So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg

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So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
© Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach

»... so hoffe
ich auf dich«
Psalm 56,4

Jahresrückblick 2020/21
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
Weil wir selbst Hoffnung haben,
HILFE                                                                                   können wir Hoffnung weiter-
                                                                                        geben. Hoffnung hilft Menschen,
IM LEBEN                                                                                ihr Leben zu gestalten. Sie hilft
                                                                                        aufzustehen – aus eigener Kraft,
                                                                                        gestärkt vom Zuspruch und Zu-

                         Tätigkeitsfelder und Einrichtungen der Stadtmission Nürnberg
                                                                                        trauen des Gegenübers.

                                                                                        Hilfe im Leben geben, heißt
                                                                                        Hoffnung stiften. Dem Nächsten
                                                                                        helfen, sich selbst zu helfen.
     »... so hoffe ich
     auf dich«                                                                          Kraft dafür schöpfen wir auch
     Psalm 56,4
                                                                                        aus dem, was die Bibel über Gott
                                                                                        sagt: »Ich habe Frieden für euch
                                                                                        im Sinn und will euch vom Leid
                                                                                        befreien. Ich gebe euch wieder
                                                                                        Zukunft und Hoffnung.«
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                       in GRÄFENBERG

                                                                                                                          LA
                                                                                                                                                  in ERLANGEN

                                                                                                                                                                                                                                                                                             TH
                                                                                                                            NG

                                                                                                                                                                                                                                                                                            EU
                                                                                                                                                                                                                                                                                        YR
                                                                                                                                EN

                                                                                                                                                                                                                                                                                      BA
WIR SIND DA
                                                                                                                                                                                                                                                                         35            34

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Weil wir selbst Hoffnung haben,
                                                                                                                                                                                                                                                                                  7

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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             44

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        in LAUF

                                                                                                            29
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             geben. Hoffnung hilft Menschen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             ihr Leben zu gestalten. Sie hilft
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             aufzustehen – aus eigener Kraft,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              8 46

                                                                                                                                                                                 32                                                   28                                                                    KINDER, JUGEND
                                                                                                                                                                                                                                                                                                            KINDER                     in RÖTHENBACH

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             gestärkt vom Zuspruch und Zu-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              UND FAMILIE                                 H
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   B AC
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             HEN

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Tätigkeitsfelder und Einrichtungen der Stadtmission Nürnberg
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       RÖT
                                                                                                                                                  41                                                                                                                                                   34 Martin-Luther-Haus

     SUCHTHILFE                                          FÜ                                                                                  40                                             15                                                                                                                Jugendhilfeverbund

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             trauen des Gegenübers.
                                                              RT
                                                                   H                                                                                                                       31 49                                 3                                                                     34 Familienwohngruppen
1    Haus Martinsruh in Gräfenberg
                                                                                                                                                                                  9                                                                                                                    34 Heilpädagogische Tagesstätte
2    Ambulant Betreutes Wohnen für                                                                                                                                     13                                            38
      Menschen mit Suchterkran-                                                    30 50                                                     33                                                                                                                                                        34 Heilpädagogische Kindertagesstätte
      kungen                                                                               14
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       34 Heilpädagogische Wohngruppen
3    Suchthilfezentrum                                                                                                                                                                              2
                                                                                    23                                                                                                                                                                                                                 49   Heilpädagogische Kindertagesstätte
4    Therapiezentrum Wolkersdorf in
                                                                                                                                                                                  ALTSTADT                                                                                                                   Pilotystraße

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Hilfe im Leben geben, heißt
       Schwabach-Wolkersdorf
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       34 JUMP Selbstständigkeitstraining

     SENIOREN & PFLEGE                                    AUTISMUS                                                                                                                                                                                                                                     34 Überregionales Beratungszentrum
                                                                                                                                                                                                                                                                                                              (ÜBZ)

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Hoffnung stiften. Dem Nächsten
3    Betreuungsverein                                13   Autismus-Ambulanz
       Vorsorgeberatung zu Vollmacht /                                                                                                                                                                                                                                                                 35 Martin-Luther-Schule
                                                          Autismus-Kompetenz-Zentrum                                                                                                                            24
                                                     14
       Betreuungs- und Patientenver-
       fügung / Rechtliche Vertretung
                                                            Mittelfranken gGmbH Ω
                                                                                                                                                                   NÜRNBERG                                                                                                                            36   Stütz- und Förderklassen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             helfen, sich selbst zu helfen.
       von Erwachsenen / Beratung von                3    Ergänzende unabhängige                                                                         38                                                                                                                                             3   Schulbegleitung
                                                            Teilhabeberatung (EUTB)                                                                47                                                     21                                                                                                  für Kinder und Jugendliche mit
       ehrenamtlichen Betreuern*innen
                                                                                                                                                                            22                      10                                                                                                        besonderem Förderbedarf
       und Bevollmächtigten                          13   Schulbegleitung
                                                                                                                                                                                              12
5    Christian-Geyer-Heim                                                                                                                                                                                                                                                                              38   Ambulante Erzieherische Hilfen
                                                                                                                                                                                      43
      Senioren-Pflegeheim                                                                                                                                                                  48 51                                                                                                       12   Chancen für junge Menschen
                                                          ZENTRALE /                               45               20                                                                                                                                      26
6    Diakonie Team Noris                                                                           6                                                                                                                                                                                                   12   Schulförderkurse
       Ambulante Pflege                                        GESCHÄFTSSTELLE
                                                                                                        5

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Kraft dafür schöpfen wir auch
                                                     15   Empfang – Zentrale Auskünfte                                                                                                                                                                                                                 12   Intensive Ausbildungsvorbereitung
3    Ergänzende unabhängige                                                                                                                                                                    19
                                           53                                                                                                                                                                                                                      RE                                          (IAV)
       ­Teilhabeberatung (EUTB)                           Vorstand                                                                                                                                                                                                      GE
                                                                                                                                                                                                                                                                             NS                        12   Jugendmigrationsdienst
7    Hephata Pflegezentrum                                                                                                                                                                                                                                                        BU
                                                          Bezirksstelle                                                                                                                                                                                                                RG

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             aus dem, was die Bibel über Gott
                                                                                                            STRAFFÄLLIGENHILFE                                                                                                                                                                         12   Stadtteilmütter
8    Karl-Heller-Stift                                    Öffentlichkeitsreferat
       Senioren-Pflegeheim                                                                             22 Arbeitskreis Resozialisierung                                                                                                                                                                39   Diana-Hort
                                                          Spenden / Fundraising
9    Seniorenzentrum am Tiergärtnertor                                                                 —    Psychotherapeutische Fach­                                                                                                                                                                 40   Spiel- und Lernstube Lobsinger

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             sagt: »Ich habe Frieden für euch
                                                          Personalmanagement                                  ambulanz für Sexual- und
9    Seniorenberatung / Fachstelle für                                                                                                                                                                                                              31                                                 41   Erziehungs-, Paar- und Lebensbera-
                                                          Verwaltung                                          Gewaltstraftäter in Nürnberg                                                                                                               Maria-Augsten-Haus
       pflegende Angehörige / Kirchliche                                                                                                                                                                                                                                                                      tung für Familien, Kinder, Jugend-
                                                                                                              und Regensburg                                                                                                   25                         Wohnheim für Menschen mit
                                                                                                                                                                                                                                                                                ­­
       Allgemeine Sozialarbeit (KASA)                3    Gleichstellungsbeauftragter                                                                                                                                                                                                                         liche, Paare und Alleinstehende
                                                                                                                                                                                                                                                          seelischer Erkrankung
       für Seniorinnen und Senioren                                                                    23 Wendepunkt. Sozialtherapie

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             im Sinn und will euch vom Leid
                                                     3    Pastorale Dienste
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       41   Pastoralpsychologisches Zentrum
                                                                                                                                                                                                                                                    32   Marianne-Leipziger-Haus
9    Seniorennetzwerke                                                                                 24 Zentralstelle für Strafent­                                                                    SEELISCHE ERKRANKUNG
                                                     3    Diakonie im Dekanat/­                                                                                                                                                                           Übergangseinrichtung für Men-                41   Heilpädagogische Kindertagesstätte
       Seniorennetzwerk St. Johannis                                                                          lassenenhilfe Ω                                                                        3
                                                            Ehrenamtsbörse                                                                                                                               Betreuungsverein                                 schen mit seelischer Erkrankung
       Seniorennetzwerk Ziegelstein und                                                                                                                                                                                                                                                                42   Integrative Kindertageseinrichtung
                                                                                                       50 RESPEKT – Fachstelle Täter-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             befreien. Ich gebe euch wieder
       Buchenbühl                                                                                                                                                                                   28 Betreutes Wohnen                             33   OASE                                                  im Nordostpark
                                                                                                              *innenarbeit häusliche Gewalt
                                                                                                                                                                                                           für Menschen mit seelischer
45   SIGENA-Stützpunkt Sündersbühl                        HILFE BEI ARBEITSLOSIG-                                                                            39                                                                                     48   Südstadt-OASE                                 43   Integrative Kindertagesseinrichtung
                                                                                                       53 Wohnprojekt Züricher Straße                                                                      Erkrankung
                                                                                                                                                                  52                                                                                                                                           Matthias-Claudius
                                                               KEIT UND ARMUT                                                                                                                                                                       15   Beratungsstelle Persönliches Budget
                                                                                                                                                                                                    15   Betreutes Wohnen in Gastfamilien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Zukunft und Hoffnung.«
                                                                                                                                                                                                                                                           im Julius-Schieder-Haus                     44   Lernintegration
     KRISEN UND NOTFÄLLE                             16   allerhand – Spendenannahme-                       INTEGRATIONSUNTER-                                         16                            3   Ergänzende unabhängige                                                                               Heilpädagogische Praxis und Inter-
10   Bahnhofsmission Ω                                       stelle und Lager                                                                                                                                                                       15   Sozialpsychiatrischer Dienst
                                                                                                              NEHMEN                                                                                       ­Teilhabeberatung (EUTB)                                                                           disziplinäre Frühförderung in Lauf
                                                                                                                                                                                                                                                           im Julius-Schieder-Haus
­—   Telefonseelsorge                      17   19   20   allerhand – Gebrauchtwarenläden
                                                                                                       12   CHANCEN gastro gGmbH                                                                    29 ERPEKA gGmbH*                                                                                    3   Staatlich anerkannte Beratungsstelle
                                                                                                                                                                                                                                               51   33   Therapeutische Werkstatt
                                                     3    Kirchliche Allgemeine Sozialarbeit                                                                                                               Medizinische und berufliche                                                                        für Schwangerschaftsfragen und
                                                                                                       25 DAMUS gGmbH                                                                                                                                      Arbeitstherapie für Menschen mit
                                                            (KASA)                                                                                                                                         Rehabilitation für Menschen mit                                                                    Sexualberatung
     ASYL UND MIGRATION                                                                                                                                                                                                                                    seelischer Erkrankung
                                                     3                                                                                                                                                     seelischer Erkrankung
                                                          Ökumenisches Arbeitslosen-                                                                                                                                                                                                                   46   Kinderhaus Funkelstein Diakonie
3    Flüchtlings- und Integrations-                                                                         DIENSTLEISTUNGEN                                                                                                                        15   Gerontopsychiatrischer Fachdienst
                                                           zentrum Ω                                                                                                                                30 Integrationsfachdienst gGmbH*
        beratung                                                                                       27 HW-Service GmbH in Erlangen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       47   Lernintegration
                                                52   21                                                                                                                                                    (IFD) Beratung und Begleitung
        Migrationsberatung für                            Ökumenische Wärmestube Ω                                                                                                                                                                       AIDS / HIV                                           Interdisziplinäre Frühförderung
                                                                                                                                                                                                           von Menschen mit Behinderung
                                                                                         H

       ­Erwachsene                                                                                     26 PROSUM GmbH                                                                                                                                                                                         Nürnberg
                                                                                        AC

                                                     3    Hilfen für Menschen                                                                                                                              im Beruf und zur Erreichung eines        3    AIDS-Beratung Mittelfranken
                                      H
                                  AC

     Jugendmigrationsdienst                                 in Wohnungsnot                             27 DNE Catering GmbH in Erlangen                                                                    Arbeitsplatzes                                  mit Betreutem Wohnen                             Jugend-Reha
                                                                                    AB

12                                                                                                                                                                                                                                                                                                     42
                              SB

                                                                                   HW

                                                4
                             N
                            A

                                                                                                                                                                                                                                                                              17
                                                                                   SC

                                                                                             Ω
                                                                                                 Mehrfachträgerschaft
                                       in WOLKERSDORF
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Inhalt /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                    2–3

JAHRES-                                                                           LIEBE FREUNDE*INNEN DER
RÜCKBLICK                                                                         STADTMISSION NÜRNBERG,
2020/2021                                                                         Zuversicht haben wir besonders in Zeiten großer Unge-       Streetworker*innen für Obdachlose, Pflegende, Jugend-

                                                        3
                                                                                  wissheit nötig. Die zurückliegenden 15 Monate waren         helfer*innen, die überforderte Eltern entlasten und Kin-
                                                                                  ohne Zweifel solche ungewisse Zeiten. Die Sehnsucht         der schützen, Berater*innen, die Existenzen von Men-
                                                                                  nach einem Ziel, nach einem Ende der Pandemie,              schen sichern; Betreuer*innen, die psychisch erkrankte

                    1
                                                                                  einem Ende von Isolation und (Berührungs-)Ängsten.          oder labile Menschen stabilisieren; Erzieher*innen,
                                                                                  Dieses Ringen um Stabilität und Existenzsicherheit –        Psychotherapeuten*innen, Suchtberater*innen – sie alle
                                                                                  es hat zweifellos alle Arbeit, alle Begegnungen der         haben dafür gesorgt, dass diese Pandemie nicht zu
                                                        Unsere Mitarbeitenden     Stadtmission der jüngsten Monate geprägt. Wo sichere        einer humanitären Krise geworden ist. Und sie sind es,
                                                                                  Aussichten fehlen, kann Vertrauen helfen, sich mit aller    die auch künftig daran arbeiten, die neuen oder tiefer
                                                                                  Kraft und Kreativität dem Jetzt zu stellen, auch wenn       gewordenen sozialen Gräben zu überbrücken.
                    Menschen aus unseren                40   In Zahlen            das gute Ende noch nicht absehbar ist.
                                                                                                                                              Wir sind dankbar für die vielseitige und umfangreiche
                    Einrichtungen                       41   Ausgezeichnet        »Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich.« Der Be-     Rückendeckung, die uns öffentliche und private För-
                                                             mit dem Goldenen     ter in diesem Psalm macht sich selbst Mut. Die Feinde       derer*innen für diese Arbeit haben zukommen lassen.
                                                             Kronenkreuz          machen ihm Angst, er fühlt sich wehrlos und kann sich       Wir haben gemeinsam viel geschafft. Davon lesen Sie
                    4      Armuts- und Krisenhilfe                                nur an Gott wenden, der einzige Anker, den es für ihn       exemplarisch in diesem Jahresrückblick: Sogar neue
                                                        42   Im Interview         noch gibt. »Zähle die Tage meiner Flucht«, betet er         Einrichtungen und Projekte sind an den Start gegan-
                    10     Hilfe für Menschen mit                                 weiter – und man hört: Beende die Tage meines Aus-          gen – darunter ein Wohnprojekt für finanziell und sozial
                           seelischen Erkrankungen                                geliefertseins. Bring mich zurück in Sicherheit. Auf dich   benachteiligte Menschen oder ein neuer Werkstatt-
                                                                                  Gott, hoffe ich!                                            standort, an dem Menschen mit psychischen Erkran-
                    14     Integrationsarbeit                                                                                                 kungen beschäftigt sind. Das alles haben Mitarbeitende

                                                        4
                                                                                  Nicht nur die Zuversicht auf Gott hat uns in den letzten    trotz – oder gerade wegen der Corona-Krise geschafft!
                    18     Beratung                                               Monaten angetrieben. Es sind gerade die Erfahrungen
                                                                                  des Zusammenstehens in der Krise, die beispiellos           Wir wissen nicht, wann und wie diese Pandemie zu
                    22     Straffälligenhilfe                                     viel Energie unter Kollegen*innen, Förderern*innen und      Ende gehen wird. Wann wir wieder in der Lage sind,
                                                                                  Klienten*innen der Stadtmission Nürnberg mobilisiert        auf lange Sicht zu fahren. Doch wir dürfen zuversicht-
                    24     Pflege und Seniorenarbeit                              haben. Auftrag und Angebote der Diakonie haben sich         lich sein, weil wir uns als Stadtmission Nürnberg von
                                                        Wirtschaft und            als systemrelevant erwiesen. Menschen brauchen ihre         einer lebendigen Hoffnung und zahlreichen Unterstüt-
                    32     Suchthilfe                                             Nächsten und sie brauchen mehr Hilfe im Leben als vor       zern*innen und Freunden*innen getragen wissen. Und
                                                        Finanzen                  der Pandemie. Die professionelle Sozial- und Pflege-        weil wir wissen, dass wir am richtigen Ort als Hel-
                    34     Kinder, Jugend und Familie                             arbeit war in der Krise das Rückgrat des Sozialstaates.     fer*innen im Leben wirksam sind.

                                                        48   Finanzüberblick

                                                        52   Spenden und Helfen

                     2
                     Stiftung
                     HILFE IM LEBEN

                     36     Förderprojekte 2020
                                                                                  Matthias Ewelt                 Gabi Rubenbauer                 Markus Köhler                   Dr. Jürgen Körnlein
                                                                                  Vorstand                       Vorständin                      Vorstand                        Vorsitzender des
                                                                                                                                                                                 Aufsichtsrats
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Armuts- und Krisenhilfe /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                    4–5

          »DER WOHNSITZ
          IST VORAUSSET-
          ZUNG FÜR ALLES«
          Ein Berliner Paar strandet 2018 in Nürnberg. Ihr letztes Geld reicht für
          zwei Wochen Hotelpension, es folgen zwei Jahre in Obdachlosigkeit.
          Johanna Pittroff hat Uwe Kirstein und seine Frau begleitet.

»Ick hab jedacht, wenn ick den                        die sei »Voraussetzung für alles«:       Früher hingegen war er Chefkoch in
Kopp in den Sand stecke, komm                         Gesundheitliche Regeneration,            einem Berliner Interhotel, »­ hatte ein
ick zu jar nüschd mehr«, meint Uwe                    soziale Anbindung, Beschäftigung –       Haufen Leute unter sich«, bis sein
Kirstein. Der 64-Jährige nennt sich                   letztlich die eigene Existenz. Die       Rücken kaputtging. Als »reisen­der
selbst einen »Berliner Sturschädel« –                 Kirsteins, erinnert sich die Sozial-     Koch« zog er nach Italien w ­ eiter und
kantig, geradeaus, hartnäckig ist er.                 pädagogin, waren extrem engagiert        irgendwann zurück in die Bundes­
Zwei Jahre lang saß er mit seiner                     bei der Wohnungssuche. Sie hatten        hauptstadt, wo das Paar 2017 wegen
Frau in einer Nürnberger Obdach­
losenpension fest. Eine eigene Woh-
nung zu finden in der Stadt? Fast
                                                      ihre Schulden beglichen, waren
                                                      verlässlich, organisiert, freundlich.
                                                      »Trotzdem tat sich nichts auf. Leider
                                                                                               Eigenbedarf »aus seiner Wohnung
                                                                                               rausgekündigt« ­wurde. Uwe Kirstein
                                                                                               durchlief damals gerade ein Insol-
                                                                                                                                                                    »Endlich wieder
hatte er selbst nicht mehr daran ge-
glaubt, bis er im Oktober 2020 einen
Anruf vom Nürnberger Sozialamt er-
                                                      ist das schon lange kein Einzelfall
                                                      mehr.« 52 Menschen betreut Pitroff
                                                      in der Obdachlosenpension Pirck-
                                                                                               venzverfahren. »Dat war aussichts-
                                                                                               los für uns was Neues zu finden«.
                                                                                               So landete das Paar auf der Straße
                                                                                                                                                                    ein bisschen
hielt: »Ja oder Nein, Herr Kirstein?«
hieß es da am anderen Ende: »Wir
hätten da eine Wohnung«. Kirstein
                                                      heimerstraße – ein »Querschnitt der
                                                      Bevölkerung«, wie sie sagt. Je län-
                                                      ger sie hier sind, desto schwieriger
                                                                                               und kam im Herbst 2018 nach Nürn-
                                                                                               berg.                                                                Licht im Tunnel.«
zögert nicht: »JA. Nehm ich – unge-                   werde es, wieder auf eigene Füße         Inzwischen geht es für die beiden                                    UWE KIRSTEIN
sehen!«.                                              zu kommen: »Der Mensch gewöhnt           wieder bergauf – wohin genau, da                                     Klient der Wohnungslosenhilfe
                                                      sich an die schwierigsten Leben-         möchte sich Uwe Kirstein weder
Johanna Pittroff von der Woh-                         sumstände. Und irgendwann wird           ­Visionen noch Illusionen machen:
nungslosenhilfe der Stadtmission                      jede neue Veränderung, auch wenn          »Ick nehme alles, wie es kommt.
hat Uwe Kirstein und seine Frau in                    sie vielleicht Besseres verspricht, zu    Bringt ja nüschd«. Sein Pragmatis-
der Obdachlosenpension betreut,                       schwer.« Die magische Grenze liege        mus hat nichts Bitteres – im Gegen-
hat mit ihnen Wohnungen gesucht                       bei etwa zwei Jahren, meint Pittroff.     teil: Der 64-Jährige will und kann

                                                                                                                                                                                                      © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
und Amtsangelegenheiten abge-                                                                   »nicht still sitzen«. Jetzt verteilt er
wickelt. Und das in einer Zeit, »in                   Diese magische Grenze hatten auch         selbst regelmäßig Kaffee, Kleider
der sich wegen der Pandemie alle                      Uwe Kirstein und seine Frau im            oder Stullen an Obdachlose. Oder
abgeschottet hatten«. Auch Pittroff                   letzten Jahr erreicht. Rückblickend       er springt in der Obdachlosenpen­
und ihr Kollege versuchten anfäng-                    sagt der Berliner über seine Zeit als     sion als Hausmeister ein – ehren-
lich noch fernmündlich zu arbei-                      Obdachloser: »Wir mussten es halt         amtlich, weil andere ihm vertrauen.
ten. Schon nach wenigen Wochen                        so hinnehmen. Wichtig war: Zum            Das alles nennt er »endlich wieder
aber war klar: »Wir müssen vor Ort                    Alkoholiker durfte man sich nicht         ein bisschen Licht im Tunnel«.            UWE KIRSTEIN MIT
                                                                                                                                          SOZIALPÄDAGOGIN
bei den Klienten sein.« Oberstes                      machen.« Der 64-Jährige hat auszu-                                                  JOHANNA PITTROFF
Ziel dabei: Menschen, die in der                      halten gelernt. Allein im letzten Jahr                                              an der Obdachlosenpen-
Pension stranden, zügig wieder                        hat er 10 OPs hinter sich gebracht,                                                 sion Pirckheimerstraße.
in eine Wohnung vermitteln, denn                      fast den rechten Fuß verloren.
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Armuts- und Krisenhilfe /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                                                                           6–7

                                                                                                                                     © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
          VIER WÄNDE,
          VIELE CHANCEN
          Erst grüßte man sich nur höflich. Bald trank man regelmäßig einen Kaffee
          zusammen. Das von der Stadtmission Nürnberg 2020 eröffnete soziale
          Wohnprojekt Züricher Straße ist nach einem Jahr ein Haus geworden,
          »in dem es menschelt wie überall«. Genau, wie wir es wollten – sagt die
          Sozialpädagogin Ksenia Rott. Ein Glücksfall nach langer Zeit, sagt
          Mieterin Vroni Roggenbeck Ω.

Ein Donnerstagnachmittag im Juni:                     forderung. Denn Vroni pflegt auch       habe ich angeschrieben. Keiner hat
Die 58-jährige Vroni Roggenbeck                       den altgewordenen, dementen Vater       mir eine Chance gegeben, weil da
sitzt mit einem Kaffee in der Hand                    über Jahre hinweg.                      stand Haftentlassung. Ich wollte
auf einer schlichten, gemütlichen                                                             aber auch nicht gleich wieder mit
Couch im Gemeinschaftsraum. Es                        Abschalten gelingt ihr damals nur       einer Lüge anfangen.«
ist zugleich der Arbeitsplatz von                     noch, wenn sie zwischendurch                                                                                                                                                         VRONI
Sozialpädagogin Ksenia Rott, die                      einen Joint rauchen kann. Und           Neben Vroni Roggenbeck haben                                                                                                                 ROGGENBECK Ω
für die Bewohner*innen des Hauses                     irgendwann scheint ihr der auch         19 andere Mieter*innen in dem                                                                                                                ist glücklich über
                                                                                                                                                                                                                                           ihre 38qm Wohnung,
»Vermittlerin«, »Kummerkasten« und                    für die ständigen Geldsorgen eine       Stadtmissions-Haus eine Chance                                                                                                               wo sie ihr Leben neu
Unterstützerin in allen möglichen                     Lösung: Sie fängt an Haschisch zu       bekommen, die ihnen andere nicht                                                                                                             starten kann.
und misslichen Alltagslagen ist.                      verkaufen und handelt sich damit        zugestehen wollten. 20 weitere sind
»Das ist Gold wert, dass ich hier                     erst »ein zusätzliches Taschengeld«     Mieter*innen mit kleinem Einkom-
immer runter kommen kann zum                          und schließlich fünf Jahre Lebens-      men. Denn auf dem »brutalen
Sprechen. Ich hab’ halt auch wenig                    zeit hinter Gittern ein. »Ich war       Wohnungsmarkt« in Nürnberg fallen
Freunde nach der langen Haft«,
bemerkt die 58-Jährige. Seit neun
Monaten bewohnt sie eine Ein-Zim-
                                                      fürchterlich erschrocken von diesem
                                                      Urteil. So viel wie im Knast habe ich
                                                      nie in meinem Leben geweint.«
                                                                                              Menschen schon wegen kleinster
                                                                                              Kleinigkeiten und Vorurteilen durchs
                                                                                              Raster, meint Rott: Psychische
                                                                                                                                                                                »Für mich ist
mer-Wohnung im 1. Stock.

Vroni Roggenbeck sagt selbst,
                                                      Im Oktober 2020 – vier Wochen
                                                      nach ihrer Haftentlassung – ist Vroni
                                                                                              Erkrankungen, kleine, instabile
                                                                                              Einkommen, gebrochene Biografien,
                                                                                              Familiennamen aus aller Herren
                                                                                                                                                                                diese Wohnung
sie habe eigentlich immer ein sehr
bodenständiges Leben gehabt:
Behütete Kindheit in einfachen Ver-
                                                      Roggenbeck eine der ersten Mie-
                                                      terinnen, die in das neue, soziale
                                                      Wohnprojekt der Stadtmission
                                                                                              Länder. »Mitverloren geht ihre
                                                                                              gesellschaftliche Teilhabe.« In der
                                                                                              Züricher Straße wiederum »wächst
                                                                                                                                                                                pure Wert-
hältnissen. Ausbildung zur Kondito-                   einziehen. Vermittelt und bis heu-      das zarte Pflänzchen guter Nach-
                                                                                                                                                                                schätzung.«

                                                                                                                                                                                                                                                                  © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
reifachverkäuferin, später Umschu-                    te betreut wird sie vom Team des        barschaft jeden Tag ein bisschen
lung als Bürokauffrau. Den ersten                     Arbeitskreises Resozialisierung, zu     mehr«, meint die Sozialpädagogin.
und einzigen Sohn zieht sie als                       dem sie schon in der JVA Kontakt        Die meisten seien im Wartemodus,                                                  VRONI ROGGENBECK Ω
Alleinerziehende groß. So weit, so                    pflegt. »38 qm, möbliert. Geschirr,     bis Corona endlich Geschichte sei,                                                Bewohnerin der Züricher Straße
unauffällig. Wer genauer nachfragt,                   Bettzeug, Küche, alles war drin. Für    sagt Vroni Roggenbeck. Spiele­
hört aber auch, wo sich die Risse                     mich ist diese Wohnung pure Wert-       abende, Sommerfest und gemein-
auftun: »Ich war immer sehr knapp                     schätzung.« Vroni meint, sie habe       same Gartl-Aktionen stünden an.
mit dem Geld. Wir kamen eigent-                       hier auch ihre erste und einzige        Schon jetzt weiß die 58-Jährige
lich nie auf einen grünen Zweig.«                     Chance für einen Neuanfang be-          auch: »Weihnachten 2021 feiere ich                                                                                      KSENIA ROTT
Aus den täglichen Sorgen um Sohn                      kommen. »Bevor ich hier einziehen       mit meinen Nachbarn.«                                                                                                    ist Vermittlerin,
und Einkommen, wird zunehmend                         konnte – alle Wohnungsgesellschaf-                                                                                                                          Kummerkasten und
                                                                                                                                                                                                                     Unterstützerin für
Erschöpfung und schließlich Über-                     ten, Stiftungen, unzählige Vermieter    Ω
                                                                                                  Name geändert                                                                                                  alle Bewohner*innen
                                                                                                                                                                                                                          des Hauses.
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Armuts- und Krisenhilfe /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                                                                                    8–9

                                                                                                                                                                                                                                                                          © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
          VOM SCHIRM
          VERSCHWUNDEN
          Wie tief die Verwerfungen nach monatelangem Heimunterricht,
          Kontaktbeschränkungen und Existenzängsten für Kinder und
          Jugendliche aus strukturell benachteiligten Familien sind, wird nach
          und nach sichtbar. Klar ist: Ohne zielgerichtete Hilfe werden viele
          dieser Kinder zu Abgehängten.

                                                                                                                                                                                       Statt als Gruppe
»Die Hausaufgaben sind leichter                       reich Lernen zu können. »Nach dem        cen für junge Menschen«. Was den                                                     zu toben, zu lernen,
                                                                                                                                                                                     zu spielen, kamen
zu lösen, wenn ich in die Schule                      ersten Lockdown im Frühjahr 2020         Jungen und Mädchen helfe, seien                                                       die Kinder im Pan-
gehe«, sagt der 9-jährige Daniel, der                 konnten wir schon sehen, wie die         persönliche Kontakte und individu-                                                  demiejahr allein oder
mit seiner Familie in einem großen                    schulischen Leistungen der Kinder        elle, niederschwellige Förderung in                                                    mit Geschwistern
                                                                                                                                                                                    zu festen Terminen
Mietkomplex am Kirchenweg in                          stark nachgelassen hatten. Manche        geschütztem Rahmen.                                                                     in die Spiel- und
Nürnberg wohnt. Normalerweise                         taten sich schwer damit, wieder in                                                                                                      Lernstube.
kommt er nach der Schule regel-                       der Gruppe zu sein, länger still zu      Die Pädagogen*innen der Stadtmis-
mäßig in die Spiel- und Lernstube                     sitzen, sich zu konzentrieren. Die       sion machen genau das: Mit dem
Lobsinger der Stadtmission, nimmt                     weggefallene Struktur im Alltag hat      kostenlosen Nachhilfeprogramm
am gemeinsamen Mittagessen teil,
löst seine Hausaufgaben, spielt
Theater, knobelt oder trifft sich hier
                                                      bei den Kindern ein Riesenchaos
                                                      im Kopf verursacht«, erzählt Leonie
                                                      Lawen aus der Spiel- und Lernstube
                                                                                               »1000+1 Stunde« für Einzelne oder
                                                                                               den Schulförderkursen für Ab-
                                                                                               schlussschüler*innen in kleinen,
                                                                                                                                                                                                                   »Wir sind
mit seinen Freunden zum Basket-
ballspielen. Doch als die zweite
Corona-Infektionswelle auch in
                                                      Lobsinger.

                                                      Bis Weihnachten war vieles wieder
                                                                                               festen Gruppen. Und gerade in den
                                                                                               schärfsten Lock-Down-Wochen
                                                                                               blieben ihre regelmäßigen Telefo-
                                                                                                                                                                                                                   erfinderisch
Nürnberg erneut zur Schließung von
Schul- und Jugendeinrichtungen
führte, musste Daniel größtenteils
                                                      aufgeholt. Dann kam der nächste
                                                      Lockdown. Daniel sei im Distanz­
                                                      unterricht schließlich buchstäblich
                                                                                               nate mit Kindern und Eltern oder
                                                                                               Einzelgesprächs- und Kreativange-
                                                                                               bote an der frischen Luft wichtige
                                                                                                                                                                                                                   und flexibel
wieder allein durch den Tag kom-
men. Das frustrierte den 9-Jährigen,
oft war er wütend. »Wozu soll ich
                                                      »vom Schirm verschwunden«. Er
                                                      schwänzte häufiger den Online­
                                                      unterricht, bis den Hausaufgaben-
                                                                                               Anker für Kinder, wie Daniel, die aus
                                                                                               dem Sichtfeld geraten sind. »Wir
                                                                                               sind erfinderisch und flexibel wie nie
                                                                                                                                                                                                                   wie nie
denn überhaupt noch aufstehen,
wenn wegen Corona keine Schule
ist und es verboten ist, Freunde zu
                                                      betreuerinnen in der Lobsinger
                                                      auffiel, was er bereits alles verpasst
                                                      hatte. Daniel hatte da längst Angst
                                                                                               geworden«, lächelt Leonie Lawen.
                                                                                               »Manche Kids haben wir auch vor
                                                                                               allem durch unsere Essenspakete          © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
                                                                                                                                                                                                                   geworden.«
treffen? Meine Lehrer geben auch                      vorm Distanzunterricht entwickelt:       »to go« erreicht, die das Team jeden                                                                                LEONIE LAWEN
keine Rückmeldung auf die ge-                         »Wenn ich das alles nicht verstehe,      Tag am Fenster verteilte. Unsere                                                                                    Teamleitung der Spiel- und Lernstube Lobsinger
machten Hausaufgaben!« Nicht nur                      kann mir das niemand richtig erklä-      Jungen und Mädchen wussten
Schulstoff ging Daniel immer mehr                     ren. Ich schaff das dann nicht.«         damit, dass sie jeden Tag kommen
verloren. Es bröckelten auch die                                                               können.
Grundlagen, um überhaupt erfolg-                      »Kinder brauchen nicht nur Wissen
                                                      und Tablets. Sie brauchen Men-                                                                                                                       Mit jedem Lunch-
                                                                                                                                                                                                           paket, das die
                                                      schen, die begleiten, die motivieren                                                                                                                 Kinder sich abhol-
                                                      und an ihren Auf und Abs Anteil                                                                                                                      ten, konnten die
                                                      nehmen«, sagt Alexandra Frittrang,                                                                                                                   Pädagogen*innen
                                                                                                                                                                                                           nachhaken: Geht
                                                      Leiterin der Angebote von »Chan-                                                                                                                     es dir gut? Was
                                                                                                                                                                                                           brauchst du gerade?
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Hilfe für Menschen mit seelischen Erkrankungen /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                         10 – 11

         VOR DER
         KRISE SICHER
         Die Therapeutische Werkstatt für Menschen mit psychischen Erkran-
         kungen hat im Coronajahr alles in Bewegung gesetzt, damit Klien-
         ten*innen kontinuierlich zur Arbeit kommen können. Denn Alltag
         schafft Sicherheit. Die Eröffnung eines 2. Standortes war dabei wohl
         die weitreichendste Entscheidung.

»Ich wüsste nicht, wo ich heute ste-                 Bilder. Für die einen geht es dabei      als sie nicht in die Werkstatt konnte.
hen würde ohne diese Werkstatt«,                     um eine übergangsweise Reha­             Sie brauche die feste Struktur, eine
sagt Tanja D., die ihren täglichen                   bilitation, andere sind hier langfri-    Aufgabe und Menschen, die ihr ver-
Dienst seit einigen Tagen in den                     stig angebunden, um die eigenen          trauen. »Eigentlich haben mir Men-
neuen Gewerberäumen der Thera-                       Fertigkeiten nicht zu verlieren und      schen überhaupt das erste Mal hier
peutischen Werkstatt an der Tafel-                   psychisch stabil zu bleiben.             in der Therapeutischen Werkstatt
feldstraße antritt. Hier arbeitet sie                                                         Vertrauen entgegengebracht. Das
»unten im Lager«, nimmt Ware an,                     Sechs Wochen blieb die Therapeu-         kannte ich vorher nicht«, bemerkt
verpackt die von den Kollegen*innen                  tische Werkstatt im Frühjahr 2020        sie. Es könnte nur so dahingesagt
montierten Industrieprodukte und
kümmert sich um deren Versand.
Den Großteil ihrer Arbeitszeit ver-
                                                     für Klienten*innen geschlossen.
                                                     Simon Weghorn und sein Team
                                                     telefonierten stattdessen täglich mit
                                                                                              sein, doch es steckt eine lange
                                                                                              Geschichte dahinter: 15 Jahre ihres
                                                                                              Lebens hatte die junge Frau in einer
                                                                                                                                                                  »Es gibt
bringt sie allein, Tanja D. braucht es
so. »Mich überfordern Menschen,
ich habe viel mit Sozialphobien zu
                                                     ihren Klienten*innen. Manche von
                                                     ihnen erledigten in dieser Zeit die
                                                     Montagearbeiten aus der Werk-
                                                                                              Psychiatrie verbracht, bevor sie in
                                                                                              die Therapeutische Werkstatt kam.
                                                                                              Kaum einer hatte ihr damals zuge-
                                                                                                                                                                  für jeden
kämpfen«, erzählt sie. Permanent
Maske tragen – auch das schafft die
41-Jährige nicht ohne Panikreak­
                                                     statt zu Hause am Küchentisch,
                                                     einfach um die Leere des Tages
                                                     mit vertrauter Beschäftigung zu
                                                                                              traut, dass sie jemals ein selbststän-
                                                                                              diges Leben führen könne. Doch
                                                                                              elf Jahre später hat sie es nicht nur
                                                                                                                                                                  einen Platz,
tionen. Allein im Lager aber darf sie
frei Schnaufen.
                                                     füllen. Das Werkstattteam arbeitete
                                                     unterdessen ein komplexes Hygie-
                                                     nekonzept aus, mit dem schließlich
                                                                                              geschafft ein regelmäßiges Arbeits-
                                                                                              leben durchzuhalten, sondern sich
                                                                                              auch einen eigenständigen Alltag in
                                                                                                                                                                  der passt.«
»Die Therapeutische Werkstatt,                       »seit Mai 2020 durchgängig wieder        eigener kleiner Wohnung aufgebaut.                                  SIMON WEGHORN
die Arbeit, das vertraute Setting                    alle Klienten regelmäßig vor Ort                                                                             Leiter der Therapeutischen Werkstatt
hier, das war ein Anker für unsere                   beschäftigt werden« konnten. Drei        Dass die Therapeutische ­Werkstatt
Klienten im zurückliegenden Pan-                     kurze Schichten mit kleiner Beset-       zu diesem Erfolg wohl einiges bei­­-
demiejahr«, betont Simon Weghorn,                    zung statt zwei große, Masken für        getragen hat, ahnt, wer Simon
der die Werkstatt leitet. Bis zu 250                 alle, Umbau der Montageräume und         Weghorn über die Betreuungsphilo-
Menschen mit einer psychischen                       schließlich ein zweiter Standort – all   sophie seines Teams sprechen hört:
Erkrankung sind derzeit an die Ein-                  das war Teil dieses Corona-Bewälti-      »Der Schlüssel liegt für uns in der
richtung angebunden und können                       gungsplans. »Die Leute haben sich        Wertschätzung der Klienten. Es gibt
hier unter enger Betreuung arbei-                    hier sicher gefühlt – und das obwohl     für jeden einen Platz, der passt. Die
ten. Neben Produktmontagen und                       Ängste und Panikstörungen extrem         Schwere der psychischen Erkran-
Verpackungsarbeiten, erledigen sie                   verbreitet sind« so Weghorn.             kung spielt für uns eine untergeord-
Möbelreparaturen, bearbeiten große                                                            nete Rolle.«
Versandaufträge oder digitalisieren                  Auch Tanja D. hat »Corona an die ei-

                                                                                                                                                                                                               © Stephan Minx
                                                     genen Grenzen gebracht«, vor allem                                                TANJA D.
                                                                                                                                       arbeitet seit elf Jahren
                                                     in der ersten Welle im Frühjahr 2020,                                             jeden Tag in der Thera-
                                                                                                                                       peutischen Werkstatt.
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Hilfe für Menschen mit seelischen Erkrankungen /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                                                                                 12 – 13

                                                                                                                                      © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
         ANDERS NORMAL

                                                                                                                                                                                                                                                                             © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
         Im zurückliegenden Corona-Jahr, sagt Sora Stiegler Ω, sei der Abstand
         zwischen den so genannten »Normalen« und Menschen wie ihr kleiner
         geworden. Einsamkeit, Panik, Sozialphobien – die Pandemie habe
         solcherlei Gefühle flächendeckend unter die Menschen gebracht. Für Sora
         Stiegler war das nichts Neues. 2020 brachte ihr trotzdem den Umbruch.

»Es gab keine Woche, wo mich nicht                   gegessen.« Soras Gewicht schnellt       rung zu stellen. Unzähligen Arztbe-
irgendwelche Leute, oft Fremde                       in dieser Zeit auf 210 Kilo hoch,       suche und Ämtergänge hatte sie
auf der Straße, beleidigt haben.                     nur mühsam wird sie später Bruch-       auf dem Weg dorthin bewältigt. Ein
Natürlich ziehst du dich da zurück«,                 teile davon wieder los. Seit jenem      Jahr später ist sie 70 kg leichter und
erzählt die 33-jährige Sora Stiegler.                Klinikaufenthalt weiß Sora Stiegler     wirkt erleichtert wie lange nicht. Ihr
Der Grund? Bis im vergangenen
Jahr wog sie noch etwa 190 kg.
Heute sind es 70 kg weniger. Für
                                                     auch ganz offiziell von ihrer Mehr-
                                                     fach-Diagnose: Posttraumatische
                                                     Belastungsstörung, Depressionen,
                                                                                             Leben komme allmählich in »norma-
                                                                                             le« Bahnen. Fast zwei Jahre schon
                                                                                             war sie nicht mehr in der Klinik. »Ich
                                                                                                                                                                                 »Ich habe meine                                                               Voller Lebens-
                                                                                                                                                                                                                                                              energie stecke

                                                                                                                                                                                 Lebensqualität wieder.«
                                                                                                                                                                                                                                                          Sora Stiegler Ω (l.)
die junge Frau ist das ein Erfolg und                Borderline. Dass gleich mehrere         habe meine Lebensqualität wieder.«                                                                                                                            sagt Ellen Fester
                                                                                                                                                                                                                                                         (r.) vom Betreuten
Entlastung gleichermaßen. Denn die                   psychische Erkrankungsbilder wie                                                                                                                                                                        Wohnen. Davor
Kilos stehen sinnbildlich auch für                   bei Sora zusammenfallen sei eher        Und natürlich weiß Sora Stiegler                                                                                                                                  könne sie nur
eine psychische Last, die sie seit                   die Regel als ein Einzelfall, sagt      auch heute genau, wie es für sie                                                    SORA STIEGLER Ω                                                             Respekt haben.
ihrer Teenagerzeit durchs Leben                      ­Ellen Vester von der Stadtmission,     weitergeht: »In 110 Tagen fängt                                                     Klientin des Betreuten Wohnens für Menschen mit seelischer Erkrankung
schleppt.                                             die sie heute ambulant betreut.        meine neue Ausbildung an«. Zur
                                                                                             Kauffrau für IT-Systemmanagement.
»Recht groß und pummelig«, das                       Doch Sora Stiegler ist eine Kämp-       Sie strahlt. Und mit ihr Ellen Vester.
war Sora Stiegler schon als Kind.                    fernatur und »ein typischer Streber«,   Für Sora ist dieser Rückhalt einzig-
Und: »Ein kleiner Nerd«, wie sie                     wie sie selbst sagt. Immer wieder       artig. Vester kann sie anvertrauen,
lächelnd bemerkt. Mit unendlicher                    setzt sie sich neue Ziele, will nach    was ihr in vielen anderen Bezügen
Neugier habe sie alles, was mit                      ihrem Schulabschluss mit Einser-        als Stigma anheftet: »Wenn es mir
Computern zu tun gehabt habe, ge-                    schnitt auch eine IT-Ausbildung         psychisch nicht gut geht – teile ich
meinsam mit ihrem Opa erforscht.                     schaffen. Zwei Versuche scheitern.      meine Gedanken mit ihr.« Aus ihrem
Lange später wird sie eben diese                     Regelmäßig muss die junge Frau          Freundeskreis dagegen halte sie
Neugier zum Beruf machen. »Mit                       in die psychiatrische Klinik und        das »ganze Psychozeug« raus. Oft-
Computern kann ich einfach besser                    sucht im Anschluss neue Projekte,       mals wäre sie froh, wenn »ihr ganzer
einig werden, als mit Menschen«,                     die sie akribisch durchplant. Zeit-     Leidensweg, die Diagnosen, auch
meint die sensible Frau.                             pläne, Meilensteine – all das habe      nicht mehr in jeder Akte stünden«.
                                                     ihr immer Sicherheit gegeben. Die       Und so spürt man genau, was die
Als Sora Stiegler 18 ist, verselbst-                 Zukunft schien damit irgendwie          33-Jährige meint, wenn sie ihren         © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
ständigt sich ihre Geschichte auf                    steuerbar, weniger beunruhigend.        wichtigsten Zukunftswunsch »ein
bittere Weise: Nach einem Suizid-                    Ellen Vester beeindruckt diese inne-    ganz normales Leben« nennt.
versuch muss die junge Frau sich                     re Stärke: »Immer wieder aufstehen
eineinhalb Jahre in einer psychia­                   und anfangen«, das zeichne Sora         Ω
                                                                                                 Name geändert
trischen, geschlossenen Klinik                       Stiegler aus. »Da ist so viel Lebens-
behandeln lassen. »Gefühlt habe                      energie, trotz Suizidgedanken.«
ich dort nur noch geschlafen und
                                                     Mit dieser Lebensenergie schafft
                                                     es Sora Stiegler auch, sich im Mai
                                                     2020 – trotz Panik vorm OP-Saal –
                                                     einer operativen Magenverkleine-
So hoffe ich auf dich" - Jahresrückblick 2020/21 - Stadtmission Nürnberg
STADTMISSION NÜRNBERG
Integrationsarbeit /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                          14 – 15

          ZWISCHEN DEN
          ZEILEN SPRECHEN
          Zum Dolmetscherpool der Stadtmission gehören insgesamt 40
          Ehrenamtliche, die gemeinsam 28 Sprachen sprechen. Nicht nur in
          der Schwangerenberatung erleichtern sie vielen Menschen den
          Zugang zum lokalen Hilfesystem, der durch Kontaktbeschränkungen
          und Lockdowns im letzten Jahr schwerer war denn je. Suad Kassem
          motivierte das umso mehr.

»Für die Frauen war das letzte Jahr              lichkeiten, Hilfe zu kriegen, waren    arabisch-sprachigen Klienten*innen
unheimlich schwer. Alles ist kompli-             total eingeschränkt. Keine Sprech-     in drei unterschiedlichen Bera-
zierter geworden – wie komme ich                 stunden in Behörden zum Beispiel.      tungsstellen der Stadtmission. Ein
im Lockdown an eine Geburtsur-                   Ja sogar in der eigenen Community,     bis zwei Mal pro Woche ist sie in
kunde? Wer hilft mir jetzt mit diesen            in der sich sonst immer jemand         der Schwangerenberatung. »Ganz
Anträgen beim Elterngeld? Noch                   findet, der was weiß oder jemanden     oft ist es so, dass eine Frau kommt
ein Kind – mit Kurzarbeit und vier               kennt, konnten die Frauen sich         und ihren Mann dabeihat, erstmal
Schulkindern zuhause – ich schaff                nicht einfach Unterstützung suchen.    als Sicherheit. Wenn ich sie dann
das nicht mehr!« Ruth Persau,                    Keine Kontakte war das Credo.«         anspreche auf ihrer Muttersprache,
Leiterin der Sexual- und Schwan-                 Ruth Persau und ihr Team haben in      bricht das Eis und ihre Unsicher-
gerenberatung der Stadtmission                   diesen Monaten alle möglichen Ge-      heit ist weg. Dann sagt sie zu ihrem
Nürnberg sitzt im Garten des Bera-               sprächskanäle und -konstellationen     Mann: ›Du bleibst jetzt mal hier. Ich
tungszentrums. Manchmal saß sie                  aufgemacht: Beratung am Telefon,       mach das alleine‹.« Ruth Persau
im letzten Jahr auch mit Klientinnen
hier draußen – in der kühlen Luft,
mit Abstand und Maske. Persönlich,
                                                 Beratung vor der Kamera, Beratung
                                                 hinter Plexiglas und Mundschutz,
                                                 Beratung unter freiem Himmel. He-
                                                                                        sagt, sie erlebe diese erste, warme
                                                                                        Begegnung von Klientinnen und
                                                                                        Sprachmittlerin oft wie »ein gegen-
                                                                                                                                                        »Brücken
trotz aller Umstände.

Etwa 50 Prozent der Frauen, die
                                                 rausfordernd blieben die Gespräche
                                                 mit Frauen in einem Schwanger-
                                                 schaftskonflikt, deren Erstsprache
                                                                                        seitiges Wiedererkennen«. »Frau
                                                                                        Kassem hört immer auch, was zwi-
                                                                                        schen den Zeilen gesagt wird, zum
                                                                                                                                                        bauen und
in einer Notsituation die Hilfe der
Sexual- und Schwangerenberatung
brauchen, sprechen nur ganz wenig
                                                 z. B. Russisch, Farsi, Amharisch
                                                 oder Vietnamesisch war. »Nur mit
                                                 Händen und Füßen wird man der in-
                                                                                        Beispiel zaghafte Andeutungen von
                                                                                        Gewalt, die Frauen erlebten.« Und
                                                                                        sie hilft den Beratern*innen: »Wel-
                                                                                                                                                        Türen öffnen«
oder ein sehr einfaches Deutsch.                 neren Unruhe und dem Chaos, auch       che Höflichkeitsformen sind ange-                               sei die Fähigkeit der Sprachmittler*innen, sagt
Umso wichtiger sind für ihre Bera-               der Verzweiflung einer unglücklich     bracht? Wie direkt und explizit darf                            Ruth Persau, Leiterin der Schwangerenberatung
ter*innen alle nonverbalen Eindrü-               schwangeren Frau nicht gerecht«,       ich sein, welche Gesten, welchen

                                                                                                                                                                                                                © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
cke, die sie bei Begegnungen mit                 meint Persau. Schon gar nicht, als     Raum brauchen vielleicht auch die
ihnen sammeln können. Ein ange-                  selbst noch unsere Mimik hinter eine   Ehemänner?« – auch das beobach-
spanntes Stirnrunzeln, ein unsi-                 Maske verschwinden musste.«            tet und übersetzt Suaad Kassem
cherer Tonfall, ein fragender Blick –                                                   für alle Seiten. Sie wolle einfach für   SUAAD KASSEM
all das verrate ganz viel darüber, wo            Frauen wie Suaad Kassem, 53,           alle da sein, sagt die 53-Jährige. »Es   ist selbst mit Mann
die sensiblen Knackpunkte für eine               konnten dann immer wieder »Brü-        steckt mein ganzes Herz in dieser        und Kindern aus
                                                                                                                                 dem Irak nach
schwangere Frau seien. »Der Druck                cken bauen und Türen öffnen«:          Arbeit.«                                 Nürnberg geflüchtet.
für sie war zuletzt immens. Die                  Die gebürtige Irakerin und Mutter                                               Heute übersetzt sie
finanziellen Probleme der Familien               von vier Kindern hilft als ehrenamt-                                            jede Woche in der
                                                                                                                                 Schwangerenbera-
haben zugenommen. Und die Mög-                   liche Sprachmittlerin kurdisch- und                                             tung und der Flücht-
                                                                                                                                 lingsberatung.
STADTMISSION NÜRNBERG
Integrationsarbeit /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                                                16 – 17

                                                                                                                                                                              »Sie haben an mich
                                                                                                                                                                              geglaubt. Das war sehr
          EHRGEIZ UND                                                                                                                                                         wichtig für mich.«
          SEHNSUCHT                                                                                                                                                           SHEILA Ω
                                                                                                                                                                              Klientin des Jugendmigrationsdienstes

          Sheila Ω war 13, als sie mit ihren Eltern und sieben Geschwistern aus
          Syrien nach Deutschland flüchtete. Sechs Jahre später studiert die
          junge Frau Medizintechnik an der TH Nürnberg. Dass sie diese steile
          Entwicklungskurve genommen hat, liegt auch am Rückenwind vom
          Jugendmigrationsdienst (JMD). Der wird heuer 60.

Eine Gemeinschaftsunterkunft bei                 derter Familien schneller und besser    gerade stand: »Sie haben an mich
Weiden in der Oberpfalz – hier konn-             Deutsch sprechen als die Eltern         geglaubt. Das war wichtig für mich«,
te Sheila nach mehreren Wochen                   und dann früh als Sprachmittler für     sagt Sheila dankbar. Inzwischen
Flucht aus dem Kriegsgebiet ihrer                die ganze Familie Verantwortung         studiert sie im 3. Semester Medizin-
Heimat endlich Halt machen. Ein                  übernehmen«, sagt Dörr. Das Team        technik und hat einen unbefristeten
echtes Zuhause waren die zwei                    des Jugendmigrationsdienstes            Aufenthalt in Deutschland. Sheila
Zimmer für Sheila und ihre Fami-                 jedenfalls war von Sheilas Potenzial    lächelt: »Meine Sehnsucht nach
lie freilich noch nicht, ein Ort zum             überzeugt. Sie halfen ihr, in die 11.   Syrien bleibt.« Doch egal wo Sheila
Neuanfangen aber allemal. Sheila                 Klasse einer Fachoberschule aufge-      künftig leben wird, ihre Ausbildung
nutzte ihre Chancen: Nachdem sie                 nommen zu werden, organisierten         wird immer ein Schatz sein.
ihren Mittleren Schulabschluss noch              Nachhilfe durch einen ehrenamt-
in der Oberpfalz erfolgreich absol-              lichen Mitarbeiter und unterstützten    Tausende junge Leute haben in den
vierte, gelang ihr nach dem Umzug                Sheila bei der Praktikumssuche und      letzten 60 Jahren Hilfe beim Ju-
nach Nürnberg später sogar das                   beim Berichteschreiben. Und immer       gendmigrationsdienst gefunden, von
Fachabitur. »Es war mein großer                  wieder gelang es, durch Gespräche       ­Aussiedlern*innen aus der Sowjet-
Traum, hier in Deutschland zu stu-               mit Sheilas Lehrkräften und Schul-       ­union, über junge Erwachsene aus
dieren. Auch wenn es eine riesige                leitung, schwierige Situationen auf-      allen Staaten der Europäischen Uni-
Herausforderung für mich war«,                   zulösen: »Sheila hatte zum Beispiel       on bis hin zu geflüchteten Jugend-
erzählt die heute 21-Jährige stolz.              Angst, vor der Klasse zu sprechen,        lichen aus dem Nahen Osten – im
Elke Dörr, Leiterin des Jugendmi-                weil sie früher wegen der Sprache         JMD spiegeln sich immer Wande-
grationsdienstes der Stadtmission,               ausgelacht worden war. Am Ende            rungsbewegungen aus aller Welt.
begleitet Sheila seit 2018. »Sheila              durfte Sheila ihre mündlichen Prü-        »Egal ob es um Schule, Beruf, Ämter
war immer sehr schüchtern, aber                  fungen ohne Publikum absolvieren.«        oder die Belange junger Eltern geht.
mindestens auch genauso ehrgei-                  Inzwischen ist die junge Frau viel        Wir helfen und begleiten so lange       © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
zig. Sicherlich waren auch drei ihrer            selbstbewusster, sicherlich auch          und intensiv wie nötig. Das galt auch
älteren Geschwister, die ebenfalls               durch die »Lesewerkstatt« des JMD:        in den Coronamonaten: Wir waren
studierten, Vorbilder für sie.«                  Junge Migranten*innen werden              immer erreichbar, und wenn wir uns
Extrem gefordert war Sheila per-                 darin von einer Theaterpädagogin          draußen im Regen treffen mussten.«
manent – nicht nur in der Schule:                geschult, um Kindern oder auch            Das sei zentral gewesen, meint Dörr.
Nachdem die älteren Geschwister                  älteren Menschen vorzulesen. Das          »Denn viele unserer jungen Men-
bereits ausgezogen waren, muss-                  macht sie mutiger und sprachsi-           schen hatten ansonsten monatelang
te sie sich als älteste Tochter im               cherer.                                   so gut wie keine Kontakte mehr.«
                                                                                                                                                                                                                      SHEILA Ω
Haushalt häufig um die Belange                                                                                                                                                                                        (r.) besucht Elke Dörr
der Eltern und der jüngeren Ge-                  In unendlich vielen Beratungsge-        Ω
                                                                                             Name geändert                                                                                                            vom JMD nur noch
schwister kümmern. »Das erleben                  sprächen holte Dörrs Team S­ heila                                                                                                                                   sporadisch, denn die
                                                                                                                                                                                                                      21-jährige Studentin
wir oft, dass die Kinder zugewan-                immer wieder dort ab, wo sie                                                                                                                                         kommt inzwischen
                                                                                                                                                                                                                      gut allein zurecht.
STADTMISSION NÜRNBERG
Beratung /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                 18 – 19

                                                                                                                          Seit Dezember
                                                                                                                          2020 führt die
                                                                                                                          AIDS-Beratung
                                                                                                                          Mittelfranken
                                                                                                                          selbst HIV-Tests
                                                                                                                          durch.

         »NICHT-WISSEN
         IST DAS GRÖSSTE
         RISIKO«
         10.000 bis 13.000 Menschen in Deutschland wissen nicht, dass sie
         HIV-positiv sind. Von ihnen geht das größte Risiko aus, das Virus weiterzu-
         geben. Weil die Corona-Pandemie zuletzt aber dazu geführt hat, dass sich
         weniger Menschen testen lassen, steuert die AIDS-Beratung Mittelfranken
         seit 2020 mit einem eigenen Testangebot gegen.

»Einer der Hauptgründe, warum          der HIV-Beratungsstellen erheb-           »Eine HIV-Infektion muss kein
Menschen 2020 bei uns anriefen,        lich beschränkt werden. Sexarbeit         medizinisches Drama mehr sein,
war die Suche nach einer HIV-Test-     verschwand komplett im illegalen          sofern sie früh erkannt und behan-
möglichkeit«, bilanziert Sarah Arm-    Dunkelfeld.                               delt wird«, sagt die Psychologin
brecht, Leiterin der AIDS-Beratung                                               Armbrecht. Denn wer entsprechend
Mittelfranken. Die Gründe dafür        »Alle Aufmerksamkeit war auf CO-          medikamentös behandelt wird, hat
liegen auf der Hand: Der Zugang        VID-19 gerichtet. Wir befürchten ei-      nicht nur eine weitgehend normale
zu medizinischen und psychoso-         nen Anstieg von HIV-Neuinfektionen        Lebenserwartung, sondern kann
zialen Angeboten war im Jahr der
Pandemie für potentielle HIV-Risiko­
gruppen schwerer geworden.
                                       im Schatten von Corona«. Sarah
                                       Armbrecht und ihre Kollegen*innen
                                       begannen deshalb am Welt-AIDS-
                                                                                 das HI-Virus nicht mehr ü ­ bertragen.
                                                                                 »Allerdings wissen nur etwa 10 Pro-
                                                                                 zent der Bevölkerung in Deutsch-
                                                                                                                          »Keiner bleibt
Denn Corona hatte das öffentliche
Gesundheitssystem vollends in Be-
schlag genommen: Gesundheits-
                                       Tag 2020 damit, selbst HIV-Antigen-
                                       Tests in ihrer Beratungsstelle anzu-
                                       bieten. Erst seit dem Frühjahr 2020
                                                                                 land von dieser Tatsache.« So ist die
                                                                                 Mission der AIDS-Beratung Mittel­
                                                                                 franken klar: »Wir machen diese
                                                                                                                          bei uns mit dem
ämter konnten monatelang kaum
mehr HIV-Testungen durchführen,
Menschen mieden Arztpraxen,
                                       dürfen diese in Deutschland nämlich
                                       ohne ärztliche Aufsicht durchgeführt
                                       werden. »Keiner bleibt bei uns mit
                                                                                 Fakten bekannt, damit weniger Vor-
                                                                                 urteile auf positiv getesteten Men-
                                                                                 schen lasten.« Und wer keine Angst
                                                                                                                          Testergebnis und
sofern sie nicht akut Behandlung
brauchten. Gleichzeitig mussten
offene Sprechstunden und zahl-
                                       dem Testergebnis und seinen Fol-
                                       gen alleine«, meint Armbrecht und
                                       ergänzt: »Die Leute erleben uns als
                                                                                 vor Stigmatisierung haben müsse,
                                                                                 sei eher bereit, Tests und professio-
                                                                                 nelle Unterstützung in Anspruch zu
                                                                                                                          seinen Folgen
reiche Präventionsveranstaltungen      Experten, mit denen man offen und
                                       unbefangen reden kann über Sexu-
                                       alität. Das ist anders als beispielwei-
                                                                                 nehmen.
                                                                                                                          alleine.«
                                       se in Arztpraxen.« Mit jedem Test in                                               SARAH ARMBRECHT
                                       der AIDS-Beratung Mittelfranken,                                                   Einrichtungsleiterin der AIDS-Beratung Mittelfranken
                                       erhalten Menschen immer auch eine
                                       psychosoziale Beratung.

                                                                                                                                                                                       © Stephan Minx
STADTMISSION NÜRNBERG
Beratung /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                                   20 – 21

                                                                                                                                                                         »Das sind all die
                                                                                                                                                                         tollen Ehrenamtlichen,
         NOTRUF                                                                                                                                                          die das wuppen.«
         FÜR DIE SEELE                                                                                                                                                   BIRGIT DIER
                                                                                                                                                                         Leiterin der TelefonSeelsorge

         Geschätzt 876 000 Krisengespräche führten die Ehrenamt-
         lichen der ersten bayerischen TelefonSeelsorge Nürnberg in
         den letzten 60 Jahren. Das Jubiläumsjahr 2021 bricht dabei
         alle Anrufrekorde der letzten Jahrzehnte.

Verzweifelte »Lebensmüde«, die           neben ihrem Beruf noch eine andere        Seit Beginn der Pandemie ist die
nicht wissen wohin. Leute, d­ enen       sinnstiftende Aufgabe suchen. Die         Zahl der eingehenden Anrufe
der Tod näher scheint, als ein           gucken alle unterschiedlich aufs Le-      um 25 Prozent gestiegen. Die
Mensch zum Reden. Für sie wurde          ben, auch auf Probleme.« Kein Tele-       Telefon­Seelsorge hat dabei auch
die erste deutsche TelefonSeelsorge      fongespräch laufe also nach Skript,       Beratungsstellen oder Selbsthil-
vor 65 Jahren in Berlin gegründet.       sondern lebe von den Eigenheiten          fegruppen kompensiert, die lange
Auch die erste bayerische ­Stelle,       und Stärken der Gesprächspart-            allenfalls eingeschränkt arbeiten
die 1961 von der Stadtmission            ner*innen auf beiden Seiten der           konnten. Noch mehr Menschen
Nürnberg ins Leben gerufen wurde,        Leitung. »Kein Ehrenamtlicher muss        kämpften jetzt mit der Einsamkeit,
sorgte sich vor allem um suizidge-       Angst haben, das er etwas Falsches        sagt Dier. Dazu kämen Jobängste,
fährdete Menschen. Durchschnitt-         sagt, den Anrufer womöglich noch          Beziehungskonflikte oder Sorgen
lich sechs Anrufe pro Tag gingen in      tiefer in die Krise stürzt. Reden hilft   um Kinder, weil der Druck zuhause
diesen Anfangsjahren bei der Nürn-       fast immer.«                              ständig steige. Die Ehrenamtliche
berger Telefonseelsorge ein. Heute                                                 Heike R. meint aber auch, dass
sind es etwa 40 täglich aus einem        Das bestätigt auch Heike R. Die           »die Hemmschwelle für einen Anruf
Einzugsgebiet mit einer Million Men-     47-Jährige gehört seit 2018 zum           bei der TelefonSeelsorge« gesun-
schen. 90 ehrenamtlich Engagierte        Nürnberger TelefonSeelsorge-Team.         ken sei. »Die Menschen nehmen
besetzen die Nürnberger Kummer-­         Drei bis vier Telefonschichten über-      sich nicht mehr selbst als traurigen
Hotline, die 24 Stunden an 365           nimmt sie im Monat – überdurch-           Einzelfall war. Es sind ja alle in einer
Tagen im Jahr offen ist. Die langjäh-    schnittlich viele. Heike hatte gezielt    Krise. Man liest jeden Tag davon.«
rigste Mitarbeiterin nimmt bereits       nach einer Aufgabe gesucht, mit der       Sie freut sich, dass deshalb mehr
seit 39 Jahren Anrufe entgegen.          sie anderen Menschen in Krisensitu-       Menschen den Mut haben, sich Hilfe
                                         ationen helfen kann. »Ich war selbst      zu holen. »Gäbe es uns nicht seit 60
Der große Schatz der ehrenamt-           vor nicht allzu langer Zeit durch         Jahren – spätestens nach Corona,
lichen Laien am Telefon sei ihre         eine Krise durch und hatte da so          wäre die TelefonSeelsorge erfunden         © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
Vielfalt, meint die Pfarrerin und        viel Hilfe, von Psychotherapeuten,        worden«, schmunzelt auch Birgit
Einrichtungsleiterin Birgit Dier. »Wir   aber auch anderen. Ich wollte das         Dier und ergänzt: »Ich bin einfach
haben Studierende, Psychologen in        weitergeben.« Bei ihrem ersten            begeistert, dass es immer noch so
Rente oder alleinstehende Frauen,        Seelsorge-Gespräch habe sie               funktioniert. Das sind all die tollen
die Karriere gemacht haben und           gezittert vor Aufregung. Inzwischen       Ehrenamtlichen, die das wuppen.«
                                         ist ihre Sicherheit gewachsen. »Das
                                         Anonyme schafft Vertrauen bei den
                                         Anrufern. Und ich beurteile nicht,
                                                                                                                                                                                                         PFARRERIN
                                         ich begleite ein Stück. Ich bekomme                                                                                                                             BIRGIT DIER
                                         da ganz viel zurück.«                                                                                                                                           leitet seit 2011 die
                                                                                                                                                                                                         Nürnberger Telefon-
                                                                                                                                                                                                         Seelsorge, hinter der
                                                                                                                                                                                                         90 ehrenamtliche
                                                                                                                                                                                                         Mitarbeitende stehen.
STADTMISSION NÜRNBERG
Straffälligenhilfe /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                          22 – 23

                                                                                                                                                       »Täterhilfe ist
          »DIE WENIGSTEN                                                                                                                               Opferschutz.«
          TÄTER SIND                                                                                                                                   FELIX TER-NEDDEN
                                                                                                                                                       Psychologe

          SCHLÄGERTYPEN«
          Corona hat die Gewalt in deutschen Haushalten nachweislich
          befeuert. Kurz vorm zweiten Lockdown starteten Stadtmission
          Nürnberg und Treffpunkt e. V. im Herbst 2020 mit der ersten mittel-
          fränkischen Fachstelle für Täter*innen häuslicher Gewalt. Stephan
          Weilheim Ω war einer der ersten, der sich bei ihr meldete.

Seine jüngste Tat war gerade zwei                erschrocken. Und man merkte: Er         Voraussetzungen für die Teilnehmer
Tage her, als Stephan Weilheim Ω                 steht an einem Tiefpunkt s­ eines       gab es dennoch: Die Täter mussten
von der neuen Stelle für Täter*innen             Lebens«, erzählt Ter-Nedden.            ernsthaft bereit sein, Verantwortung
häuslicher Gewalt in der Zeitung                 Auch wenn Stephan Weilheim kein         für ihr Handeln zu übernehmen und
las. »Das könnte es sein«, dachte                Klischee erfüllt, einige bekannte Tä-   an sich zu arbeiten. Wie, erklärt
sich der 48-Jährige und nahm                     ter-Muster kennzeichnen auch ihn:       Felix Ter-Nedden: »Wo und wann
Kontakt zu Susanne Scharch und                   »Nur in der Familie – dieses Prinzip    spüre ich meine Wut, meinen stei-
Felix Ter-Nedden auf. »Da war sofort             ist oft für die sozial angepassten      genden Stresspegel? Wie kann ich
spürbar, der Mann hat ein extrem                 ­Täter typisch. Außerhalb ihrer Fa-     eskalierende Situationen unterbre-
hohes Stresslevel, da ist Angst, da               milien sind das unauffällige, meist    chen? Was macht meine Gewalt mit
ist Ohnmacht«, erzählt der Psy-                   beruflich etablierte Persönlich-       meinem Opfer und nicht zuletzt mit
chologe Felix Ter-Nedden von der                  keiten.« Zur Gewalt würden sie unter   meinen Kindern?« Fragen wie diesen
ersten Begegnung mit dem Fami­                    anderem greifen, weil es ihnen nicht   stellte sich auch Stephan Weilheim.
lienvater.                                        gelinge, Konflikte zu deeskalieren     Und er begann sein eigenes, über-
                                                  oder verbal auszuhandeln, die eige-    zogenes Männlichkeitsbild zu hin-
Stephan Weilheim erfüllt nicht das                nen Emotionen zu regulieren und:       terfragen, erzählt Ter-Nedden. »Weil
Stereotyp des prügelnden, stetig                  eigene Verletzungen anzusprechen       er sich immer auch um seinen Sohn
aggressiven Mannes: Zwar zieht                    statt anzustauen, erklärt Sozialpä-    und seine Vaterrolle sorgte«. Nach
sich die Gewalt als Mittel und                    dagogin Susanne Scharch.               acht Monaten Training, sagt Susan-
Thema durch sein Leben – nur                                                             ne Scharch, habe Weilheim »seinen
selten aber kommt sie mit Fäusten                Im Oktober 2020 startete das Duo        starren Blick lockern können«. Er sei

                                                                                                                                                                                © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach
zum Ausdruck. Stattdessen: Psy-                  von Stadtmission und Treffpunkt         kommunikativer geworden und be-
chische und verbale Gewalt, soziale              e. V. mit dem ersten Trainingspro-      käme inzwischen schnell mit, wenn
Kontrolle und Einengung der Part-                gramm für Männer, die im häus-          sein Erregungslevel steige. »Jetzt
nerin. Über Banalitäten – seien es               lichen Kontext gewalttätig geworden     geht er immer direkt raus zum Rau-
Schmutzränder auf der Couch oder                 sind. Bemerkenswert dabei: Bisher       chen.« Auch die erste »Bewährungs-
ein verloren gegangener Einkaufs-                meldeten sich dafür ausschließlich      frist« für seine Beziehung habe er
beleg – eskalieren regelmäßig die                Väter – aus eigenem Antrieb. Der        geschafft. Für Stephan Weilheim ist
                                                                                                                                 Das Trainingspro-
Konflikte zuhause. Weilheim schreit,             Intensivkurs, zu dem 25 Grup-           damit ein großer Anfang gemacht.        gramm RESPEKT
droht, schubst. Oder er schweigt                 pensitzungen und ergänzende                                                     beinhaltet 25 Grup-
eisern. Und dann doch irgendwann                 Einzelgespräche zählen, ist neu in      Ω
                                                                                             Name geändert                       pensitzungen und
                                                                                                                                 ergänzende Einzel-
und einmalig: Schläge ins Gesicht                Mittelfranken und, anders als viele                                             gespräche für alle
der Partnerin. »Er war aufgewühlt,               Antiaggressionstrainings, kostenlos.                                            Teilnehmenden.
STADTMISSION NÜRNBERG
Pflege und Seniorenarbeit /// Jahresrückblick 2020/21
                                                                                                                                                                                                                              24 – 25

                                                                                                                                           WILHELM MEYER,
                                                                                                                                           ehemaliger Schwimm-
                                                                                                                                           meister, trainiert regel-
                                                                                                                                           mäßig mindestens
                                                                                                                                           eine halbe Stunde im
                                                                                                                                           neuen Fitnessareal des
                                                                                                                                           Hephata.

             »VOLLES PRO-
             GRAMM« – GEHT
             AUCH MIT 78
             Im Hephata Pflegezentrum haben Spender*innen mehr als
             30.000 Euro für eine barrierefreie Fitnessanlage im hauseigenen
             Garten zusammengetragen. Dort können die Bewohner*innen
             jetzt selbstständig Sport machen, wann immer ihnen danach ist.

                          Sich fit halten, das eigene Körper-       Oterendorp, die den Sozialdienst
                          und Selbstbewusstsein stärken –           im Hephata leitet. Nicht nur Seni-
                          Bewegung tut in vielerlei Hinsicht        oren*innen, auch Enkel und Ange-
                          gut. Das gilt natürlich auch für          hörige können hier wuseln. Und
                          pflegebedürftige Menschen. Kegel-         wer selbst nicht trainieren möchte,
                          und Gymnastikstunden oder lange           nimmt in den anliegenden Sitzecken
                          Spaziergänge gehören deshalb im           am bunten Treiben teil. Einrich-
                          Hephata schon lange zum Pro-              tungsleiter Andrew Scheffel nennt
                          gramm. Was bis zuletzt aber fehlte,       das alles einen »echten Gewinn
                          war ein spezielles Trainingsangebot       an Lebensqualität« für viele, nicht
                          an der frischen Luft, das alle – auch     zuletzt, weil »immer mehr Men-
                          Rollstuhlfahrer*innen – jederzeit         schen einer jüngeren Generation
                          allein nutzen können. Seit Sommer         im Haus wohnen, für die Sport das
                          2020 ist das anders: Im Außenge-          ganze Leben lang wichtig war.«
                          lände des Hauses wurde ein neuer          Heike Doß (56) gehört zu dieser
                          Bewegungspark angelegt, der aus-          Generation. Bevor sie durch eine
                          schließlich aus Spenden finanziert        Gehirnblutung pflegebedürftig
                          wurde. Wilhelm Meyer ist seither          wurde, war der Sport ihr wichtigstes
                          regelmäßig hier. Er mache »das            Hobby. »Ich habe regelmäßig im
                          volle Programm, mindestens eine           Fitnessstudio trainiert und bin bei
                          halbe Stunde«, so der 78-Jährige.         Marathons mitgelaufen.« Andrew
                          Lächelnd sitzt er auf einem Dreh-
                          hocker und dehnt behutsam seine
                          Flanke. »Bei mir pfeift’s in jeder Rip-
                                                                    Scheffel sieht aber auch, dass die
                                                                    Fitnessgeräte unter freiem Himmel
                                                                    besonders Männer mobilisieren, die
                                                                                                                                                                       »Die Anlage ist auch
                                                                                                                                                                       ein kleiner neuer
                                                                                                           © Stadtmission Nürnberg/Stephan Grumbach

                          pe, deshalb benutz’ ich das«. Sport       sich von anderen Gruppenangebo-
                          war immer wichtig im Leben des            ten im Haus weniger angesprochen
                          ehemaligen Schwimmmeisters, bis           fühlten. Letztlich sei auch der neue
                          ihm eine Chlorgasvergiftung diese
                          Passion zunichtemachte.
                                                                    Bewegungspark aus Überzeugung
                                                                    entstanden: »Im Hephata sollen die
                                                                    Menschen aktives Leben, Kultur und
                                                                                                                                                                       Dorfplatz für unser
                          »Die Anlage ist auch ein kleiner
                          neuer Dorfplatz für unser Haus
                          geworden«, freut sich Insa van
                                                                    Gemeinschaft erleben. Viele blühen
                                                                    bei uns im hohen Alter nochmal
                                                                    auf.«
                                                                                                                                                                       Haus geworden.«
                                                                                                                                                                       INSA VAN OTERENDORP
                                                                                                                                                                       Leiterin des Sozialdienstes im Hephata Pflegezentrum
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