Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit - Vorstudie - Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen
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Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit – Vorstudie Heft M 242 Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 242 ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-95606-057-1
Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit – Vorstudie von Francisco Bahamonde-Birke Heike Link Uwe Kunert Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 242
Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs- ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe besteht aus folgenden Unterreihen: A - Allgemeines B - Brücken- und Ingenieurbau F - Fahrzeugtechnik M - Mensch und Sicherheit S - Straßenbau V - Verkehrstechnik Es wird darauf hingewiesen, dass die unter dem Namen der Verfasser veröffentlichten Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des Herausgebers wiedergeben. Nachdruck und photomechanische Wieder- gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi- gung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen können direkt bei der Carl Schünemann Verlag GmbH, Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen, Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden. Über die Forschungsergebnisse und ihre Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im Informationsdienst Forschung kompakt berichtet. Dieser Dienst wird kostenlos angeboten; Interessenten wenden sich bitte an die Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Ab dem Jahrgang 2003 stehen die Berichte der BASt zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen BASt-Archiv ELBA zur Verfügung. http://bast.opus.hbz-nrw.de/benutzungbenutzung.php?la=de Impressum Bericht zum Forschungsprojekt FE 82.0547/2012: Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit – Vorstudie Fachbetreuung Susanne Schönebeck Herausgeber Bundesanstalt für Straßenwesen Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach Telefon: (0 22 04) 43 - 0 Telefax: (0 22 04) 43 - 674 Redaktion Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Druck und Verlag Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53 Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48 www.schuenemann-verlag.de ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-95606-057-1 Bergisch Gladbach, Dezember 2013 Impressum M 242.indd 1 21.11.13 08:49
3 Kurzfassung – Abstract Zahlungsbereitschaft für Verkehrssicherheit – Willingnesstopay for road safety – Vorstudie preparatory study Die Bewertung von Projekten im Rahmen von Kos The evaluation of road safety projects following a tenNutzenAnalysen erfordert quantitative InputIn costbenefit approach requires the valuation of road formationen zu den Kosten von Verkehrsunfällen. accidents as a fundamental input. According to the In der deutschen Bewertungspraxis werden bislang current German evaluation methodology only the ausschließlich die mittel und unmittelbar anfallen direct and indirect economic costs of road accidents den monetären Folgen von Verkehrsunfällen quan are taken into account, while the intangible titativ berücksichtigt, während die immateriellen consequences such as pain, sorrow, loss of quality Folgen wie Schmerz, Leid, Verlust an Lebensquali of life and the willingnesstopay of the population tät bzw. die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung to reduce/avoid these consequences are not zur Verringerung/Vermeidung dieser Folgen unbe considered. rücksichtigt bleiben. This study summarizes the stateoftheart for Die hier vorgelegte Vorstudie fasst den heutigen assessing the willingnesstopay (WTP) in a traffic Stand der Forschung zur Quantifizierung von Zah safety context and it presents a comprehensive and lungsbereitschaften für die Verkehrssicherheit systematic overview of the scientific literature. The durch eine umfassende und systematische Über most popular approaches for assessing the WTP sicht der wissenschaftlichen Literatur zusammen. (i.e. the hedonic pricing, the contingent valuation, Die fünf Verfahren hedonische Preisbildung, kon the riskriskanalysis, the standard gamble method tingente Bewertungsmethode, RisikoRisikoAnaly and statedchoiceapproach) are analyzed se, Standardlotteriemethode und StatedChoice regarding their theoretical foundations, the current (SC) werden hinsichtlich ihrer theoretischen Fun stateofthepraxis and the empirical evidence. dierung, der verwendeten methodischen Ansätze (Art der Befragung, Modellierung etc.) und der An Among the analyzed alternatives, the SCapproach wendungserfahrungen untersucht. represents the current stateoftheart for determining people’s WTP for nonmarket goods. Unter den verfügbaren Verfahren stellen die Nevertheless, most empirical evidence relying on SCMethoden den heutigen StateoftheArt in der this method is related to the valuation of the travel Forschung zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft time (VOT) and to the value of reliability (VOR). It der Bevölkerung für nicht marktfähige Güter dar. must be stated, that during the last years a gap Allerdings liegen die meisten Anwendungserfahrun between the stateoftheart (SCmethods) and the gen mit SCAnsätzen bislang für die Bewertung der stateofthepraxis (other methods) has arisen, Reisezeit und der Zuverlässigkeit vor. Zusammen which should be filled with empirical evidence. fassend ist festzustellen, dass im Laufe der letzten Particularly in Germany there is a significant need Jahre eine Lücke zwischen dem Stand der For for research. This work provides recommendations schung (SCMethoden) und dem Stand der Praxis for further investigation on this subject. (andere Methoden) entstanden ist, die mit Anwen dungserfahrungen gefüllt werden sollte. Insbeson dere für Deutschland liegt ein wesentlicher For schungsbedarf vor. Basierend auf diesem Überblick werden daher Vorschläge für die weitere Forschung entwickelt.
5 Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Die Komponenten der Unfall- kosten und die Bewertung des menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . 7 3 Ansätze zur Schätzung von Unfallkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3.1 Schadenskostenansätze. . . . . . . . . . . . 9 3.1.1 Der Humankapitalansatz . . . . . . . . . . . 9 3.1.2 Die Berechnung der Repro- duktions- und Ressourcenausfall- kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.2 Die Zahlungsbereitschaftsanalyse . . . . 11 3.2.1 Methoden der Stated-Preferences im deutschen Sprachraum . . . . . . . . . . 14 3.2.2 Die hedonische Preisbildung . . . . . . . . 15 3.2.3 Die kontingente Bewertungs- methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3.2.4 Die Risiko-Risiko-Analyse . . . . . . . . . . 19 3.2.5 Die Standardlotteriemethode . . . . . . . . 19 3.2.6 Die Stated-Choice-Methode . . . . . . . . . 20 4 Diskussion und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . 23 5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
7 1 Einleitung Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel des hier vorgelegten Berichts, die verschiedenen Ansätze zur Vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Bedürf- Ermittlung der Unfallkosten darzustellen und im Hin- nisses nach Mobilität von Personen und Gütern und blick auf ihre Vor- und Nachteile zu diskutieren. Der der Anforderungen zur nachhaltigen Gestaltung des Schwerpunkt liegt dabei auf den Zahlungsbereit- Verkehrssystems ist die möglichst adäquate Ermitt- schaftsansätzen, die bislang in Deutschland bezüg- lung der damit verbundenen Kosten und Nutzen eine lich der Verkehrssicherheit nicht angewendet wer- wichtige Aufgabe. Dies gilt neben den Infrastruktur- den. kosten, den Staukosten und den Kosten der Luftver- schmutzung, des Verkehrslärms und des Klimawan- dels auch für den Bereich der durch Verkehrsunfälle 2 Die Komponenten der Unfall- verursachten Kosten bzw. den Nutzen von Projekten kosten und die Bewertung des menschlichen Lebens zur Verringerung der Unfallrisiken. Der theoretisch- konzeptionell fundierten und empirisch soliden Er- mittlung der Kosten von Verkehrsunfällen kommt so- Die Kosten von Verkehrsunfällen1 lassen sich kon- wohl im Bereich der Preispolitik bei der Quantifizie- zeptionell in drei Komponenten unterteilen (vgl. rung der externen Kosten als auch im Bereich der hierzu HEATCO, 2005): Kosten-Nutzen-Analyse von Investitionsprojekten z. B. im Rahmen der BVWP eine wichtige Rolle zu. 1. Direkte ökonomische Kosten. Sie entsprechen den infolge eines Verkehrsunfalls unmittelbar In der deutschen Bewertungspraxis werden bislang anfallenden Ausgaben (Kosten der medizini- ausschließlich die mittel- und unmittelbar anfallen- schen Behandlung, Kosten von Rehabilitations- den monetären Folgen von Verkehrsunfällen quan- maßnahmen, Verwaltungs-, Polizei- und Recht- titativ berücksichtigt, während die immateriellen sprechungskosten, Bestattungskosten etc.). Folgen wie Schmerz, Leid, Verlust an Lebensquali- tät bzw. die Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung 2. Indirekte ökonomische Kosten. Sie entsprechen zur Verringerung/Vermeidung dieser Folgen unbe- den Verlusten, die die Volkswirtschaft durch den rücksichtigt bleiben. Damit stellt sich zum einen die Produktionsausfall des Unfallopfers erleidet. Frage, ob die derzeit angewendeten Unfallkosten- 3. Immaterielle Verluste wie Leid, Schmerz, Verlust sätze eine adäquate Bewertung von Projektalter- an Lebensqualität etc. nativen gewährleisten. Zum anderen ordnet sich die Berücksichtigung immaterieller Unfallfolgen und Während die beiden erstgenannten Komponenten der Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung zur Ver- bereits angefallene bzw. prospektiv zu schätzende minderung des Unfallrisikos in die aktuelle Diskus- monetäre Größen sind, stellt sich bei der letztge- sion der alternativen Wohlstandsmessung ein, bei nannten Komponente die Frage nach ihrer Bewer- der es darum geht, neben dem monetär ausge- tung und Monetarisierung. In der deutschen ver- drückten BIP auch weitere Indikatoren wie Demo- kehrswissenschaftlichen Diskussion wurde die Mög- kratie und Freiheit, Lebenserwartung, soziale Teil- lichkeit einer monetären Bewertung menschlichen habe, Artenvielfalt etc. in die Bewertung einzube- Lebens in der Vergangenheit teilweise aus ethischen ziehen (Deutscher Bundestag, 2013). Gründen sowie aufgrund methodisch-konzeptionel- ler Probleme verneint. Folglich wurden zunächst le- diglich die Produktionsverluste bewertet (Humanka- 1 In diesem Bericht werden ausschließlich die Kosten von Ver- pitalansatz, vgl. hierzu WILLEKE et al., 1967, wei- kehrsunfällen mit Personenschäden behandelt. Die statisti- tergehend diskutiert in Kapitel 3.1.1). In Weiterent- sche Erfassung von Sachschäden wird hier nicht diskutiert. 2 Er folgt damit interessanterweise einem englischen Rechtsfall wicklung dieses Ansatzes zum Reproduktions- und des Jahres 1949 (EVANS, 2012), in dem entschieden wurde, Ressourcenausfallkosten-Ansatz wurden später dass die Größe eines Risikos und die Kosten der Gefahren- auch die direkten ökonomischen Kosten einbezogen abwehr abgewogen werden müssten. Da zu diesem Zeitpunkt (KRUPP und HUNDHAUSEN, 1984, weitergehend noch keine formelle Einschätzung der Größenordnung des Ri- sikos existierte und die einzige Beziehung zwischen Unfällen diskutiert in Kapitel 3.1.2). Schließlich berücksichtigt und Finanzmitteln die Entschädigungszahlungen an Opfer der derzeit in Deutschland verwendete Ansatz eines Unglückes und deren Angehörige waren, wurde es als neben den durch Unfälle verursachten Staukosten angemessen betrachtet, dass der Wert eines Risikos bzw. der auch einen Teil der humanitären Kosten, indem die Gefahr eines Todesfalles diesem Betrag entsprechen müsste. Dieser Betrag war eine der ersten Quantifizierungen des Wer- von den Versicherungen gezahlten Schmerzensgel- tes des Lebens. der berücksichtigt werden2 (vgl. ASSING et al.,
8 2010). Diese Ansätze, die als Schadenskostenan- Fragen als auch zu methodischen Problemen ihrer sätze bezeichnet werden, haben zum Ziel, den ob- Quantifizierung und Monetarisierung, die in engem jektiven Nutzen eines Lebens bzw. der Verminde- Zusammenhang miteinander stehen. Dies betrifft rung des Unfallrisikos für die Volkswirtschaft zu er- zum einen die Frage nach der Überlappung zwi- mitteln. Sie beschränken sich, mit Ausnahme der schen den Komponenten. Da der Value of Life Schmerzensgelder, auf die Quantifizierung der bei- durch Befragungsansätze ermittelt wird, ist zu- den ersten Komponenten der Unfallkosten. nächst unklar, inwieweit die Befragten auch Teile der direkten und indirekten ökonomischen Kosten Dieser Denkrichtung steht eine zweite Herange- in ihrer Zahlungsbereitschaft zur Verminderung des hensweise3 gegenüber, die darauf abzielt, die Unfallrisikos mit berücksichtigen, so z. B. das Be- subjektive Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung dürfnis, weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgehen für die Verminderung des Unfallrisikos zu ermitteln. zu können. Eine andere konzeptionelle Frage ist Hierzu gehören die hedonische Preisbildung die nach einer Altersdifferenzierung des VSL bzw. (ROSEN, 1974), die kontingente Bewertungs- dem Problem, welcher Wert dem Leben von Kin- methode (MITCHELL und CARSON, 1989; dern, die man hierzu nicht befragen kann, zugeord- JONES-LEE et al., 1995), die Risiko-Risiko-Analy- net werden sollte (vgl. hierzu Kapitel 4). se (VISCUSI et al., 1991; JONES-LEE et al., 1993), die Standardlotteriemethode (JONES-LEE et al., 1993) sowie die Stated-Choice-Methoden (LOUVIERE et al., 2000). Diese als Zahlungsbe- 3 Ansätze zur Schätzung von reitschaftsansatz bezeichnete Herangehensweise Unfallkosten versucht, den subjektiven Wert, den die Gesell- schaft dem Schutz eines Lebens zuordnet, zu mes- Aufgrund der Anwendung der Kosten-Nutzen-Ana- sen. Dieses Konzept ist deutlich weitgehender als lyse als quantitatives Instrumentarium für die Be- die objektive Bewertung, da es auch subjektive Ele- gutachtung von verschiedenen Handlungsalterna- mente wie den Schmerz, das Leid, die Erhöhung tiven ist die Quantifizierung des Wertes der Risiko- des Sicherheitsgefühls durch eine Sicherheitsmaß- reduktionen ein zentraler Aspekt der Verkehrssi- nahme und andere externe Effekte, d. h. die dritte cherheitsforschung. Komponente der Unfallkosten, berücksichtigt. Da es für das Gut Verkehrssicherheit oder ihre Er- Dabei geht es nicht darum, den Wert eines Men- höhung keinen Marktpreis gibt, müssen besondere schenlebens festzulegen. Vielmehr wird mit diesem Techniken angewendet werden, um z. B. in Form Konzept das Ziel verfolgt, in Marktsituationen oder in von Schadenskosten oder Zahlungsbereitschaften Befragungen die Präferenzen der Individuen hin- Werte zu ermitteln, die anstelle von Marktpreisen in sichtlich ihres Sicherheitsgefühls zu identifizieren der Kosten-Nutzen-Analyse genutzt werden kön- und entsprechend zu interpretieren. Diese Herange- nen. hensweise entspricht einer demokratischen Politik- Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Wissen- gestaltung, indem sie den Willen und die Absichten schaftler verschiedene Methoden entwickelt und der Bevölkerung widerspiegelt. Der in der Literatur verwendet, um quantitative Ergebnisse zur Bewer- verwendete Begriff des Value-of-Statistical-Life tung der Verkehrssicherheit abzuleiten. Zu den am (VSL) bezieht sich somit nicht auf ein konkretes meisten verwendeten Techniken gehören sowohl Menschenleben, sondern auf ein undefiniertes sta - Schadenskostenansätze wie der Humankapitalan- tistisches Leben, dessen Bewertung für Situationen satz (FEIN, 1958; MUSHKIN und COLLINGS, mit nicht sicher, sondern nur mit geringer Wahr- 1959) oder die Berechnung der Reproduktions- und scheinlichkeit eintretenden Ereignissen ermittelt Ressourcenausfallkosten (KRUPP und HUND - wird. HAUSEN, 1984) als auch Zahlungsbereitschaftsan- sätze wie die hedonische Preisbildung (ROSEN, Die Berücksichtigung der immateriellen Komponen- 1974), die kontingente Bewertungsmethode te der Unfallkosten führt sowohl zu konzeptionellen (MITCHELL und CARSON, 1989; JONES-LEE et al., 1995), die Risiko-Risiko-Analyse (VISCUSI et al., 1991; JONES-LEE et al., 1993), die Stan- 3 Eine dritte Herangehensweise ist der Vermeidungskostenan- dardlotteriemethode (JONES-LEE et al., 1993) satz (BAUM et al., 2010), der hier jedoch aufgrund seiner mangelnden Relevanz im Verkehrssicherheitsbereich nicht sowie die Stated-Choice-Methoden (LOUVIERE behandelt wird. et al., 2000).
9 Alle hier genannten Methoden weisen Unzulänglich- keiten auf, die zumindest bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen sind, idealerweise wobei πt+i die Wahrscheinlichkeit des Überlebens jedoch durch einen Vergleich der Ergebnisse meh- eines Individuums des Alters t bis zu einem Alter t+i rerer Methoden in ihrem Einfluss auf die Entschei- darstellt und Et+i die erwarteten Bruttoeinkommen dung für eine Handlungsoption reduziert werden desselben Individuums im Alter πt+i. r ist der Dis- sollten. So ist im Falle des Humankapitalansatzes kontsatz und T steht für das Rentenalter. Dabei be- zu berücksichtigen, dass der subjektive Wert, den zieht der Humankapitalansatz nicht die Kapitalein- ein Individuum seinem Leben beimisst, nicht dem künfte in die Berechnung ein, da das Vermögen Humankapital entspricht (BERGSTROM, 1982). (und die zugehörigen Kapitaleinkünfte) nicht durch Umgekehrt spiegeln die Reproduktions- und Res- den Tod des Inhabers betroffen wird. sourcenausfallkosten lediglich die angefallenen mo- netären Unfallkosten wider, bilden aber nicht die in- Da der Volkswirtschaft durch den Tod von Perso- dividuellen Präferenzen der Bevölkerung ab. Die nen, die nicht im Arbeitsprozess stehen oder stehen hedonische Preisbildung leidet an einem Defizit an werden (Hausfrauen, Rentner usw.), kein Produk- Anpassungsfähigkeit und die Risiko-Risiko-Analyse tionspotenzial verloren geht, ordnet der Humanka- an empirischen Problemen. Die Standardlotterieme- pitalansatz diesen Individuen einen Nullwert zu. thode ist eher mit einer Bewertung des Ex-post-Ri- sikos verbunden, die dem Wert des Ex-ante-Risikos Der Humankapitalansatz ermöglicht neben der Mo- (wie im Falle der Verkehrssicherheit) nicht unbe- netarisierung des durch einen Unfalltoten der dingt entspricht (HOJMAN et al., 2005), und die kon- Volkswirtschaft entgangenen Humankapitals auch tingente Bewertungsmethode führt aufgrund ihres die Quantifizierung der volkswirtschaftlichen Ver - direkten Charakters zu Verzerrungen. Bei Stated- luste aufgrund von Unfallverletzten. Choice-Ansätzen (SC) werden mögliche Fehlinter- Der Vorteil des Humankapitalansatzes liegt in der pretationen von Fragen durch die Befragten (ein we- Verwendung von Daten, die mit der Volkswirt- sentlicher Bestandteil dieser Methodik) kritisiert. schaftlichen Gesamtrechnung kompatibel sind. Er Im Folgenden werden die verschiedenen in For- gewährleistet damit eine objektive und transparen- schung und Bewertungspraxis am häufigsten ange- te Prozedur und ermöglicht die Replizierbarkeit der wandten Ansätze zur Ermittlung des Wertes von Daten. Allerdings sind die Ergebnisse in hohem nicht marktfähigen Gütern wie zum Beispiel der Maße vom gewählten Diskontsatz abhängig. Verkehrssicherheit diskutiert. LANDEFELD und SESKIN (1982) veranschau- lichen die Auswirkungen dieses Parameters im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse (Tabelle 1). 3.1 Schadenskostenansätze So ergibt sich bei Verwendung des niedrigsten 3.1.1 Der Humankapitalansatz Diskontsatzes von 2,5 % ein mehr als 12-mal hö- herer VSL für Kinder unter 4 Jahren als bei einem Der Humankapitalansatz (FEIN, 1958; MUSHKIN Diskontsatz von 10 %, für die jungen Erwachsenen und COLLINGS, 1959) ist der historisch älteste Schadenskostenansatz. Er basiert auf der Annah- me, dass der Wert des Lebens in direktem Zusam- VSL* bei einem Diskontsatz von ... menhang mit der Produktionsfähigkeit (dem so ge- Altersgruppe 2,5 % 6% 10 % nannten Humankapital) eines Individuums steht, die üblicherweise durch das Bruttoeinkommen, das 1 bis 4 Jahre 405.802 109.364 31.918 eine bestimmte Person im Laufe ihres Lebens ge- 20 bis 24 Jahre 515.741 285.165 170.707 nerieren kann, repräsentiert wird. Da diese Produk- 40 bis 44 Jahre 333.533 242.600 180.352 tionsleistung mit dem Tod der Person für die Volks- wirtschaft verloren geht, entspricht im Humankapi- 65 bis 69 Jahre 25.331 21.801 18.825 talansatz der Wert der Verhinderung des Unfall- * US-Dollar zu Preisen von 1977 todes dieser Person dem Barwert aller ihrer zukünf- Quelle: DOLAN et al. (1980), LANDEFELD und tigen Bruttoeinkommen. Damit lässt sich der VSL SESKIN (1982) folgendermaßen berechnen (ORTÚZAR und Tab. 1: Abhängigkeit des mit dem Humankapitalansatz ge- WILLUMSEN, 2011): schätzten VSL vom gewählten Diskontsatz
10 kann sich dieser Wert verdreifachen. Ein hoher schen, juristischen oder anderen Handlungen zu- Diskontsatz impliziert, dass der VSL von Kindern stande kommen. Diese werden direkt durch den geringer wird als der VSL der Menschen, die sich Marktpreis der verschiedenen Leistungen quantifi- schon im Arbeitsleben befinden. ziert, die im Rahmen der Behandlung des Opfers benötigt wurden. Dabei lassen sich direkte und in- Ein weiterer, grundsätzlicher Kritikpunkt ist die aus- direkte Reproduktionskosten unterscheiden. Ers- schließlich wirtschaftlich-utilitaristische Orientie- tere beziehen sich sowohl auf die medizinischen rung des Ansatzes, der damit andere, von der Be- Kosten, die direkt durch die medizinische Behand- völkerung vielleicht sogar als wichtiger empfundene lung (stationäre, ambulante und Nachbehandlung) Unfallfolgen wie zum Beispiel das Leid oder den sowie die notwendige Beförderung des Geschädig- Schmerz, nicht berücksichtigt. Diese Kritik berührt ten entstehen, als auch auf die beruflichen Rehabi- auch die aktuelle Diskussion in Forschung und litationskosten des Opfers, d. h. die Maßnahmen, Praxis um eine rein monetäre versus eine auch die die Wiedereingliederung des Geschädigten in nicht monetäre Komponenten umfassende Wohl- seinen Arbeitsplatz ermöglichen. fahrtsmessung. Problematisch ist außerdem die unterschiedliche Bewertung von Menschen auf- Die indirekten Reproduktionskosten umfassen alle grund ihrer unterschiedlichen Produktionsfähigkeit. anderen Ausgaben, die im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Ausgangssituation entste- Zudem ist auch die Einschränkung der Bewertung hen, wie zum Beispiel die juristischen Kosten und auf das Markteinkommen problematisch. die Polizeikosten. Es ist schließlich zu berücksichtigen, dass der Die Ressourcenausfallkosten ihrerseits stellen die Humankapitalansatz ausschließlich zur Bewertung Verluste der Volkswirtschaft aufgrund des Produk- des Menschenlebens, d. h. im Bereich der Ver- tionsausfalles (durch die Verletzung bzw. durch kehrssicherheit, Gesundheitswissenschaften usw., den Tod des Unfallopfers) dar. Diese Kosten wer- angewendet werden kann, während – im Gegen- den ähnlich wie beim Humankapitalansatz (vgl. Ka- satz beispielsweise zu dem in Kapitel 3.2.6 be- pitel 3.1.1) mit dem Ertragswertverfahren oder mit schriebenen Stated-Choice-Ansatz – die Bewer- dem Lost-Output-Ansatz ermittelt (PEARCE, tung anderer nicht-marktfähiger Güter (z. B. Lärm) 2006). Der Berechnungsansatz der BASt berück- nicht möglich ist. sichtigt in Anlehnung an die gesamtwirtschaftliche Berichterstattung des Sachverständigenrates zur 3.1.2 Die Berechnung der Reproduktions- und Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung Ressourcenausfallkosten nicht den Verlust an tatsächlicher Wertschöpfung, sondern legt die potenzielle Wertschöpfung (zu Dieser Ansatz stellt eine Erweiterung des Human- Marktpreisen) zugrunde. Sie basiert auf der aktuel- kapitalansatzes dar, die von KRUPP und HUND- len Cobb-Douglas-Produktionsfunktion der Deut- HAUSEN (1984) entwickelt wurde und die Basis für schen Bundesbank, wobei nur auf die Änderung die derzeit von der Bundesanstalt für Straßenwe- des Produktionspotenzials durch den Faktor Arbeit sen (BASt) verwendete Methodik bildet (ASSING zurückgegriffen wird (BAUM et al., 2010). Das et al., 2010). Die Vorgehensweise wurde von BASt-Verfahren nimmt keine Diskontierung vor, da BAUM und HÖHNSCHEID (1999) konzeptionell der Zeitpräferenz das Potenzialwachstum gegen- überarbeitet und führte zu einem Berechnungsmo- übersteht. Beide Größen dürften im Bereich von 2 dell, dessen Ergebnisse jährlich von der BASt ak- bis 3 % liegen (BAUM et al., 2010:48). In der tualisiert und veröffentlicht werden. BVWP wird ein Diskontsatz von 3 % genutzt, der Wie auch sein methodischer Vorgänger basiert die- aus einem intertemporalen volkswirtschaftlichen ser Ansatz auf den Kosten, die der Volkswirtschaft Modell unter Annahme einer optimalen Allokation im Zusammenhang mit einem Unfall entstehen. der heutigen und zukünftigen Konsummenge ab- Diese Kosten lassen sich in Reproduktionskosten geleitet wurde (vgl. hierzu KOTZ et al., 1987).4 und Ressourcenausfallkosten unterteilen. Die Reproduktionskosten umfassen die notwendi- gen Kosten zur Wiederherstellung der vor dem Ver- 4 Unter Annahme einer optimalen Allokation zwischen heuti- kehrsunfall bestehenden Situation und beinhalten gem und zukünftigem Konsum sind soziale Zeitpräferenzra- die Ausgaben, die durch den Einsatz von medizini- te und soziale Opportunitätskostenrate identisch.
11 Derzeit ist im Auftrage des BMVBS ein Gutachten 3.2 Die Zahlungsbereitschaftsanalyse zur Neuberechnung des Diskontsatzes für die BVWP in Bearbeitung. Aufgrund der in den vorigen Kapiteln diskutierten Probleme der Schadenskostenansätze wurde im Neben den bereits beschriebenen Komponenten Laufe der 70er Jahre die Zahlungsbereitschafts- berücksichtigt der Reproduktions- und Ressouren- analyse entwickelt (MISHAN, 1971). Dieser Ansatz ausfallkosten-Ansatz auch andere Kosten, so die basiert auf der Bereitschaft von Individuen, Geld für außermarktlichen Wertschöpfungsverluste, huma- eine Verbesserung der aktuellen Zustände zu zah- nitäre Kosten und die durch Unfälle verursachten len (willingness-to-pay) bzw. Geld für die Erduldung Staukosten (BAUM et al., 2010). einer Verschlechterung zu akzeptieren (willingness- to-accept). Ermittelt wird der Wert, den die Gesell- Die außermarktlichen Wertschöpfungsverluste be- schaft einem bestimmten Gut zuordnet, die gesell- ziehen sich auf die Produktion von Gütern und schaftliche Zahlungsbereitschaft. Dienstleistungen, die von der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht erfasst werden, wie zum Der VSL5 kann folgendermaßen dargestellt werden Beispiel die Haushaltsproduktion oder die Schat- (JONES-LEE, 1994; RIZZI und ORTÚZAR 2006a; tenwirtschaft. HOJMAN et al., 2005): Die humanitären Kosten sind definiert als alle an- deren Belastungen, unter denen die Unfallopfer lei- den und die nicht in den Reproduktions- bzw. den wobei WTPi für die Zahlungsbereitschaft von Indivi- Ressourcenausfallkosten enthalten sind. Im von duum i steht, N für die Größe der Bevölkerung und der BASt verwendeten Berechnungsansatz werden Cov(WTPi,|δri|) für die Kovarianz zwischen der indi- sie über die von den Versicherungen gezahlten viduellen Zahlungsbereitschaft und der Risikover- Schmerzensgelder berücksichtigt. minderung. Üblicherweise wird angenommen, dass Obwohl der Reproduktions- und Ressourcenaus- die Kovarianz zwischen dem Risiko und der Zah- fall-Ansatz den Humankapitalansatz um fehlende lungsbereitschaft null ist, was Gleichung (2) wie Komponenten ergänzt, bleiben die wesentlichen folgt vereinfacht: Kritikpunkte bestehen (vgl. Kapitel 3.1.1). Anzumer- ken ist außerdem, dass der Reproduktions- und Ressourcenausfall-Ansatz wie auch der Human- Normalerweise wird die Zahlungsbereitschaft als kapitalansatz nicht für die Bewertung anderer, die Grenzrate der Substitution zwischen zwei Gü- nicht-marktfähiger Güter angewendet werden kann. tern dargestellt. Dabei ist es üblich, eines der Güter Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in monetären Einheiten auszudrücken, um einen beide Formen des Schadenskostenansatzes nur monetären Trade-off zwischen den beiden Gütern die unmittelbar anfallenden Kosten sowie die der zu ermöglichen. Das andere Gut kann im Falle der Volkswirtschaft entstehenden Verluste aufgrund Verkehrssicherheit als eine Wahrscheinlichkeit, von Verkehrsunfällen quantifizieren, während die Opfer eines tödlichen Unfalles oder einer (schwe- Präferenzen der Bevölkerung nicht einbezogen ren) Verletzung zu werden, dargestellt werden. Da werden. Damit stellt sich die Frage, ob die Kosten- es sich um eine Grenzrate handelt, ist dieser Wert abgrenzungen der Schadenskostenansätze hinrei- nur in der Umgebung des Kalibrierungsniveaus gül- chend sind, um beispielsweise in der Kosten-Nut- tig. zen-Analyse eine adäquate Abbildung der Nutzen Zudem zeigen einige Befunde, dass die Zahlungs- von Projekten zur Verbesserung der Verkehrs- bereitschaft abhängig von der Richtung des be- sicherheit zu gewährleisten. Dies führt zur grund- sätzlichen Frage nach dem Ziel der gesellschaft- lichen Bewertung von Projekten mittels der Kosten- Nutzen-Analyse, nämlich der Frage, ob es aus- 5 Formal müsste im Falle des Zahlungsbereitschaftsansatzes schließlich um die Maximierung des Wirtschafts- vom Wert der Risikoreduktionen (VRR nach der englischen wachstums oder um die Maximierung der gesell- Abkürzung) und der Zahlungsbereitschaft für Risikoreduk- schaftlichen Wohlfahrt geht, die auch immaterielle tionen gesprochen werden (JONES-LEE, 1994; RIZZI und ORTÚZAR, 2006b), aber zugunsten der Konsistenz der Ter- Komponenten beinhaltet. minologie wird in diesem Bericht der Begriff Wert des statis- tischen Lebens (VSL) verwendet.
12 trachteten Effektes ist. Mit anderen Worten: Es wer- subjektive Betrachtung des Schmerzes und des den Unterschiede zwischen den Zahlungsbereit- Leides oder den Wert des Lebens per se. schaften für eine Besserung (willingness-to-pay) und den Zahlungsbereitschaften für die Erduldung Aus der Vielfältigkeit der Komponenten, die den einer Verschlechterung (willingness-to-accept) kon- subjektiven Wert des Lebens bilden, ergibt sich, statiert (HOROWITZ und McCONELL, 2003). Diese dass dieser auch von der jeweiligen Situation ab- hängig ist. Infolgedessen können unterschiedliche Feststellung widerspricht den Prinzipien der Risikoeinstellungen in verschiedenen Bereichen Hicks’schen Nachfrage (kompensierte Nachfrage) (wie zum Beispiel in der Verkehrssicherheit, im Um- und es gibt keine schlüssige Erklärung des Phäno- weltbereich oder im Gesundheitswesen) zu abwei- mens (ZHAO und KLING, 2001). Bei der Gestal- chenden Bewertungen des Lebens oder einer tung der Experimente zur Zahlungsbereitschaft schweren Verletzung bzw. Erkrankung führen muss dieser Effekt in Betracht gezogen werden. (VISCUSI et al., 1991; JONES-LEE und LOOMES, Offensichtlich ist die Zahlungsbereitschaft mit den 1995). subjektiven Wahrnehmungen und Einstellungen Zu den Gründen für diese abweichenden Bewer- der Individuen verbunden und als solche mit ihren tungen kann gehören, ob das Eingehen des Risikos persönlichen Präferenzen und subjektiven Werten. freiwillig ist oder nicht, ob das Individuum die Situa- Die Zahlungsbereitschaft bezieht sich direkt auf tion kontrolliert und ob andere Menschen von eine Pareto-Optimierung des eigenen Nutzens einem möglichen Versagen des Individuums betrof- (LANDEFELD und SESKIN, 1982). fen werden. Selbstverständlich bedingen auch die Der Zahlungsbereitschaftsansatz kann zur Ermitt- sozio-ökonomischen Eigenschaften der Person die lung des Preises eines jeden, nicht vom Markt be- Bewertung. Bild 1 zeigt die im Rahmen einer Meta- werteten Gutes angewendet werden. Im Falle der Studie der OECD (2012) ermittelten Unterschiede Verkehrssicherheit erfordert seine Anwendung je- der Zahlungsbereitschaften für die Bereiche Ver- doch eine sorgfältige Berücksichtigung der Rah- kehrssicherheit, Umwelt und Gesundheit. menbedingungen. So muss man hier zwischen Die je nach Anwendungsbereich unterschiedlichen einem Risiko ex ante (das Risiko vor der Expositi- Werte des VSL werden oft als Nachteil dieses An- on) und einem Risiko ex post (nach der Exposition) satzes angesehen, da Politik und Verwaltung häu- unterscheiden (PEARCE et al., 2006). Der Wert fig mit einem einzigen, für alle Bereiche gültigen des Lebens kann nicht als die Ex-post-Zahlungsbe- Wert arbeiten möchten. Zusätzlich führen die ab- reitschaft einer Person für ihr eigenes Leben ver- weichenden Bewertungen zu der Notwendigkeit, standen werden. Ebenso kann man diesen Wert diese Werte in unterschiedlichen Situationen und nicht als die Ex-post-Zahlungsbereitschaft für die für verschiedene Risiken zu analysieren. Jedoch Rettung des Lebens eines anderen Individuums lässt sich dieser Kritik entgegenhalten, dass die un- verstehen. Die Analyse einer schon aufgetretenen terschiedlichen Bewertungen die Ansichten und Situation beseitigt die stochastischen Elemente und Einstellungen der Gesellschaft widerspiegeln und entzieht der Auswahlsituation die Risikoeinstellung als solche ein Instrument einer effizienten Politikge- oder andere Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen. staltung sind. Eine Kosten-Nutzen-Analyse sollte sich mit der Andere Kritikpunkte sind jedoch zutreffend. So wird Ex-ante-Zahlungsbereitschaft für eine Verminde- argumentiert, dass viele Zahlungsbereitschaftsstu- rung der Todeswahrscheinlichkeit infolge eines dien auf Befragungsdaten beruhen, die von der Ge- Verkehrsunfalls für eine vorgegebene Bevölke- staltung und der Durchführung der Befragung ab- rungsgruppe befassen. Eine solche Herangehens- hängig sind. Hinzu kommt, dass die Erfassung weise ist konsistent mit den Bedingungen von Ver- komplizierter immaterieller Konzepte – wie der kehrssicherheitsprojekten, deren Umsetzung vor Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall verletzt zu dem Auftreten eines Vorfalles beschlossen werden werden oder sich eine chronische Krankheit zuzu- muss. ziehen, sowie ihrer Folgen und Kollateralschäden – Die Untersuchung der Ex-ante-Zahlungsbereit- durch eine hypothetische Befragung oder durch die schaft ermöglicht die gleichzeitige Erfassung aller Modellierung eines hypothetischen Marktes kompli- Komponenten, die die Individuen dem Wert des Le- ziert ist. Dies kann zu Fehleinschätzungen seitens bens zuordnen, wie beispielweise die Erhöhung der Befragten führen und es können Differenzen des Sicherheitsgefühls, die Risikoeinstellung, die zwischen der von den Analysten modellierten und
13 Bild 1: Mittlere Zahlungsbereitschaften nach Risikobereich. Quelle: OECD (2012) der von den Befragten artikulierten Risikoakzep- tanz auftreten. Ermittlungsansatz Studie VSL* Allerdings trifft diese Kritik nur auf die Bewertungs- Befragungsansatz ACTON (1973) 38 ansätze zu, die auf Befragungen basieren, nicht je- doch auf jene, die sich auf Marktdaten stützen (wie Befragungsansatz JONES-LEE (1973) 8.440 die hedonische Preisbildung). Ferner lassen sich viele dieser Probleme durch ein sorgfältiges Design Befragungsansatz LANDEFELD (1979) 1.200 der Befragungen sowie durch die kombinierte An- wendung von Revealed-Preferences (RP – offen- RP-Ansatz DILLINGHAM (1979) 277 barte Präferenzen) und Stated-Preferences (SP – Arbeitsmarkt angegebene Präferenzen) verringern (ORTÚZAR RP-Ansatz THALER und ROSEN und WILLUMSEN, 2011). Arbeitsmarkt (1975) 364 Ein anderer Kritikpunkt gegenüber den befragungs- RP-Ansatz VISCUSI (1978) 1.650 Arbeitsmarkt basierten Methoden besteht darin, dass die Erhe- bungen nicht die Marktpreise in Betracht ziehen. RP-Ansatz SMITH (1976) 2.045 Auf diese Weise entsprechen die Preise der Alter- Arbeitsmarkt nativen, die den Befragten präsentiert werden, nicht RP-Ansatz OLSON (1981) 5.935 den realen Preisen, zu denen ein Anbieter diese Arbeitsmarkt Leistungen offerieren würde. Diese Kritik ist aber RP-Ansatz DARDIS (1980) 101 unbegründet, da die Erhebung lediglich bezweckt, Konsumtätigkeit die Nachfragefunktion (oder mit derselben verbun- RP-Ansatz dene Elemente) nach einem bestimmten Gut zu be- Konsumtätigkeit GHOSH et al. (1975) 260 stimmen. Aus diesem Grunde spielen die Leis- RP-Ansatz tungspreise oder andere Aspekte, die sich auf die Konsumtätigkeit BLOMQUIST (1979) 342 Angebotsfunktion beziehen, hier keine Rolle. RP-Ansatz PORTNEY (1981) 355 Schließlich wird kritisiert, dass verschiedene Stu- Konsumtätigkeit dien oder Erhebungen drastisch unterschiedliche * Tausend US-Dollar zu Preisen von 1977 Ergebnisse aufweisen, weshalb sie kaum in der Quelle: LANDEFELD und SESKIN (1982) praktischen Politikgestaltung verwendbar waren Tab. 2: Schätzungen des VSL (vgl. hierzu Tabelle 2 auf Basis von LANDEFELD und SESKIN (1982)). Die Befragungsmethoden, die Darstellung der Allerdings hat die Methodik im Laufe der letzten Alternativen und die Interpretation der Ergebnisse drei Jahrzehnte wesentliche Fortschritte gemacht. sind erheblich verbessert worden; die Entwicklung
14 Bild 2: Kumulierte Anzahl an Studien zur Bewertung des Lebens (Zahlungsbereitschaft) nach Befragungsform. Quelle: OECD (2012) der Rechentechnik und der Fachkenntnisse führten 3.2.1 Methoden der Stated-Preferences im zu einer steigenden Qualität der Ergebnisse. Unter deutschen Sprachraum den Befragungsformen ist das persönliche Inter- Im englischen Sprachraum fanden die Methoden view (face to face) vorherrschend, aber die vom der Stated-Preferences im Verkehrsbereich in den Probanden mit dem Computer selbst bearbeitete 70er Jahren mit Studien zur Verkehrsmittelwahl An- Befragung und die Internet-basierte Anwendung wendung. In den 80er Jahren wurden SP-Metho- werden immer häufiger eingesetzt. Zudem ist die den auch für Value-of-Time-Studien und schließlich Anzahl an Studien deutlich gestiegen (Bild 2), so- für zahlreiche weitere Fragestellungen eingesetzt. dass inzwischen Metastudien zur Plausibilisierung Erste SP-Anwendungen wurden in Deutschland zu der Ergebnisse möglich geworden sind. So zeigt Beginn der 80er Jahre durchgeführt; aber erst im die vielzitierte Metaanalyse von MILLER (2000) Jahr 1996 legte die FGSV im Rahmen ihrer Bereit- eine wesentliche Erhöhung der Konvergenz der Er- stellung technischer Regelwerke für die Fachöffent- gebnisse. Dieser Befund wird auch durch eine Me- lichkeit Hinweise zum Einsatz von SP-Methoden tastudie der OECD (2012) bestätigt. vor. Bis dahin ließen sich über 30 SP-Studien im deutschen Sprachraum nachweisen, die in der Im Folgenden werden die wichtigsten Ansätze zur Mehrzahl die Verkehrsmittelwahl, die Tarifgestal- Ermittlung der Zahlungsbereitschaft (sowohl mit of- tung/Nachfrageelastizität oder die Akzeptanz von fenbarten als auch mit angegebenen Präferenzen) Angebotsveränderungen untersuchten (FGSV vorgestellt und diskutiert. Dabei wird zunächst auf 1996:91). die generelle Rolle von Stated-Preference-Metho- den im deutschen Sprachraum eingegangen und In den aktuellen Empfehlungen für Verkehrserhe- herausgearbeitet, inwieweit diese Methoden für bungen (FGSV, 2012) werden SP-Ansätze im Kapi- Zahlungsbereitschaftsanalysen eingesetzt werden. tel „Erfassung von Verhaltensreaktionen in hypo- Daran anschließend werden die wichtigsten metho- thetischen Situationen“ behandelt. Auch in diesen dischen Ansätze der Zahlungsbereitschaftsanalyse Empfehlungen geht es dabei um die Erfassung der wie die hedonische Preisbildung, die kontingente Bedeutung von Einflussgrößen für das Verhalten Bewertungsmethode, die Risiko-Risiko-Analyse, der Verkehrsteilnehmer, wobei die SC-Methoden die Standardlotteriemethode und schließlich die gewählt werden, um eine Erweiterung des Ent- Stated-Choice-Methoden diskutiert. scheidungsraumes oder eine Erhöhung der Varianz
15 von Einflussgrößen gegenüber den real beobacht- weltbelastung oder der Kriminalität in der Nachbar- baren Situationen (RP-Daten) zu bewirken. In bei- schaft ausgedrückt. Auf diese Weise kann der Preis den FGSV-Dokumenten wird der Ansatz der Ermitt- folgendermaßen dargestellt werden (FREEMAN, lung der impliziten Zahlungsbereitschaft mittels 2003): SC-Experimenten (vgl. Kapitel 3.2.6) nicht behan- delt. In der Schweiz werden seit rund 10 Jahren SP-Be- wobei p für den Marktpreis des Gutes steht, k ist ein fragungen in großen Stichproben durchgeführt, um Vektor von Attributen und f(k) stellt eine Funktion die Verkehrsplanung mit Informationen zum Mobili- von k dar. Der latente Preis (α) eines hedonischen tätsverhalten zu unterstützen. Die jüngste SP-Be- Attributes kj wird durch die folgende Gleichung er- fragung wurde mit dem Mikrozensus 2010 koordi- mittelt (RIZZI und ORTÚZAR, 2013): niert, um Elastizitäten bezüglich des Zeitaufwandes im motorisierten Individualverkehr und der varia- blen Kosten abzuleiten. Bei diesen Befragungen wurden Verkehrsmittel- und Routenwahlentschei- Somit stellt dp die partielle Ableitung des Preises dungen als Stated-Choice-Experimente abgefragt nach einem bestimmten Attribut χj, dar, bzw. den (FRÖHLICH und AXHAUSEN, 2012). Aufpreis, der einer Erhöhung einer Einheit dieses Attributes entsprechen würde. Dieser Wert kann Neben dem Verkehrswesen ist im öffentlichen direkt als die aggregierte gesellschaftliche Zah- Sektor auch im Umweltbereich eine Bewertung lungsbereitschaft für dieses Gut interpretiert wer- nicht marktfähiger Güter als Grundlage für Ent- den. scheidungen erforderlich. Daher hat die Umwelt- ökonomie die Stated-Preference-Methode auf Folglich kann die Zahlungsbereitschaft für ein be- verschiedene Umweltgüter angewendet und sich stimmtes, nicht direkt vom Markt bewertetes Gut mit den methodischen Problemen der befragungs- durch die Analyse der Marktpreise der Produkte, basierten Bewertung auseinandergesetzt die dieses Gut enthalten, geschätzt werden. Aller- (MEYERHOFF et al., 2007; HOYOS, 2010). dings ist diese Analyse im Rahmen der Verkehrs- Obwohl sich zahlreiche umweltökonomische sicherheit keine einfache Aufgabe, da nur wenige Bewertungsstudien nachweisen lassen und die Produkte vorhanden sind, die die Sicherheit als Be- Validität und Reliabilität der Ergebnisse unter Öko- standteil enthalten. nomen anerkannt sind, wird eine vergleichsweise Die Mehrheit der hedonischen Studien fokussiert geringe Verwendung in tatsächlichen Entschei- auf den Arbeitsmarkt – durch den Vergleich der dungsprozessen konstatiert (MEYERHOFF und Aufpreise (implizite Lohnzuschläge) für gefährli- DEHNHARDT, 2009). chere Arbeitsstellen – oder auf die Konsumtätigkeit – durch den Preisvergleich von verschiedenen 3.2.2 Die hedonische Preisbildung Sicherheitsprodukten wie Motorrad- oder Fahrrad- helmen oder sichereren Personenkraftwagen. Diese auf offenbarten Marktdaten basierende Methode wurde ursprünglich entwickelt, um die Die hedonische Preisbildung ist stark kritisiert wor- Preise des Wohnungsmarktes zu analysieren den. Einige der wichtigsten Kritikpunkte sind in (LANCASTER, 1966). Auch gegenwärtig finden LANDEFELD und SESKIN (1982) zusammenge- sich die meisten Anwendungen dieses Ansatzes im fasst. Bereich Wohnungsmarkt. Vor allem wird bestritten, dass Gehaltsaufschläge Der hedonische Ansatz analysiert den Marktpreis angesichts der Charakteristika der Arbeiter, die eines Gutes als eine Funktion (normalerweise eine hoch riskante Jobs annehmen, genau einer Risiko- Summe) der latenten (d. h. nicht beobachtbaren) erhöhung am Arbeitsplatz entsprechen können. Preise der verschiedenen Attribute beziehungswei- Normalerweise geht es hier um junge und unerfah- se Eigenschaften, die den Charakter des Gutes rene Arbeiter, die sich der Risiken, denen sie aus- ausmachen (RIZZI und ORTÚZAR, 2013). So wird gesetzt sind, nicht vollständig bewusst sind. Außer- zum Beispiel der Preis eines Hauses als eine Funk- dem verfügen diese Arbeitskräfte aufgrund ihrer tion seiner hedonischen Eigenschaften wie der mangelnden Erfahrung über wenig Verhandlungs- Größe, der Anzahl an Räumen, der Lage, der Um- macht.
16 Zudem muss eine mögliche Selektionsverzerrung (VISCUSI, 1993; VISCUSI und ALDY, 2003) und betrachtet werden. Gewöhnlich weisen die Arbeit- wichtige Behörden wie die US-Environmental Pro- nehmer, die solche Arbeiten annehmen, eine unter- tection Agency (Bundeseinrichtung zum Schutz der schiedliche Risikoeinstellung im Vergleich zum Umwelt der USA – EPA) nutzen ihn zur Politikge- Rest der Bevölkerung auf. Von daher kann nicht be- staltung. hauptet werden, dass ihre Bewertung des Lebens repräsentativ für die ganze Bevölkerung sei. Diese Eine Metastudie der EPA (2010) untersuchte 21 Einschränkung trifft nicht nur auf den Arbeitsmarkt Analysen, die auf dem Ansatz der hedonischen zu. Ähnliche Abwägungen sind relevant, wenn es Preisbildung für den Arbeitsmarkt basieren, sowie 5 sich um Personen handelt, die Sicherheitsprodukte Studien, die die kontingente Bewertungsmethode erwerben, wie Motor- oder Fahrradfahrer oder Pkw- anwenden. Diese Metastudie legte den von der Fahrer, die schnellere Autos fahren. EPA als maßgeblich erachteten VSL zur Begutach- tung von Maßnahmen im Rahmen des Clean Air Ferner ist zu berücksichtigen, dass mit diesem An- Act (Bundesimmissionsschutzgesetz) fest. Die Er- satz die Identifizierbarkeit von verschiedenen gebnisse der in der Metastudie berücksichtigten Risiken begrenzt ist. So ist es kompliziert (wenn Studien sind in Tabelle 3 zusammengefasst. nicht unmöglich), zwischen verschiedenen Gefah- ren wie dem Risiko eines Todesfalles oder der Ge- In Deutschland wurde die erste Untersuchung zum VSL basierend auf hedonischen Lohnregressionen fahr einer (schweren) Verletzung zu unterscheiden. PORTNEY (1981) belegt, dass auch andere Fakto- ren (die nicht risikobezogen sind) den Preis des un- Studie VSL* tersuchten Gutes beeinflussen können, beispiels- KNIESNER und LEETH (1991 – USA) 850 weise die Erhöhung des Mortalitätsrisikos durch SMITH und GILBERT (1984) 970 Luftverschmutzung und andere Probleme, die diese Verunreinigung verursacht (z. B. Schäden DILLINGHAM (1985a) 1.340 durch sauren Regen, verminderte Sicht wegen BUTLER (1983) 1.580 Smogs usw.). MOORE und VISCUSI (1988a) 3.640 Schließlich ist zu erwähnen, dass die Anwendungs- MARIN und PSACHAROPOULOS (1982) 4.130 bereiche des Ansatzes limitiert sind. Abgesehen von den schon beschriebenen Problemen ermög- KNIESNER und LEETH (1991– Australien) 4.860 licht dieser Ansatz nur die Quantifizierung des Wer- COUSINEAU et al. (1988) 5.340 tes des Lebens in wenigen Kontexten, wie dem Ar- DILLINGHAM (1985) 5.710 beitsmarkt oder dem Konsum von spezifischen Pro- dukten. Da die Zahlungsbereitschaft vom Risikobe- VISCUSI (1978) 6.070 reich und von der Risikosituation abhängig ist, sind SMITH (1976) 6.800 die Befunde schwer auf andere Bereiche und Si- SMITH (1983) 6.920 tuationen zu übertragen. Vielmehr sind diese Er- gebnisse nur für die spezifische Bevölkerungsgrup- Olson (1981) 7.650 pe, mit der gearbeitet wurde (Selektionsverzer- VISCUSI (1981) 9.600 rung), und für die Umstände, unter denen die Stu- SMITH (1974) 10.570 die durchgeführt wurde, gültig. In diesem Rahmen scheint die Verwendung der Befunde adäquat zu MOORE und VISCUSI (1988b) 10.690 sein, solange Maßnahmen begutachtet werden, die KNIESNER und LEETH (1991 – Japan) 11.180 sich in direktem Zusammenhang mit dem Studien- HERZOG und SCHLOTTMAN (1987) 13.360 objekt oder der Studiensituation befinden (zum Bei- spiel die Bewertung von Sicherheitsprojekten in der LEIGH und FOLSOM (1984) 14.210 Bauindustrie). Jedoch sollte die Anwendung in LEIGH (1987) 15.310 komplexen Bereichen wie der Verkehrssicherheit GAREN (1988) 19.800 kritisch geprüft und gegebenenfalls äußerst sorgfäl- * Tausend US-Dollars zu Preisen von 2006 tig durchgeführt werden. Quelle: EPA (2010) Trotz dieser Probleme wird dieser Ansatz in der Tab. 3: Von der EPA zur Ermittlung des VSL analysierte Zah- Fachliteratur zur Ermittlung des VSL angewendet lungsbereitschafts-Studien
17 im Jahre 2004 publiziert (SPENGLER, 2004). Die doch der Ansicht, dass die Verbesserung der Be- Studie zieht Arbeitsmarktdaten und Arbeitsunfallin- fragungstechnik wesentliche Bedenken gegenüber formationen heran und kommt mittels Panelschät- der Methodik nicht ausräumen kann, die darin be- zungen (Zeitreihe der Daten von 1985 bis 1995) zu stehen, dass die kontingente Bewertungsmethode einem durchschnittlichen VSL von 1,65 Mill. Euro. nicht die Präferenzen der Individuen misst (HAUS- Das Ergebnis liegt damit deutlich unter entspre- MAN, 1993; ORTÚZAR und WILLUMSEN, 2011). chenden Ergebnissen von US-Studien, die fast ausnahmslos auf Querschnittsdaten beruhen. Darüber hinaus werden weitere Aspekte kritisiert. SPENGLER begründet diese Diskrepanz dahinge- So ermitteln JONES-LEE (1985) und BEATTIE hend, dass die Nichtberücksichtigung unbeobach- et al. (1998) beispielsweise eine ähnliche Zah- teter Heterogenität die VSL-Schätzungen in den lungsbereitschaft für die Vermeidung von tödlichen US-Studien nach oben verzerrt (SPENGLER, und nicht tödlichen Unfällen. Diese Befunde wider- 2004:303). sprechen sowohl der Mehrzahl der Forschungser- gebnisse als auch den logischen Erwartungen. Die Autoren schreiben diesen Befund einem unerwarte- 3.2.3 Die kontingente Bewertungsmethode ten Verhalten der Bevölkerung zu, während andere Autoren (GreenLabUC, 2012) von einer mangelhaf- Diese Methode bezweckt die direkte Ermittlung der ten Vermittlung der Konzepte an die Probanden Zahlungsbereitschaft durch die Gestaltung eines während der Befragung sprechen. Zusätzlich wei- hypothetischen Marktes, in welchem die Befragten sen die Ergebnisse eine mangelnde Konsistenz ein nicht vom Markt bewertetes Gut erwerben kön- auf. So wurde festgestellt, dass die Bevölkerung nen (MITCHELL und CARSON, 1989). bereit ist, für eine Erhöhung der Sicherheit zu be- Dazu werden den Probanden Fragen wie z. B. die zahlen, die ermittelte Zahlungsbereitschaft stand Folgende gestellt (GreenLabUC, 2012): aber nicht in direktem Zusammenhang mit der Grö- ßenordnung der Risikoreduktion (Skaleneffekt), „Wie hoch ist Ihre Zahlungsbereitschaft für eine was der komplizierten Interpretation der Wahr- Verringerung der Wahrscheinlichkeit eines tödli- scheinlichkeiten und ihrer geringen Größe zuge- chen Verkehrsunfalls auf der Autobahn in der schrieben werden kann (O’BRIEN et al., 1998). Größe von 1 in 50.000?“ BEATIE et al. (1998) konnten über verschiedene Dieser Ansatz bietet eine außerordentliche Flexibi- Studien die Existenz von starken Einbettungseffek- lität, die zugunsten der Evaluation von komplizier- ten nachweisen, d. h., eine unterschiedliche Be- ten Situationen eingesetzt werden kann. Zugleich wertung eines Gutes ist abhängig davon, ob dieses ermöglicht diese Methodik eine Bewertung der Zah- alleine oder als Teil einer Gruppe6 dargestellt wird lungsbereitschaft für praktisch jedes nicht vom (Einbettungseffekte nach McFADDEN (1994)). Ein- Markt bewertete Gut. bettungseffekte können bei der kontingenten Be- Ein Problem der Methode ist die direkte Fragestel- wertung in der Analyse der Daten nicht erkannt lung und die Interpretation des Nutzens als eine werden. Ebenfalls belegten BEATIE et al. Sequenz- kleine Wahrscheinlichkeit (insbesondere im Falle effekte – die unterschiedliche Bewertung eines von Befragten ohne Kenntnisse in der Wahrschein- Gutes in Abhängigkeit von der Reihenfolge, in der lichkeitsrechnung). Üblicherweise geht es bei die- das Gut den Befragten vorgestellt wird (Sequenz- ser Methode um die Beschaffung eines abstrakten effekte nach CARSON et al. (1998)). Diese Effekte Gutes (und nicht um die Abschaffung desselben), stehen im Zusammenhang mit dem vorher erwähn- da diese Fragenstellung dem normalen Konsum- ten Skaleneffekt. prozess eines Haushaltes ähnelt (ORTÚZAR und Ein anderer Kritikpunkt gegenüber dem Ansatz ist, WILLUMSEN, 2011). Dies kann auch Probleme mit dass wesentliche Attribute der Entscheidung igno- der unterschiedlichen Bewertung der Willingnes- riert werden, wie z. B. die Fahrtdauer, die im Falle to-Pay und der Willingness-to-Accept verursachen. einer Verkehrssicherheitsstudie bedeutsam ist Die Befragungstechnik hat sich seit den ersten Versuchen mit der steigenden Anzahl von Studien wesentlich verbessert (JONES-LEE et al., 1993; 6 Eine Gruppe besteht aus den präsentierten Alternativen mit SCHWAB-CHRISTE und SOGUEL, 1995; ihren Attributen, wobei sich die Alternativen durch die per- ORTÚZAR et al., 2000). Manche Autoren sind je- mutierten Ausprägungen der Attribute unterscheiden.
18 (RIZZI und ORTÚZAR, 2006b). Dies wäre un- lungsbereitschaft absichtlich unterschätzen, um problematisch, wenn zwischen den nicht berück- z. B. zu vermeiden, dass sie künftig mit höheren sichtigten und den in Betracht gezogenen Attributen Steuern belastet werden. Aufgrund der Durch- keine Korrelation vorliegt, was aber üblicherweise schaubarkeit des Experimentes müssten die Ant- nicht der Fall ist. worten eher in einem spieltheoretischen Rahmen analysiert werden, wofür aber das Experiment nicht Die Methodik wurde auch von Verhaltenspsycholo- ausgelegt ist. Zusätzlich ist die Gefahr einer Ver- gen (FISCHHOFF, 1997) und Ökonomen kritisiert zerrung durch die Interviewer vorhanden, sofern die (DIAMOND und HAUSMAN, 1994), da die Frage- Befragung persönlich durchgeführt wird. Grund- stellungen nicht den Auswahlszenarien des wirkli- sätzlich besteht die Gefahr solcher Verzerrungen chen Lebens entsprechen. bei jeder befragungsbasierten Methode, sie kann Schließlich ist zu erwähnen, dass dieser Ansatz we- aber durch indirekte Fragestellungen deutlich redu- sentlich unter der strategischen Verzerrung durch ziert werden. das Antwortverhalten der Probanden leidet. Da die Befragungsmethode direkt ist und Rückschlüsse Dennoch stellen die kontingente Bewertungsme- auf das Ziel der Untersuchung zulässt, bestehen thode und ihre Varianten die bislang am häufigsten Anreize zu unrealistischem Antwortverhalten. Hier- verwendete Vorgehensweise zur Ermittlung der bei unterscheidet man zwei Hauptlinien: zum einen Zahlungsbereitschaft dar (de BLAEIJ et al., 2003; die Befragten, die eher ihre Zahlungsbereitschaft OECD, 2012). De BLAEIJ et al. (2003) führten eine überhöht angeben, um Infrastrukturprojekte, von Metanalyse zur Ermittlungen des VSL durch, bei denen man profitieren kann, zustande kommen zu der die meisten Studien auf der kontingenten Be- lassen. Zum anderen gibt es Befragte, die ihre Zah- wertung basierten (Tabelle 4). VSL* Jahr der Studie Land Punkt- Erhebung Konfidenzintervall schätzung SCHWAB-CHRISTE und SOGUEL (1995) Schweiz 1994 816 981 SCHWAB-CHRISTE (1995) Schweiz 1995 906 KIDHOLM (1995) Dänemark 1993 745 1.110 MORRALL (1986) USA 1984 143 1.864 DESAIGUES und RABL (1995) Frankreich 1994 882 2.051 PERSSON et al. (2001) Schweden 1998 2.307 LANOIE et al. (1995) Kanada 1986 1.739 3.111 MAIER et al. (1989) Australien 1989 1.557 4.297 CORSO et al. (2000) USA 1999 2.336 5.548 JARA-DIAZ et al. (2000) Chile 1999 4.348 PERSSON et al. (1995) Schweden 1993 4.262 4.866 CARTHY et al. (1999) UK 1997 4.031 5.246 JONES-LEE et al. (1983) UK 1982 594 10.149 JOHANNESSON et al. (1996) Schweiz 1995 5.242 6.312 BEATTIE et al. (1998) UK 1996 1.344 15.187 VISCUSI et al. (1991) USA 1991 9.116 PERSSON und CEDERVALL (1991) Schweden 1987 1.224 25.949 McDANIELS (1992) USA 1986 8.327 29.933 * Tausend US-Dollars zu Preisen von 1997 Quelle: de BLAEIJ et al. (2003) Tab. 4: Von de BLAEIJ et al. (2003) analysierte Studien zur Ermittlung des VSL
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