" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball

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" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
„Wichtig ist nicht
  nur auf’m Platz“
Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus
und Menschenfeindlichkeit im Fußball
" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
Inhalt
04   Editorial

     Einleitung

05   Ein offenes Tor für Rechtsextremismus oder Spielfeld für ­Veränderung?
     Trotz Aufklärungskampagnen und hohem Engagement: Rassismus, Antisemitismus und Sexismus bleiben
     ein Problem im Fußball

     Hintergründe

09   Nur für „echte“ Männer?
     Männlichkeitsbilder und die weite Verbreitung von Ungleichwertigkeitsideologien im Fußball

14   Fußball und Gewalt: das Beispiel Hooligans
     Die Entwicklung des Hooliganismus durch rechtsextreme Gruppen

     Handlungsmöglichkeiten

17   Positionieren – aber wie?
     Zur gesellschaftspolitischen Dimension des Fußballs

21   Mit Teamwork zum Erfolg
     Wie Fußballvereine lokale Netzwerke für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus knüpfen,
     nutzen und pflegen können

26   Wie ein anderer Fußball möglich ist
     Interview mit Roter Stern Leipzig und Borussia Leer über ihr Engagement gegen Rechts­extremismus,
     ­Rassismus und Antisemitismus

32   „Müssen wir jetzt neutral sein?“
     Acht Empfehlungen: Wie Vereine und Fanprojekte mit rechten Diffamierungskampagnen umgehen können

     Praxisempfehlungen

36   Was Vereine, Verbände und Engagierte tun können
     Empfehlungen und Beispiele aus der Praxis

37   Reflexion im Verein: Was haben wir damit zu tun?
     Ein Fragenkatalog, der den (selbst-)kritischen Austausch anstoßen kann

     Beratung und Unterstützung

38   Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus

39   Beratungsangebote, ­Praxisbeispiele und Faninitiativen – eine Auswahl

42   Impressum
" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
Editorial
            Liebe Leser*innen,

            wir freuen uns, Ihnen unsere neue Publikati-           tische Kultur einsetzen. Fußballvereine sind auch
            on in der BMB-Reihe „Wegweiser“ zu präsentie-          Orte des Zusammenkommens und des sozialen
            ren. Entstanden ist sie aus einer Arbeitsgruppe        Lernens. Die Teams der Mobilen Beratung unter-
            im Bundesverband Mobile Beratung e. V. (BMB),          stützen alle, die sich hier engagieren.
            die sich Anfang 2022 mit Blick auf die Männerfuß-          Für ein Verständnis von Zusammenhängen
            ball-WM im Herbst 2022 gegründet hat.                  blicken wir auf Männlichkeitsbilder und Ungleich-
                 Im Austragungsland Katar werden Menschen-         wertigkeitsideologien im Männerfußball, beschäf-
            rechte verletzt, herrschen Rassismus, Queer- und       tigen uns mit der gesamtgesellschaftlichen Ver-
            Homofeindlichkeit sowie andere Ungleichwertig-         antwortung und Rolle der Verbände und nehmen
            keitsideologien. Darüber wurde und wird zu Recht       Rechtsextremismus im Fußballverein in den Blick.
            viel diskutiert. Doch wie steht es um diese The-       In einem Interview mit Aktiven von Borussia Leer
            men in Deutschland? Vergangene sowie aktuelle          und Roter Stern Leipzig geht es um den Umgang
            Beratungsfälle bei den Mobilen Beratungsteams          mit Hass im Stadion. Ein weiterer Text widmet sich
            (MBTs) zeigen, dass diese Phänomene vor allem          dem Einfluss der AfD und der Frage, wie Vereine
            im Männerfußball auch in Deutschland nach wie          ihre Fanszenen im Umgang mit der Rechtsau-
            vor ein reales Problem sind. Spieler wenden sich       ßen-Partei unterstützen können.
            an die Mobile Beratung, weil ihnen der Hitlergruß           Aus alledem ergeben sich praktische Hand-
            gezeigt wird, Trainer kommen aus rechtsextremen        lungsempfehlungen für den Umgang mit Rechts-
            Netzwerken, Frauen werden im Stadion bedrängt          extremismus, Rassismus und Antisemitismus im
            und beschimpft. Und nicht zuletzt gibt es in nahezu    Fußball – im Verband, im Verein und beim einzel-
            allen Ligen des Männerfußballs rechte Fangruppie-      nen Spiel. Ergänzt wird der Praxisteil durch aus-
            rungen, die nicht nur die fröhliche Stadionstimmung    gewählte Fragen, die im Verband, Verein und auf
            stören, sondern eine echte Bedrohung darstellen        Fanebene zur Reflexion anregen sollen.
            für alle Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen.        Vielen Dank an alle Kolleg*innen und Inter-
                 Diese Publikation soll weniger die Probleme       viewpartner*innen, die an der Erstellung dieser
            an sich darstellen als vielmehr konkrete Hand-         Publikation mitgewirkt haben. Allen Leser*innen
            lungsempfehlungen bieten. Sie richtet sich an          wünschen wir, dass sie die Lektüre dieser Hand-
            Fachkräfte, an Engagierte im Fußballverein und         reichung ermutigt, sich gegen Rechtsextremis-
            an andere Interessierte. Die MBTs lernen in ihren      mus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus
            Beratungsprozessen viele Engagierte kennen, die        und andere Ungleichwertigkeitsideologien zu en-
            sich in Vereinen und Fanszenen für eine demokra-       gagieren und deutlich Stellung zu beziehen.

Begriffe wie Ableismus, Antisemitismus oder Homo­feindlichkeit werden im Glossar des
­Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismus­arbeit e. V. (IDA) erläutert,
 das hier nachgeschlagen werden kann: https://www.idaev.de/recherchetools/glossar

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" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
Ein offenes Tor für
Rechtsextremismus oder
Spielfeld für Veränderung?
Trotz vieler Aufklärungskampagnen und hohem Engagement
sind Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppen­
bezogener Menschenfeindlichkeit immer noch ein Problem im
Männerfußball

F     ußball gilt als Gemeinschaftssport, als
      Quasi-Religion, als Kulturgut mit ei-
nem hohen gesellschaftlichen Stellenwert.
                                                       dem ländlichen Raum für eine extrem rechte Partei
                                                       kandidiert. Beraten werden der Verband sowie die
                                                       kommunale Jugendarbeit vor Ort. Es fehlt jedoch an
Er läuft zur Primetime im Fernsehen und hat            Interesse und Sensibilität für das Thema Rechtsex­

                                                                                                                                                     SERVICETEIL
einen festen Platz in der täglichen Medienbe-          tremismus im Fußballverein.
richterstattung. Fußball wirkt als verbinden-               Ein neuer Fußballspieler mit Migrationsbiogra­
des Element, das durch Zusammenhalt und                fie wendet sich an das Mobile Beratungsteam Thü­
Gemeinschaftsgeist zum Ausdruck kommt,                 ringen, da ihm der Hitlergruß gezeigt wurde. Er wird

                                                                                                                                                     PRAXISEMPFEHLUNGEN
und steht für eine aktive und engagierte Ver-          ermutigt, das Problem im Verein zu thematisieren.
einskultur mit dem Anspruch, zugänglich und                 Eine Ultragruppierung von Alemannia Aachen
offen für alle Menschen zu sein. Die Offenheit         wendet sich an die Mobile Beratung Köln. Wegen
kann dabei aber auch zur Falle werden: Gerade          wiederholter Bedrohungen durch rechte Ultras ha­
im Fußballkontext kommt es neben gemeinsa-             ben sie Sorge, auch Opfer von Gewalttaten werden
mer Freude und Zusammenhalt auch immer                 zu können. Die Mobile Beratung unterstützt das

                                                                                                                                                     HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
wieder zu Hass und Gewalt. Somit ist neben             Fanprojekt der Alemannia Aachen beim Aufbau ei­
dem positiven Image von Fußball als Bindeglied         ner Antidiskriminierungs-AG.1
der Gesellschaft besonders Fußball als Män-                 Beratungsanfragen wie diese sind keine Ein-
nersport in der öffentlichen Wahrnehmung               zelfälle. Der Umgang mit Rechtsextremismus,
auch eng verknüpft mit rücksichtslos grölenden         Rassismus, Homofeindlichkeit und Antifeminis-
Fans, die ihren Verein auf dem Fußballplatz eu-        mus im Männerfußball ist ein wichtiger Themen-
phorisch feiern, wenn er gewinnt, aber oft auch        komplex für die Mobile Beratung.
                                                                                                   1. Der Verein zeigte jedoch kein ernsthaftes
aggressiv pöbeln, wenn er verliert. So kann es
                                                                                                                                                     HINTERGRÜNDE

                                                                                                   Interesse an einer Auseinandersetzung mit
auf und neben dem Fußballplatz zu Situationen          Stadien und Fußballplätze sind                              dem Problem. Weitere Infos
                                                                                                                   zu diesem Fall finden sich u.a.
für Engagierte und Fans kommen, die sich nicht         keine neutralen Orte                                        unter tagesspiegel.de,
                                                                                                                   https://www.tagesspiegel.de/
länger wohl oder willkommen fühlen und sich            „Der Fußball hat natürlich eine gro-                        politik/alemannia-aachen-­
ratsuchend an die Mobile Beratung wenden –             ße Anziehungs- und Strahlkraft. Mil-        fangruppe-kapituliert-vor-rechten-­
                                                                                                                                                     EINLEITUNG

                                                                                                   ultras/7866938.html
ein paar Beispiele:                                    lionen Menschen sind auf den Sport-                         und Zeit Online
                                                                                                                   https://www.zeit.de/sport/
     In Bayern wendet sich ein Verband an die Mobi­    plätzen aktiv oder fiebern mit ihrem                        2013-09/neonazi-­aachen-
le Beratung, da der Trainer eines Fußballvereins aus   Lieblingsverein mit. Das verbindet                          ultra-fans

                                                                                                                                                         4
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" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
EINLEITUNG   HINTERGRÜNDE        HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN           PRAXISEMPFEHLUNGEN        SERVICETEIL

                                  Fußballplätze sollten Orte sein, an denen                                            keitsforschung, erklärt
                             die demokratischen Grundsätze unserer                                                     das so: Es sei erwiesen,
                             Gesellschaft gelten und die keinen Platz bieten                                           „wie wichtig die Vor-
                             für Rechts­extremismus, Rassismus oder                                                    stellung eines Gegners
                             Sexismus.                                                                                 für die eigene Identität
                                                                                                                       ist, da sie Homogeni-
                             und schweißt zusammen, über Grenzen hinweg.                     tät durch Abgrenzung vollzieht und verspricht.
                             Die Spieler*innen – ob Profi oder Amateur – ha-                 Dementsprechend existieren ‚Wir-Gruppen‘ auf
                             ben eine große Verantwortung, im Wettkampf                      Basis der Abgrenzung zu Gegnern. Dieser An­
                             jederzeit fair und respektvoll miteinander um-                  tagonismus liegt dem Sport strukturell inne und
                             zugehen. Und die Verantwortlichen müssen                        ist grundsätzlich mit Diskriminierungen, Abwer-
                             einschreiten und klare Konsequenzen ziehen,                     tungen und Diffamierungen des Gegenübers
                             wenn es zu rassistischen Vorfällen kommt. Auf                   aufladbar, kann mitunter auch zu Gewalt führen.
                                       dem Platz, im Stadion, im Verein. Ich bin dank-       Daran können Rechtsextreme mit ihren men-
                                       bar, dass so viele genau das tun“, betont Reem        schenfeindlichen Einstellungen anschließen.“3
                                       Alabali-Radovan, Staatsministerin beim Bun-                 Doch Fußballplätze sollten Orte sein, an
                                       deskanzler und Beauftragte der Bundesregie-           denen die demokratischen Grundsätze unserer
                                       rung für Migration, Flüchtlinge und Integration,      Gesellschaft gelten und die keinen Platz bieten
                                       im Interview mit dem DFB.2                            für Rechtsextremismus, Rassismus oder Sexis-
                                              Diese große Verantwortung ist in den ver-      mus. Es sollte im Interesse der Vereine liegen,
                                       gangenen Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten,          dass sich Menschen im Stadion unabhängig von
                                       ernst genommen und mit viel Aufarbeitung, Auf-        ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe, ihrer körper-
                                       klärungs- und Bildungskampagnen offensiv an-          lichen Verfassung, ihrem Alter, ihrer Sexualität
                                       gegangen worden. Engagierte setzen sich explizit      oder ihrer geschlechtlichen Identität wohl und
                                       für Vielfalt und Menschenrechte im Fußball ein,       willkommen fühlen. Vereine sollten sich klar und
                                       informieren über Phänomene gruppenbezogener           sichtbar für Vielfalt positionieren – viele Fanini­
                                       Menschenfeindlichkeit, z. B. Rassismus oder Ho-       tia­tiven setzen das bereits durch unterschiedli-
                                       mofeindlichkeit, und weisen auf die Gefahren einer    che Aktionen und Kampagnen erfolgreich um.
                                       Vereinnahmung von rechts hin. Sie schulen sich        Das ist auch und gerade wichtig, weil Fußball po-
                                       und Beteiligte und investieren viele ehrenamtli-      litisiert: Fußballplätze sind keine neutralen Orte,
                                       che Ressourcen für eine friedliche und freundliche    nicht nur Fans bringen politische Haltungen
                                       Fußballkultur. Dennoch sind Rassismus, Antisemi-      durch Banner oder Sprechchöre zum Ausdruck.
                                       tismus, Antifeminismus, Sexismus, Homofeindlich-      Die Politisierung zeigt sich auch an Schweigemi-
                                                   keit oder Ableismus vor allem im Män-     nuten etwa nach dem Attentat von Hanau, an der
                                                   nerfußball traurige Normalität – im       Nutzung der Werbebanden für Statements ge-
    2. DFB.de, https://www.dfb.de/news/detail/     Amateur- wie im Profibereich. Sie drü-    gen Rassismus oder durch entsprechende Aus-
                   rassismus-ist-ein-angriff-
                   auf-unser-friedliches-          cken sich aus in provokativen Ausrufen    sagen von Spielern, Trainern oder Vorständen.
                   zusammenleben-237970/
                                                   und beleidigenden Fangesängen oder
    3. Claus, Robert (2019): Rechtsextremismus     durch das unsportliche Verhalten von      Undemokratische und
    und Sport – zum Stand der Forschung. In:
    Reiner Becker/Sophie Schmitt (Hrsg.):          Spielern untereinander.                   menschenfeindliche Ideologie
    Beratung im Kontext Rechtsextremismus.
                                                        Robert Claus, Experte für Fansze-    Auch wenn Engagierte ihre Verantwortung er-
    Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag,
    S. 166.                                        nen, extreme Rechte und Männlich-         kennen und sich für ein Spielfeld der Verände-

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" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
rung einsetzen, besteht
die Gefahr, dass Orte des
Fußballs auf unterschied-
lichen Ebenen zu einem
offenen Tor für Rechtsex-
tremismus werden kön-
nen. Es lässt sich weder
kontrollieren noch vorab
eindeutig und leicht er-
kennen, wer ein rechtsextremes Weltbild ins Sta-
dion, in den Verband und den Verein trägt. So ist
nicht auszuschließen, dass Rechtsextreme unter
den ehrenamtlich Engagierten, unter Fans und
Mitgliedern sind. Ein Fall bei einem norddeut-
schen Team der Mobilen Beratung macht die
vielschichtige Herausforderung deutlich:

                                                                                                          SERVICETEIL
Ein Sportverein wendet sich an das Mobile Bera­        men Milieu, sondern überall in der Gesellschaft
tungsteam, weil ein bekannter Nazikader sein Kind      zu finden. Das darf nicht übersehen werden.
im Verein anmelden will. Der Verein ist unsicher,      Dennoch bedeuten Rechtsextreme eine beson-
ob er das Kind aufnehmen und wie er mit den El­        dere Gefahr, da sie mit vollem Bewusstsein Gift

                                                                                                          PRAXISEMPFEHLUNGEN
tern umgehen soll. Der Vorstand zeigt ein Problem­     streuen und mit erwiesener Härte ausgrenzende
bewusstsein, hat jedoch Sicherheitsbedenken, da        und menschenverachtende Denk- und Verhal-
es sich um einen kleinen Ort handelt, an dem „je­      tensmuster im Stadion aufrechterhalten – und
der jeden“ kennt, und sorgt sich, dass je nach Ent­    auch körperliche Gewalt anwenden. Dem Ein-
scheidung zur Aufnahme des Kindes und zum Um­          halt zu gebieten, ist für Engagierte eine mitun-
gang mit den Eltern Bedrohungen folgen könnten.        ter kaum allein zu stemmende Herausforderung.

                                                                                                          HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
Gemeinsam mit der Mobilen Beratung wird die            Daher braucht es Unterstützung durch vorhan-
Vereinssatzung überarbeitet. Es wird klar kommu­       dene Anlaufstellen und Beratungsangebote, wie
niziert, dass keine rechten Symbole und Codes ak­      das der Mobilen Beratung.
zeptiert werden und sich die Eltern des Kindes nicht
ehrenamtlich im Verein engagieren dürfen.              Unterstützung durch die Mobile
                                                       Beratung vor Ort
Nicht selten treten Rechtsextreme bürgerlich           Ein Trainer bewegt sich in rechtsextremen Netz-
auf und mimen die hilfsbereiten Mitbürger*in-          werken? Rechte Fangruppen bedrohen ein fröh-
                                                                                                          HINTERGRÜNDE

nen, die gerne mit anpacken und ehrenamtlich           liches, offenes und sicheres Miteinander auf
die Planung der nächsten Sportveranstaltung            dem Fußballplatz? Im Stadion tauchen Symbo-
unterstützen. Hinter dieser vermeintlich freund-       le und Codes auf, die zur rechten Szene gehören
lichen Fassade steckt jedoch eine Ideologie, die       könnten? Fans hören rassistische Äußerungen
                                                                                                          EINLEITUNG

undemokratisch und menschenfeindlich ist.              in der Kurve? Der neue Spieler traut sich nicht,
Zwar sind rassistische, sexistische oder antise-       sich zu seiner Sexualität zu äußern? Ein Fanpro-
mitische Strukturen nicht allein im rechtsextre-       jekt möchte sich öffentlichkeitswirksam gegen

                                                                                                              6
                                                                                                              7
" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
EINLEITUNG   HINTERGRÜNDE   HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN   PRAXISEMPFEHLUNGEN    SERVICETEIL

                              Vereine, die so                               • Ermutigung: das Gespräch mit Spielern, Mit-
                        vorgehen, zahlen damit                                gliedern oder Engagierten suchen und sie er-
                        auch auf ihr gutes Image                              mutigen, sich klar zu positionieren,
                        ein. Denn es zeigt, dass                            • Unterstützung: im Prozess nicht nur auf
                        sie die Probleme ernst                                das eigene Image schauen, sondern an ei-
                        nehmen, dass sie sich                                 nem gemeinsamen Selbstverständnis arbei-
                        inhaltlich mit ihnen                                  ten, weltoffen zu sein und respektvoll mit
                        auseinandersetzen, dass                               Freund*innen wie Gegner*innen umzugehen.
                        sie Betroffene schützen
                        wollen. Und sie können                              Vereine, die so vorgehen, zahlen damit auch auf
                        nur profitieren, wenn sie                           ihr gutes Image ein. Denn es zeigt, dass sie die
                        diese Prozesse sichtbar                             Probleme ernst nehmen, dass sie sich inhaltlich
                        machen.                                             mit ihnen auseinandersetzen, dass sie Betroffe-
                                                                            ne schützen wollen. Und sie können nur profitie-
                                                                            ren, wenn sie diese Prozesse sichtbar machen,
                        rechts positionieren, hat aber Angst vor Bedro-     nach dem bekannten Motto: „Tue Gutes und
                        hungen? Frauen werden im Stadion bedrängt           sprich darüber“.
                        und beschimpft?
                             Es kann viele Anlässe geben, die zu Unsi-
                        cherheiten führen und zur Gefahr für diejeni-
                        gen werden können, die sich gegen Rechtsex­
                        tremismus und Ungleichwertigkeitsideologien
                        positionieren möchten. Die Mobile Beratung ist
                        für alle ansprechbar, die sich im Fußball enga-
                        gieren oder aktiv sind und die eine integrieren-
                        de, gleichberechtigte Vereinskultur etablieren
                        möchten.
                             Viele Vereine, die sich an die Mobile Bera-
                        tung wenden, sorgen sich um ihr Image – und
                        bevorzugen deshalb schnell umsetzbare, plaka-
                        tive und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen.
                        Damit allein ist das Problem aber nicht ausrei-
                        chend bearbeitet. Wichtig sind sowohl Kommu-
                        nikation und Angebote nach innen als auch klare
                        Positionierungen nach außen. Dazu zählen zum
                        Beispiel:
                        • Bildung: Gesprächsrunden und Fortbildungen,
                        • Bestärkung: öffentlich klar Stellung beziehen,
                           z. B. gegen Rassismus, gegen Homofeindlich-
                           keit oder für Demokratie,
                        • Schutz: Betroffene ernst nehmen, ihnen
                           Schutz und Unterstützung bieten,

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" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
Nur für „echte“ Männer?
Was Männlichkeitsbilder mit der weiten Verbreitung von
Ungleichwertigkeitsideologien im Fußball zu tun haben

F     ür viele Männer ist der Fußball die letzte
      Bastion „natürlicher“ Männlichkeit. Hier
fühlen sie sich unter sich. Die Teilnahme von
                                                        feindlicher Aussage aus. Der Spruch auf dem Banner
                                                        wertet Frauen ab, verweist sie auf eine konservative
                                                        Rolle am Herd und darauf, dass sie im Stadion nichts
Frauen, andersgeschlechtlichen Menschen                 verloren hätten. Dynamos Geschäftsführer, Michael
oder homosexuellen Männern gefährden die-               Born, distanziert sich nach dem Spiel von dem Fan­
se Männerbündnisse.                                     verhalten: „Es sind […] verschiedene Dinge vorgefal­
     Treue, Kameradschaft, Kampf- und Op-               len, die wir zutiefst ablehnen und verurteilen, weil
ferbereitschaft, aber auch körperliche Stärke           sie menschenverachtend sind und die Werte unse­
und Gesundheit sollen die Kennzeichen dieser            rer Sportgemeinschaft mit Füßen treten.“2
„echten“ und soldatischen Männlichkeit sein.
Entsprechend hypermaskulin ist zuweilen die             Nicht immer werden Sexismus und Antifeminis-

                                                                                                                                                    SERVICETEIL
Selbstinszenierung, mit lautstarkem Grölen,             mus im Stadion so deutlich zur Schau getragen
oberkörperfreier Kleidung, selbst zugefügten            wie in diesem Fall. Und nicht immer distanzie-
Schlägen auf die nackte Brust sowie einer pro-          ren sich Vereinsverantwortliche dann so deut-
vokativen Beschimpfungskultur. Als „richtiger           lich. Sexistische Schimpfwörter aber gehören im

                                                                                                                                                    PRAXISEMPFEHLUNGEN
Mann“ zählt hier nur, wer cis-männlich1 und he-         Männerfußball von den Amateur- bis zu den Pro-
terosexuell ist, um „hart genug“ für das Fußball-       filigen zum Alltag, in Fangesängen und Schmiere-
spiel zu sein. Frauen kommen, wenn überhaupt,           reien, auf Stickern und Transparenten.
dann nur als sexualisierte Objekte vor. Menschen             Doch nicht nur diese offensichtliche Ab-
mit Behinderung weichen von der Vorstellung             wertung von Weiblichkeit, sondern auch die
des „starken Mannes“ ab und erfahren ebenfalls          erwähnte hypermaskuline Selbstinszenierung

                                                                                                                                                    HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
Ausgrenzung. Unreflektierte Beschimpfungen              männlicher Fans in vielen Stadien trägt zur
verweisen auf einen tief verwurzelten Ableis-           Diskriminierung von Frauen bei. Oft wird ih-
mus, also die Abwertung und Ablehnung von               nen das eigene Interesse am Männerfußball
Menschen mit Behinderungen, ebenso wie auf              abgesprochen und unterstellt, nur aufgrund
verinnerlichten Rassismus, Antisemitismus oder          attraktiver Spieler3 oder als Begleiterinnen ih-
Sexismus.                                               rer Männer, Brüder oder Freunde im Stadion
     Welche unterschiedlichen Ungleichwertig-           zu sein. Frauen, die in der Fanszene
                                                                                                  1. Cis-männlich bezeichnet einen Mann, der
keitsvorstellungen im Männerfußball zum Prob-           aktiv sind, müssen sich immer wie- sich mit dem ihm bei der Geburt aufgrund
                                                                                                                                                    EINLEITUNG HINTERGRÜNDE

                                                                                                  seiner Körpermerkmale zugeschriebenen
lem werden und was sie mit Männlichkeitsvor-            der erklären und beweisen. Dabei Geschlecht identifiziert.
stellungen zu tun haben, zeigen die folgenden           wird häufig erwartet, vermeintlich 2. Stern, https://www.stern.de/sport/fussball/
                                                                                                                   fc--st--pauli--dresdner-fans-
Beispiele.                                              typisch weibliche Verhaltensweisen                         beleidigen-­frauen-auf-banner-
                                                        einzuschränken und die bestimmen-                          uebel-8474820.html

Sexismus & Antifeminismus                               den männlichen Verhaltensweisen 3. Da es in diesem Beitrag explizit um
Bei einem Spiel von Dynamo Dresden gegen den FC         anzunehmen oder mindestens zu un- Männlichkeit geht, wird nicht durchweg
                                                                                                  gegendert, da an den entsprechenden Stellen
St. Pauli rollen Dresdner Fans ein Banner mit frauen­   terstützen.                               wirklich nur Cis-Männer gemeint sind.

                                                                                                                                                        8
                                                                                                                                                        9
" Wichtig ist nicht nur auf'm Platz" - Handreichung für den Umgang mit Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Fußball
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE   HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN   PRAXISEMPFEHLUNGEN    SERVICETEIL

                           Sexistische Sprüche werden ausgehalten              Dies alles erschwert es Frauen, die erfahrene
                      oder als zur „Fankultur“ zugehörig nicht wei-       sexistische Diskriminierung, sexuelle Belästigung
                      ter hinterfragt. Frauen, die sich daran stören,     oder Gewalt anzusprechen und dabei Unterstüt-
                      schweigen aus Angst, sich zu exponieren und         zung zu erfahren. In vielen Vereinen und Stadi-
                      damit als „störend“, „empfindlich“ oder „zickig“    en fehlen geeignete Strukturen: Es gibt keinen
                      wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig bleibt         Schutzraum, keine sensibilisierten Ansprechper-
                      ihnen bei aller Anpassung aufgrund ihrer Ge-        sonen oder einfach grundsätzlich kein Bewusst-
                      schlechtszuschreibung der Zugang zu oder die        sein für die zugrundeliegende Problematik.
                      Ausführung von Funktionen in organisierten               Jahrzehntelang wurden Frauen im Fußball
                      Fanszenen immer wieder verwehrt. Obwohl             als Spielerinnen, aber auch als aktive Fans aus-
                      der Frauenanteil unter den aktiven Fans etwa        geschlossen. In der öffentlichen Wahrnehmung
                      bei einem Drittel liegt, sind nur etwa fünf bis     des Sports waren sie nicht präsent. Seit einigen
                      zehn Prozent in Ultragruppen organisiert, da        Jahren organisieren sich immer mehr Frauen, um
                      viele gar keine Frauen aufnehmen. Dieser Aus-       den Status quo zu kritisieren und für sich mehr
                      schluss wird häufig dadurch begründet, dass         Rechte und Räume in den Stadien einzufordern.
                      Frauen durch ihre bloße Anwesenheit die sich        Bislang machen diese Zusammenschlüsse jedoch
                      als heteronormativ verstehenden Männerbün-          zumeist nur eine Minderheit aus und auch die
                      de stören würden. Auch bei Partys, gemeinsa-        Schlüsselpositionen im Verein oder in der Fanar-
                      men Auswärtsfahrten oder ähnlichen Veran-           beit sind nach wie vor fast durchweg mit Männern
                      staltungen werden Frauen mitunter explizit          besetzt. Daher fehlt oftmals ein Bewusstsein
                      ausgeladen.                                         dafür, was nötig wäre, um mehr weibliche Fans

                           Das Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt hat ein Handlungskonzept
                           zum Schutz der Betroffenen für alle im Zuschauer*innensport Fußball agierenden
                           Akteur*innen vorgelegt. Das Konzept richtet sich besonders an Vereine und Verbän-
                           de, Fanprojekte, Fangruppen und -clubs, Sicherheits- und Ordnungsdienste sowie
                           Polizeien. Ziel ist es, Handlungsbedarfe und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
                           https://www.fussball-gegen-sexismus.de/wp-content/uploads/2019/11/
                            Broschüre_Handlungskonzept_Auflage_2.pdf

                      10
Zwar haben Faninitiativen mehr
                                                      Sensibilität und Haltung entwickelt und es
                                                      gelten neue Regularien, so dass ein Spiel
                                                      bei rassistischen Vorfällen abgebrochen werden
                                                      kann. Doch das betrifft nur den plakativen
                                                      Rassismus. Daneben findet sich im Fußball
                                                      wie in allen gesell­schaftlichen Bereichen
                                                      ungebrochen ein latenter Rassismus.

ins Stadion zu holen. Denn nicht um pinkfarbene       fällt es Spielern wie Fans schwer, offen zu ihrer
Fanartikel oder ermäßigte Eintrittskarten inklu-      sexuellen Orientierung zu stehen, da sie Abwer-
sive Sekt geht es dabei. Sondern darum, Frauen        tung und Ausgrenzung im eigenen Verein, in der
als Fans ernst zu nehmen und vor Übergriffen im       eigenen Mannschaft oder im eigenen Fanblock
oder auf dem Weg zum Stadion zu schützen.             befürchten.
                                                           Abgewertet wird nicht nur Homosexualität,

                                                                                                                                                    SERVICETEIL
Heterosexismus                                        sondern jegliche Abweichung von einer ange-
„Überlegen Sie doch mal: Da sitzen zwanzig junge      nommenen zweigeteilten Geschlechterordnung
Männer an den Tischen und trinken. Da lässt man       in Männer und Frauen oder der vorgegebenen
die Mehrheit gewähren, solange die Witze halb­        Heterosexualität. Das zeigen beispielsweise die

                                                                                                                                                    PRAXISEMPFEHLUNGEN
wegs witzig sind und das Gequatsche über Homo­        Anfeindungen gegen die trans Rapperin Faulen-
sexuelle nicht massiv beleidigend wird.“4 Thomas      zA, die sich in der queeren Fanszene des SV Ba-
­Hitzlsperger outete sich 2014 als erster Profifuß­   belsberg 03 engagiert und deswegen Beleidigun-
 baller nach seinem Karriereende als homosexuell.     gen und sogar Morddrohungen ausgesetzt ist. In
                                                      einem Interview zitierte sie einen Beleidiger mit
Auch Heterosexismus, also die Abwertung ge-           den Worten: „Vergiss es, Fußball bleibt männlich

                                                                                                                                                    HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
schlechtlicher und sexueller Vielfalt, ist ein Pro-   und Fußball wird auch nicht feminin werden.”5
blem im Männerfußball. Die eingangs skizzierte
Idealvorstellung einer dominanten und hetero-         Rassismus
sexuellen Männlichkeit muss aus dieser Perspek-       In der Vergangenheit gab es bei einem Fußball­verein
tive heraus verteidigt werden. „Schwulsein dient      Probleme mit klar rechtsextremen Mit­
hierbei als Synonym für Schwäche”, schreibt das       gliedern. Bei der Unterstützung durch 4. Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger im
                                                                                                              Interview bei Zeit Online: https://
Netzwerk Fußballfans gegen Homophobie. So             das Mobile Beratungsteam ging es u. a.                  www.zeit.de/sport/
                                                                                                              2014-01/thomas-hitzlsperger-­
gehören homosexuellenfeindliche Schimpf-              um eine glaubwürdige Distanzierung vom
                                                                                                                                                    EINLEITUNG HINTERGRÜNDE

                                                                                                              homosexualitaet-fussball

worte und Beleidigungen weiterhin zum Fuß-            Rechtsextremismus, begleitet durch Öf­ 5. Siegessäule, https://www.siegessaeule.de/
                                                                                                             magazin/faulenza-die-mainstream-
ball-Alltag, etwa wenn ein misslungener Pass als      fentlichkeitsarbeit und symbolisches Han­              macker-wollen-­nicht-dass-ich-die-

„schwul“ bezeichnet wird. Das mag nicht immer         deln (z. B. Plaketten/Banner mit klaren Be­            fu%C3%9Fballszene-­
                                                                                                             repr%C3%A4sentiere/;
reflektiert sein, doch für Fußballer wie Thomas       kenntnissen gut sichtbar im Stadion). Nun
                                                                                                              https://plus.tagesspiegel.de/sport/
Hitzlsperger und für homosexuelle Fans auf den        stand der Verein nach vielen Jahren wie­                transphobie-im-fussball-da-gab-

Rängen bedeutet es, regelmäßig mit abwerten-          der negativ in der Presse, weil es einen                es-viel-hate-und-sogar-zwei-­
                                                                                                              morddrohungen-­
den Aussagen konfrontiert zu sein. Auch deshalb       Spielabbruch gab, dem eine rassistische                 295255.html

                                                                                                                                                    10
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EINLEITUNG HINTERGRÜNDE           HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN               PRAXISEMPFEHLUNGEN         SERVICETEIL

                               ­ eleidigung ­gegen einen Schwarzen Spieler der gegne­
                               B                                                                   zialismus gleichgesetzt wird. Die NPD verbrei-
                               rischen Mannschaft vorangegangen sein soll.                         tete 2018 einen WM-Planer und T-Shirts mit
                                                                                                   dem Slogan „Deutschland statt Die Mannschaft“.
                                          Rassistische Beschimpfungen, Affenlaute oder             Die neonazis­tische Kleinstpartei „Der III. Weg“
                                          gar Bananenwürfe gegen Schwarze Spieler sind             versuchte in der Saison 2020/21, durch eine
                                          in den vergangenen Jahren aufgrund repres-               rassistische Kampagne gegen Türkgücü Mün-
                                          siver, aber auch präventiver Maßnahmen sei-              chen „Unser Stadion, unsere Regeln! Türkgücü
                                          tens der Vereine und Verbände, aber auch der             München nicht willkommen“ Stimmung gegen
                                          Fanszenen, weniger geworden. Trotz allem kom-            den ersten migrantischen Verein in der dritten
                                          men sie quer durch die Ligen immer wieder vor.           Liga zu machen.
                                          So beschimpfen Eltern bei einem Heimspiel in                  Sowohl auf den Rängen als auch in der Be-
                                          der C-Jugend die gegnerischen Schwarzen Spie-            richterstattung ist allgegenwärtig, wie Spielern
                                          ler mit dem N-Wort oder im Pokalspiel bei Schal-         bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften in
                                          ke 04 wird Jordan Torunarigha, damals Vertei-            ethnisierender und exotisierender Weise zu-
                                          diger bei Hertha BSC, von den Tribünen aus mit           geschrieben werden. Eine Studie untersuchte
                                          Affenlauten erniedrigt.6                                 2.700 Minuten Live-Kommentar zur Fußballwelt-
                                                Zwar haben Faninitiativen mehr Sensibilität        meisterschaft 2018 und kam zu dem Ergebnis,
                                          und Haltung entwickelt und es gelten neue Regu-          dass Schwarze Spieler vor allem für ihre Physis,
                                          larien, so dass ein Spiel bei rassistischen Vorfällen    wie etwa Athletik und Schnelligkeit, gelobt wur-
                                          abgebrochen werden kann. Doch das betrifft nur           den, weiße Spieler hingegen für ihre kognitiven
                                          den plakativen Rassismus. Daneben findet sich im         bzw. erlernten Fähigkeiten wie Technik oder Pass-
                                          Fußball wie in allen gesellschaftlichen Bereichen        spiel.7 Sportlichkeit wurde also unmittelbar mit
                                          ungebrochen ein latenter Rassismus. Verstärkt            Geburt oder Hautfarbe in Verbindung gebracht.
                                          wird dies durch den seit der Männerfußball-WM            Auch das verdeutlicht, wie rassistische Denkmus-
                                          2006 in Deutschland wieder offensichtlicher zur          ter im Fußball unreflektiert weiter bestehen.
                                          Schau getragenen Nationalismus. So kommt es
                                          immer wieder zu Diskussionen, wer für die deut-          Antisemitismus
                                          sche Nationalmannschaft spielen dürfe und das            Beim Training wird der israelische Spieler des 1. FC
                                          Land auch wirklich vertreten könne, und mitunter         Kaiserslautern, Itay Shechter, von Fans antisemi­
                                          sogar zu einer Kontrollobsession, welche Spieler         tisch beleidigt. Zudem wird ihm der Hitlergruß ge­
                                          die Nationalhymne mitsingen.                             zeigt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in
                                                          An dieses National- und Heimat-          Deutschland, Dieter Graumann, mahnt: „Gerade
    6. Süddeutsche, https://www.sueddeutsche.
                                                      konstrukt versuchen auch extrem              als begeisterter Fußballfan bin ich total schockiert.
                     de/sport/torunarigha-­           rechte Akteur*innen und Kampagnen            Denn wenn ausgerechnet der Sport missbraucht
                     schalke-1.4785417
                                                      anzuknüpfen. Und es passt zum Selbst-        wird, um Rassismus und Judenhass zu transportie­
                                                      verständnis des starken, solda­tischen       ren, dann ist das eine Schande und ein Skandal für
    7. Campbell, Paul Ian/Bebb, Louis (2020):
    “He is like a Gazelle (when he runs)”. (Re)       Mannes, der kameradschaftlich für            den ganzen deutschen Fußball.“ 8
    constructing race and nation in match-day
    commentary at the men’s 2018 FIFA World
                                                      seine Interessen kämpft. Zu diesen In-
    Cup, in: Sports in Society, 25, S. 144-162.       teressen zählt auch die Verteidigung         So facettenreich, wie sich Antisemitismus in der
    8. RP Online, https://rp-online.de/sport/
                      fussball/bundesliga/
                                                      von einem bestimmten Heimatbild,             Gesellschaft darstellt, so unterschiedlich findet
                      eine-schande-­fuer-den-         das im völkischen Sinne mit der Blut-        er sich auch im Fußball wieder. Im Stadion ist of-
                      deutschen-­fussball_aid-
                      13756091                        und Boden-Ideologie des Nationalso-          fen geäußerter Antisemitismus aufgrund der

                               12
gestiegenen Sensibilisierung in unserer Gesell-           In den Vereinen und
schaft und vielen Fanszenen selten geworden.         Verbänden benötigt es
Explizite Äußerungen wie gegen Itay Shechter         vor allem Empathie,
oder auch die unverhohlen antisemitische Ab-         Reflexionsfähigkeit und
wertung eines ganzen Vereins, wie sie etwa der       die Implementierung
sächsische Regionalligist BSG Chemie Leipzig         weiterführender
immer wieder erfährt, kommen in der Regel nur        Maßnahmen, um von
noch von extrem rechten Fans oder ­Hooligans.        Diskriminierung
Doch außerhalb des Stadions, wo das ­Reglement       Betroffene unterstützen
weniger streng und die Gefahr einer Bestrafung       zu können.
geringer ist, ist das anders. So kennen vermutlich
die meisten Fußballfans das häufig gerichtlich als
Volksverhetzung eingeordnete „U-Bahn-Lied“,          fentlich wahrnehmbarer Form für die Unverletz-
das bisweilen auf dem Weg zum Stadion oder im        barkeit der Menschenwürde und gegen Antise-
öffentlichen Nahverkehr gegen die gegnerische        mitismus, Rassismus und Ausgrenzung einsetzen.
Mannschaft angestimmt wird. Die immer noch           Der Preis wurde benannt nach dem deutsch-­
weite Verbreitung (zum Teil unbewusster) an-         jüdischen Fußballnationalspieler ­Julius Hirsch,

                                                                                                                                             SERVICETEIL
tisemitischer Denkmuster zeigt sich aber auch,       der 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet wur-
wenn der gerne als Inbegriff einer Kommerziali-      de, und soll an die vor allem jüdischen Opfer des
sierung des Fußballs kritisierte Bundesligist RB     ­Nationalsozialismus erinnern. Und viele Vereine,
Leipzig als „Rattenball Leipzig“ geschmäht wird       die aktive Bildungsarbeit gegen Antisemitismus

                                                                                                                                             PRAXISEMPFEHLUNGEN
und sich gegnerische Fans als „Schädlingsbe-          betreiben, widmen sich in diesem Zusammen-
kämpfer“ bezeichnen.9 Diese Ungeziefermeta-           hang auch der historischen Aufarbeitung ihrer
phorik wurde bereits von der antisemitischen          Geschichte während des Nationalsozialismus.
Propaganda des Nationalsozialismus zur Ent-
menschlichung von Jüdinnen und Juden genutzt.        Auf einem guten Weg – aber es ist noch
     Besonders betroffen von Antisemitismus          viel zu tun

                                                                                                                                             HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
aber sind jüdische Vereine. Dies wurde im Ok-        All das zeigt: Im Fußball bündeln sich nach wie vor
tober 2021 beim Conference-League-Spiel              menschenfeindliche Phänomene. Gerade im Män-
zwischen dem 1. FC Union Berlin und Maccabi          nerfußball zeigt sich, dass die Vorstellungen von
Haifa einmal mehr deutlich, als Anhänger*innen       Männlichkeit die beschriebenen Probleme auf-
des israelischen Clubs von Union-Fans antise-        rechterhalten. Hier benötigt es in den Vereinen
mitisch beschimpft und angegriffen wurden.10         und Verbänden vor allem Empathie, Reflexionsfä-
Auch Vereine, die im jüdischen Turn- und Sport-      higkeit und die Implementierung weiterführender
verband Makkabi Deutschland organisiert sind,        Maßnahmen, um von Diskriminierung
                                                                                                                                             EINLEITUNG HINTERGRÜNDE

berichten immer wieder von Antisemitismus bei        Betroffene unterstützen zu können. 9. Fußball gegen Nazis, https://www.
                                                                                                              fussball-gegen-nazis.de/
Spielen gegen andere Vereine.                        Festzuhalten gilt, dass sich bereits viele               beitrag/vom-judenklub-
                                                                                                              bayern-bis-zum-rattenball-
     Öffentlich werden solche Vorfälle scharf        Engagierte mit gezielten Projekten und                   leipzig-struktureller-­

verurteilt. Vereine, Fanarbeit und Verbände in-      Kampagnen für eine offene Fußballkul- antisemitismus-im-fussball
                                                                                                10. Deutschlandfunk, https://www.
itiieren Projekte und Aktionen gegen Antisemi-       tur einsetzen und sich um ein gemein-                    deutschlandfunk.de/

tismus. So vergibt der DFB seit 2015 jährlich den    schaftliches Zusammensein auf und                        antisemitismus-beim-spiel-
                                                                                                              union-berlin-­maccabi-haifa-
Julius-Hirsch-Preis an Engagierte, die sich in öf-   neben dem Fußballplatz bemühen.                          die-100.html

                                                                                                                                             12
                                                                                                                                             13
EINLEITUNG HINTERGRÜNDE   HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN   PRAXISEMPFEHLUNGEN    SERVICETEIL

                      Fußball und Gewalt:
                      das Beispiel Hooligans
                      Von der gewaltaffinen Jugendkultur zum international
                      organisierten Kampfsportnetzwerk: Rechtsextreme Gruppen
                      waren bei der Entwicklung des Hooliganismus führend

                      von Robert Claus

                      E    s ist ein Mythos, dass Hooligans die Ge-
                           walt in den Fußball gebracht hätten –
                      vielmehr waren lokale und regionale Derbys
                                                                          der Fußball-WM 1998 in Frankreich hatten
                                                                          deutsche Hooligans den französischen Gen-
                                                                          darmen Daniel Nivel beinahe zu Tode geprü-
                      schon viele Jahrzehnte zuvor von gewalttä-          gelt, was medial die anstehende Bewerbung
                      tigen Auseinandersetzungen geprägt. Der             des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) um die
                      Hooliganismus organisierte diese Gewalt als         Ausrichtung der WM 2006 zu gefährden droh-
                      eigenständige Szene mit eigenen Netzwerken          te. Stadionumbauten, der Auf- und Ausbau po-
                      und Medien.                                         lizeilicher Karteien sowie diverse Präventions-
                          Entstanden ist der Hooliganismus im bri-        maßnahmen waren die Folge. Sie drängten den
                      tischen Fußball der 1960er-Jahre aus den sei-       Hooliganismus ein Stück weit aus den Stadien.
                      nerzeit stark proletarisch und männlich gepräg-     Zudem entwickelte sich Ende der 1990er-Jah-
                      ten Fanszenen. In Westdeutschland gründeten         re die Ultrakultur mit ihren Choreografien zum
                      gewaltaffine Fußballfans die ersten Hooligan-       prägenden Phänomen in vielen Fankurven. Vie-
                      gruppen Ende der 1970er-Jahre, etwas später         le Ultras grenzten sich von den älteren rechten
                      geschah das auch in der DDR. Die Gruppen wa-        Hooligans ab.
                      ren damals stark jugendkulturell geprägt, eher
                      lose organisiert und dominierten bis tief in die    Professionalisierte Strukturen
                      1990er-Jahre viele Fankurven in Deutschland.        Doch hat der Hooliganismus die Stadien nie
                      Mehrfach gab es Versuche von Akteur*innen           komplett verlassen. Zugleich entwickelten Hoo-
                      des militanten Neonazismus, Hooligans zu re-        ligans weitere Aktivitäten, trafen sich zum Bei-
                      krutieren, doch blieb die politische Arbeit vie-    spiel vermehrt zu Gruppenkämpfen in Wäl-
                      len Hooligans in der BRD fremd. Erfolgreich         dern und Industriegebieten – den sogenannten
                      waren die Versuche nur an bestimmten Orten          Ackermatches. Zudem hat sich die Szene euro-
                      wie Dortmund oder Bremen. In Ostdeutsch-            päisiert und pflegt heutzutage intakte internati-
                      land wiederum ist eine Verzahnung zwischen          onale Netzwerke. Auf Accounts in den sozialen
                      Hooliganismus und rechtsextremen Kamerad-           Medien wie GruppaOF oder Hooligans TV wer-
                      schaften seit den 1990er-Jahren stärker zu          den Videos von Kämpfen und viel rechtsextreme
                      beobachten.                                         Symbolik gepostet.
                          Zwischen 1998 und 2006 durchlief die                Zudem hat die Szene ihre Strukturen und
                      Szene eine Krise und reorganisierte sich. Bei       Aktivitäten im Kampfsport stark ausgebaut,

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sodass es heute kaum noch Hooligans gibt,               Allerdings sind
die keinen Kampfsport betreiben. Dazu gehö-        Hooliganismus und
ren auch geschäftliche Strukturen in Form von      Rechtsextremismus im
Kampfsportstudios, Kleidungsfirmen, Versän-        Fußball trotz aller
den für Proteinhandel und Kampfsportevents.        Schnittmengen nicht
Insbesondere Boxen, Kickboxen und Mixed            identisch. Die Fanszenen
Martial Arts werden auf Veranstaltungen, die       haben sich im Laufe der
aus der Szene kommen oder ihr nahestehen, an-      Jahrzehnte aus­
geboten: unter anderem auf dem extrem rech-        differenziert, auch auf­
ten Event „Kampf der Nibelungen“, der bis 2016     grund von Konflikten um
existierenden Leipziger „Imperium Fight Night“     die Themen Vielfalt und
oder auch der „Fair Fighting Champion­ship“ in     Antidiskriminierung,
Nordrhein-Westfalen. Der Hooligan­ismus hat        Gewalt und Rechts­
sich von einer gewaltaffinen Jugendkultur in den   extremismus.
Fanszenen des Fußballs zu einem international
organisierten, professionalisierten Kampfsport-
netzwerk entwickelt. Das ist die zentrale Ent-     ganismus steht ein gewalttätiges Ideal von

                                                                                                SERVICETEIL
wicklungslinie.                                    Männlichkeit. Kämpfende Frauen kennt der
    Trotz aller Veränderungen bestehen dabei       Hooliganismus kaum. Von den Männern wird
jedoch viele Kontinuitäten: Im Kern des Hooli-     die nur rudimentär durch Regeln eingehegte

                                                                                                PRAXISEMPFEHLUNGEN
                                                                                                HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
                                                                                                EINLEITUNG HINTERGRÜNDE

                                                                                                14
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EINLEITUNG HINTERGRÜNDE   HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN    PRAXISEMPFEHLUNGEN    SERVICETEIL

                      Gewalt in den Kämpfen nicht allein als Sport         sozialpädagogischen Fanprojekte widmen. Ihr
                      verstanden. Sie ist zugleich das Mittel, um die
                      eigene Männlichkeit und Attribute wie Härte,
                      Standhaftigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu
                      beweisen. Hooligans gelten nicht unbedingt als
                      schwach, wenn sie Kämpfe verlieren. Sie gelten
                      aber als unmännlich, wenn sie sich dem Kampf
                      nicht gestellt haben. Dieses kampf- bzw. ge-
                      waltorientierte, sehr traditionelle Verständnis
                      von Männlichkeit und der darin liegende Sozi-
                      aldarwinismus sind obendrein die wesentliche
                      Schnittmenge zur extremen Rechten. So gibt es
                      heute unter anderem personelle Überschnei-
                                                                             Robert Claus veröffentlichte „Hooligans –
                      dungen mit der neonazistischen Kleinstpartei
                                                                              Eine Welt zwischen Fußball, ­Gewalt und
                      „Der III. Weg“. In der gesamten Entwicklung des
                                                                              Politik“ (2017) sowie „Ihr Kampf – Wie
                      Hooliganismus waren extrem rechte Gruppen
                                                                              ­Europas extreme Rechte für den Umsturz
                      stets führend.
                                                                               ­trainiert“ (2020), beide im ­
                                                                                Verlag Die Werkstatt, Bielefeld.
                      Ausdifferenzierte Fanszenen
                                                                                http://robertclaus.de
                      Allerdings sind Hooliganismus und Rechtsex­
                      tremismus im Fußball trotz aller Schnitt­mengen
                      nicht identisch. Zum einen gibt es Hooligans
                      aus eher links orientierten Fanszenen. Zum an-       Auftrag besteht darin, über institutionalisierte
                      deren sind menschen- und demokratiefeindli-          Beziehungsarbeit mit jungen Fußballfans de-
                      che Einstellungen bekanntlich auch bei ­anderen      ren Persönlichkeitsentwicklung – ebenso Ge-
                      ­Akteur*innen des Fußballs zu finden, seien es       waltprävention und Antidiskriminierung – zu
                       Fanclubs, Sponsoren, Stadionpersonal oder           fördern. Zugleich muss eine präventive Arbeit
                       Funk­tio­när*innen, um nur einige zu nennen.        biografische Erfahrungen der Jugendlichen be-
                            Die Fanszenen haben sich im Laufe der Jahr-    achten und benötigt Resonanzraum sowohl im
                       zehnte ausdifferenziert, auch aufgrund von Kon-     politischen Diskurs als auch in der Arbeit der
                       flikten um die Themen Vielfalt und Antidiskrimi-    Proficlubs, denen sich die jeweiligen Fans zuge-
                       nierung, Gewalt und Rechtsextremismus. An           hörig fühlen. Gefordert ist hier ein mehrdimen-
                       einigen Standorten des Profifußballs sind rechte    sionaler Ansatz.
                       Hooligans gewalttätig gegen Fans vorgegangen,
                       die sich gegen Diskriminierung engagieren. An
                       anderen Orten liegen die Machtverhältnisse
                       eher zugunsten progressiver Ultras. Homogen
                       hingegen ist keine Fanszene in Deutschland,
                       vielmehr finden konstante Aushandlungspro-
                       zesse statt.
                            Präventionsarbeit wiederum ist ein kom-
                       plexes Unterfangen, dem sich vorrangig die

                      16
Positionieren – aber wie?
Der Fußball hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension.
Das zu ignorieren und als Verein vermeintlich neutral bleiben
zu wollen, ist der falsche Weg

F     ußball ist politisch. Allein die 22 Spie-
      ler*innen, die während eines regulären
Fußballspiels auf dem Platz stehen, sind 22
                                                    produktives Feld für Deutungskämpfe, für sozia-
                                                    le und politische Auseinandersetzungen sein und
                                                    für wichtige Werte oder Proteste eine großarti-
Gesellschaftsmitglieder mit unterschiedli-          ge Plattform anbieten.
chen Eigenschaften, Biografien, Vorlieben
und Werten, die sie für besonders richtig und       Vereine sind Orte der Auseinandersetzung
wichtig halten.                                     Denkt man an Fußball als Ausdruck gesellschaft-
     Sie stellen ihre Haltungen zwar nicht plaka-   licher Werte und Konflikte, so springen die Bil-
tiv nach vorn wie etwa bei einer Demonstration,     der der Spektakel ins Auge, der kontinentalen
aber sie legen sie auch nicht ab, wenn sie sich     Meisterschaften oder der Weltmeisterschaft,

                                                                                                                                           SERVICETEIL
ein Trikot überziehen. Bereits das bringt viele     die große internationale Aufmerksamkeit erfah-
verschiedene Facetten unserer Gesellschaft          ren und ein Millionenpublikum erreichen. Die-
aufs und ums Spielfeld. Wenn dann noch die          se Spektakel können zweifelsohne Bühnen sein
Schiedsrichter*innen, Trainer*innen, weiteres       für politische Auseinandersetzungen. Doch sie

                                                                                                                                           PRAXISEMPFEHLUNGEN
Vereinspersonal, Stadionmitarbeitende und           sind selten. Für sehr viele Menschen ist der Be-
Hunderte, Tausende oder Zehntausende Fans           zug zum Fußball unmittelbarer und alltäglicher:
dazukommen – dann handelt es sich häufig um         In Deutschland kicken pro Saison rund zwei Mil-
nicht weniger als den viel zitierten „Querschnitt   lionen Spieler*innen in knapp 130.000 gemelde-
der Gesellschaft“. Oder zumindest um etwas,         ten Teams und tragen 1,5 Millionen Spiele aus.
was diesem auf wenig Fläche recht nah kommt.        Über sieben Millionen Menschen sind Mitglied

                                                                                                                                           EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
     Fußball kann mit seiner politischen Dimen-     von mehr als 24.000 Vereinen.1
sion negativ wirken – sei es durch sozialen Aus-        Diese Vereine stellen Tag für Tag, Woche
schluss etwa durch Kommerzialisierung und die       für Woche nicht nur den institutionellen Rah-
Verteuerung der Teilnahmebedingungen, sei es        men für die sportliche Betätigung. Sie sind
durch die (Weiter-)Verbreitung von Ideologien       Orte der Begegnung, des Austauschs, des Mit-
menschlicher Ungleichwertigkeit wie Rechts-         einanders, der Auseinandersetzung. Sie sind
extremismus, Rassismus, Antisemitismus oder         neben Schulen, Familien, Kirchen oder kultu-
Sexismus. Er kann unterdrücken und instrumen-       rellen Einrichtungen ganz wesentlicher Teil
talisiert werden für Unterdrückung und Spal-        eines Sozialraums bzw. sind selbst ein Sozial-
tung. Fußball kann allerdings auch positiv wir-     raum. Damit sind auch sie selbstverständlich
ken. Er kann für Vergemeinschaftung stehen, er      mit gesellschaftspolitischen Fragen
kann die Unterschiede der Beteiligten vergessen     konfrontiert. Das beginnt bei loka- 1. Alle Zahlen stammen vom DFB und geben
                                                                                             den Stand vor der Corona-Pandemie wieder.
machen, Brücken bauen, zusammenschweißen,           len und regionalen Entwicklungen                        https://www.dfb.de/
kollektiv Emotionen erlebbar machen. Er kann        wie beispielsweise der vorüberge-                       verbandsstruktur/mitglieder/
                                                                                                            aktuelle-statistik/
aber mehr als nur vereinheitlichen, er kann ein     henden Umwandlung der eigenen

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EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN    PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL

                            Im Grundgesetz gibt                        kerung in „Wir“ und „die Anderen“. Dem kann
                      es keine Neutralitäts­                           der Fußball wie auch der Sport insgesamt eine
                      pflicht für Fußball­vereine.                     intrinsische wie empirisch erfahrbare Gegener-
                      Man kann sich also                               zählung entgegenstellen. Intrinsisch wirkt, dass
                      deutlich gegen Rechts­                           alle Menschen im Verein unabhängig von ihrer
                      extremismus, Rassismus,                          Position in der Gesellschaft eines verbindet
                      Anti­semitis­mus und                             – die Leidenschaft für den Fußball, der Wille
                      Diskriminierung                                  und die Bereitschaft, gemeinsam zu spielen,
                      einsetzen und Werte wie                          gemeinsam an einem Wettbewerb teilzuneh-
                      Vielfalt, Offenheit,                             men, gemeinsam zu gewinnen und zu verlieren.
                      Toleranz und Pluralismus                         Dieser Teamgeist bringt Menschen zusammen,
                      hochhalten.                                      die gesellschaftspolitisch von Rechtsextremen
                                                                       und Rechtspopulist*innen aufgrund bestimm-
                                                                       ter Identitätsmerkmale auseinandergetrieben
                     ­ porthalle zur Winterunterkunft für Geflüch-
                     S                                                 werden sollen. Damit einher geht der empiri-
                     tete und reicht bis zu überregionalen Ereignis-   sche Aspekt dieser Gegenerzählung: Das ganz
                     sen wie dem Einzug von Rechtspopulist*innen       konkrete Beispiel der eigenen Fußballmann-
                     und Rechtsextremen in die Parlamente und der      schaft zeigt, dass die Gemeinsamkeit funktio-
                     damit einhergehenden Hetze gegen muslimisch       niert – von einer vermeintlichen Unverträglich-
                     gelesene Menschen, die auch Teil des eigenen      keit zwischen verschiedenen Religionen oder
                     Vereins sind. In der Kabine, beim Aufwärmen,      Herkünften ist auf dem Platz und drumherum
                     beim Training und auf dem Nachhauseweg            keine Spur, im Gegenteil.
                     wird darüber diskutiert, wird die Meinung der
                     geschätzten Teamkolleg*innen eingeholt und        „Neutralität“ als rechter Kampfbegriff
                     überlegt, inwiefern sich diese Ereignisse und     Häufig entschließen sich Aktive in Fußballver-
                     Entwicklungen auf das eigene Miteinander im       einen zu einer gemeinsamen Positionierung für
                     Verein auswirken.                                 Vielfalt, Offenheit und Toleranz, gegen Rechtsex-
                         Ideologien menschlicher Ungleichwertig-       tremismus, Rassismus und Antisemitismus. Das
                     keit beruhen auf einer Aufteilung der Bevöl-      kann sich in öffentlichkeitswirksamen ­Aktionen

                          Die Deutsche Sportjugend stellt Materialien für den rechtssicheren Umgang
                          mit ­Positionierungen, Vermietungen und Einladungen im Sport zur Verfügung:
                          https://www.dsj.de/news/artikel/rechtssicherheit-politisch-neutral-der-
                          umgang-mit-positionierungen-vermietungen-und-einladungen-im-s/

                           ie Mobile Beratung Berlin hat auf Basis von Beratungsprozessen mit
                          D
                          Bezirks­ämtern in Abstimmung mit dem Berliner Senat einen entsprechenden
                          Abschnitt in der Sportanlagen-Nutzungsverordnung (SPAN) ­verankert
                          (Anlage 1, Abschnitt 10): https://www.sportverbund-­berlin.de/wp-content/
                          uploads/sites/32/2020/09/Neufassung_SPAN_2020.pdf

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und Kampagnen, in einer neu formulierten, ge-
lebten Vereinskultur oder auch in Satzungsän-
derungen ausdrücken. Damit nutzen die Verei-
ne den Sport für eine politische Positionierung,
indem sie sich für Werte des Miteinanders ein-
setzen und denjenigen, die dieses Miteinander
mit Füßen treten wollen, eine Absage erteilen.
In Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung
und des Erstarkens antidemokratischer Positio-
nen nutzen sie ihr sozialräumliches Sprachrohr,
um Haltung zu zeigen.
     Oft begegnen sie dabei demselben Ein-
wand: Sie dürften keine Stellung beziehen, weil
Neutralität gewahrt werden müsse. Das kann
gut gemeint sein, etwa wenn Vereinsmitglieder
grundsätzlich nichts gegen eine Positionierung
haben oder diese sogar befürworten, aber politi-

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sche und rechtliche Konsequenzen befürchten.
Zumeist kommt die Forderung nach Neutralität
allerdings systematisch von den Gegner*innen
der offenen Gesellschaft – von Rechtspopu-

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list*innen und Rechtsextremen, die Neutrali-
tät als strategischen Kampfbegriff nutzen. Ihr
Ziel ist es, diejenigen, die offensiv Haltung für
die offene Gesellschaft zeigen möchten, zu
verunsichern, einzuschüchtern und sie letzt-        Vielfalt, Offenheit, Toleranz und Pluralismus hoch-
endlich eben von dieser Haltung abzubringen.        halten. Hierbei ist es entscheidend, sich nicht auf

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Über solche „Geländegewinne im Kleinen“ – auf       eine Positionierung gegen einzelne Akteur*innen
der Ebene von Vereinen, kommunalen Initiati-        zu verengen, sondern bei Inhalten und Werten zu
ven usw. – wollen Rechtspopulist*innen und          bleiben. Dies ist auch vor dem Hintergrund der
Rechtsextreme nach und nach eine permanen-          steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit von großer
te Verschiebung des gesellschaftspolitischen        Bedeutung. Eine „parteipolitische Neutralität“
Wertesystems erreichen, weg von Idealen wie         kann es geben, aber eben keine „Werteneutrali-
Menschenrechten und Gleichheit und hin zu           tät“ oder Gleichgültigkeit gegenüber zentralen
den eigenen autoritären und regressiven Vor-        Normen und Werten des Miteinanders. Nur
stellungen.                                         durch klare Positionierungen ermöglicht man
     Es sollte also klar benannt werden, worum es   allen Menschen unabhängig von ihren Identi-
beim Thema Neutralität genau geht. Im Grund-        tätsmerkmalen, am Fußballleben im Verein teil-
gesetz gibt es keine Neutralitätspflicht für Fuß-   zuhaben, und schützt damit gesellschaftliche Min-
ballvereine. Man kann sich also deutlich gegen      derheiten vor dem Ausschluss. Man handelt also
Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus        im Sinne eines inklusiven Ansatzes für den Verein
und Diskriminierung einsetzen und Werte wie         im Sozialraum und für gesellschaftliche Teilhabe.

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EINLEITUNG HINTERGRÜNDE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN     PRAXISEMPFEHLUNGEN SERVICETEIL

                           Je höher die Ebene im organisierten Fuß-     positives Beispiel für eine unterstützende Ver-
                      ball, desto präziser müssen die Akteur*innen      bandsarbeit. Nach zahlreichen diskriminieren-
                      ihre Positionierung vornehmen. Ein einzelner      den Vorfällen auf Berlins Fußballplätzen mach-
                      Fußballverein kann das relativ schnell und un-    ten einzelne Vereine Druck und forderten eine
                      kompliziert tun. Er kann ein Statement veröf-     klare Positionierung der Berliner Fußballwelt.
                      fentlichen, Banner aufhängen, rechtsextreme       Der BFV entschloss sich, dem nachzukommen
                      Äußerungen und Symbole am Sportplatz un-          und entwickelte mit fachkundiger Unterstützung
                      tersagen, die Satzung ändern usw. Bei Verbän-     ein niedrigschwelliges Angebot. Eine Bannerakti-
                      den sind solche Prozesse langwieriger. Erstens    on ermöglichte es Vereinen zunächst, öffentlich
                      sind mehr Menschen involviert, die Entschei-      Stellung gegen Rassismus und Antisemitismus zu
                      dungs- und Kommunikationswege sind länger.        beziehen. Bei weiterem Bedarf konnten sie Bera-
                      Zweitens haben Verbände einen ganz anderen        tung und Fortbildung durch die MBR bekommen.
                      Repräsentationsanspruch; eine Vielzahl von             Trotz der Corona-Pandemie hängen die Ban-
                      Vereinen sind dort Mitglied, entsprechend         ner bereits an knapp 40 Berliner Fußballplätzen.
                      vielfältig können die Positionen und Sensibili-   Neben der Beratung von Vereinen fand durch die
                      sierungsgrade sein, die im Verband aufeinan-      MBR eine Rassismus-Sensibilisierung für Ber-
                      dertreffen. Verbänden fällt damit die Aufgabe     liner Schiedsrichter*innen statt, die mittelfristig
                      zu, zu moderieren und verschiedene Stimmen        in den jeweiligen Bezirkslehrgemeinschaften
                      miteinzubeziehen. Allerdings sollten Verbände     verstetigt werden soll. Darüber hinaus will der
                      auch nicht blockieren oder die Initiative eines   Verband die Meldung diskriminierender Vorfälle
                      Vereines im Sinne einer völlig falsch verstan-    vereinfachen, hat klare Ansprechpartner*innen
                      denen Neutralität behindern. Sie sollten viel-    benannt und führt kontinuierlich die inhaltliche
                      mehr Aufklärung und Unterstützung anbieten        Auseinandersetzung – sowohl auf Verbandse-
                      und die Vereine bei ihren Diskussions- und Ent-   bene als auch im Dialog mit den Vereinen. Denn
                      scheidungsprozessen begleiten.                    ohne die Impulse aus den Vereinen könnte eine
                                                                        solche Kampagne nicht zustande kommen, ge-
                      „Kein Platz für Rassismus und                     schweige denn erfolgreich sein.
                      Antisemitismus“                                        Es ist klar, dass Rassismus und Antisemitis-
                      Die Kampagne „Kein Platz für Rassismus und        mus damit nicht von den Berliner Fußballplätzen
                      Antisemitismus“ des Projekts „Berlin gegen Na-    verschwinden werden. Dennoch ist die Kampagne
                      zis“ zusammen mit dem Berliner Fußballverband     ein wichtiger Beitrag für die Zusammenarbeit von
                      (BFV) in Kooperation mit der Mobilen Beratung     Vereinen, Verbänden und der Zivilgesellschaft zur
                      gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) ist ein      Stärkung demokratischer Positionen und Werte.

          Mit Unterstützung der Mobilen Beratung Berlin hat der Berliner Fußball-Verband ­unterschiedliche
                               Formate gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Diskriminierungs­
                               formen entwickelt. Der BFV setzt gemeinsam mit Berlin gegen Nazis ein klares
                               Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus im Berliner Fußball.
                               https://www.berliner-fussball.de/news/kein-platz-fuer-
                               rassismus-kampagnenfilm-veroeffentlicht/

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