Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine* Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem
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Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 37 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine* Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem** Das Individuum als Wissensträger steht im Mittelpunkt eines systematischen Wissensmanagements, denn neben möglichen technischen Restriktionen sind insbe- sondere personelle Barrieren der Grund dafür, dass die strategische Ressource Wis- sen nur in suboptimalem Umfang weitergegeben und somit nicht zielkonform einge- setzt wird. Die Spieltheorie als eine Theorie sozialer Interaktion vermag den prob- lembehafteten Prozess der Wissensweitergabe zwischen den Wissensträgern abzubil- den und zu erklären, warum das Zurückhalten von Wissen durchaus im Interesse der Wissensträger sein kann. Die Untersuchung zeigt auf, dass für die verschiedenen Probleme der Wissensweitergabe jeweils eigene Lösungsmechanismen aus dem Per- sonalbereich existieren, die es systematisch anzuwenden gilt. Knowledge transfer as game theoretical problem The individual is at the centre of a systematic knowledge management because beside technological restrictions particularly barriers in the Human Resources area are the main reason, that the strategic resource knowledge is only transmitted subop- timally and hence can not be used effectively. Game theory, as a theory of social in- teraction, may be capable of representing the problematic process of knowledge transfer between employees and to explain, why it might be of interest to the actors not to transfer their knowledge. Our research shows, that each different situation of knowledge transfer has its own solving mechanism, which has to be applied system- atically in order to use the knowledge effectively. Key words: Knowledge transfer, game theory, knowledge economy, Human Resources barriers, conflicts of interests ____________________________________________________________________ * Univ.-Prof. Dr. Margret Borchert, Jg. 1964, Lehrstuhlinhaberin für Personal und Unterneh- mensführung an der Gerhard-Mercator Universität Duisburg, Lotharstrasse 65, D – 47057 Duisburg. E-Mail: margret.borchert@uni-duisburg.de. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen neben dem Wissensmanagement u.a. in der Gestaltung von Vergütungs- und Anreizsystemen. Sie leitet das vom BMBF geförderte Forschungspro- jekt „Wissensmanagement in Dienstleistungsprozessen“, in dessen Rahmen diese Arbeit ent- stand. Dipl.-Kfm. Thomas Röhling, Jg. 1973, wissenschaftlicher Mitarbeiter am oben genannten Lehrstuhl. Sein Forschungsschwerpunkt liegt u.a. im Bereich der spieltheoretischen Untersu- chung von wissensintensiven Dienstleistungsprozessen. E-Mail: thomas.roehling@uni- duisburg.de. Cand. rer. pol. Stefan Heine, Jg. 1976, studentische Hilfskraft im oben genannten For- schungsprojekt. Er beschäftigt sich mit spieltheoretischen Fragestellungen im Rahmen von Dienstleistungsprozessen. E-Mail: heine@uni-duisburg.de. ** Artikel eingegangen: 18.2.2002 revidierte Fassung akzeptiert nach doppelt-blindem Begutachtungsverfahren: 9.1.2003.
38 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem 1. Zur Relevanz der Wissensweitergabe im Wissensmanagement Zum Thema Wissensmanagement ist eine derart große Anzahl von Veröffentli- chungen zu finden, dass der Eindruck entsteht, es handelt sich hier um einen reinen „Modetrend“, der alsbald durch ein neues Schlagwort am Markt der Management- konzepte ersetzt werden wird (Heilmann 1999, 8; Götz 2000, 5). Eine Ursache für diese Vielzahl von Veröffentlichungen ist darin zu sehen, dass sie auf einer neuen Grundrichtung von Konzepten in der strategischen Unternehmensführung basieren; diese Grundrichtung wird als „Resource based view“ bezeichnet (Prahalad/Hamel 1990; Hamel/Prahalad 1994). Die Kernerkenntnis dieses Ansatzes liegt darin, dass die internen Potenziale einer Unternehmung und damit auch die personellen Ressour- cen nachhaltig zur Lösung von Kundenproblemen und damit zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen beitragen können (Wernerfelt 1984 & 1995). Eine Verbindung zum Wissensmanagement wird dadurch hergestellt, dass das Wissen von Mitarbeitern zum zentralen Konkurrenzvorteil wird, wenn durch die gezielte Nutzung des Mitar- beiterwissens beispielsweise Chancen auf sich rasch wandelnden Absatzmärkten erkannt, Marktpositionen gezielt besetzt, Rationalisierungsvorteile in der Produktion realisiert und effiziente Organisationsstrukturen entwickelt werden können (Bürklin 2001, 153). Als Wissen ist dabei die „Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten anzusehen, die die Mitarbeiter zur Problemlösung im Unternehmen einsetzen“ (Probst et al. 1999, 44). Häufig scheitert eine wettbewerbs- relevante Nutzung des Mitarbeiterwissens jedoch daran, dass die Wissensnutzung als Quelle der Erfolgserzielung weder erkannt noch ausgeschöpft wird. Dass das Wissen einen Produktionsfaktor darstellt, der sich bei dessen Gebrauch nicht verringert, son- dern sogar vermehren lässt, wird demnach bei der Entwicklung und Umsetzung von Führungskonzepten oft nicht berücksichtigt (Alex et al. 2000, 50). Folglich stellt ein systematisches Management von Wissen, das alle Funktionen, Hierarchiestufen und Organisationsbereiche eines Unternehmens entlang der Wertschöpfungskette durch- zieht, eine der Herausforderungen dar, mit denen das strategische Management von Unternehmungen konfrontiert wird (Herbst 2000, 9 u. 24). Die betriebswirtschaftliche Forschung hat das Thema Wissensmanagement mitt- lerweile als eigenen Forschungsgegenstand entdeckt. Neben der Veröffentlichung von phänomenologischen, vorwissenschaftlichen deskriptiven Beiträgen wurden bis- lang jedoch lediglich Anreize und Instrumente zur Entwicklung und Offenlegung von Wissen diskutiert (Kubitschek/Meckel 2000, 742). Die Problematik der Wissenswei- tergabe ist dagegen bislang noch keiner ökonomischen Analyse unterzogen worden. Dies verwundert umso mehr, weil der Zweig der Personalökonomie in den vergange- nen Jahren einen enormen Zulauf erfahren hat (Wolff/Lazear 2001; Backes- Gellner/Lazear/Wolff 2001). Da eine mangelnde Wissensweitergabe ein Kernprob- lem einer nachhaltigen Erfolgserzielung von Unternehmungen darstellen kann, und die ökonomische Forschung aufgefordert ist, Lösungsmöglichkeiten für dieses Prob-
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 39 lem aufzuzeigen, wird die Wissensweitergabe in Unternehmungen im vorliegenden Beitrag ökonomisch analysiert. Dabei wird zunächst die Wissensweitergabe als ein zentraler Baustein des Wissensmanagementkonzepts von Probst et al. (1999) identi- fiziert und erläutert. Anschließend wird die Spieltheorie als eine Theorie sozialer In- teraktion dazu genutzt, verschiedene Szenarien der Wissensweitergabe zu modellie- ren. Darüber hinaus werden Lösungsansätze für suboptimale Situationen im Prozess der Wissensweitergabe erarbeitet. 2. Wissensweitergabe als zentraler Baustein im Wissensmanagement 2.1 Bausteine des Wissensmanagements Die Wissensweitergabe stellt einen bedeutenden Baustein im Wissensmanage- ment dar, das im Ansatz von Probst et al. als Managementprozess konzeptualisiert wird (s. Abb. 1). Abb. 1: Bausteine des Wissensmanagements (in Anlehnung an Probst et al. 1999) Wissens- Wissens- feedback ziele bewertung Wissens- Wissens- identifikation bewahrung Wissens- Wissens- Wissens- erwerb weitergabe nutzung Wissens- Wissens- entwicklung (ver)teilung Dieses Konzept enthält mit dem inneren und dem äußeren Kreislauf zwei Kom- ponenten. Der äußere Kreislauf stellt einen klassischen Managementprozess dar und umfasst die strategischen Bausteine Wissensziele, Umsetzung und Wissensbewer- tung. Mit diesem äußeren Kreislauf soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Faktor Wissen im strategischen Management ebenso zu berücksichtigen ist wie viele andere traditionelle Zielkategorien im Rahmen der strategischen Planung (Probst et al. 1998, 132ff.). Der innere Kreislauf besteht aus den operativen Kernprozessen der Wissensidentifikation, des Wissenserwerbs, der Wissensentwicklung, der Wis- sens(ver-)teilung, der Wissensnutzung und der Wissensbewahrung. Es wird deutlich, dass die konkrete Umsetzung des Wissensmanagements über die Bausteine dieses in- neren Kreislaufs erfolgt. Um ein erfolgreiches Wissensmanagement zu realisieren, ist
40 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem daher die Funktionsfähigkeit sämtlicher Bausteine dieses inneren Kreislaufs zu ge- währleisten. Gelingt dies nicht, wird die Implementierung des Wissensmanagement- prozesses unterbrochen; das Wissensmanagement kann nicht zur Erfolgserzielung beitragen. Aus wissenschaftlicher Sicht bedarf insbesondere die Phase der Wissens(ver-) teilung, die nichts anderes als die Wissensweitergabe darstellt, einer eingehenderen Betrachtung. Die Wissensweitergabe stellt die personalwirtschaftliche Forschung vor besondere Herausforderungen, da sie eine Schlüsselstellung im Umsetzungsprozess des Wissensmanagements übernimmt. Diese besondere Position resultiert aus der Er- kenntnis, dass die Wissensweitergabe das Bindeglied zwischen den ersten drei Modu- len der Wissensidentifikation, des Wissenserwerbs und der Wissensentwicklung so- wie den letzten zwei Modulen der Wissensnutzung und der Wissensbewahrung des inneren Kreislaufs darstellt. Das Wissensmanagement kann im Rahmen der ersten drei Module auf die Forschungsergebnisse im Bereich der Personalentwicklung zu- rückgreifen. Hier erfolgt traditionell eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Problemen, wie die vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten von Mitarbeitern analysiert, die erforderlichen Personalentwicklungsmaßnahmen bestimmt und die da- für geeigneten Methoden gefunden werden können (Scholz, 2000, 505ff). Der Bau- stein der Wissens(ver-)teilung, der notwendig zur Fortsetzung des inneren Kreislaufs ist, wurde dagegen bislang betriebswirtschaftlich kaum thematisiert (Backes-Gellner, 2001, 327ff). Daher ist es erforderlich, sich ökonomisch mit der Bedeutung, den Ur- sachen und Folgen einer unzureichenden Wissensweitergabe genauer auseinander zu setzen. 2.2 Bedeutung, Ursachen und Folgen einer unzureichenden Wissensweitergabe Der Wissensweitergabe oder Wissens(ver-)teilung kommt im Prozess des Wis- sensmanagements eine besondere Rolle zu, da sie eine zwingende Voraussetzung da- für ist, isoliert vorhandene bzw. erworbene Informationen oder Erfahrungen für das gesamte Unternehmen nutzbar zu machen. Die Wissensweitergabe betrifft somit den Prozess der Generierung von Wissen innerhalb des Unternehmens. Dabei ist die Un- terscheidung von implizitem und explizitem Wissen zu beachten (Polanyi, 1985). Bei implizitem Wissen handelt es sich um personifiziertes Wissen, das schwer formali- sierbar und kommunizierbar ist. Es ist durch subjektive Einsichten (Werthaltungen) begründet und lässt sich durch die schwer begründbaren Begriffe „Intuition“ oder „Ahnung“ charakterisieren. Implizites Wissen lässt sich auch als Erfahrungswissen umschreiben. Explizites Wissen hingegen bezieht sich auf die Wissenspotenziale des Einzelnen, die sprachlich erklärbar sind, so dass es, vom Individuum losgelöst, für das Unternehmen nutzbar sowie verschiedenartig beschrieben, kommuniziert und da- durch auch mit anderen geteilt werden kann, z.B. durch multimediale Unterstützung. Eine Unterscheidung zwischen explizitem Wissen und Information ist hierbei nicht mehr möglich, da das weitergegebene explizite Wissen für den Aufnehmenden zuerst einmal lediglich eine Information ist. In dem Moment, in dem der Aufnehmende die-
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 41 se Information in seinen bisherigen Erfahrungsschatz einbaut, geht diese Information auch beim Aufnehmenden zu Wissen über. Die Bereitschaft sowie die Möglichkeit und Fähigkeit von Mitarbeitern, ihr im- plizites und explizites Wissen weiterzugeben, bildet schlussendlich erst die Voraus- setzung dafür, dass Wissen im bzw. vom Unternehmen oder anderen Individuen iden- tifiziert, erworben, entwickelt, genutzt oder bewahrt werden kann. Der Fokus richtet sich dabei nicht mehr allein auf die rein technische Seite des Wissensmanagements, sondern konzentriert sich zunehmend auf die individuelle Ebene der Wissensträger. Hier stellt sich insbesondere die Frage, wie die Weitergabe von Wissen gefördert werden kann. Wird das verfügbare Wissen in einem für das Unternehmen suboptima- len Umfang zur Verfügung gestellt oder weitergegeben, bleiben vorhandene Ressour- cen ungenutzt, so dass Erfolgspotenziale von Unternehmen nicht ausgeschöpft wer- den. Neben technischen Unzulänglichkeiten sind meist organisatorische Mängel so- wie personelle Barrieren der Grund für eine unzureichende Wissensweitergabe. Feh- len beispielsweise die technischen und organisatorischen Möglichkeiten zur Be- schreibung und Vermittlung von Wissen, kann die Wissensweitergabe an einer unzu- reichenden Externalisierung impliziten Wissens scheitern. Daneben wird die Weiter- gabe von Wissen insbesondere dann fehlschlagen, wenn die Individuen aus einem Machtkalkül heraus oder aufgrund divergierender individueller Präferenzen ihr Wis- sen bewusst zurückhalten oder manipulieren (Probst et al. 1999, 234). Konkurrenz- und Abteilungsdenken führen daher nicht selten dazu, dass gerade Experten ihr Wis- sen nicht preisgeben. Um wissenschaftliche Ansatzpunkte für derartige Probleme zu finden, seien daher nachfolgend Probleme der Wissensweitergabe spieltheoretisch modelliert. 3. Die Spieltheorie und Probleme der Wissensweitergabe 3.1 Gegenstand der Spieltheorie und die Darstellbarkeit von Konfliktsituationen Aufbauend auf von Neumanns 1928 bewiesenem Minimax-Theorem (Neumann 1928) zeigten von Neumann und Morgenstern (Neumann/Morgenstern 1944), dass sich soziale Erscheinungen wie z.B. strategisches Verhalten, wirtschaftliche Optimie- rungsprobleme, Kooperation gesellschaftlicher Gruppen sowie Konflikte und deren Lösung am besten in einem einheitlichen formalen System durch mathematisch mo- dellierte strategische Spiele beschreiben lassen. Seither ist die Spieltheorie aus den Sozialwissenschaften nicht mehr wegzudenken, hat als Erklärungsmodell Einzug in andere Disziplinen wie die Naturwissenschaften gehalten und bekam 1994 durch die Verleihung des Nobelpreises an maßgebliche Vertreter der mathematisch- ökonomischen Spieltheorie gewissermaßen ihren „wissenschaftlichen Ritterschlag“. Gegenstand der Spieltheorie, als einer Theorie sozialer Interaktion, ist die Analyse von strategischen Entscheidungssituationen, in denen sich die Entscheider darüber bewusst sind und in ihren Entscheidungen berücksichtigen, dass das Ergebnis von der Interdependenz zwischen den eigenen Entscheidungen und dem Verhalten anderer Entscheider abhängt. Die Spieltheorie analysiert Interessenkonflikte und/oder Koor-
42 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem dinationsprobleme, die für solche Entscheidungssituationen oder Interaktionsprozesse zwischen eigennutzorientierten Individuen charakteristisch sind. Dennoch ist die Spieltheorie keine Theorie im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr ein abstraktes, formales Instrumentarium zur Darstellung und Analyse von Interaktionszusammen- hängen (Holler/Illing 2000, 1). Die Weitergabe von Wissen impliziert immer auch die Interaktion von Individuen, den Wissensträgern. Unterschiedliche Nutzenkalküle, Machtaspekte, asymmetrisch verteilte bzw. unvollständige Informationen oder von- einander abweichendes individuell rationales Verhalten1 der Beteiligten können zu strategischen Problemen führen und mit den Zielen eines systematischen Wissensma- nagements kollidieren. Die methodische Stärke der Spieltheorie besteht darin, eben solche Situationen und komplexe Probleme sozialer Interaktion, aufbauend auf relativ wenigen normativen Annahmen, analysieren und aus einer klar definierten, objekti- vierten Beobachterperspektive heraus abbilden zu können (Wolff 1999, 35). 3.2 Das Ausgangsmodell Das folgende hypothetische Unternehmensmodell soll der spieltheoretischen Abbildung und Analyse von Prozessen der Wissensweitergabe einen anschaulichen Rahmen geben und den Realitätsbezug der Problemstellung verdeutlichen. Das Mo- dell von Wolff (Wolff 1999, 54-55) stellt dabei in modifizierter Weise die Grundlage der Überlegungen dar. Ein Unternehmer betreibt mit seinen Angestellten ein kleines Dienstleistungsunternehmen in der Softwarebranche, das auf Beratung und die Ent- wicklung kundenspezifischer Datenbank-Lösungen spezialisiert ist. Der Unternehmer (U) ist Eigentümer des Unternehmens, er besitzt Kapital, hat EDV-Grundwissen und ihm obliegt die kaufmännische Leitung des Unternehmens. Er sucht und pflegt Kon- takte zu Kunden des Unternehmens und hat einen Blick für den Bedarf potenzieller Kunden an innovativen Datenbank-Lösungen. Zwei Angestellte (P1, P2) sind Pro- grammierer und EDV-Experten. Sie sind diejenigen, die die Ideen des Unternehmers sowie die Wünsche der Kunden umsetzen. Sie arbeiten überwiegend projektbezogen, können sich ihre Arbeitszeit flexibel einteilen und zum großen Teil von zu Hause aus arbeiten. Das vorgestellte Modell ist ein für die Untersuchungen idealisiertes Unter- nehmensmodell, das sich gedanklich beliebig erweitern lässt, indem man bspw. in Anbetracht größerer Abteilungen bzw. Unternehmensbereiche U synonym für die Unternehmensführung sowie P1 und P2 synonym für entsprechende Abteilungen resp. Unternehmensbereiche verwendet. In diesem Fall stellt U das Management dar, das die Interessen der Kapital- resp. Unternehmenseigentümer vertritt. Wird Homogenität zwischen den Angestellten jeweils einer Abteilung hinsichtlich ihres Wissens, ihrer 1 Rational heißt in diesem Zusammenhang nur, dass die Individuen sich jeweils so verhalten, dass sie ihre eigene Wohlfahrt, die positiv vom Nutzen einer Handlung und negativ von deren Kosten abhängt, maximieren (Locher 1991a, 19). Rieck charakterisiert Rationalität als Meta- pher für die Fähigkeit der Individuen, zwischen besser und schlechter unterscheiden und sich konsistent danach verhalten zu können (Rieck 1993, 33).
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 43 Präferenzen, ihrer Kooperationsbereitschaft, ihrer Risikoneigung etc. unterstellt, las- sen sich vereinfachend Situationen der Wissensweitergabe zwischen diesen Abteilun- gen darstellen und untersuchen. Dieses Modell scheint geeignet, Problemfelder bei der Weitergabe von Wissen in Unternehmen abzubilden. Das in unserem Modell bei den Akteuren offenkundig vorhandene Expertenwissen, die darin begründeten Kom- munikationsprobleme zwischen den Wissensträgern, verschiedene Risikoneigungen der Individuen sowie eigennutzmotivierte Machtkalküle sind nur einige Beispiele für mögliche Konflikte, die bei der Weitergabe und der Bereitstellung von Wissen in ei- nem für das Unternehmen wünschenswerten, d.h. in gewinnmaximierendem, Umfang auftreten können. 3.3 Spieltheoretische Modellierung von Problemen der Wissensweitergabe Die Gefangenen-Dilemma-Situation der Wissensweitergabe Der Unternehmer hat die Chancen eines systematischen Wissensmanagements erkannt und ist sich bewusst, dass die Weitergabe des Expertenwissens der Angestell- ten dafür eine zwingende Voraussetzung ist. P1 und P2 treffen aufgrund ihrer flexib- len Arbeitsmöglichkeiten oft über einen längeren Zeitraum nicht aufeinander und tau- schen sich daher nur unregelmäßig hinsichtlich ihrer Erfahrungen und Erkenntnisse aus. U bittet P1 und P2 daher, den aktuellen Stand der Projekte, der Softwareentwick- lungen, neue technische Erkenntnisse und Problemlösungsmöglichkeiten etc. in ei- nem Erfahrungsbericht dem jeweils anderen Mitarbeiter zugänglich zu machen. Die „Kosten“ für die Weitergabe von Wissen an den anderen Mitarbeiter können als (Zeit)aufwand und/oder Machtverlust interpretiert werden. Der „Nutzen“ aus dem Wissen des anderen Mitarbeiters ist vielschichtig. Er kann als Zunahme an eigenem Wissen sowie als eingesparter (Zeit)aufwand resp. eingesparte Kosten für die Wis- sensbeschaffung verstanden werden. Es wird angenommen, dass beide Angestellten gleichermaßen den Nutzen aus eigenem Wissen (EW = Nutzen aus eigenem Wissen) höher einschätzen als den Nutzen aus dem Wissen des anderen (FW = Nutzen aus fremdem Wissen) und diesen wiederum höher als die Kosten für die Weitergabe von Wissen (K = Kosten der Wissensweitergabe).2 Es gelten im Folgenden die kardinalen Nutzenwerte EW=5, FW=3 und K=1. Unterstellt man ferner, dass die Angestellten ihr Wissen entweder vollständig weitergeben (wi) oder vollständig zurückhalten (zi), ergibt sich die folgende Matrix (s. Abb. 2): 2 Diese Konstellation ist bspw. denkbar, wenn die Akteure durch die Weitergabe von Wissen keinen oder nur einen geringen Machtverlust befürchten und/oder die Wissensweitergabe ef- fektiv und gleichzeitig wenig zeitaufwändig geschieht.
44 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem Abb. 2: Auszahlungsmatrix des Gefangenen-Dilemmas P2 w2 z2 7 (=5+3-1) 8 (=5+3) w1 P1 7 (=5+3-1) 4 (=5-1) 4 (=5-1) 5 z1 8 (=5+3) 5 Geben beide (P1 und P2) ihr Wissen an den anderen weiter, ergibt sich ihr Nut- zen als Summe aus dem Nutzen des eigenen Wissens und dem Wissen des Mitarbei- ters abzgl. der Kosten für die Wissensweitergabe (7=5+3-1). Gibt nur einer sein Wis- sen weiter, so hat derjenige, der sein Wissen zurückhält, den größtmöglichen Nutzen (8=5+3), denn er erhält das Wissen des anderen, ohne dafür eigenes Wissen weiter- geben zu müssen. Derjenige, der sein Wissen weitergibt, ohne selbst Wissen zu erhal- ten, stellt sich am schlechtesten (4=5-1). Sind beide nicht bereit ihr Wissen weiter- zugeben, ist ihr Nutzen gleich dem Nutzen aus dem eigenen Wissen (5). Die beiden Akteure befinden sich in der klassischen Gefangenen-Dilemma-Situation (Hofstadter 1983, 8-10; Locher 1991a, 19-20; Locher 1991b, 64; Rieck 1993, 36-42; Holler/Illing 2000, 2-7): Das Wissen zurückzuhalten ist dabei für beide die dominante Strategie. Beide Akteure werden individuell rational handeln und ihre dominante Strategie wäh- len, denn unabhängig davon wie sich der andere verhält, stellt sich der Einzelne im- mer besser, indem er seine „Trittbrettfahrer-Strategie“ wählt und Wissen zurückhält. Dieses Ergebnis ist pareto-inferior und kann nicht zufrieden stellen, denn würden beide statt individuell zu handeln, kollektiv rational handeln, würden sie sich indivi- duell besser stellen. Würden beide ihr Wissen an den jeweils anderen weitergeben, ließe sich das kollektiv beste Ergebnis (14=7+7) erzielen; stattdessen wird das kollek- tiv schlechteste Ergebnis (10=5+5) realisiert. Die Situation (z1, z2) stellt sich als stabi- les Nash-Gleichgewicht ein, d.h. als eine Strategiekombination, in der keiner der Ak- teure einen Anreiz hat, als einziger von der gewählten Kombination abzuweichen. Keiner der Akteure kann sich also verbessern, indem er als einziger eine andere als die Gleichgewichtskombination wählt (Rieck 1993, 24-27; Illing 1995, 510; Tiet- zel/Müller 1998, 128; Meyer 1999, 170-172; Holler/Illing 2000, 9-12). Probleme bei der Bereitstellung von Wissen – Chicken-Game In diesem sowie im folgenden Kapitel wird nicht mehr der Prozess der Wis- sensweitergabe an den jeweils anderen Mitarbeiter isoliert betrachtet, sondern um die Annahme erweitert, dass mit der Weitergabe von Wissen dieses allgemein „bereitge-
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 45 stellt“ wird.3 Es wird die These aufgestellt, und von den Akteuren bewusst in ihrem Handeln berücksichtigt, dass schon die alleinige, einseitige Bereitstellung4 von Wis- sen den Nutzen aus eigenem Wissen positiv beeinflusst und zugleich das alleinige Zurückhalten von Wissen durch den anderen den eigenen Nutzen nicht vermindert. Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn der Prozess der Wissensbereitstellung eine strukturierte Aufbereitung eigenen Wissens voraussetzt, die sich wiederum positiv auf die Art und den Umfang des generell verfügbaren Wissens auswirkt. So ist es bspw. denkbar, dass sich erst die strukturierte Verfügbarkeit von Wissen im positiven Sinne produktiv auf die Schöpfung neuen Know-hows resp. Wissens auswirkt. Das einmal bereitgestellte Wissen kann unter den o.g. Annahmen also wie ein „Quasi- Kollektivgut“ mit den Eigenschaften der Nicht-Rivalität und der Nicht- Ausschließbarkeit behandelt werden. Nicht-Rivalität meint hier, dass der Nutzen aus dem bereitgestellten Wissen von der Zahl der „Wissenskonsumenten“ unabhängig ist. Die Ausschließbarkeit vom Gebrauch des bereitgestellten Wissens ist zwar generell möglich, es wird aber zunächst davon ausgegangen, dass diese unterbleibt. Beide Ak- teure, P1 und P2, verfügen per definitionem über die gleiche Ausstattung an relevan- tem Wissen.5 Sie sind daran interessiert, dass dieses Wissen überhaupt bereitgestellt wird und sie ziehen eigenes (durch den Prozess der Bereitstellung) strukturiertes Wis- sen dem eigenen unstrukturierten Wissen vor. Die Situation, in der überhaupt keine Bereitstellung zustande kommt (z1, z2), wird von beiden als die schlechtest mögliche Konstellation betrachtet und bedeutet demzufolge einen geringeren Nutzen als im Falle der alleinigen Bereitstellung [(w1, z2) bzw. (z1, w2)]. Eine solche Präferenzkons- tellation, in der beide Akteure die Situation beiderseitiger Nichtkooperation (hier: Nicht-Bereitstellung von Wissen) schlechter einstufen als die Situation einseitiger Kooperation (hier: Weitergabe resp. Bereitstellung von Wissen), ist in der Spieltheo- rie als Chicken-Game bekannt (Tietzel/Müller 1998, 128). Weiterhin seien EW=5, FW=3 und K=1. Ergänzend wird angenommen, dass beide Akteure den entgangenen Nutzen aus einer totalen Nicht-Bereitstellung (z1, z2) mit einem Verlust von 2 Nut- zeneinheiten bewerten. Des Weiteren wird angenommen, dass der Nutzenzuwachs 3 Es kann z.B. angenommen werden, dass das Wissen nicht bloß an einen oder mehrere Mitar- beiter weitergegeben wird, sondern bspw. via Intranet oder Internet vielen bzw. allen Interes- sierten zur Verfügung steht. 4 Hier und im Folgenden wird stellenweise der Begriff Wissensbereitstellung anstelle von Wis- sensweitergabe verwendet. Er ist umfassender und impliziert mithin die Weitergabe von Wis- sen. Die formale Bezeichnung der Handlungsalternativen wird aus pragmatischen Gründen al- lerdings beibehalten: wi = Bereitstellung von Wissen, zi = Nicht-Bereitstellung von Wissen. 5 Relevantes Wissen (konkret: z.B. das Wissen über neue technische Erkenntnisse, Software- oder Problemlösungen) kann allgemein als Teilmenge des gesamten Wissens der Akteure ver- standen werden. Überschneidet sich das relevante Wissen der Akteure, reduziert es sich in der Summe um die Schnittmenge. Fällt das relevante Wissen der Akteure zusammen, d. h. ist es identisch, hat kein Akteur einen Nutzen aus dem Wissen des jeweils anderen.
46 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem aus einer Strukturierung eigenen Wissens im Falle der alleinigen Weitergabe bereits in EW enthalten ist. Es ergibt sich folgende Matrix (s. Abb. 3):. Abb. 3: Chicken-Game-Auszahlungsmatrix der Wissensbereitstellung P2 w2 z2 7 (=5+3-1) 8 (=5+3) w1 P1 7 (=5+3-1) 4 (=5-1) 4 (=5-1) 3 (=5-2) z1 8 (=5+3) 3 (=5-2) Keiner der beiden Akteure hat eine dominante Strategie: Erwartet P1, dass der andere sein Wissen bereitstellt, so wird er selber sein Wissen nicht weitergeben, da er so die Kosten der Wissensbereitstellung nicht zu tragen hat, der andere die Bereitstel- lung des relevanten Wissens „übernimmt“, und P1 so seinen Nutzen maximiert [8 (=5+3)] > [7 (=5+3-1)]. Gibt der andere hingegen sein Wissen nicht weiter, so ist es für ihn immer noch besser, sein Wissen bereitzustellen und so einen höheren Nutzen aus dem eigenen strukturierten Wissen zu ziehen, als dies im Falle der eigenen Nicht- Bereitstellung möglich wäre. P1 hat dann zwar die Kosten der Bereitstellung zu tra- gen, zieht aber gleichzeitig einen Nutzen aus der strukturierten Bereitstellung eigenen Wissens, wohingegen bei beidseitiger Nicht-Bereitstellung der Nutzen aus dem eige- nen Wissen sogar abnimmt [4 (=5-1)] > [3 (=5-2)].6 Die beiden „Trittbrettfahrer- Konstellationen“ (z1, w2) und (w1, z2) sind die Nash-Gleichgewichte in reinen Strate- gien. Es ist aber auch ein drittes Gleichgewicht denkbar, das sich einstellt, wenn jeder Akteur zwischen seinen reinen Strategien wi und zi mit einer Wahrscheinlichkeit von ½ mischt. Welche Lösung sich einstellen wird, resp. wie sich die Akteure schlussend- lich verhalten werden, kann a priori jedoch nicht gesagt werden. Dennoch ist auch dieses Ergebnis nicht zufriedenstellend. Obschon die Bereitstellung des Wissens durch beide Akteure (w1, w2) aus dem Spiel heraus generell möglich ist, werden sich, wie gezeigt, auch andere Konstellationen ergeben, die wiederum gegenüber der kol- lektiv besten Lösung der allgemeinen Wissensbereitstellung pareto-inferior sind. Die Modifizierung der oben getroffenen Annahme der Nicht-Ausschließbarkeit von ein- mal bereitgestelltem Wissen stellt möglicherweise einen Lösungsansatz für die Prob- lematik dar. Im weiteren Verlauf wird untersucht, ob und inwieweit der Ausschluss vom Gebrauch einmal bereitgestellten Wissens die Bereitschaft zur Bereitstellung des Wissens durch die Akteure positiv beeinflussen kann. 6 Analog für P2.
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 47 Die Ausbeutung der „Guten“ durch die „Bösen“ Bisher wurde stets angenommen, dass die Akteure die verschiedenen möglichen Konstellationen aus Bereitstellung und Nicht-Bereitstellung von Wissen hinsichtlich des daraus für sie resultierenden Nutzens gleichrangig einschätzen. Auch wenn „die Kunst spieltheoretischer Modellierung darin besteht, von den vielen Aspekten einer realen Situation gerade die relevanten zu erfassen“ (Rieck 1993, 41) und die Gefan- genen-Dilemma-Situation sowie das Chicken-Game durchaus reale Situationen ab- bilden, so scheint es angebracht, die Annahme gleicher Präferenzen resp. gleicher Be- reitschaft der Individuen zur Bereitstellung von Wissen aufzuheben. Im Weiteren soll daher die Situation untersucht werden, in der sich beim Prozess der Wissensbereit- stellung Akteure mit voneinander abweichenden individuellen Interessen gegen- überstehen. Die Annahme der „Quasi-Kollektivgut-Eigenschaft“ des Wissens sowie die Annahme, dass beide Akteure über eine gleiche Ausstattung an relevantem Wis- sen verfügen, werden allerdings weiterhin aufrechterhalten. Olson bezeichnet eine „Konstellation, in der Personen mit geringerem Interesse an der Bereitstellung eines Kollektivguts ein vergleichsweise intensives Bedürfnis anderer nach diesem Gut rati- onal ausnutzen“ (Tietzel/Müller 1998, 127) als eine „Ausbeutung der Großen durch die Kleinen“ (Olson 1977, 29). In Anlehnung an diese Situation von Olson und in Bezug auf Tietzel/Müller (1998) wird folgende Situation der Wissensbereitstellung untersucht: Die Akteure P1 und P2 sind von U dazu angehalten, ihr relevantes Wissen einander zugänglich zu machen. Der „Böse“ P1 hat dabei Gefangenen-Dilemma- Präferenzen, d. h. ihm „nutzt“ die alleinige Bereitstellung des Wissens durch den an- deren (z1, w2) am meisten und der Nutzen einer totalen Nicht-Bereitstellung (z1, z2) ist für ihn, bspw. aufgrund ausgeprägten Machtdenkens, höher als bei alleiniger Bereit- stellung (w1, z2). Der „Gute“ P2 ist ein Akteur mit Chicken-Präferenzen, d.h. auch ihm „nutzt“ die alleinige Bereitstellung des Wissens durch den anderen (w1, z2) zwar am meisten, die Annahme, dass er aber generell die Bereitstellung von Wissen ge- genüber der totalen Nicht-Bereitstellung vorzieht, führt dazu, dass er die alleinige Be- reitstellung (z1, w2) der totalen Nicht-Bereitstellung (z1, z2) vorzieht. Es ergibt sich die folgende Matrix (s. Abb. 4): Abb. 4: Auszahlungsmatrix „Gut gegen Böse“ P2 w2 z2 7 (=5+3-1) 8 (=5+3) w1 P1 7 (=5+3-1) 4 (=5-1) 4 (=5-1) 3 (=5-2) z1 8 (=5+3) 5 Für P1 ist, wie im Gefangenen-Dilemma, die Nicht-Bereitstellung von Wissen die dominante Strategie, insofern sich P1 immer besser stellt, indem er sein Wissen
48 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem zurückhält, unabhängig davon, wie sich P2 verhält. Akteur P2 hingegen hat Chicken- Präferenzen, d.h. ihm „nutzt“ die totale Nicht-Bereitstellung von Wissen weniger als die alleinige Bereitstellung. Das einzige Nash-Gleichgewicht des Spiels „Gut gegen Böse“ stellt sich bei (z1, w2) ein. P1 „zwingt“ P2 dazu, die Bereitstellung des Wissens alleine zu übernehmen, um die aus P2´s Sicht schlechteste Konstellation (z1, z2) zu vermeiden. Im Nash-Gleichgewicht (z1, w2) mit den Nutzenwerten (8, 4) erzielt P1 sein bestmögliches Ergebnis resp. seinen höchsten Nutzen, P2 hingegen sein zweitschlechtestes Ergebnis. Unterstellen wir, dass P1 und P2 die Präferenzen des je- weils anderen bekannt sind, so ist der „Böse“ P1, der relativ wenig Interesse an der Bereitstellung eigenen Wissens hat, bewusst „Trittbrettfahrer“ auf Kosten des „Gu- ten“ P2, dem am wenigsten an einer Nicht-Bereitstellung gelegen ist und das Wissen alleine auf seine „Rechnung“ bereitstellt. Es sei aber darauf hingewiesen, dass nicht das „Trittbrettfahren“ von P1 allein, sondern das individuell rationale Verhalten bei- der Akteure hinsichtlich ihrer Präferenzen dafür ausschlaggebend ist, dass sich mit dem Nash-Gleichgewicht (z1, w2) eine pareto-inferiore Konstellation gegenüber der kollektiv bestmöglichen Situation (w1, w2) einstellt. Erweitert man die Überlegungen und nimmt an, dass sich ein Akteur in einer Gruppe aus mehreren Individuen mit dem Problem der Bereitstellung von Wissen konfrontiert sieht, so kann, ohne einer Prob- lemlösung vorzugreifen, die These aufgestellt werden, dass der Anreiz zum Trittbrett- fahren nicht zuletzt von der Größe und den Präferenzen innerhalb dieser Gruppe ab- hängt (vgl. Kapitel 4.3). 4. Lösungsansätze für suboptimale Entscheidungssituationen In den Ausgangsspielen zum Gefangenen-Dilemma und zum Chicken-Game leg- ten die Akteure ihre Strategie bei imperfekter (unvollkommener) Information, d.h. in Unkenntnis bestimmter Entscheidungen des anderen (Rieck 1993, 101-110) fest. Be- trachtet man die Spiele sequentiell, d.h. unterstellt man den Akteuren fortan perfekte Information über die Handlungen des anderen, stellt sich im Ergebnis dennoch nie die kollektiv pareto-optimale Lösung ein. Während im sequentiellen Gefangenen-Dilemma keine andere als die pareto-inferiore Gleichgewichtskonstellation (z1, z2) gespielt wird, kann im sequentiellen Chicken-Game derjenige Spieler, der als erster „am Zug“ ist, seinen sog. „First-Mover-Advantage“ nutzen und das Spiel zu seinen Gunsten beein- flussen, dergestalt, dass sich – gleich dem Spiel „Gut gegen Böse“ – die Konstellation (z1, w2) als Nash-Gleichgewicht einstellt. Auch die perfekte Information der Akteure führt also zu keiner befriedigenden Lösung. Ob bestimmte Anreiz- oder Sanktionsme- chanismen dazu in der Lage sind, wird im Folgenden untersucht. 4.1 Sanktions- und Anreizmechanismen Die Annahme von Chicken-Präferenzen der Akteure und deren Verhalten bei der Wissensbereitstellung stützte sich auf die unterstellte „Quasi-Kollektivgut- Eigenschaften“ des Wissens. Die Nicht-Rivalität als eine Eigenschaft einmal bereit- gestellten Wissens kann nicht angezweifelt werden, denn Wissen, insbesondere ein- mal bereitgestelltes, „nutzbares“ Wissen, verbraucht sich bei seiner Nutzung nicht.
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 49 Die unterstellte Eigenschaft der Nicht-Ausschließbarkeit kann hingegen mit Hilfe von Sanktionsmechanismen aufgehoben werden. Wie gezeigt, führt das individuell ratio- nale, eigennutzmaximierende Verhalten der Akteure mit Chicken-Präferenzen nicht automatisch zur kollektiv besten Lösung. Es sei angenommen, dass ein zwischen dem Unternehmer U und den Angestellten P1 sowie P2 geschlossener Vertrag die Ver- pflichtung von P1 und P2 zur Bereitstellung ihres relevanten Wissens beinhaltet. Des Weiteren sei in dem Vertrag festgehalten, welche Konsequenzen sich für P1 und P2 aus einer Erfüllung bzw. Nichterfüllung ihrer Vertragspflicht ergeben. Dabei wird un- terstellt, dass es U möglich ist, die Wissensbereitstellung zu überwachen und einmal bereitgestelltes Wissen zu „steuern“. Die Personalbeurteilung als ein Instrument des Personalwesens kann dabei die Überwachung der Wissensweitergabe entscheidend unterstützen. Findet eine Beschreibung und Bewertung der Organisationsmitglieder auch im Hinblick auf das Kriterium der Weitergabe von Wissen Anwendung, kann sowohl einer Erfolgskontrolle mit Blick auf den angestrebten optimalen Wissensfluss im Unternehmen Rechnung getragen als auch eine Entscheidungsbasis für das Füh- rungshandeln resp. die Durch- bzw. Umsetzung von Sanktionen und/oder Anreizen geschaffen werden. Um dabei eine höchstmögliche Effizienz eines sensiblen Einsat- zes von Sanktions- und Anreizinstrumenten zu gewährleisten, bedarf es neben der konsequenten „Fahndung“ nach erfolgter oder unterlassener Wissensweitergabe ins- besondere einer Bewertung von Güte und Umfang des weitergegebenen Wissens. Da- zu muss das relevante Wissen klar abgegrenzt sein, um als Zielvorgabe für Umfang und Güte der Wissensweitergabe zu dienen und einen Soll-/Ist-Vergleich zu ermögli- chen. Obschon der Aufwand der Beurteilung praktikabel bleiben muss und die zu wählende Form der Beurteilung in Bezug auf ihre Träger regelmäßig stark vom orga- nisationalen Aufbau des Unternehmens abhängt, bietet sich tendenziell eine Beurtei- lung in Form eines 360°-Feedback an. Dabei handelt es sich um die umfassendste Form der Personalbeurteilung, weil das Leistungsverhalten des zu Beurteilenden aus unterschiedlichen Perspektiven (Vorgesetzter, Kollegen, Mitarbeiter, Kunden) einge- schätzt wird (Gerpott 2000, 195ff, Neuberger 2000). Wenngleich der Aufwand dafür nicht unterschätzt werden darf, spricht insbesondere das hohe Maß an Transparenz und Objektivität für diese Beurteilungsform. Im Folgenden werden zwei Möglichkei- ten aufgezeigt, wie Sanktions- oder Anreizmechanismen beide Akteure zur Bereitstel- lung ihres Wissens veranlassen können. Im ersten Fall sorgt der vertraglich verein- barte Ausschluss von der Nutzung des bereitgestellten Wissens bei Nicht- Bereitstellung eigenen Wissens dafür, dass die Bereitstellung des Wissens (w) fortan dominante Strategie beider Akteure ist und sie die von U gewünschte, da kollektiv pareto-optimale, Situation (w1, w2) spielen (s. Abb. 5). Die „Vertragsstrafe“ für eine einseitige Nicht-Bereitstellung drückt sich im entgangenen Nutzen aus fremdem Wis- sen aus (FW=-3). Die Annahme einer derartigen Strafe durch Ausschluss stellt in der spieltheoretischen Terminologie eine Änderung der Regeln des Spiels gegenüber dem Ausgangsspiel dar und determiniert dessen Lösung in der aufgezeigten Weise. Ob- wohl sich die gewünschte Lösung einstellt, erscheint ein derartiger Sanktionsmecha- nismus wenig effektiv und kaum praktikabel. Zur wirksamen Durchsetzung genügt es
50 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem nämlich gerade nicht, sich von Seiten des Unternehmens auf die bloße Androhung der Sanktion zu berufen, da perfekt informierte Spieler dies sehr schnell antizipieren und in ihrem Handeln berücksichtigen würden. Als Folge, dass der Ausschluss von der Nutzung bereitgestellten Wissens lediglich angedroht, nicht aber vollzogen wird, käme keine andere als die Lösung des Ausgangsspiels zustande. Es ist augenschein- lich, dass die wirksame Sanktion durch Ausschluss einen hohen organisatorischen Aufwand für das Unternehmen erfordert, dessen Kosten aller Wahrscheinlichkeit nach den Nutzen aus einer optimalen Wissensbereitstellung übersteigen würden. Wenngleich es sich hier um eine einperiodige Betrachtung des Spiels handelt, würde die Sanktion erst nach erfolgter und erkannter Nicht-Bereitstellung wirksam. Der Ausschluss eines Mitarbeiters von der Partizipation an verfügbarem, bereitgestelltem Wissen würde sich jedoch zusätzlich kontraproduktiv auf dessen Erfolgsbeitrag in der Periode des Nutzungsausschlusses auswirken, weswegen eine derartige Sanktion, obwohl theoretisch möglich und auch zielführend, kaum praktische Relevanz finden wird. Abb. 5: Vertraglicher Nutzungsausschluss bei Nicht-Bereitstellung im Chicken-Game P2 w2 z2 7 (=5+3-1) 5 (=5+3-3) w1 P1 7 (=5+3-1) 4 (=5-1) 4 (=5-1) 3 (=5-2) z1 5 (=5+3-3) 3 (=5-2) Im zweiten Fall wirkt sich eine Bereitstellung bzw. Nicht-Bereitstellung des Wissens positiv oder negativ auf die Entlohnung der Akteure aus. Wenngleich im Folgenden von „Sanktion“ gesprochen wird, ist es regelmäßig ein betriebliches An- reizsystem – und kein „Sanktionssystem“ –, das die Bedürfnisse der Organisations- mitglieder zu befriedigen und die Erreichung von Unternehmenszielen zu unterstüt- zen versucht. In diesem Verständnis kann Sanktion verstanden werden als eine Nicht- Gewährung von Anreizprämien aufgrund nicht erbrachter Leistungen. Ohne sich in einer detaillierten Aufzählung möglicher Anreizinstrumente und ihrer Ausgestaltung zu verlieren, soll kurz auf denkbare Ansätze eingegangen werden. Wenngleich in Zei- ten, die von einer angespannten Situation am Arbeitsmarkt gekennzeichnet sind, wie wir sie momentan vorfinden, immaterielle Anreize, im Extrem reduziert auf den „si- cheren Arbeitsplatz“, zunehmende Bedeutung erlangen, stehen materielle und insb. monetäre Anreize im Mittelpunkt der Möglichkeiten zur Verhaltenssteuerung der Mitarbeiter. Denkbar sind bspw. entsprechend ausgestaltete, leistungsabhängige Ent- lohnungsformen, etwa in Form eines Prämienlohns, oder Formen der Erfolgsbeteili- gung. Es muss jedoch kritisch auf die Quantifizierungs- und Zuordnungsproblematik von Erfolgsbeiträgen aus der Wissensweitergabe hingewiesen werden, die eine An-
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 51 wendung derartiger Anreizinstrumente hinsichtlich einer leistungsgerechten Entloh- nung erschweren. Als Konzept einer individualisierten betrieblichen Sozial- und Ent- geltpolitik vermag ein entsprechend ausgestaltetes Cafeteria-System Gehalts- und Zeitkomponenten sowie freiwillige Sozialleistungen unter Berücksichtigung der indi- viduellen Präferenzen der Mitarbeiter miteinander zu verknüpfen (Föhr 1994; Lang- meyer 1999; Wagner 1986). Insbesondere freiwillige Sozialleistungen, die über das gesetzliche bzw. tarifvertragliche Maß hinausgehen, stellen dabei ein nicht zu unter- schätzendes Anreiz- und Motivationsinstrument dar, das dem Arbeitgeber vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Auch das Cafeteria-System unterliegt der o.g. Quantifizierungsproblematik, es verbindet jedoch verschiedene Anreizinstrumente miteinander und lässt den Arbeitnehmern zudem die Möglichkeit, unter der Prämisse der Kostenneutralität frei aus den gegebenen Alternativen auszuwählen. Zudem wirkt es, neben dem materiellen Anreiz selbst, über das hohe Maß an Selbstbestimmung motivationsfördernd auf die Mitarbeiter. Die folgenden spieltheoretischen Überle- gungen sind bewusst allgemein gehalten und beziehen sich nicht auf ein bestimmtes Anreizinstrumentarium. Die als „Sanktionsverlust“ bezeichnete Strafe bei Nichterfül- lung der Vertragspflichten kann als mit einem Nutzenverlust verbundener genereller Ausschluss von der Partizipationsmöglichkeit an einem die Leistung belohnenden Anreiz- resp. Entlohnungssystem interpretiert werden. Dementsprechend belohnt die „Anreizprämie“ die Akteure mit der Partizipationsmöglichkeit am Anreizsystem und der Gewährung von leistungsabhängigen Einkommensbestandteilen bei Vertragser- füllung. Unterstellt man also, dass das Gehalt der Akteure einen leistungsabhängigen Einkommensbestandteil enthält, der an die Erfüllung der Vertragspflichten gekoppelt ist und ferner beide Akteure eine Sanktion bei Vertragsverletzung resp. Nicht- Bereitstellung „gleich schlecht“ bewerten (Sanktionsverlust S=2), resultiert aufgrund der allgemeinen dominanten Strategie der Bereitstellung (w) die pareto-optimale Gleichgewichtskonstellation (w1, w2) (s. Abb. 6). Ein von beiden Akteuren als „gleich gut“ bewerteter Anreiz (Anreizprämie A=2) in Form einer Gewährung des leistungs- abhängigen Einkommensbestandteils führt ebenfalls aufgrund der allgemeinen domi- nanten Strategie der Bereitstellung (w) zur pareto-optimalen Gleichgewichtskonstel- lation (w1, w2) (s. Abb. 7). Die folgenden Matrizen bilden die beschriebenen Ver- tragslösungen ab: Abb. 6: Vertragliche Sanktion bei äquivalenter Bewertung des Verlustes im Chicken-Game P2 w2 z2 7 (=5+3-1) 6 (=5+3-2) w1 P1 7 (=5+3-1) 4 (=5-1) 4 (=5-1) 1 (=5-2-2) z1 6 (=5+3-2) 1 (=5-2-2) Abb. 7: Vertraglicher Anreiz bei äquivalenter Bewertung der Prämie im Chicken-Game
52 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem P2 w2 z2 9 (=5+3-1+2) 8 (=5+3) w1 P1 9 (=5+3-1+2) 6 (=5-1+2) 6 (=5-1+2) 3 (=5-2) z1 8 (=5+3) 3 (=5-2) Es zeigt sich, dass sich sowohl der Ausschluss von der Nutzung des bereitge- stellten Wissens als auch Sanktionen und Anreize bei Nicht-Bereitstellung bzw. zur Bereitstellung von Wissen durch vertragliche Vereinbarungen effizient einsetzen las- sen.7 Die eigennutzorientierte Motivationsbasis der Akteure wird bewusst in Kauf genommen und durch die vertraglich vereinbarten Anreize bzw. Sanktionen dazu ge- nutzt, die kollektiv optimale Situation herbeizuführen (Locher 1991b, 62). Ob eine Selbstbindung der Akteure ohne Sanktionsmechanismen zu einer gleichsam effizien- ten Lösung führen würde, ist zweifelhaft. Ohne diese Einschätzung näher vertiefen zu wollen, sei an dieser Stelle zumindest auf das Problem der Glaubwürdigkeit bei stra- tegischen Zügen, insbesondere bei einer Selbstbindung der Akteure, hingewiesen. Selbst eine mündliche Übereinkunft der Akteure, sich auf ein bestimmtes Verhalten festzulegen, ändert nichts an der Tatsache, dass sie in der Entscheidungssituation be- strebt sein werden, ihren erwarteten Nutzen streng logisch zu maximieren (Sel- ten/Nagel 1998, 16) und daher einen starken Anreiz haben, in bestimmten Situationen von der Selbstbindung abzuweichen. Dennoch ist der Beitrag, den eine entsprechende Unternehmenskultur als Anreiz für eine intrinsisch motivierte Wissensbereitstellung leisten kann, nicht zu unterschätzen. So kann bspw. das „Vorleben“ eines offenen Di- aloges entscheidend zum Aufbau einer Vertrauensbasis beitragen, die einer freiwillig motivierten Wissensweitergabe förderlich ist. 4.2 Wiederholte Spiele In den bisherigen Ausführungen wurde untersucht, welches Verhalten die Mit- arbeiter bei einem einmaligen Spiel zeigen. Mitarbeiter in einem Unternehmen arbei- ten aber i.d.R. über einen längeren Zeitraum zusammen und wissen nicht im Voraus, wann ihr definitiv letztes Spiel stattfindet, da ihre Zusammenarbeit durch Kündigung, Entlassung etc. beendet werden kann (Binmore 1992, 357ff). Gegeben sei nun p, wel- ches angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine weitere Periode stattfindet, und der Abdiskontierungsfaktor , der angibt, wie stark zukünftige Nutzenwerte durch P1 und 7 Das Spiel „Gut gegen Böse“ führt zu gleichen Ergebnissen, d.h. die kollektiv pareto-optimale Gleichgewichtssituation (w1, w2) wird in allen drei Fällen erreicht.
Zeitschrift für Personalforschung, 17. Jg., Heft 1, 2003 53 P2 bewertet werden.8 Bei unendlich wiederholten Spielen zeigt die Spieltheorie, dass sich eine Kooperationssituation einstellt. Aus den Nutzenwerten aus dem oben darge- stellten Gefangenen-Dilemma (s. Abb. 2) ergibt sich daher folgender erwarteter Nut- zenwert (EWN), wenn die Spieler die von der Spieltheorie vorhergesagte Gleichge- wichtsstrategie (w1,w2) in allen Perioden spielen: EWN(w1) = 7 + 7 * p* .....+ 7 * p N * N+ 7 * p N+1 * N+1....... p, Є ] 0,1[ Interessant ist nun, ob es sich für P1 lohnt, in einer Periode N von der Gleichge- wichtsstrategie abzuweichen und sein Wissen nicht weiterzugeben. Wenn P1 dies tut, wird P2 unmittelbar reagieren und in der nächsten und in jeder weiteren Periode sein Wissen ebenfalls nicht weitergeben. Es ergibt sich folgender EWN für P1: EWN (z1)= 7 + 7 * p* .....+ 7 * p N-1 * N-1 + 8 * p N *N + 5 * p N+1* N+1+ 5 * p N+2 * N+2…... p, Є ] 0,1[ Eine Zurückhaltung von Wissen lohnt sich also nicht, wenn EWN(w1) ./. EWN (z1) > 0. Durch Einsetzen und Umformungen ergibt sich folgende Ungleichung: N N p 0 p 1 2 1 p 1 Aus dieser Ungleichung kann man erkennen, dass P1 und P2 eher Wissen weiter- geben als zurückhalten, wenn die Wahrscheinlichkeit p ausreichend groß ist und/oder der Abdiskontierungsfaktor ausreichend hoch ist. Der Eigentümer kann auf die Wahrscheinlichkeit p, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass eine weitere Periode gespielt wird resp. ein Mitarbeiter nicht kündigt, leicht Einfluss nehmen. Durch Anwendung von Arbeitsverträgen mit langen Kündigungsfristen erhöht der Arbeitgeber die Wahr- scheinlichkeit, dass eine weitere Periode der Zusammenarbeit erfolgen wird. Die Tournament-Theorie geht davon aus, dass steigende Einkommensprofile mit einer überdurchschnittlich hohen Entlohnung in den höheren Hierarchieebenen eine hohe Fluktuation in einem Unternehmen verhindern, da die Mitarbeiter einen verstärkten Anreiz haben, auf diese Entlohnung zu spekulieren (Kräkel 1999; Lazear/Rosen 1981). Dieser Anreiz wird noch verstärkt, wenn das Unternehmen eine strikte interne Beförderungspolitik verfolgt und keine Mitarbeiter von außen direkt auf höhere Hie- rarchieebenen einstellt. Eine solche Beförderungspolitik und steigende Einkommens- profile werden in der Personalökonomik auch als up-or-out-Beförderungspolitik und als „deferred compensation“ bezeichnet und in der wissensintensiven Branche der Unternehmensberatungen stark eingesetzt (Frank/Pudack 2000, 153f; Lazear 1989, 561). Mittels dieser beiden Mechanismen entscheidet i.d.R. das Unternehmen, wel- 8 Dabei besagt ein Abdiskontierungsfaktor von 0, dass der Spieler sehr ungeduldig ist und zu- künftige Nutzenströme überhaupt nicht bewertet, während ein Faktor von 1 besagt, dass der Spieler zukünftigen Nutzen genauso hoch bewertet wie den in der Gegenwart.
54 Margret Borchert, Thomas Röhling, Stefan Heine: Wissensweitergabe als spieltheoretisches Problem cher Mitarbeiter in der Zukunft im Unternehmen arbeitet. Indem die Mitarbeiterzu- friedenheit regelmäßig überprüft wird und bei einer sinkenden Zufriedenheit Maß- nahmen dagegen ergriffen werden, lässt sich Fluktuation vermindern und es kann die Wahrscheinlichkeit für ein Verbleiben des Mitarbeiters im Unternehmen erhöht wer- den. Auf den Abdiskontierungsfaktor kann das Unternehmen nicht mit so einfachen personalpolitischen Maßnahmen Einfluss nehmen, da dieser i.d.R. durch die gegebe- ne Präferenzfunktion des Mitarbeiters determiniert ist. Eine gezielte Personalauswahl eröffnet jedoch die Möglichkeit, langfristig orientiertes Personal einzustellen, dessen Präferenzen nicht nur durch kurzfristige Erfolge gekennzeichnet sind. Eine Koopera- tionssituation kann auch erreicht werden, indem durch Sanktionen die Pay-offs ver- ändert werden, wobei es hier ausreicht, die Differenz der Pay-offs der Strategiekom- binationen (w1,w2)./.(z1,z2) zu erhöhen bzw. (z1,w2)./.(w1,w2) zu minimieren. Auf eine Veränderung dieser Stellgrößen bei der Wissensweitergabe und auf mögliche Perso- nalmaßnahmen wurde bereits in Abschnitt 4.1 hingewiesen. Die verschiedenen In- strumente sind jedoch auch kombiniert einsetzbar. 4.3 Interaktion in Gruppen Abschließend soll der Einfluss, den die Größe und die Zusammensetzung einer Gruppe auf die Bereitschaft der Individuen, ihr Wissen weiterzugeben, haben, skiz- ziert werden. Die experimentelle spieltheoretische Forschung hat übereinstimmend festgestellt, dass Individuen in großen Gruppen weniger zur Kooperation neigen als in kleinen (Bendor/Mookherjee 1987, 131) und umfangreiche Computersimulationen (Glance/Huberman 1994) haben Olsons These von der Wirksamkeit kleiner Gruppen (Olson 1977, 53-65) bestätigt. Auch auf Situationen der Wissensweitergabe resp. Wissensbereitstellung lassen sich diese Erkenntnisse übertragen. Je größer die Grup- pe ist, in der sich der Akteur bewegt, d.h. je mehr Individuen Einfluss auf den Ent- scheidungsprozess haben bzw. daran beteiligt sind, desto eher wird ein rational han- delnder Akteur geneigt sein, seinerseits die „Trittbrettfahrer-Position“ einzunehmen. Er wird folgern, dass seine Strategie der Nicht-Bereitstellung von Wissen mit zuneh- mender Anzahl von Akteuren immer weniger Konsequenzen hat. Daneben hängt die Bereitschaft zur Wissensweitergabe resp. Wissensbereitstellung, wie im 2-Personen- Fall, vom erwarteten Nutzenzuwachs ab, der für den Akteur bei Weitergabe eigenen Wissens nur dann (langfristig) positiv ist, wenn zumindest ein (für ihn akzeptabler) Bruchteil der Gruppe ebenfalls sein Wissen weitergibt. Schließlich nehmen die Zu- sammensetzung einer Gruppe, mögliche Fraktionen innerhalb einer Gruppe sowie Hierarchien zwischen den Gruppenmitgliedern bedeutenden Einfluss auf die Art und die Effizienz eines kooperativen Verhaltens zwischen den Akteuren einer Gruppe (Glance/Huberman 1994). Es bleibt festzuhalten, dass die Zusammensetzung einer Gruppe wesentlichen Einfluss auf die Bereitschaft der Akteure zur Wissensweiterga- be hat und das Bilden kleiner Gruppen dem „Trittbrettfahren“ einzelner Akteure entgegenwirken kann. Aufgabe des Personalmanagements ist es, mittels geeigneter organisatorischer Maßnahmen auf eine optimale Gruppengröße und -
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