Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit - Vorstudie - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

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Zahlungsbereitschaft für
                                                                          Verkehrssicherheit –
                                                                                     Vorstudie

                         Heft M 242
                         Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

                                                                                            Berichte der
                                                                        Bundesanstalt für Straßenwesen
                                                                               Mensch und Sicherheit   Heft M 242
ISSN 0943-9315
ISBN 978-3-95606-057-1
Zahlungsbereitschaft für
   Verkehrssicherheit –
              Vorstudie

                                                   von

                         Francisco Bahamonde-Birke
                                         Heike Link
                                        Uwe Kunert

          Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
                                                 Berlin

                     Berichte der
 Bundesanstalt für Straßenwesen
        Mensch und Sicherheit          Heft M 242
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
                   veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs-
                   ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
                   besteht aus folgenden Unterreihen:
                   A - Allgemeines
                   B - Brücken- und Ingenieurbau
                   F - Fahrzeugtechnik
                   M - Mensch und Sicherheit
                   S - Straßenbau
                   V - Verkehrstechnik
                   Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
                   dem Namen der Verfasser veröffentlichten
                   Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
                   Herausgebers wiedergeben.
                   Nachdruck und photomechanische Wieder-
                   gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi-
                   gung der Bundesanstalt für Straßenwesen,
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
                   Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen können
                   direkt bei der Carl Schünemann Verlag GmbH,
                   Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
                   Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
                   Über die Forschungsergebnisse und ihre
                   Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
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                   Ab dem Jahrgang 2003 stehen die Berichte der BASt
                   zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
                   BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
                   http://bast.opus.hbz-nrw.de/benutzungbenutzung.php?la=de

                   Impressum

                   Bericht zum Forschungsprojekt
                   FE 82.0547/2012: Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit – Vorstudie
                   Fachbetreuung
                   Susanne Schönebeck
                   Herausgeber
                   Bundesanstalt für Straßenwesen
                   Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
                   Telefon: (0 22 04) 43 - 0
                   Telefax: (0 22 04) 43 - 674
                   Redaktion
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit
                   Druck und Verlag
                   Fachverlag NW in der
                   Carl Schünemann Verlag GmbH
                   Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
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                   www.schuenemann-verlag.de
                   ISSN 0943-9315
                   ISBN 978-3-95606-057-1
                   Bergisch Gladbach, Dezember 2013

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Kurzfassung – Abstract

Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit –          Willingness­to­pay for road safety –
Vorstudie                                              preparatory study

Die Bewertung von Projekten im Rahmen von Kos­         The evaluation of road safety projects following a
ten­Nutzen­Analysen erfordert quantitative Input­In­   cost­benefit approach requires the valuation of road
formationen zu den Kosten von Verkehrsunfällen.        accidents as a fundamental input. According to the
In der deutschen Bewertungspraxis werden bislang       current German evaluation methodology only the
ausschließlich die mittel­ und unmittelbar anfallen­   direct and indirect economic costs of road accidents
den monetären Folgen von Verkehrsunfällen quan­        are taken into account, while the intangible
titativ berücksichtigt, während die immateriellen      consequences such as pain, sorrow, loss of quality
Folgen wie Schmerz, Leid, Verlust an Lebensquali­      of life and the willingness­to­pay of the population
tät bzw. die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung      to reduce/avoid these consequences are not
zur Verringerung/Vermeidung dieser Folgen unbe­        considered.
rücksichtigt bleiben.
                                                       This study summarizes the state­of­the­art for
Die hier vorgelegte Vorstudie fasst den heutigen       assessing the willingness­to­pay (WTP) in a traffic
Stand der Forschung zur Quantifizierung von Zah­       safety context and it presents a comprehensive and
lungsbereitschaften für die Verkehrssicherheit         systematic overview of the scientific literature. The
durch eine umfassende und systematische Über­          most popular approaches for assessing the WTP
sicht der wissenschaftlichen Literatur zusammen.       (i.e. the hedonic pricing, the contingent valuation,
Die fünf Verfahren hedonische Preisbildung, kon­       the risk­risk­analysis, the standard gamble method
tingente Bewertungsmethode, Risiko­Risiko­Analy­       and stated­choice­approach) are analyzed
se, Standardlotteriemethode und Stated­Choice          regarding their theoretical foundations, the current
(SC) werden hinsichtlich ihrer theoretischen Fun­      state­of­the­praxis and the empirical evidence.
dierung, der verwendeten methodischen Ansätze
(Art der Befragung, Modellierung etc.) und der An­     Among the analyzed alternatives, the SC­approach
wendungserfahrungen untersucht.                        represents the current state­of­the­art for
                                                       determining people’s WTP for non­market goods.
Unter den verfügbaren Verfahren stellen die            Nevertheless, most empirical evidence relying on
SC­Methoden den heutigen State­of­the­Art in der       this method is related to the valuation of the travel
Forschung zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft      time (VOT) and to the value of reliability (VOR). It
der Bevölkerung für nicht marktfähige Güter dar.       must be stated, that during the last years a gap
Allerdings liegen die meisten Anwendungserfahrun­      between the state­of­the­art (SC­methods) and the
gen mit SC­Ansätzen bislang für die Bewertung der      state­of­the­praxis (other methods) has arisen,
Reisezeit und der Zuverlässigkeit vor. Zusammen­       which should be filled with empirical evidence.
fassend ist festzustellen, dass im Laufe der letzten   Particularly in Germany there is a significant need
Jahre eine Lücke zwischen dem Stand der For­           for research. This work provides recommendations
schung (SC­Methoden) und dem Stand der Praxis          for further investigation on this subject.
(andere Methoden) entstanden ist, die mit Anwen­
dungserfahrungen gefüllt werden sollte. Insbeson­
dere für Deutschland liegt ein wesentlicher For­
schungsbedarf vor. Basierend auf diesem Überblick
werden daher Vorschläge für die weitere Forschung
entwickelt.
5

Inhalt

1        Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       7

2        Die Komponenten der Unfall-
         kosten und die Bewertung des
         menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . .                  7

3        Ansätze zur Schätzung von
         Unfallkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         8
3.1      Schadenskostenansätze. . . . . . . . . . . .                 9
3.1.1 Der Humankapitalansatz . . . . . . . . . . .                    9
3.1.2 Die Berechnung der Repro-
      duktions- und Ressourcenausfall-
      kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     10
3.2      Die Zahlungsbereitschaftsanalyse . . . .                    11
3.2.1 Methoden der Stated-Preferences
      im deutschen Sprachraum . . . . . . . . . .                    14
3.2.2 Die hedonische Preisbildung . . . . . . . .                    15
3.2.3 Die kontingente Bewertungs-
      methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        17
3.2.4 Die Risiko-Risiko-Analyse . . . . . . . . . .                  19
3.2.5 Die Standardlotteriemethode . . . . . . . .                    19
3.2.6 Die Stated-Choice-Methode . . . . . . . . .                    20

4        Diskussion und
         Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . .              23

5        Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   28
7

1      Einleitung                                                  Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel des hier
                                                                   vorgelegten Berichts, die verschiedenen Ansätze zur
Vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Bedürf-                  Ermittlung der Unfallkosten darzustellen und im Hin-
nisses nach Mobilität von Personen und Gütern und                  blick auf ihre Vor- und Nachteile zu diskutieren. Der
der Anforderungen zur nachhaltigen Gestaltung des                  Schwerpunkt liegt dabei auf den Zahlungsbereit-
Verkehrssystems ist die möglichst adäquate Ermitt-                 schaftsansätzen, die bislang in Deutschland bezüg-
lung der damit verbundenen Kosten und Nutzen eine                  lich der Verkehrssicherheit nicht angewendet wer-
wichtige Aufgabe. Dies gilt neben den Infrastruktur-               den.
kosten, den Staukosten und den Kosten der Luftver-
schmutzung, des Verkehrslärms und des Klimawan-
dels auch für den Bereich der durch Verkehrsunfälle                2    Die Komponenten der Unfall-
verursachten Kosten bzw. den Nutzen von Projekten                       kosten und die Bewertung
                                                                        des menschlichen Lebens
zur Verringerung der Unfallrisiken. Der theoretisch-
konzeptionell fundierten und empirisch soliden Er-
mittlung der Kosten von Verkehrsunfällen kommt so-
                                                                   Die Kosten von Verkehrsunfällen1 lassen sich kon-
wohl im Bereich der Preispolitik bei der Quantifizie-
                                                                   zeptionell in drei Komponenten unterteilen (vgl.
rung der externen Kosten als auch im Bereich der
                                                                   hierzu HEATCO, 2005):
Kosten-Nutzen-Analyse von Investitionsprojekten
z. B. im Rahmen der BVWP eine wichtige Rolle zu.                   1. Direkte ökonomische Kosten. Sie entsprechen
                                                                      den infolge eines Verkehrsunfalls unmittelbar
In der deutschen Bewertungspraxis werden bislang
                                                                      anfallenden Ausgaben (Kosten der medizini-
ausschließlich die mittel- und unmittelbar anfallen-
                                                                      schen Behandlung, Kosten von Rehabilitations-
den monetären Folgen von Verkehrsunfällen quan-
                                                                      maßnahmen, Verwaltungs-, Polizei- und Recht-
titativ berücksichtigt, während die immateriellen
                                                                      sprechungskosten, Bestattungskosten etc.).
Folgen wie Schmerz, Leid, Verlust an Lebensquali-
tät bzw. die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung                  2. Indirekte ökonomische Kosten. Sie entsprechen
zur Verringerung/Vermeidung dieser Folgen unbe-                       den Verlusten, die die Volkswirtschaft durch den
rücksichtigt bleiben. Damit stellt sich zum einen die                 Produktionsausfall des Unfallopfers erleidet.
Frage, ob die derzeit angewendeten Unfallkosten-
                                                                   3. Immaterielle Verluste wie Leid, Schmerz, Verlust
sätze eine adäquate Bewertung von Projektalter-
                                                                      an Lebensqualität etc.
nativen gewährleisten. Zum anderen ordnet sich
die Berücksichtigung immaterieller Unfallfolgen und                Während die beiden erstgenannten Komponenten
der Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung zur Ver-                  bereits angefallene bzw. prospektiv zu schätzende
minderung des Unfallrisikos in die aktuelle Diskus-                monetäre Größen sind, stellt sich bei der letztge-
sion der alternativen Wohlstandsmessung ein, bei                   nannten Komponente die Frage nach ihrer Bewer-
der es darum geht, neben dem monetär ausge-                        tung und Monetarisierung. In der deutschen ver-
drückten BIP auch weitere Indikatoren wie Demo-                    kehrswissenschaftlichen Diskussion wurde die Mög-
kratie und Freiheit, Lebenserwartung, soziale Teil-                lichkeit einer monetären Bewertung menschlichen
habe, Artenvielfalt etc. in die Bewertung einzube-                 Lebens in der Vergangenheit teilweise aus ethischen
ziehen (Deutscher Bundestag, 2013).                                Gründen sowie aufgrund methodisch-konzeptionel-
                                                                   ler Probleme verneint. Folglich wurden zunächst le-
                                                                   diglich die Produktionsverluste bewertet (Humanka-
1 In diesem Bericht werden ausschließlich die Kosten von Ver-      pitalansatz, vgl. hierzu WILLEKE et al., 1967, wei-
  kehrsunfällen mit Personenschäden behandelt. Die statisti-       tergehend diskutiert in Kapitel 3.1.1). In Weiterent-
  sche Erfassung von Sachschäden wird hier nicht diskutiert.
2 Er folgt damit interessanterweise einem englischen Rechtsfall    wicklung dieses Ansatzes zum Reproduktions- und
    des Jahres 1949 (EVANS, 2012), in dem entschieden wurde,       Ressourcenausfallkosten-Ansatz wurden später
    dass die Größe eines Risikos und die Kosten der Gefahren-      auch die direkten ökonomischen Kosten einbezogen
    abwehr abgewogen werden müssten. Da zu diesem Zeitpunkt        (KRUPP und HUNDHAUSEN, 1984, weitergehend
    noch keine formelle Einschätzung der Größenordnung des Ri-
    sikos existierte und die einzige Beziehung zwischen Unfällen
                                                                   diskutiert in Kapitel 3.1.2). Schließlich berücksichtigt
    und Finanzmitteln die Entschädigungszahlungen an Opfer         der derzeit in Deutschland verwendete Ansatz
    eines Unglückes und deren Angehörige waren, wurde es als       neben den durch Unfälle verursachten Staukosten
    angemessen betrachtet, dass der Wert eines Risikos bzw. der    auch einen Teil der humanitären Kosten, indem die
    Gefahr eines Todesfalles diesem Betrag entsprechen müsste.
    Dieser Betrag war eine der ersten Quantifizierungen des Wer-   von den Versicherungen gezahlten Schmerzensgel-
    tes des Lebens.                                                der berücksichtigt werden2 (vgl. ASSING et al.,
8

2010). Diese Ansätze, die als Schadenskostenan-               Fragen als auch zu methodischen Problemen ihrer
sätze bezeichnet werden, haben zum Ziel, den ob-              Quantifizierung und Monetarisierung, die in engem
jektiven Nutzen eines Lebens bzw. der Verminde-               Zusammenhang miteinander stehen. Dies betrifft
rung des Unfallrisikos für die Volkswirtschaft zu er-         zum einen die Frage nach der Überlappung zwi-
mitteln. Sie beschränken sich, mit Ausnahme der               schen den Komponenten. Da der Value of Life
Schmerzensgelder, auf die Quantifizierung der bei-            durch Befragungsansätze ermittelt wird, ist zu-
den ersten Komponenten der Unfallkosten.                      nächst unklar, inwieweit die Befragten auch Teile
                                                              der direkten und indirekten ökonomischen Kosten
Dieser Denkrichtung steht eine zweite Herange-
                                                              in ihrer Zahlungsbereitschaft zur Verminderung des
hensweise3 gegenüber, die darauf abzielt, die
                                                              Unfallrisikos mit berücksichtigen, so z. B. das Be-
subjektive Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung
                                                              dürfnis, weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgehen
für die Verminderung des Unfallrisikos zu ermitteln.
                                                              zu können. Eine andere konzeptionelle Frage ist
Hierzu gehören die hedonische Preisbildung
                                                              die nach einer Altersdifferenzierung des VSL bzw.
(ROSEN, 1974), die kontingente Bewertungs-
                                                              dem Problem, welcher Wert dem Leben von Kin-
methode (MITCHELL und CARSON, 1989;
                                                              dern, die man hierzu nicht befragen kann, zugeord-
JONES-LEE et al., 1995), die Risiko-Risiko-Analy-
                                                              net werden sollte (vgl. hierzu Kapitel 4).
se (VISCUSI et al., 1991; JONES-LEE et al., 1993),
die Standardlotteriemethode (JONES-LEE et al.,
1993) sowie die Stated-Choice-Methoden
(LOUVIERE et al., 2000). Diese als Zahlungsbe-                3    Ansätze zur Schätzung von
reitschaftsansatz bezeichnete Herangehensweise                     Unfallkosten
versucht, den subjektiven Wert, den die Gesell-
schaft dem Schutz eines Lebens zuordnet, zu mes-              Aufgrund der Anwendung der Kosten-Nutzen-Ana-
sen. Dieses Konzept ist deutlich weitgehender als             lyse als quantitatives Instrumentarium für die Be-
die objektive Bewertung, da es auch subjektive Ele-           gutachtung von verschiedenen Handlungsalterna-
mente wie den Schmerz, das Leid, die Erhöhung                 tiven ist die Quantifizierung des Wertes der Risiko-
des Sicherheitsgefühls durch eine Sicherheitsmaß-             reduktionen ein zentraler Aspekt der Verkehrssi-
nahme und andere externe Effekte, d. h. die dritte            cherheitsforschung.
Komponente der Unfallkosten, berücksichtigt.
                                                              Da es für das Gut Verkehrssicherheit oder ihre Er-
Dabei geht es nicht darum, den Wert eines Men-                höhung keinen Marktpreis gibt, müssen besondere
schenlebens festzulegen. Vielmehr wird mit diesem             Techniken angewendet werden, um z. B. in Form
Konzept das Ziel verfolgt, in Marktsituationen oder in        von Schadenskosten oder Zahlungsbereitschaften
Befragungen die Präferenzen der Individuen hin-               Werte zu ermitteln, die anstelle von Marktpreisen in
sichtlich ihres Sicherheitsgefühls zu identifizieren          der Kosten-Nutzen-Analyse genutzt werden kön-
und entsprechend zu interpretieren. Diese Herange-            nen.
hensweise entspricht einer demokratischen Politik-            Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Wissen-
gestaltung, indem sie den Willen und die Absichten            schaftler verschiedene Methoden entwickelt und
der Bevölkerung widerspiegelt. Der in der Literatur           verwendet, um quantitative Ergebnisse zur Bewer-
verwendete Begriff des Value-of-Statistical-Life              tung der Verkehrssicherheit abzuleiten. Zu den am
(VSL) bezieht sich somit nicht auf ein konkretes              meisten verwendeten Techniken gehören sowohl
Menschenleben, sondern auf ein undefiniertes sta -            Schadenskostenansätze wie der Humankapitalan-
tistisches Leben, dessen Bewertung für Situationen            satz (FEIN, 1958; MUSHKIN und COLLINGS,
mit nicht sicher, sondern nur mit geringer Wahr-              1959) oder die Berechnung der Reproduktions- und
scheinlichkeit eintretenden Ereignissen ermittelt             Ressourcenausfallkosten (KRUPP und HUND -
wird.                                                         HAUSEN, 1984) als auch Zahlungsbereitschaftsan-
                                                              sätze wie die hedonische Preisbildung (ROSEN,
Die Berücksichtigung der immateriellen Komponen-
                                                              1974), die kontingente Bewertungsmethode
te der Unfallkosten führt sowohl zu konzeptionellen
                                                              (MITCHELL und CARSON, 1989; JONES-LEE
                                                              et al., 1995), die Risiko-Risiko-Analyse (VISCUSI
                                                              et al., 1991; JONES-LEE et al., 1993), die Stan-
3 Eine dritte Herangehensweise ist der Vermeidungskostenan-
                                                              dardlotteriemethode (JONES-LEE et al., 1993)
  satz (BAUM et al., 2010), der hier jedoch aufgrund seiner
  mangelnden Relevanz im Verkehrssicherheitsbereich nicht     sowie die Stated-Choice-Methoden (LOUVIERE
  behandelt wird.                                             et al., 2000).
9

Alle hier genannten Methoden weisen Unzulänglich-
keiten auf, die zumindest bei der Interpretation der
Ergebnisse zu berücksichtigen sind, idealerweise
                                                        wobei πt+i die Wahrscheinlichkeit des Überlebens
jedoch durch einen Vergleich der Ergebnisse meh-
                                                        eines Individuums des Alters t bis zu einem Alter t+i
rerer Methoden in ihrem Einfluss auf die Entschei-
                                                        darstellt und Et+i die erwarteten Bruttoeinkommen
dung für eine Handlungsoption reduziert werden
                                                        desselben Individuums im Alter πt+i. r ist der Dis-
sollten. So ist im Falle des Humankapitalansatzes
                                                        kontsatz und T steht für das Rentenalter. Dabei be-
zu berücksichtigen, dass der subjektive Wert, den
                                                        zieht der Humankapitalansatz nicht die Kapitalein-
ein Individuum seinem Leben beimisst, nicht dem
                                                        künfte in die Berechnung ein, da das Vermögen
Humankapital entspricht (BERGSTROM, 1982).
                                                        (und die zugehörigen Kapitaleinkünfte) nicht durch
Umgekehrt spiegeln die Reproduktions- und Res-
                                                        den Tod des Inhabers betroffen wird.
sourcenausfallkosten lediglich die angefallenen mo-
netären Unfallkosten wider, bilden aber nicht die in-   Da der Volkswirtschaft durch den Tod von Perso-
dividuellen Präferenzen der Bevölkerung ab. Die         nen, die nicht im Arbeitsprozess stehen oder stehen
hedonische Preisbildung leidet an einem Defizit an      werden (Hausfrauen, Rentner usw.), kein Produk-
Anpassungsfähigkeit und die Risiko-Risiko-Analyse       tionspotenzial verloren geht, ordnet der Humanka-
an empirischen Problemen. Die Standardlotterieme-       pitalansatz diesen Individuen einen Nullwert zu.
thode ist eher mit einer Bewertung des Ex-post-Ri-
sikos verbunden, die dem Wert des Ex-ante-Risikos       Der Humankapitalansatz ermöglicht neben der Mo-
(wie im Falle der Verkehrssicherheit) nicht unbe-       netarisierung des durch einen Unfalltoten der
dingt entspricht (HOJMAN et al., 2005), und die kon-    Volkswirtschaft entgangenen Humankapitals auch
tingente Bewertungsmethode führt aufgrund ihres         die Quantifizierung der volkswirtschaftlichen Ver -
direkten Charakters zu Verzerrungen. Bei Stated-        luste aufgrund von Unfallverletzten.
Choice-Ansätzen (SC) werden mögliche Fehlinter-
                                                        Der Vorteil des Humankapitalansatzes liegt in der
pretationen von Fragen durch die Befragten (ein we-
                                                        Verwendung von Daten, die mit der Volkswirt-
sentlicher Bestandteil dieser Methodik) kritisiert.
                                                        schaftlichen Gesamtrechnung kompatibel sind. Er
Im Folgenden werden die verschiedenen in For-           gewährleistet damit eine objektive und transparen-
schung und Bewertungspraxis am häufigsten ange-         te Prozedur und ermöglicht die Replizierbarkeit der
wandten Ansätze zur Ermittlung des Wertes von           Daten. Allerdings sind die Ergebnisse in hohem
nicht marktfähigen Gütern wie zum Beispiel der          Maße vom gewählten Diskontsatz abhängig.
Verkehrssicherheit diskutiert.                          LANDEFELD und SESKIN (1982) veranschau-
                                                        lichen die Auswirkungen dieses Parameters im
                                                        Rahmen einer Sensitivitätsanalyse (Tabelle 1).
3.1 Schadenskostenansätze                               So ergibt sich bei Verwendung des niedrigsten
3.1.1 Der Humankapitalansatz                            Diskontsatzes von 2,5 % ein mehr als 12-mal hö-
                                                        herer VSL für Kinder unter 4 Jahren als bei einem
Der Humankapitalansatz (FEIN, 1958; MUSHKIN             Diskontsatz von 10 %, für die jungen Erwachsenen
und COLLINGS, 1959) ist der historisch älteste
Schadenskostenansatz. Er basiert auf der Annah-
me, dass der Wert des Lebens in direktem Zusam-                            VSL* bei einem Diskontsatz von ...
menhang mit der Produktionsfähigkeit (dem so ge-         Altersgruppe
                                                                            2,5 %         6%           10 %
nannten Humankapital) eines Individuums steht,
die üblicherweise durch das Bruttoeinkommen, das         1 bis 4 Jahre     405.802      109.364        31.918
eine bestimmte Person im Laufe ihres Lebens ge-          20 bis 24 Jahre   515.741      285.165       170.707
nerieren kann, repräsentiert wird. Da diese Produk-
                                                         40 bis 44 Jahre   333.533      242.600       180.352
tionsleistung mit dem Tod der Person für die Volks-
wirtschaft verloren geht, entspricht im Humankapi-       65 bis 69 Jahre    25.331       21.801        18.825
talansatz der Wert der Verhinderung des Unfall-          * US-Dollar zu Preisen von 1977
todes dieser Person dem Barwert aller ihrer zukünf-      Quelle: DOLAN et al. (1980), LANDEFELD und
tigen Bruttoeinkommen. Damit lässt sich der VSL                  SESKIN (1982)

folgendermaßen berechnen (ORTÚZAR und                   Tab. 1: Abhängigkeit des mit dem Humankapitalansatz ge-
WILLUMSEN, 2011):                                               schätzten VSL vom gewählten Diskontsatz
10

kann sich dieser Wert verdreifachen. Ein hoher           schen, juristischen oder anderen Handlungen zu-
Diskontsatz impliziert, dass der VSL von Kindern         stande kommen. Diese werden direkt durch den
geringer wird als der VSL der Menschen, die sich         Marktpreis der verschiedenen Leistungen quantifi-
schon im Arbeitsleben befinden.                          ziert, die im Rahmen der Behandlung des Opfers
                                                         benötigt wurden. Dabei lassen sich direkte und in-
Ein weiterer, grundsätzlicher Kritikpunkt ist die aus-   direkte Reproduktionskosten unterscheiden. Ers-
schließlich wirtschaftlich-utilitaristische Orientie-    tere beziehen sich sowohl auf die medizinischen
rung des Ansatzes, der damit andere, von der Be-         Kosten, die direkt durch die medizinische Behand-
völkerung vielleicht sogar als wichtiger empfundene      lung (stationäre, ambulante und Nachbehandlung)
Unfallfolgen wie zum Beispiel das Leid oder den          sowie die notwendige Beförderung des Geschädig-
Schmerz, nicht berücksichtigt. Diese Kritik berührt      ten entstehen, als auch auf die beruflichen Rehabi-
auch die aktuelle Diskussion in Forschung und            litationskosten des Opfers, d. h. die Maßnahmen,
Praxis um eine rein monetäre versus eine auch            die die Wiedereingliederung des Geschädigten in
nicht monetäre Komponenten umfassende Wohl-              seinen Arbeitsplatz ermöglichen.
fahrtsmessung. Problematisch ist außerdem die
unterschiedliche Bewertung von Menschen auf-             Die indirekten Reproduktionskosten umfassen alle
grund ihrer unterschiedlichen Produktionsfähigkeit.      anderen Ausgaben, die im Zusammenhang mit der
                                                         Wiederherstellung der Ausgangssituation entste-
Zudem ist auch die Einschränkung der Bewertung           hen, wie zum Beispiel die juristischen Kosten und
auf das Markteinkommen problematisch.                    die Polizeikosten.
Es ist schließlich zu berücksichtigen, dass der          Die Ressourcenausfallkosten ihrerseits stellen die
Humankapitalansatz ausschließlich zur Bewertung          Verluste der Volkswirtschaft aufgrund des Produk-
des Menschenlebens, d. h. im Bereich der Ver-            tionsausfalles (durch die Verletzung bzw. durch
kehrssicherheit, Gesundheitswissenschaften usw.,         den Tod des Unfallopfers) dar. Diese Kosten wer-
angewendet werden kann, während – im Gegen-              den ähnlich wie beim Humankapitalansatz (vgl. Ka-
satz beispielsweise zu dem in Kapitel 3.2.6 be-          pitel 3.1.1) mit dem Ertragswertverfahren oder mit
schriebenen Stated-Choice-Ansatz – die Bewer-            dem Lost-Output-Ansatz ermittelt (PEARCE,
tung anderer nicht-marktfähiger Güter (z. B. Lärm)       2006). Der Berechnungsansatz der BASt berück-
nicht möglich ist.                                       sichtigt in Anlehnung an die gesamtwirtschaftliche
                                                         Berichterstattung des Sachverständigenrates zur
3.1.2 Die Berechnung der Reproduktions- und              Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung
      Ressourcenausfallkosten                            nicht den Verlust an tatsächlicher Wertschöpfung,
                                                         sondern legt die potenzielle Wertschöpfung (zu
Dieser Ansatz stellt eine Erweiterung des Human-         Marktpreisen) zugrunde. Sie basiert auf der aktuel-
kapitalansatzes dar, die von KRUPP und HUND-             len Cobb-Douglas-Produktionsfunktion der Deut-
HAUSEN (1984) entwickelt wurde und die Basis für         schen Bundesbank, wobei nur auf die Änderung
die derzeit von der Bundesanstalt für Straßenwe-         des Produktionspotenzials durch den Faktor Arbeit
sen (BASt) verwendete Methodik bildet (ASSING            zurückgegriffen wird (BAUM et al., 2010). Das
et al., 2010). Die Vorgehensweise wurde von              BASt-Verfahren nimmt keine Diskontierung vor, da
BAUM und HÖHNSCHEID (1999) konzeptionell                 der Zeitpräferenz das Potenzialwachstum gegen-
überarbeitet und führte zu einem Berechnungsmo-          übersteht. Beide Größen dürften im Bereich von 2
dell, dessen Ergebnisse jährlich von der BASt ak-        bis 3 % liegen (BAUM et al., 2010:48). In der
tualisiert und veröffentlicht werden.                    BVWP wird ein Diskontsatz von 3 % genutzt, der
Wie auch sein methodischer Vorgänger basiert die-        aus einem intertemporalen volkswirtschaftlichen
ser Ansatz auf den Kosten, die der Volkswirtschaft       Modell unter Annahme einer optimalen Allokation
im Zusammenhang mit einem Unfall entstehen.              der heutigen und zukünftigen Konsummenge ab-
Diese Kosten lassen sich in Reproduktionskosten          geleitet wurde (vgl. hierzu KOTZ et al., 1987).4
und Ressourcenausfallkosten unterteilen.

Die Reproduktionskosten umfassen die notwendi-
gen Kosten zur Wiederherstellung der vor dem Ver-        4 Unter Annahme einer optimalen Allokation zwischen heuti-
kehrsunfall bestehenden Situation und beinhalten           gem und zukünftigem Konsum sind soziale Zeitpräferenzra-
die Ausgaben, die durch den Einsatz von medizini-          te und soziale Opportunitätskostenrate identisch.
11

Derzeit ist im Auftrage des BMVBS ein Gutachten        3.2 Die Zahlungsbereitschaftsanalyse
zur Neuberechnung des Diskontsatzes für die
BVWP in Bearbeitung.                                   Aufgrund der in den vorigen Kapiteln diskutierten
                                                       Probleme der Schadenskostenansätze wurde im
Neben den bereits beschriebenen Komponenten            Laufe der 70er Jahre die Zahlungsbereitschafts-
berücksichtigt der Reproduktions- und Ressouren-       analyse entwickelt (MISHAN, 1971). Dieser Ansatz
ausfallkosten-Ansatz auch andere Kosten, so die        basiert auf der Bereitschaft von Individuen, Geld für
außermarktlichen Wertschöpfungsverluste, huma-         eine Verbesserung der aktuellen Zustände zu zah-
nitäre Kosten und die durch Unfälle verursachten       len (willingness-to-pay) bzw. Geld für die Erduldung
Staukosten (BAUM et al., 2010).                        einer Verschlechterung zu akzeptieren (willingness-
                                                       to-accept). Ermittelt wird der Wert, den die Gesell-
Die außermarktlichen Wertschöpfungsverluste be-
                                                       schaft einem bestimmten Gut zuordnet, die gesell-
ziehen sich auf die Produktion von Gütern und
                                                       schaftliche Zahlungsbereitschaft.
Dienstleistungen, die von der volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung nicht erfasst werden, wie zum           Der VSL5 kann folgendermaßen dargestellt werden
Beispiel die Haushaltsproduktion oder die Schat-       (JONES-LEE, 1994; RIZZI und ORTÚZAR 2006a;
tenwirtschaft.                                         HOJMAN et al., 2005):

Die humanitären Kosten sind definiert als alle an-
deren Belastungen, unter denen die Unfallopfer lei-
den und die nicht in den Reproduktions- bzw. den       wobei WTPi für die Zahlungsbereitschaft von Indivi-
Ressourcenausfallkosten enthalten sind. Im von         duum i steht, N für die Größe der Bevölkerung und
der BASt verwendeten Berechnungsansatz werden          Cov(WTPi,|δri|) für die Kovarianz zwischen der indi-
sie über die von den Versicherungen gezahlten          viduellen Zahlungsbereitschaft und der Risikover-
Schmerzensgelder berücksichtigt.                       minderung. Üblicherweise wird angenommen, dass
Obwohl der Reproduktions- und Ressourcenaus-           die Kovarianz zwischen dem Risiko und der Zah-
fall-Ansatz den Humankapitalansatz um fehlende         lungsbereitschaft null ist, was Gleichung (2) wie
Komponenten ergänzt, bleiben die wesentlichen          folgt vereinfacht:
Kritikpunkte bestehen (vgl. Kapitel 3.1.1). Anzumer-
ken ist außerdem, dass der Reproduktions- und
Ressourcenausfall-Ansatz wie auch der Human-
                                                       Normalerweise wird die Zahlungsbereitschaft als
kapitalansatz nicht für die Bewertung anderer,
                                                       die Grenzrate der Substitution zwischen zwei Gü-
nicht-marktfähiger Güter angewendet werden kann.
                                                       tern dargestellt. Dabei ist es üblich, eines der Güter
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass           in monetären Einheiten auszudrücken, um einen
beide Formen des Schadenskostenansatzes nur            monetären Trade-off zwischen den beiden Gütern
die unmittelbar anfallenden Kosten sowie die der       zu ermöglichen. Das andere Gut kann im Falle der
Volkswirtschaft entstehenden Verluste aufgrund         Verkehrssicherheit als eine Wahrscheinlichkeit,
von Verkehrsunfällen quantifizieren, während die       Opfer eines tödlichen Unfalles oder einer (schwe-
Präferenzen der Bevölkerung nicht einbezogen           ren) Verletzung zu werden, dargestellt werden. Da
werden. Damit stellt sich die Frage, ob die Kosten-    es sich um eine Grenzrate handelt, ist dieser Wert
abgrenzungen der Schadenskostenansätze hinrei-         nur in der Umgebung des Kalibrierungsniveaus gül-
chend sind, um beispielsweise in der Kosten-Nut-       tig.
zen-Analyse eine adäquate Abbildung der Nutzen
                                                       Zudem zeigen einige Befunde, dass die Zahlungs-
von Projekten zur Verbesserung der Verkehrs-
                                                       bereitschaft abhängig von der Richtung des be-
sicherheit zu gewährleisten. Dies führt zur grund-
sätzlichen Frage nach dem Ziel der gesellschaft-
lichen Bewertung von Projekten mittels der Kosten-
Nutzen-Analyse, nämlich der Frage, ob es aus-          5 Formal müsste im Falle des Zahlungsbereitschaftsansatzes
schließlich um die Maximierung des Wirtschafts-          vom Wert der Risikoreduktionen (VRR nach der englischen
wachstums oder um die Maximierung der gesell-            Abkürzung) und der Zahlungsbereitschaft für Risikoreduk-
schaftlichen Wohlfahrt geht, die auch immaterielle       tionen gesprochen werden (JONES-LEE, 1994; RIZZI und
                                                         ORTÚZAR, 2006b), aber zugunsten der Konsistenz der Ter-
Komponenten beinhaltet.                                  minologie wird in diesem Bericht der Begriff Wert des statis-
                                                         tischen Lebens (VSL) verwendet.
12

trachteten Effektes ist. Mit anderen Worten: Es wer-   subjektive Betrachtung des Schmerzes und des
den Unterschiede zwischen den Zahlungsbereit-          Leides oder den Wert des Lebens per se.
schaften für eine Besserung (willingness-to-pay)
und den Zahlungsbereitschaften für die Erduldung       Aus der Vielfältigkeit der Komponenten, die den
einer Verschlechterung (willingness-to-accept) kon-    subjektiven Wert des Lebens bilden, ergibt sich,
statiert (HOROWITZ und McCONELL, 2003). Diese          dass dieser auch von der jeweiligen Situation ab-
                                                       hängig ist. Infolgedessen können unterschiedliche
Feststellung widerspricht den Prinzipien der
                                                       Risikoeinstellungen in verschiedenen Bereichen
Hicks’schen Nachfrage (kompensierte Nachfrage)
                                                       (wie zum Beispiel in der Verkehrssicherheit, im Um-
und es gibt keine schlüssige Erklärung des Phäno-
                                                       weltbereich oder im Gesundheitswesen) zu abwei-
mens (ZHAO und KLING, 2001). Bei der Gestal-
                                                       chenden Bewertungen des Lebens oder einer
tung der Experimente zur Zahlungsbereitschaft
                                                       schweren Verletzung bzw. Erkrankung führen
muss dieser Effekt in Betracht gezogen werden.
                                                       (VISCUSI et al., 1991; JONES-LEE und LOOMES,
Offensichtlich ist die Zahlungsbereitschaft mit den    1995).
subjektiven Wahrnehmungen und Einstellungen
                                                       Zu den Gründen für diese abweichenden Bewer-
der Individuen verbunden und als solche mit ihren
                                                       tungen kann gehören, ob das Eingehen des Risikos
persönlichen Präferenzen und subjektiven Werten.
                                                       freiwillig ist oder nicht, ob das Individuum die Situa-
Die Zahlungsbereitschaft bezieht sich direkt auf
                                                       tion kontrolliert und ob andere Menschen von
eine Pareto-Optimierung des eigenen Nutzens
                                                       einem möglichen Versagen des Individuums betrof-
(LANDEFELD und SESKIN, 1982).
                                                       fen werden. Selbstverständlich bedingen auch die
Der Zahlungsbereitschaftsansatz kann zur Ermitt-       sozio-ökonomischen Eigenschaften der Person die
lung des Preises eines jeden, nicht vom Markt be-      Bewertung. Bild 1 zeigt die im Rahmen einer Meta-
werteten Gutes angewendet werden. Im Falle der         Studie der OECD (2012) ermittelten Unterschiede
Verkehrssicherheit erfordert seine Anwendung je-       der Zahlungsbereitschaften für die Bereiche Ver-
doch eine sorgfältige Berücksichtigung der Rah-        kehrssicherheit, Umwelt und Gesundheit.
menbedingungen. So muss man hier zwischen
                                                       Die je nach Anwendungsbereich unterschiedlichen
einem Risiko ex ante (das Risiko vor der Expositi-
                                                       Werte des VSL werden oft als Nachteil dieses An-
on) und einem Risiko ex post (nach der Exposition)
                                                       satzes angesehen, da Politik und Verwaltung häu-
unterscheiden (PEARCE et al., 2006). Der Wert
                                                       fig mit einem einzigen, für alle Bereiche gültigen
des Lebens kann nicht als die Ex-post-Zahlungsbe-
                                                       Wert arbeiten möchten. Zusätzlich führen die ab-
reitschaft einer Person für ihr eigenes Leben ver-
                                                       weichenden Bewertungen zu der Notwendigkeit,
standen werden. Ebenso kann man diesen Wert
                                                       diese Werte in unterschiedlichen Situationen und
nicht als die Ex-post-Zahlungsbereitschaft für die
                                                       für verschiedene Risiken zu analysieren. Jedoch
Rettung des Lebens eines anderen Individuums
                                                       lässt sich dieser Kritik entgegenhalten, dass die un-
verstehen. Die Analyse einer schon aufgetretenen
                                                       terschiedlichen Bewertungen die Ansichten und
Situation beseitigt die stochastischen Elemente und
                                                       Einstellungen der Gesellschaft widerspiegeln und
entzieht der Auswahlsituation die Risikoeinstellung
                                                       als solche ein Instrument einer effizienten Politikge-
oder andere Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen.
                                                       staltung sind.
Eine Kosten-Nutzen-Analyse sollte sich mit der
                                                       Andere Kritikpunkte sind jedoch zutreffend. So wird
Ex-ante-Zahlungsbereitschaft für eine Verminde-
                                                       argumentiert, dass viele Zahlungsbereitschaftsstu-
rung der Todeswahrscheinlichkeit infolge eines
                                                       dien auf Befragungsdaten beruhen, die von der Ge-
Verkehrsunfalls für eine vorgegebene Bevölke-
                                                       staltung und der Durchführung der Befragung ab-
rungsgruppe befassen. Eine solche Herangehens-
                                                       hängig sind. Hinzu kommt, dass die Erfassung
weise ist konsistent mit den Bedingungen von Ver-
                                                       komplizierter immaterieller Konzepte – wie der
kehrssicherheitsprojekten, deren Umsetzung vor
                                                       Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall verletzt zu
dem Auftreten eines Vorfalles beschlossen werden
                                                       werden oder sich eine chronische Krankheit zuzu-
muss.
                                                       ziehen, sowie ihrer Folgen und Kollateralschäden –
Die Untersuchung der Ex-ante-Zahlungsbereit-           durch eine hypothetische Befragung oder durch die
schaft ermöglicht die gleichzeitige Erfassung aller    Modellierung eines hypothetischen Marktes kompli-
Komponenten, die die Individuen dem Wert des Le-       ziert ist. Dies kann zu Fehleinschätzungen seitens
bens zuordnen, wie beispielweise die Erhöhung          der Befragten führen und es können Differenzen
des Sicherheitsgefühls, die Risikoeinstellung, die     zwischen der von den Analysten modellierten und
13

Bild 1: Mittlere Zahlungsbereitschaften nach Risikobereich. Quelle: OECD (2012)

der von den Befragten artikulierten Risikoakzep-
tanz auftreten.                                                   Ermittlungsansatz     Studie                VSL*

Allerdings trifft diese Kritik nur auf die Bewertungs-            Befragungsansatz      ACTON (1973)                 38
ansätze zu, die auf Befragungen basieren, nicht je-
doch auf jene, die sich auf Marktdaten stützen (wie               Befragungsansatz      JONES-LEE (1973)        8.440
die hedonische Preisbildung). Ferner lassen sich
viele dieser Probleme durch ein sorgfältiges Design
                                                                  Befragungsansatz      LANDEFELD (1979)        1.200
der Befragungen sowie durch die kombinierte An-
wendung von Revealed-Preferences (RP – offen-                     RP-Ansatz
                                                                                        DILLINGHAM (1979)        277
barte Präferenzen) und Stated-Preferences (SP –                   Arbeitsmarkt
angegebene Präferenzen) verringern (ORTÚZAR                       RP-Ansatz             THALER und ROSEN
und WILLUMSEN, 2011).                                             Arbeitsmarkt          (1975)
                                                                                                                 364

Ein anderer Kritikpunkt gegenüber den befragungs-                 RP-Ansatz
                                                                                        VISCUSI (1978)          1.650
                                                                  Arbeitsmarkt
basierten Methoden besteht darin, dass die Erhe-
bungen nicht die Marktpreise in Betracht ziehen.                  RP-Ansatz
                                                                                        SMITH (1976)            2.045
Auf diese Weise entsprechen die Preise der Alter-                 Arbeitsmarkt

nativen, die den Befragten präsentiert werden, nicht              RP-Ansatz
                                                                                        OLSON (1981)            5.935
den realen Preisen, zu denen ein Anbieter diese                   Arbeitsmarkt
Leistungen offerieren würde. Diese Kritik ist aber                RP-Ansatz
                                                                                        DARDIS (1980)            101
unbegründet, da die Erhebung lediglich bezweckt,                  Konsumtätigkeit
die Nachfragefunktion (oder mit derselben verbun-                 RP-Ansatz
dene Elemente) nach einem bestimmten Gut zu be-                   Konsumtätigkeit
                                                                                        GHOSH et al. (1975)      260

stimmen. Aus diesem Grunde spielen die Leis-
                                                                  RP-Ansatz
tungspreise oder andere Aspekte, die sich auf die                 Konsumtätigkeit
                                                                                        BLOMQUIST (1979)         342
Angebotsfunktion beziehen, hier keine Rolle.
                                                                  RP-Ansatz
                                                                                        PORTNEY (1981)           355
Schließlich wird kritisiert, dass verschiedene Stu-               Konsumtätigkeit

dien oder Erhebungen drastisch unterschiedliche                   * Tausend US-Dollar zu Preisen von 1977
Ergebnisse aufweisen, weshalb sie kaum in der                     Quelle: LANDEFELD und SESKIN (1982)
praktischen Politikgestaltung verwendbar waren
                                                                 Tab. 2: Schätzungen des VSL
(vgl. hierzu Tabelle 2 auf Basis von LANDEFELD
und SESKIN (1982)).
                                                                 Die Befragungsmethoden, die Darstellung der
Allerdings hat die Methodik im Laufe der letzten                 Alternativen und die Interpretation der Ergebnisse
drei Jahrzehnte wesentliche Fortschritte gemacht.                sind erheblich verbessert worden; die Entwicklung
14

Bild 2: Kumulierte Anzahl an Studien zur Bewertung des Lebens (Zahlungsbereitschaft) nach Befragungsform. Quelle: OECD
        (2012)

der Rechentechnik und der Fachkenntnisse führten            3.2.1 Methoden der Stated-Preferences im
zu einer steigenden Qualität der Ergebnisse. Unter                deutschen Sprachraum
den Befragungsformen ist das persönliche Inter-
                                                            Im englischen Sprachraum fanden die Methoden
view (face to face) vorherrschend, aber die vom
                                                            der Stated-Preferences im Verkehrsbereich in den
Probanden mit dem Computer selbst bearbeitete
                                                            70er Jahren mit Studien zur Verkehrsmittelwahl An-
Befragung und die Internet-basierte Anwendung
                                                            wendung. In den 80er Jahren wurden SP-Metho-
werden immer häufiger eingesetzt. Zudem ist die
                                                            den auch für Value-of-Time-Studien und schließlich
Anzahl an Studien deutlich gestiegen (Bild 2), so-
                                                            für zahlreiche weitere Fragestellungen eingesetzt.
dass inzwischen Metastudien zur Plausibilisierung
                                                            Erste SP-Anwendungen wurden in Deutschland zu
der Ergebnisse möglich geworden sind. So zeigt
                                                            Beginn der 80er Jahre durchgeführt; aber erst im
die vielzitierte Metaanalyse von MILLER (2000)
                                                            Jahr 1996 legte die FGSV im Rahmen ihrer Bereit-
eine wesentliche Erhöhung der Konvergenz der Er-
                                                            stellung technischer Regelwerke für die Fachöffent-
gebnisse. Dieser Befund wird auch durch eine Me-
                                                            lichkeit Hinweise zum Einsatz von SP-Methoden
tastudie der OECD (2012) bestätigt.
                                                            vor. Bis dahin ließen sich über 30 SP-Studien im
                                                            deutschen Sprachraum nachweisen, die in der
Im Folgenden werden die wichtigsten Ansätze zur
                                                            Mehrzahl die Verkehrsmittelwahl, die Tarifgestal-
Ermittlung der Zahlungsbereitschaft (sowohl mit of-
                                                            tung/Nachfrageelastizität oder die Akzeptanz von
fenbarten als auch mit angegebenen Präferenzen)
                                                            Angebotsveränderungen untersuchten (FGSV
vorgestellt und diskutiert. Dabei wird zunächst auf         1996:91).
die generelle Rolle von Stated-Preference-Metho-
den im deutschen Sprachraum eingegangen und                 In den aktuellen Empfehlungen für Verkehrserhe-
herausgearbeitet, inwieweit diese Methoden für              bungen (FGSV, 2012) werden SP-Ansätze im Kapi-
Zahlungsbereitschaftsanalysen eingesetzt werden.            tel „Erfassung von Verhaltensreaktionen in hypo-
Daran anschließend werden die wichtigsten metho-            thetischen Situationen“ behandelt. Auch in diesen
dischen Ansätze der Zahlungsbereitschaftsanalyse            Empfehlungen geht es dabei um die Erfassung der
wie die hedonische Preisbildung, die kontingente            Bedeutung von Einflussgrößen für das Verhalten
Bewertungsmethode, die Risiko-Risiko-Analyse,               der Verkehrsteilnehmer, wobei die SC-Methoden
die Standardlotteriemethode und schließlich die             gewählt werden, um eine Erweiterung des Ent-
Stated-Choice-Methoden diskutiert.                          scheidungsraumes oder eine Erhöhung der Varianz
15

von Einflussgrößen gegenüber den real beobacht-        weltbelastung oder der Kriminalität in der Nachbar-
baren Situationen (RP-Daten) zu bewirken. In bei-      schaft ausgedrückt. Auf diese Weise kann der Preis
den FGSV-Dokumenten wird der Ansatz der Ermitt-        folgendermaßen dargestellt werden (FREEMAN,
lung der impliziten Zahlungsbereitschaft mittels       2003):
SC-Experimenten (vgl. Kapitel 3.2.6) nicht behan-
delt.

In der Schweiz werden seit rund 10 Jahren SP-Be-       wobei p für den Marktpreis des Gutes steht, k ist ein
fragungen in großen Stichproben durchgeführt, um       Vektor von Attributen und f(k) stellt eine Funktion
die Verkehrsplanung mit Informationen zum Mobili-      von k dar. Der latente Preis (α) eines hedonischen
tätsverhalten zu unterstützen. Die jüngste SP-Be-      Attributes kj wird durch die folgende Gleichung er-
fragung wurde mit dem Mikrozensus 2010 koordi-         mittelt (RIZZI und ORTÚZAR, 2013):
niert, um Elastizitäten bezüglich des Zeitaufwandes
im motorisierten Individualverkehr und der varia-
blen Kosten abzuleiten. Bei diesen Befragungen
wurden Verkehrsmittel- und Routenwahlentschei-         Somit stellt dp die partielle Ableitung des Preises
dungen als Stated-Choice-Experimente abgefragt         nach einem bestimmten Attribut χj, dar, bzw. den
(FRÖHLICH und AXHAUSEN, 2012).                         Aufpreis, der einer Erhöhung einer Einheit dieses
                                                       Attributes entsprechen würde. Dieser Wert kann
Neben dem Verkehrswesen ist im öffentlichen            direkt als die aggregierte gesellschaftliche Zah-
Sektor auch im Umweltbereich eine Bewertung            lungsbereitschaft für dieses Gut interpretiert wer-
nicht marktfähiger Güter als Grundlage für Ent-        den.
scheidungen erforderlich. Daher hat die Umwelt-
ökonomie die Stated-Preference-Methode auf             Folglich kann die Zahlungsbereitschaft für ein be-
verschiedene Umweltgüter angewendet und sich           stimmtes, nicht direkt vom Markt bewertetes Gut
mit den methodischen Problemen der befragungs-         durch die Analyse der Marktpreise der Produkte,
basierten      Bewertung         auseinandergesetzt    die dieses Gut enthalten, geschätzt werden. Aller-
(MEYERHOFF et al., 2007; HOYOS, 2010).                 dings ist diese Analyse im Rahmen der Verkehrs-
Obwohl sich zahlreiche umweltökonomische               sicherheit keine einfache Aufgabe, da nur wenige
Bewertungsstudien nachweisen lassen und die            Produkte vorhanden sind, die die Sicherheit als Be-
Validität und Reliabilität der Ergebnisse unter Öko-   standteil enthalten.
nomen anerkannt sind, wird eine vergleichsweise
                                                       Die Mehrheit der hedonischen Studien fokussiert
geringe Verwendung in tatsächlichen Entschei-
                                                       auf den Arbeitsmarkt – durch den Vergleich der
dungsprozessen konstatiert (MEYERHOFF und
                                                       Aufpreise (implizite Lohnzuschläge) für gefährli-
DEHNHARDT, 2009).
                                                       chere Arbeitsstellen – oder auf die Konsumtätigkeit
                                                       – durch den Preisvergleich von verschiedenen
3.2.2 Die hedonische Preisbildung                      Sicherheitsprodukten wie Motorrad- oder Fahrrad-
                                                       helmen oder sichereren Personenkraftwagen.
Diese auf offenbarten Marktdaten basierende
Methode wurde ursprünglich entwickelt, um die          Die hedonische Preisbildung ist stark kritisiert wor-
Preise des Wohnungsmarktes zu analysieren              den. Einige der wichtigsten Kritikpunkte sind in
(LANCASTER, 1966). Auch gegenwärtig finden             LANDEFELD und SESKIN (1982) zusammenge-
sich die meisten Anwendungen dieses Ansatzes im        fasst.
Bereich Wohnungsmarkt.
                                                       Vor allem wird bestritten, dass Gehaltsaufschläge
Der hedonische Ansatz analysiert den Marktpreis        angesichts der Charakteristika der Arbeiter, die
eines Gutes als eine Funktion (normalerweise eine      hoch riskante Jobs annehmen, genau einer Risiko-
Summe) der latenten (d. h. nicht beobachtbaren)        erhöhung am Arbeitsplatz entsprechen können.
Preise der verschiedenen Attribute beziehungswei-      Normalerweise geht es hier um junge und unerfah-
se Eigenschaften, die den Charakter des Gutes          rene Arbeiter, die sich der Risiken, denen sie aus-
ausmachen (RIZZI und ORTÚZAR, 2013). So wird           gesetzt sind, nicht vollständig bewusst sind. Außer-
zum Beispiel der Preis eines Hauses als eine Funk-     dem verfügen diese Arbeitskräfte aufgrund ihrer
tion seiner hedonischen Eigenschaften wie der          mangelnden Erfahrung über wenig Verhandlungs-
Größe, der Anzahl an Räumen, der Lage, der Um-         macht.
16

Zudem muss eine mögliche Selektionsverzerrung          (VISCUSI, 1993; VISCUSI und ALDY, 2003) und
betrachtet werden. Gewöhnlich weisen die Arbeit-       wichtige Behörden wie die US-Environmental Pro-
nehmer, die solche Arbeiten annehmen, eine unter-      tection Agency (Bundeseinrichtung zum Schutz der
schiedliche Risikoeinstellung im Vergleich zum         Umwelt der USA – EPA) nutzen ihn zur Politikge-
Rest der Bevölkerung auf. Von daher kann nicht be-     staltung.
hauptet werden, dass ihre Bewertung des Lebens
repräsentativ für die ganze Bevölkerung sei. Diese     Eine Metastudie der EPA (2010) untersuchte 21
Einschränkung trifft nicht nur auf den Arbeitsmarkt    Analysen, die auf dem Ansatz der hedonischen
zu. Ähnliche Abwägungen sind relevant, wenn es         Preisbildung für den Arbeitsmarkt basieren, sowie 5
sich um Personen handelt, die Sicherheitsprodukte      Studien, die die kontingente Bewertungsmethode
erwerben, wie Motor- oder Fahrradfahrer oder Pkw-      anwenden. Diese Metastudie legte den von der
Fahrer, die schnellere Autos fahren.                   EPA als maßgeblich erachteten VSL zur Begutach-
                                                       tung von Maßnahmen im Rahmen des Clean Air
Ferner ist zu berücksichtigen, dass mit diesem An-     Act (Bundesimmissionsschutzgesetz) fest. Die Er-
satz die Identifizierbarkeit von verschiedenen         gebnisse der in der Metastudie berücksichtigten
Risiken begrenzt ist. So ist es kompliziert (wenn      Studien sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
nicht unmöglich), zwischen verschiedenen Gefah-
ren wie dem Risiko eines Todesfalles oder der Ge-      In Deutschland wurde die erste Untersuchung zum
                                                       VSL basierend auf hedonischen Lohnregressionen
fahr einer (schweren) Verletzung zu unterscheiden.
PORTNEY (1981) belegt, dass auch andere Fakto-
ren (die nicht risikobezogen sind) den Preis des un-   Studie                                           VSL*
tersuchten Gutes beeinflussen können, beispiels-       KNIESNER und LEETH (1991 – USA)                    850
weise die Erhöhung des Mortalitätsrisikos durch
                                                       SMITH und GILBERT (1984)                           970
Luftverschmutzung und andere Probleme, die
diese Verunreinigung verursacht (z. B. Schäden         DILLINGHAM (1985a)                                1.340
durch sauren Regen, verminderte Sicht wegen            BUTLER (1983)                                     1.580
Smogs usw.).
                                                       MOORE und VISCUSI (1988a)                         3.640
Schließlich ist zu erwähnen, dass die Anwendungs-      MARIN und PSACHAROPOULOS (1982)                   4.130
bereiche des Ansatzes limitiert sind. Abgesehen
von den schon beschriebenen Problemen ermög-           KNIESNER und LEETH (1991– Australien)             4.860

licht dieser Ansatz nur die Quantifizierung des Wer-   COUSINEAU et al. (1988)                           5.340
tes des Lebens in wenigen Kontexten, wie dem Ar-       DILLINGHAM (1985)                                 5.710
beitsmarkt oder dem Konsum von spezifischen Pro-
dukten. Da die Zahlungsbereitschaft vom Risikobe-      VISCUSI (1978)                                    6.070

reich und von der Risikosituation abhängig ist, sind   SMITH (1976)                                      6.800
die Befunde schwer auf andere Bereiche und Si-         SMITH (1983)                                      6.920
tuationen zu übertragen. Vielmehr sind diese Er-
gebnisse nur für die spezifische Bevölkerungsgrup-     Olson (1981)                                      7.650

pe, mit der gearbeitet wurde (Selektionsverzer-        VISCUSI (1981)                                    9.600
rung), und für die Umstände, unter denen die Stu-
                                                       SMITH (1974)                                    10.570
die durchgeführt wurde, gültig. In diesem Rahmen
scheint die Verwendung der Befunde adäquat zu          MOORE und VISCUSI (1988b)                       10.690

sein, solange Maßnahmen begutachtet werden, die        KNIESNER und LEETH (1991 – Japan)                11.180
sich in direktem Zusammenhang mit dem Studien-
                                                       HERZOG und SCHLOTTMAN (1987)                    13.360
objekt oder der Studiensituation befinden (zum Bei-
spiel die Bewertung von Sicherheitsprojekten in der    LEIGH und FOLSOM (1984)                         14.210

Bauindustrie). Jedoch sollte die Anwendung in          LEIGH (1987)                                    15.310
komplexen Bereichen wie der Verkehrssicherheit
                                                       GAREN (1988)                                    19.800
kritisch geprüft und gegebenenfalls äußerst sorgfäl-
                                                       * Tausend US-Dollars zu Preisen von 2006
tig durchgeführt werden.
                                                       Quelle: EPA (2010)
Trotz dieser Probleme wird dieser Ansatz in der        Tab. 3: Von der EPA zur Ermittlung des VSL analysierte Zah-
Fachliteratur zur Ermittlung des VSL angewendet                lungsbereitschafts-Studien
17

im Jahre 2004 publiziert (SPENGLER, 2004). Die        doch der Ansicht, dass die Verbesserung der Be-
Studie zieht Arbeitsmarktdaten und Arbeitsunfallin-   fragungstechnik wesentliche Bedenken gegenüber
formationen heran und kommt mittels Panelschät-       der Methodik nicht ausräumen kann, die darin be-
zungen (Zeitreihe der Daten von 1985 bis 1995) zu     stehen, dass die kontingente Bewertungsmethode
einem durchschnittlichen VSL von 1,65 Mill. Euro.     nicht die Präferenzen der Individuen misst (HAUS-
Das Ergebnis liegt damit deutlich unter entspre-      MAN, 1993; ORTÚZAR und WILLUMSEN, 2011).
chenden Ergebnissen von US-Studien, die fast
ausnahmslos auf Querschnittsdaten beruhen.            Darüber hinaus werden weitere Aspekte kritisiert.
SPENGLER begründet diese Diskrepanz dahinge-          So ermitteln JONES-LEE (1985) und BEATTIE
hend, dass die Nichtberücksichtigung unbeobach-       et al. (1998) beispielsweise eine ähnliche Zah-
teter Heterogenität die VSL-Schätzungen in den        lungsbereitschaft für die Vermeidung von tödlichen
US-Studien nach oben verzerrt (SPENGLER,              und nicht tödlichen Unfällen. Diese Befunde wider-
2004:303).                                            sprechen sowohl der Mehrzahl der Forschungser-
                                                      gebnisse als auch den logischen Erwartungen. Die
                                                      Autoren schreiben diesen Befund einem unerwarte-
3.2.3 Die kontingente Bewertungsmethode               ten Verhalten der Bevölkerung zu, während andere
                                                      Autoren (GreenLabUC, 2012) von einer mangelhaf-
Diese Methode bezweckt die direkte Ermittlung der
                                                      ten Vermittlung der Konzepte an die Probanden
Zahlungsbereitschaft durch die Gestaltung eines
                                                      während der Befragung sprechen. Zusätzlich wei-
hypothetischen Marktes, in welchem die Befragten
                                                      sen die Ergebnisse eine mangelnde Konsistenz
ein nicht vom Markt bewertetes Gut erwerben kön-
                                                      auf. So wurde festgestellt, dass die Bevölkerung
nen (MITCHELL und CARSON, 1989).
                                                      bereit ist, für eine Erhöhung der Sicherheit zu be-
Dazu werden den Probanden Fragen wie z. B. die        zahlen, die ermittelte Zahlungsbereitschaft stand
Folgende gestellt (GreenLabUC, 2012):                 aber nicht in direktem Zusammenhang mit der Grö-
                                                      ßenordnung der Risikoreduktion (Skaleneffekt),
„Wie hoch ist Ihre Zahlungsbereitschaft für eine      was der komplizierten Interpretation der Wahr-
Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines tödli-      scheinlichkeiten und ihrer geringen Größe zuge-
chen Verkehrsunfalls auf der Autobahn in der          schrieben werden kann (O’BRIEN et al., 1998).
Größe von 1 in 50.000?“
                                                      BEATIE et al. (1998) konnten über verschiedene
Dieser Ansatz bietet eine außerordentliche Flexibi-   Studien die Existenz von starken Einbettungseffek-
lität, die zugunsten der Evaluation von komplizier-   ten nachweisen, d. h., eine unterschiedliche Be-
ten Situationen eingesetzt werden kann. Zugleich      wertung eines Gutes ist abhängig davon, ob dieses
ermöglicht diese Methodik eine Bewertung der Zah-     alleine oder als Teil einer Gruppe6 dargestellt wird
lungsbereitschaft für praktisch jedes nicht vom       (Einbettungseffekte nach McFADDEN (1994)). Ein-
Markt bewertete Gut.                                  bettungseffekte können bei der kontingenten Be-
Ein Problem der Methode ist die direkte Fragestel-    wertung in der Analyse der Daten nicht erkannt
lung und die Interpretation des Nutzens als eine      werden. Ebenfalls belegten BEATIE et al. Sequenz-
kleine Wahrscheinlichkeit (insbesondere im Falle      effekte – die unterschiedliche Bewertung eines
von Befragten ohne Kenntnisse in der Wahrschein-      Gutes in Abhängigkeit von der Reihenfolge, in der
lichkeitsrechnung). Üblicherweise geht es bei die-    das Gut den Befragten vorgestellt wird (Sequenz-
ser Methode um die Beschaffung eines abstrakten       effekte nach CARSON et al. (1998)). Diese Effekte
Gutes (und nicht um die Abschaffung desselben),       stehen im Zusammenhang mit dem vorher erwähn-
da diese Fragenstellung dem normalen Konsum-          ten Skaleneffekt.
prozess eines Haushaltes ähnelt (ORTÚZAR und          Ein anderer Kritikpunkt gegenüber dem Ansatz ist,
WILLUMSEN, 2011). Dies kann auch Probleme mit         dass wesentliche Attribute der Entscheidung igno-
der unterschiedlichen Bewertung der Willingnes-       riert werden, wie z. B. die Fahrtdauer, die im Falle
to-Pay und der Willingness-to-Accept verursachen.     einer Verkehrssicherheitsstudie bedeutsam ist
Die Befragungstechnik hat sich seit den ersten
Versuchen mit der steigenden Anzahl von Studien
wesentlich verbessert (JONES-LEE et al., 1993;        6 Eine Gruppe besteht aus den präsentierten Alternativen mit
SCHWAB-CHRISTE und SOGUEL, 1995;                        ihren Attributen, wobei sich die Alternativen durch die per-
ORTÚZAR et al., 2000). Manche Autoren sind je-          mutierten Ausprägungen der Attribute unterscheiden.
18

(RIZZI und ORTÚZAR, 2006b). Dies wäre un-                        lungsbereitschaft absichtlich unterschätzen, um
problematisch, wenn zwischen den nicht berück-                   z. B. zu vermeiden, dass sie künftig mit höheren
sichtigten und den in Betracht gezogenen Attributen              Steuern belastet werden. Aufgrund der Durch-
keine Korrelation vorliegt, was aber üblicherweise               schaubarkeit des Experimentes müssten die Ant-
nicht der Fall ist.                                              worten eher in einem spieltheoretischen Rahmen
                                                                 analysiert werden, wofür aber das Experiment nicht
Die Methodik wurde auch von Verhaltenspsycholo-
                                                                 ausgelegt ist. Zusätzlich ist die Gefahr einer Ver-
gen (FISCHHOFF, 1997) und Ökonomen kritisiert
                                                                 zerrung durch die Interviewer vorhanden, sofern die
(DIAMOND und HAUSMAN, 1994), da die Frage-
                                                                 Befragung persönlich durchgeführt wird. Grund-
stellungen nicht den Auswahlszenarien des wirkli-
                                                                 sätzlich besteht die Gefahr solcher Verzerrungen
chen Lebens entsprechen.
                                                                 bei jeder befragungsbasierten Methode, sie kann
Schließlich ist zu erwähnen, dass dieser Ansatz we-              aber durch indirekte Fragestellungen deutlich redu-
sentlich unter der strategischen Verzerrung durch                ziert werden.
das Antwortverhalten der Probanden leidet. Da die
Befragungsmethode direkt ist und Rückschlüsse                    Dennoch stellen die kontingente Bewertungsme-
auf das Ziel der Untersuchung zulässt, bestehen                  thode und ihre Varianten die bislang am häufigsten
Anreize zu unrealistischem Antwortverhalten. Hier-               verwendete Vorgehensweise zur Ermittlung der
bei unterscheidet man zwei Hauptlinien: zum einen                Zahlungsbereitschaft dar (de BLAEIJ et al., 2003;
die Befragten, die eher ihre Zahlungsbereitschaft                OECD, 2012). De BLAEIJ et al. (2003) führten eine
überhöht angeben, um Infrastrukturprojekte, von                  Metanalyse zur Ermittlungen des VSL durch, bei
denen man profitieren kann, zustande kommen zu                   der die meisten Studien auf der kontingenten Be-
lassen. Zum anderen gibt es Befragte, die ihre Zah-              wertung basierten (Tabelle 4).

                                                                                             VSL*
                                                                  Jahr der
Studie                                        Land                                 Punkt-
                                                                 Erhebung                      Konfidenzintervall
                                                                                 schätzung

SCHWAB-CHRISTE und SOGUEL (1995)              Schweiz              1994                       816              981

SCHWAB-CHRISTE (1995)                         Schweiz              1995             906

KIDHOLM (1995)                                Dänemark             1993                       745            1.110

MORRALL (1986)                                USA                  1984                       143            1.864

DESAIGUES und RABL (1995)                     Frankreich           1994                       882            2.051

PERSSON et al. (2001)                         Schweden             1998           2.307

LANOIE et al. (1995)                          Kanada               1986                      1.739            3.111

MAIER et al. (1989)                           Australien           1989                      1.557           4.297

CORSO et al. (2000)                           USA                  1999                      2.336           5.548

JARA-DIAZ et al. (2000)                       Chile                1999           4.348

PERSSON et al. (1995)                         Schweden             1993                      4.262           4.866

CARTHY et al. (1999)                          UK                   1997                      4.031           5.246

JONES-LEE et al. (1983)                       UK                   1982                       594           10.149

JOHANNESSON et al. (1996)                     Schweiz              1995                      5.242           6.312

BEATTIE et al. (1998)                         UK                   1996                      1.344          15.187

VISCUSI et al. (1991)                         USA                  1991           9.116

PERSSON und CEDERVALL (1991)                  Schweden             1987                      1.224          25.949

McDANIELS (1992)                              USA                  1986                      8.327          29.933

* Tausend US-Dollars zu Preisen von 1997
Quelle: de BLAEIJ et al. (2003)

Tab. 4: Von de BLAEIJ et al. (2003) analysierte Studien zur Ermittlung des VSL
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