus Beratungsprozessen viele Engagierte kennen, die und andere Ungleichwertigkeitsideologien zu en- sich in Vereinen und Fanszenen für eine demokra- gagieren und deutlich Stellung zu beziehen. Begriffe wie Ableismus, Antisemitismus oder Homofeindlichkeit werden im Glossar des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit e. V. (IDA) erläutert, das hier nachgeschlagen werden kann: https://www.idaev.de/recherchetools/glossar 4
Ein offenes Tor für Rechtsextremismus oder Spielfeld für Veränderung? Trotz vieler Aufklärungskampagnen und hohem Engagement sind Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppen bezogener Menschenfeindlichkeit immer noch ein Problem im Männerfußball F ußball gilt als Gemeinschaftssport, als Quasi-Religion, als Kulturgut mit ei- nem hohen gesellschaftlichen Stellenwert. dem ländlichen Raum für eine extrem rechte Partei kandidiert. Beraten werden der Verband sowie die kommunale Jugendarbeit vor Ort. Es fehlt jedoch an Er läuft zur Primetime im Fernsehen und hat Interesse und Sensibilität für das Thema Rechtsex SERVICETEIL einen festen Platz in der täglichen Medienbe- tremismus im Fußballverein. richterstattung. Fußball wirkt als verbinden- Ein neuer Fußballspieler mit Migrationsbiogra des Element, das durch Zusammenhalt und fie wendet sich an das Mobile Beratungsteam Thü Gemeinschaftsgeist zum Ausdruck kommt, ringen, da ihm der Hitlergruß gezeigt wurde. Er wird PRAXISEMPFEHLUNGEN und steht für eine aktive und engagierte Ver- ermutigt, das Problem im Verein zu thematisieren. einskultur mit dem Anspruch, zugänglich und Eine Ultragruppierung von Alemannia Aachen offen für alle Menschen zu sein. Die Offenheit wendet sich an die Mobile Beratung Köln. Wegen kann dabei aber auch zur Falle werden: Gerade wiederholter Bedrohungen durch rechte Ultras ha im Fußballkontext kommt es neben gemeinsa- ben sie Sorge, auch Opfer von Gewalttaten werden mer Freude und Zusammenhalt auch immer zu können. Die Mobile Beratung unterstützt das HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN wieder zu Hass und Gewalt. Somit ist neben Fanprojekt der Alemannia Aachen beim Aufbau ei dem positiven Image von Fußball als Bindeglied ner Antidiskriminierungs-AG.1 der Gesellschaft besonders Fußball als Män- Beratungsanfragen wie diese sind keine Ein- nersport in der öffentlichen Wahrnehmung zelfälle. Der Umgang mit Rechtsextremismus, auch eng verknüpft mit rücksichtslos grölenden Rassismus, Homofeindlichkeit und Antifeminis- Fans, die ihren Verein auf dem Fußballplatz eu- mus im Männerfußball ist ein wichtiger Themen- phorisch feiern, wenn er gewinnt, aber oft auch komplex für die Mobile Beratung. 1. Der Verein zeigte jedoch kein ernsthaftes aggressiv pöbeln, wenn er verliert. So kann es HINTERGRÜNDE Interesse an einer Auseinandersetzung mit auf und neben dem Fußballplatz zu Situationen Stadien und Fußballplätze sind dem Problem. Weitere Infos zu diesem Fall finden sich u.a. für Engagierte und Fans kommen, die sich nicht keine neutralen Orte unter tagesspiegel.de, https://www.tagesspiegel.de/ länger wohl oder willkommen fühlen und sich „Der Fußball hat natürlich eine gro- politik/alemannia-aachen- ratsuchend an die Mobile Beratung wenden – ße Anziehungs- und Strahlkraft. Mil- fangruppe-kapituliert-vor-rechten- EINLEITUNG ultras/7866938.html ein paar Beispiele: lionen Menschen sind auf den Sport- und Zeit Online https://www.zeit.de/sport/ In Bayern wendet sich ein Verband an die Mobi plätzen aktiv oder fiebern mit ihrem 2013-09/neonazi-aachen- le Beratung, da der Trainer eines Fußballvereins aus Lieblingsverein mit. Das verbindet ultra-fans 4 5
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Fußballplätze sollten Orte sein, an denen keitsforschung, erklärt die demokratischen Grundsätze unserer das so: Es sei erwiesen, Gesellschaft gelten und die keinen Platz bieten „wie wichtig die Vor- für Rechtsextremismus, Rassismus oder stellung eines Gegners Sexismus. für die eigene Identität ist, da sie Homogeni- und schweißt zusammen, über Grenzen hinweg. tät durch Abgrenzung vollzieht und verspricht. Die Spieler*innen – ob Profi oder Amateur – ha- Dementsprechend existieren ‚Wir-Gruppen‘ auf ben eine große Verantwortung, im Wettkampf Basis der Abgrenzung zu Gegnern. Dieser An jederzeit fair und respektvoll miteinander um- tagonismus liegt dem Sport strukturell inne und zugehen. Und die Verantwortlichen müssen ist grundsätzlich mit Diskriminierungen, Abwer- einschreiten und klare Konsequenzen ziehen, tungen und Diffamierungen des Gegenübers wenn es zu rassistischen Vorfällen kommt. Auf aufladbar, kann mitunter auch zu Gewalt führen. dem Platz, im Stadion, im Verein. Ich bin dank- Daran können Rechtsextreme mit ihren men- bar, dass so viele genau das tun“, betont Reem schenfeindlichen Einstellungen anschließen.“3 Alabali-Radovan, Staatsministerin beim Bun- Doch Fußballplätze sollten Orte sein, an deskanzler und Beauftragte der Bundesregie- denen die demokratischen Grundsätze unserer rung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Gesellschaft gelten und die keinen Platz bieten im Interview mit dem DFB.2 für Rechtsextremismus, Rassismus oder Sexis- Diese große Verantwortung ist in den ver- mus. Es sollte im Interesse der Vereine liegen, gangenen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten, dass sich Menschen im Stadion unabhängig von ernst genommen und mit viel Aufarbeitung, Auf- ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrer körper- klärungs- und Bildungskampagnen offensiv an- lichen Verfassung, ihrem Alter, ihrer Sexualität gegangen worden. Engagierte setzen sich explizit oder ihrer geschlechtlichen Identität wohl und für Vielfalt und Menschenrechte im Fußball ein, willkommen fühlen. Vereine sollten sich klar und informieren über Phänomene gruppenbezogener sichtbar für Vielfalt positionieren – viele Fanini Menschenfeindlichkeit, z. B. Rassismus oder Ho- tiativen setzen das bereits durch unterschiedli- mofeindlichkeit, und weisen auf die Gefahren einer che Aktionen und Kampagnen erfolgreich um. Vereinnahmung von rechts hin. Sie schulen sich Das ist auch und gerade wichtig, weil Fußball po- und Beteiligte und investieren viele ehrenamtli- litisiert: Fußballplätze sind keine neutralen Orte, che Ressourcen für eine friedliche und freundliche nicht nur Fans bringen politische Haltungen Fußballkultur. Dennoch sind Rassismus, Antisemi- durch Banner oder Sprechchöre zum Ausdruck. tismus, Antifeminismus, Sexismus, Homofeindlich- Die Politisierung zeigt sich auch an Schweigemi- keit oder Ableismus vor allem im Män- nuten etwa nach dem Attentat von Hanau, an der nerfußball traurige Normalität – im Nutzung der Werbebanden für Statements ge- 2. DFB.de, https://www.dfb.de/news/detail/ Amateur- wie im Profibereich. Sie drü- gen Rassismus oder durch entsprechende Aus- rassismus-ist-ein-angriff- auf-unser-friedliches- cken sich aus in provokativen Ausrufen sagen von Spielern, Trainern oder Vorständen. zusammenleben-237970/ und beleidigenden Fangesängen oder 3. Claus, Robert (2019): Rechtsextremismus durch das unsportliche Verhalten von Undemokratische und und Sport – zum Stand der Forschung. In: Reiner Becker/Sophie Schmitt (Hrsg.): Spielern untereinander. menschenfeindliche Ideologie Beratung im Kontext Rechtsextremismus. Robert Claus, Experte für Fansze- Auch wenn Engagierte ihre Verantwortung er- Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag, S. 166. nen, extreme Rechte und Männlich- kennen und sich für ein Spielfeld der Verände- 6
rung einsetzen, besteht die Gefahr, dass Orte des Fußballs auf unterschied- lichen Ebenen zu einem offenen Tor für Rechtsex- tremismus werden kön- nen. Es lässt sich weder kontrollieren noch vorab eindeutig und leicht er- kennen, wer ein rechtsextremes Weltbild ins Sta- dion, in den Verband und den Verein trägt. So ist nicht auszuschließen, dass Rechtsextreme unter den ehrenamtlich Engagierten, unter Fans und Mitgliedern sind. Ein Fall bei einem norddeut- schen Team der Mobilen Beratung macht die vielschichtige Herausforderung deutlich: SERVICETEIL Ein Sportverein wendet sich an das Mobile Bera men Milieu, sondern überall in der Gesellschaft tungsteam, weil ein bekannter Nazikader sein Kind zu finden. Das darf nicht übersehen werden. im Verein anmelden will. Der Verein ist unsicher, Dennoch bedeuten Rechtsextreme eine beson- ob er das Kind aufnehmen und wie er mit den El dere Gefahr, da sie mit vollem Bewusstsein Gift PRAXISEMPFEHLUNGEN tern umgehen soll. Der Vorstand zeigt ein Problem streuen und mit erwiesener Härte ausgrenzende bewusstsein, hat jedoch Sicherheitsbedenken, da und menschenverachtende Denk- und Verhal- es sich um einen kleinen Ort handelt, an dem „je tensmuster im Stadion aufrechterhalten – und der jeden“ kennt, und sorgt sich, dass je nach Ent auch körperliche Gewalt anwenden. Dem Ein- scheidung zur Aufnahme des Kindes und zum Um halt zu gebieten, ist für Engagierte eine mitun- gang mit den Eltern Bedrohungen folgen könnten. ter kaum allein zu stemmende Herausforderung. HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN Gemeinsam mit der Mobilen Beratung wird die Daher braucht es Unterstützung durch vorhan- Vereinssatzung überarbeitet. Es wird klar kommu dene Anlaufstellen und Beratungsangebote, wie niziert, dass keine rechten Symbole und Codes ak das der Mobilen Beratung. zeptiert werden und sich die Eltern des Kindes nicht ehrenamtlich im Verein engagieren dürfen. Unterstützung durch die Mobile Beratung vor Ort Nicht selten treten Rechtsextreme bürgerlich Ein Trainer bewegt sich in rechtsextremen Netz- auf und mimen die hilfsbereiten Mitbürger*in- werken? Rechte Fangruppen bedrohen ein fröh- HINTERGRÜNDE nen, die gerne mit anpacken und ehrenamtlich liches, offenes und sicheres Miteinander auf die Planung der nächsten Sportveranstaltung dem Fußballplatz? Im Stadion tauchen Symbo- unterstützen. Hinter dieser vermeintlich freund- le und Codes auf, die zur rechten Szene gehören lichen Fassade steckt jedoch eine Ideologie, die könnten? Fans hören rassistische Äußerungen EINLEITUNG undemokratisch und menschenfeindlich ist. in der Kurve? Der neue Spieler traut sich nicht, Zwar sind rassistische, sexistische oder antise- sich zu seiner Sexualität zu äußern? Ein Fanpro- mitische Strukturen nicht allein im rechtsextre- jekt möchte sich öffentlichkeitswirksam gegen 6 7
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Vereine, die so • Ermutigung: das Gespräch mit Spielern, Mit- vorgehen, zahlen damit gliedern oder Engagierten suchen und sie er- auch auf ihr gutes Image mutigen, sich klar zu positionieren, ein. Denn es zeigt, dass • Unterstützung: im Prozess nicht nur auf sie die Probleme ernst das eigene Image schauen, sondern an ei- nehmen, dass sie sich nem gemeinsamen Selbstverständnis arbei- inhaltlich mit ihnen ten, weltoffen zu sein und respektvoll mit auseinandersetzen, dass Freund*innen wie Gegner*innen umzugehen. sie Betroffene schützen wollen. Und sie können Vereine, die so vorgehen, zahlen damit auch auf nur profitieren, wenn sie ihr gutes Image ein. Denn es zeigt, dass sie die diese Prozesse sichtbar Probleme ernst nehmen, dass sie sich inhaltlich machen. mit ihnen auseinandersetzen, dass sie Betroffe- ne schützen wollen. Und sie können nur profitie- ren, wenn sie diese Prozesse sichtbar machen, rechts positionieren, hat aber Angst vor Bedro- nach dem bekannten Motto: „Tue Gutes und hungen? Frauen werden im Stadion bedrängt sprich darüber“. und beschimpft? Es kann viele Anlässe geben, die zu Unsi- cherheiten führen und zur Gefahr für diejeni- gen werden können, die sich gegen Rechtsex tremismus und Ungleichwertigkeitsideologien positionieren möchten. Die Mobile Beratung ist für alle ansprechbar, die sich im Fußball enga- gieren oder aktiv sind und die eine integrieren- de, gleichberechtigte Vereinskultur etablieren möchten. Viele Vereine, die sich an die Mobile Bera- tung wenden, sorgen sich um ihr Image – und bevorzugen deshalb schnell umsetzbare, plaka- tive und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen. Damit allein ist das Problem aber nicht ausrei- chend bearbeitet. Wichtig sind sowohl Kommu- nikation und Angebote nach innen als auch klare Positionierungen nach außen. Dazu zählen zum Beispiel: • Bildung: Gesprächsrunden und Fortbildungen, • Bestärkung: öffentlich klar Stellung beziehen, z. B. gegen Rassismus, gegen Homofeindlich- keit oder für Demokratie, • Schutz: Betroffene ernst nehmen, ihnen Schutz und Unterstützung bieten, 8
Nur für „echte“ Männer? Was Männlichkeitsbilder mit der weiten Verbreitung von Ungleichwertigkeitsideologien im Fußball zu tun haben F ür viele Männer ist der Fußball die letzte Bastion „natürlicher“ Männlichkeit. Hier fühlen sie sich unter sich. Die Teilnahme von feindlicher Aussage aus. Der Spruch auf dem Banner wertet Frauen ab, verweist sie auf eine konservative Rolle am Herd und darauf, dass sie im Stadion nichts Frauen, andersgeschlechtlichen Menschen verloren hätten. Dynamos Geschäftsführer, Michael oder homosexuellen Männern gefährden die- Born, distanziert sich nach dem Spiel von dem Fan se Männerbündnisse. verhalten: „Es sind […] verschiedene Dinge vorgefal Treue, Kameradschaft, Kampf- und Op- len, die wir zutiefst ablehnen und verurteilen, weil ferbereitschaft, aber auch körperliche Stärke sie menschenverachtend sind und die Werte unse und Gesundheit sollen die Kennzeichen dieser rer Sportgemeinschaft mit Füßen treten.“2 „echten“ und soldatischen Männlichkeit sein. Entsprechend hypermaskulin ist zuweilen die Nicht immer werden Sexismus und Antifeminis- SERVICETEIL Selbstinszenierung, mit lautstarkem Grölen, mus im Stadion so deutlich zur Schau getragen oberkörperfreier Kleidung, selbst zugefügten wie in diesem Fall. Und nicht immer distanzie- Schlägen auf die nackte Brust sowie einer pro- ren sich Vereinsverantwortliche dann so deut- vokativen Beschimpfungskultur. Als „richtiger lich. Sexistische Schimpfwörter aber gehören im PRAXISEMPFEHLUNGEN Mann“ zählt hier nur, wer cis-männlich1 und he- Männerfußball von den Amateur- bis zu den Pro- terosexuell ist, um „hart genug“ für das Fußball- filigen zum Alltag, in Fangesängen und Schmiere- spiel zu sein. Frauen kommen, wenn überhaupt, reien, auf Stickern und Transparenten. dann nur als sexualisierte Objekte vor. Menschen Doch nicht nur diese offensichtliche Ab- mit Behinderung weichen von der Vorstellung wertung von Weiblichkeit, sondern auch die des „starken Mannes“ ab und erfahren ebenfalls erwähnte hypermaskuline Selbstinszenierung HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN Ausgrenzung. Unreflektierte Beschimpfungen männlicher Fans in vielen Stadien trägt zur verweisen auf einen tief verwurzelten Ableis- Diskriminierung von Frauen bei. Oft wird ih- mus, also die Abwertung und Ablehnung von nen das eigene Interesse am Männerfußball Menschen mit Behinderungen, ebenso wie auf abgesprochen und unterstellt, nur aufgrund verinnerlichten Rassismus, Antisemitismus oder attraktiver Spieler3 oder als Begleiterinnen ih- Sexismus. rer Männer, Brüder oder Freunde im Stadion Welche unterschiedlichen Ungleichwertig- zu sein. Frauen, die in der Fanszene 1. Cis-männlich bezeichnet einen Mann, der keitsvorstellungen im Männerfußball zum Prob- aktiv sind, müssen sich immer wie- sich mit dem ihm bei der Geburt aufgrund EINLEITUNG HINTERGRÜNDE seiner Körpermerkmale zugeschriebenen lem werden und was sie mit Männlichkeitsvor- der erklären und beweisen. Dabei Geschlecht identifiziert. stellungen zu tun haben, zeigen die folgenden wird häufig erwartet, vermeintlich 2. Stern, https://www.stern.de/sport/fussball/ fc--st--pauli--dresdner-fans- Beispiele. typisch weibliche Verhaltensweisen beleidigen-frauen-auf-banner- einzuschränken und die bestimmen- uebel-8474820.html Sexismus & Antifeminismus den männlichen Verhaltensweisen 3. Da es in diesem Beitrag explizit um Bei einem Spiel von Dynamo Dresden gegen den FC anzunehmen oder mindestens zu un- Männlichkeit geht, wird nicht durchweg gegendert, da an den entsprechenden Stellen St. Pauli rollen Dresdner Fans ein Banner mit frauen terstützen. wirklich nur Cis-Männer gemeint sind. 8 9
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Sexistische Sprüche werden ausgehalten Dies alles erschwert es Frauen, die erfahrene oder als zur „Fankultur“ zugehörig nicht wei- sexistische Diskriminierung, sexuelle Belästigung ter hinterfragt. Frauen, die sich daran stören, oder Gewalt anzusprechen und dabei Unterstüt- schweigen aus Angst, sich zu exponieren und zung zu erfahren. In vielen Vereinen und Stadi- damit als „störend“, „empfindlich“ oder „zickig“ en fehlen geeignete Strukturen: Es gibt keinen wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig bleibt Schutzraum, keine sensibilisierten Ansprechper- ihnen bei aller Anpassung aufgrund ihrer Ge- sonen oder einfach grundsätzlich kein Bewusst- schlechtszuschreibung der Zugang zu oder die sein für die zugrundeliegende Problematik. Ausführung von Funktionen in organisierten Jahrzehntelang wurden Frauen im Fußball Fanszenen immer wieder verwehrt. Obwohl als Spielerinnen, aber auch als aktive Fans aus- der Frauenanteil unter den aktiven Fans etwa geschlossen. In der öffentlichen Wahrnehmung bei einem Drittel liegt, sind nur etwa fünf bis des Sports waren sie nicht präsent. Seit einigen zehn Prozent in Ultragruppen organisiert, da Jahren organisieren sich immer mehr Frauen, um viele gar keine Frauen aufnehmen. Dieser Aus- den Status quo zu kritisieren und für sich mehr schluss wird häufig dadurch begründet, dass Rechte und Räume in den Stadien einzufordern. Frauen durch ihre bloße Anwesenheit die sich Bislang machen diese Zusammenschlüsse jedoch als heteronormativ verstehenden Männerbün- zumeist nur eine Minderheit aus und auch die de stören würden. Auch bei Partys, gemeinsa- Schlüsselpositionen im Verein oder in der Fanar- men Auswärtsfahrten oder ähnlichen Veran- beit sind nach wie vor fast durchweg mit Männern staltungen werden Frauen mitunter explizit besetzt. Daher fehlt oftmals ein Bewusstsein ausgeladen. dafür, was nötig wäre, um mehr weibliche Fans Das Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt hat ein Handlungskonzept zum Schutz der Betroffenen für alle im Zuschauer*innensport Fußball agierenden Akteur*innen vorgelegt. Das Konzept richtet sich besonders an Vereine und Verbän- de, Fanprojekte, Fangruppen und -clubs, Sicherheits- und Ordnungsdienste sowie Polizeien. Ziel ist es, Handlungsbedarfe und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. https://www.fussball-gegen-sexismus.de/wp-content/uploads/2019/11/ Broschüre_Handlungskonzept_Auflage_2.pdf 10
Zwar haben Faninitiativen mehr Sensibilität und Haltung entwickelt und es gelten neue Regularien, so dass ein Spiel bei rassistischen Vorfällen abgebrochen werden kann. Doch das betrifft nur den plakativen Rassismus. Daneben findet sich im Fußball wie in allen gesellschaftlichen Bereichen ungebrochen ein latenter Rassismus. ins Stadion zu holen. Denn nicht um pinkfarbene fällt es Spielern wie Fans schwer, offen zu ihrer Fanartikel oder ermäßigte Eintrittskarten inklu- sexuellen Orientierung zu stehen, da sie Abwer- sive Sekt geht es dabei. Sondern darum, Frauen tung und Ausgrenzung im eigenen Verein, in der als Fans ernst zu nehmen und vor Übergriffen im eigenen Mannschaft oder im eigenen Fanblock oder auf dem Weg zum Stadion zu schützen. befürchten. Abgewertet wird nicht nur Homosexualität, SERVICETEIL Heterosexismus sondern jegliche Abweichung von einer ange- „Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge nommenen zweigeteilten Geschlechterordnung Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man in Männer und Frauen oder der vorgegebenen die Mehrheit gewähren, solange die Witze halb Heterosexualität. Das zeigen beispielsweise die PRAXISEMPFEHLUNGEN wegs witzig sind und das Gequatsche über Homo Anfeindungen gegen die trans Rapperin Faulen- sexuelle nicht massiv beleidigend wird.“4 Thomas zA, die sich in der queeren Fanszene des SV Ba- Hitzlsperger outete sich 2014 als erster Profifuß belsberg 03 engagiert und deswegen Beleidigun- baller nach seinem Karriereende als homosexuell. gen und sogar Morddrohungen ausgesetzt ist. In einem Interview zitierte sie einen Beleidiger mit Auch Heterosexismus, also die Abwertung ge- den Worten: „Vergiss es, Fußball bleibt männlich HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN schlechtlicher und sexueller Vielfalt, ist ein Pro- und Fußball wird auch nicht feminin werden.”5 blem im Männerfußball. Die eingangs skizzierte Idealvorstellung einer dominanten und hetero- Rassismus sexuellen Männlichkeit muss aus dieser Perspek- In der Vergangenheit gab es bei einem Fußballverein tive heraus verteidigt werden. „Schwulsein dient Probleme mit klar rechtsextremen Mit hierbei als Synonym für Schwäche”, schreibt das gliedern. Bei der Unterstützung durch 4. Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger im Interview bei Zeit Online: https:// Netzwerk Fußballfans gegen Homophobie. So das Mobile Beratungsteam ging es u. a. www.zeit.de/sport/ 2014-01/thomas-hitzlsperger- gehören homosexuellenfeindliche Schimpf- um eine glaubwürdige Distanzierung vom EINLEITUNG HINTERGRÜNDE homosexualitaet-fussball worte und Beleidigungen weiterhin zum Fuß- Rechtsextremismus, begleitet durch Öf 5. Siegessäule, https://www.siegessaeule.de/ magazin/faulenza-die-mainstream- ball-Alltag, etwa wenn ein misslungener Pass als fentlichkeitsarbeit und symbolisches Han macker-wollen-nicht-dass-ich-die- „schwul“ bezeichnet wird. Das mag nicht immer deln (z. B. Plaketten/Banner mit klaren Be fu%C3%9Fballszene- repr%C3%A4sentiere/; reflektiert sein, doch für Fußballer wie Thomas kenntnissen gut sichtbar im Stadion). Nun https://plus.tagesspiegel.de/sport/ Hitzlsperger und für homosexuelle Fans auf den stand der Verein nach vielen Jahren wie transphobie-im-fussball-da-gab- Rängen bedeutet es, regelmäßig mit abwerten- der negativ in der Presse, weil es einen es-viel-hate-und-sogar-zwei- morddrohungen- den Aussagen konfrontiert zu sein. Auch deshalb Spielabbruch gab, dem eine rassistische 295255.html 10 11
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL eleidigung gegen einen Schwarzen Spieler der gegne B zialismus gleichgesetzt wird. Die NPD verbrei- rischen Mannschaft vorangegangen sein soll. tete 2018 einen WM-Planer und T-Shirts mit dem Slogan „Deutschland statt Die Mannschaft“. Rassistische Beschimpfungen, Affenlaute oder Die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ gar Bananenwürfe gegen Schwarze Spieler sind versuchte in der Saison 2020/21, durch eine in den vergangenen Jahren aufgrund repres- rassistische Kampagne gegen Türkgücü Mün- siver, aber auch präventiver Maßnahmen sei- chen „Unser Stadion, unsere Regeln! Türkgücü tens der Vereine und Verbände, aber auch der München nicht willkommen“ Stimmung gegen Fanszenen, weniger geworden. Trotz allem kom- den ersten migrantischen Verein in der dritten men sie quer durch die Ligen immer wieder vor. Liga zu machen. So beschimpfen Eltern bei einem Heimspiel in Sowohl auf den Rängen als auch in der Be- der C-Jugend die gegnerischen Schwarzen Spie- richterstattung ist allgegenwärtig, wie Spielern ler mit dem N-Wort oder im Pokalspiel bei Schal- bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften in ke 04 wird Jordan Torunarigha, damals Vertei- ethnisierender und exotisierender Weise zu- diger bei Hertha BSC, von den Tribünen aus mit geschrieben werden. Eine Studie untersuchte Affenlauten erniedrigt.6 2.700 Minuten Live-Kommentar zur Fußballwelt- Zwar haben Faninitiativen mehr Sensibilität meisterschaft 2018 und kam zu dem Ergebnis, und Haltung entwickelt und es gelten neue Regu- dass Schwarze Spieler vor allem für ihre Physis, larien, so dass ein Spiel bei rassistischen Vorfällen wie etwa Athletik und Schnelligkeit, gelobt wur- abgebrochen werden kann. Doch das betrifft nur den, weiße Spieler hingegen für ihre kognitiven den plakativen Rassismus. Daneben findet sich im bzw. erlernten Fähigkeiten wie Technik oder Pass- Fußball wie in allen gesellschaftlichen Bereichen spiel.7 Sportlichkeit wurde also unmittelbar mit ungebrochen ein latenter Rassismus. Verstärkt Geburt oder Hautfarbe in Verbindung gebracht. wird dies durch den seit der Männerfußball-WM Auch das verdeutlicht, wie rassistische Denkmus- 2006 in Deutschland wieder offensichtlicher zur ter im Fußball unreflektiert weiter bestehen. Schau getragenen Nationalismus. So kommt es immer wieder zu Diskussionen, wer für die deut- Antisemitismus sche Nationalmannschaft spielen dürfe und das Beim Training wird der israelische Spieler des 1. FC Land auch wirklich vertreten könne, und mitunter Kaiserslautern, Itay Shechter, von Fans antisemi sogar zu einer Kontrollobsession, welche Spieler tisch beleidigt. Zudem wird ihm der Hitlergruß ge die Nationalhymne mitsingen. zeigt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in An dieses National- und Heimat- Deutschland, Dieter Graumann, mahnt: „Gerade 6. Süddeutsche, https://www.sueddeutsche. konstrukt versuchen auch extrem als begeisterter Fußballfan bin ich total schockiert. de/sport/torunarigha- rechte Akteur*innen und Kampagnen Denn wenn ausgerechnet der Sport missbraucht schalke-1.4785417 anzuknüpfen. Und es passt zum Selbst- wird, um Rassismus und Judenhass zu transportie verständnis des starken, soldatischen ren, dann ist das eine Schande und ein Skandal für 7. Campbell, Paul Ian/Bebb, Louis (2020): “He is like a Gazelle (when he runs)”. (Re) Mannes, der kameradschaftlich für den ganzen deutschen Fußball.“ 8 constructing race and nation in match-day commentary at the men’s 2018 FIFA World seine Interessen kämpft. Zu diesen In- Cup, in: Sports in Society, 25, S. 144-162. teressen zählt auch die Verteidigung So facettenreich, wie sich Antisemitismus in der 8. RP Online, https://rp-online.de/sport/ fussball/bundesliga/ von einem bestimmten Heimatbild, Gesellschaft darstellt, so unterschiedlich findet eine-schande-fuer-den- das im völkischen Sinne mit der Blut- er sich auch im Fußball wieder. Im Stadion ist of- deutschen-fussball_aid- 13756091 und Boden-Ideologie des Nationalso- fen geäußerter Antisemitismus aufgrund der 12
gestiegenen Sensibilisierung in unserer Gesell- In den Vereinen und schaft und vielen Fanszenen selten geworden. Verbänden benötigt es Explizite Äußerungen wie gegen Itay Shechter vor allem Empathie, oder auch die unverhohlen antisemitische Ab- Reflexionsfähigkeit und wertung eines ganzen Vereins, wie sie etwa der die Implementierung sächsische Regionalligist BSG Chemie Leipzig weiterführender immer wieder erfährt, kommen in der Regel nur Maßnahmen, um von noch von extrem rechten Fans oder Hooligans. Diskriminierung Doch außerhalb des Stadions, wo das Reglement Betroffene unterstützen weniger streng und die Gefahr einer Bestrafung zu können. geringer ist, ist das anders. So kennen vermutlich die meisten Fußballfans das häufig gerichtlich als Volksverhetzung eingeordnete „U-Bahn-Lied“, fentlich wahrnehmbarer Form für die Unverletz- das bisweilen auf dem Weg zum Stadion oder im barkeit der Menschenwürde und gegen Antise- öffentlichen Nahverkehr gegen die gegnerische mitismus, Rassismus und Ausgrenzung einsetzen. Mannschaft angestimmt wird. Die immer noch Der Preis wurde benannt nach dem deutsch- weite Verbreitung (zum Teil unbewusster) an- jüdischen Fußballnationalspieler Julius Hirsch, SERVICETEIL tisemitischer Denkmuster zeigt sich aber auch, der 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet wur- wenn der gerne als Inbegriff einer Kommerziali- de, und soll an die vor allem jüdischen Opfer des sierung des Fußballs kritisierte Bundesligist RB Nationalsozialismus erinnern. Und viele Vereine, Leipzig als „Rattenball Leipzig“ geschmäht wird die aktive Bildungsarbeit gegen Antisemitismus PRAXISEMPFEHLUNGEN und sich gegnerische Fans als „Schädlingsbe- betreiben, widmen sich in diesem Zusammen- kämpfer“ bezeichnen.9 Diese Ungeziefermeta- hang auch der historischen Aufarbeitung ihrer phorik wurde bereits von der antisemitischen Geschichte während des Nationalsozialismus. Propaganda des Nationalsozialismus zur Ent- menschlichung von Jüdinnen und Juden genutzt. Auf einem guten Weg – aber es ist noch Besonders betroffen von Antisemitismus viel zu tun HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN aber sind jüdische Vereine. Dies wurde im Ok- All das zeigt: Im Fußball bündeln sich nach wie vor tober 2021 beim Conference-League-Spiel menschenfeindliche Phänomene. Gerade im Män- zwischen dem 1. FC Union Berlin und Maccabi nerfußball zeigt sich, dass die Vorstellungen von Haifa einmal mehr deutlich, als Anhänger*innen Männlichkeit die beschriebenen Probleme auf- des israelischen Clubs von Union-Fans antise- rechterhalten. Hier benötigt es in den Vereinen mitisch beschimpft und angegriffen wurden.10 und Verbänden vor allem Empathie, Reflexionsfä- Auch Vereine, die im jüdischen Turn- und Sport- higkeit und die Implementierung weiterführender verband Makkabi Deutschland organisiert sind, Maßnahmen, um von Diskriminierung EINLEITUNG HINTERGRÜNDE berichten immer wieder von Antisemitismus bei Betroffene unterstützen zu können. 9. Fußball gegen Nazis, https://www. fussball-gegen-nazis.de/ Spielen gegen andere Vereine. Festzuhalten gilt, dass sich bereits viele beitrag/vom-judenklub- bayern-bis-zum-rattenball- Öffentlich werden solche Vorfälle scharf Engagierte mit gezielten Projekten und leipzig-struktureller- verurteilt. Vereine, Fanarbeit und Verbände in- Kampagnen für eine offene Fußballkul- antisemitismus-im-fussball 10. Deutschlandfunk, https://www. itiieren Projekte und Aktionen gegen Antisemi- tur einsetzen und sich um ein gemein- deutschlandfunk.de/ tismus. So vergibt der DFB seit 2015 jährlich den schaftliches Zusammensein auf und antisemitismus-beim-spiel- union-berlin-maccabi-haifa- Julius-Hirsch-Preis an Engagierte, die sich in öf- neben dem Fußballplatz bemühen. die-100.html 12 13
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Fußball und Gewalt: das Beispiel Hooligans Von der gewaltaffinen Jugendkultur zum international organisierten Kampfsportnetzwerk: Rechtsextreme Gruppen waren bei der Entwicklung des Hooliganismus führend von Robert Claus E s ist ein Mythos, dass Hooligans die Ge- walt in den Fußball gebracht hätten – vielmehr waren lokale und regionale Derbys der Fußball-WM 1998 in Frankreich hatten deutsche Hooligans den französischen Gen- darmen Daniel Nivel beinahe zu Tode geprü- schon viele Jahrzehnte zuvor von gewalttä- gelt, was medial die anstehende Bewerbung tigen Auseinandersetzungen geprägt. Der des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) um die Hooliganismus organisierte diese Gewalt als Ausrichtung der WM 2006 zu gefährden droh- eigenständige Szene mit eigenen Netzwerken te. Stadionumbauten, der Auf- und Ausbau po- und Medien. lizeilicher Karteien sowie diverse Präventions- Entstanden ist der Hooliganismus im bri- maßnahmen waren die Folge. Sie drängten den tischen Fußball der 1960er-Jahre aus den sei- Hooliganismus ein Stück weit aus den Stadien. nerzeit stark proletarisch und männlich gepräg- Zudem entwickelte sich Ende der 1990er-Jah- ten Fanszenen. In Westdeutschland gründeten re die Ultrakultur mit ihren Choreografien zum gewaltaffine Fußballfans die ersten Hooligan- prägenden Phänomen in vielen Fankurven. Vie- gruppen Ende der 1970er-Jahre, etwas später le Ultras grenzten sich von den älteren rechten geschah das auch in der DDR. Die Gruppen wa- Hooligans ab. ren damals stark jugendkulturell geprägt, eher lose organisiert und dominierten bis tief in die Professionalisierte Strukturen 1990er-Jahre viele Fankurven in Deutschland. Doch hat der Hooliganismus die Stadien nie Mehrfach gab es Versuche von Akteur*innen komplett verlassen. Zugleich entwickelten Hoo- des militanten Neonazismus, Hooligans zu re- ligans weitere Aktivitäten, trafen sich zum Bei- krutieren, doch blieb die politische Arbeit vie- spiel vermehrt zu Gruppenkämpfen in Wäl- len Hooligans in der BRD fremd. Erfolgreich dern und Industriegebieten – den sogenannten waren die Versuche nur an bestimmten Orten Ackermatches. Zudem hat sich die Szene euro- wie Dortmund oder Bremen. In Ostdeutsch- päisiert und pflegt heutzutage intakte internati- land wiederum ist eine Verzahnung zwischen onale Netzwerke. Auf Accounts in den sozialen Hooliganismus und rechtsextremen Kamerad- Medien wie GruppaOF oder Hooligans TV wer- schaften seit den 1990er-Jahren stärker zu den Videos von Kämpfen und viel rechtsextreme beobachten. Symbolik gepostet. Zwischen 1998 und 2006 durchlief die Zudem hat die Szene ihre Strukturen und Szene eine Krise und reorganisierte sich. Bei Aktivitäten im Kampfsport stark ausgebaut, 14
sodass es heute kaum noch Hooligans gibt, Allerdings sind die keinen Kampfsport betreiben. Dazu gehö- Hooliganismus und ren auch geschäftliche Strukturen in Form von Rechtsextremismus im Kampfsportstudios, Kleidungsfirmen, Versän- Fußball trotz aller den für Proteinhandel und Kampfsportevents. Schnittmengen nicht Insbesondere Boxen, Kickboxen und Mixed identisch. Die Fanszenen Martial Arts werden auf Veranstaltungen, die haben sich im Laufe der aus der Szene kommen oder ihr nahestehen, an- Jahrzehnte aus geboten: unter anderem auf dem extrem rech- differenziert, auch auf ten Event „Kampf der Nibelungen“, der bis 2016 grund von Konflikten um existierenden Leipziger „Imperium Fight Night“ die Themen Vielfalt und oder auch der „Fair Fighting Championship“ in Antidiskriminierung, Nordrhein-Westfalen. Der Hooliganismus hat Gewalt und Rechts sich von einer gewaltaffinen Jugendkultur in den extremismus. Fanszenen des Fußballs zu einem international organisierten, professionalisierten Kampfsport- netzwerk entwickelt. Das ist die zentrale Ent- ganismus steht ein gewalttätiges Ideal von SERVICETEIL wicklungslinie. Männlichkeit. Kämpfende Frauen kennt der Trotz aller Veränderungen bestehen dabei Hooliganismus kaum. Von den Männern wird jedoch viele Kontinuitäten: Im Kern des Hooli- die nur rudimentär durch Regeln eingehegte PRAXISEMPFEHLUNGEN HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN EINLEITUNG HINTERGRÜNDE 14 15
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Gewalt in den Kämpfen nicht allein als Sport sozialpädagogischen Fanprojekte widmen. Ihr verstanden. Sie ist zugleich das Mittel, um die eigene Männlichkeit und Attribute wie Härte, Standhaftigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen. Hooligans gelten nicht unbedingt als schwach, wenn sie Kämpfe verlieren. Sie gelten aber als unmännlich, wenn sie sich dem Kampf nicht gestellt haben. Dieses kampf- bzw. ge- waltorientierte, sehr traditionelle Verständnis von Männlichkeit und der darin liegende Sozi- aldarwinismus sind obendrein die wesentliche Schnittmenge zur extremen Rechten. So gibt es heute unter anderem personelle Überschnei- Robert Claus veröffentlichte „Hooligans – dungen mit der neonazistischen Kleinstpartei Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und „Der III. Weg“. In der gesamten Entwicklung des Politik“ (2017) sowie „Ihr Kampf – Wie Hooliganismus waren extrem rechte Gruppen Europas extreme Rechte für den Umsturz stets führend. trainiert“ (2020), beide im Verlag Die Werkstatt, Bielefeld. Ausdifferenzierte Fanszenen http://robertclaus.de Allerdings sind Hooliganismus und Rechtsex tremismus im Fußball trotz aller Schnittmengen nicht identisch. Zum einen gibt es Hooligans aus eher links orientierten Fanszenen. Zum an- Auftrag besteht darin, über institutionalisierte deren sind menschen- und demokratiefeindli- Beziehungsarbeit mit jungen Fußballfans de- che Einstellungen bekanntlich auch bei anderen ren Persönlichkeitsentwicklung – ebenso Ge- Akteur*innen des Fußballs zu finden, seien es waltprävention und Antidiskriminierung – zu Fanclubs, Sponsoren, Stadionpersonal oder fördern. Zugleich muss eine präventive Arbeit Funktionär*innen, um nur einige zu nennen. biografische Erfahrungen der Jugendlichen be- Die Fanszenen haben sich im Laufe der Jahr- achten und benötigt Resonanzraum sowohl im zehnte ausdifferenziert, auch aufgrund von Kon- politischen Diskurs als auch in der Arbeit der flikten um die Themen Vielfalt und Antidiskrimi- Proficlubs, denen sich die jeweiligen Fans zuge- nierung, Gewalt und Rechtsextremismus. An hörig fühlen. Gefordert ist hier ein mehrdimen- einigen Standorten des Profifußballs sind rechte sionaler Ansatz. Hooligans gewalttätig gegen Fans vorgegangen, die sich gegen Diskriminierung engagieren. An anderen Orten liegen die Machtverhältnisse eher zugunsten progressiver Ultras. Homogen hingegen ist keine Fanszene in Deutschland, vielmehr finden konstante Aushandlungspro- zesse statt. Präventionsarbeit wiederum ist ein kom- plexes Unterfangen, dem sich vorrangig die 16
Positionieren – aber wie? Der Fußball hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Das zu ignorieren und als Verein vermeintlich neutral bleiben zu wollen, ist der falsche Weg F ußball ist politisch. Allein die 22 Spie- ler*innen, die während eines regulären Fußballspiels auf dem Platz stehen, sind 22 produktives Feld für Deutungskämpfe, für sozia- le und politische Auseinandersetzungen sein und für wichtige Werte oder Proteste eine großarti- Gesellschaftsmitglieder mit unterschiedli- ge Plattform anbieten. chen Eigenschaften, Biografien, Vorlieben und Werten, die sie für besonders richtig und Vereine sind Orte der Auseinandersetzung wichtig halten. Denkt man an Fußball als Ausdruck gesellschaft- Sie stellen ihre Haltungen zwar nicht plaka- licher Werte und Konflikte, so springen die Bil- tiv nach vorn wie etwa bei einer Demonstration, der der Spektakel ins Auge, der kontinentalen aber sie legen sie auch nicht ab, wenn sie sich Meisterschaften oder der Weltmeisterschaft, SERVICETEIL ein Trikot überziehen. Bereits das bringt viele die große internationale Aufmerksamkeit erfah- verschiedene Facetten unserer Gesellschaft ren und ein Millionenpublikum erreichen. Die- aufs und ums Spielfeld. Wenn dann noch die se Spektakel können zweifelsohne Bühnen sein Schiedsrichter*innen, Trainer*innen, weiteres für politische Auseinandersetzungen. Doch sie PRAXISEMPFEHLUNGEN Vereinspersonal, Stadionmitarbeitende und sind selten. Für sehr viele Menschen ist der Be- Hunderte, Tausende oder Zehntausende Fans zug zum Fußball unmittelbarer und alltäglicher: dazukommen – dann handelt es sich häufig um In Deutschland kicken pro Saison rund zwei Mil- nicht weniger als den viel zitierten „Querschnitt lionen Spieler*innen in knapp 130.000 gemelde- der Gesellschaft“. Oder zumindest um etwas, ten Teams und tragen 1,5 Millionen Spiele aus. was diesem auf wenig Fläche recht nah kommt. Über sieben Millionen Menschen sind Mitglied EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN Fußball kann mit seiner politischen Dimen- von mehr als 24.000 Vereinen.1 sion negativ wirken – sei es durch sozialen Aus- Diese Vereine stellen Tag für Tag, Woche schluss etwa durch Kommerzialisierung und die für Woche nicht nur den institutionellen Rah- Verteuerung der Teilnahmebedingungen, sei es men für die sportliche Betätigung. Sie sind durch die (Weiter-)Verbreitung von Ideologien Orte der Begegnung, des Austauschs, des Mit- menschlicher Ungleichwertigkeit wie Rechts- einanders, der Auseinandersetzung. Sie sind extremismus, Rassismus, Antisemitismus oder neben Schulen, Familien, Kirchen oder kultu- Sexismus. Er kann unterdrücken und instrumen- rellen Einrichtungen ganz wesentlicher Teil talisiert werden für Unterdrückung und Spal- eines Sozialraums bzw. sind selbst ein Sozial- tung. Fußball kann allerdings auch positiv wir- raum. Damit sind auch sie selbstverständlich ken. Er kann für Vergemeinschaftung stehen, er mit gesellschaftspolitischen Fragen kann die Unterschiede der Beteiligten vergessen konfrontiert. Das beginnt bei loka- 1. Alle Zahlen stammen vom DFB und geben den Stand vor der Corona-Pandemie wieder. machen, Brücken bauen, zusammenschweißen, len und regionalen Entwicklungen https://www.dfb.de/ kollektiv Emotionen erlebbar machen. Er kann wie beispielsweise der vorüberge- verbandsstruktur/mitglieder/ aktuelle-statistik/ aber mehr als nur vereinheitlichen, er kann ein henden Umwandlung der eigenen 16 17
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Im Grundgesetz gibt kerung in „Wir“ und „die Anderen“. Dem kann es keine Neutralitäts der Fußball wie auch der Sport insgesamt eine pflicht für Fußballvereine. intrinsische wie empirisch erfahrbare Gegener- Man kann sich also zählung entgegenstellen. Intrinsisch wirkt, dass deutlich gegen Rechts alle Menschen im Verein unabhängig von ihrer extremismus, Rassismus, Position in der Gesellschaft eines verbindet Antisemitismus und – die Leidenschaft für den Fußball, der Wille Diskriminierung und die Bereitschaft, gemeinsam zu spielen, einsetzen und Werte wie gemeinsam an einem Wettbewerb teilzuneh- Vielfalt, Offenheit, men, gemeinsam zu gewinnen und zu verlieren. Toleranz und Pluralismus Dieser Teamgeist bringt Menschen zusammen, hochhalten. die gesellschaftspolitisch von Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen aufgrund bestimm- ter Identitätsmerkmale auseinandergetrieben porthalle zur Winterunterkunft für Geflüch- S werden sollen. Damit einher geht der empiri- tete und reicht bis zu überregionalen Ereignis- sche Aspekt dieser Gegenerzählung: Das ganz sen wie dem Einzug von Rechtspopulist*innen konkrete Beispiel der eigenen Fußballmann- und Rechtsextremen in die Parlamente und der schaft zeigt, dass die Gemeinsamkeit funktio- damit einhergehenden Hetze gegen muslimisch niert – von einer vermeintlichen Unverträglich- gelesene Menschen, die auch Teil des eigenen keit zwischen verschiedenen Religionen oder Vereins sind. In der Kabine, beim Aufwärmen, Herkünften ist auf dem Platz und drumherum beim Training und auf dem Nachhauseweg keine Spur, im Gegenteil. wird darüber diskutiert, wird die Meinung der geschätzten Teamkolleg*innen eingeholt und „Neutralität“ als rechter Kampfbegriff überlegt, inwiefern sich diese Ereignisse und Häufig entschließen sich Aktive in Fußballver- Entwicklungen auf das eigene Miteinander im einen zu einer gemeinsamen Positionierung für Verein auswirken. Vielfalt, Offenheit und Toleranz, gegen Rechtsex- Ideologien menschlicher Ungleichwertig- tremismus, Rassismus und Antisemitismus. Das keit beruhen auf einer Aufteilung der Bevöl- kann sich in öffentlichkeitswirksamen Aktionen Die Deutsche Sportjugend stellt Materialien für den rechtssicheren Umgang mit Positionierungen, Vermietungen und Einladungen im Sport zur Verfügung: https://www.dsj.de/news/artikel/rechtssicherheit-politisch-neutral-der- umgang-mit-positionierungen-vermietungen-und-einladungen-im-s/ ie Mobile Beratung Berlin hat auf Basis von Beratungsprozessen mit D Bezirksämtern in Abstimmung mit dem Berliner Senat einen entsprechenden Abschnitt in der Sportanlagen-Nutzungsverordnung (SPAN) verankert (Anlage 1, Abschnitt 10): https://www.sportverbund-berlin.de/wp-content/ uploads/sites/32/2020/09/Neufassung_SPAN_2020.pdf 18
und Kampagnen, in einer neu formulierten, ge- lebten Vereinskultur oder auch in Satzungsän- derungen ausdrücken. Damit nutzen die Verei- ne den Sport für eine politische Positionierung, indem sie sich für Werte des Miteinanders ein- setzen und denjenigen, die dieses Miteinander mit Füßen treten wollen, eine Absage erteilen. In Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung und des Erstarkens antidemokratischer Positio- nen nutzen sie ihr sozialräumliches Sprachrohr, um Haltung zu zeigen. Oft begegnen sie dabei demselben Ein- wand: Sie dürften keine Stellung beziehen, weil Neutralität gewahrt werden müsse. Das kann gut gemeint sein, etwa wenn Vereinsmitglieder grundsätzlich nichts gegen eine Positionierung haben oder diese sogar befürworten, aber politi- SERVICETEIL sche und rechtliche Konsequenzen befürchten. Zumeist kommt die Forderung nach Neutralität allerdings systematisch von den Gegner*innen der offenen Gesellschaft – von Rechtspopu- PRAXISEMPFEHLUNGEN list*innen und Rechtsextremen, die Neutrali- tät als strategischen Kampfbegriff nutzen. Ihr Ziel ist es, diejenigen, die offensiv Haltung für die offene Gesellschaft zeigen möchten, zu verunsichern, einzuschüchtern und sie letzt- Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Pluralismus hoch- endlich eben von dieser Haltung abzubringen. halten. Hierbei ist es entscheidend, sich nicht auf EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN Über solche „Geländegewinne im Kleinen“ – auf eine Positionierung gegen einzelne Akteur*innen der Ebene von Vereinen, kommunalen Initiati- zu verengen, sondern bei Inhalten und Werten zu ven usw. – wollen Rechtspopulist*innen und bleiben. Dies ist auch vor dem Hintergrund der Rechtsextreme nach und nach eine permanen- steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit von großer te Verschiebung des gesellschaftspolitischen Bedeutung. Eine „parteipolitische Neutralität“ Wertesystems erreichen, weg von Idealen wie kann es geben, aber eben keine „Werteneutrali- Menschenrechten und Gleichheit und hin zu tät“ oder Gleichgültigkeit gegenüber zentralen den eigenen autoritären und regressiven Vor- Normen und Werten des Miteinanders. Nur stellungen. durch klare Positionierungen ermöglicht man Es sollte also klar benannt werden, worum es allen Menschen unabhängig von ihren Identi- beim Thema Neutralität genau geht. Im Grund- tätsmerkmalen, am Fußballleben im Verein teil- gesetz gibt es keine Neutralitätspflicht für Fuß- zuhaben, und schützt damit gesellschaftliche Min- ballvereine. Man kann sich also deutlich gegen derheiten vor dem Ausschluss. Man handelt also Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus im Sinne eines inklusiven Ansatzes für den Verein und Diskriminierung einsetzen und Werte wie im Sozialraum und für gesellschaftliche Teilhabe. 18 19
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL Je höher die Ebene im organisierten Fuß- positives Beispiel für eine unterstützende Ver- ball, desto präziser müssen die Akteur*innen bandsarbeit. Nach zahlreichen diskriminieren- ihre Positionierung vornehmen. Ein einzelner den Vorfällen auf Berlins Fußballplätzen mach- Fußballverein kann das relativ schnell und un- ten einzelne Vereine Druck und forderten eine kompliziert tun. Er kann ein Statement veröf- klare Positionierung der Berliner Fußballwelt. fentlichen, Banner aufhängen, rechtsextreme Der BFV entschloss sich, dem nachzukommen Äußerungen und Symbole am Sportplatz un- und entwickelte mit fachkundiger Unterstützung tersagen, die Satzung ändern usw. Bei Verbän- ein niedrigschwelliges Angebot. Eine Bannerakti- den sind solche Prozesse langwieriger. Erstens on ermöglichte es Vereinen zunächst, öffentlich sind mehr Menschen involviert, die Entschei- Stellung gegen Rassismus und Antisemitismus zu dungs- und Kommunikationswege sind länger. beziehen. Bei weiterem Bedarf konnten sie Bera- Zweitens haben Verbände einen ganz anderen tung und Fortbildung durch die MBR bekommen. Repräsentationsanspruch; eine Vielzahl von Trotz der Corona-Pandemie hängen die Ban- Vereinen sind dort Mitglied, entsprechend ner bereits an knapp 40 Berliner Fußballplätzen. vielfältig können die Positionen und Sensibili- Neben der Beratung von Vereinen fand durch die sierungsgrade sein, die im Verband aufeinan- MBR eine Rassismus-Sensibilisierung für Ber- dertreffen. Verbänden fällt damit die Aufgabe liner Schiedsrichter*innen statt, die mittelfristig zu, zu moderieren und verschiedene Stimmen in den jeweiligen Bezirkslehrgemeinschaften miteinzubeziehen. Allerdings sollten Verbände verstetigt werden soll. Darüber hinaus will der auch nicht blockieren oder die Initiative eines Verband die Meldung diskriminierender Vorfälle Vereines im Sinne einer völlig falsch verstan- vereinfachen, hat klare Ansprechpartner*innen denen Neutralität behindern. Sie sollten viel- benannt und führt kontinuierlich die inhaltliche mehr Aufklärung und Unterstützung anbieten Auseinandersetzung – sowohl auf Verbandse- und die Vereine bei ihren Diskussions- und Ent- bene als auch im Dialog mit den Vereinen. Denn scheidungsprozessen begleiten. ohne die Impulse aus den Vereinen könnte eine solche Kampagne nicht zustande kommen, ge- „Kein Platz für Rassismus und schweige denn erfolgreich sein. Antisemitismus“ Es ist klar, dass Rassismus und Antisemitis- Die Kampagne „Kein Platz für Rassismus und mus damit nicht von den Berliner Fußballplätzen Antisemitismus“ des Projekts „Berlin gegen Na- verschwinden werden. Dennoch ist die Kampagne zis“ zusammen mit dem Berliner Fußballverband ein wichtiger Beitrag für die Zusammenarbeit von (BFV) in Kooperation mit der Mobilen Beratung Vereinen, Verbänden und der Zivilgesellschaft zur gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) ist ein Stärkung demokratischer Positionen und Werte. Mit Unterstützung der Mobilen Beratung Berlin hat der Berliner Fußball-Verband unterschiedliche Formate gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungs formen entwickelt. Der BFV setzt gemeinsam mit Berlin gegen Nazis ein klares Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus im Berliner Fußball. https://www.berliner-fussball.de/news/kein-platz-fuer- rassismus-kampagnenfilm-veroeffentlicht/ 20
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