Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...

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Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...
Zeitschrift
für Kunstgeschichte
Journal of Art History
Revue d’histoire de l’art
Rivista di Storia dell’Arte

1.2020
Jahrgang 83
Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...
Zeitschrift
      I N H A LT                                               für Kunstgeschichte
                                                               Heft 1, 2020 (83. Jahrgang)

1     ABSTRACTS                                                Begründet von Wilhelm Waetzoldt und Ernst Gall, fortgeführt von Margarete
                                                               Kühn, Georg Kauffmann, Reiner Haussherr, Andreas Beyer, Alexander
                                                               ­Markschies, Andreas Tönnesmann und Jeffrey F. Hamburger, bis Ende 2019
3     E DI TOR IA L                                             herausgegeben von Beate Fricke, Ursula Frohne, Johannes Grave und
                                                                Michael F. Zimmermann.

7     AU F S ÄT Z E
                                                               Redakteur: Gerrit Walczak
7     Angelo Lo Conte: Carlo Antonio and the bottega           Anschrift:
      Procaccini                                               PD Dr. Gerrit Walczak
                                                               Redaktion der Zeitschrift für Kunstgeschichte
33    Caroline Fowler: Translating images from India to        Technische Universität Berlin
      ­Amsterdam in the eighteenth century                     Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, Sekr. A 56
49     Tobias Kämpf: Leitbild Lebensreform. Harry Graf         Straße des 17. Juni 150/152
       Kessler und Karl Ernst Osthaus als Museumsgründer       D-10623 Berlin
                                                               E-Mail: gerrit.walczak@zfkg.de
91     Susanne König: Fritz Eisels Mosaik Der Mensch
       bezwingt den Kosmos am Rechenzentrum in Potsdam.
       Eine kunsthistorische Kontextualisierung von Ort,
       Werk und Rezeption

117   BUCHBESPRECHUNGEN

117   Ausgekämmt: Julia Saviello, Verlockungen. Haare in der
      Kunst der frühen Neuzeit (Zephir, Bd. 7)
      Rezensiert von Ann-Sophie Lehmann
122   Joris Hoefnagel and the Kunstkammer: Thea Vignau-
      Wilberg, Joris and Jacob Hoef­nagel. Art and Science
                                                               ISSN 0044 - 2992
      around 1600
      Reviewed by Marisa Anne Bass                             Jeder Jahrgang erscheint in vier Heften. Preis des Jahrgangs € 98,–. Preis des
135   Adressen der Autorinnen und Autoren                      Einzelheftes € 30,– + Porto. Abbestellungen nur zum Ende eines Jahrgangs
                                                               möglich. Bestellungen an den Verlag; Rezensionsexemplare an die Redaktion.
                                                               Bei Zusendung von Rezensionsexemplaren bitten wir um die Anbringung
                                                               des Vermerks: »Rezensionsexemplar zu wissenschaftlichen Zwecken / ZOLL-
                                                               FREI«. Bei unverlangt eingesandten Rezensionsexemplaren gilt der Vorbehalt,
                                                               dass eine Rezension im Ermessen der Redaktion steht. Eine Garantie, auch für
                                                               die Rücksendung, wird nicht übernommen.

                                                               Annual subscription rate € 98,–, payable on receipt of the first issue; subscrip-
                                                               tion cancellation only possible at the end of the year. Price per single issue
                                                               € 30,– + postage.

                                                               Zeitschrift für Kunstgeschichte is indexed, amongst others, in IBA (Internation-
                                                               al Bibliography of Art, formerly BHA), Arts and Humanities Citation Index
                                                               and Current Contents/Arts & Humanities (Thomson Reuters Web of Science),
                                                               SCOPUS, Cambridge Scientific Abstracts (Proquest), Periodicals Index On-
                                                               line, Art Index, Art Abstracts, as well as in the European Reference Index for
                                                               the Humanities (ERIH, category A).

                                                               Druck: Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe (Saale)

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Susanne König

Fritz Eisels Mosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos
am Rechenzentrum in Potsdam. Eine kunsthistorische
Kontextualisierung von Ort, Werk und Rezeption

In Potsdam hat sich die Öffentlichkeit gespalten   Beispiel für die baugebundene Kunst der DDR
in diejenigen, die den Erhalt des Rechenzen-       in einer Zeit technizistischer Utopien. Der 18-tei-
trums mit dem Mosaikfries Der Mensch be-           lige Fries aus etwa 3 × 3 m großen Platten, der in
zwingt den Kosmos (Abb. 1) des DDR-Künstlers       seinem kunsthistorischen Kontext und in Bezug
Fritz Eisel befürworten, und diejenigen, die       auf die schwierigen historischen Gegebenheiten
die Rekonstruktion der barocken Garnison-          des Ortes untersucht wird, ist nicht nur unge-
kirche anstreben. Die Errichtung des Turms         wöhnlich groß, sondern er ist auch ein Sinnbild
ist schon in vollem Gange und soll 2022 abge-      der ›wissenschaftlich-technischen Revolution‹
schlossen sein. Für den Wiederaufbau des           und damit der ideologischen Vereinnahmung
Kirchenschiffs müsste das 1972 fertiggestellte     von Technik und Wissenschaft im ostdeutschen
Rechenzentrum abgerissen und für das seit 1991     Sozialismus.
unter Denkmalschutz stehende Mosaik von
Eisel ein neuer Standort gefunden werden. In
der öffentlich geführten Auseinandersetzung        I. Aus einer Kirche wird ein
kollidieren jedoch nicht nur unterschiedliche      Rechenzentrum
kunsthistorische Interessen, denn das Areal
um das Rechenzentrum ist zu einem Politikum        Ein kurzer Blick in die Geschichte verrät die
geworden: Rechtsextreme Vereinigungen wollen       Brisanz des Ortes: Friedrich Wilhelm I. ließ die
hier einen Erinnerungsort preußisch-nationaler     Garnisonkirche von 1732 bis 1735 vom Archi-
oder nationalsozialistischer Vergangenheit er-     tekten Philipp Gerlach für seinen Hofstaat und
stehen lassen, während sich die evangelische       seine Garnison errichten.1 Im späten 18. Jahr-
Kirche einen Ort der Versöhnung und der Er-        hundert wurde der Barockbau als Grablege des
innerung an die Gräueltaten der Nationalsozia-     preußischen Königs und seines Sohnes Friedrich
listen wünscht; weniger politisch, wenngleich      des Großen genutzt. Im darauffolgenden Jahr-
nicht weniger offensiv setzen sich die Vertreter   hundert beherbergte die Kirche Beutefahnen
des städtischen Tourismusmarketings für die        und Siegestrophäen aus den Befreiungs- und
Rekonstruktion eines friderizianischen Pots-       Reichseinigungskriegen und entwickelte sich zu
dams ein, zu dessen Gunsten erst kürzlich das      einem nationalen Erinnerungsort. Im 20. Jahr-
ehemalige Institut für Lehrerbildung (heute FH     hundert schließlich erlangte sie besondere Gel-
Potsdam) abgerissen wurde. Relevant für solche     tung, als hier am 21. März 1933, dem sogenannten
Entscheidungen ist sowohl die gegenwärtige         Tag von Potsdam, der Reichspräsident Paul von
Situation als auch die mit der Garnisonkirche      Hindenburg dem neuen Reichskanzler Adolf
wie mit dem Rechenzentrum verbundene Ge-           Hitler die Hand reichte und so sinnbildlich das
schichte. Im Fokus dieses Beitrags steht deshalb   Bündnis zwischen der alten Ordnung und dem
das Mosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos          Nationalsozialismus besiegelte.2 Nach ihrer Zer-
von Fritz Eisel, ein geradezu paradigmatisches     störung im Zweiten Weltkrieg wurde die Gar-

https://doi.org/10.1515/ZKG-2020-1004                                                              91
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nisonkirche dann im Jahr 1968 gesprengt und an     In Potsdam zeitigte der zunächst eingeschlagene
ihrem Platz das Rechenzentrum errichtet.           neue Kurs eine kurze Phase des Wiederaufbaus
   Der Standort der beiden Gebäude ist auch in     der stark zerstörten Innenstadt.4 Doch mit dem
stadtplanerischer Hinsicht historisch von Be-      V. Parteitag der SED vom 10. bis zum 16. Juli 1958
lang gewesen. So war die Breite Straße, die zu     endete dieser Kurs. Angestrebt wurden fortan
DDR-Zeiten in eine repräsentative sozialistische   die »Schaffung des neuen Menschen«, festgehal-
Magistrale umgebaut wurde, bereits seit 1683 die   ten in den »10 Geboten für den sozialistischen
Verbindungsstraße zwischen dem Stadtzentrum        Menschen«, sowie der »Sieg des Sozialismus«,
und dem westlichen Teil der Stadt beziehungs-      der durch die Umsetzung eines Siebenjahrespla-
weise zwischen dem Stadtschloss und dem            nes nach sowjetischem Vorbild erreicht werden
Schlosspark. Hier entstand im späten 17. und       sollte. Diese Vorstellungen wurden von einer
im 18. Jahrhundert neben der Garnisonkirche        Wende in der Baupolitik begleitet. Während Sta-
(1735) eine Reihe von repräsentativen Gebäuden     lins Nachfolger Chruschtschow in der Sowjet-
wie der Marstall (1685, heute Filmmuseum),         union eine solche Wende bereits 1954 eingeleitet
der Lange Stall (1734), das Neustädter Tor (1722   hatte, wurde sie in der DDR vor allem im Vor-
und 1752), das Große Militärwaisenhaus (1778)      feld und während des 33. Plenums des Zentral-
und die Hiller-Brandtschen Häuser (1769). Im       komitees der SED vom 16. bis zum 19. Oktober
19. Jahrhundert wurde dieses Panorama mit dem      1957 ausgearbeitet. Der Generalsekretär Walter
in Gestalt einer Moschee konzipierten Dampf-       Ulbricht strebte durch Wohnkomplexe in indus-
maschinenhaus für Sanssouci (1843) ergänzt.        trieller Bauweise den Anschluss an den indus-
   Die in der Nachkriegszeit und zu DDR-Zeiten     trialisierten Wohnungsbau Nord- und West-
durchgeführten städtebaulichen Veränderungen       europas an. Die neuen Baupläne bedingten eine
der Breiten Straße, die später in Wilhelm-Külz-    Abrisswelle, die ihren Höhepunkt in der finalen
Straße umbenannt wurde,3 lassen sich in die        Zerstörung der Ruine des Potsdamer Stadt-
umfangreiche Baupolitik der DDR einordnen.         schlosses (1959/60) fand, das auf Transparenten

92                                                            Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
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1 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos, 1969 – 1972, Mosaikfries aus 18 Platten, Platte 1 und 18 je 2,76 × 3,23 × 0,08 m,
Platte 2 bis 17 je 3,00 × 3,30 × 0,08 m. Potsdam, Rechenzentrum

an der Fassade als »Brutstätte des Feudalismus«                 wenig war die schicksalhafte Aufladung des Or-
bezeichnet wurde. Auf der Fläche des zerstörten                 tes durch das preußisch-nationalsozialistische
historischen Stadtkerns sollte ein Zentrum der                  Bündnis ursächlich für den Abriss, wie in der
Kultur und Bildung mit einer Bibliothek, einem                  Literatur immer wieder kolportiert wird.8
Bildungszentrum (Institut für Lehrerbildung)                       Ganz im Gegenteil gab es, wie der Historiker
und einer Kombination aus Stadthalle und Thea-                  Martin Sabrow überzeugend darlegt, für die
ter entstehen.5                                                 Garnisonkirche ein umfangreiches Sanierungs-
   Als am 22. Juni 1967 Ulbricht Potsdam be-                    konzept, das vom Institut für Denkmalpflege,
suchte, kritisierte er die unzureichende Um-                    der evangelischen Pfarrgemeinde Heilig-Kreuz-
setzung dieser Pläne, woraufhin die Stadtver-                   Gemeinde und dem Volkseigenen Betrieb (VEB)
ordnetenversammlung am 24. Mai 1968 eine                        Hochbauprojektierung ausgearbeitet worden
»städtebauliche Konzeption für den beschleu-                    war.9 Für die erfolgreiche Umsetzung der Si-
nigten Aufbau des Sozialismus« beschloss.6 Dies                 cherungsmaßnahme war ein Stahlrohrgerüst
hatte Folgen auch für die Umgestaltung der Brei-                aus Westdeutschland nötig, dessen Einfuhr
ten Straße. Ulbrichts Besuch sowie sein Glaube                  die staatliche Bauaufsicht PGH Potsdam-West
an die Kybernetik und den Nutzen der elektro-                   schon 1965 genehmigt hatte und das durch eine
nischen Datenverarbeitung sollen Anlass für die                 Spende des bundesdeutschen Zweigs der evan-
Sprengung der Garnisonkirche und den Bau des                    gelischen Kirche finanziert werden sollte. Und
Rechenzentrums gewesen sein.7 Doch weder der                    nachdem auch die Sanierungskosten von 40.000
Besuch des Generalsekretärs noch der städtische                 Mark von der Deutschen Notenbank bewilligt
Neuaufbau, dem in der DDR neben dem Pots-                       waren, stand dem gemeinsamen Projekt von
damer Stadtschloss auch andere Bauwerke wie                     Denkmalpflege, Kirchengemeinde und Bau-
das Berliner Schloss 1950 oder die Leipziger                    betrieb nichts mehr im Wege.
Universitätskirche 1968 zum Opfer fielen, be-                      Doch genau diese Sanierungsmaßnahme
wirkten die Sprengung der Kirche. Und ebenso                    wurde der Garnisonkirche zum Verhängnis. Die

Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                                           93
Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...
SED -Führung, der die Kirchengemeinde bis zu       erläutert wird – auch Fritz Eisel mitgearbeitet
diesem Zeitpunkt keinen Grund zur Beanstan-        hat, wie folgt beschrieben: »Das neue Potsdamer
dung geboten hatte, witterte angesichts der Un-    Stadtzentrum soll durch neue Bauten gesell-
terstützung durch westdeutsche Kircheninstan-      schaftlicher Art, durch seine neuen Inhalte und
zen ein Komplott und vermutete, dass es der        sein künstlerisches Antlitz den Sieg der sozialis-
Gemeinde nicht nur um Sicherungsmaßnahmen,         tischen Gesellschaftsordnung, des Neuen über
sondern vielmehr um den Wiederaufbau der           das Alte, der fortschrittlichen Tradition über die
Garnisonkirche gehe. Die Kirche wurde so in den    preußisch-militaristische Reaktion sinnfällig
Worten Sabrows zu einem »trojanischen Pferd        ausdrücken.« 13 Die offiziellen Gründe der neuen
des Klassengegners im sozialistischen Staat«.10    Stadt- und Baugestaltung waren ideologischer
Die Stadtbaudirektoren veranlassten die Einstel-   Natur, hier spielte das Motiv der Tilgung der
lung der Bauarbeiten und die Bezirksleitung der    »Symbole des preußischen Militarismus aus
SED ordnete den Abriss der Garnisonkirche an.      dem Gedächtnis der Bürger der Stadt« eine zen-
Begründet wurde dieser offiziell mit »ökonomi-     trale Rolle. Potsdam, so wurde argumentiert,
schen Rationalitätsgebote[n]« wie der »erfolg-     sei zwar weiter die Stadt der Kunst und Kultur,
reiche[n] Umleitung einer geplanten Heiztrasse     weswegen man an die »traditionsreiche Synthese
[…] kulturhistorische[n] Güterabwägungen und       der architekturgebundenen Kunst des Barocks«
infrastrukturelle[n] Planungszwänge[n]«.11         anknüpfen müsse, doch habe man auch die »Ver-
   Bauverzögerungen waren schon 1966 zu kon-       pflichtung und Verantwortung […], Potsdam ein
statieren und laut Aktenvermerk hatte man          eigenes sozialistisches Gesicht zu geben«.14
bereits im August desselben Jahres, also noch         Die Breite Straße wurde nun zur sozialisti-
vor Ulbrichts Besuch, den Baustopp sowie den       schen Magistrale des neuen Potsdams umgebaut,
Abriss beschlossen. Lediglich die Sprengungen      wobei das Karl-Liebknecht-Forum (1979 – 1982) 15
erfolgten im Mai und Juni 1968. Bemerkenswert      und das Hochhaus des Interhotels Potsdam
ist, dass »bekannte und unbekannte Bürger der      (1969) den Beginn bildeten. Weitere Vorzeige-
DDR , Architekten, Denkmalpfleger, Historiker,     bauten wie das Ernst-Thälmann-Stadion (1949),
Nationalpreisträger und staatlich geehrte Kul-     die Seerose (1980 – 1983) sowie Wohnungsbauten
turschaffende vereint ihre Stimmen zur Rettung     und Studentenwohnheime reihten sich entlang
der bedrohten Kirche« 12 erhoben und ein für       der Straße aneinander.
DDR-Verhältnisse ungewohnter, immer größer            Im Generalplan der baukünstlerischen Ge-
werdender Protest einsetzte, sodass der genaue     staltung des Stadtzentrums von 1968 ist der
Termin der Sprengung geheim gehalten wurde.        Breiten Straße und ihrem Bedeutungswan-
                                                   del gleich ein ganzer Absatz gewidmet: »Die
                                                   ehemals bedeutendste städtebauliche Achse
II. Die Breite Straße und das                      Potsdams […] erfährt in der städtebaulichen
Rechenzentrum                                      Grundstruktur eine totale Wandlung. Mit der
                                                   Ausweitung des Rechenzentrums am Standort
Nach der Sprengung der Garnisonkirche rückte       Plantage, der Ausweisung der Bauvorhaben der
die Breite Straße ins Zentrum der städtebauli-     Bauindustrie und der Vorhaben der Volksbil-
chen Neugestaltung Potsdams. Das Ziel dieser       dung (Internat) in dem weiteren Abschnitt der
Neugestaltung wurde in dem im November 1968        Wilhelm-Külz-Straße und an der Plantage wird
entstandenen Entwurf Ideologisch-ästhetische       die Wilhelm-Külz-Straße zur Leitlinie Potsdam
Vorgabe für die bildkünstlerische Konzeption,      – eine sozialistische Bezirksstadt. Damit ist eine
an dem – wie an späterer Stelle noch genauer       politisch-ideologische Aufwertung der Wil-

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Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...
2 Architektenkollektiv um Sepp Weber, Rechenzentrum, 1968 – 1971. Potsdam

helm-Külz-Straße gegenüber ihrem heutigen                und durch eine im wesentlichen neue Bebauung
funktionalen Wert gegeben. Das Grundthema                einen völlig anderen Charakter erhalten wird.
der Leitlinie bezüglich der bildkünstlerischen           Bedenkt man, daß im Städtebild als angenehm
Gestaltung ist: die Entwicklung des sozialis-            empfundene Ablenkungen und optische Höhe-
tischen Menschenbildes bei der Beherrschung              punkte wie die Brücke über dem Stadtkanal
der objektiven Prozesse der wissenschaftlich-            oder der Turm der Garnisonkirche dann nicht
technischen Revolution. Den gestalterischen              mehr vorhanden sein werden, die Straße aber
Schwerpunkt in diesem Abschnitt bildet das               krümmungslos bis zur Leninallee verläuft, wird
Rechenzentrum. Die gewählten Mittel haben                klar, daß zwischen Eingang Leninallee und
der Bedeutung des Standortes Rechnung zu                 Liebknechtforum optische ›Bremsen‹ nicht nur
tragen.« 16 Somit ging es nicht nur um eine all-         architektonisch, sondern auch bildkünstlerisch
gemeine politisch-ideologische Aufwertung                plastisch eingefügt werden müssen. Der geeig-
der Breiten Straße, sondern auch spezifisch um           netste Standort hierfür ist das Gebiet Rechen-
die Rolle des »sozialistischen Menschen in der           zentrum. Hier sollte in der Mitte der Achse
wissenschaftlich-technischen Revolution«, die            die Straße plastisch überspannt werden. Darin
sich in der Ausgestaltung des als Zentrum die-           könnte sich wegen der guten Sichtbeziehungen
ser Anordnung gedachten Rechenzentrums zu                innerhalb der langen geraden Achse vom Lieb-
manifestieren hatte.                                     knechtforum und von der Leninallee her der
   Gleichzeitig sollte das Rechenzentrum durch           Geist dieser Straße, vom Rechenzentrum ge-
die nach hinten versetzte Anordnung und durch            prägt, konzentrieren.« 17
sein bildnerisches Konzept als eine Art ›Bremse‹            Das Rechenzentrum war mithin in stadt-
im geradlinigen Verlauf der repräsentativen              planerischer Hinsicht nicht nur relevant für die
Straße dienen, wie die folgenden Ausführun-              sozialistische Magistrale, es eignete sich auch als
gen belegen: »Die Lage des Hotels [Interhotel            Sinnbild der ›wissenschaftlich-technischen Re-
Potsdam] und des Rechenzentrums auf dieser               volution‹. In der DDR waren in den Rechenzen-
Linie bestimmen im Augenblick unsere Über-               tren meist Organisationsabteilungen integriert.
legungen, die davon ausgehen, daß dieser Stra-           Deshalb wurden sie auch als ›Organisations-
ßenzug durch die Durchführung zur Leninallee             und Rechenzentren (OR Z )‹ bezeichnet. Vielfach

Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                          95
Zeitschrift für Kunstgeschichte - Journal of Art History Revue d'histoire de l'art Rivista di Storia dell'Arte 1.2020 Jahrgang 83 - Fachhochschule ...
waren sie administrativen Stellen wie Finanz-        in der DDR durch Kunst-am-Bau-Projekte un-
verwaltungen, Forschungseinrichtungen, Hoch-         terstützt.25 Zwar beschrieb die DDR-Verfassung
schulen oder Betrieben zugeordnet.18 Tatsächlich     1949 die Unterstützung der Kunst noch recht all-
bemühte sich die DDR ebenso wie die anderen          gemein, doch die vom Ministerpräsidenten Otto
staatssozialistischen Gesellschaften um den          Grotewohl ein Jahr später formulierte Kulturver-
Einstieg in das Informationszeitalter. Insbeson-     ordnung enthielt schon sehr konkrete Forderun-
dere vor dem Hintergrund technokratischer            gen: »Bei allen im Investitionsplan vorgesehenen
Reformen und der Kybernetik-Euphorie in den          Neubauten und Wiederinstandsetzungen von
1960er Jahren sowie einer allgemein von Tech-        Verwaltungsgebäuden sind 1 bis 2 % der bewil-
nikoptimismus geprägten gesellschaftlichen At-       ligten Bausummen für die künstlerische Aus-
mosphäre galt die elektronische Rechentechnik        gestaltung der Räume mit Werken volksnaher
und Datenverarbeitung als Schlüssel für den ra-      und realistischer Kunst vorzusehen.« 26 An die
tionalistisch-staatssozialistischen Fortschritt in   Vorgaben zur Bausumme schlossen sich künst-
den zentralen Bereichen Wissenschaft und Tech-       lerische Zielsetzungen zu Stil und Inhalt an.27
nik.19 Die Rechenzentren waren architektonisch-         Das Geld konnte für Wandbilder, Sgraffiti,
technische Marker ebendieses Fortschritts.           Re­liefs und Bauplastiken sowie für frei vor den
   Von einem Architektenkollektiv um Sepp            Bau­ ten platzierte oder angebrachte Gemälde,
Weber entworfen,20 wurde das Rechenzentrum           Grafi­ken und Plastiken verwendet werden.28 An
(Abb. 2) in Potsdam zwischen 1969 und 1971           der Vergabe solcher baugebundenen Kunst wa-
erbaut.21 Über das Erdgeschoss verteilte sich Ei-    ren die unterschiedlichsten O ­ rganisationen be-
sels Mosaikfries. Mosaike oder Wandmalereien         teiligt. Die Planträger entschieden über die Höhe
wurden in dieser Zeit vielfach an öffentlichen       der Kosten, mussten jedoch bei Gestaltungs­
Bauten angebracht. Diese Zusammenführung             fragen die Staatliche Kommission für Kunst-
von Architektur und bildender Kunst wurde von        angelegenheiten und bei Objektfragen den Ver-
der SED -Führung nicht nur gefördert, sondern        band Bildender Künstler (VBK ) hinzuziehen.
auch gefordert.                                      Größere Vorhaben wurden über Wettbewerbe
                                                     vergeben, die von der staatlichen Auftrags-
                                                     kommission ausgeschrieben wurden. Allerdings
III. Baugebundene Kunst                              kam an dieser zentralen Vergabe bald Kritik
                                                     aufseiten von Künstlern und Bezirksräten auf,
Als Kunst am Bau bzw. »baugebundene Kunst«,          die letztlich dazu führte, dass diese Aufgabe ab
so die DDR-Begrifflichkeit, werden staatlich fi-     1957 zunächst zeitweise und nach der 2. Bitter-
nanzierte Kunstwerke an (öffentlichen) Gebäu-        felder Konferenz 1964 endgültig den jeweiligen
den bezeichnet.22 In Deutschland entstand Kunst      Bezirksauftrags- und Gutachterkommissionen
am Bau zunächst zögerlich während der Weima-         für Bildende Kunst übertragen wurde. Für diese
rer Republik. Anfänglich wurden die Aufträge         Zuweisung war dabei zum einen das »künst-
von Kommunen, Ländern, Privatleuten und              lerisch-ideologische Konzept für den gesamten
Unternehmen erteilt,23 doch mit dem Beginn des       Baukomplex« entscheidend, zum anderen sollte
staatlichen Hochbaus trat auch zunehmend der         der Bildinhalt der »technisch-ökonomischen
Staat als Auftraggeber in Erscheinung. Die Ziele     Zielstellung« entsprechen. Besonders prägnant
des staatlichen Engagements lagen nicht vor-         formulierte Ulbricht 1968 die Ansprüche an die
rangig im Ästhetischen, sondern primär darin,        Baukunst in einem Brief an den Präsidenten des
den Künstlern Arbeit zu verschaffen.24 Nach dem      ostdeutschen Bundes Deutscher Architekten,
Zweiten Weltkrieg wurden diese in der BR D wie       Edmund Collein: »Mehr denn je gilt es, mit den

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Mitgliedern der Baukunst dazu beizutragen, das            trauliches Dokument des Verbands preis. In
Streben der Bürger unseres Staates nach einem             diesem wird er als ein Künstler gelobt, der »offen
kulturvollen Leben in schönen Städten und Dör-            die Politik unserer Partei vertritt« und sich nicht
fern zu fördern, den Stolz auf ihre sozialistische        wie viele andere Künstler durch die Kulturpolitik
Heimat zu vertiefen und das gewachsene in-                eingeengt fühle.36
ternationale Ansehen weiter zu erhöhen.« 29 Wie              In seinen Malereien dominieren den Forde-
im Folgenden noch dargelegt wird, galten solche           rungen des Sozialistischen Realismus entspre-
Bestimmungen auch bei der Wahl des Mosaiks                chend Porträts, Aktbilder, Tierdarstellungen,
am Potsdamer Rechenzentrum.                               Stillleben, Landschafts- und Brigadebilder.37
                                                          Doch auch hilflose und schutzbedürftige Kinder
                                                          waren immer wieder sein Thema. Für eine seiner
IV. Der Künstler Fritz Eisel                              umfangreichsten Arbeiten unterzeichnete er
                                                          am 7. April 1966 einen Vertrag mit dem Rat des
Fritz Eisel arbeitete ab 1957 als freischaffender         Bezirks Potsdam, der festhielt, dass Eisel »an-
Künstler in Dresden und Potsdam und ab 1965               lässlich des 50. Jahrestages der Sozialistischen
als Leiter der historischen Gedenkstätte Cecilien-        Oktoberrevolution 1967 […] 6 Tafelbilder für
hof.30 Seinen beruflichen Höhepunkt erreichte er          das Haus des DSF in Potsdam« schaffen sollte.38
1970 mit seiner Ernennung zum Professor für Ma-           Seine künstlerischen Arbeiten wurden regel-
lerei an der Hochschule für Bildende Künste Dres-         mäßig in der Bildenden Kunst, der wichtigsten
den, die er ab 1975 als Rektor leitete.31 In den 1970er   Kunstzeitschrift der DDR , besprochen, für die er
Jahren bereiste er, wie viele andere Künstler der         selbst zahlreiche Aufsätze zu künstlerischen und
DDR , sozialistische Staaten wie die Volksrepublik        kulturpolitischen Themen verfasste.39
Vietnam und die Mongolische Volksrepublik.32                 Auffallend ist dabei jedoch, dass in fast allen
Dass Eisel sich explizit als ein sozialistischer          Katalog- und Zeitschriftenbeiträgen ausschließ-
Künstler verstand, wird an der inhaltlichen und           lich sein malerisches Œuvre erörtert wird. Seine
formalen Ausrichtung seiner im Stil des Sozialis-         baugebundenen Arbeiten hingegen wurden
tischen Realismus gemalten Kunstwerke ebenso              nicht einmal erwähnt; sie seien deshalb hier ge-
ablesbar wie an den von ihm besetzten Positionen          nannt. Am 20. Mai 1965 unterschrieb Eisel einen
als Rektor und als stellvertretender Vorsitzender         Werkvertrag für die Eisenskulptur Kosmonaut
des VBK im Bezirk Potsdam sowie an seiner Mit-            (3,5 × 5,5 m), deren Auftraggeberin die Direktorin
gliedschaft in der Jugendbrigade der Deutsch-             der Oberschule Niederlehm war.40 Am 22. Juli
Sowjetischen Freundschaft (DSF ) im Rohrwerk              1967 einigte er sich mit dem Bezirkslandschafts-
III des VEB Rohrkombinats Stahl- und Walz-                rat über die Anfertigung des Glasfensters Obst-
werk Riesa.33 Auch in Interviews und in von ihm           bau-Gartenkultur (9 × 3 m) in Antikglas für die
verfassten Artikeln kommt Eisels Begeisterung             Fachschule für Obstbau in Werder.41 Ein weite-
für die »sozialistische Kunst« zum Ausdruck.34 So         res Abkommen für baugebundene Kunst unter-
vertrat er die Ansicht, dass sich Künstler dezidiert      zeichnete er am 28. Februar 1968. Hauptinvestor
mit den wesentlichen gesellschaftlichen und po-           war die Organisation Komplexer Wohnungs-
litischen Prozessen und Ereignissen wie beispiels-        bau Potsdam und Hauptplanträger der Rat des
weise Parteitagen auseinandersetzen sollten. Der          Bezirkes Potsdam. Der Vertrag sah ein Mosaik
VII . Parteitag der SED solle, so der Künstler, »uns      mit dem Titel Der Mensch erforscht und steuert
allen neue Hilfe sein, im Kampf um das, was wir           die Prozesse der Natur (2,5 × 12 m) für den Schul-
erstreben«.35 Wie Eisels politisches Engagement           neubau Kleinmachnow vor.42 Dieses Mosaik ist
innerhalb des VBK gesehen wurde, gibt ein ver-            aufgrund der thematischen Ähnlichkeit eine Art

Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                           97
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Vorarbeit für den Potsdamer Fries. Außerdem           setzung für die sozialistische Umgestaltung und
entwarf Eisel im Jahr 1969 als Dekorationsele-        die künstlerische Widerspiegelung unserer neuen
mente für das Interhotel Potsdam einen Wand-          Menschengemeinschaft mit ihren sozialistischen
teppich (Weberin Dettmar, Neuruppin) für den          Persönlichkeiten.« 46 Darüber hinaus sollte er den
Raum Rouen und eine Betonglaswand.43                  Rat der Stadt Potsdam wissenschaftlich beraten.
                                                      Demnach setzte sich auch er für eine Verknüp-
                                                      fung von Architektur und Kunst ein und sorgte
V. Die Entscheidungsträger                            für die Einhaltung der ideologisch-ästhetischen
                                                      Richtlinien der SED. Mitglied im Gestalterischen
Bei der Vergabe baugebundener Arbeiten spielen        Rat war neben Eisel auch der Architekt des Re-
die Entscheidungsträger eine zentrale Rolle. In       chenzentrums Sepp Weber.
Potsdam waren für die Stadtgestaltung im Sinne           Konkrete Vorgaben für das Rechenzentrum
des Generalplans der baukünstlerischen Gestal-        und das Mosaik legte der Rat der Stadt in der An-
tung des Stadtzentrums von 1968 verschiedene          lage zur bildkünstlerischen Konzeption fest. Der
Organe wie die Arbeitsgruppe künstlerische            Standort sollte an der Plantage sein und das Mo-
Gestaltung der Stadt, der Gestalterische Rat und      saik im Erdgeschoss angebracht werden, wo eine
der Technisch-Gestalterische Rat zuständig.           Betriebsgaststätte geplant war. Darzustellen wa-
Dass Eisel in allen drei Gremien Mitglied war,        ren die »Kybernetik und Mathematik im Dienst
hat ihm bei der Vergabe von baugebundenen Ar-         der Menschheit«, die Mosaike hatten somit einen
beiten sicherlich genutzt. In der Arbeitsgruppe       Einblick in die Funktion des Gebäudes zu geben.
künstlerische Gestaltung der Stadt arbeitete er       In dieser Anlage wurde zudem festgehalten, dass
unter der Leitung des Potsdamer Stadtarchitek-        die künstlerische Ausgestaltung durch Eisel
ten Werner Berg. Diese Arbeitsgruppe war seit         erfolgen sollte. Als Nutzer des Rechenzentrums
dem 4. Oktober 1966 für die künstlerische Ge-         wurden die Deutsche Versicherungsanstalt und
staltung der Innenstadt zwischen Platz der Ein-       die Datenverarbeitung genannt, die Verantwor-
heit und Freundschaftsinsel zuständig, später         tung für den Bau lag in den Händen des Bezirks-
wurde ihr Aufgabengebiet erweitert. Sie sorgte        baudirektors Schütt.47 Am 2. Juni 1969 kam es
dafür, dass der Innenstadtbereich ein sozialisti-     schließlich zwischen dem Rat des Bezirkes als
sches Gepräge erhielt. Ferner leitete sie die neuen   Auftraggeber und Eisel als Auftragnehmer zum
bildkünstlerischen Projekte und überprüfte, ob        Abschluss eines Vertrags über die »Gestaltung
diese den ideologisch-ästhetischen Vorgaben           von 18 Feldern Mosaik 3,30 × 3,00 m zwischen
der Partei entsprachen. Vorrangig aber war die        tragenden Stützen am Erdgeschoß des Funk-
Arbeitsgruppe für die Konzipierung baugebun-          tionsgebäudes am Datenverarbeitungszentrum
dener Kunst verantwortlich.44                         des Bezirks Potsdam«.48
   Noch größeren Einfluss übte der Gestalteri-
sche Rat aus. Grundlage seiner Arbeit waren »die
Beschlüsse des VII . Parteitages der SED , des        VI. Das Mosaik
Staatsrates der DDR vom 30. November 1967 und
vom 18. Oktober 1968 sowie die […] gesetzlichen       Der extra für den Bau konzipierte Mosaikzyklus
Bestimmungen und Beschlüsse der Stadtver-             erstreckt sich über drei Seiten des Erdgeschos-
ordnetenversammlung Potsdam«.45 Die Statuten          ses.49 Es handelt sich um eine Arbeit in situ, die
beschreiben seine zentralen Aufgaben wie folgt:       ungewöhnlicherweise mit einem einzelnen Bild
»Herausbildung der Synthese zwischen Städte-          an der westlichen Nordseite beginnt und in
bau, Architektur und bildender Kunst als Voraus-      traditioneller westlicher Leserichtung von links

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nach rechts über die West- bis auf die Südseite
reicht. Die Platten bestehen aus in Beton ein-
gelassenen Mosaiksteinen.50 Abweichend von
den gängigen Vorgaben für baubezogene Kunst-
werke in der DDR kombinieren die erste und die
vorletzte Platte des Zyklus jeweils Text und Bild.51
   Das Mosaik von Eisel läuft bis heute in fast
allen Veröffentlichungen unter dem Titel Der
Mensch bezwingt den Kosmos, in seltenen Fällen
lautet er, leicht abweichend, auch Der Mensch be-
siegt den Kosmos. Er wurde schon im DDR-Ar-
chitekturführer Bezirk Potsdam aus dem Jahr
1981 verwendet und existierte demgemäß bereits
vor dem Mauerfall.52 Da die baugebundenen Ar-
beiten in Eisels Katalogen fehlen und es so keine
Autorisierung durch den Künstler gibt, ist es al-      3 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 1),
                                                       1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum
lerdings fraglich, ob dieser Titel überhaupt tref-
fend ist und ob er die Interpretation der Arbeit
nicht sogar einengt. Gleichwohl gibt es Aussagen       für Denkmalpflege Potsdam 1991 das Mosaik mit
Eisels zu seinem Mosaik; so geht er in einem           Mensch und Wissenschaft und fasst das Thema
Interview in der Beschreibung des Motivs weit          damit wesentlich weiter.56 Zurückführen lässt
über die Narration einer bloßen Kosmosbezwin-          sich die Formulierung Der Mensch bezwingt
gung hinaus, wenn er formuliert, dass sich der         den Kosmos möglicherweise darauf, dass in der
Zyklus »mit der elektronischen Datenverarbei-          Bezirksausstellung Architektur und bildende
tung zwischen der Einsteinschen Relativitäts-          Kunst zum 20. Jahrestag der DDR von 1969 eine
formel E = m · c 2 und dem Marxschen Gesetz von        Modellplatte unter dieser Bezeichnung gezeigt
der Ökonomie der Zeit« befasse.53 In einer ähn-        wurde und so auch im dazugehörigen Katalog
lichen Weise wird das Mosaik in einer Direktive        gelistet war.57
des Rates der Stadt Potsdam zur künstlerischen            Der Titel Der Mensch bezwingt den Kosmos
Umweltgestaltung erläutert. Darin heißt es, dass       umreißt den Zyklus demnach inhaltlich nur un-
Eisels Zyklus die »Wissenschaft im Sozialis-           vollständig und er verstellt offensichtlich auch
mus« und die »Kybernetik im Dienste des Fort-          den Bezug zum Rechenzentrum. Es ist für das
schritts« thematisiere.54 Übergreifend sollte sich     Verständnis von Eisels Arbeit aber von elemen-
das Mosaik am GOELRO -Plan aus den 1920er              tarer Bedeutung, dass sie sich nicht schlicht nur
Jahren zur Elektrifizierung der Sowjetunion            den Fortschritten in der Kosmologie oder der
orientieren, womit man politisch an die damit          Raumfahrt der sozialistischen Staaten widmet.
verbundene Modernisierungs- und Fortschritts-          Sie reflektiert vielmehr auf einer übergreifenden
euphorie anknüpfen wollte. Der Zweifel am Titel        Ebene den allgemeinen Fortschrittsglauben und
und damit am Sujet des Mosaiks wird durch die          Technikoptimismus des sogenannten wissen-
Zeitschrift Bildende Kunst + Architektur aus dem       schaftlichen Sozialismus und rekurriert zugleich
Jahr 1976 gestützt, in der die Motive als »Aspekte     auf einer konkreten Ebene auf die ›wissenschaft-
der elektronischen Datenverarbeitung« bezeich-         lich-technische Revolution‹, die die SED 1964
net werden.55 Auch Christiane Theiselmann be-          ausrief, indem sie die Wissenschaft zusätzlich zu
titelt in ihrem Gutachten im Auftrag des Amtes         Boden, Arbeit und Kapital zur Produktivkraft

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4 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 2, 3 und 4), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

             erklärte.58 Kurz, das Mosaik ist eben auch künst-             weise die zweite und die vierte Platte bei der
             lerisch-öffentlichkeitswirksamer Ausdruck einer               Anbringung vertauscht (die ursprünglich vierte
             ideologisch geprägten und spezifisch ostdeut-                 Platte wurde zudem fälschlicherweise um 180
             schen Technophilie.59 Eine genaue Betrachtung                 Grad gedreht), wodurch die realistisch anmu-
             der einzelnen Mosaikplatten soll dies im Folgen-              tende, eigentlich zusammenhängende Planeten-
             den untermauern.                                              landschaft des Hintergrundes kaum mehr zu er-
                Die erste Platte (Abb. 3) suggeriert eine grau-            kennen ist – ein Fehler, der nie korrigiert wurde,
             schwarze Schultafel vor einem rot-braunen Hin-                obwohl dies technisch möglich gewesen wäre
             tergrund, auf der »E = mc 2« geschrieben steht.               (Abb. 5). Eisels Enkel Jörg Kalkbrenner sieht da-
             Der Zyklus beginnt also mit der bekannten Ein-                rin eine künstlerische Geste: »Der Künstler hat
             stein’schen Formel im Kontext der speziellen                  die versetzte Anordnung genau so gewollt, damit
             Relativitätstheorie. Die Formel dient in diesem               die Sache etwas spannender wird. Einige Kunst-
             Zusammenhang – vollkommen unabhängig da-                      beflissene haben es bis heute nicht begriffen, dass
             von, ob ihr Sinngehalt nicht zuletzt wegen ihrer              es halt keine Kunst ist, die Erde immer nur schön
             Inkompatibilität mit den Alltagsbegriffen von                 [zu] zeigen.« 61 Hier spricht Kalkbrenner jedoch
             Raum und Zeit womöglich nicht allgemein ver-                  aus seinem eigenen zeitlichen Kontext, denn
             standen wurde – als eine Art Chiffre für die Na-              in der DDR stand eine solche freie Auffassung
             turwissenschaften, für die theoretische Physik                künstlerischer Gestaltung nicht nur der gän-
             und eventuell auch für die damals als zukunfts-               gigen Kunstvorstellung entgegen, sie war auch
             weisend geltende Kernforschung: Sie ist dem-                  explizit nicht gewollt. Da Eisel diese politische
             nach nicht nur ein Zeichen für die Äquivalenz                 Idee von Kunst selbst vertrat, wird er über die
             von Masse und Energie im Speziellen, sondern                  Vertauschung vermutlich nicht erfreut gewesen
             auch für Modernität und einen auf Technik und                 sein. Sie erweist indes, dass die geforderte ein-
             Wissenschaft basierenden Fortschrittsoptimis-                 fache Lesbarkeit des Mosaiks nicht zwingend
             mus im Allgemeinen.60                                         für jedermann gegeben war, wurde doch bereits
                Die zweite, dritte und vierte Platte (Abb. 4)              bei der Anbringung des Zyklus die Zusammen-
             sind als eine Einheit konzipiert. Auf der mitt-               gehörigkeit der Platten nicht gesehen.
             leren ist ein Raumschiffausstieg wiedergegeben.                  Auf der zweiten Platte dieses zusammenhän-
             Ungeachtet aller Technikbegeisterung, die aus                 genden Bildes (die eigentlich, um 180 Grad zu-
             Eisels Mosaik spricht, wurden interessanter-                  rückgedreht, an vierter Position stehen müsste)

             100                                                                        Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
5 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 4, 3 und 2), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

ist in weiter Ferne hinter der Planetenlandschaft            Auf der dritten Platte des Eisel’schen Mosaiks
ein weiterer Planet platziert. Als Vorlage für diese         findet ein weiterer Meilenstein der Raumfahrt
Darstellung könnten Fotografien gedient haben,               sein Echo.64 Nachdem 1957 die Hündin Laika in
denn in der Astrophysik wurden ebensolche seit               Sputnik 2 als erstes Lebewesen in die Erdumlauf-
den 1880er Jahren genutzt. Durch ihre mecha-                 bahn gebracht worden war und der sowjetische
nische Entstehung und ihre vermeintliche tech-               Kosmonaut Juri Gagarin 1961 mit seiner Erd-
nische Objektivität wurden sie als ein von der               umrundung den ersten bemannten Weltraum-
menschlichen Hand unberührtes wissenschaftli-                flug bewältigt hatte, gelang dem sowjetischen
ches Beobachtungsinstrument aufgefasst. Trotz-               Kosmonauten Alexei Archipowitsch Leonow
dem wurden die analogen Bilder vielfach durch                am 18. März 1965, lediglich durch einen Raum-
schärfere Linien und gesteigerte Kontraste oder              anzug geschützt, für zwölf Minuten der erst-
veränderte Schatten für den Druck retuschiert.               malige Ausstieg aus dem Raumschiff Woschod 2
Auch in der bemannten Raumfahrt der 1960er
Jahre zählte die fotografische Dokumentation
zu den Hauptaufgaben der Astronauten, wobei
diese Aufnahmen in ihrer Tiefenschärfe, Detail-
fülle und ihrem Farbwert ebenfalls nachträglich
modifiziert wurden, damit sie den Sehgewohn-
heiten des Betrachters entsprachen.62
   Obwohl Eisels Mosaikentwurf wahrschein-
lich schon vorher existierte, weist er eine ver-
blüffende Ähnlichkeit mit Earthrise (Abb. 6) auf,
der bekanntesten fotografischen Darstellung der
Erde aus dem Weltraum, die am 24. Dezember
1968 erst in Schwarz-Weiß vom US -ameri-
kanischen Astronauten Frank Borman und
anschließend in Farbe von seinem Kollegen
William Anders aufgenommen wurde.63 Dieses
Bild schrieb Geschichte und prägte weltweit
die Vorstellung von der Erde als blauer Kugel.               6 William Anders, Earthrise, 24. Dezember 1968

Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                                  101
7 Alexei Leonows erster Ausstieg in den Weltraum (Woschod 2),               8 Alexei Leonows erster Ausstieg in den
18. März 1965                                                              ­Weltraum (Woschod 2), 18. März 1965

in den Weltraum (Abb. 7).65 Ebendiesen Ausstieg               hier die sowjetische Raumfahrt thematisiert
scheint das Mosaik zu zeigen, obgleich es sich bei            (Abb. 8). Ob er für seine Darstellung Fotografien
dem wiedergegebenen Raumschiff wohl eher um                   als Vorlage genutzt hat und, wenn dem so sein
eine Version des Vorgängermodells Wostok han-                 sollte, welche, ist nicht mit letzter Sicherheit
delt.66 Die gut sichtbaren Buchstaben »CCCP«                  zu bestimmen. Entsprechendes Material stand
am Helm des Kosmonauten belegen, dass Eisel                   reichlich zur Verfügung, denn schließlich fand

9 Der erste Mensch schwebte frei im kosmischen Raum, in: Berliner Zeitung, 19. März 1965; So schritt der Mensch ins All,
in: Neues Deutschland, 17. Juni 1965

102                                                                        Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
das Space Race zwischen Ost und West auch me-
          dial Niederschlag. So waren zwar hauptsächlich
          fotografische Aufnahmen aus dem Kontext des
          sowjetischen Raumfahrtprogramms inklusive
          des Ausstiegs Leonows in ostdeutschen Print-
          medien wie etwa dem Neuen Deutschland oder
          der Berliner Zeitung (Abb. 9) präsent,67 aber auch
          über den Raumschiffausstieg des US -amerika-
          nischen Astronauten Edward Higgins White
          aus der Kapsel Gemini 4 am 3. Juni 1965 wurde
          ausführlich und bebildert berichtet (Abb. 10).
          Jedenfalls weist die Mosaikplatte von Eisel eine                11 Edward Higgins Whites erster Ausstieg in den Welt-
                                                                          raum (Gemini 4), 3. Juni 1965
          frappierende Ähnlichkeit mit dem bekannten
          Foto von White auf (Abb. 11).68
             Die ersten drei zusammenhängenden Platten                    rabolantenne, wie sie als astronomisches Radio-
          (Platte 2 –4) sind durch sechs Stahlgitter, hinter              teleskop und zur Kommunikation mit erdnahen
          denen die Trafostation stand, von den nächsten                  Satelliten oder zur Überwachung und Steue-
          drei zusammenhängenden Platten (Platte 5 – 7;                   rung von interplanetaren Raumflugkörpern
          Abb. 12) getrennt. Die fünfte Platte zeigt eine Pa-             verwendet werden kann.69 Hier scheint die Pa-

10 Kamera fixierte: White im All, in: Berliner Zeitung, 10. Juni 1965; Woßhod und Gemini, in: Neue Zeit, 17. Juni 1965

          Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                                     103
12 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 5, 6 und 7), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

rabolantenne tatsächlich auf den interplanetaren             gelesen, stattdessen als eine Aneinanderreihung
Raum ausgerichtet zu sein. Während sich im                   von Einzelplatten oder Zweiergruppen wahr-
Hintergrund über die sechste und siebte Platte               genommen. Dies resultiert vor allem daraus,
die Oberfläche eines Planeten, von der Wärme-                dass die zwischen die Platten gesetzten, etwa
oder Lichtstrahlen, vielleicht auch Gaseruptio-              25 cm breiten Betonstreben optisch stark tren-
nen ausgehen, im Ausschnitt ausdehnt, besetzt                nende Elemente sind und so eine Einzelbetrach-
den Vordergrund der siebten Platte ein heller,               tung suggerieren. Ferner kalkulierte Eisel in
gelb-rot und teilweise grün schimmernder Pla-                seinen Mosaiken teilweise Abstände mit ein, wo-
net oder Satellit. Form und Größe lassen an                  durch zwischen den Bildern kleine Lücken ent-
Sputnik 1 aus dem Jahr 1957 denken, jedoch fehlt             standen und die Übergänge nicht ganz akkurat
der lange Schweif aus mehreren Metallstäben.70               sind. Ein weiterer Grund für diese Lesart besteht
   Auf der Südseite des Rechenzentrums er-                   in der Tatsache, dass einige Platten thematisch
streckt sich ein weiteres zusammenhängendes                  enger zueinander gehören als andere. So ver-
Bild, dieses Mal über sechs Platten (Platte 8 – 13;          binden drei Düsenflugzeuge am Himmel die
Abb. 13). Es wurde bislang nicht als Gesamtheit              achte und neunte Platte. Auf der achten Platte ist

13 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 8 – 13), 1969 –1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

104                                                                       Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
im Vordergrund die Gitterantenne eines Rund-
suchradars platziert. Die Düsenjäger in dieser
und der neunten Platte scheinen als MiG-25 zu
identifizieren, ein sowjetisches, dreifache Schall-
geschwindigkeit erreichendes Modell, dass sich
kurz vor der Serienreife befand und bereits
mehrere Geschwindigkeits- und Höhenrekorde
gebrochen hatte. Die Darstellung dieser Kampf-
flugzeuge erinnert daran, dass die auf den Gebie-
ten der Wissenschaft und Technik ausgetragene
Systemkonkurrenz eben auch eine militärische
war.71                                                14 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 14),
   Auf der zehnten und elften Platte ist im Aus-      1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

schnitt eine Raketenstartrampe dargestellt, aus
der Feuer und Rauchwolken aufsteigen, die sich
auch über die neunte Platte ziehen. Im Vorder-        industriellen Werkgeländes miteinander ver-
grund der elften Platte steht vor einer Rechen-       bunden. Alle drei Personen tragen Arbeitskittel,
maschine eine den Betrachter anblickende junge        sie repräsentieren den neuen (Wissens-)Arbeiter,
Frau, möglicherweise die Ehefrau des Künstlers,       der seine Tätigkeit mithilfe von Technik und
Christa Eisel.72 Technische Geräte und leitende       Wissenschaft bewältigt – ein expliziter Bezug auf
Arbeiter sind ebenso auf der zwölften und 13.         das Marx-Zitat auf der noch zu diskutierenden
Platte zu sehen. Auf der zwölften Platte sind ein     17. Platte.
Mann und eine Frau hinter einem mit Papieren             Die 14. Platte (Abb. 14) schildert den Start ei-
bedeckten Planungstisch platziert. Während er         ner sowjetischen Trägerrakete. Die Darstellung
den Betrachter ansieht, wendet sie sich, etwas        steht eher für sich allein, obwohl sie thematisch
hinter dem Mann positioniert, ihm zu. Auf dem         den Raketenstart auf der zehnten und elften
Mosaik rechts daneben ist ein an einem Com-           Platte aufgreift und der im Vordergrund ange-
puter oder einer Schaltstelle sitzender Mann in       deutete Fensterrahmen zunächst den Eindruck
Rückenansicht wiedergegeben. Beide Szenen             erweckt, als handle es sich um einen Ausblick
sind durch den gemeinsamen Hintergrund eines          aus dem Fenster des Raums auf der vorangehen-

Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                              105
15 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 15 und 16), 1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

den Platte. Doch ein klar benennbarer formaler               die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc.
Übergang ist hier nicht gegeben. Verwirrung                  zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu
stiftet darüber hinaus das Größenverhältnis                  andrer Produktion, materieller oder geistiger.
zwischen Rakete und Fensterausschnitt: Da von                [Wie bei einem einzelnen Individuum hängt die
der Rakete lediglich ihre unteren Booster erfasst            Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses
sind, wirkt es, als befinde sie sich sehr nah vor            und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab.] Öko-
dem Fenster – in diesem Falle wäre sie unge-                 nomie der Zeit, darin löst sich schließlich alle
wöhnlich groß.                                               Ökonomie auf. [Ebenso muß die Gesellschaft
    Die 15. und 16. Platte (Abb. 15) gehören wie-            ihre Zeit zweckmäßig einteilen, um eine ihren
der zweifelsfrei zusammen. Links bedienen                    Gesamtbedürfnissen gemäße Produktion zu
zwei Männer in weißen Kitteln eine Schaltzen-                erzielen; wie der einzelne seine Zeit richtig ein-
trale mit Großrechner, während über ihnen im                 teilen muß, um sich Kenntnisse in angemeßnen
Hintergrund zwei Planeten schweben. Vor der                  Proportionen zu erwerben oder um den ver-
Schaltzentrale fährt rechts ein Mähdrescher auf              schiednen Anforderungen an seine Tätigkeit
einem Weizenfeld: Auch die landwirtschaftliche               Genüge zu leisten.] Ökonomie der Zeit sowohl
Arbeit erfolgt mit technischem Gerät und wis-                wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf
senschaftlicher Expertise.                                   die verschiednen Zweige der Produktion bleibt
    Die 17. Platte (Abb. 16) steht erneut für sich.          also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage
Sie ist die zweite Textplatte des Zyklus. Zu lesen           der gemeinschaftlichen Produktion.« 73 Marx
ist auf ihr ein Zitat von Karl Marx zur Öko-                 setzte sich vehement gegen die industrielle Ar-
nomie der Zeit aus dem Kapitel zum Geld aus                  beitsteilung ein, da er sie als Grund für die Ent-
den Notizen der Grundrisse der Kritik der po-                fremdung der Arbeiter von ihrer Arbeit ansah.
litischen Ökonomie. Eisel kürzte den Text um                 Dies bedeutete aber nicht, dass er ein Gegner des
zwei Passagen. Diese Aussparungen sind im                    technischen Fortschritts war. Ganz im Gegen-
Folgenden zum besseren Verständnis des Zitats                teil, wie das Zitat zur Ökonomie der Zeit beweist:
in Klammern wieder eingefügt: »Je weniger Zeit               Technik solle dem Menschen die Arbeit erleich-

106                                                                       Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
16 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 17),   17 Fritz Eisel, Der Mensch bezwingt den Kosmos (Platte 18),
1969 –1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum                    1969 – 1972, Mosaik. Potsdam, Rechenzentrum

tern, sodass er diese schneller erledigen und                 vielen anderen sozialistischen Ländern in künst-
durch die ersparte Zeit zu mehr Lebensgenuss                  lerischen Technikdarstellungen die Raumfahrt
gelangen könne. Eisels Mosaik veranschaulicht                 in spezieller Weise betont wurde. Immerhin
unter Bezugnahme auf Marx diesen technischen                  erwies sich die Sowjetunion auf diesem Gebiet
Fortschritt in der Industrie, der Verwaltung, der             als den westlichen Ländern erstmals überlegen,
Raumfahrt und der Landwirtschaft.                             weshalb Kosmosmotive sehr viel verbreiteter
   Der Zyklus schließt mit der 18. Platte (Abb. 17),          waren als in der westlichen Kunst.
die fast vollständig von einem Planeten, vielleicht              Trotz der ikonografisch-ideologischen Verein-
der Erde, ausgefüllt ist. Lediglich auf der rechten           nahmung fällt indes auf, dass das Mosaik einem
Seite ist der Blick auf das Weltall freigegeben.              Kriterium nicht gänzlich entspricht, dessen Er-
   Als Ganzes passt das Mosaik in das Gesamt-                 füllung die SED -Führung von Werken des So-
konzept des Generalplans Potsdam, der darauf                  zialistischen Realismus eigentlich verlangte: der
zielte, die Stadt durch die baulichen Verände-                Forderung nach einfacher Lesbarkeit. Dies lässt
rungen zu einer sozialistischen Bezirksstadt                  sich nicht nur an der strittigen Frage des Titels
zu machen, was sich, wie erläutert, namentlich                oder den beiden falsch montierten Platten fest-
in der politisch-ideologischen Aufwertung der                 machen. Es gilt auch für die formale Umsetzung
Wilhelm-Külz-Straße manifestieren sollte.                     des Themas, obgleich hierbei das Material des
Am Rechenzentrum, das den gestalterischen                     Mosaiks zu berücksichtigen ist, denn Glassteine
Schwerpunkt bildete, sollte entsprechend das                  bedingen im Vergleich zu etwa einem Fresko
Grundthema abzulesen sein »die Entwicklung                    ob ihrer Grobkörnigkeit zwangsläufig eine Ver-
des sozialistischen Menschenbildes bei der Be-                einfachung. Ebenso spielt die Komposition eine
herrschung der objektiven Prozesse der wissen-                entscheidende Rolle, da durch die Wahl des
schaftlich-technischen Revolution«.74 Damit                   Ausschnitts die Lesbarkeit erschwert wird. So
bündelten sich die zentralen ideologischen Vor-               ist der Raketenstart auf der zehnten und elf-
stellungen der DDR in diesem Mosaik. Dabei                    ten Platte kaum zu erkennen, da lediglich der
ist zu berücksichtigen, dass in der DDR wie in                untere Teil der Rampe wiedergegeben und das

Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020                                                                      107
Wesentliche, die Rakete selbst, nicht sichtbar       zirksausstellung Architektur und bildende Kunst,
ist. Ähnlich schwierig gestaltet sich die Lesbar-    die zu Ehren des 20. Jahrestags der DDR 1969 in
keit bei der sowjetischen Trägerrakete auf der       Potsdam veranstaltet wurde.75 Im Rahmen die-
14. Platte, da nur ihre Booster festgehalten sind.   ser Schau waren ein Modell des Rechenzentrums
Auch suggeriert die Unterteilung in 18 Platten       im Maßstab 1:200, 18 Vorentwürfe Eisels für sein
mit dazwischenliegenden Trägern zunächst,            Mosaik im Maßstab 1:50 und eine Werkprobe
dass die Platten einzeln gelesen werden müssten.     der dritten Platte, Der Kosmonaut, im Maßstab
Diesbezüglich stiftet die Frage, welche Bildfelder   1:10 zu sehen.76 Außerdem wurden ein Farbdia
zueinander gehören oder nur in der Gesamt-           von Eisels Glasfenster für die Obstbau-Schule in
schau verstanden werden können, Verwirrung,          Werder sowie ein Dia seiner Betonglaswand und
da Eisel Zusammenhänge kaum hervorgehoben            ein Foto des Wandteppichs für das Interhotel
und die Platten teilweise nur über den gemein-       Potsdam präsentiert.77
samen Hintergrund miteinander in Beziehung              In einer Einschätzung der Ausstellung in
gesetzt hat.                                         Potsdam vom Juli 1969 wurde Eisels Zyklus
   Eine wesentliche Verbindung innerhalb des         ins Zentrum der Betrachtung gestellt.78 Sie do-
Mosaikzyklus entsteht über die dynamische            kumentiert, wie positiv dieses Werk von den
Flächengliederung, durch die die einzelnen Bild-     Parteimitgliedern beurteilt wurde: »Beispiel
felder über die Rasterteilung hinweg ein Kon-        Rechenzentrum Potsdam – Fritz Eisel. Die Idee,
tinuum formen. Dieses beginnt auf der ersten         die Besonderheiten sozialistischer, menschlicher
Platte, die wie eine frisch gewischte Schultafel     Fähigkeiten, das Rechnen als abstrakte Tätigkeit,
wirkt, mit noch feuchten und schon getrock-          die Aneignung neuer Wirklichkeitsbereiche mit-
neten Partien, es setzt sich fort über die dyna-     hilfe der Elektronik, das Übersetzen gewaltiger,
misch strukturierten Oberflächen der Planeten        menschlicher Gedanken, Pläne und Vorstellun-
und die Bewegung in der sie umgebenden Atmo-         gen in solche Realitäten wie Konstruktion und
sphäre und endet bei den Himmelsdarstellun-          Nutzung höchstmöglicher Technik und Ap-
gen, über die die Wolken ziehen. Dynamik zeigt       parate, das Vordringen des Menschen in den
sich auch beim Start der Raketen und dem da-         kosmischen Raum, das alles wird bei Fritz Eisel
durch produzierten Rauch, der im Hintergrund         als vielgliedriger, emotionaler Inhalt aufgefasst.
über die verschiedenen Platten weht. Wer diesen      Er befasst sich mit der Wand wie mit einem Ta-
Zusammenhang jedoch nicht wahrnimmt und              felbild, für ihn gilt die Vermittlung der grossen
die Platten einzeln liest – und das war sicherlich   thematischen Idee in vielschichtigen Bezügen
der Grund, warum zwei Platten 1972 falsch mon-       gestaltet. Er geht absolut vom künstlerischen
tiert wurden, ohne dass dies später jemals korri-    Inhalt aus und lässt dogmatische Auffassungen
giert worden ist –, kann die thematischen Bezüge     vom wandgemässen als einer besonderen, und
und damit auch das Programm des Zyklus kaum          nur im ornamentalen Rhythmus lösbaren Form,
entschlüsseln. Umso interessanter ist die Frage,     unberücksichtigt. Seine Kompositionen stellen
wie Eisels Zeitgenossen das Werk bewerteten.         eine Vermischung bekannter und unbekannter
                                                     Sujets dar. Hohe menschliche Ziele verkörpern
                                                     sich im menschlichen Antlitz, aber auch in
VII. Rezeption zur Zeit der DDR                      der Landschaft und der Technik. Der Künstler
                                                     konzentriert sich vorwiegend auf das Bild vom
Wesentliche Auskünfte über die offiziellen Er-       Menschen, sein Erscheinungsbild beherrscht
wartungen an das Mosaik und seine Beurteilung        die wesentlichen Sujets – so im Arbeitsraum, an
zu DDR-Zeiten bieten die Dokumente zur Be-           der Schalttafel, in der Bedienung der Technik.

108                                                             Zeitschrift für Kunstgeschichte 83. Band / 2020
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