Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...
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Zeitschrift für Kunstgeschichte Journal of Art History Revue d’histoire de l’art Rivista di Storia dell’Arte 1.2020 Jahrgang 83
Zeitschrift I N H A LT für Kunstgeschichte Heft 1, 2020 (83. Jahrgang) 1 ABSTRACTS Begründet von Wilhelm Waetzoldt und Ernst Gall, fortgeführt von Margarete Kühn, Georg Kauffmann, Reiner Haussherr, Andreas Beyer, Alexander Markschies, Andreas Tönnesmann und Jeffrey F. Hamburger, bis Ende 2019 3 E DI TOR IA L herausgegeben von Beate Fricke, Ursula Frohne, Johannes Grave und Michael F. Zimmermann. 7 AU F S ÄT Z E Redakteur: Gerrit Walczak 7 Angelo Lo Conte: Carlo Antonio and the bottega Anschrift: Procaccini PD Dr. Gerrit Walczak Redaktion der Zeitschrift für Kunstgeschichte 33 Caroline Fowler: Translating images from India to Technische Universität Berlin Amsterdam in the eighteenth century Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Sekr. A 56 49 Tobias Kämpf: Leitbild Lebensreform. Harry Graf Straße des 17. Juni 150/152 Kessler und Karl Ernst Osthaus als Museumsgründer D-10623 Berlin E-Mail: gerrit.walczak@zfkg.de 91 Susanne König: Fritz Eisels Mosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos am Rechenzentrum in Potsdam. Eine kunsthistorische Kontextualisierung von Ort, Werk und Rezeption 117 BUCHBESPRECHUNGEN 117 Ausgekämmt: Julia Saviello, Verlockungen. Haare in der Kunst der frühen Neuzeit (Zephir, Bd. 7) Rezensiert von Ann-Sophie Lehmann 122 Joris Hoefnagel and the Kunstkammer: Thea Vignau- Wilberg, Joris and Jacob Hoefnagel. Art and Science ISSN 0044 - 2992 around 1600 Reviewed by Marisa Anne Bass Jeder Jahrgang erscheint in vier Heften. Preis des Jahrgangs € 98,–. Preis des 135 Adressen der Autorinnen und Autoren Einzelheftes € 30,– + Porto. Abbestellungen nur zum Ende eines Jahrgangs möglich. Bestellungen an den Verlag; Rezensionsexemplare an die Redaktion. Bei Zusendung von Rezensionsexemplaren bitten wir um die Anbringung des Vermerks: »Rezensionsexemplar zu wissenschaftlichen Zwecken / ZOLL- FREI«. Bei unverlangt eingesandten Rezensionsexemplaren gilt der Vorbehalt, dass eine Rezension im Ermessen der Redaktion steht. Eine Garantie, auch für die Rücksendung, wird nicht übernommen. Annual subscription rate € 98,–, payable on receipt of the first issue; subscrip- tion cancellation only possible at the end of the year. Price per single issue € 30,– + postage. Zeitschrift für Kunstgeschichte is indexed, amongst others, in IBA (Internation- al Bibliography of Art, formerly BHA), Arts and Humanities Citation Index and Current Contents/Arts & Humanities (Thomson Reuters Web of Science), SCOPUS, Cambridge Scientific Abstracts (Proquest), Periodicals Index On- line, Art Index, Art Abstracts, as well as in the European Reference Index for the Humanities (ERIH, category A). Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale) Anzeigenverantwortliche: Nicole Schwarz, Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin/München, Paul-Lincke-Ufer 34, 10999 Berlin, Tel.: +49(0)30/27 90 76-51, E-Mail: schwarz@deutscherkunstverlag.de DEU TSCHER KUNST VERL AG GmbH Berlin München www.deutscherkunstverlag.de Paul-Lincke-Ufer 34 Tel.: +49(0)30/27 90 76-0 D-10999 Berlin info@deutscherkunstverlag.de
Susanne König Fritz Eisels Mosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos am Rechenzentrum in Potsdam. Eine kunsthistorische Kontextualisierung von Ort, Werk und Rezeption In Potsdam hat sich die Öffentlichkeit gespalten Beispiel für die baugebundene Kunst der DDR in diejenigen, die den Erhalt des Rechenzen- in einer Zeit technizistischer Utopien. Der 18-tei- trums mit dem Mosaikfries Der Mensch be- lige Fries aus etwa 3 × 3 m großen Platten, der in zwingt den Kosmos (Abb. 1) des DDR-Künstlers seinem kunsthistorischen Kontext und in Bezug Fritz Eisel befürworten, und diejenigen, die auf die schwierigen historischen Gegebenheiten die Rekonstruktion der barocken Garnison- des Ortes untersucht wird, ist nicht nur unge- kirche anstreben. Die Errichtung des Turms wöhnlich groß, sondern er ist auch ein Sinnbild ist schon in vollem Gange und soll 2022 abge- der ›wissenschaftlich-technischen Revolution‹ schlossen sein. Für den Wiederaufbau des und damit der ideologischen Vereinnahmung Kirchenschiffs müsste das 1972 fertiggestellte von Technik und Wissenschaft im ostdeutschen Rechenzentrum abgerissen und für das seit 1991 Sozialismus. unter Denkmalschutz stehende Mosaik von Eisel ein neuer Standort gefunden werden. In der öffentlich geführten Auseinandersetzung I. Aus einer Kirche wird ein kollidieren jedoch nicht nur unterschiedliche Rechenzentrum kunsthistorische Interessen, denn das Areal um das Rechenzentrum ist zu einem Politikum Ein kurzer Blick in die Geschichte verrät die geworden: Rechtsextreme Vereinigungen wollen Brisanz des Ortes: Friedrich Wilhelm I. ließ die hier einen Erinnerungsort preußisch-nationaler Garnisonkirche von 1732 bis 1735 vom Archi- oder nationalsozialistischer Vergangenheit er- tekten Philipp Gerlach für seinen Hofstaat und stehen lassen, während sich die evangelische seine Garnison errichten.1 Im späten 18. Jahr- Kirche einen Ort der Versöhnung und der Er- hundert wurde der Barockbau als Grablege des innerung an die Gräueltaten der Nationalsozia- preußischen Königs und seines Sohnes Friedrich listen wünscht; weniger politisch, wenngleich des Großen genutzt. Im darauffolgenden Jahr- nicht weniger offensiv setzen sich die Vertreter hundert beherbergte die Kirche Beutefahnen des städtischen Tourismusmarketings für die und Siegestrophäen aus den Befreiungs- und Rekonstruktion eines friderizianischen Pots- Reichseinigungskriegen und entwickelte sich zu dams ein, zu dessen Gunsten erst kürzlich das einem nationalen Erinnerungsort. Im 20. Jahr- ehemalige Institut für Lehrerbildung (heute FH hundert schließlich erlangte sie besondere Gel- Potsdam) abgerissen wurde. Relevant für solche tung, als hier am 21. März 1933, dem sogenannten Entscheidungen ist sowohl die gegenwärtige Tag von Potsdam, der Reichspräsident Paul von Situation als auch die mit der Garnisonkirche Hindenburg dem neuen Reichskanzler Adolf wie mit dem Rechenzentrum verbundene Ge- Hitler die Hand reichte und so sinnbildlich das schichte. Im Fokus dieses Beitrags steht deshalb Bündnis zwischen der alten Ordnung und dem das Mosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos Nationalsozialismus besiegelte.2 Nach ihrer Zer- von Fritz Eisel, ein geradezu paradigmatisches störung im Zweiten Weltkrieg wurde die Gar- https://doi.org/10.1515/ZKG-2020-1004 91
nisonkirche dann im Jahr 1968 gesprengt und an In Potsdam zeitigte der zunächst eingeschlagene ihrem Platz das Rechenzentrum errichtet. neue Kurs eine kurze Phase des Wiederaufbaus Der Standort der beiden Gebäude ist auch in der stark zerstörten Innenstadt.4 Doch mit dem stadtplanerischer Hinsicht historisch von Be- V. Parteitag der SED vom 10. bis zum 16. Juli 1958 lang gewesen. So war die Breite Straße, die zu endete dieser Kurs. Angestrebt wurden fortan DDR-Zeiten in eine repräsentative sozialistische die »Schaffung des neuen Menschen«, festgehal- Magistrale umgebaut wurde, bereits seit 1683 die ten in den »10 Geboten für den sozialistischen Verbindungsstraße zwischen dem Stadtzentrum Menschen«, sowie der »Sieg des Sozialismus«, und dem westlichen Teil der Stadt beziehungs- der durch die Umsetzung eines Siebenjahrespla- weise zwischen dem Stadtschloss und dem nes nach sowjetischem Vorbild erreicht werden Schlosspark. Hier entstand im späten 17. und sollte. Diese Vorstellungen wurden von einer im 18. Jahrhundert neben der Garnisonkirche Wende in der Baupolitik begleitet. Während Sta- (1735) eine Reihe von repräsentativen Gebäuden lins Nachfolger Chruschtschow in der Sowjet- wie der Marstall (1685, heute Filmmuseum), union eine solche Wende bereits 1954 eingeleitet der Lange Stall (1734), das Neustädter Tor (1722 hatte, wurde sie in der DDR vor allem im Vor- und 1752), das Große Militärwaisenhaus (1778) feld und während des 33. Plenums des Zentral- und die Hiller-Brandtschen Häuser (1769). Im komitees der SED vom 16. bis zum 19. Oktober 19. Jahrhundert wurde dieses Panorama mit dem 1957 ausgearbeitet. Der Generalsekretär Walter in Gestalt einer Moschee konzipierten Dampf- Ulbricht strebte durch Wohnkomplexe in indus- maschinenhaus für Sanssouci (1843) ergänzt. trieller Bauweise den Anschluss an den indus- Die in der Nachkriegszeit und zu DDR-Zeiten trialisierten Wohnungsbau Nord- und West- durchgeführten städtebaulichen Veränderungen europas an. Die neuen Baupläne bedingten eine der Breiten Straße, die später in Wilhelm-Külz- Abrisswelle, die ihren Höhepunkt in der finalen Straße umbenannt wurde,3 lassen sich in die Zerstörung der Ruine des Potsdamer Stadt- umfangreiche Baupolitik der DDR einordnen. schlosses (1959/60) fand, das auf Transparenten 92 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
1 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos, 1969 – 1972, Mosaikfries aus 18 Platten, Platte 1 und 18 je 2,76 × 3,23 × 0,08 m, Platte 2 bis 17 je 3,00 × 3,30 × 0,08 m. Potsdam, Rechenzentrum an der Fassade als »Brutstätte des Feudalismus« wenig war die schicksalhafte Aufladung des Or- bezeichnet wurde. Auf der Fläche des zerstörten tes durch das preußisch-nationalsozialistische historischen Stadtkerns sollte ein Zentrum der Bündnis ursächlich für den Abriss, wie in der Kultur und Bildung mit einer Bibliothek, einem Literatur immer wieder kolportiert wird.8 Bildungszentrum (Institut für Lehrerbildung) Ganz im Gegenteil gab es, wie der Historiker und einer Kombination aus Stadthalle und Thea- Martin Sabrow überzeugend darlegt, für die ter entstehen.5 Garnisonkirche ein umfangreiches Sanierungs- Als am 22. Juni 1967 Ulbricht Potsdam be- konzept, das vom Institut für Denkmalpflege, suchte, kritisierte er die unzureichende Um- der evangelischen Pfarrgemeinde Heilig-Kreuz- setzung dieser Pläne, woraufhin die Stadtver- Gemeinde und dem Volkseigenen Betrieb (VEB) ordnetenversammlung am 24. Mai 1968 eine Hochbauprojektierung ausgearbeitet worden »städtebauliche Konzeption für den beschleu- war.9 Für die erfolgreiche Umsetzung der Si- nigten Aufbau des Sozialismus« beschloss.6 Dies cherungsmaßnahme war ein Stahlrohrgerüst hatte Folgen auch für die Umgestaltung der Brei- aus Westdeutschland nötig, dessen Einfuhr ten Straße. Ulbrichts Besuch sowie sein Glaube die staatliche Bauaufsicht PGH Potsdam-West an die Kybernetik und den Nutzen der elektro- schon 1965 genehmigt hatte und das durch eine nischen Datenverarbeitung sollen Anlass für die Spende des bundesdeutschen Zweigs der evan- Sprengung der Garnisonkirche und den Bau des gelischen Kirche finanziert werden sollte. Und Rechenzentrums gewesen sein.7 Doch weder der nachdem auch die Sanierungskosten von 40.000 Besuch des Generalsekretärs noch der städtische Mark von der Deutschen Notenbank bewilligt Neuaufbau, dem in der DDR neben dem Pots- waren, stand dem gemeinsamen Projekt von damer Stadtschloss auch andere Bauwerke wie Denkmalpflege, Kirchengemeinde und Bau- das Berliner Schloss 1950 oder die Leipziger betrieb nichts mehr im Wege. Universitätskirche 1968 zum Opfer fielen, be- Doch genau diese Sanierungsmaßnahme wirkten die Sprengung der Kirche. Und ebenso wurde der Garnisonkirche zum Verhängnis. Die Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 93
SED -Führung, der die Kirchengemeinde bis zu erläutert wird – auch Fritz Eisel mitgearbeitet diesem Zeitpunkt keinen Grund zur Beanstan- hat, wie folgt beschrieben: »Das neue Potsdamer dung geboten hatte, witterte angesichts der Un- Stadtzentrum soll durch neue Bauten gesell- terstützung durch westdeutsche Kircheninstan- schaftlicher Art, durch seine neuen Inhalte und zen ein Komplott und vermutete, dass es der sein künstlerisches Antlitz den Sieg der sozialis- Gemeinde nicht nur um Sicherungsmaßnahmen, tischen Gesellschaftsordnung, des Neuen über sondern vielmehr um den Wiederaufbau der das Alte, der fortschrittlichen Tradition über die Garnisonkirche gehe. Die Kirche wurde so in den preußisch-militaristische Reaktion sinnfällig Worten Sabrows zu einem »trojanischen Pferd ausdrücken.« 13 Die offiziellen Gründe der neuen des Klassengegners im sozialistischen Staat«.10 Stadt- und Baugestaltung waren ideologischer Die Stadtbaudirektoren veranlassten die Einstel- Natur, hier spielte das Motiv der Tilgung der lung der Bauarbeiten und die Bezirksleitung der »Symbole des preußischen Militarismus aus SED ordnete den Abriss der Garnisonkirche an. dem Gedächtnis der Bürger der Stadt« eine zen- Begründet wurde dieser offiziell mit »ökonomi- trale Rolle. Potsdam, so wurde argumentiert, schen Rationalitätsgebote[n]« wie der »erfolg- sei zwar weiter die Stadt der Kunst und Kultur, reiche[n] Umleitung einer geplanten Heiztrasse weswegen man an die »traditionsreiche Synthese […] kulturhistorische[n] Güterabwägungen und der architekturgebundenen Kunst des Barocks« infrastrukturelle[n] Planungszwänge[n]«.11 anknüpfen müsse, doch habe man auch die »Ver- Bauverzögerungen waren schon 1966 zu kon- pflichtung und Verantwortung […], Potsdam ein statieren und laut Aktenvermerk hatte man eigenes sozialistisches Gesicht zu geben«.14 bereits im August desselben Jahres, also noch Die Breite Straße wurde nun zur sozialisti- vor Ulbrichts Besuch, den Baustopp sowie den schen Magistrale des neuen Potsdams umgebaut, Abriss beschlossen. Lediglich die Sprengungen wobei das Karl-Liebknecht-Forum (1979 – 1982) 15 erfolgten im Mai und Juni 1968. Bemerkenswert und das Hochhaus des Interhotels Potsdam ist, dass »bekannte und unbekannte Bürger der (1969) den Beginn bildeten. Weitere Vorzeige- DDR , Architekten, Denkmalpfleger, Historiker, bauten wie das Ernst-Thälmann-Stadion (1949), Nationalpreisträger und staatlich geehrte Kul- die Seerose (1980 – 1983) sowie Wohnungsbauten turschaffende vereint ihre Stimmen zur Rettung und Studentenwohnheime reihten sich entlang der bedrohten Kirche« 12 erhoben und ein für der Straße aneinander. DDR-Verhältnisse ungewohnter, immer größer Im Generalplan der baukünstlerischen Ge- werdender Protest einsetzte, sodass der genaue staltung des Stadtzentrums von 1968 ist der Termin der Sprengung geheim gehalten wurde. Breiten Straße und ihrem Bedeutungswan- del gleich ein ganzer Absatz gewidmet: »Die ehemals bedeutendste städtebauliche Achse II. Die Breite Straße und das Potsdams […] erfährt in der städtebaulichen Rechenzentrum Grundstruktur eine totale Wandlung. Mit der Ausweitung des Rechenzentrums am Standort Nach der Sprengung der Garnisonkirche rückte Plantage, der Ausweisung der Bauvorhaben der die Breite Straße ins Zentrum der städtebauli- Bauindustrie und der Vorhaben der Volksbil- chen Neugestaltung Potsdams. Das Ziel dieser dung (Internat) in dem weiteren Abschnitt der Neugestaltung wurde in dem im November 1968 Wilhelm-Külz-Straße und an der Plantage wird entstandenen Entwurf Ideologisch-ästhetische die Wilhelm-Külz-Straße zur Leitlinie Potsdam Vorgabe für die bildkünstlerische Konzeption, – eine sozialistische Bezirksstadt. Damit ist eine an dem – wie an späterer Stelle noch genauer politisch-ideologische Aufwertung der Wil- 94 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
2 Architektenkollektiv um Sepp Weber, Rechenzentrum, 1968 – 1971. Potsdam helm-Külz-Straße gegenüber ihrem heutigen und durch eine im wesentlichen neue Bebauung funktionalen Wert gegeben. Das Grundthema einen völlig anderen Charakter erhalten wird. der Leitlinie bezüglich der bildkünstlerischen Bedenkt man, daß im Städtebild als angenehm Gestaltung ist: die Entwicklung des sozialis- empfundene Ablenkungen und optische Höhe- tischen Menschenbildes bei der Beherrschung punkte wie die Brücke über dem Stadtkanal der objektiven Prozesse der wissenschaftlich- oder der Turm der Garnisonkirche dann nicht technischen Revolution. Den gestalterischen mehr vorhanden sein werden, die Straße aber Schwerpunkt in diesem Abschnitt bildet das krümmungslos bis zur Leninallee verläuft, wird Rechenzentrum. Die gewählten Mittel haben klar, daß zwischen Eingang Leninallee und der Bedeutung des Standortes Rechnung zu Liebknechtforum optische ›Bremsen‹ nicht nur tragen.« 16 Somit ging es nicht nur um eine all- architektonisch, sondern auch bildkünstlerisch gemeine politisch-ideologische Aufwertung plastisch eingefügt werden müssen. Der geeig- der Breiten Straße, sondern auch spezifisch um netste Standort hierfür ist das Gebiet Rechen- die Rolle des »sozialistischen Menschen in der zentrum. Hier sollte in der Mitte der Achse wissenschaftlich-technischen Revolution«, die die Straße plastisch überspannt werden. Darin sich in der Ausgestaltung des als Zentrum die- könnte sich wegen der guten Sichtbeziehungen ser Anordnung gedachten Rechenzentrums zu innerhalb der langen geraden Achse vom Lieb- manifestieren hatte. knechtforum und von der Leninallee her der Gleichzeitig sollte das Rechenzentrum durch Geist dieser Straße, vom Rechenzentrum ge- die nach hinten versetzte Anordnung und durch prägt, konzentrieren.« 17 sein bildnerisches Konzept als eine Art ›Bremse‹ Das Rechenzentrum war mithin in stadt- im geradlinigen Verlauf der repräsentativen planerischer Hinsicht nicht nur relevant für die Straße dienen, wie die folgenden Ausführun- sozialistische Magistrale, es eignete sich auch als gen belegen: »Die Lage des Hotels [Interhotel Sinnbild der ›wissenschaftlich-technischen Re- Potsdam] und des Rechenzentrums auf dieser volution‹. In der DDR waren in den Rechenzen- Linie bestimmen im Augenblick unsere Über- tren meist Organisationsabteilungen integriert. legungen, die davon ausgehen, daß dieser Stra- Deshalb wurden sie auch als ›Organisations- ßenzug durch die Durchführung zur Leninallee und Rechenzentren (OR Z )‹ bezeichnet. Vielfach Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 95
waren sie administrativen Stellen wie Finanz- in der DDR durch Kunst-am-Bau-Projekte un- verwaltungen, Forschungseinrichtungen, Hoch- terstützt.25 Zwar beschrieb die DDR-Verfassung schulen oder Betrieben zugeordnet.18 Tatsächlich 1949 die Unterstützung der Kunst noch recht all- bemühte sich die DDR ebenso wie die anderen gemein, doch die vom Ministerpräsidenten Otto staatssozialistischen Gesellschaften um den Grotewohl ein Jahr später formulierte Kulturver- Einstieg in das Informationszeitalter. Insbeson- ordnung enthielt schon sehr konkrete Forderun- dere vor dem Hintergrund technokratischer gen: »Bei allen im Investitionsplan vorgesehenen Reformen und der Kybernetik-Euphorie in den Neubauten und Wiederinstandsetzungen von 1960er Jahren sowie einer allgemein von Tech- Verwaltungsgebäuden sind 1 bis 2 % der bewil- nikoptimismus geprägten gesellschaftlichen At- ligten Bausummen für die künstlerische Aus- mosphäre galt die elektronische Rechentechnik gestaltung der Räume mit Werken volksnaher und Datenverarbeitung als Schlüssel für den ra- und realistischer Kunst vorzusehen.« 26 An die tionalistisch-staatssozialistischen Fortschritt in Vorgaben zur Bausumme schlossen sich künst- den zentralen Bereichen Wissenschaft und Tech- lerische Zielsetzungen zu Stil und Inhalt an.27 nik.19 Die Rechenzentren waren architektonisch- Das Geld konnte für Wandbilder, Sgraffiti, technische Marker ebendieses Fortschritts. Reliefs und Bauplastiken sowie für frei vor den Von einem Architektenkollektiv um Sepp Bau ten platzierte oder angebrachte Gemälde, Weber entworfen,20 wurde das Rechenzentrum Grafiken und Plastiken verwendet werden.28 An (Abb. 2) in Potsdam zwischen 1969 und 1971 der Vergabe solcher baugebundenen Kunst wa- erbaut.21 Über das Erdgeschoss verteilte sich Ei- ren die unterschiedlichsten O rganisationen be- sels Mosaikfries. Mosaike oder Wandmalereien teiligt. Die Planträger entschieden über die Höhe wurden in dieser Zeit vielfach an öffentlichen der Kosten, mussten jedoch bei Gestaltungs Bauten angebracht. Diese Zusammenführung fragen die Staatliche Kommission für Kunst- von Architektur und bildender Kunst wurde von angelegenheiten und bei Objektfragen den Ver- der SED -Führung nicht nur gefördert, sondern band Bildender Künstler (VBK ) hinzuziehen. auch gefordert. Größere Vorhaben wurden über Wettbewerbe vergeben, die von der staatlichen Auftrags- kommission ausgeschrieben wurden. Allerdings III. Baugebundene Kunst kam an dieser zentralen Vergabe bald Kritik aufseiten von Künstlern und Bezirksräten auf, Als Kunst am Bau bzw. »baugebundene Kunst«, die letztlich dazu führte, dass diese Aufgabe ab so die DDR-Begrifflichkeit, werden staatlich fi- 1957 zunächst zeitweise und nach der 2. Bitter- nanzierte Kunstwerke an (öffentlichen) Gebäu- felder Konferenz 1964 endgültig den jeweiligen den bezeichnet.22 In Deutschland entstand Kunst Bezirksauftrags- und Gutachterkommissionen am Bau zunächst zögerlich während der Weima- für Bildende Kunst übertragen wurde. Für diese rer Republik. Anfänglich wurden die Aufträge Zuweisung war dabei zum einen das »künst- von Kommunen, Ländern, Privatleuten und lerisch-ideologische Konzept für den gesamten Unternehmen erteilt,23 doch mit dem Beginn des Baukomplex« entscheidend, zum anderen sollte staatlichen Hochbaus trat auch zunehmend der der Bildinhalt der »technisch-ökonomischen Staat als Auftraggeber in Erscheinung. Die Ziele Zielstellung« entsprechen. Besonders prägnant des staatlichen Engagements lagen nicht vor- formulierte Ulbricht 1968 die Ansprüche an die rangig im Ästhetischen, sondern primär darin, Baukunst in einem Brief an den Präsidenten des den Künstlern Arbeit zu verschaffen.24 Nach dem ostdeutschen Bundes Deutscher Architekten, Zweiten Weltkrieg wurden diese in der BR D wie Edmund Collein: »Mehr denn je gilt es, mit den 96 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
Mitgliedern der Baukunst dazu beizutragen, das trauliches Dokument des Verbands preis. In Streben der Bürger unseres Staates nach einem diesem wird er als ein Künstler gelobt, der »offen kulturvollen Leben in schönen Städten und Dör- die Politik unserer Partei vertritt« und sich nicht fern zu fördern, den Stolz auf ihre sozialistische wie viele andere Künstler durch die Kulturpolitik Heimat zu vertiefen und das gewachsene in- eingeengt fühle.36 ternationale Ansehen weiter zu erhöhen.« 29 Wie In seinen Malereien dominieren den Forde- im Folgenden noch dargelegt wird, galten solche rungen des Sozialistischen Realismus entspre- Bestimmungen auch bei der Wahl des Mosaiks chend Porträts, Aktbilder, Tierdarstellungen, am Potsdamer Rechenzentrum. Stillleben, Landschafts- und Brigadebilder.37 Doch auch hilflose und schutzbedürftige Kinder waren immer wieder sein Thema. Für eine seiner IV. Der Künstler Fritz Eisel umfangreichsten Arbeiten unterzeichnete er am 7. April 1966 einen Vertrag mit dem Rat des Fritz Eisel arbeitete ab 1957 als freischaffender Bezirks Potsdam, der festhielt, dass Eisel »an- Künstler in Dresden und Potsdam und ab 1965 lässlich des 50. Jahrestages der Sozialistischen als Leiter der historischen Gedenkstätte Cecilien- Oktoberrevolution 1967 […] 6 Tafelbilder für hof.30 Seinen beruflichen Höhepunkt erreichte er das Haus des DSF in Potsdam« schaffen sollte.38 1970 mit seiner Ernennung zum Professor für Ma- Seine künstlerischen Arbeiten wurden regel- lerei an der Hochschule für Bildende Künste Dres- mäßig in der Bildenden Kunst, der wichtigsten den, die er ab 1975 als Rektor leitete.31 In den 1970er Kunstzeitschrift der DDR , besprochen, für die er Jahren bereiste er, wie viele andere Künstler der selbst zahlreiche Aufsätze zu künstlerischen und DDR , sozialistische Staaten wie die Volksrepublik kulturpolitischen Themen verfasste.39 Vietnam und die Mongolische Volksrepublik.32 Auffallend ist dabei jedoch, dass in fast allen Dass Eisel sich explizit als ein sozialistischer Katalog- und Zeitschriftenbeiträgen ausschließ- Künstler verstand, wird an der inhaltlichen und lich sein malerisches Œuvre erörtert wird. Seine formalen Ausrichtung seiner im Stil des Sozialis- baugebundenen Arbeiten hingegen wurden tischen Realismus gemalten Kunstwerke ebenso nicht einmal erwähnt; sie seien deshalb hier ge- ablesbar wie an den von ihm besetzten Positionen nannt. Am 20. Mai 1965 unterschrieb Eisel einen als Rektor und als stellvertretender Vorsitzender Werkvertrag für die Eisenskulptur Kosmonaut des VBK im Bezirk Potsdam sowie an seiner Mit- (3,5 × 5,5 m), deren Auftraggeberin die Direktorin gliedschaft in der Jugendbrigade der Deutsch- der Oberschule Niederlehm war.40 Am 22. Juli Sowjetischen Freundschaft (DSF ) im Rohrwerk 1967 einigte er sich mit dem Bezirkslandschafts- III des VEB Rohrkombinats Stahl- und Walz- rat über die Anfertigung des Glasfensters Obst- werk Riesa.33 Auch in Interviews und in von ihm bau-Gartenkultur (9 × 3 m) in Antikglas für die verfassten Artikeln kommt Eisels Begeisterung Fachschule für Obstbau in Werder.41 Ein weite- für die »sozialistische Kunst« zum Ausdruck.34 So res Abkommen für baugebundene Kunst unter- vertrat er die Ansicht, dass sich Künstler dezidiert zeichnete er am 28. Februar 1968. Hauptinvestor mit den wesentlichen gesellschaftlichen und po- war die Organisation Komplexer Wohnungs- litischen Prozessen und Ereignissen wie beispiels- bau Potsdam und Hauptplanträger der Rat des weise Parteitagen auseinandersetzen sollten. Der Bezirkes Potsdam. Der Vertrag sah ein Mosaik VII . Parteitag der SED solle, so der Künstler, »uns mit dem Titel Der Mensch erforscht und steuert allen neue Hilfe sein, im Kampf um das, was wir die Prozesse der Natur (2,5 × 12 m) für den Schul- erstreben«.35 Wie Eisels politisches Engagement neubau Kleinmachnow vor.42 Dieses Mosaik ist innerhalb des VBK gesehen wurde, gibt ein ver- aufgrund der thematischen Ähnlichkeit eine Art Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 97
Vorarbeit für den Potsdamer Fries. Außerdem setzung für die sozialistische Umgestaltung und entwarf Eisel im Jahr 1969 als Dekorationsele- die künstlerische Widerspiegelung unserer neuen mente für das Interhotel Potsdam einen Wand- Menschengemeinschaft mit ihren sozialistischen teppich (Weberin Dettmar, Neuruppin) für den Persönlichkeiten.« 46 Darüber hinaus sollte er den Raum Rouen und eine Betonglaswand.43 Rat der Stadt Potsdam wissenschaftlich beraten. Demnach setzte sich auch er für eine Verknüp- fung von Architektur und Kunst ein und sorgte V. Die Entscheidungsträger für die Einhaltung der ideologisch-ästhetischen Richtlinien der SED. Mitglied im Gestalterischen Bei der Vergabe baugebundener Arbeiten spielen Rat war neben Eisel auch der Architekt des Re- die Entscheidungsträger eine zentrale Rolle. In chenzentrums Sepp Weber. Potsdam waren für die Stadtgestaltung im Sinne Konkrete Vorgaben für das Rechenzentrum des Generalplans der baukünstlerischen Gestal- und das Mosaik legte der Rat der Stadt in der An- tung des Stadtzentrums von 1968 verschiedene lage zur bildkünstlerischen Konzeption fest. Der Organe wie die Arbeitsgruppe künstlerische Standort sollte an der Plantage sein und das Mo- Gestaltung der Stadt, der Gestalterische Rat und saik im Erdgeschoss angebracht werden, wo eine der Technisch-Gestalterische Rat zuständig. Betriebsgaststätte geplant war. Darzustellen wa- Dass Eisel in allen drei Gremien Mitglied war, ren die »Kybernetik und Mathematik im Dienst hat ihm bei der Vergabe von baugebundenen Ar- der Menschheit«, die Mosaike hatten somit einen beiten sicherlich genutzt. In der Arbeitsgruppe Einblick in die Funktion des Gebäudes zu geben. künstlerische Gestaltung der Stadt arbeitete er In dieser Anlage wurde zudem festgehalten, dass unter der Leitung des Potsdamer Stadtarchitek- die künstlerische Ausgestaltung durch Eisel ten Werner Berg. Diese Arbeitsgruppe war seit erfolgen sollte. Als Nutzer des Rechenzentrums dem 4. Oktober 1966 für die künstlerische Ge- wurden die Deutsche Versicherungsanstalt und staltung der Innenstadt zwischen Platz der Ein- die Datenverarbeitung genannt, die Verantwor- heit und Freundschaftsinsel zuständig, später tung für den Bau lag in den Händen des Bezirks- wurde ihr Aufgabengebiet erweitert. Sie sorgte baudirektors Schütt.47 Am 2. Juni 1969 kam es dafür, dass der Innenstadtbereich ein sozialisti- schließlich zwischen dem Rat des Bezirkes als sches Gepräge erhielt. Ferner leitete sie die neuen Auftraggeber und Eisel als Auftragnehmer zum bildkünstlerischen Projekte und überprüfte, ob Abschluss eines Vertrags über die »Gestaltung diese den ideologisch-ästhetischen Vorgaben von 18 Feldern Mosaik 3,30 × 3,00 m zwischen der Partei entsprachen. Vorrangig aber war die tragenden Stützen am Erdgeschoß des Funk- Arbeitsgruppe für die Konzipierung baugebun- tionsgebäudes am Datenverarbeitungszentrum dener Kunst verantwortlich.44 des Bezirks Potsdam«.48 Noch größeren Einfluss übte der Gestalteri- sche Rat aus. Grundlage seiner Arbeit waren »die Beschlüsse des VII . Parteitages der SED , des VI. Das Mosaik Staatsrates der DDR vom 30. November 1967 und vom 18. Oktober 1968 sowie die […] gesetzlichen Der extra für den Bau konzipierte Mosaikzyklus Bestimmungen und Beschlüsse der Stadtver- erstreckt sich über drei Seiten des Erdgeschos- ordnetenversammlung Potsdam«.45 Die Statuten ses.49 Es handelt sich um eine Arbeit in situ, die beschreiben seine zentralen Aufgaben wie folgt: ungewöhnlicherweise mit einem einzelnen Bild »Herausbildung der Synthese zwischen Städte- an der westlichen Nordseite beginnt und in bau, Architektur und bildender Kunst als Voraus- traditioneller westlicher Leserichtung von links 98 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
nach rechts über die West- bis auf die Südseite reicht. Die Platten bestehen aus in Beton ein- gelassenen Mosaiksteinen.50 Abweichend von den gängigen Vorgaben für baubezogene Kunst- werke in der DDR kombinieren die erste und die vorletzte Platte des Zyklus jeweils Text und Bild.51 Das Mosaik von Eisel läuft bis heute in fast allen Veröffentlichungen unter dem Titel Der Mensch bezwingt den Kosmos, in seltenen Fällen lautet er, leicht abweichend, auch Der Mensch be- siegt den Kosmos. Er wurde schon im DDR-Ar- chitekturführer Bezirk Potsdam aus dem Jahr 1981 verwendet und existierte demgemäß bereits vor dem Mauerfall.52 Da die baugebundenen Ar- beiten in Eisels Katalogen fehlen und es so keine Autorisierung durch den Künstler gibt, ist es al- 3 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 1), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum lerdings fraglich, ob dieser Titel überhaupt tref- fend ist und ob er die Interpretation der Arbeit nicht sogar einengt. Gleichwohl gibt es Aussagen für Denkmalpflege Potsdam 1991 das Mosaik mit Eisels zu seinem Mosaik; so geht er in einem Mensch und Wissenschaft und fasst das Thema Interview in der Beschreibung des Motivs weit damit wesentlich weiter.56 Zurückführen lässt über die Narration einer bloßen Kosmosbezwin- sich die Formulierung Der Mensch bezwingt gung hinaus, wenn er formuliert, dass sich der den Kosmos möglicherweise darauf, dass in der Zyklus »mit der elektronischen Datenverarbei- Bezirksausstellung Architektur und bildende tung zwischen der Einsteinschen Relativitäts- Kunst zum 20. Jahrestag der DDR von 1969 eine formel E = m · c 2 und dem Marxschen Gesetz von Modellplatte unter dieser Bezeichnung gezeigt der Ökonomie der Zeit« befasse.53 In einer ähn- wurde und so auch im dazugehörigen Katalog lichen Weise wird das Mosaik in einer Direktive gelistet war.57 des Rates der Stadt Potsdam zur künstlerischen Der Titel Der Mensch bezwingt den Kosmos Umweltgestaltung erläutert. Darin heißt es, dass umreißt den Zyklus demnach inhaltlich nur un- Eisels Zyklus die »Wissenschaft im Sozialis- vollständig und er verstellt offensichtlich auch mus« und die »Kybernetik im Dienste des Fort- den Bezug zum Rechenzentrum. Es ist für das schritts« thematisiere.54 Übergreifend sollte sich Verständnis von Eisels Arbeit aber von elemen- das Mosaik am GOELRO -Plan aus den 1920er tarer Bedeutung, dass sie sich nicht schlicht nur Jahren zur Elektrifizierung der Sowjetunion den Fortschritten in der Kosmologie oder der orientieren, womit man politisch an die damit Raumfahrt der sozialistischen Staaten widmet. verbundene Modernisierungs- und Fortschritts- Sie reflektiert vielmehr auf einer übergreifenden euphorie anknüpfen wollte. Der Zweifel am Titel Ebene den allgemeinen Fortschrittsglauben und und damit am Sujet des Mosaiks wird durch die Technikoptimismus des sogenannten wissen- Zeitschrift Bildende Kunst + Architektur aus dem schaftlichen Sozialismus und rekurriert zugleich Jahr 1976 gestützt, in der die Motive als »Aspekte auf einer konkreten Ebene auf die ›wissenschaft- der elektronischen Datenverarbeitung« bezeich- lich-technische Revolution‹, die die SED 1964 net werden.55 Auch Christiane Theiselmann be- ausrief, indem sie die Wissenschaft zusätzlich zu titelt in ihrem Gutachten im Auftrag des Amtes Boden, Arbeit und Kapital zur Produktivkraft Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 99
4 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 2, 3 und 4), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum erklärte.58 Kurz, das Mosaik ist eben auch künst- weise die zweite und die vierte Platte bei der lerisch-öffentlichkeitswirksamer Ausdruck einer Anbringung vertauscht (die ursprünglich vierte ideologisch geprägten und spezifisch ostdeut- Platte wurde zudem fälschlicherweise um 180 schen Technophilie.59 Eine genaue Betrachtung Grad gedreht), wodurch die realistisch anmu- der einzelnen Mosaikplatten soll dies im Folgen- tende, eigentlich zusammenhängende Planeten- den untermauern. landschaft des Hintergrundes kaum mehr zu er- Die erste Platte (Abb. 3) suggeriert eine grau- kennen ist – ein Fehler, der nie korrigiert wurde, schwarze Schultafel vor einem rot-braunen Hin- obwohl dies technisch möglich gewesen wäre tergrund, auf der »E = mc 2« geschrieben steht. (Abb. 5). Eisels Enkel Jörg Kalkbrenner sieht da- Der Zyklus beginnt also mit der bekannten Ein- rin eine künstlerische Geste: »Der Künstler hat stein’schen Formel im Kontext der speziellen die versetzte Anordnung genau so gewollt, damit Relativitätstheorie. Die Formel dient in diesem die Sache etwas spannender wird. Einige Kunst- Zusammenhang – vollkommen unabhängig da- beflissene haben es bis heute nicht begriffen, dass von, ob ihr Sinngehalt nicht zuletzt wegen ihrer es halt keine Kunst ist, die Erde immer nur schön Inkompatibilität mit den Alltagsbegriffen von [zu] zeigen.« 61 Hier spricht Kalkbrenner jedoch Raum und Zeit womöglich nicht allgemein ver- aus seinem eigenen zeitlichen Kontext, denn standen wurde – als eine Art Chiffre für die Na- in der DDR stand eine solche freie Auffassung turwissenschaften, für die theoretische Physik künstlerischer Gestaltung nicht nur der gän- und eventuell auch für die damals als zukunfts- gigen Kunstvorstellung entgegen, sie war auch weisend geltende Kernforschung: Sie ist dem- explizit nicht gewollt. Da Eisel diese politische nach nicht nur ein Zeichen für die Äquivalenz Idee von Kunst selbst vertrat, wird er über die von Masse und Energie im Speziellen, sondern Vertauschung vermutlich nicht erfreut gewesen auch für Modernität und einen auf Technik und sein. Sie erweist indes, dass die geforderte ein- Wissenschaft basierenden Fortschrittsoptimis- fache Lesbarkeit des Mosaiks nicht zwingend mus im Allgemeinen.60 für jedermann gegeben war, wurde doch bereits Die zweite, dritte und vierte Platte (Abb. 4) bei der Anbringung des Zyklus die Zusammen- sind als eine Einheit konzipiert. Auf der mitt- gehörigkeit der Platten nicht gesehen. leren ist ein Raumschiffausstieg wiedergegeben. Auf der zweiten Platte dieses zusammenhän- Ungeachtet aller Technikbegeisterung, die aus genden Bildes (die eigentlich, um 180 Grad zu- Eisels Mosaik spricht, wurden interessanter- rückgedreht, an vierter Position stehen müsste) 100 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
5 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 4, 3 und 2), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum ist in weiter Ferne hinter der Planetenlandschaft Auf der dritten Platte des Eisel’schen Mosaiks ein weiterer Planet platziert. Als Vorlage für diese findet ein weiterer Meilenstein der Raumfahrt Darstellung könnten Fotografien gedient haben, sein Echo.64 Nachdem 1957 die Hündin Laika in denn in der Astrophysik wurden ebensolche seit Sputnik 2 als erstes Lebewesen in die Erdumlauf- den 1880er Jahren genutzt. Durch ihre mecha- bahn gebracht worden war und der sowjetische nische Entstehung und ihre vermeintliche tech- Kosmonaut Juri Gagarin 1961 mit seiner Erd- nische Objektivität wurden sie als ein von der umrundung den ersten bemannten Weltraum- menschlichen Hand unberührtes wissenschaftli- flug bewältigt hatte, gelang dem sowjetischen ches Beobachtungsinstrument aufgefasst. Trotz- Kosmonauten Alexei Archipowitsch Leonow dem wurden die analogen Bilder vielfach durch am 18. März 1965, lediglich durch einen Raum- schärfere Linien und gesteigerte Kontraste oder anzug geschützt, für zwölf Minuten der erst- veränderte Schatten für den Druck retuschiert. malige Ausstieg aus dem Raumschiff Woschod 2 Auch in der bemannten Raumfahrt der 1960er Jahre zählte die fotografische Dokumentation zu den Hauptaufgaben der Astronauten, wobei diese Aufnahmen in ihrer Tiefenschärfe, Detail- fülle und ihrem Farbwert ebenfalls nachträglich modifiziert wurden, damit sie den Sehgewohn- heiten des Betrachters entsprachen.62 Obwohl Eisels Mosaikentwurf wahrschein- lich schon vorher existierte, weist er eine ver- blüffende Ähnlichkeit mit Earthrise (Abb. 6) auf, der bekanntesten fotografischen Darstellung der Erde aus dem Weltraum, die am 24. Dezember 1968 erst in Schwarz-Weiß vom US -ameri- kanischen Astronauten Frank Borman und anschließend in Farbe von seinem Kollegen William Anders aufgenommen wurde.63 Dieses Bild schrieb Geschichte und prägte weltweit die Vorstellung von der Erde als blauer Kugel. 6 William Anders, Earthrise, 24. Dezember 1968 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 101
7 Alexei Leonows erster Ausstieg in den Weltraum (Woschod 2), 8 Alexei Leonows erster Ausstieg in den 18. März 1965 Weltraum (Woschod 2), 18. März 1965 in den Weltraum (Abb. 7).65 Ebendiesen Ausstieg hier die sowjetische Raumfahrt thematisiert scheint das Mosaik zu zeigen, obgleich es sich bei (Abb. 8). Ob er für seine Darstellung Fotografien dem wiedergegebenen Raumschiff wohl eher um als Vorlage genutzt hat und, wenn dem so sein eine Version des Vorgängermodells Wostok han- sollte, welche, ist nicht mit letzter Sicherheit delt.66 Die gut sichtbaren Buchstaben »CCCP« zu bestimmen. Entsprechendes Material stand am Helm des Kosmonauten belegen, dass Eisel reichlich zur Verfügung, denn schließlich fand 9 Der erste Mensch schwebte frei im kosmischen Raum, in: Berliner Zeitung, 19. März 1965; So schritt der Mensch ins All, in: Neues Deutschland, 17. Juni 1965 102 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
das Space Race zwischen Ost und West auch me- dial Niederschlag. So waren zwar hauptsächlich fotografische Aufnahmen aus dem Kontext des sowjetischen Raumfahrtprogramms inklusive des Ausstiegs Leonows in ostdeutschen Print- medien wie etwa dem Neuen Deutschland oder der Berliner Zeitung (Abb. 9) präsent,67 aber auch über den Raumschiffausstieg des US -amerika- nischen Astronauten Edward Higgins White aus der Kapsel Gemini 4 am 3. Juni 1965 wurde ausführlich und bebildert berichtet (Abb. 10). Jedenfalls weist die Mosaikplatte von Eisel eine 11 Edward Higgins Whites erster Ausstieg in den Welt- raum (Gemini 4), 3. Juni 1965 frappierende Ähnlichkeit mit dem bekannten Foto von White auf (Abb. 11).68 Die ersten drei zusammenhängenden Platten rabolantenne, wie sie als astronomisches Radio- (Platte 2 –4) sind durch sechs Stahlgitter, hinter teleskop und zur Kommunikation mit erdnahen denen die Trafostation stand, von den nächsten Satelliten oder zur Überwachung und Steue- drei zusammenhängenden Platten (Platte 5 – 7; rung von interplanetaren Raumflugkörpern Abb. 12) getrennt. Die fünfte Platte zeigt eine Pa- verwendet werden kann.69 Hier scheint die Pa- 10 Kamera fixierte: White im All, in: Berliner Zeitung, 10. Juni 1965; Woßhod und Gemini, in: Neue Zeit, 17. Juni 1965 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 103
12 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 5, 6 und 7), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum rabolantenne tatsächlich auf den interplanetaren gelesen, stattdessen als eine Aneinanderreihung Raum ausgerichtet zu sein. Während sich im von Einzelplatten oder Zweiergruppen wahr- Hintergrund über die sechste und siebte Platte genommen. Dies resultiert vor allem daraus, die Oberfläche eines Planeten, von der Wärme- dass die zwischen die Platten gesetzten, etwa oder Lichtstrahlen, vielleicht auch Gaseruptio- 25 cm breiten Betonstreben optisch stark tren- nen ausgehen, im Ausschnitt ausdehnt, besetzt nende Elemente sind und so eine Einzelbetrach- den Vordergrund der siebten Platte ein heller, tung suggerieren. Ferner kalkulierte Eisel in gelb-rot und teilweise grün schimmernder Pla- seinen Mosaiken teilweise Abstände mit ein, wo- net oder Satellit. Form und Größe lassen an durch zwischen den Bildern kleine Lücken ent- Sputnik 1 aus dem Jahr 1957 denken, jedoch fehlt standen und die Übergänge nicht ganz akkurat der lange Schweif aus mehreren Metallstäben.70 sind. Ein weiterer Grund für diese Lesart besteht Auf der Südseite des Rechenzentrums er- in der Tatsache, dass einige Platten thematisch streckt sich ein weiteres zusammenhängendes enger zueinander gehören als andere. So ver- Bild, dieses Mal über sechs Platten (Platte 8 – 13; binden drei Düsenflugzeuge am Himmel die Abb. 13). Es wurde bislang nicht als Gesamtheit achte und neunte Platte. Auf der achten Platte ist 13 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 8 – 13), 1969 –1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum 104 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
im Vordergrund die Gitterantenne eines Rund- suchradars platziert. Die Düsenjäger in dieser und der neunten Platte scheinen als MiG-25 zu identifizieren, ein sowjetisches, dreifache Schall- geschwindigkeit erreichendes Modell, dass sich kurz vor der Serienreife befand und bereits mehrere Geschwindigkeits- und Höhenrekorde gebrochen hatte. Die Darstellung dieser Kampf- flugzeuge erinnert daran, dass die auf den Gebie- ten der Wissenschaft und Technik ausgetragene Systemkonkurrenz eben auch eine militärische war.71 14 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 14), Auf der zehnten und elften Platte ist im Aus- 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum schnitt eine Raketenstartrampe dargestellt, aus der Feuer und Rauchwolken aufsteigen, die sich auch über die neunte Platte ziehen. Im Vorder- industriellen Werkgeländes miteinander ver- grund der elften Platte steht vor einer Rechen- bunden. Alle drei Personen tragen Arbeitskittel, maschine eine den Betrachter anblickende junge sie repräsentieren den neuen (Wissens-)Arbeiter, Frau, möglicherweise die Ehefrau des Künstlers, der seine Tätigkeit mithilfe von Technik und Christa Eisel.72 Technische Geräte und leitende Wissenschaft bewältigt – ein expliziter Bezug auf Arbeiter sind ebenso auf der zwölften und 13. das Marx-Zitat auf der noch zu diskutierenden Platte zu sehen. Auf der zwölften Platte sind ein 17. Platte. Mann und eine Frau hinter einem mit Papieren Die 14. Platte (Abb. 14) schildert den Start ei- bedeckten Planungstisch platziert. Während er ner sowjetischen Trägerrakete. Die Darstellung den Betrachter ansieht, wendet sie sich, etwas steht eher für sich allein, obwohl sie thematisch hinter dem Mann positioniert, ihm zu. Auf dem den Raketenstart auf der zehnten und elften Mosaik rechts daneben ist ein an einem Com- Platte aufgreift und der im Vordergrund ange- puter oder einer Schaltstelle sitzender Mann in deutete Fensterrahmen zunächst den Eindruck Rückenansicht wiedergegeben. Beide Szenen erweckt, als handle es sich um einen Ausblick sind durch den gemeinsamen Hintergrund eines aus dem Fenster des Raums auf der vorangehen- Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 105
15 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 15 und 16), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum den Platte. Doch ein klar benennbarer formaler die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc. Übergang ist hier nicht gegeben. Verwirrung zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu stiftet darüber hinaus das Größenverhältnis andrer Produktion, materieller oder geistiger. zwischen Rakete und Fensterausschnitt: Da von [Wie bei einem einzelnen Individuum hängt die der Rakete lediglich ihre unteren Booster erfasst Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses sind, wirkt es, als befinde sie sich sehr nah vor und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab.] Öko- dem Fenster – in diesem Falle wäre sie unge- nomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle wöhnlich groß. Ökonomie auf. [Ebenso muß die Gesellschaft Die 15. und 16. Platte (Abb. 15) gehören wie- ihre Zeit zweckmäßig einteilen, um eine ihren der zweifelsfrei zusammen. Links bedienen Gesamtbedürfnissen gemäße Produktion zu zwei Männer in weißen Kitteln eine Schaltzen- erzielen; wie der einzelne seine Zeit richtig ein- trale mit Großrechner, während über ihnen im teilen muß, um sich Kenntnisse in angemeßnen Hintergrund zwei Planeten schweben. Vor der Proportionen zu erwerben oder um den ver- Schaltzentrale fährt rechts ein Mähdrescher auf schiednen Anforderungen an seine Tätigkeit einem Weizenfeld: Auch die landwirtschaftliche Genüge zu leisten.] Ökonomie der Zeit sowohl Arbeit erfolgt mit technischem Gerät und wis- wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf senschaftlicher Expertise. die verschiednen Zweige der Produktion bleibt Die 17. Platte (Abb. 16) steht erneut für sich. also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage Sie ist die zweite Textplatte des Zyklus. Zu lesen der gemeinschaftlichen Produktion.« 73 Marx ist auf ihr ein Zitat von Karl Marx zur Öko- setzte sich vehement gegen die industrielle Ar- nomie der Zeit aus dem Kapitel zum Geld aus beitsteilung ein, da er sie als Grund für die Ent- den Notizen der Grundrisse der Kritik der po- fremdung der Arbeiter von ihrer Arbeit ansah. litischen Ökonomie. Eisel kürzte den Text um Dies bedeutete aber nicht, dass er ein Gegner des zwei Passagen. Diese Aussparungen sind im technischen Fortschritts war. Ganz im Gegen- Folgenden zum besseren Verständnis des Zitats teil, wie das Zitat zur Ökonomie der Zeit beweist: in Klammern wieder eingefügt: »Je weniger Zeit Technik solle dem Menschen die Arbeit erleich- 106 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
16 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 17), 17 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 18), 1969 –1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum tern, sodass er diese schneller erledigen und vielen anderen sozialistischen Ländern in künst- durch die ersparte Zeit zu mehr Lebensgenuss lerischen Technikdarstellungen die Raumfahrt gelangen könne. Eisels Mosaik veranschaulicht in spezieller Weise betont wurde. Immerhin unter Bezugnahme auf Marx diesen technischen erwies sich die Sowjetunion auf diesem Gebiet Fortschritt in der Industrie, der Verwaltung, der als den westlichen Ländern erstmals überlegen, Raumfahrt und der Landwirtschaft. weshalb Kosmosmotive sehr viel verbreiteter Der Zyklus schließt mit der 18. Platte (Abb. 17), waren als in der westlichen Kunst. die fast vollständig von einem Planeten, vielleicht Trotz der ikonografisch-ideologischen Verein- der Erde, ausgefüllt ist. Lediglich auf der rechten nahmung fällt indes auf, dass das Mosaik einem Seite ist der Blick auf das Weltall freigegeben. Kriterium nicht gänzlich entspricht, dessen Er- Als Ganzes passt das Mosaik in das Gesamt- füllung die SED -Führung von Werken des So- konzept des Generalplans Potsdam, der darauf zialistischen Realismus eigentlich verlangte: der zielte, die Stadt durch die baulichen Verände- Forderung nach einfacher Lesbarkeit. Dies lässt rungen zu einer sozialistischen Bezirksstadt sich nicht nur an der strittigen Frage des Titels zu machen, was sich, wie erläutert, namentlich oder den beiden falsch montierten Platten fest- in der politisch-ideologischen Aufwertung der machen. Es gilt auch für die formale Umsetzung Wilhelm-Külz-Straße manifestieren sollte. des Themas, obgleich hierbei das Material des Am Rechenzentrum, das den gestalterischen Mosaiks zu berücksichtigen ist, denn Glassteine Schwerpunkt bildete, sollte entsprechend das bedingen im Vergleich zu etwa einem Fresko Grundthema abzulesen sein »die Entwicklung ob ihrer Grobkörnigkeit zwangsläufig eine Ver- des sozialistischen Menschenbildes bei der Be- einfachung. Ebenso spielt die Komposition eine herrschung der objektiven Prozesse der wissen- entscheidende Rolle, da durch die Wahl des schaftlich-technischen Revolution«.74 Damit Ausschnitts die Lesbarkeit erschwert wird. So bündelten sich die zentralen ideologischen Vor- ist der Raketenstart auf der zehnten und elf- stellungen der DDR in diesem Mosaik. Dabei ten Platte kaum zu erkennen, da lediglich der ist zu berücksichtigen, dass in der DDR wie in untere Teil der Rampe wiedergegeben und das Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020 107
Wesentliche, die Rakete selbst, nicht sichtbar zirksausstellung Architektur und bildende Kunst, ist. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Lesbar- die zu Ehren des 20. Jahrestags der DDR 1969 in keit bei der sowjetischen Trägerrakete auf der Potsdam veranstaltet wurde.75 Im Rahmen die- 14. Platte, da nur ihre Booster festgehalten sind. ser Schau waren ein Modell des Rechenzentrums Auch suggeriert die Unterteilung in 18 Platten im Maßstab 1:200, 18 Vorentwürfe Eisels für sein mit dazwischenliegenden Trägern zunächst, Mosaik im Maßstab 1:50 und eine Werkprobe dass die Platten einzeln gelesen werden müssten. der dritten Platte, Der Kosmonaut, im Maßstab Diesbezüglich stiftet die Frage, welche Bildfelder 1:10 zu sehen.76 Außerdem wurden ein Farbdia zueinander gehören oder nur in der Gesamt- von Eisels Glasfenster für die Obstbau-Schule in schau verstanden werden können, Verwirrung, Werder sowie ein Dia seiner Betonglaswand und da Eisel Zusammenhänge kaum hervorgehoben ein Foto des Wandteppichs für das Interhotel und die Platten teilweise nur über den gemein- Potsdam präsentiert.77 samen Hintergrund miteinander in Beziehung In einer Einschätzung der Ausstellung in gesetzt hat. Potsdam vom Juli 1969 wurde Eisels Zyklus Eine wesentliche Verbindung innerhalb des ins Zentrum der Betrachtung gestellt.78 Sie do- Mosaikzyklus entsteht über die dynamische kumentiert, wie positiv dieses Werk von den Flächengliederung, durch die die einzelnen Bild- Parteimitgliedern beurteilt wurde: »Beispiel felder über die Rasterteilung hinweg ein Kon- Rechenzentrum Potsdam – Fritz Eisel. Die Idee, tinuum formen. Dieses beginnt auf der ersten die Besonderheiten sozialistischer, menschlicher Platte, die wie eine frisch gewischte Schultafel Fähigkeiten, das Rechnen als abstrakte Tätigkeit, wirkt, mit noch feuchten und schon getrock- die Aneignung neuer Wirklichkeitsbereiche mit- neten Partien, es setzt sich fort über die dyna- hilfe der Elektronik, das Übersetzen gewaltiger, misch strukturierten Oberflächen der Planeten menschlicher Gedanken, Pläne und Vorstellun- und die Bewegung in der sie umgebenden Atmo- gen in solche Realitäten wie Konstruktion und sphäre und endet bei den Himmelsdarstellun- Nutzung höchstmöglicher Technik und Ap- gen, über die die Wolken ziehen. Dynamik zeigt parate, das Vordringen des Menschen in den sich auch beim Start der Raketen und dem da- kosmischen Raum, das alles wird bei Fritz Eisel durch produzierten Rauch, der im Hintergrund als vielgliedriger, emotionaler Inhalt aufgefasst. über die verschiedenen Platten weht. Wer diesen Er befasst sich mit der Wand wie mit einem Ta- Zusammenhang jedoch nicht wahrnimmt und felbild, für ihn gilt die Vermittlung der grossen die Platten einzeln liest – und das war sicherlich thematischen Idee in vielschichtigen Bezügen der Grund, warum zwei Platten 1972 falsch mon- gestaltet. Er geht absolut vom künstlerischen tiert wurden, ohne dass dies später jemals korri- Inhalt aus und lässt dogmatische Auffassungen giert worden ist –, kann die thematischen Bezüge vom wandgemässen als einer besonderen, und und damit auch das Programm des Zyklus kaum nur im ornamentalen Rhythmus lösbaren Form, entschlüsseln. Umso interessanter ist die Frage, unberücksichtigt. Seine Kompositionen stellen wie Eisels Zeitgenossen das Werk bewerteten. eine Vermischung bekannter und unbekannter Sujets dar. Hohe menschliche Ziele verkörpern sich im menschlichen Antlitz, aber auch in VII. Rezeption zur Zeit der DDR der Landschaft und der Technik. Der Künstler konzentriert sich vorwiegend auf das Bild vom Wesentliche Auskünfte über die offiziellen Er- Menschen, sein Erscheinungsbild beherrscht wartungen an das Mosaik und seine Beurteilung die wesentlichen Sujets – so im Arbeitsraum, an zu DDR-Zeiten bieten die Dokumente zur Be- der Schalttafel, in der Bedienung der Technik. 108 Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
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