POLITISCHE STUDIEN 486 - Hanns-Seidel-Stiftung
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POLITISCHE STUDIEN 486 Magazin für Politik und Gesellschaft 70. Jahrgang | Juli-August 2019 | ISSN 0032-3462 /// IM FOKUS Politische Studien /// Heft 486 WIRTSCHAFT IN BAYERN: GUT AUFGESTELLT /// Im Zeitgespräch: Keine Angst vor der Zukunft … aber nehmt sie ernst! – 06 /// Die EU als Anwalt des Verbrauchers – 40 /// Ja zur Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung – 44 www.hss.de
„ Ich FREUE mich sehr auf meine neuen Aufgaben. EDITORIAL ICH BIN DER NEUE … Die aktuellen Politischen Studien erlauben mir, mich Ihnen als neuer Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung vorzustellen. Zunächst möchte ich auch hier meinem Vorgänger, Dr. Peter Witterauf, für sein Engage- ment danken. Gleichzeitig will ich unterstreichen, wie sehr ich mich auf meine neuen Aufgaben freue. Die sind breit gefächert, schon aufgrund der vielfältigen Aufgaben und Themen, die unsere Stiftung beschäftigen. Hier werden mir meine früheren Tätigkeiten als Rechtsanwalt und Landtags- abgeordneter zugutekommen. Im Inland wollen wir weiterhin nachhaltig zur politischen Bildung beitragen und die Debatte um dringende gesellschaftliche Fragestellungen maßgeblich führen. Im Ausland werden wir einen wirkungsvollen Beitrag dafür leisten, die Lebensverhältnisse vor allem auf dem afrikanischen Kontinent zu verbessern und weltweit den Dialog zwischen den Nationen zu fördern. Ziele, die heute wichtiger denn je sind, getreu unserem Motto: „Im Dienst von Demokratie, Frieden und Entwicklung“. In diesen Dienst stelle auch ich meine ganze Kraft. Die großen Herausforderungen für die Wirtschaft wie etwa Digitali- sierung, Globalisierung oder die ökologischen Zielsetzungen können wir nur gemeinsam meistern. Mir ist wichtig, dass dabei niemand zurück gelassen wird. Strategisch gilt es, die Wertschöpfungskette von der Forschung bis zum fertigen Produkt zu optimieren durch eine noch inten- sivere Verzahnung von Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Techni- schen Fortschritt und neue Entwicklungen gilt es, nicht zu verhindern, sondern verantwortungsbewusst zum Wohle der Menschen einzusetzen. Und so ist eine Aufgabe der Stiftung auch, einen Diskurs anzustoßen, der die Sorge aufgreift, dass in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt die Bedürfnisse der Menschen aus dem Blick geraten könnten. Oliver Jörg ist Generalsekretär der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 3
16 INHALT 06 IM FOKUS POLITISCHE-STUDIEN- AKTUELLES BUCH ZEITGESPRACH 12 WIRTSCHAFT IN BAYERN: 52 DER AUßENPOLITIKER OBAMA GUT AUFGESTELLT 06 … ABER NEHMT SIE ERNST! Barack, Ben, der Iran, Syrien Einführung Keine Angst vor der Zukunft und Israel − oder, wie Amerika VERENA HAUSNER MATTHIAS HORX die Welt sah HEINZ GÄRTNER 16 NACHHALTIG UND GUT AUFGESTELLT WEITER IN DIE ZUKUNFT ANALYSEN Wirtschaftsstandort Bayern: Läuft! RUBRIKEN ROBERT W. OBERMEIER 40 DIE EU ALS ANWALT DES 12 27 MITARBEITER DRINGEND VERBRAUCHERS Freiheit und fairer Wettbewerb 03 55 EDITORIAL REZENSIONEN GESUCHT … im digitalen Binnenmarkt 66 ANKÜNDIGUNGEN Wachstumsbremse Fachkräftemangel FLORIAN HERRMANN 70 IMPRESSUM FRANZ XAVER PETERANDERL 44 JA ZUR GRUNDRENTE MIT 34 GRÜNDERZEITEN BEDÜRFTIGKEITSPRÜFUNG Wie tickt die Münchner Anerkennung für Leistung in Investoren-Szene? einem langen Arbeitsleben HELEN DURAN VOLKER ULLRICH 40 4 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 5
Quelle: Kurhan / Fotolia /// Keine Angst vor der Zukunft … ABER NEHMT SIE ERNST! Matthias Horx ist einer der bekanntesten und renommiertesten Trend- und Zukunfts- forscher Deutschlands. Seine Bücher wie „Anleitung zum Zukunftsoptimismus“ oder „Das Buch des Wandels“ wurden Bestseller. Er arbeitet als Dozent, hält europaweit Vorträge und ist Leiter seines eigenen Forschungsinstitutes. Wir haben uns mit ihm über die Zukunft unterhalten. Sie ist seiner Meinung nach viel hoffnungsvoller und lang nicht so düster, wie es uns die derzeit herrschende „Erregungs- und Hysterisie- „ rungskultur“ weismachen will. Die Apokalypse steht also noch nicht bevor, wenn … ja, wenn wir vor allem mit Verstand in die Zukunft gehen. /// IM ZEITGESPRÄCH: MATTHIAS HORX Publizist, Unternehmensberater sowie Trend- und Zukunftsforscher mit eigenem Institut in Frankfurt und Wien. Die Zukunft wird NICHT so sein, wie wir sie befürchten. 6 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 7
POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH Der Zukunftsforscher Matthias Horx blickt Politische Studien: Herr Horx, Künstli- Welt ist aber nicht die Wirklichkeit, optimistisch in die che Intelligenz, Autonomisierung, Klima- die Realität der Menschen und der Zukunft. wandel, gesundheitsgefährdende Um- Gesellschaft. Sie können das leicht welteinflüsse, wachsende Weltbevölke- überprüfen, wenn Sie einmal die gan- rung … muss einem angesichts dieser ze Medienmaschine in Ihrem Leben Entwicklungen und Gefahren nicht angst abstellen. Dann landen Sie in einer und bange vor der Zukunft werden? konkreten Wirklichkeit, die viel kom- plexer, vielschichtiger und auch hoff- Matthias Horx: Angst ist eine Funk- nungsvoller ist, als uns die Profis der tion von innerem Determinismus. Angsterregung weismachen wollen. Wenn man glaubt, dass die geschil- derten Phänomene nur in einer ganz bestimmten Richtung ausgehen können, dann „muss“ man Angst Die Jugend von heute ist zunehmend kri- haben. Aber die Zukunft wird eben tisch und wirft der älteren Generation nicht so sein, wie wir sie befürchten, vor, die Zukunft der Nachkommenden oder wie sie im medialen „Befürch- sorglos zu verspielen. Haben die Jungen tungshandel“ kursiert. Sie entsteht Recht mit ihren Ängsten und Protesten? immer aus Herausforderungen und Foto: Klaus Vyhnalek, www.vyhnalek.com den Reaktionen darauf. Ach ja. Die Älteren sind immer die Verderber, und die Jungen die unver- gewissermaßen eine gesellschaftliche das Digitale zwingt uns einfach zu antwortlichen Rebellen. Das ist seit Vitalität ein, die Wandel gestaltet. Mit intelligenteren Lösungen. Ich glaube, zehntausend Jahren so, und in gewis- vollem Recht. Es wäre eher bedenk- die „Künstliche Intelligenz“ ist über- Woher nehmen Sie Ihren Optimismus? ser Weise muss es wohl so sein. Ich lich, wenn so eine Bewegung nicht schätzt. Wir sollten eher an der na- nehme „Fridays for Future“ auch gar entstehen würde. türlichen Intelligenz arbeiten. Und Wir leben in einer Erregungs- und nicht so sehr als eine Vorwurfsbewe- dort, wo es sinnvoll ist, uns durchaus Hysterisierungskultur. Ängste sind gung gegen die Alten wahr. Es ist eher von Algorithmen helfen lassen. heute auch Mittel von Strategien, sei eine frische Welle von Entschlossen- es für die Medien, die durch extreme heit, die einen konstruktiven Umgang Wie werden wir in Zukunft leben? In wel- und apokalyptische Szenarien Click- mit dem fordert, was längst möglich chen Bereichen finden die gravierendsten raten und Einschaltquoten generie- ist, aber immer ängstlich verzögert Veränderungen statt? Werden wir total Welche Rolle werden Ihrer Meinung nach ren. Oder auch für politische Ideolo- wird. Die Energiewende, die De-Kar- digital? die Werte in den kommenden Jahren „ gien. Es gibt einen regelrechten Angst- bonisierung, ist in ihren technischen noch spielen? Ist hier eine Rückbesin- Markt, auf dem Befürchtungen spe- und systemischen Bausteinen längst Im Prinzip wird die Gesellschaft in- nung zu erwarten und welche gesell- kulativ verstärkt werden. Die mediale vorhanden. Die Jungen fordern hier dividueller, vielfältiger, mobiler und schaftlichen Auswirkungen könnte das weiblicher. Und vernetzter. Das sind mit sich bringen? fünf klassische Megatrends, die den langfristigen Wandel komplexer Ge- Ich habe, ehrlich gesagt, Probleme sellschaften beschreiben. Digitalisie- mit der Wertediskussion. Ich habe rung ist zu einem Mythos geworden, die Erfahrung gemacht, dass dieser Die Gesellschaft wird individueller, vielfältiger, mobiler, einem Fetisch, einer Narration, hin- Begriff sehr zur Doppelmoral ver- WEIBLICHER und vernetzter. ter denen man sich gut verstecken führt. Wer die verbale Hoheit über kann, wenn man nicht so recht wei- die „Werte“ hat, kann viel verbergen. ter weiß. Vieles bleibt analog, aber Man denke an die katholische Kirche 8 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 9
„ Digitale Technik lässt sich zähmen und SINNVOLL benutzen. lich günstiges Konzept. Weltraum- exploration ist aber da sinnvoll, wo sie wie eine Art Spiegel zur Selbster- POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH Verbindungen im Sinne von „Kon- takten“ und Beziehungen zu unter- scheiden. Unser Leben hängt von kenntnis wirkt. Wir schicken sozu- Beziehungen ab, nicht von Likes. und den Missbrauch. Oder an den sondern auch beim Fahren viel dazu- sagen Sendboten, die die Erde von Populismus mit seiner Pseudo-Wer- gelernt. Es ist wie in der Evolution: außen betrachten und dabei Be- te-Diktion. Auch die Nazis haben Komplexitätsprozesse erfordern wusstseinsprozesse auslösen. Das ist ununterbrochen von Werten geredet, neue Metasysteme. Wenn vielzellige der so genannte Overview-Effekt. Ihr persönlicher Wunsch an die Zukunft? von „deutschen Werten“ eben. Ich Organismen entstehen, erfordert das glaube eher an eine Debatte, die ein Immunsystem. Das aber entsteht Ich habe eher einen Wunsch an das Ethik und Vernunft verbindet. Das immer auch durch Krankheiten. Denken über Zukunft. Ich wünsche ist eigentlich der Kern der Aufklä- Oder Anpassungskrisen. Herr Horx, spüren Sie selber bereits mir, dass wir uns vor der Infantilisie- rung − dass wir uns von „gesetzten den von Ihnen prognostizierten Trend der rung der Zukunft in Richtung über- Werten“ verabschieden und die Ge- digitalen Erschöpfung? zogene Extreme und hysterische sellschaft, die Zukunft, ständig neu Überzeichnungen verabschieden. Da ausverhandeln. In Ihrem Zukunftsreport 2019 schreiben Allerdings. Aber ich bin Gärtner, ist ja oft nur Apokalypse einerseits, Sie von einem neuen Space Age. Minister- Läufer und Wanderer, und ich habe technische Erlösung andererseits. präsident Söder hat ja mit seinem geplan- viele Freunde, die ich nicht „digital Wir brauchen so etwas wie Zukunft ten Luft- und Raumfahrtforschungszen bedienen“ kann und will, also mit für Erwachsene. Ein Verständnis für Wird sich das auch auf den digitalen Um- trum und dem Raumfahrtprogramm „Ba- Likes und flüchtigen Botschaften. die Fähigkeiten von Menschen, die gang miteinander auswirken? Derzeit ist varia One“ den „New Space“-Trend schon Digitale Technik lässt sich zähmen Welt zu gestalten. Für diese „futuris- hier ja leider eine rasant anwachsende richtig erkannt. Ist das bereits der Anfang und sinnvoll benutzen, wenn man tische Emanzipation“ kämpfe ich. Verrohung – Stichwort Bashing, Shit- für ein zukünftiges Leben auf dem Mars weiß, wer man selbst ist, welche An- storm, Disliking oder Mobbing – zu ver- oder anderen Planeten, weil die Erde nicht wendung sinnvoll ist und welcher zeichnen. Können wir auch in der Anony- mehr genügt? Der Plan B sozusagen? Kanal in welcher Situation der richti- mität des Netzes zu einem respektablen ge ist. Wenn man 100.000 Freunde Die Fragen stellte Verena Hausner, Stv. Re- Umgang miteinander finden, eine Neti- Nun mal langsam. Das Leben im auf Facebook hat, ist man oft sehr daktionsleiterin der Politischen Studien quette allgemeingültig machen? Weltraum ist hart, sehr hart. Der allein. Wir müssen lernen, zwischen und Publikationen, Hanns-Seidel-Stiftung, Mensch ist an die Erdatmosphäre München. /// Das ist ein evolutionärer Prozess, adaptiert, und der Aufwand, diese den wir bei jeder neuen Technologie schützende Hülle zu verlassen, ist gi- erleben. Jede Technik erzeugt eine gantisch. Wenn man Mond oder große Konfusion, Verwirrungen des Mars besiedelt, kostet das nicht nur Gewohnten und Bewährten, Exzes- Unsummen, es wird auch zu ganz se, in denen sich bestimmte Indivi- neuen Konflikten führen. Wir wer- /// Ende August erscheint Matthias Horx neues Buch: duen oder Gruppen die Macht an- den dabei auch die alten menschli- eignen wollen. Das Netz ist heute chen Konflikte mitnehmen. Die aus- noch ein Wilder Westen, in dem gezeichnete Serie „MARS“ von Na- man an jeder Straßenecke aufge- tional Geographic auf Netflix schil- hängt werden kann. Aber das legt dert das wunderbar. Diejenigen, die sich. Vor 40 Jahren forderte der Au- auf der kaputten Erde zurückblei- toverkehr noch einen gewaltigen ben, könnten womöglich ziemlich Horx, Matthias: 15½ Regeln für die Zukunft: Blutzoll, seitdem haben wir nicht sauer werden. Auswanderung auf- Anleitung zum visionären Leben, Econ-Verlag: nur den Sicherheitsgurt erfunden, grund von Erdaufgabe ist kein wirk- Berlin, August 2019, 250 Seiten, € 22,00. 10 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 11
IM FOKUS Quelle: Peter Atkins / Fotolia /// Einführung WIRTSCHAFT IN BAYERN: GUT AUFGESTELLT VERENA HAUSNER /// Bayern gehört zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Europas. Als Wirtschaftsstandort nimmt der Freistaat eine Spitzenstellung ein. Um das langfristig zu erhalten und um zukunftsfähig zu bleiben, gilt es aber, die Rahmenbedingungen kontinuierlich zu verbessern und den aktuellen und zukünf- tigen Gegebenheiten praxisorientiert anzupassen. So kann Bayern weiter auf Erfolgskurs bleiben. Laptop und Lederhose … in Bayern ein Erfolgsrezept. Bayern ist im langfristigen Länderver- immer so. Bayern war zunächst über- lich darlegt. Die ersten Anzeichen einer Im Gegenteil: Hier herrscht Dank einer gleich in Deutschland Wachstumsspit- wiegend landwirtschaftlich geprägt und Abschwächung der Konjunktur werden hohen Auftragslage und maximaler zenreiter. Das Land ist ein Hochtechno- hat sich erst nach dem Zweiten Welt- bereits sichtbar und erfordern somit ein Auslastung geradezu Hochstimmung. logiestandort und bietet gute Investiti- krieg zum erfolgreichen Wirtschaftszen- umgehendes Handeln. Obermeier nennt Wehe dem, der derzeit schnell und drin- onsmöglichkeiten, nicht nur im Grün- trum entwickelt. Vom Agrarstaat zum hier auch ganz konkret wichtige The- gend einen Handwerker braucht. Oft- derbereich. Auch im Außenhandel ist Zentrum der New Economy oder von menfelder: Fachkräftemangel, Energie- mals beginnt da eine lange Suche. Und der Freistaat stark. Dem war aber nicht der „Lederhose zum Laptop“. versorgung, Steuerentlastung, Flächen- genau darauf weist Franz Xaver Peteran- Es ist eine Erfolgsgeschichte, die nutzung, Infrastruktur und Mobilität, derl, der Präsident des Bayerischen nicht zuletzt auch unter dem Leitbild Digitalisierung sowie Umwelt- und Kli- Handwerkstages (BHT), in seinem Bei- der Sozialen Marktwirtschaft bis heute maschutz. Für all diese Bereiche braucht trag hin. Im Fachkräftemangel als Kehr- gut funktioniert hat. Aber auch wenn Bayerns Wirtschaft seiner Meinung seite des Erfolgs sieht er ein zunehmen- Die bayerische Wirtschaft Bayerns Wirtschaft derzeit floriert, soll- nach die bestmöglichsten Rahmenbe- des Problem, denn aktuell fehlen in Bay- ist deutschlandweit te man dies nicht als Selbstläufer be- dingungen, um stark zu bleiben. Auch ern 30.000 Fachkräfte. Peteranderl sieht WACHSTUMSSPITZENREITER. trachten, wie der Chefvolkswirt der In- zeigt unser Autor entsprechende Lö- hier u. a. noch Potenzial bei der Zuwan- dustrie- und Handelskammer (IHK) für sungswege auf. derung und plädiert für eine Stärkung München und Oberbayern, Robert W. Über sinkende Konjunkturprogno- und Aufwertung der beruflichen Bil- Obermeier, in seinem Beitrag eindring- sen kann das Handwerk nicht klagen. dung. Die Handwerksorganisationen 12 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 13
IM FOKUS und Betriebe unternehmen hier große entierte, innovative Start-Ups etabliert. rieren. Es besteht eine dynamische Anstrengungen, aber auch Politik und Ziel ist es, München und die Region zur Gründerszene. Damit sich diese positi- Gesellschaft sind da gefragt. Hand- ersten Wahl für wachstumsstarke Jung- ven Entwicklungen fortsetzen und der lungsbedarf sieht Peteranderl auch bei unternehmen in Europa zu machen. Freistaat auch zukünftig bei Investitio- der Steuer- und Energiepolitik, dem Flä- Helen Duran gibt nicht nur einen nen und Wachstum vorne bleibt, müs- chenbedarf und der Entbürokratisie- Überblick über die örtliche Gründersze- sen weiter bestmögliche Rahmenbedin- rung. ne, sondern vermittelt mit ihrem Beitrag gungen bestehen und genutzt werden. auch konkrete und hilfreiche Tipps. So Dazu müssen alle Seiten eng zusam- zeigt sie auf, dass der Finanzierungs- menarbeiten. /// markt im Start-Up-Bereich sehr intrans- parent ist und persönliche Netzwerke Der FACHKRÄFTEMANGEL könnte zur am zielführendsten sind. Sie nennt und Wachstumsbremse werden. bewertet zahlreiche wichtige Anlaufstel- len, Institutionen und Branchentreff- punkte und lässt auch Branchenkenner mit ihren konkreten Erfahrungen zu Wort kommen. So rät beispielsweise Carsten Rudolph, Geschäftsführer von „2018“, schreibt der BHT-Präsident, Baystartup, jedem Interessenten, immer /// VERENA HAUSNER „beurteilten durchschnittlich 93 % der gut abzuwägen, mit wem er Finanzie- ist Stv. Redaktionsleiterin der Politi- Betriebe ihre Lage als gut oder befriedi- rung oder Geschäftsidee vertrauensvoll schen Studien und Publikationen, gend“. Und das soll natürlich möglichst diskutieren kann. Für den allgemeinen Hanns-Seidel-Stiftung, München. auch die nächsten Jahre so bleiben. Austausch der Akteure ist Transparenz Die bayerische Wirtschaftspolitik schon wichtig, meint auch Boris Hardi, hat bisher ihre Möglichkeiten schon der Gründer von Capmatcher und soge- recht erfolgreich genutzt, gerade auch nannter Business Angel. Aber er warnt im Innovationsbereich. Bayern ist Grün- auch: „Transparenz im Fundraising ist derland und hier unterstützen zahlrei- nur dann gut, wenn man als Start-Up che staatliche Initiativen mit Schwer- Kontrolle darüber hat, an wen welche punkt auf technologieintensiven Berei- Informationen weitergegeben werden.“ chen. Das sichert die internationale Helen Durans Beitrag dient als guter Wettbewerbsfähigkeit und schafft auch Einstieg in die Start-Up-Szene und ver- Arbeitsplätze. 2018 war ein Rekordjahr schafft einen fundierten ersten Über- für Venture-Capital-Investments, Mün- und Durchblick. chen ist ein Top-Standort für Unterneh- Der Wirtschaftsstandort Bayern mensgründungen. steht gut da. Handel und Handwerk flo- Die Münchner Start-Up- und Inves- toren-Szene beleuchtet Helen Duran von Munich Startup, einem offiziellen Portal der Stadt und der Region für Gründer, in ihrem Artikel. Diese Plattform dient der Die Gründerszene lebt vom Vernetzung von Gründern mit mögli- PERSÖNLICHEN Kontakt. chen Partnern, Investoren und Mento- ren. Sie hat sich mittlerweile als erste virtuelle Anlaufstelle für technologieori- 14 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 15
IM FOKUS Quelle: Kara / Fotolia /// Wirtschaftsstandort Bayern: Läuft! NACHHALTIG UND GUT AUFGESTELLT WEITER IN DIE ZUKUNFT ROBERT W. OBERMEIER /// Als Wirtschaftsstandort ist Bayern höchst dynamisch und erfolgreich. Doch nun prognostizieren die Konjunkturanalysen der bayerischen Industrie- und Handelskammern (IHK) und der Wirtschaftsinstitute, dass sich das Wachstum verlangsamen wird. Damit wächst der Handlungsdruck. In vielen Themen feldern wie der Fachkräftesicherung, der bezahlbaren Energie, den Steuern, der Flächennutzung, der Infrastruktur, der Mobilität, der digitalen Infrastruktur, der digitalen Kompetenzen, dem lebenslangen Lernen und dem Umwelt- und Klimaschutz gilt es, praxisorientierte Lösungen zu generieren. Nur so bleibt die bayerische Wirtschaft langfristig zukunftsfähig. Bayern ist nicht nur lebens- und lie- versicherungspflichtige Arbeitsplätze, benswert, sondern vor allem auch sehr unterm Strich herrscht überall Vollbe- erfolgreich. Derzeit liegt der Freistaat schäftigung. Dementsprechend gehört mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) Bayern auch zu den kaufkräftigsten von rund 625 Milliarden Euro auf Platz Märkten der Welt. Das kommt nicht Zwei der deutschen Bundesländer. von ungefähr. Zirka ein Fünftel des deutschen BIP er- wirtschaften bayerische Unternehmen. Auch im europäischen Vergleich schnei- det Bayern gut ab. So gehört Oberbay- Grundlage einer erfolg- ern zu den Regionen, in denen das reichen Wirtschaft ist eine durchschnittliche Pro-Kopf-BIP den EU- Die Wirtschaft in Bayern ist gut funktionierende Infra- 28-Durchschnitt um mindestens 50 % sehr ERFOLGREICH. struktur und Mobilität. übertrifft. Zugleich ist der Freistaat hierzulande der Arbeitsmarktprimus. Es gibt mehr als 5,5 Millionen sozial- 16 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019
IM FOKUS Grundsätzlich ist die bayerische arbeitung sowie digitale Datenverarbei- 2011/12. Eine scharfe Rezession ist vor- führen. Viele Berufsbilder werden sich Wirtschaft sehr dynamisch … tung. Insbesondere bei den Basis- und erst zwar nicht zu erwarten. Unterm wandeln, einige verschwinden, neue Zählt man allein die Mitglieder der bay- Anwendertechnologien der Digitalisie- Strich gehen die Unternehmen aber mit- entstehen. Entsprechend verändern erischen IHKs, haben rund 990.000 rung sowie bei neuen Mobilitätskonzep- telfristig von einem schwächeren sich die Anforderungen an die Beschäf- Unternehmen ihren Sitz in Bayern. Ne- ten gilt Bayern als Treiber. Nicht zuletzt Wachstum aus und wollen daher weni- tigten. Dem Mangel entgegenwirken ben multinationalen Konzernen, star- macht der Außenhandel den Freistaat ger investieren und auch weniger Perso- lässt sich zunächst, indem brachliegen- ken mittelständischen Familienunter- stark. Trotz der aktuellen internationa- nal aufbauen. de Fachkräftepotenziale gehoben wer- nehmen, vielfältigsten Kleinbetrieben len Handelskonflikte bleiben Bayerns Interessant ist, wo die Unternehmen den: Zu viele Frauen arbeiten familien- und Solo-Selbstständigen gehören dazu Ausfuhren stabil. Die bayerische Wirt- die speziellen Risiken verorten: Trotz bedingt in Teilzeit. Hier braucht es flä- auch mehrere der DAX-30-Unterneh- schaft exportierte im ersten Quartal der konjunkturellen Abkühlung bleibt chendeckende und flexible Betreu- men. Zugleich hat sich in Bayern eine 2019 Waren im Wert von 47,8 Milliar- der Fachkräftemangel das am häufigs- ungsstrukturen sowohl für Kinder bis erfolgreiche Gründerszene etabliert. den Euro, ein Plus von 0,2 % gegenüber ten genannte Risiko. Aktuell sehen ihn zu zwölf Jahren als auch für pflegebe- Das US-amerikanische Forschungs- dem Vorjahreszeitraum. 61 % der Unternehmen als Gefahr an. dürftige Angehörige. Älteren Arbeit- institut Startup Genome schreibt allein Eine Eintrübung der Inlandsnachfrage nehmern müssen Anreize gesetzt wer- den Münchner Start-Ups einen Wert betrachten 43 % der Unternehmen als den, etwa über Gesundheitsförderung von rund 4,5 Milliarden US-Dollar zu. Risiko, eine Abschwächung der Aus- und Weiterbildung, damit sie länger in Im Fintech-, Healthcare- und Automo- landsnachfrage nennen 19 %. Zudem den Betrieben bleiben. Auch Menschen tive-Bereich zählt es die Stadt zu den Es gibt eine hohe verunsichern viele Unternehmer die mit Beeinträchtigungen sind ein unter- Top-Standorten für Start-Ups weltweit. INNOVATIONSBEREITSCHAFT. wirtschaftspolitischen Rahmenbedin- schätztes Fachkräftepotenzial. Zudem War der Freistaat nach dem Zweiten gungen: 47 % von ihnen sehen hierin ein benötigt die bayerische Wirtschaft aus- Weltkrieg noch vor allem landwirt- Geschäftsrisiko. Als konkrete politische ländische Fachkräfte. Das neue Zu- schaftlich geprägt, hat er sich mittler- Belastungen nennen sie eine ausufernde wanderungsgesetz ist hier ein richtiger weile, getreu dem Motto „Laptop und Bürokratie, Handelskonflikte, den Bre- Schritt und braucht eine pragmatische Lederhose“, zu einem Zentrum der New xit, die Diesel-Diskussion beziehungs- Umsetzung. Gerade die kleinen und Economy entwickelt. Immer mehr Un- Grundsätzlich muss das Fazit also weise die Wende zu E-Mobilität, eine mittelständischen Unternehmen benö- ternehmen aus der Informations- und positiv ausfallen: Bayern ist ein dyna- verfehlte Wirtschaftspolitik zu Lasten tigen Unterstützung bei der Anwer- Kommunikationsbranche (IKT), der mischer Wirtschaftsstandort und der der kleinen Unternehmen und eine zu bung. Zugleich geht es bei der Fach- Bio- und Gentechnologie sowie der Um- Wachstumsmotor in Deutschland. Es hohe Steuerlast. welttechnik sitzen in oder kommen gilt nun, diese Dynamik weiter anzu- nach Bayern. Microsoft-Gründer Bill kurbeln, den Standort zukunftsfest Aufgaben für die Zukunft Gates verlieh Bayern sogar das Prädikat zu machen und wettbewerbsfähig zu Damit Bayern auch künftig in der wirt- des „HighTech-Mekkas Europas“. halten. schaftlichen Erfolgsspur bleibt, müssen Der FACHKRÄFTEMANGEL muss Weiter gestärkt wird diese Entwick- die Rahmenbedingungen stimmen. In behoben werden. lung durch eine hohe Innovationsbereit- … aber aktuell verlangsamt sich den folgenden neun zentralen Feldern schaft der bayerischen Wirtschaft. So das Wachstum besteht aus Sicht der bayerischen IHKs investieren Bayerns Unternehmen mehr Die Bedingungen dafür sind jedoch besonderer Handlungsbedarf: als 3 % des BIP in Forschung und Ent- schlechter geworden. Die aktuellen wicklung (F&E). Damit zählt der Frei- Zahlen der Konjunkturumfrage der bay- Fachkräfte sichern staat zu den Spitzenreitern unter den erischen IHKs sowie die Aussagen der Ende 2018 fehlten der bayerischen kräftesicherung aber auch um eine Bundesländern. Auch bei den Patenten führenden Wirtschaftsforschungsinsti- Wirtschaft knapp 260.000 Fachkräfte, Stärkung der digitalen Bildung ab den hat Bayern mit 29 % aller in Deutsch- tute belegen klar: Bayern steht am Ende im Jahr 2030 werden es rund 450.000 Kitas und Schulen und eine bedarfsge- land neu erteilten Anmeldungen einen des Booms, die Stimmung der bayeri- sein. Der größte Mangel herrscht bei rechte digitale Qualifizierung. Spitzenplatz. Die Technologiefelder mit schen Wirtschaft ist von 128 auf 124 den technischen Berufen. Gleichzeitig Der Familienpakt Bayern, eine ge- den meisten Patenten sind der Fahrzeug- Punkte gesunken. Dies ist der schlech- wird die Digitalisierung in den Unter- meinsame Initiative der Staatsregierung bau, Halbleiter, Getriebe, Kunststoffver- teste Wert seit der Eurokrise im Jahr nehmen zu starken Veränderungen und der bayerischen Wirtschaft für 18 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 19
IM FOKUS mehr Familienfreundlichkeit in den Be- zögerten Netzausbau steigt der Preis- unterlassen. Besser ist es, den Markt Personenunternehmen, eine praxisge- trieben, oder die aktuellen Bemühungen druck weiter. Das führt gerade in Bayern vollständig zu öffnen, denn das beseitigt rechte Modernisierung und Digitalisie- des Bayerischen Arbeitsministeriums – als Grenzland – zu Wettbewerbsnach- ineffiziente Preisverzerrungen und rung des Besteuerungsverfahrens, zeit- für eine bessere Inklusion von Men- teilen. Die Wirtschaft spricht sich daher schafft Verbrauchsanreize. nahe Betriebsprüfungen und kürzere schen mit Behinderung sind wertvolle unter anderem für die Abschaffung der Aufbewahrungsfristen sowie die steuer- Schritte, um Fachkräftepotenziale zu verteuernden Stromsteuer aus. Steuerniveau vereinheitlichen liche Förderung von Innovationen und heben. Die IHK für München und Ober- Weitere praxisorientierte Vorschläge Der Steuerwettbewerb nimmt weltweit Start-Ups. bayern informiert die Unternehmen zur der Wirtschaft: In Bayern besteht noch zu. International agierende Unterneh- Fachkräftesicherung, zeigt gute Beispie- ein erhebliches Potenzial zur grundlast- men finden in anderen Teilen der Welt Gewerbeflächen sichern le auf und fördert den Austausch von fähigen Stromerzeugung mit erneuerba- zunehmend bessere steuerliche Bedin- Bedarfsgerechte Gewerbe- und Indust- Unternehmen. Künftig will die IHK Un- ren Energien. Ein Beispiel ist die Was- gungen als in Deutschland. Die Steuer- riegebiete in ausreichender Größe und ternehmen noch stärker bei der Anwer- serkraft mit einem Anteil von aktuell belastungen der Wettbewerber betragen Qualität werden knapper. Betriebe, die bung von Fachkräften aus dem Ausland 13 % an der Bruttostromerzeugung. Ein in vielen Staaten bereits unter 25 % der investieren und expandieren wollen, unterstützen. Sie fühlt sich hierbei ins- begrenzter Ausbau ist hier sinnvoll und zu versteuernden Gewinne. In Deutsch- fühlen sich dadurch immer öfter ausge- besondere kleinen und mittelständi- sollte ermöglicht werden. Da sich die land liegt das Belastungsniveau hinge- bremst. In der aktuellen Diskussion schen Betrieben verpflichtet. gen sowohl für Personen- als auch für wird die Wirtschaft als vermeintlich Kapitalgesellschaften einschließlich der Hauptverantwortlicher für die „Flächen- Bezahlbare Energieversorgung Belastung durch die Gewerbesteuer und inanspruchnahme“ dargestellt. Fakt ist gewährleisten den Solidaritätszuschlag in der Regel bei jedoch, dass Gewerbe und Industrie Die bayerische Wirtschaft unterstützt Eine bezahlbare und sichere etwa 30 %, in Regionen mit überdurch- sowie Handel und Dienstleistungen le- den Umbau der Energieversorgung hin ENERGIEVERSORGUNG ist wichtig. schnittlich hohen Gewerbesteuerhebe- diglich 1 % der Fläche im Freistaat nut- zu regenerativen Energien. Zugleich sätzen bei deutlich über 30 %. Hinzu zen. Das sind umgerechnet gut 70.000 sind die Versorgungssicherheit und die kommt: Die Erhöhungen sowohl bei den Hektar und damit nicht mehr als die Stabilität der Stromnetze für sie von Hebesätzen der Gewerbe- und der Fläche von Augsburg, München und größter Bedeutung. Bereits kurzfristige Grundsteuer als auch bei der Grunder- Nürnberg. Insgesamt sind Gewerbe- Schwankungen können enorme Schä- werbsteuer belasten zunehmend die Un- und Industrieflächen sowie Handel und den verursachen und Produktions- und Stromerzeugung in Deutschland durch ternehmen vor Ort und verschlechtern Dienstleistungen zwischen 2014 und Logistikprozesse behindern. Im Zuge die Energiewende von Süd nach Nord deren regionale Standortbedingungen. des Kernkraftausstiegs bis 2022 steuert verschiebt, ist auch der Netzausbau un- Letztlich geraten dadurch ganze Regio- Bayern jedoch auf eine immense Lücke abdingbar. Mit einer Fertigstellung der nen im Standortwettbewerb ins Hinter- bei der Stromerzeugung zu. Um die Stromtrassen Süd-Ost- und SuedLink treffen. Energiesicherheit für die Unternehmen wird jedoch nicht vor 2025 gerechnet. Die Ausgestaltung des Steuerrechts Die Wirtschaft nimmt weitaus im Freistaat weiterhin zu gewährleisten, Erfahrungsgemäß können sich solch und die Höhe der Steuern sind wichtige weniger Fläche in Anspruch als ist es nötig, den Ausbau gesicherter Ka- umfassende Projekte noch weiter verzö- Standortfaktoren für die Wirtschaft. der WOHNUNGSBAU. pazitäten zu beschleunigen, fristgerecht gern. Hier muss dringend auf den Zeit- Leitbild der Steuerpolitik sollte ein ein- die erforderlichen Übertragungsnetze plan geachtet werden. Zudem muss die faches, bürokratiearmes und investiti- zu errichten, die Verteilnetze zu verstär- Akzeptanz in der Bevölkerung für den onsfreundliches Steuerrecht mit zielge- ken sowie das bayerische Stromnetz Energieleitungsneubau erhöht werden. nauen Bemessungsgrundlagen und besser in den europäischen Energiebin- Des Weiteren gilt es, den europäischen wettbewerbsfähigen Steuersätzen sein. nenmarkt einzubinden. Energiemarkt zu stärken. Sinnvoll wäre, Dazu gehören aus Sicht der Wirtschaft 2017 um weniger als die Hälfte gewach- Ein zweiter wichtiger Aspekt: Im die europäischen Marktregeln anzuglei- insbesondere Rechtssicherheit und sen als die Wohnflächen mit 4.685 Hek- EU-Vergleich kostet der Industriestrom chen und die Fördersysteme zu harmo- Planbarkeit der Steuerpolitik, eine steu- tar. Die bayerische Wirtschaft legt Wert aufgrund von Steuern, Abgaben und nisieren. Nationale Alleingänge mit zu- erliche Entlastung des Mittelstandes, darauf, dies richtigzustellen und die Netzkosten in Deutschland am meisten. sätzlichen Belastungen für die weltweit eine Entlastung beim Einkommensteu- Diskussion damit zu versachlichen. Zu- Durch den Kohleausstieg und den ver- vernetzte bayerische Wirtschaft sind zu ertarif gerade im Hinblick auf die vielen gleich braucht sie aber auch neue Flä- 20 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 21
IM FOKUS chen und vor allem Planungssicherheit. ist dafür aber nur eine Grundlage. Wäh- digitalisierte Wirtschaft. Trotz der Fort- Die Einführung einer quantitativen rend in Ballungsräumen wachsende Ver- schritte in den vergangenen Jahren ha- Obergrenze für Flächenverbrauch pro Die INFRASTRUKTUR muss kehrsströme Mobilität zunehmend ein- ben in Bayern erst 74 % der Haushalte Tag, wie sie Bayern derzeit diskutiert, ausgebaut und kontinuierlich schränken, fehlen im ländlichen Raum Übertragungsgeschwindigkeiten von wäre fatal. gewartet werden. oftmals Alternativen zum Individual- mehr als 50 Mbit/s zur Verfügung. Um was geht es der Wirtschaft vor verkehr. Gleichzeitig bereiten verkehrs- Dabei sind mindestens 50 Mbits/s not- allem? Neue Gewerbeflächen müssen bedingter Lärm und Luftverschmut- wendig, um Industrie-4.0-Lösungen, vorgehalten werden und es braucht ver- zung Probleme. Cloud- und Streaming-Anwendungen bindliche Gewerbeflächenkonzepte, da- Um für Bürger und Wirtschaft eine wie eHealth, Smart Energy und digitale mit die Unternehmen Planungssicher- leistungsfähige wie nachhaltige Mobili- Verwaltungsprozesse zwischen Wirt- heit haben. Verantwortlich für die Flä- schlechtere Zustandsnoten. Für die bay- tät zu stärken, spricht sich die bayeri- schaft und Kommunen einzusetzen. chenplanung müssen die Kommunen erische Wirtschaft ist es daher entschei- sche Wirtschaft zunächst dafür aus, den Auch das Funknetz ist weiterhin lücken- bleiben. Sie müssen flexibel auf die Be- dend, die Ausgaben für Straßen- und Öffentlichen Personennahverkehr haft. Nur 81 % des ländlichen Raumes dürfnisse der Unternehmen reagieren Bauwerkserhaltung dauerhaft auf ein (ÖPNV) zu optimieren. Derzeit inves- in Bayern sind mit LTE-Technik abge- können – ohne staatlich verordnete stabiles Investitionsniveau zu heben, tiert der Bund über das Gemeindefinan- deckt. Dabei eignet sich das aktuelle Obergrenzen. Auch interkommunale um den Substanzwert der Bauwerke zu zierungsgesetz 333 Millionen in den 4G/LTE-Mobilfunknetz etwa für das Kooperationen können positiv auf die sichern. Zugleich müssen die Planungs- ÖPNV. Aus Sicht der IHKs wären je- „Internet der Dinge“ oder Auto-Auto- Entwicklung von Gewerbestandorten kapazitäten in den Bauverwaltungen er- doch 500 Millionen Euro das Mini- Kommunikation nur bedingt oder gar wirken. Diese müssen noch besser ge- höht werden. Daneben bedarf es der mum. Zugleich sollte Bayern auf Lan- nicht. fördert werden. Innenentwicklung und Vereinfachung, Standardisierung und desebene zusätzliche Mittel bereitstel- Nachverdichtung sind wichtige Fakto- Integration von Verfahrensschritten, len. Ziel muss sein, bessere Beförde- ren, sie haben Vorrang. Sie stoßen aber um Planungs- und Genehmigungsver- rungskapazitäten, dichtere Takte und da an Grenzen, wo zu große Nutzungs- fahren zu verkürzen. Insbesondere müs- eine bessere multimodale Verknüpfung konflikte für die Betriebe mit den An- sen jedoch Lückenschluss-Projekte vor- einzelner Verkehrsträger wie ÖPNV, Eine digitalisierte Wirtschaft wohnern drohen. Die IHKs stehen hier angetrieben werden, um das Verkehrs- Pkw, Lkw, Radverkehr oder Carsharing braucht eine LEISTUNGSFÄHIGE gern als Mediatoren bereit, lässt sich wegenetz zu vervollständigen und seine zu erreichen und mehr Umstiegsplätze IKT-Struktur. keine Einigung erzielen, müssen die Be- Funktionalität zu erhöhen. Dabei halten und -möglichkeiten insbesondere für lange der Bürger Vorrang haben. es die IHKs für unabdingbar, dem Flug- Pendler bereitzustellen. hafen München die dritte Startbahn zu Zugleich geht es aber bei nachhalti- Verkehrswege ausbauen und genehmigen, den Luftverkehr als wich- gem Verkehr um mehr als den ÖPNV. modernisieren tigen Verkehrsträger generell zu stärken, Auch neue Belieferungskonzepte für die Ein Netz aus Straßen, Eisenbahnlinien, die Schifffahrtsbedingungen auf dem Innenstädte wie Mikrodepots, von de- Für die Wirtschaft in Bayern ist es Luftverkehrsverbindungen und Wasser- Main und der Donau zu verbessern, den nen aus die Lieferung bis zur Haustür entscheidend, dass der Breitbandaus- wegen bildet das Rückgrat einer erfolg- Schienenverkehr zu stärken, die bayeri- mit umweltfreundlichen Fahrzeugen bau mehr als bisher auf den Unterneh- reichen Wirtschaft. Nur so gelangen schen Bahnstrecken schnellstmöglich wie etwa Pedelecs ermöglicht wird, die mensbedarf ausgerichtet wird und Ge- Pendler tagtäglich zu ihrem Arbeits- und nicht erst 2038 weiter zu elektrifi- Förderung der Elektromobilität, der werbegebiete und Gewerbemischgebie- platz, und nur so erreichen Waren „just zieren und insbesondere auch den Nord- Ausbau der Ladestationen und eine bes- te prioritär ausgebaut werden. Gemäß in time“ im In- wie Ausland ihren Be- zulauf zum Brenner Basistunnel zügig sere überregionale digitale Verkehrs- dem aktuellen EU-Recht dürfen Gebie- stimmungsort. Doch die bayerischen zu realisieren. steuerung führen zu einer Win-win-Si- te, die bereits mit mehr als 30 Mbit/s Verkehrswege sind nicht in bester Ver- tuation für Unternehmen, Fachkräfte, versorgt sind, nicht gefördert werden. fassung. Zwar hat sich der bauliche Zu- Nachhaltige Mobilität ankurbeln Verkehr und Umwelt. Diese Schwelle ist jedoch veraltet und stand der Straßenwege in den vergange- In einer arbeitsteiligen und flexiblen entspricht den aktuellen Bedürfnissen nen zehn Jahren leicht verbessert, die Wirtschaft müssen der Personen- und Digitale Infrastruktur stärken überhaupt nicht mehr. Die EU-Kom- Brückenbauwerke entlang der Staats- der Güterverkehr möglichst reibungslos Eine leistungsfähige IKT-Infrastruktur mission muss diese Schwelle deutlich straßen erhalten jedoch zunehmend funktionieren. Das Verkehrswegenetz ist eine zentrale Voraussetzung für die anheben und kontinuierlich an die 22 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 23
IM FOKUS technologische Entwicklung anpassen. Um auch langfristig den Bedarf der Umwelt- und Klimaschutz ten etwa Firmen bei einer Annäherung Die Förderung des Breitbandausbaus Unternehmen an qualifizierten Fach- voranbringen an den störfallrelevanten Sicherheitsab- muss langfristig sichergestellt sein. kräften zu sichern, sollte daher bereits in Unternehmerische Tätigkeit und der stand oder beim Überschreiten von Mithilfe eines bayerischen Sonderfall- Kindertagesstätten, vor allem aber an Schutz der natürlichen Lebensgrundla- Grenzwerten dennoch Genehmigun- Fördertopfes sollten zudem Unterneh- allgemeinbildenden Schulen und Berufs- gen stehen grundsätzlich in einem gen und Änderungsgenehmigungen be- men, die ein Breitbandglasfaseran- schulen die Vermittlung digitaler Kom- Spannungsverhältnis. Die bayerischen kommen können, Spielräume im Na- schluss bis auf das Firmengelände be- petenzen ein wichtiger Bestandteil der Unternehmen orientieren sich jedoch turschutz sollten genutzt werden. sonders teuer kommt, im Einzelfall an- pädagogischen Konzepte und Lehrpläne am Leitbild der Nachhaltigkeit. Sicht- teilig unterstützt werden. Auch der ei- sein. An Schulen müssen insbesondere barer Ausdruck dafür ist der Umwelt- genwirtschaftliche Breitbandausbau Informatikkenntnisse ausgebaut und in pakt Bayern, den die Wirtschaft 1995 gemeinsam durch Kommunen, Bürger der Aus- und Weiterbildung umfassende erstmals mit der Staatsregierung und Unternehmen sollte staatlich un- Kompetenzen für selbstorganisiertes Ar- schloss, und der seither immer um je- Wirtschaft und Wachstum müssen terstützt werden. Stichwort Mobilfunk: beiten vermittelt werden. Um heteroge- weils fünf Jahre verlängert wurde. NACHHALTIG gehandhabt werden. Mit 5G steht eine erheblich verbesserte nen Erwerbsverläufen und stark indivi- Grundlage ist die gemeinsame Über- Technologie in den Startlöchern. Die dualisierten Qualifikationsanforderun- zeugung, dass die natürlichen Lebens- Mobilfunknetzversorgung muss flä- gen besser entsprechen zu können, sollte grundlagen mit Hilfe einer freiwilligen chendeckend umgesetzt werden, das es verstärkt modularisierte Bildungs- und zuverlässigen Kooperation von Flächenland Bayern muss die Einfüh- und Zertifizierungsangebote geben. Er- Staat und Wirtschaft besser geschützt rung des 5G-Mobilfunkstandards ak- ziehende, Lehrende und Ausbildende werden können als allein durch Gesetze Fazit tiv mitgestalten. sollten systematisch in digitaler Kompe- und Verordnungen. Die meisten Geset- Bayerns Wirtschaft ist stark und damit tenzvermittlung geschult werden, insbe- ze zum Umwelt- und Klimaschutz ent- sie es bleibt, braucht sie bestmögliche Digitale Kompetenzen sondere zu Medien- und IT-Kompetenz. stehen derzeit auf EU-Ebene. Wichtig Rahmenbedingungen. Bei den ausge- stetig ausbauen Staatliche Anreizsysteme können dazu ist der Wirtschaft, dass die Umsetzung wählten neun Themenfeldern besteht Aktuell belegen Deutschland und Bay- beitragen, dass Arbeitnehmer an regel- des EU-Rechts auf Bundes- und Lan- umgehender Handlungsbedarf, um ern bei der Digitalisierung im internati- desebene nicht über eine Eins-zu-Eins- Bayern fit für die Zukunft zu machen. onalen Vergleich keine Spitzenplätze. Umsetzung hinausgeht und Vorschrif- Wirtschaft und Politik sollten hier ge- Nur 7 % aller Betriebe halten die Digi- ten die unternehmerische Tätigkeit so- meinsam handeln, bestehende zielfüh- talisierung in ihrem Unternehmen für mit nicht über Gebühr behindern. rende Ansätze fortsetzen und da, wo „voll entwickelt“; 40 % sehen sich in Der Erwerb DIGITALER Kompetenz Stattdessen sollte freiwilliges Engage- noch Lösungen fehlen, diese gemein- der unteren Hälfte der Digitalisierungs- wird immer wichtiger. ment honoriert werden. sam pragmatisch entwickeln. Zugleich skala. Dabei stellt die Digitalisierung Thema Kreislaufwirtschaft: Für braucht es den Dialog mit den Bürgern. nicht nur neue Anforderungen an die Fortschritte sorgen hier besonders häu- Wirtschaft und Wachstum sind bei ih- Infrastruktur, sie verändert auch Ge- fig kleine und mittlere Betriebe. Sie ste- nen oft negativ besetzt, dabei sind schäftsmodelle, Arbeitsabläufe, die Zu- hen dabei aber im Wettbewerb zu kom- Wirtschaft und Wachstum weder ne- sammenarbeit und die Kommunikati- munalen Unternehmen. Hier müssen gativ noch positiv. Sie müssen nachhal- on in den Betrieben. Das wiederum er- mäßigen Weiterbildungen teilnehmen. gleiche Rahmenbedingungen herr- tig sein. Der ehemalige Verfassungs- fordert von Mitarbeitern und Füh- Unternehmen dürfen jedoch nicht in ih- schen, zum Beispiel bei der Umsatz- richter Hans-Jürgen Papier plädiert da- rungskräften, ihre Qualifikationen an- rer Flexibilität eingeschränkt werden. steuerpflicht und bei der Vergabe öf- für, dass die vom Volk gewählten Re- zupassen. Digitale Kompetenzen be- Ein gesetzlicher Freistellungsanspruch fentlicher Aufträge. Unternehmens- präsentanten auf eine nachhaltige und kommen einen immer höheren Stellen- für Weiterbildungen ist daher abzuleh- standorte werden oft in historisch ge- dauerhafte Wahrung und Befriedigung wert. Eine gute Bildung und lebenslan- nen. Zugleich gilt es – Stichwort lernen- wachsenen Gemengelagen erweitert. der Gemeinwohlbelange hinwirken ges Lernen werden noch stärker die de Unternehmen – die Betriebe selbst bei Dabei prallen die Interessen von Betrie- sollten und dass dies im Grundgesetz Schlüssel sein, damit Wirtschaft und der Digitalisierung durch Fördermittel ben, Bewohnern und Natur aufeinan- verankert wird. Für den Großteil der Gesellschaft die Digitalisierung bewäl- wie den Digitalbonus, Netzwerke oder der. Die Wirtschaft wünscht sich hier oftmals familiengeführten Unterneh- tigen können. Coachings zu unterstützen. eine faire Interessenabwägung. So soll- men in Bayern ist ein solch verantwort- 24 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 25
IM FOKUS liches nachhaltiges Wirtschaften und Wachsen durch die Tradition und das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns oh- nehin seit jeher selbstverständlich. Mit diesem grundsätzlichen Anspruch und den entsprechenden Rahmenbedin- gungen wird Bayern weiterhin und auch im schwierigeren konjunkturellen Umfeld auf Erfolgskurs bleiben. /// /// Wachstumsbremse Fachkräftemangel MITARBEITER DRINGEND GESUCHT … FRANZ XAVER PETERANDERL /// Die Auftragsbücher im Handwerk sind derzeit prall gefüllt, die Betriebe auf Wochen im Voraus ausgelastet. Gleichzeitig stellen aber Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie, Belastung durch Steuern und Abgaben /// DR. ROBERT W. OBERMEIER oder fehlende Gewerbeflächen die Unternehmen vor große Herausforderungen. ist Chefvolkswirt der IHK für München und Oberbayern. Hochstimmung in den Auslastung und einem Beschäftigungs- Unternehmen plus. Die durchschnittliche Betriebs- Während immer mehr Wirtschaftsbe- auslastung von 82 % bewegte sich im reiche ihre Konjunkturprognosen sen- langfristigen Vergleich knapp unter ken, herrscht im Handwerk weiterhin dem Maximalwert. Gleichzeitig stieg Hochstimmung: 2018 beurteilten die Beschäftigung um 0,7 %. Im Jahres- durchschnittlich 93 % der Betriebe ihre mittel waren im vergangenen Jahr Lage als gut oder befriedigend. Damit 940.000 Personen im bayerischen wurde das Rekordniveau aus dem Jahr Handwerk tätig. Das arbeitsreiche Jahr 1991 erreicht. Grund dafür ist u. a. die schlug sich auch in deutlichen Umsatz- starke Binnennachfrage, von der das zuwächsen nieder. Die Einnahmen klet- Handwerk maßgeblich profitiert. Von terten um nominal 6,6 % auf 120,8 Mil- den globalen Konjunkturrisiken lässt liarden Euro. Nach Abzug der Preisef- sich unser Wirtschaftsbereich dagegen fekte verblieb ein realer Zuwachs von kaum beeindrucken. Der Nachholbe- 3,5%. darf an Wohnbauten und Investitions- gütern ist groß, zudem müssen Brü- cken, Schulen und Netze erneuert oder zukunftstauglich gemacht werden. Dank des florierenden Arbeitsmarkts Das Handwerk FLORIERT derzeit auf wächst auch die Konsumnachfrage soli- Rekordniveau. de. Auch Einkommen und Renten neh- men spürbar zu. Dies führte 2018 im bayerischen Handwerk zu einer hohen 26 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 27
IM FOKUS Fachkräfte sind im Kosten steigen schneller Handwerk derzeit Flankiert wurde die sehr hohe Auslas- stark gesucht. tung der Unternehmen von einer spür- Die KOSTENSPIRALE dreht sich baren Teuerung. Quer über alle Bran- schneller. chen hinweg betrug die Preissteige- rung gut 3 %. Ein Grund hierfür ist auch der Fachkräftemangel. Betriebe müssen mehr Geld in die Mitarbeiter- findung stecken und höhere Gehälter zahlen. Die Kostenspirale dreht sich 30.000 Fachkräfte fehlen aber auch deshalb schneller, weil Roh- Die lange Auftragsreichweite spricht stoffe und Energie in den vergangenen zwar für gesunde Unternehmen, macht Jahren erheblich teurer wurden. Hinzu aber gleichzeitig auch deutlich, dass die kommen der wachsende bürokratische schwierige Versorgung mit Fachkräften Aufwand und die immer strengere Re- zur größten Wachstumsbremse im gulierung. Ob das bayerische Hand- Handwerk wird. Immer mehr Firmen werk in diesem Jahr an Wachstums- können die Aufträge nicht zeitnah abar- grenzen stößt, ist noch nicht absehbar. beiten, weil ihnen schlichtweg die Leute Zwar senkten 13 % der Handwerksbe- fehlen. Nach unseren Schätzungen triebe zum Jahreswechsel den Dau- braucht das bayerische Handwerk aktu- men: Sie erwarten 2019 schlechtere ell mindestens 30.000 Fachkräfte. Die Geschäfte. Gleichzeitig rechnen aber Ursachen für den Fachkräftemangel auch 13 % mit einer Verbesserung ih- sind vielfältig. Zum einen wird der de- rer Lage. Unseren Prognosen zufolge mographische Wandel immer stärker werden die Umsätze im Gesamtjahr spürbar, aber auch der Trend zum Studi- 2019 um mindestens 4 % steigen. Die um höhlt das Reservoir an Arbeitskräf- Beschäftigung dürfte mit plus 0,5 % ten für unseren Wirtschaftsbereich ste- erneut leicht zulegen. tig aus. Um die Fachkräfteversorgung in Für eine Fortsetzung der guten Zukunft zu sichern, müssen die Potenzi- Handwerkskonjunktur sprechen u. a. ale im Inland ebenso genutzt werden wie die beträchtlichen Auftragsreserven. die Chancen, die die Zuwanderung bie- Zum Jahreswechsel reichten sie immer tet. Bayerns Ministerpräsident Markus noch für mehr als neun Wochen, Ten- Söder hat in seiner ersten Regierungser- denz steigend. Trotzdem gibt es erste klärung ein Programm angekündigt mit Sorgenfalten bei den Handwerkern. So dem Ziel, 100.000 zusätzliche Fachkräf- könnte beispielsweise die schwächere te zu gewinnen, v. a. unter Jugendlichen globale Konjunktur die Maschinen- ohne Berufsausbildung, Langzeitar- bauer belasten. Auch das Baugewerbe beitslosen, Älteren und Behinderten. dürfte es schwer haben, die aktuellen Entscheidend wird hierbei sein, wie Umsätze noch zu toppen. Große He groß das Reservoir wirklich ist und wie rausforderungen kommen auch auf das schnell verfügbar die Menschen sind. Kraftfahrzeuggewerbe zu. Die Auto- Quelle: karepa / Fotolia mobilwirtschaft steckt im Umbruch, Wettbewerb um Berufsnachwuchs die Dieselkrise ist noch längst nicht Die Handwerksorganisationen unter- überwunden. nehmen große Anstrengungen, um die 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 29
IM FOKUS Betriebe bei der Gewinnung von Fach- Unterstützung zum Lebensunterhalt, jedem wird man zielgerichtet darauf tung eine Neuregelung bis spätestens kräften zu unterstützen. Im Mittelpunkt die der Auszubildende auch während vorbereitet, nach bestandener Gesel- Ende 2019. Das Handwerk hat hier eine steht dabei der Wettbewerb um den Be- der Zeit in der Berufsschule erhält. Die lenprüfung sofort als vollwertige Fach- klare Haltung: Die Neuregelung muss rufsnachwuchs. In Deutschland gibt es Festsetzung der Vergütung sollte wei- kraft zu arbeiten. Das kann längst nicht aufkommensneutral bleiben. Den die Imagekampagne des deutschen terhin Aufgabe der Tarifpartner sein. jeder fertige Akademiker von sich be- Handwerksbetrieben darf keine höhere Handwerks. Auf bayerischer Ebene läuft haupten. Nach der Ausbildung können Gesamtsteuerbelastung entstehen. Der seit mehreren Jahren die erfolgreiche sich Handwerker beispielsweise zum bürokratische Aufwand muss sich in Aktion „Macher gesucht!“. Außerdem Meister fortbilden. Mit dieser Qualifi- Grenzen halten, die Grundsteuer eine gibt es im Freistaat die Kampagne „El- kation kann man selbst einen Betrieb Objektsteuer bleiben. ternstolz“ des Wirtschaftsministeriums Die Zahl der FLÜCHTLINGE unter gründen oder einen bereits bestehen- sowie der bayerischen Handwerkskam- den Auszubildenden nimmt zu. den übernehmen. Allein im bayeri- mern und der IHKs, mit der die Eltern schen Handwerk stellt sich für 21.000 über die Bedeutung einer dualen Berufs- Unternehmen in den nächsten fünf ausbildung und die hervorragenden be- Jahren die Frage, wer die Firma in Zu- Bürger und Unternehmen brauchen ruflichen Perspektiven im Anschluss kunft führt. eine STEUERENTLASTUNG. informiert werden. Außerdem versu- chen wir, mit Lehrstellen-Apps und in Meister genauso fördern Deutschland muss Steuern senken sozialen Netzwerken bei Jugendlichen wie Master Zwar ist der Fachkräftemangel momen- zu punkten. Statt Stolpersteinen erwarten wir von tan die größte Baustelle für unseren der Politik Rückenwind für die berufli- Wirtschaftsbereich, doch auch an ande- Chancen für Flüchtlinge che Bildung. In der Vergangenheit gab ren Stellen müssen sich die Standortbe- Bürokratie für kleine und mittlere Einen wachsenden Teil der Auszubil- es bereits einige Fortschritte: Die Durch- dingungen in Deutschland verbessern. Betriebe runterfahren denden machen Flüchtlinge aus. Fast lässigkeit zwischen den Bildungswegen Ein ganz wichtiger Bereich ist dabei die Erheblicher Handlungsbedarf besteht 8 % der Neuabschlüsse entfielen im wurde deutlich verbessert. Gesellen mit Steuerpolitik. International hat der auch bei der Energiepolitik. Es fehlt letzten Jahr auf junge Menschen mit dreijähriger Berufserfahrung erhalten Steuerwettbewerb längst Fahrt aufge- eine Perspektive, wie man vor allem die Fluchthintergrund. Ende 2018 wurden nun in Bayern die fachgebundene Hoch- nommen. Hier müsste Deutschland Kostenentwicklung in den Griff be- im bayerischen Handwerk über 3.900 schulzugangsberechtigung. Meister handeln und Bürger und Unternehmen kommen will. Die EEG-Umlage und Lehrlinge aus Fluchtstaaten ausgebil- können sogar uneingeschränkt studie- entlasten anstatt die derzeit noch üppi- andere Energiezusatzkosten wie det. Das große Engagement bei der In- ren. Und auch die finanzielle Förderung gen Einnahmen in einer Vielzahl von Netzentgelte drohen für Handwerksbe- tegration von Flüchtlingen zeigt, dass wurde verbessert. Der 2013 in Bayern sozialpolitischen Projekten zu verbrau- triebe und Verbraucher zu einer untrag- das Handwerk nicht nur leistungsstar- eingeführte Meisterbonus, den jeder er- chen. Seit der Unternehmenssteuerre- baren Belastung zu werden. Positiv ist, ken Jugendlichen eine Chance gibt, folgreiche Absolvent der beruflichen form 2008 gab es in Deutschland keine dass die steuerliche Förderung der ener- sondern auch solchen eine Perspektive Weiterbildung zum Meister oder eines nennenswerte Reform mehr. Notwen- getischen Gebäudesanierung endlich in bietet, bei denen die Ausbildung mit ei- gleichwertigen Abschlusses erhält, wur- dig wären deutliche Eingriffe am Tarif Angriff genommen werden soll. Wir er- nem erhöhten Aufwand verbunden ist. de zum 1. Juni 2019 von 1.500 auf 2.000 der Einkommensteuer. Die kalte Pro- warten, dass dies auch im notwendigen Die von der Bundesregierung geplante Euro erhöht. Das ist erfreulich. Letzt- gression müsste endlich dauerhaft ent- Umfang geschieht. Ein Thema, bei dem Mindestausbildungsvergütung geht da- endlich muss aber das Ziel sein, die be- schärft und der sogenannte „Mittel- das bayerische Handwerk ebenfalls in her in die völlig falsche Richtung. Sie rufliche Bildung genauso intensiv zu standsbauch“ begradigt werden. Der engem Austausch mit der Politik steht, gefährdet nicht nur die Ausbildungsbe- fördern wie die akademische Bildung. Solidaritätszuschlag sollte nach dem ist der Bürokratieabbau. Ministerpräsi- reitschaft in manchen Handwerksbran- Ganz besonders wichtig ist, dass an Auslaufen des Solidarpakts 2019 voll- dent Söder hat sogenannte „Fast Lanes“ chen, sie erschwert v. a. leistungs- allen Schularten eine umfassende Be- ständig abgeschafft werden, da die angekündigt, die schnellere Unterneh- schwächeren Jugendlichen, in der Ar- rufsorientierung durchgeführt wird. zweckentsprechende Verwendung be- mensgründungen erlauben. Außerdem beitswelt Fuß zu fassen. Grundsätzlich Das Handwerk ist ein äußerst vielseiti- reits aufgegeben wurde. Bei der Grund- sollen Statistikpflichten ausgesetzt und gilt: Die Ausbildungsvergütung ist kein ger Wirtschaftsbereich mit rund 130 steuer erfordert das Urteil des Bundes- zur vierteljährlichen Umsatzsteuervor- Lohn für eine Leistung, sondern eine verschiedenen Ausbildungsberufen. In verfassungsgerichts zur Einheitsbewer- anmeldung zurückgekehrt werden. 30 POLITISCHE STUDIEN // 486/2019 486/2019 // POLITISCHE STUDIEN 31
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