Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg

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Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
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           Wildtierkorridore
                 Ein Leitfaden zur Umsetzung
                   des Wald-Biotopverbunds
Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Inhalt

             Vorwort                                                       3
             Einführung                                                     5

             Teil 1: Verbundene Wälder                                     6
             1.1. Bedeutung lebendiger Wälder                               6
             1.2. Was ist Biotopverbund?                                    7
             1.3. Bedeutung des Wald-Biotopverbunds                         8
             1.4. Gesetzliche Grundlagen und Voraussetzungen für den
                  Wald-Biotopverbund und mögliche Konflikte                11
             1.5. Die Gefährdung des Ziels „Verbundene Wälder“             14

             Teil 2: Biotopverbundplanung:
                     Fachkonzepte und Programme                            19
             2.1. Der Generalwildwegeplan des Landes                       19
             2.2. Der BUND-Wildkatzenwegeplan                              21
             2.3. Das Alt- und Totholzkonzept als neue Chance für
                  Biotopvernetzung im Wald                                 24
             2.4. Das Zielartenkonzept des Landes                          24
             2.5. „Entschneidungskonzepte“                                 27
             2.6. Querungshilfen: Biotopverbund über Verkehrswege          29

             Teil 3: Umsetzung des Wald-Biotopverbunds:
                     Akteure und deren mögliche Instrumente                33
             3.1. Biotopverbundplanung auf Landesebene:
                  Die Landschaftsplanung                                   33
             3.2. Kommunale Biotopverbundplanung                           34
                       Der Landschaftsplan                                 35
                       Eingriffsregelung, Flächenpool und Ökokonto         36
                       Kommunales Biotopvernetzungskonzept                 38
             3.3. Biotopvernetzung mit der Landwirtschaft: Langfristiger
                  Vertragsnaturschutz und Agrarumweltprogramme             41
             3.4. Umsetzung des Biotopverbunds in der Flurneuordnung       42
             3.5. Weitere Instrumente: Flächenschutz, Natura 2000,
                  Flächenkauf, dingliche Sicherung und Pacht               44
             3.6. Bürger und Träger öffentlicher Belange: Wir planen mit   46
             3.7. Allgemeines Vorgehen und Checklisten für die
                  Umsetzung der Biotopvernetzung                           48
             3.8. Gestaltung von Wildtierkorridoren als Teil des
                  Waldbiotopverbunds                                       52

             Teil 4: Hinweise zu Förder- und
                     Finanzierungsmöglichkeiten                            55
             4.1. Mittel über Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen              55
             4.2. Förderprogramme für Land- und Forstwirtschaft            55
             4.3. Nationale und internationale Programme                   56
             4.4. Stiftungen                                               56
             4.5. Übersicht zu einzelnen Umsetzungsmaßnahmen
                  und Finanzierungsmöglichkeiten des Biotopverbunds        57

             Weiterführende Literatur                                      60
             Impressum                                                     62

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Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

Zum Internationalen Jahr der Wälder und mit           Gesetze erfahrungsgemäß nicht aus: Es braucht
der Wildkatze als Symboltier veröffentlicht der       Fachleute und engagierte Laien, die für eine Ver-
BUND Baden-Württemberg diese Broschüre über           wirklichung der Ziele im Einzelfall arbeiten sowie
den Wald-Biotopverbund. Ausgangspunkte da-            Grundstückseigentümer, Land- und Forstwirte,
für sind gleichermaßen Gefahren und Chancen:          welche die notwendigen Maßnahmen auch ak-
Wie viele Tiere unserer Landschaft, so sind auch      zeptieren und umsetzen helfen.
die Bewohner unserer Wälder durch den zuneh-
menden Nutzungsdruck bedroht. Aber wir zei-           Ziel dieser Broschüre ist es daher, über die Be-
gen auch, dass Forstleute, Grundstücksbesitzer,       deutung des Lebensraums Wald und seiner Ver-
Naturschutz-Fachleute und Laien ihnen effektiv        netzung zu informieren sowie Akzeptanz für
helfen können.                                        den Biotopverbund und wichtige Waldbiotope
                                                      zu schaffen. Sie soll für Fachleute und Laien ein
Die Gründe für die Bedrohung wandernder Arten         hilfreiches Werkzeug zur Umsetzung und Finan-
sind lange bekannt und gut erforscht: Der zuneh-      zierung des Wald-Biotopverbundes sein. Hinwei-
mende Nutzungsdruck auf die Landschaft durch          se auf weiterführende Informationsmaterialien
Straßen- und Siedlungsbau sowie die Intensivie-       und Planungsgrundlagen erhöhen den Nutzen
rung der Land- und Forstwirtschaft durch Mono-        der Broschüre.
kultur, Pestizideinsatz oder geringe Umtriebszeiten
führen zu einem Verlust an wertvollen Biotopen        Der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württem-
und zusätzlich zur Landschaftszerschneidung. Die      berg danke ich herzlich für die finanzielle Förde-
verbleibenden Biotopinseln sind für viele Arten       rung, der Forstlichen Versuchs- und Forschungs-
zu klein und ihre Isolation erschwert den Aus-        anstalt (FVA) für die fachliche Unterstützung,
tausch von Individuen zwischen den Gebieten. In       BUND-Projektleiterin Laura Bollwahn und dem
Zeiten des Klimawandels wird sich dieser Effekt       Team der BUND-Landesgeschäftsstelle danke ich
verstärken, da Arten durch fehlende Strukturen        für die Arbeit an dieser Broschüre.
in der Landschaft nicht mehr in für sie klimatisch
geeignetere Gebiete ausweichen können.                Ich wünsche Ihnen gute Anregungen bei Ihrem
                                                      Engagement für den Biotopverbund, für Wald-
Den Weg zur Abhilfe zeigen unter anderem der          biotope, für die Wildkatze und andere Waldtiere.
„Generalwildwegeplan“ des Landes und der              Falls Sie weitere Hilfe und Beratung brauchen,
„Wildkatzenwegeplan“ unseres Verbands. Sie            wenden Sie sich an die Naturschutzverwaltung
beschreiben, wo in unserer Landschaft Schwer-         oder die Fachleute des BUND.
punkte des Biotopverbunds für Waldtiere wie z.B.
die Wildkatze liegen müssen. In unseren Natur-
schutzgesetzen ist der Biotopverbund rechtlich
verankert und vorgeschrieben. Doch für den Na-        Dr. Brigitte Dahlbender
turschutz in der Praxis reichen Programme und         Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg

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Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
1
    Einführung
    Teil 1:
    Verbundene
    Wälder

                 Foto: Naturschutzzentrum Oberes Donautal

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Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Einführung
Konzentrierten sich die Bemühungen des Naturschutzes früher hauptsächlich auf den
Schutz der vorhandenen schutzwürdigen Restflächen, so gewann der Begriff des Biotop-
verbunds in den achtziger Jahren in der Fachwelt zunehmend an Bedeutung: Es wurde
erkannt, dass der alleinige Flächenschutz nicht ausreichend ist, um den zunehmenden
Artenrückgang in unserer überprägten Landschaft zu stoppen.

Verbundene Wälder durch Korridore

D
          ie Vielfalt der Arten wurde einst durch   sind. Auf der Grundlage der gesetzlichen Vor-
          vielfältige Nutzungsformen der Land-      schriften für einen Biotopverbund stellt sie dann
          schaft durch den Menschen gefördert.      in Teil 2 den „Generalwildwegeplan“ des Landes
Stellt man sich vor, dass der Mensch keinen Ein-    und den „Wildkatzenwegeplan“ des BUND als
fluss auf die Flächen Baden-Württembergs hät-       zwei Fachkonzepte vor, mit deren Hilfe der Ver-
te, so wäre ein Großteil unserer Landschaft mit     bund von Wäldern Wirklichkeit werden soll.
Laubmischwäldern mit einem hohen Buchenan-          Wissenschaftliche Erläuterungen und Zahlen in
teil bewachsen. Tatsache ist, dass der Waldbe-      diesen beiden Teilen sollen nicht als Überfrach-
stand einem stetigen Wandel unterlag: Aufgrund      tung der Broschüre verstanden werden, sondern
der gesellschaftlichen Bedürfnisse entwickelten     wichtige Argumentationshilfen sein, um für den
sich verschiedene Wald-Gesellschaften, wobei        Biotopverbund zu werben und diesen in die
mal die Eiche stärker gefördert wurde, dann in      wichtigsten Planungen einzubringen. In Teil 3
Folge wirtschaftlicher Erfordernisse Fichte und     folgen handlungsorientierte Vorschläge für die
Kiefer. Verschiedene Nutzungsintensitäten der       praktische Umsetzung und in Teil 4 Hinweise zur
Wälder und der Ackerfläche haben die Wald-Of-       Finanzierung der notwendigen Maßnahmen.
fenlandgrenze im Laufe der letzten Jahrhunderte
mehrfach verändert. Auf diese veränderlichen        Zielgruppen
Lebensräume haben sich verschiedene Tierarten
spezialisiert, von denen viele bis vor 150 Jahren   Damit wendet sich die Broschüre an alle Per-
noch einen festen Bestandteil in unserer Land-      sonen, die Einfluss auf die Planung und Umset-
schaft bildeten. An Wald gebundene einheimi-        zung des Waldbiotopverbunds nehmen können:
sche Tierarten – sofern sie noch oder wieder bei    An die Vertreter der Städte und Gemeinden, an
uns vorkommen - sind heutzutage durch eine          Fachbehörden und Planer sowie Landnutzer wie
zunehmende Verinselung ihres Lebensraums            Landwirte und Grundstückseigentümer. Aber
Wald bedroht. Vor allem Arten mit großem            auch Förster, Waldbesitzer und Jäger sind ange-
Raumanspruch benötigen geeignete funktionale        sprochen. Für diese Zielgruppe empfiehlt sich zu-
Strukturen, die ihre Lebensräume miteinander        sätzlich die Schriftenreihe des Deutschen Rates
vernetzen. Diese Strukturen werden als „Korri-      für Landespflege, Heft 76, 2004, „Der Beitrag der
dore“ bezeichnet. Sie ermöglichen als überregi-     Waldwirtschaft zum Aufbau eines länderüber-
onaler Biotopverbund die Ausbreitung und Wan-       greifenden Biotopverbundes“. Ehrenamtliche aus
derung dieser Arten und damit ihr Überleben.        Naturschutzverbänden sowie am Naturschutz in-
                                                    teressierte Bürgerinnen und Bürger sind uns als
Aufbau und Handhabung                               Zielgruppe der Broschüre sehr wichtig. Wir geben
der Broschüre                                       viele Hinweise darauf, wie sie vor Ort Maßnah-
                                                    men zu Gunsten sich ausbreitender waldgebun-
Diese Broschüre konzentriert sich auf die-          dener Tierarten beeinflussen können.
se an Wald gebundenen Tierarten und den             Die meisten der hervorgehobenen Praxis-Tipps
Verbund zwischen Waldgebieten. Sie be-              sind für diese Zielgruppe gedacht, einige Tipps
                                                                                                        TIPP
schreibt in Teil 1 zunächst, warum natur-           richten sich aber auch an die Zielgruppe der        FÜR DIE
                                                                                                        PRAXIS
nahe Wälder und der Biotopverbund notwendig         Fachleute.

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Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Teil 1: Verbundene Wälder
    Wälder sind eines unserer wichtigsten Kulturerben: Sie haben unsere Gesellschaft in vie-
    lerlei Hinsicht geprägt. Neben der kulturellen Bedeutung sind sie für uns ein wichtiger
    Wirtschaftsfaktor. Sie erfüllen wichtige Funktionen im Naturhaushalt und bilden die
    Lebensgrundlage für viele Organismen.
    Da das Verständnis für die Bedeutung unserer Wälder und deren Vernetzung so grundle-
    gend ist, widmet sich Teil 1 sehr ausführlich diesen Aspekten. Er zeigt gleichfalls die Ge-
    fährdung dieses Lebensraums auf aber auch die Chancen, die wir dem System zukünftig
    geben können, dank wissenschaftlicher Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte. Nicht zu-
    letzt sollen der folgende Teil und die genannten Zahlen wichtige Argumentationshilfen
    für die Durchsetzung des Biotopverbunds geben.

    1.1. Bedeutung lebendiger Wälder

    O
              hne den Einfluss des Menschen wä-           gesiedelte Luchs haben in anderen Lebensräumen
              ren Laubmischwälder, die von der            keine Chance. Sie alle brauchen Mischwälder mit
              Rotbuche dominiert würden, in Mit-          reichem Unterwuchs, lichten Waldinseln sowie
    teleuropa und damit auch in Baden-Württem-            hohem Strukturreichtum.
    berg landschaftsprägend: Von Natur aus würde
    der Waldanteil bei uns rund 95% betragen. Als         Wälder leisten einen unschätzbaren Wert im Na-
    Teil des weltweit zentralen Verbreitungsgebiets       turhaushalt: Sie speichern enorme Mengen an
    der Rotbuchenwälder trägt auch Baden-Würt-            Wasser und tragen somit wesentlich zum Was-
    temberg eine besondere Verantwortung für den          serkreislauf bei. Sie reinigen unser Wasser und
    Schutz dieses Waldökosystems.                         unsere Luft und wirken als CO2-Speicher und
                                                          sind damit ein wichtiger Klimaregulator. Ohne
    In Baden-Württemberg liegt der Anteil der bewal-      den schützenden Waldbestand wäre der Boden
    deten Fläche heute bei 38% (Stand 2010). Nach         Wind und Wetter und damit der Erosion ausge-
    der letzten Bundes-Waldinventur von 2002 ma-          setzt. Wälder bieten einen wichtigen Schutz vor
    chen die Nadelbaumarten in Baden-Württemberg          störenden Lärm- und Lichteinwirkungen unserer
    mit 58% den größeren Anteil in der Mischung           technisierten Umwelt. So bieten sie auch dem
    aus. Die ursprünglich dominante Buche nimmt           Menschen Rückzugsräume und tragen so erheb-
    nach diesen Erhebungen nur noch 21% ein.1             lich zu unserer Erholung bei.

    Warum sind die noch vorhandenen Buchen- und           Neben dem Erholungswert des Waldes für uns
    Laubmischwälder für die Natur und uns Men-            Menschen gibt es einen mehrfachen ökono-
    schen so wertvoll? Perfekt aufeinander abge-          mischen Nutzen, den wir Menschen aus dem
    stimmt greifen im Wald die Prozesse von Verfall       Wald ziehen. Genannt seien hier vor allem die
    und Leben ineinander und bilden so die Lebens-        Holzernte und deren Verwertung, und auch die
    grundlage. Ihre Zusammensetzung aus typischen         daran gekoppelten Arbeitsplätze. Die Vielfalt un-
    Tier-, Pflanzen- und Pilzarten ist einmalig auf der   serer mitteleuropäischen Laub- und Mischwäl-
    Welt. Besonders viele Arten finden sich in alten      der birgt einen unschätzbaren Genpool: Neben
    Buchenwäldern mit einem hohen Anteil an Tot-          der Bedeutung für den Naturschutz wird sein
    holz. Hier leben nach Schätzungen bis zu 20 000       Nutzen zunehmend auch in der Technik und
    Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Naturnahe Wälder      Pharmaindustrie erkannt. Damit vereint der
    bieten unzählige ökologische Nischen, wichtige        Wald ökologische, ökonomische sowie soziale
    Lebensraumstrukturen und Nahrung in Fülle.            Funktionen.
    Waldbewohner wie Hirschkäfer und Schwarz-
    specht, Schwarzstorch und Wildkatze oder auch
                                                          1. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
    der in einigen Regionen Deutschlands wieder an-       braucherschutz. www.bundeswaldinventur.de (2011-03-21)

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Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Buchen- und Laubmischwälder sind der Le-           - neben vielen anderen Arten anderer Lebens-
bensraum für viele heimische und viele selten      räume - heute auf den Roten Listen des Landes
gewordenen Arten. Die auf Waldstrukturen an-       wieder. Um deren Rückkehr zu unterstützen, das
gewiesenen Tierarten wie Wildkatze, Luchs und      haben Fachleute nun erkannt, ist der Aufbau
einige Fledermausarten oder auch die Haselmaus     eines funktionalen Biotopverbunds zwingend
waren einst im Land verbreitet und finden sich     notwendig.

1.2. Was ist Biotopverbund?

D
         er Begriff des Biotopverbunds wird in     lungsprozesse gewährleisten bzw. erleichtern
         §21 unseres Bundesnaturschutzge-          sollen. Sie können als Trittsteine oder Korridore
         setzes als „die Bewahrung, Entwicklung    ausgebildet sein.2
und Wiederherstellung funktionsfähiger ökolo-
gischer Wechselbeziehungen“ definiert. Damit       Das Bundesamt für Naturschutz weist darauf
hat er zum Ziel, die heimischen Tier- und Pflan-   hin, dass zum Erreichen der Zielstellungen des
zenarten und deren Populationen, sowie deren       Biotopverbundes neben der Sicherung auch die
Lebensgemeinschaften und Lebensräume nach-         Entwicklung zusätzlicher Flächen erforderlich
haltig zu sichern. Das Bundesnaturschutzgesetz     sein kann. Das heißt: Wiesen müssen neu an-
(BNatSchG) schreibt einen länderübergreifenden     gesät oder extensiviert werden, Hecken, Feldge-
Biotopverbund mit räumlicher und funktionaler      hölze, Baumgruppen neu gepflanzt oder Flächen
Kohärenz (Verbindung) von mindestens 10% der       natürlichen Aufwuchses (Sukzession) zugelassen
Landesfläche vor. Wo diese 10% liegen, sollen      werden.
die Länder untereinander abstimmen und inner-      Aus fachlicher Sicht ist für die Umsetzung des
halb ihrer Hoheitsgebiete selbst festlegen. Das    Biotopverbundes eine weitaus größere Fläche zu
Bundesnaturschutzgesetz schreibt auch vor, dass    betrachten, als der im Gesetz verankerte Wert
die Bestandteile dieses Biotopverbundes dauer-     von 10% der Landesfläche. Die „umgebende
haft rechtlich zu sichern sind.                    Landschaftsmatrix“, also der Teil der genutzten
                                                   Landschaft, der weder Biotopfläche noch Bio-
Der Biotopverbund setzt sich danach zusam-         topverbund ist soll für Organismen weniger le-
men aus „Kernflächen“ (Kernbereiche), die über     bensfeindlich und damit durchgängiger werden.
geeignete „Verbindungsflächen“ und „Verbin-        Dies kann durch Mindestqualitätsanforderungen
dungselemente“ miteinander verbunden sind.         an die Nutzung geschehen, die durch eine flä-
Das Bundesamt für Naturschutz definiert die        chige Extensivierung häufig erfüllt würden.
Komponenten folgendermaßen:
                                                   2. Bundesamt für Naturschutz. URL: http://www.bfn.de/
„Kernbereiche sollen den heimischen Arten sta-     0311_biotopverbund.html (2011-03-21)
bile Dauerlebensräume sichern. Sie umfassen
Reste natürlicher bzw. naturnaher und halb-
natürlicher Flächen, umgeben von Puffer- und
Entwicklungsflächen, die eine negative Auswir-
kung der intensiv genutzten Landschaft auf die
Kernbereiche verhindern sollen. Letztere können
für sich schützenswert sein oder ein Entwick-
lungspotential hin zu naturnahen Lebensräumen
besitzen.
Verbundelemente sind Flächen, die den gene-
tischen Austausch zwischen den Populationen
von Tieren und Pflanzen der Kernbereiche sowie
Wanderungs-, Ausbreitungs- und Wiederbesied-       Die Wildkatze ist eine Zielart für den Wald-Biotopverbund.   Foto: Thomas Stephan

                                                                                                                                       7
Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Biotopverbund – Biotopvernetzung

    Die Begriffe „Biotopverbund“ und „Biotopvernetzung“ können in der räumlichen Ebenenbetrachtung klar getrennt wer-
    den. Der Biotopverbund ist dann gegeben, wenn ein funktionaler Kontakt zwischen Biotopen (Lebensräumen) besteht,
    der eine Vernetzung zwischen Populationen von Organismen in Form eines Beziehungsgefüges ermöglicht. Er funktioniert
    dann, wenn die Fläche zwischen gleichartigen Lebensräumen für diese Organismen überwindbar ist, so dass ein beidsei-
    tiger Individuenaustausch möglich ist. Die Biotopvernetzung wird nach §21 Absatz 6 Bundesnaturschutzgesetz auf die
    regionale Ebene bezogen verwendet. Insbesondere in landwirtschaftlich geprägten Landschaften sollen zur Vernetzung
    von Biotopen lineare und punktförmige Elemente, insbesondere Hecken und Feldraine sowie Trittsteinbiotope erhalten
    und wieder aufgebaut werden. Konzepte zur Biotopvernetzung auf kommunaler Ebene werden in Baden-Württemberg
    seit vielen Jahren gefördert (s. Kapitel 3.2.).

                  1.3. Bedeutung des Wald-Biotopverbunds

                  D
                            ie Landschaft in Baden-Württemberg             armer Waldgebiete. Ohne Deckung kann sie sich
                            unterlag vor allem im letzten Jahrhun-         nicht von Waldgebiet zu Waldgebiet bewegen:
                            dert einem intensiven Wandel. Die Fol-         Freie Ackerflächen werden gemieden, bei Streif-
                  ge ist, dass viele Lebensräume der Erhaltung der         zügen wird eine Distanz von 100 bis 200 Metern
                  biologischen Vielfalt nicht mehr gerecht werden          vom schützenden Waldrand in die angrenzende
                  können. Im Umweltplan Baden-Württemberg                  freie Landschaft nicht überschritten.5 Nur wenn
                  von 2007 ist zu lesen: „Trotz aller bisherigen           es zwischen Waldgebieten Rückzugsmöglich-
                  Anstrengungen und Teilerfolge konnte dem Ar-             keiten wie größere Biotopinseln aus Baumgrup-
                  tenrückgang nicht Einhalt geboten werden“.3 30           pen und Sträuchern durchsetzt mit extensiv
                  bis 40% der Arten Baden-Württembergs werden              bewirtschafteten Wiesen gibt, können Wildkat-
                  als gefährdet eingestuft. Viele Biotoptypen sind         zen sich sicher verbreiten. Auch der Luchs, der
                  gefährdet.                                               ursprünglich in Baden-Württemberg beheima-
                                                                           tet war und in letzten Jahren wieder vereinzelt
                  Besonders betroffen sind Arten, die sich aufgrund        nachgewiesen wurde, benötigt große zusammen-
                  ihrer spezifischen Ansprüche an den Lebensraum           hängende, strukturreiche Wälder durchsetzt mit
                  und ihres Aktionsradius weiter ausbreiten, wie           Lichtungen und felsigen Hängen. Heute kommen
                  beispielsweise der Rothirsch. Er ist in Deutschland      viele Arten - wenn überhaupt - nur noch in zu
                  zwar nicht in seinem Bestand gefährdet, wird je-         kleinen, begrenzten, meist isolierten Arealen vor.
                  doch wie kaum ein anderes Tier in seinem Verhal-         Ein Verbund von Waldgebieten kann das Vor-
                  ten eingeschränkt.4 In unseren Breiten bevorzugt         kommen dieser Tierarten erweitern und ihren
                  der Rothirsch Lebensräume in enger Verzahnung            Bestand sichern.
                  mit strukturreichen Wäldern, Dickungen, und              3. Umweltministerium Baden-Württemberg (2007):
                  großen offenen Lichtungen. Ebenso sind solche            Umweltplan 2007-2012.
                                                                           4. Herrmann M., Scheurlen K. (2008): Hirsch – Wolf – Otter –
                  Arten gefährdet, die auf verbundene große Wald-          Biber Zielarten für den „Ökologischen Korridor Südbrandenburg“.
                  gebiete angewiesen sind, große Freiflächen in der        Beitrag zum Projekt „Ökologischer Korridor Südbrandenburg“.
                                                                           URL: http://www.wildkorridor.de/pdf/124_Hirsch_Wolf_
                  Landschaft meiden oder besonders empfindlich             Otter_Biber_Leitarten.pdf (2011-03-21)
                                                                           5. Klar N. (2003): Windwurfflächen und Bachtäler: Habitatprä-
                  auf Störungen reagieren. Die Wildkatze ist ein
                                                                           ferenzen von Wildkatzen (Felis silvestris silvestris) in der Eifel
                  Tier großer, wenig zerschnittener und störungs-          Unveröffentlichte Diplomarbeit, Freie Universität, Berlin.

8
Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Die Europäische Kommission als oberste Behör-                schaftlich wichtigen Gütern, wie beispielsweise
de der Europäischen Union beschreibt die Be-                 sauberes Wasser, fruchtbare Böden und natür-
deutung des Biotopverbunds in ihrem Programm                 liche CO2-Speicherung (s. Kapitel 1.1.). Werden
„Grüne Infrastruktur 2010“ folgendermaßen:                   diese Ökosysteme stark geschädigt, so können sie
„Der Biotopverbund hebt die Isolierung von Bio-              die für uns essentiellen Leistungen nicht mehr
topinseln auf und ermöglicht den Austausch von               erbringen. Technische Lösungen, die den Verlust
Individuen zwischen den Gebieten. Dadurch kön-               kompensieren sollen sind sehr kostspielig und
nen sich stabile und genetisch variable Populati-            daher auch unter volkswirtschaftlichen Aspekten
onen bilden. Der Erhalt der biologischen Vielfalt            für eine Region zu betrachten. Der Biotopver-
wird gesichert. Sie ist ein wirksamer Schutz der             bund kann die Ökosysteme bei diesen Leistungen
Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Natur-                 unterstützen. Zudem tragen die Elemente des
haushalts.6                                                  Biotopverbunds erheblich zur Aufwertung des
                                                             Landschaftsbildes bei und können so die Naher-
Die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Na-                holung und den Tourismus fördern.
turhaushalts ist eine Grundvoraussetzung für
                                                             6. Europäische Union (2010): Grüne Infrastruktur, Amt für Ver-
intakte Ökosysteme. Sie versorgen unsere Gesell-
                                                             öffentlichungen (Hrsg). Bezug: http://ec.europa.eu/environment/
schaft mit wertvollen Leistungen und volkswirt-              pubs/pdf/factsheets/green_infra/de.pdf

Unsere Landschaft unterliegt einem stetigem Wandel, in dem der Biotopverbund zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.              Foto: Laura Bollwahn

                                                                                                                                                      9
Wildtierkorridore Ein Leitfaden zur Umsetzung des Wald-Biotopverbunds - BUND Baden-Württemberg
Sicherung des Biotopverbunds und
               Biotopverbundplanung in Baden-Württemberg

               Zu den Bestandteilen des Biotopverbunds in Baden-Württemberg können nach gesetzlichen Maßstäben des §21 Bundes-
               naturschutzgesetz folgende Gebiete gehören (in Klammer: Flächenanteil an der Landesfläche in Prozent)

               - Teile des Biosphärengebiets: 85 269 ha (2,4%), davon sind 2 645 ha (3,1% der Fläche des Biosphärenge-
                 bietes) Kernzone
               - Teile der Natura 2000-Gebiete: 619 191 ha (17,3%), das sind 260 FFH-Gebiete (414 247ha) und 90 Vogelschutz-
                 gebiete (390 058 ha)
               - Teile der Naturschutzgebiete: (NSG) 85 378 ha (2,4%)
               - Teile von Landschaftsschutzgebieten und Teile der acht Naturparke im Land
               - gesetzlich geschützte Biotope im Sinne des §30 und Biotopschutzwälder nach §30a Landes-Waldgesetz:
                 148 175 ha (4,1%), und Flächen des Arten- und Biotopschutzprogramms nach §42 Landes-Naturschutzgesetz
               - Teile der Bann- und Schonwälder: 24 321 ha (0,68%)
               - Neu zu schaffende verbindende Flächen und Elemente.                                                   Stand 03/10

               Hinweis: Durch die zahlreichen Überlagerungen der Schutzgebietskategorien auf derselben Fläche, kann die geschützte
               Gesamtfläche Baden-Württembergs nicht durch Addition der Einzelposten ermittelt werden. Zudem sind die genannten
               Schutzgebiete nicht zwangsläufig Bestandteil des Biotopverbunds, sondern nur dann, wenn sie eine funktionale Bedeu-
               tung im Sinne des Biotopverbunds haben und fachlich geeignet sind.

               Die Biotopverbundplanung berücksichtigt Biotope und Biotopkomplexe, die einer bestimmten Lebensraumqualität und
               Ausprägung entsprechen und von denen angenommen werden kann, dass sie den ökologischen Ansprüchen möglichst
               vieler Arten gerecht werden. Diese Flächen werden nach folgenden Qualitäts-Kriterien ermittelt:

     TIPP
     FÜR DIE   -   typische Ausprägung der Biotope/Biotopkomplexe
     PRAXIS
               -   Vollständigkeit der Biotopkomplexe
               -   Mindestflächengröße (spezifisch für den Biotoptyp)
               -   Unzerschnittenheit
               -   Lage im Raum (in der Bedeutung als Verbindungsflächen oder –elemente)
               -   Zusatzkriterien: Vorkommen von relevanten Zielarten unter Berücksichtigung der spezifischen populationsöko-
                   logischen Aspekte (Verbreitung, Lebensraumansprüche, funktionaler Raumanspruch)

               Bei der Biotopverbundplanung wird in folgenden Schritten vorgegangen:

               1. Ermittlung der Flächen, die in ihrem aktuellen Zustand naturschutzfachlich wertvoll sind
               2. Ermittlung des Defizits an Flächen, das sich aus den ermittelten Lebensräumen ergibt, um einen funktionalen Biotop -
                  verbund zu gewährleisten
               3. Ermittlung des Entwicklungspotentials von Flächen, um das Defizit zu beheben.

               In Baden-Württemberg befindet sich die Biotopverbundplanung in Bearbeitung.

10
1.4. Gesetzliche Grundlagen und Voraussetzungen
     für den Biotopverbund und mögliche Konflikte

D
          urch die Erkenntnis der Bedeutung des         Jahr 2015 unter Berücksichtigung der Ein-
          Biotopverbunds bemüht sich der Natur-         zugsgebiete. Damit haben Fließgewässer eine
          schutz nun, die verloren gegangenen,          wichtige Bedeutung für den Biotopverbund.
gesamtlandschaftlichen ökologischen Zusam-
menhänge wieder herzustellen. Der Verbund von            ฀ Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)
Waldbiotopen, auf den die Broschüre fokussiert,         sieht den Aufbau eines länderübergreifenden
ist nur ein Teil der gesamten Vernetzungsbezie-         funktionalen Biotopverbunds von mindestens
hungen zwischen Lebensräumen.                           10% der Landesfläche vor. Ziel ist, die hei-
                                                        mischen Tier- und Pflanzenarten und deren
Gesetzlich wurde dies in den §20 und §21 des            Populationen einschließlich ihrer Lebensräu-
Bundesnaturschutzgesetzes und in anderen,               me und Lebensgemeinschaften nachhaltig zu
auch internationalen Regelwerken verankert:             sichern sowie funktionsfähige ökologische
                                                        Wechselbeziehungen zu bewahren, wieder-
     Die Biodiversitätskonvention (Convention           herzustellen und zu entwickeln.
  on Biological Diversity - CBD) verpflichtet
  die Mitgliedsstaaten ein System von Schutz-       Damit der Biotopverbund Wirklichkeit wird,
  gebieten und/oder anderen vergleichbaren          bilden folgende Punkte eine zentrale Vorausset-
  Gebieten aufzubauen, die speziell dem Schutz      zung:
  der biologischen Vielfalt dienen oder diese
  gewährleisten.                                    -   landesweite Pläne und Programme,
                                                    -   die Information der Bevölkerung über
    Die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie (FFH-            Bedeutung und Faszination vernetzter
  RL) hat zum Ziel natürliche und naturnahe             Biotope,
  Lebensräume sowie wildlebende Tier- und           -   das Wissen bei Planern, Behörden und Natur-
  Pflanzenarten von europäischer Bedeutung              schützern über die Chancen, den Biotopver-
  zu schützen. Damit leistet die Richtlinie einen       bund in Planungen zu berücksichtigen bzw.
  Beitrag zur Umsetzung der Biodiversitäts-             umzusetzen.
  konvention durch den Aufbau eines europa-
  weiten zusammenhängenden ökologischen             Von der Umsetzung dieses Verbunds von Lebens-
  Netzes Natura 2000 (FFH-Richtlinie 92/43/         räumen (Biotopverbund) sind meist die Landnut-
  EWG zusammen mit Vogelschutzrichtlinie            zer betroffen, die oft Einnahmeverluste fürchten.
  79/409/EWG).                                      Der Biotopverbund muss deshalb für alle trans-
                                                    parent, möglichst konfliktfrei und mit großer Ak-
    Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) fordert       zeptanz umgesetzt werden.
  die Wiederherstellung eines guten ökolo-
  gischen Zustands von Gewässern und grund-         Was der einen Art nützt, kann eine andere Art in
  wasserabhängigen Lebensräumen bis zum             ihrem Vorkommen zurückdrängen: Durchgängige

                                                                                                        11
Strukturen, wie beispielsweise eine Hecke werden
                           zwar von häufig vorkommenden und anspruchs-
                           loseren Arten genützt; die Hecke kann aber eine
                           zerschneidende Wirkung haben für Arten, die bei-
                           spielsweise eine offene Landschaft bevorzugen.

                           Maßnahmen für den Wald-Biotopverbund dürfen
                           nicht dazu führen, dass weitere naturschutzfach-
                           lich bedeutsame Artenvorkommen mit anderen
               TIPP        Ansprüchen zurückgedrängt werden. Dieser Kon-
               FÜR DIE
               PRAXIS
                           flikt muss bei allen Maßnahmen vorher abgeprüft
                           werden. Eine Konfliktanalyse ist notwendig, da-
                           mit viele Arten profitieren können. Neue Ansätze
                           im Biotopverbund integrieren diese unterschied-
                           lichen Anspruchstypen durch die Entwicklung
                           bestimmter Strukturen, beispielsweise komplexe
                           breit angelegte Korridore (siehe Kapitel 3.8.).

     Die Nordfledermaus ist an kältere Klimabedingungen angepasst. Sie ist vom Klimawandel besonders betroffen.   Foto: Dietmar Nill

12
Biotopverbund in Zeiten des Klimawandels

      Durch den „Treibhauseffekt“ wird sich die weltweite Temperatur je nach Szenario in den nächsten 100 Jahren um 1,1 bis
      6,4° C erhöhen.7 Diese Klimaveränderung wird mit erheblichen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt verbunden sein.
      Der Klimawandel wird im Trend zu höheren Temperaturen und Veränderungen der Niederschläge (trockenere Sommer,
      niederschlagsreichere Winter) sowie in Baden-Württemberg vor allem zu einer zunehmenden Zahl extremer Wetterereig-
      nisse (Trocken- und Feuchtperioden, Stürme, Hagel, Hochwasser) führen.

      Waldbiotope - vor allem Auwälder und Bergwälder – sind Lebensraumtypen, die aller Voraussicht nach durch den
      Klimawandel verstärkt gefährdet werden und für die das Land Baden-Württemberg als ein Verbreitungsschwerpunkt
      dieser Lebensraumtypen eine besondere Verantwortung trägt.8 Wie sich der Klimawandel auf die Natur auswirkt, hängt
      wesentlich vom Anpassungspotenzial der Arten und Lebensgemeinschaften ab.

      Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Klimaänderung stellt der Biotopverbund für viele Arten eine entscheidende
      Voraussetzung für das Überleben dar: Er schafft Rückzugsmöglichkeiten und verschiedene Strukturen für Nistplatz- und
      Nahrungssuche und erhöht die Chance für Arten, Lebensräume neu zu besiedeln und damit auf die klimatischen Verän-
      derungen reagieren zu können. Die Vernetzung wichtiger (Teil-)Lebensräume durch Korridorflächen und Trittsteinhabi-
      tate bildet eine zentrale Voraussetzung, um potentiell zuwandernde Arten zu berücksichtigen. Sie ermöglicht auch die
      Abwanderung von Arten in kühlere oder feuchtere Regionen und damit deren Überleben. Die verbindenden Elemente des
      Biotopverbunds sollen sich an sogenannten Zielarten ausrichten (siehe Kasten in Kapitel 2.4.).

      Ziel ist deshalb eine ausreichend hohe Dichte an Teillebensräumen, die mit Wanderkorridoren verbunden sind. Auch na-
      türliche und naturnahe Fließgewässer sind als Wanderrouten von Tier- und Pflanzenarten von entscheidender Bedeutung
      und müssen in dieser Funktion weiter gestärkt und entwickelt werden.

      Im Strategiepapier Klimawandel und biologische Vielfalt des Landes Baden-Württemberg (2008) werden Empfehlungen
      ausgesprochen, die den Folgen des Klimawandels entgegenwirken sollen.9 Für die Umsetzung des Biotopverbunds sind
      folgende Punkte von Bedeutung:

      - beschleunigte Umsetzung des Verbunds von essentiellen Lebensstätten durch geeignete Korridore
      - Konzepte für die freie Entwicklung der Natur (Förderung dynamischer Prozesse, gesteuerte Sukzession)
      - Ermöglichung einer Abwanderung von Arten in kühlere Regionen ebenso wie die Einwanderung Wärme
        liebender Arten durch ein ausreichendes Angebot an Korridoren bzw. Trittsteinhabitaten

7. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) 2007: Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. In: Klimaänderung
2007: Wissenschaftliche Grundlagen. Beitrag der Arbeitsgruppe I zum Vierten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses
für Klimaänderung (IPCC), Solomon, S., D. Qin, M. Manning, Z. Chen, M. Marquis, K.B. Averyt, M.Tignor und H.L. Miller, Eds., Cam-
bridge University Press, Cambridge, United Kingdom und New York, NY, USA. Deutsche Übersetzung durch ProClim-, österreichisches
Umweltbundesamt, deutsche IPCC-Koordinationsstelle. Bern, Wien, Berlin.
8. Ministerium für Umwelt Naturschutz und Verkehr (2010): Natur das grüne Kapital unseres Landes. Naturschutzstrategie Baden-
Württemberg 2020.
9. Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (2008): Klimawandel und biologische Vielfalt - welche Anpassungen von Natur-
schutzstrategien sind erforderlich? Teil B: Ergebnisse der Arbeitsgruppen Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg. Berlin, Stuttgart,
Karlsruhe.

                                                                                                                                           13
1.5. Die Gefährdung des Ziels „Verbundene Wälder“

     N
               eben den Waldbiotopen und Flächen        angewandten Berechnungsmaßstab gibt es in
               des Waldbiotopverbunds ergänzen          Baden-Württemberg nur noch ganze 18 große,
               artenreiche Wiesen und extensiv be-      unzerschnittene verkehrsarme Räume. Nach
     wirtschaftete, nahrungsreiche Äcker oder Dau-      dem Generalverkehrsplan des Landes 2010
     erbrachen am Waldrand die funktionale Bezie-       ist ein weiterer Bedarf an Straßenneubauten
     hung des Biotopverbunds. Zu dieser Beziehung       zu erwarten. Vor allem mit der Zunahme von
     gehört auch die uferbegleitende Vegetation von     Ortsumgehungsstraßen werden hauptsächlich
     Fließgewässern, die Tieren als Wanderkorridor      kleine Gebiete noch weiter zerstückelt. Auch für
     oder Nahrungsgebiet dienen können. Zahlreiche      das Naturerleben der Menschen und die Erho-
     Tiere des Waldes sind auf diese Biotope als Le-    lungsqualität ist es wichtig, Räume zu erhalten,
     bensraum oder Nahrungsplatz angewiesen.            die großflächig unzerschnitten und unbelastet
                                                        von Lärm sind. Diese Räume stellen eine end-
     Zerschneidung der Landschaft                       liche Ressource dar und sind nur mit hohem
                                                        Aufwand wieder herzustellen. Die Länderinitia-
     Doch Straßen und Bahnlinien zerschneiden die-      tive Kernindikatoren (LIKI) trifft daher die Aus-
     se Biotope und damit Lebensräume wildleben-        sage, dass ein niedriger Zerschneidungsgrad der
     der Tiere. Das macht die Areale immer kleiner      Landschaft ein wesentlicher Prüfstein für eine
     und gleichzeitig für uns Menschen immer zu-        nachhaltige Entwicklung sei.11
     gänglicher und somit störungsanfälliger. Ver-
     kehrswege durchkreuzen die Aktionsräume und
     Wanderwege von Arten mit weitreichendem            Flächenverbrauch als
     Raumanspruch und von Arten, die – wie bei-         verstärkender Faktor
     spielsweise Amphibien - saisonal bedingt ihre
     Lebensräume wechseln. Dies führt je nach Wild-     Verstärkt wird das Problem der Landschaftszer-
     tieraktivität in Abhängigkeit von der Tageszeit,   schneidung und Lebensraum-Verinselung gerade
     Temperatur, Jahreszeit, Paarungszeit und Nah-      in Baden-Württemberg durch den weiteren Flä-
     rungssuche, dem täglichen Verkehrsrhythmus         chenverbrauch. Nach Angaben des Statistischen
     und der Verkehrsfrequenz, aber auch saisonalen     Landesamtes wurde im Jahr 2009 täglich eine
     Störfaktoren wie der Jagd und der landschaft-      Fläche von 7,0 Hektar für Baumaßnahmen be-
     lichen Einbindung der Straße zu Kollisionen zwi-   ansprucht. Das entspricht einem Jahreszuwachs
     schen Mensch und Tier.                             an Siedlungs- und Verkehrsfläche in der Grö-
                                                        ßenordnung von rund 3 700 Fußballplätzen (70
     Allein in Baden-Württemberg gibt es 1 560 Ver-     x 100 Meter). Damit waren 2009 14,1% der Lan-
     kehrsabschnitte, in denen gehäuft Wildunfälle      desfläche durch Straßen und Siedlungsflächen
     mit größeren Säugetieren auftreten.10 Mehr als     überbaut. In der Nähe von Siedlungen ist auch
     20 000 Unfälle mit Wildtieren werden pro Jahr      der Wald durch den Flächenbedarf für Bauland,
     in Baden-Württemberg verzeichnet. Zäune, vor       Sportanlagen und Straßen gefährdet. Obwohl die
     allem an Bundesfernstraßen und Autobahnen,         Waldfläche in den waldreichen Gebieten Baden-
     lösen zwar das Problem der Kollisionen für ei-     Württembergs seit Jahren durch Aufforstung
     nige Arten weitgehend, doch für die Tiere er-      und natürliche Wiederbewaldung zunimmt, sind
     geben sich zusätzliche Barrieren. Das verhindert   dagegen in den Verdichtungsräumen durch die
     die natürliche Ausbreitung, den Wildtierwechsel    Siedlungs- und Verkehrsentwicklung Verluste
     und die Wanderung größerer Wildtierarten.          zu verzeichnen12 und damit gerade dort, wo der
                                                        Wald wegen seiner vielfältigen Schutzfunkti-
     In Baden-Württemberg hat der Zerschneidungs-       onen dringend gebraucht wird.
     grad der Landschaft zwischen 1930 und 2005
     um 40% zugenommen. Nach dem bundesweit             In den Umweltdaten von 2009 ist zu lesen: „Die

14
ökologischen Beeinträchtigungen der Waldflä-                                         Nach dem Generalverkehrsplan 2010 möchte das
chen in den Verdichtungsräumen kann durch                                            Land Baden-Württemberg mit dem Grundsatz
die Waldflächenzunahme im ländlichen Raum                                            „Ausbau vor Neubau“ zumindest beim Verkehrs-
nicht ausgeglichen werden. Eine schleichende                                         wegenetz Anstrengungen unternehmen, den Flä-
Entwicklung mit negativen Auswirkungen auf                                           chenverbrauch zu minimieren. Bis 2020 soll nach
die Waldökosysteme ist die Zerstückelung zu-                                         der Naturschutzstrategie Baden-Württemberg der
sammenhängender Waldflächen durch Stra-                                              Flächenverbrauch schließlich auf Netto-Null, ent-
ßen-, Schienen- und Leitungstrassen in immer                                         lang der demographischen Entwicklung gesunken
kleinere Einheiten.“                                                                 sein.13

10. Strein M., Herdtfelder M., Suchant R. (2007): Landschaftsökologische Analyse von Wildunfallschwerpunkten. Forstliche Versuchs
und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Forschungsbericht FZKA – BWPLUS. Freiburg.
11. Länderinitiative Kernindikatoren (LIKI) (2011). URL: http://www.lanuv.nrw.de/liki-newsletter/index.php (2011-03-21)
12. Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (2009): Umweltdaten
13. Ministerium für Umwelt Naturschutz und Verkehr (2010): Natur das grüne Kapital unseres Landes. Naturschutzstrategie Baden-
Württemberg 2020.

Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV) an der Gesamtfläche
Baden-Württembergs zwischen 1996 und 2009 mit den jeweiligen
Zielvorgaben „Netto-Null“ an Flächenverbrauch von Bund und Land.

               Anteil an der Gesamtfläche in %                                                                                           Tägliche Zunahme ha/Tag
               16                                                                                                                                             14
                                                                                                                         Landesziel »Netto-Null« bis 2021
              15                                                                                                         Landesziel »Netto-Null« bis 2016     13
                                                                                                                         Bundesziel 30ha/Tag bis 2020
              14
                                                                                                                         Tatsächliche Zunahme der SuV         12
              13                                                                                                         Restliche SuV
                                                                                                                         Verkehrsfläche                       11
              12                                                                                                         Erholungsfläche
                                                                                                                         Gebäude- und Freifläche              10
              11
                                                                                                                                                                 9
              10

                9                                                                                                                                                8

                8                                                                                                                                                7

                7                                                                                                                                                6

                6
                                                                                                                                                                 5
                5
                                                                                                                                                                 4
                4
                                                                                                                                                                 3
                3
                                                                                                                                                                 2
                2

                1                                                                                                                                                1

                0                                                                                                                                                0
                      1996                        2000 01   02   03   04   05   06    07   08   09   10   11   12   13   14   15   16   17   18   19   20   21
           Statistisches Landesamt Baden-Württemberg                                                                                                             686 11

                                                                                                                                                                          15
Intensivierte Landnutzung                                    Pflanzenteile energetisch voll nutzen zu können.
                                                                                         Diese veränderte Kultivierung geht mit einer Ver-
                            Mit Beginn der Industrialisierung der Landwirt-              einheitlichung der Landschaft und dem Verlust
                            schaft um 1950 wurden die Betriebe in Baden-                 der Artenvielfalt einher. Im Jahr 2010 wurde mit
                            Württemberg stark intensiviert. Über künstliche              22% der gesamten Ackerfläche so viel Mais wie
                            und hochtechnisierte Hilfsmittel wurde eine                  nie zuvor angebaut, mit einer deutlichen Aus-
                            enorme Produktionssteigerungen möglich; die                  weitung von Silomais, der grün geerntet wird.
                            Auswirkungen auf Grundwasser, Böden, Pflan-
                            zen- und Tierwelt wurden lange übersehen. In                 Eine Tierart, die von Zerschneidung, Flächen-
                            den siebziger Jahren waren Entwässerung von                  verbrauch und Intensivierung der Landschaft
                            Mooren und die Begradigung von Fließgewäs-                   besonders betroffen ist, ist die Wildkatze. Sie
                            sern zur Gewinnung von landwirtschaftlicher                  benötigt strukturreichen Wald, um sich am Tage
                            Fläche und zu deren ökonomischer Bewirtschaf-                sicher zurückziehen zu können oder dort ihre
                            tung an der Tagesordnung.                                    Jungen aufzuziehen. In der Dämmerung und
                                                                                         bei Nacht geht sie jedoch auf Jagd nach Mäu-
                            Ein stärkeres Bewusstsein für die Auswirkung                 sen. Ihre Beute findet sie vornehmlich in den
                            dieser Prozesse hat teilweise zu einem Umden-                Grenzgebieten des Waldes, in Hecken und an-
                            ken geführt. Erfreulicherweise gibt es inzwischen            grenzenden Wiesen. Die Wildkatze wird deshalb
                            gesetzliche Vorgaben, behördliche und private                auch als „Grenzgängerin“ bezeichnet. Um die
                            Bemühungen, diese Entwicklung zu stoppen und                 Wildkatze und andere an Waldstrukturen ge-
                            teilweise rückgängig zu machen.                              bundenen Arten dennoch weiter fördern zu kön-
                            Allerdings liegt der Trend in der landwirtschaft-            nen, müssen vorhandene Konzepte und Pläne in
                            lichen Flächennutzung derzeit im Anbau von                   die Umsetzung gelangen.
                            „Energiepflanzen“, um den steigenden Bedarf
                            der Biogasanlagen zu decken.14 Die Konsequenz
                            des Anbaus von Pflanzen zur energetischen
                            Nutzung sind der verstärkte Umbruch von Grün-                14. Hartmann A., (2010): Ackernutzung im Wandel der Zeit.
                                                                                         Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 9/2010. Stati-
                            land und Brachen in Äcker, die Grünlandintensi-
                                                                                         stisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.).
                            vierung und die vorgezogene Erntezeit, um alle               Stuttgart. S. 41-43.

     Ausgeräumte Ackerlandschaften sind für viele Arten unüberwindbare       Mais wird zunehmend für die energetische Nutzung angebaut mit der
     Barrieren.                                       Foto: Thomas Stephan   Gefahr, anderen ökologischen Zielen entgegenzustehen.   Foto: Christine Fabricius

16
Flussausbau, Begradigung und Überbauung bestimmen das heutige               Der Schwarzstorch als Bewohner ursprünglicher Laub- und Mischwälder mit
Bild ursprünglicher Auenwälder.                          Foto: Archiv LfU   Feuchtbiotopen galt in Baden-Württemberg lange als ausgestorben.   Foto: Dietmar Nill

An Bundesstraßen und Autobahnen ist für Wildtiere meist keine               Vereinzelt stattet der Luchs uns wieder einen Besuch ab; eine feste wildlebende
Querung möglich.                                     Foto: Laura Bollwahn   Population fehlt bisher.                                      Foto: Thomas Stephan

Die Haselmaus bewegt sich fast ausschließlich in der Strauch- und           Die Sträucher des Waldsaums bieten Schutz und reichlich Nahrung.
Kronenschicht fort .                                Foto: Thomas Stephan                                                                  Foto: Thomas Stephan

                                                                                                                                                                17
2Teil 2:
 Biotopverbundplanung:
 Fachkonzepte und
 Programme               Foto: Christine Fabricius

18
Teil 2: Biotopverbundplanung:
              Fachkonzepte und Programme
Der alleinige Schutz kleiner Biotopinseln mit ihren letzten „gestrandeten Arten“, wie
es noch zu den Anfängen des Naturschutzes Usus war, reicht nicht. Heute betrachtet
man größere Dimensionen verschiedener räumlicher Ebenen mit ihren komplexen öko-
logischen Zusammenhängen. Ergebnis sind neue Konzepte und Naturschutzprogramme,
die zum Erhalt der Biodiversität beitragen sollen.
Teil 2 beschreibt die grundlegenden Fachkonzepte und Programme des Landes für den
Biotopverbund. Sie alle richten sich nach dem Leitbild des Schutzes und der nachhal-
tigen Entwicklung von Natur und Landschaft und sind mehr oder weniger verbindlich
umzusetzen.
Der Generalwildwegeplan des Landes und der Wildkatzenwegeplan des BUND sind beides
wichtige fachplanerische Grundlagen für einen großräumigen Biotopverbund. Weitere
Fachkonzepte, wie das Alt- und Totholzkonzept, das Zielartenkonzept des Landes und
Konzepte zur Entschneidung werden kurz behandelt. Diese sind als Rahmen für die Vor-
schläge zur praktischen Umsetzung von Bedeutung, die in Teil 3 beschrieben werden.

2.1. Der Generalwildwegeplan des Landes

D
         er Generalwildwegeplan (GWP) ist eine        ten. Für die Ausweisung von Wildtierkorridoren
         ökologische Fachplanung des Landes           wurden Waldverbundflächen, die größer 5 000
         und ein wesentlicher Baustein für ei-        Hektar waren, als Quell- und Zielgebiete weiter
nen landesweiten Biotopverbund. Er ist Be-            berücksichtigt. Zu nennen sind hier vor allem
standteil eines nationalen bzw. internationalen       der Schwarzwald, die Schwäbische Alb, der
ökologischen Netzwerks von Wildtierkorridoren.        Schwäbisch-Fränkische Wald sowie die baden-
Der Plan zeigt die teilweise letzten verbliebenen     württembergischen Teile des Odenwalds. Diese
Möglichkeiten eines großräumigen Verbundes in         Flächen sind jedoch von einem dichten Ver-
der bereits weiträumig stark zerschnittenen Kul-      kehrswegenetz aus Autobahnen, Bundesstraßen
turlandschaft Baden-Württembergs auf.15               und zweigleisigen Bahnstrecken voneinander
                                                      isoliert.
Die Forstliche Versuchs- und Landesanstalt (FVA)
war 2008 vom Land beauftragt worden, einen            Der Generalwildwegeplan ist ein Instrument auf
landesweiten Plan für den Verbund von Wald-           der Landschaftsebene und ersetzt daher nicht die
lebensräumen für Wildtiere zu erarbeiten. In der      lokalen und regionalen Biotopvernetzungsmaß-
Methodik der Verbundanalyse wurden zuerst             nahmen, die viele Städte und Gemeinden in den
Flächen der Landnutzungsklassen (Wald/Gehölz)         vergangenen Jahrzehnten mit teilweise großem
anhand digital erfasster Landnutzungsdaten er-        Engagement entwickelt haben.
mittelt, die größer 20 Hektar sind. Die ermittelten
Verbundflächen wurden mit möglichen Barrieren
                                                      15. Strein M. (2010): Generalwildwegeplan Baden-Württemberg.
wie Siedlungen, Produktionsflächen (Landwirt-
                                                      URL: http://www.fva-bw.de/indexjs.html?http://www.fva-bw.de/
schaft) und der Verkehrsinfrastruktur verschnit-      forschung/wg/generalwildwegeplan.html (2011-03-21)

                                                                                                                     19
20
Die ermittelten Korridore orientieren sich dabei     allem in der Verkehrsplanung, der Regional-
sowohl an der aktuellen landschaftlichen Aus-        planung, bis hin zu Flächennutzungs- und Be-
stattung als auch an den Raumansprüchen und          bauungsplänen erforderlich. Besonders für den
Ausbreitungsdistanzen wandernder heimischer          Umgang mit Eingriffen in die Landschaft und
Säugetierarten. Ergänzend berücksichtigt wur-        Kompensationsmaßnahmen (s. Kapitel 3.2.) lie-
den Arten des Offenlandes mit unterschied-           fert er wichtige Hinweise. Ohne eine Berücksich-
lichen Lebensraumansprüchen auf der Grund-           tigung des Generalwildwegeplans wird bei einem
lage des Zielartenkonzepts (s. Kapitel 2.4.). Ziel   Anhalten der gegenwärtigen Entwicklungen die
ist es, vielen Arten, vom Wirbellosen bis zum        Isolation vorhandener größerer Kernlebensräume
Großsäuger, Chancen für die Ausbreitung, Wie-        in Baden-Württemberg verstärkt.
derbesiedlung oder Anpassung an sich verla-
gernde Lebensräume durch den Klimawandel             Drei Viertel der ermittelten Korridorflächen lie-
zu ermöglichen.                                      gen bereits im Wald oder in Schutzgebieten.
                                                     Diese Flächen sind über Maßnahmen der Walder-
Um den Generalwildwegeplan erfolgreich umset-        haltung oder nach Naturschutzrecht gesichert.                   TIPP
zen zu können, müssen die benötigten Flächen         Damit dieser Anteil ihrer Funktion nachkom-                     FÜR DIE
                                                                                                                     PRAXIS
vor weiterer Fragmentierung oder Flächenverlust      men kann, müssen auch die Korridorflächen, die
langfristig gesichert sowie bereits beeinträchtig-   zwischen diesen Wäldern und Schutzgebieten
te Verbindungen saniert werden. Hierzu ist eine      liegen, von allen Baumaßnahmen freigehalten
Berücksichtigung des Generalwildwegeplans vor        werden.

Ansprechpartner:
Martin Strein
Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA)
Abteilung Wald und Gesellschaft
Wonnhaldestraße 4, 79100 Freiburg
Telefon: 0761 4018-117
Email: Martin.Strein@forst.bwl.de
Internet: www.fva-bw.de

2.2. Der BUND-Wildkatzenwegeplan

D
          er BUND hat im Herbst 2007 für die         katzenwegeplan mit Hilfe eines Modells konzi-
          Zielart Wildkatze einen bundeswei-         piert (s. Kasten Seite 22). Die Grundlage bilden
          ten „Wildkatzenwegeplan“ (WKWP)            Radio-Telemetrie-Daten, anhand derer das Ver-
vorgelegt, in dem etwa 20 000 Kilometer Ver-         haltensmuster und die Lebensraumnutzung von
bundachsen zwischen den verbliebenen groß-           Wildkatzen über vier Jahre in der Eifel aufge-
en Waldgebieten Deutschlands auf Grund von           nommen wurden. In einem statistischen Verfah-
artspezifischen Habitatansprüchen modelliert         ren wurden Gesetzmäßigkeiten abgeleitet, wie
wurden. Die Wildkatzenwege können dadurch            die beobachteten Tiere sich ihren Lebensraum
auch anderen Tieren und Pflanzen als Lebens-         erschließen.16 Der Wildkatzenwegeplan berück-
raum, Nahrungsplatz oder Ausbreitungshilfe           sichtigt im Gegensatz zum Generalwildwegeplan
dienen. Insofern ist die Wildkatze das Symbol-       jedoch ganz speziell das aktuelle Vorkommen
tier für den Wald-Biotopverbund. Der BUND hat        und die möglichen Ausbreitungsgebiete sowie
den Wegeplan entwickelt, um die nötigen Maß-         die artspezifischen Eigenschaften der Wildkatze
nahmen auf den Weg zu bringen und so dem             und deren Lebensraumnutzung.
drohenden Aussterben der Wildkatze entgegen-
zutreten.
                                                     16. Klar N. (2010): Lebensraumzerschneidung und Wiederver-
                                                     netzung – Ein Schutzkonzept für die Wildkatze in Deutschland.
Wie beim Generalwildwegeplan wurde der Wild-         Dissertation, Berlin.

                                                                                                                               21
Als geeigneter Lebensraum wurden nur Gebiete              Ebene berücksichtigt. Für Baden-Württemberg
                   ausgewählt, die mehr als 500 Quadratkilometer             wurden auf diese Weise Korridore mit einer Län-
                   (50 000 Hektar) groß und entsprechend dem Ha-             ge von 3 500 Kilometer ermittelt. Die effektive
                   bitatmodell für Wildkatzen geeignet sind (z.B.            Korridorbreite liegt – abzüglich der Randeffekte
                   für Baden-Württemberg Schwäbisch-Fränkischer              - bei 50 Meter. Ein Vorschlag zur geeigneten Be-
                   Wald, Schwäbische Alb, Schwarzwald). Flächen              pflanzung von Korridoren ist in Kapitel 3.8. be-
                   dieser Größe können eine Wildkatzenpopulation             schrieben.
                   von mehr als 100 Wildkatzenindividuen beher-
                   bergen.                                                   Während der Generalwildwegeplan einen art-
                                                                             übergreifenden Ansatz verfolgt, wurde der Wild-
                   Die Informationen für die Modellierung der Kor-           katzenwegeplan speziell nach den Verhaltens-
                   ridore, die letztlich Wildkatzenlebensräume ver-          mustern der Wildkatze entwickelt. Die beiden         TIPP
                   binden sollen, wurden ebenfalls standardisierten          Planungswerke schließen sich gegenseitig nicht       FÜR DIE
                                                                                                                                  PRAXIS
                   verfügbaren Landnutzungstypen aus digitalisier-           aus, im Gegenteil, sie sind in weiten Teilen kon-
                   ten Satellitenbildern entnommen. Nachteil der             gruent und ergänzen sich gegenseitig. Mit diesen
                   verwendeten Datengrundlage ist, dass vorhan-              beiden Plänen in der Hand können mögliche Kor-
                   dene linienhafte Elemente, wie Straßen, aber auch         ridore vor Ort identifiziert werden. Sie sind eine
                   Gewässer, Hecken und Feldgehölze nicht berück-            wichtige Argumentationshilfe zur Integration der
                   sichtigt werden. Diese landschaftlichen Details           Biotopverbundplanung in die Flächennutzungs-
                   werden bei der späteren Feinplanung auf lokaler           pläne.

                    Ansprechpartnerin:
                    Laura Bollwahn
                    Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
                    BUND Landesverband Baden-Württemberg e.V.
                    Projekt „Rettungsnetz Wildkatze“
                    Marienstraße 28, 70178 Stuttgart
                    Telefon: 0711 620306-12
                    Email: laura.bollwahn@bund.net
                    Internet: www.bund-bawue.de/wildkatze

     Modelle zur Entwicklung von Biotopverbundplanungen

     In die Entwicklung von Biotopverbundplanungen fließen neben der Datenanalyse der Landschaft (Siedlungsflächen/Bio-
     toptypen/Vegetationstypen/Nutzungstypen) auch Ergebnisse verschiedener Modelle ein. Modelle können die funktionalen
     Zusammenhänge zwischen dem Vorkommen einer Tierart und den Umwelteigenschaften erkunden und die Verteilung
     von Tieren in nicht untersuchten Gebieten oder in der Zukunft vorhersagen (Habitatmodelle). Sie können die Durch-
     lässigkeit von komplexen Landschaften für definierte Tierarten bewerten und geeignete Korridore zwischen isolierten
     Lebensräumen darstellen. Die Durchlässigkeit der Landschaft wird über sogenannte Widerstandswerte ausgedrückt. Der
     Widerstandswert gibt an, mit welcher Präferenz sich die jeweilige Tierart in einem bestimmten Landnutzungstyp aufhält
     und welche Energie es kostet, diese Fläche zu überwinden (Geringste-Kosten-Distanz (Least-Cost-Path)-Modelle). Ergänzt
     werden die Ergebnisse über Modelle, die beispielsweise Auswirkungen einer veränderten Landschaft oder zusätzliche
     Barrieren wie Straßen auf die Population simulieren (Konfliktanalyse).

     Beispiel: Für eine Wildkatze ist Wald relativ einfach zu durchqueren, Agrarlandschaft meidet sie, es kostet sie mehr
     „Überwindung“ diese zu queren. Ausgehend von einem Startpunkt (dem Vorkommen einer Wildkatzenpopulation), kann
     so berechnet werden, mit welcher Präferenz – oder auch mit welchem energetischen Kostenaufwand - die Wildkatze
     einzelne Landnutzungstypen überwindet. Dieser Kostenaufwand kann bis zu jedem beliebigen Endpunkt (beispielsweise
     einem potentiell geeigneten Wildkatzenlebensraum) im Untersuchungsgebiet berechnet werden und damit der entspre-
     chend günstigste Weg abgeleitet werden.

22
23
Stand 06/11
2.3. Das Alt- und Totholzkonzept als
                    neue Chance für Biotopvernetzung im Wald

               D
                         as 2010 von der Forstverwaltung Ba-         ForstBW plant, bis zum Jahr 2020 rund 7%
                         den-Württemberg (ForstBW) veröffent-        der Staatswaldfläche einer natürlichen Ent-
                         lichte Alt- und Totholzkonzept (AuT)        wicklung zu überlassen. Mit eingerechnet sind
               ist ein Baustein des „Aktionsplans Biologische        dabei die bestehenden Bannwälder (2% der
               Vielfalt“. Es basiert auf dem Leitgedanken, aus-      Staatswaldfläche) und die Kernzone des Bio-
               reichend viele Bäume in ihren Alters- und Zer-        sphärengebietes Schwäbische Alb (0,3% der
               fallsphasen zu erhalten, um dem Arten- und            Staatswaldfläche (1 100 Hektar)). Die restliche
               Naturschutzzielen entgegen zu kommen. Es ist          Fläche kommt über die Umsetzung des Alt- und
               ein Instrument, das die Biotopvernetzung in-          Totholzkonzepts nach und nach hinzu. Wald-
               nerhalb des Waldes befördert. Stehendes und           refugien (Waldflächen ohne Nutzung), als ein
               liegendes Totholz ist für zahlreiche Arten wie        Schutzelement des Konzepts, können auch als
               Spechte, Fledermäuse und Käfer ein wichtiger          Kompensationsmaßnahmen im Sinne der natur-
               Bestandteil ihres Lebensraums.                        schutzrechtlichen Ökokonto-Verordnung aner-
                                                                     kannt werden (s. Kapitel 3.2. Seite 36).
               Das Konzept wurde für den Staatswald entwi-
               ckelt und ist in diesem verbindlich umzusetzen.       Das Alt- und Totholzkonzept steht im Internet
               Aspekte der Verkehrssicherheit und Unfallver-         auf den Seiten der Forstlichen Versuchs- und
               hütung wurden von Beginn an berücksichtigt.           Forschungsanstalt (FVA) zum Herunterladen zur
               Es kann problemlos auf andere Waldbesitzarten         Verfügung: www.fva-bw.de >> Themen >> Bi-
               übertragen werden. Im Einzelfall hat darüber der      ologische Vielfalt >> Aktuelle Forschung zum
               jeweilige Waldbesitzer zu entscheiden.                Thema (Kasten rechts). Hier sind auch Arbeits-
                                                                     hilfen eingestellt sowie die Ansprechpartner des
               Um eine rasche Umsetzung des Konzepts zu er-          Alt- und Totholzkonzepts genannt.
               möglichen, wurden bei den unteren Forst- und
               Naturschutzbehörden über 200 Multiplikatoren
     TIPP
               geschult. Diese stehen grundsätzlich auch für die
     FÜR DIE   Information und Beratung der kommunalen und
     PRAXIS
               privaten Waldbesitzer zur Verfügung.

               2.4. Das Zielartenkonzept des Landes

               D
                         as Zielartenkonzept (ZAK) ist ein Pla-      desweit prioritäre Schutz- und Entwicklungsziele
                         nungsinstrument für die regionale           des Arten- und Biotopschutzes umgesetzt. Mit
                         Ebene, insbesondere der kommunalen          der entsprechenden Maßnahme sollen die Bio-
               Landschaftsplanung (s. Kapitel 3.2.). Es formu-       diversität und die natürliche Dynamik der Land-
               liert den Rahmen für Ziele, die zur Erhaltung         schaft gefördert werden. Das Zielartenkonzept
               und Wiederherstellung langfristig überlebens-         unterstützt hierbei die Umsetzung von Biotop-
               fähiger Populationen ausgewählter Tier- und           verbundmaßnahmen auch der Wälder.
               Pflanzenarten (Zielarten) führen sollen. Das
               Zielartenkonzept soll Planer und Fachbehörden         Mit dem „Informationssystem Zielartenkonzept“
               bei einer standardisierten und strukturierten Ziel-   (IS-ZAK) steht in Baden-Württemberg seit Mai
               arten- und Maßnahmenkonzeption unterstützen,          2007 ein interaktives, anwenderfreundliches
               die letztlich auch in landesweitem Zusammen-          Planungswerkzeug zur Verfügung. Es dient der
               hang steht und landesweite Bedeutung hat. Da-         Berücksichtigung wesentlicher Inhalte und Ziel-
               mit wird nicht nur die Vegetationsstruktur und        vorgaben des Zielartenkonzepts. Der Zugang
               die Biotoptypenkartierung des Planungsgebiets         erfolgt ausgehend von der Internetseite der
               berücksichtigt; auch perspektivisch werden lan-       Landesanstalt für Umwelt, Naturschutz und Mes-

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