ZWÖLF THESEN ZUR GEPLANTEN NEUAUFSTELLUNG DER VERBANDSSANKTIONIERUNG - KRIPOZ
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224 KriPoZ 4 | 2020 Zwölf Thesen zur geplanten Neuaufstellung der Verbandssanktionierung von Dr. Alexander Baur, M.A. und Dr. Philipp Maximilian Holle* Abstract Opportunitätsgrundsatz des Ordnungswidrigkeitenrechts Seit April ist das Gesetzgebungsverfahren zu einer im Ko- auszumachen. Er führt nicht nur zu regionalen Unterschie- alitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbar- den in der Verfolgungspraxis, sondern befördert auch un- ten Reform der Verbandssanktionierung mit der Vorlage terschiedliche „Verfolgungsstile“ der jeweils zuständigen des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Behörden.2 In Verbindung mit der problematischen Ober- Integrität der Wirtschaft offiziell angestoßen. Die Wahr- grenze des § 30 Abs. 2 OWiG führt dies am Ende zu ei- scheinlichkeit ist groß, dass der mittlerweile vorliegende nem kaum noch legitimierbaren Sanktionsgefälle: Wäh- Regierungsentwurf das nun anstehende parlamentarische rend in einzelnen Rechtsbereichen betroffene Verbände Verfahren weitgehend unbeirrt passieren wird. Der nach- selbst wegen kleinerer Ordnungswidrigkeiten recht lü- folgende Beitrag versucht, den vorliegenden Zwischen- ckenlos und mit einiger Härte geahndet werden, fällt die stand in mehreren Thesen einzuordnen und zu bewerten. verbandsbezogene Sanktionierung auch schwererer Straf- In April legislation was initiated to reform the law of sanc- taten bisweilen entweder ganz unter den Tisch oder kann tions for corporations. The governing parties had already nur mit einer unangemessen geringen Ahndung beantwor- agreed to do so in their coalition agreement. Thus, it is tet werden.3 very likely that the bill titled „Act to promote integrity in Schließlich bleibt die derzeitige Rechtslage klare Antwor- business“ will pass into law without any significant al- ten auf drängende Fragen schuldig, die sich bei der Auf- terations. The following contribution attempts to analyse arbeitung von verbandsbezogenen Gesetzesverletzungen and evaluate the proposed bill posing several theses. stellen.4 Sie sorgt damit für Rechtsunsicherheit auf Seiten I. Eine notwendige Antwort auf Defizite des bestehen- der Verfolgungsbehörden, der Verbände und ihrer Bera- den Rechts ter. Einen besonders neuralgischen Punkt bilden hierbei verbandsinterne Aufklärungsbemühungen. Sie sind häu- Man wird über vieles streiten können – nicht aber darüber, fig gesellschaftsrechtlich veranlasst oder folgen dem Dik- dass das geltende Recht der Verbandssanktionierung mit tat ausländischer Rechtsordnungen. Ihr Zusammenspiel seinem Kern in § 30 OWiG offensichtliche Schwach- mit behördlichen Ermittlungen ist im deutschen Recht we- punkte hat, sich an einigen Stellen wertungswidersprüch- nig geklärt: Sind Organmitglieder und Mitarbeiter zur lich zeigt und deshalb reformbedürftig ist. Am einfachsten Mitwirkung an verbandsinternen Ermittlungen auch bei lässt sich das an der in § 30 Abs. 2 OWiG festgelegten drohender Selbstbelastung verpflichtet? Und falls ja: Regelobergrenze einer Verbandsgeldbuße von fünf bzw. Kann auf ihre Aussagen zugegriffen werden und können zehn Millionen Euro veranschaulichen. Eine angemessene diese alsdann in einem gegen sie gerichteten Strafverfah- Sanktionierung großer und finanzstarker Konzerne ist an- ren verwertet werden?5 Dürfen sich Verbände durch die gesichts dieser niedrig gesetzten Obergrenze allenfalls Weitergabe selbstbelastender Informationen aus Mitar- über den Umweg einer Gewinnabschöpfung möglich beiterinterviews einen Sanktionsrabatt verdienen? Und (§ 30 Abs. 3 OWiG).1 Vor diesem Hintergrund ist es we- sollten die Verfolgungsbehörden auf Arbeitsprodukte aus nig verwunderlich, dass schon heute ein Flickenteppich verbandsinternen Ermittlungen auch gegen den Willen spezialgesetzlich geregelter und flexibler Sanktionsober- des Verbands Zugriff nehmen können?6 grenzen besteht (vgl. etwa § 81 Abs. 4 GWB und § 120 Der Gesetzgeber tut also gut daran, neue Koordinaten in Abs. 17 bis 23 WpHG; Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO). einem von Wertungswidersprüchen und Rechtsunsicher- Als weiterer Schwachpunkt ist der für die Verfolgung und heiten durchzogenen Regelungsfeld zu setzen. Kritik Sanktionierung von Verbandskriminalität derzeit geltende blieb den Entwurfsverfassern gleichwohl nicht erspart;7 sie verhallte aber weitestgehend ungehört. Viel spricht 3 * Der Autor Baur ist Juniorprofessor für Strafrecht an der Universität Letzteres zeigte jüngst eindrücklich der Fall der Volkswagen Akti- Hamburg. Der Autor Holle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und engesellschaft. Von der im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal Habilitand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Ge- verhängten Geldbuße in Höhe von einer Milliarde Euro entfielen ge- sellschaftsrecht von Professor Dr. Jens Koch an der Universität rade einmal fünf Millionen Euro auf den Ahndungsanteil; der Ab- Bonn. schöpfungsteil der Verbandsgeldbuße wurde auf 995 Mio. Euro 1 Vgl. auch Kubiciel/Gräbener, ZRP 2016, 137; Weigend/Hoven, festgesetzt. 4 ZRP 2018, 30. Vgl. Baur/Holle, ZRP 2019, 186. 5 2 Vgl. auch Krems, ZIS 2015, 5 (6); Kubiciel/Gräbener, ZRP 2016, Vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen und den diskutierten Lösungs- 137; Weigend/Hoven, ZRP 2018, 30 f. ansätzen Greco/Caracas, NStZ 2015, 7 ff. 6 Vertiefend etwa Baur, NZG 2019, 1094 (1094 ff.). 7 Vgl. etwa aus jüngerer Zeit Kainer/Feinauer, NZA 2020, 363 ff. so- wie mit berechtigter Grundsatzkritik Rostalski, NJW 2020, 2087 ff.
Baur/Holle – Die geplante Neuaufstellung der Verbandssanktionierung KriPoZ 4 | 2020 225 deswegen dafür, dass der vorliegende und politisch offen- Wodurch sich ein „echtes Unternehmensstrafrecht“ von sichtlich umfassend vorabgestimmte Entwurf ohne we- den vorgeschlagenen Sanktionen-, Verfahrens- und Re- sentliche Änderungen auch das parlamentarische Verfah- gisterregelungen noch abheben könnte, ist nicht ersicht- ren passieren wird. Im Folgenden wird versucht, das vo- lich.9 Sofern der Regelungsentwurf diesbezüglich nicht raussichtlich 2021 mit einer zweijährigen Übergangsfrist bloß eine symbolische Schärfung im Blick hat, bleibt ei- (vgl. Art. 15 RegE) in Kraft tretende neue Recht der Ver- gentlich nur noch der Verweis auf §§ 258 f. StGB: Die bandssanktionierung in zwölf Thesen einzuordnen und Verhinderung oder Erschwerung einer Sanktionierung des dabei dessen Stärken und Schwächen sowie die voraus- Verbands erfüllt derzeit wohl nicht den Tatbestand der sichtlichen Folgen für die Praxis aufzuzeigen. Dabei of- Strafvereitelung. Insoweit dürfte es an der Vereitelung ei- fenbart sich, dass die geplante Neuaufstellung der Ver- ner dem Strafgesetz gemäßen Sanktion fehlen (§ 258 bandssanktionierung einen wichtigen Schritt in die rich- Abs. 1 StGB).10 tige Richtung macht, den bestehenden Unzulänglichkeiten des geltenden Rechts aber nicht immer beherzt entgegen- Die Schaffung einer gesonderten, aber durch und durch tritt, vereinzelt neue Wertungswidersprüche provoziert strafrechtsanalog gestalteten Sanktionsspur für Verbände und vor dem Blick über den sanktionsrechtlichen Teller- führt zu dogmatischen Unklarheiten und wertungsmäßi- rand leider allzu oft zurückscheut. gen Verspannungen. Im Dunkeln bleibt bereits die Gel- tung strafrechtlicher Verfassungsgarantien. Für reines II. Thesen zum Regierungsentwurf Präventions- oder Ordnungsrecht gelten diese nämlich nicht oder allenfalls eingeschränkt.11 Zu nicht unerhebli- 1. Grundausrichtung des Entwurfs chen systematischen Verwerfungen führt ferner die zerfa- serte Abkantung zum fortbestehenden Verbandsord- These 1: Bei den vorgeschlagenen Neuregelungen des nungswidrigkeitenrecht (§ 30 OWiG). Letzteres erlaubt VerSanG-RegE handelt es sich der Sache nach um Straf- nämlich vielfach gleichlaufende Sanktionen, deren Höhe recht. Die Selbsteinordnung als eine zusätzliche Sankti- und Intensität teilweise sogar über das im VerSanG-RegE onsspur neben dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht vorgeschlagene Instrumentarium hinausgehen.12 Der Un- führt deswegen in die Irre und hat dogmatische Unklar- terschied zwischen Verbandsordnungswidrigkeiten und heiten sowie wertungsmäßige Verspannungen zur Folge. Verbandstaten im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG- RegE verengt sich damit beinahe ausschließlich auf die Der Regierungsentwurf möchte mit einem neuen Stamm- umfassende Geltung des Opportunitätsprinzips einerseits gesetz (VerSanG) eine „eigenständige Sanktionsart“ und die des Legalitätsprinzips andererseits. Aber selbst schaffen, die vom Strafrecht und dem Ordnungswidrig- dieser Unterschied egalisiert sich schon angesichts der keitenrecht zu unterscheiden sein soll.8 Die vorgeschla- Tatsache, dass auch im VerSanG-RegE zahlreiche Oppor- gene Neuaufstellung der Verbandssanktionierung trägt al- tunitätsausnahmen (vgl. §§ 35 ff. VerSanG-RegE) gere- lerdings unverkennbar strafrechtliche Züge. So entlehnt gelt sind. der Entwurf die einzelnen Sanktionsinstrumente dem Strafrecht und überträgt zudem das Verfahrenssystem der These 2: Der Entwurf sorgt für mehr Transparenz in der StPO ohne wesentliche Abstriche auf Verbände. Zustän- Sanktionierung und stärkt zugleich die Rechte der Ge- dig für die Verfolgung und Sanktionierung sind Staatsan- schädigten. Der Schutz der Geschädigten hätte aber wei- waltschaften und Strafgerichte (vgl. Art. 2 RegE). Die ter ausgebaut und noch konsequenter verfolgt werden Übertragung strafrechtlicher Regelungen setzt sich bis ins können. Registerrecht (§§ 54 ff. VerSanG-RegE) fort, das weitge- hend in Anlehnung an das BZRG ausgestaltet wird. Der In Abkehr von der bisherigen Praxis zu § 30 OWiG trennt Entwurf verfolgt – strukturtypisch für eine strafrechtliche der vorgelegte Entwurf sowohl für das geplante VerSanG, Regelung – zudem keineswegs nur präventive Ziele, wie aber auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht die Ahn- es seine Betitelung (vormals: „Gesetz zur Bekämpfung dung der Verbandstat von der Abschöpfung der durch von Unternehmenskriminalität“; nunmehr positiv gewen- diese erzielten Gewinne. Letztere wird künftig dem jüngst det: „Gesetz zur Stärkung der Integrität der Wirtschaft“) reformierten Recht der Einziehung überantwortet (vgl. nahelegen mag, sondern ist systematisch mit repressiven Art. 8, 9 RegE). Dies führt unzweifelhaft zu einem Mehr und unrechtsausgleichenden Elementen durchsetzt. Of- an Transparenz in der Sanktionszumessung. Die Auftren- fenbarend ist in diesem Zusammenhang etwa § 12 nung von Ahndung und Abschöpfung stärkt zudem die VerSanG-RegE, der im Falle einer vorbehaltenen Ver- Position derer, die durch eine Verbandstat einen Schaden bandsgeldsanktion Auflagen „zur Genugtuung für das durch die Verbandstat begangene Unrecht“ ermöglicht. 8 11 Vgl. dazu Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in Vgl. dazu im Überblick Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, der Wirtschaft, S. 56 f. 30. Aufl. (2019), § 2 Rn. 39 ff. m.w.N. sowie jüngst zur Einziehung 9 Vgl. dazu aber Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integri- den Vorlagebeschluss des 3. Senats BGH, NJW 2019, 1891 ff. m. tät in der Wirtschaft, S. 71, wo der Übergang zu einem Unterneh- Anm. Trüg. 12 mensstrafrecht in Aussicht gestellt wird. So liegt etwa die umsatzbezogene Höchstgrenze für einzelne Ver- 10 Zu den diesbezüglichen Voraussetzungen der §§ 258 f. StGB vgl. stöße nach dem WpHG nicht nur bei zehn, sondern bei 15 Prozent anstelle vieler Cramer, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. (2017), § 258 des Konzernumsatzes (§ 120 Abs. 18 Satz 2 Nr. 1 WpHG). Die Ver- Rn. 6. öffentlichung von Behördenentscheidungen ist ebenfalls vielfach spezialgesetzlich für ordnungswidrigkeitenrechtliche Behördenent- scheidungen vorgesehen und ist bisweilen sogar unabhängig von der Rechtskraft der Entscheidung zulässig (vgl. etwa § 125 WpHG).
226 KriPoZ 4 | 2020 erlitten haben. Diese profitieren künftig von der Auskeh- dem – offensichtlich als milder eingeschätzten – Ord- rung eingezogener Taterträge (§ 73b Abs. 1 Satz 2 StGB- nungswidrigkeitenrecht (§ 30 OWiG) belangt werden RegE; §§ 459h ff. StPO). können. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll auch die in § 14 In der Sache begründet der Gesetzentwurf dies in Anleh- VerSanG-RegE vorgesehene öffentliche Bekanntma- nung an umweltorientierte Kriminalitätstheorien der Kri- chung der Verurteilung zuvorderst der Information der minologie:16 Ein wirtschaftliches Umfeld wirke mit seiner Geschädigten und der Durchsetzung ihrer (Schadener- Gewinnorientierung und seinem Wettbewerbsdruck kri- satz-)Rechte dienen.13 Warum die Bekanntmachung bei minogen, weshalb hier Fehlanreizen besonders gegenzu- der Verhängung einer Verbandssanktion im Sanktionsbe- steuern sei.17 Dies ist freilich eine kriminologisch keines- scheid nicht zulässig sein soll (vgl. § 50 Abs. 2 VerSanG- wegs unstreitige Annahme18 und bleibt in den knappen RegE), erschließt sich dann allerdings nicht: Gerade beim Begründungszusammenhängen des vorliegenden Ent- nichtöffentlichen Abschluss des Verfahrens wäre eine In- wurfs eine bloße Behauptung. Die Erfahrung zeigt zudem, formation der Geschädigten über das Sanktionsverfahren dass auch vordergründig nicht gewinnorientierte Ver- und dessen Ausgang besonders drängend. Durch den Ver- bände relevante Marktteilnehmer sein und eine Organisa- zicht auf eine Veröffentlichung kann freilich auf die be- tionsgröße erreichen können,19 die sie in gleicher Weise troffenen Verbände ein zusätzlicher Druck aufgebaut wer- anfällig für Straftaten macht.20 Insbesondere die starren den, von einem Einspruch abzusehen (§ 50 Abs. 4 Sanktionsobergrenzen des § 30 OWiG können auch hier VerSanG-RegE i.V.m. § 410 StPO). rasch an ihre (kriminalpräventive) Grenze geraten, zumal dann, wenn eine ergänzende Abschöpfung künftig ausge- § 51 Abs. 2 VerSanG-RegE erklärt schließlich auch die schlossen ist. Nicht gewinnorientierte Verbände von vorn- Verletztenrechte der §§ 395-406l StPO für das Verfahren herein auszunehmen, ist schließlich auch deswegen prob- gegen einen Verband für weitgehend anwendbar. Zumin- lematisch, weil dadurch ein Anreiz für die Wahl solcher dest soweit mit der Nebenklage auch den Genugtuungsin- Rechtsformen gesetzt wird, die das Sanktionsrisiko (ver- teressen der Tatopfer gedient sein soll,14 stellt sich die meintlich) verringern.21 Frage, ob ein solches nebenklagetypisches Genugtuungs- interesse gegenüber einem Verband überhaupt bestehen Soweit die Ausklammerung nicht gewinnorientierter Ver- kann. Stimmiger fügt sich das Adhäsionsverfahren ein, bände darüber hinaus von der Befürchtung getragen sein das allerdings bei komplexen Sachverhalten und einer sollte, dass diese andernfalls überlastet werden könnten,22 Vielzahl von Geschädigten rasch das Potential haben verfängt auch das im Ergebnis nicht. Das Gegenteil ist wird, das Sanktionsverfahren zu überlasten. Zu einem richtig: Zum einen kann der drohenden Überlastung nicht weitergehenden und möglicherweise gerade bei massen- gewinnorientierter Verbände ohne Weiteres durch Augen- haften Schadenersatzansprüchen praktikableren Schutz maß bei der Einzelfallsanktionierung entgegengetreten der Geschädigten durch eine verbindliche Feststellung des werden. Zum anderen sprechen die wohlverstandenen In- Sachverhalts nach dem Vorbild des § 33b GWB konnten teressen nicht wirtschaftlicher Verbände sogar für deren sich die Entwurfsverfasser offensichtlich nicht durchrin- Einbeziehung. Denn das geplante VerSanG kennt, anders gen.15 als das Ordnungswidrigkeitenrecht mit § 30 nicht nur die Sanktionierung eines Verbands durch die Auferlegung ei- 2. Materiellrechtliche Vorgaben des Entwurfs ner finanziellen Belastung, sondern sieht gleich an mehre- ren Stellen alternativ dazu spezialpräventive Weisungen These 3: Die Beschränkung auf wirtschaftlich ausgerich- (§§ 13, 36 VerSanG-RegE) vor. Verständig erteilte Wei- tete Verbände („Unternehmen“) ist nicht zweckmäßig. sungen können auch und gerade bei nicht wirtschaftlich ausgerichteten und oftmals nicht professionell geführten In Abweichung zum im August des vergangenen Jahres Verbänden ein kriminalpräventiv hochwirksames und zu- inoffiziell vorgelegten Referentenentwurf adressiert der gleich knappe finanzielle Ressourcen schonendes Instru- vorliegende Regierungsentwurf nur noch solche Ver- ment der Sanktionierung sein. bände, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäfts- betrieb gerichtet ist (§ 1 VerSanG-RegE). Verbände, die These 4: Es ist sachgerecht, dass der Entwurf keine be- dieses Merkmal nicht erfüllen, sollen weiterhin nur nach stimmten Compliance-Maßnahmen auflistet; auch bei un- tergesetzlichen Regelungen ist Zurückhaltung zu wahren. 13 18 Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Zur Wirksamkeit von theoriebasierten Präventionsstrategien vgl. Wirtschaft, S. 57 f., 90 f. Kölbel, MSchKrim 100 (2017), 430 ff. sowie Schell-Buesey/Simp- 14 Grundlegend BGH, NJW 1979, 1310; vgl. dazu auch Valerius, in: son/Rorie/Alper, Criminology & Public Policy, 2016, S. 387 ff. 19 MüKo-StPO, 2019, § 395 Rn. 4. Vgl. dazu auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integ- 15 Unklar bleibt, in welchem Umfang auch Verbände ihrerseits Ver- rität in der Wirtschaft, S. 52. 20 letztenrechte beanspruchen können. Die Frage stellt sich insbeson- Zu denken ist etwa an Großvereine wie den Deutschen Fußball- dere für eine Nebenklagebefugnis des Verbands; vgl. dazu Berndt/ Bund e.V. (DFB) oder den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club Theile, Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung, e.V. (ADAC). 21 2016, Rn. 617 ff. Vgl. mit Blick auf § 299 StGB Pieth/Zerbes, ZIS 2016, 619 (623). 16 22 Vgl. mit Blick auf das Corporate Crime zusammenfassend Berg- Vgl. in diese Richtung Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der mann, MSchKrim 99 (2016), 3 (11) m.w.N. Integrität in der Wirtschaft, S. 72. 17 Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 72.
Baur/Holle – Die geplante Neuaufstellung der Verbandssanktionierung KriPoZ 4 | 2020 227 Richtigerweise ist es Sache der Rechtsanwendung, im Ein- schmälern. Die genannten Effekte wären auch zu befürch- zelfall sachgerechte Anforderungen an die Organisation ten, würden (unverbindliche) Compliance-Hinweise etwa der Compliance zu stellen. Dabei sind Ermessensspiel- in der Gesetzesbegründung erteilt oder in untergesetzli- räume bei der verbandsbezogenen Kriminalprävention zu chen Compliance-Standards definiert – etwa in Richtli- achten. nien für das Strafverfahren (RiStBV). Auch davon ist des- wegen abzuraten. Der schillernde, aber rechtlich konturenlose Begriff „Compliance“ spielt im vorliegenden Regelungsentwurf Die ohne Zweifel entstehenden Rechtsunsicherheiten dür- eine herausgehobene Rolle: Sofern die Straftaten nicht fen jedoch nicht einseitig zulasten der Verbände gehen, von Personen begangen werden, die in der Verbands- sondern müssen richtigerweise über eine entsprechende hierarchie weit oben stehen, können Compliance-Bemü- Verfolgungs- und Sanktionierungspraxis aufgefangen hungen bereits die Verbandsverantwortlichkeit als solche werden. Insbesondere die zu erwartende (höchstrichterli- ausschließen (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-RegE). In jedem che) Rechtsprechung zum VerSanG muss daher die bei Fall aber können sie dazu führen, dass von der Verfolgung der Ausgestaltung der Compliance-Organisation einge- einer Verbandstat aus Opportunitätsgründen entweder räumten Handlungsspielräume der Leitungsorgane24 wah- ganz abgesehen wird (§ 35 Abs. 1 VerSanG-RegE) oder ren. Sie muss strikt ex ante bewerten, ob die Compliance- die Sanktion milder ausfällt (vgl. unter anderem § 15 Organisation angemessen ausgestaltet und umgesetzt Abs. 3 Nr. 6 und 7 VerSanG-RegE). worden ist, und darf nicht im Nachhinein und in Anbe- tracht der Verbandstat Organisationsdefizite ausmachen Vor diesem Hintergrund ist es auf den ersten Blick unmit- und Compliance-Anforderungen formulieren (sog. Rück- telbar eingängig, wenn insbesondere aus Unternehmens- schaufehler).25 Dabei wird es die Sanktionierungspraxis kreisen unter Verweis auf die Gebote der Rechtssicherheit vor eine besondere Herausforderung stellen, dass sie künf- detaillierte gesetzliche Vorgaben oder zumindest ander- tig nicht nur die theoretische Konzeption der Compliance- weitige Hinweise zur pflichtgemäßen Ausgestaltung einer Maßnahmen, sondern auch deren praktische Umsetzung, Compliance-Organisation gefordert werden. Davon ist Ernsthaftigkeit und tatsächliche kriminalpräventive Wirk- richtigerweise aber gleich aus mehreren Gründen drin- samkeit im Einzelfall prüfen muss. Letzteres ist kein un- gend abzuraten: Erstens könnten kaum allgemeingültige problematisches Unterfangen und dürfte regelmäßig zu ei- Compliance-Erwartungen für sämtliche Verbände im Re- ner Frage für Sachverständige werden. gelungsbereich des künftigen VerSanG formuliert wer- den. Zweitens müssen selbst solche Compliance-Maßnah- These 5: Eine klare Regelung zu einer sanktionsbefreien- men, die sich mittlerweile als Standard weitgehend durch- den oder zumindest erheblich sanktionsmindernden gesetzt haben – etwa Hinweisgebersysteme – nicht für Selbstanzeigemöglichkeit für Verbände wäre wünschens- sämtliche Verbände gleichermaßen ein sinnvolles und wert gewesen. Bleibt es bei den vorgesehenen Regelun- deswegen obligatorisches Element ihrer Compliance-Or- gen, sind Selbstanzeigen des Verbands als besonders früh- ganisation sein;23 abstrakt-generelle Vorgaben beförder- zeitige und umfassende Form der Kooperation im Rahmen ten an dieser Stelle zusätzlich die heute schon verbreitete der gesetzlichen Möglichkeiten sanktionsmildernd zu be- Fehlvorstellung eines „One-Size-Fits-All“. In engem Zu- rücksichtigen. sammenhang damit steht ein dritter Punkt: Würde durch die (beispielhafte) Hervorhebung einzelner Compliance- Die Kooperation mit den Verfolgungsbehörden in der Maßnahmen ein Standard formuliert und eine vermeintli- Aufklärungsphase, also nachdem diese bereits Kenntnis che Best Practice definiert, führte dies am Ende dazu, dass einer Verbandstat erlangt haben, soll die Verbandssank- alle Unternehmen die aufgeführten Compliance-Maßnah- tion mildern (§ 17 Abs. 1 VerSanG-RegE). Eine – weni- men vorhalten, selbst wenn diese angesichts des Risi- ger weitreichende – Vergünstigung für die Offenbarung koprofils des jeweiligen Unternehmens nur geringe oder einer bis dahin nur intern bekannten Verbandstat sieht der keine kriminalpräventive Wirksamkeit versprächen. Gesetzentwurf nur in den allgemeinen Bemessungsgrund- Durch ausbuchstabierte Compliance-Vorgaben beförderte sätzen des § 15 Abs. 3 Nr. 7 VerSanG-RegE („Bemühen man so zusätzlich die standardmäßige Umsetzung auch des Verbands, die Verbandstat aufzudecken“) vor. solcher Maßnahmen, die allein durch erhoffte Sanktions- vergünstigungen im Falle einer entdeckten Verbandstat Aus kriminalpräventiver Sicht ist die verlässliche Hono- motiviert sind. Ein solches „Window Dressing“ führte rierung der Selbstanzeige einer Verbandstat wünschens- nicht nur zur (kostenintensiven) Umsetzung im Einzelfall wert. Sie leistet einen wichtigen Beitrag für die soziale kriminalpräventiv wirkungsloser Compliance-Maßnah- Kontrolle nach außen abgeschotteter und bisweilen wenig men und wäre volkswirtschaftlich problematisch. Ein transparenter Verbandsorganisationen. Denn man setzt nicht mit echtem Commitment hinterlegter Compliance- dadurch einen Anreiz, dass Verbände fortlaufend und Formalismus hätte auch das Zeug dafür, die Wirkungen ernsthaft nach möglichen Rechtsverstößen in ihrer Sphäre verbandsinterner Kriminalprävention insgesamt zu suchen, diese offenlegen und so nicht zuletzt eine Sankti- onierung der verantwortlichen Individuen ermöglichen. 23 25 Vgl. dazu schon Baur/Holle, AG 2017, 379 (380 ff.). Zum Rückschaufehler aus strafrechtlicher Sicht vgl. etwa Linde- 24 Zu den Handlungsspielräumen der Leitungsorgane in Bezug auf die mann, RW 2019, 137 ff.; aus gesellschaftsrechtlicher Sicht vgl. Organisation der Compliance statt aller Holle, Legalitätskontrolle Ott/Klein, AG 2017, 209 ff. im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 61 und Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. (2020), § 76 Rn. 13 ff. jeweils m.w.N.
228 KriPoZ 4 | 2020 Angesichts der Unrechtsverstrickungen und Mitwis- digtenverteidiger keinen Zugriff auf Erkenntnisse der ver- serstrukturen typischer verbandsbezogener Straftaten, die bandsinternen Untersuchung haben darf; werden Vertei- eine Aufdeckung von außen meist wenig wahrscheinlich digung und interne Untersuchung von ein und derselben machen, kann dadurch ein wichtiger zusätzlicher Überwa- (Groß-)Kanzlei durchgeführt, soll eine „Chinese Wall“ chungsdruck aufgebaut und ein kriminologisch gut bestä- zwischen den jeweiligen Berufsträgern einzurichten tigter Präventionseffekt erzielt werden.26 Auch unter dog- sein.28 Der Verband und seine Berater erhalten Kenntnis matischen Gesichtspunkten spricht wenig gegen eine von den Ergebnissen der internen Untersuchung im Sinne weitreichende Sanktionsvergünstigung infolge einer des § 17 VerSanG-RegE mithin nur nach den Regelungen Selbstanzeige. Rechtstatsächlich hat sich die sanktionsbe- zum Akteneinsichtsrecht, möglicherweise also erst nach freiende Selbstanzeige jedenfalls bei der kartellrechtli- dem Abschluss der internen Untersuchung und gegebe- chen Verbandssanktionierung bewährt (sogenannte „Bo- nenfalls ergänzender staatsanwaltschaftlicher Ermittlun- nusregelung“);27 im Individualstrafrecht findet sie eine gen (§ 147 Abs. 1 Satz 1 StPO). Entsprechung unter anderem in § 371 AO. Dieser vielfach kritisierte Trennungsgrundsatz ist aus Vor allem aus der Sicht kleinerer Verbände mit über- Sicht aller Beteiligten interessengerecht. Grundsätzlich schaubaren Organisationsstrukturen ist das Fehlen einer festzuhalten ist zunächst einmal, dass auch die Aufklärung eigenständigen strafbefreienden oder wenigstens erheb- einer Verbandstat keineswegs ein objektives Geschäft und lich sanktionsmildernden Selbstanzeigemöglichkeit zu ein interessenfreier Prozess ist, sondern von rechtlichen bedauern. Anders als größere Verbände mit weit ver- Vorannahmen, strategischen Zielen und Sachverhaltshy- zweigten Organisationsstrukturen dürften diese nämlich pothesen gelenkt wird. Aus diesem Grund kann bereits die kaum imstande sein, sich auf der nachgelagerten Ebene Rekonstruktion eines Sachverhalts und nicht erst dessen verbandsinterner Ermittlungen die Milderung des § 17 rechtliche Bewertung zu Interessenkonflikten führen. Soll VerSanG-RegE zu verdienen, weil allzu häufig der rele- die verbandsinterne Untersuchung die staatliche Ermitt- vante Sachverhalt bereits zu diesem Zeitpunkt weitgehend lungsarbeit weitgehend ersetzen und ist eine Ergänzung offen liegen wird. Vor diesem Hintergrund bliebe zu hof- und insbesondere eine umfassende Nachprüfung ver- fen, dass sich zumindest in der künftigen Sanktionierungs- bandsinterner Ermittlungsergebnisse weder vorgesehen praxis die Auffassung durchsetzen wird, wonach eine noch zu leisten, ist eine weitgehende Unabhängigkeit des Selbstanzeige über den Hebel des § 15 Abs. 3 Nr. 7 Untersuchungsführers geboten. Eine auch nur teilweise – VerSanG-RegE eine deutlich spürbare Sanktionsmilde- und völlig legitime – Verpflichtung auf die Interessen des rung begründet oder regelmäßig sogar zur (folgenlosen) Verbands vertrüge sich trotz aller (berufs-)rechtlichen Einstellung des Verfahrens (§§ 35, 36 VerSanG-RegE) Bindungen von Verteidigern und Rechtsberatern nicht mit führt. der objektiven Grundausrichtung der in § 17 VerSanG- RegE vorgesehenen verbandsinternen Untersuchung. 3. Verfahrensrechtliche Vorgaben des Entwurfs Auch aus Sicht des Verbands, seiner Verantwortlichen, These 6: Der Trennungsgrundsatz zwischen Aufklärung seiner Rechtsberater und Verteidiger ist die Trennung an- und Verbandsverteidigung ist sachgerecht und dient nicht gemessen. Denn selbst ohne die in § 17 Abs. 1 Nr. 2 nur den Belangen einer effektiven Rechtspflege, sondern VerSanG-RegE niedergelegten Vorgaben wäre es Rechts- auch den Interessen von Unternehmen, Organ- und Un- beratern und Verteidigern nahezulegen, zur Vermeidung ternehmensberatern sowie Unternehmensverteidigern. von Interessens- und Rollenkonflikten ihre Tätigkeit im Ein striktes Kooperationsverbot ginge aber zu weit. Verbands- oder Beschuldigteninteresse von der verbands- internen Untersuchung im staatlichen Aufklärungsinte- Der vorgelegte Entwurf sieht eine Milderung der zu ver- resse abzusondern. Dies gilt nicht nur im Angesicht der – hängenden Verbandssanktion für den Fall vor, dass der im Einzelfall zweifellos im Widerspruch zum Unterneh- Verband bei der Aufklärung des Verdachts einer Ver- menswohl stehenden – Pflicht zur (gezielten) Suche nach bandstat mit den Verfolgungsbehörden kooperiert und und Weitergabe von belastenden Informationen an die diesen selbst oder durch einen beauftragten Dritten intern Verfolgungsbehörden; auch entlastende Informationen untersucht (§§ 17, 41 VerSanG-RegE). Die Milderung bis hin zur abschließenden Verneinung eines (hinreichen- soll davon abhängig sein, dass die Aufklärung nicht vom den) Tatverdachts werden nur dann die gewünschte Ver- Verteidiger des Verbands oder eines Beschuldigten, des- bindlichkeit entfalten, wenn sie nicht im Ruch stehen, das sen Verbandstat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt, Ergebnis einer von bestimmten Interessen gelenkten, se- durchgeführt wird (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-RegE). lektiven Aufklärungsarbeit zu sein. Dieser Trennungsgrundsatz geht ausweislich der Geset- zesbegründung so weit, dass ein Verbands- oder Beschul- 26 28 Vgl. Paternoster/Bachmann, in: The Oxford Handbook of Crimino- Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der logical Theory, 2015, S. 649, 659 ff. Wirtschaft, S. 99. 27 Vgl. dazu etwa Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbs- recht, 6. Auflage (2020), § 81 GWB Rn. 602: „Aus rein pragmati- scher Sicht ist festzustellen, dass Bonusregelungen jedenfalls im Kartellordnungswidrigkeitenrecht maßgeblich zur Ent- und Aufde- ckung von Kartellabsprachen, die den Wettbewerbsbehörden zuvor unbekannt waren, beigetragen haben.“
Baur/Holle – Die geplante Neuaufstellung der Verbandssanktionierung KriPoZ 4 | 2020 229 Zu weit geht hingegen das im Entwurf anklingende strikte Belangen der verantwortlich handelnden Gesellschaftsor- Kooperationsverbot zwischen verbandsinternen Ermitt- gane und Verbandsmitarbeiter andererseits sind nicht ein- lern einerseits und dem Verband und seinen Rechtsbera- fach aufzulösen.33 Sachgerecht ist es zunächst einmal, tern andererseits. Hier scheint die Befürchtung zu beste- dass die Interessen des Verbands zurücktreten, wenn er hen, dass die Effektivität der Verfolgung durch einen ver- sich durch eine verbandsinterne Untersuchung im Sinne frühten Informationsaustausch gefährdet werden könnte. des § 17 VerSanG-RegE zum Zuarbeiter der staatlichen Das mag ein Stück weit nachvollziehbar sein; allerdings Rechtspflege macht. Zu bedenken ist jedoch auch, dass sorgt das Kooperationsverbot nicht nur für erheblichen Verbände unabhängig von einer Kooperationsvereinba- Mehraufwand, weil das Unternehmen selbstverständlich rung mit den Verfolgungsbehörden verpflichtet sind, ei- weiterhin berechtigt und sogar verpflichtet ist, den Sach- nen bestehenden Verdacht rechtswidrigen Verhaltens in- verhalt im Eigeninteresse aufzuklären.29 Die daraus resul- tern aufzuarbeiten.34 Die im Zuge einer gesellschaftsrecht- tierenden Parallelermittlungen können auch die Aufklä- lich veranlassten Aufklärung erlangten Informationen rung gefährden, indem beispielsweise über die Zeit Zeu- sind gegen eine Kenntnisnahme durch die Strafverfol- genaussagen durch Mehrfachvernehmungen beeinflusst gungsbehörden nicht vollumfänglich geschützt (vgl. dazu werden.30 Im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum geht die vorgeschlagenen Klarstellungen in § 97 Abs. 2 Satz 2 man daher zu Recht davon aus, dass bei der Aufklärungs- Nr. 2 sowie § 160a Abs. 5 StPO-RegE).35 Insofern drohen arbeit zwischen den einzelnen Organen einer Gesellschaft vor allem bei nicht kooperierenden Verbänden die pro- kooperiert werden darf.31 Es sollte daher – durchaus in va- zessualen Schutzrechte natürlicher Personen systematisch ger Anlehnung an § 147 Abs. 2 Satz 2 StPO – eine regel- verkürzt zu werden. Letzteres ist auch deswegen bedenk- mäßige Teilhabe an den Zwischenergebnissen der ver- lich, weil das Recht auf Selbstbelastungsfreiheit keines- bandsinternen Ermittlung gewährt werden. Dies gilt vor wegs nur die Grundrechte der Betroffenen im Blick hat, allem bei komplexen Sachverhalten und einer damit ver- sondern auch der Wahrheitsfindung dienen soll: Es gibt bundenen langen Ermittlungsdauer. Praktikabel scheint gute Gründe dafür, rechtliche Entscheidungen von er- es, dem unabhängigen Aufklärer das Recht einzuräumen, zwungenen Falschaussagen freizuhalten.36 den Verband und seine Rechtsberater regelmäßig und in eigener Verantwortung über bestimmte Ermittlungsergeb- Möchte man nicht ein grundsätzliches Aussage- und nisse zu informieren, wenn dadurch aus seiner Sicht der Zeugnisverweigerungsrecht bei verbandsinternen Unter- Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. Soweit das suchungen gesetzlich verankern und es bei den geltenden staatliche Aufklärungsinteresse nicht beeinträchtigt wird, zivilrechtlichen Grundsätzen belassen, spricht deswegen spricht auch nichts dagegen, wenn der nach § 17 Abs. 1 viel dafür, dass eine belastende Aussage zwar gegen den Nr. 2 VerSanG beauftragte Aufklärer für den Verband er- Verband, nicht aber im Strafverfahren gegen die jeweils forderliche Zusatzinformationen miterhebt. betroffene natürliche Person verwertet werden darf. Es ist zwar richtig, dass damit die Avancen einer effektiven These 7: Bei internen Untersuchungen durch den Verband Strafrechtspflege in ihre Schranken gewiesen werden.37 wäre eine klare gesetzliche Regelung zur Selbstbelas- Das ist an dieser Stelle aber die Folge rechtsstaatlicher tungsfreiheit wünschenswert gewesen; das gewählte „An- Verfahrensbindungen. Hinzukommt, dass mit einer Aus- reizmodell“ des § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG ist halbherzig sagepflicht gegenüber dem Verband bei gleichzeitiger und greift aus Sicht der betroffenen Organwalter und Mit- Einschränkung der strafprozessualen Verwertbarkeit der arbeiter zu kurz. Aussage ein guter Weg gefunden sein könnte, das Inte- resse des Verbands an rückhaltloser Aufklärung zu schüt- Der vorgelegte Entwurf regelt die Frage nach der Selbst- zen: So kann der Verband beispielsweise unrechtsver- belastungsfreiheit von Organwaltern und Verbandsmitar- strickten Mitarbeitern zusagen, auch bei Offenlegung beitern nicht. Er macht es aber zur Voraussetzung einer selbstbelastender Informationen nicht gegen sie vorzuge- sanktionsmildernden Berücksichtigung der verbandsinter- hen, um so im Verbandsinteresse wahrheitsgemäße Aus- nen Untersuchung, dass Verbände ihren Mitarbeitern ein sagen zu erlangen. Die Wirksamkeit solcher Amnestiere- – zivilrechtlich nicht bestehendes32 – Recht zur Aussage- gelungen bricht in sich zusammen, wenn zu befürchten ist, bzw. Zeugnisverweigerung (freiwillig) einräumen. dass erhobene Informationen infolge einer Beschlag- nahme zur unmittelbaren Grundlage der individualstraf- Die Interessenskonflikte zwischen einer effektiven rechtlichen Verfolgung werden können. Rechtspflege und einer zielgerichteten Aufklärung zu Verbandszwecken (Abstellen des Verstoßes, Anpassung der Compliance-Organisation, Personalmaßnahmen, Prü- fung von Schadenersatzansprüchen) einerseits sowie den 29 33 Vgl. zu den gesellschaftsrechtlichen Aufarbeitungsmechanismen Vgl. schon Baur, NZG 2018, 1092 (1096 f.); Baur/Holle, ZRP 2019, Baur/Holle/Reiling, JZ 2019, 1025 (1027 f.) m.w.N.; ferner Holle, 186 (188). 34 ZHR 182 (2018), 569 ff. Vgl. zu den gesellschaftsrechtlichen Aufarbeitungsmechanismen 30 Vgl. dazu Baur, NZG 2018, 1092 (1096); zu weiteren möglichen abermals Baur/Holle/Reiling, JZ 2019, 1025 (1027 f.) m.w.N. 35 Friktionen vgl. ferner Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der AG 2020, Heft 16 (im Erscheinen). Wirtschaft, S. 137 f. 31 36 Eingehend etwa Fleischer, in: Spindler/Stilz, BeckOGK (Stand: Dazu auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in 15.01.2020), § 91 Rn. 73 m.w.N. der Wirtschaft, S. 101. 32 37 Vgl. dazu etwa Herrmann/Zeidler, NZA 2018, 1499 (1501); Schra- So die Begründung der ablehnenden Haltung in Begr. RegE eines der/Thoms/Mahler, NZA 2018, 965 (968 ff.) jeweils m.w.N. Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 102.
230 KriPoZ 4 | 2020 These 8: Die Sonderrolle des Kartellrechts ist sachlich werden. Eine einheitliche Registerführung wäre deshalb, nicht begründbar. auch angesichts der durchaus beträchtlichen Kosten,40 zu begrüßen gewesen. Für die Verfolgung und Sanktionierung verbandsbezoge- ner Straftaten sind künftig Staatsanwaltschaften und Straf- 4. Gesellschaftsrechtliche Bezüge des Entwurfs gerichte (vgl. § 23 VerSanG-RegE, Art. 2 RegE) zustän- dig. Eine Bereichsausnahme soll für das Kartellrecht gel- These 9: Die geplanten Neuregelungen treffen naturge- ten: Nach § 42 Abs. 3 VerSanG-RegE hat die Staatsan- mäß auf Verbände mit unterschiedlicher rechtlicher waltschaft von der verbandsbezogenen Verfolgung einer Struktur. Um Wertungswidersprüche und dysfunktionale Kartellstraftat – zu denken ist vor allem an § 298 StGB – Wirkungen zu vermeiden, muss ein Verbandssanktionen- abzusehen, wenn eine Kartellbehörde die Tat ordnungs- gesetz daher seine gesellschaftsrechtlich verlängerten widrigkeitenrechtlich verfolgt oder das Verfahren ein- Wirkungen auf unterschiedlich strukturierte Verbände stellt. Der vorgelegte Entwurf hält damit an der bestehen- und deren Organe im Blick haben. Insbesondere muss es den Regelung des § 82 GWB fest. Begründet wird dies sicherstellen, dass seine Präventionsziele in sämtlichen unter anderem mit der besonderen Kompetenz und Sach- vorgefundenen Konstellationen erreicht und nicht durch nähe der Kartellbehörden in der Kartellbekämpfung.38 gesellschaftsrechtliche Mechanismen sachwidrig verkürzt oder gar verhindert werden können. Soweit mit seinen Für eine reformierte Verbandssanktionierung, die mit ih- Zwecken vereinbar, sollte es die Beantwortung von De- ren Neuregelungen für eine effektive und rechtsstaatliche tailfragen aber dem Gesellschaftsrecht überlassen. Kriminalprävention einstehen will, ist eine solche Selbst- beschränkung bei der Kartellverfolgung ein Schwä- Das Verbandssanktionengesetz erstreckt sich gleicherma- cheausweis, der sachlich nicht zu begründen und unter ßen auf juristische Personen des öffentlichen oder priva- rechtlichen Gesichtspunkten kaum nachvollziehbar ist. ten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine sowie rechtsfähige Dies gilt vor allem auch deshalb, weil das geplante Personengesellschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-RegE). VerSanG umfangreiche Verfahrensrechte einräumt und Von den bezweckten kriminalpräventiven Wirkungen der trittsichere Möglichkeiten zur Sanktionsminderung vor- vorgesehenen Sanktionen sollen sie allesamt in gleicher sieht. Die Gewährung von Verfahrensrechten und die Weise erfasst werden. Die geplanten Regelungen erken- Auswahl der Sanktionsinstrumente von behördlichen Er- nen dabei, dass die bezweckte Kriminalprävention durch messenentscheidungen abhängig machen zu wollen, den gesellschaftsrechtlichen Trennungsgrundsatz unter- rückte die gesetzlichen Regelungen bedenklich an die laufen werden könnte. Folgerichtig erkennt § 9 Abs. 2 Willkürgrenze. Besser schiene ein Kooperationsmodell, Satz 2 und 3 VerSanG-RegE bei der Bemessung der Ver- das eine enge Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaf- bandsgeldsanktion die gesellschaftsrechtliche Trennung ten und Kartellämtern einfordert, so wie es etwa im Kapi- von Mutter- und Tochtergesellschaften nicht an und rich- talmarktrecht in § 122 WpHG für die Zusammenarbeit tet die Bemessung des Verbandssanktionsgeldes am Um- zwischen Staatsanwaltschaften und BaFin niedergelegt satz des gesamten Unternehmens als wirtschaftliche Ein- ist. Eine solche Abstimmung sorgt nicht nur für die not- heit aus (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 VerSanG-RegE).41 Ergän- wendige sachkundige Unterstützung der Verfolgungsbe- zend sieht es vor, dass verhängte Sanktionen auf andere hörden und Gerichte, sondern dürfte künftig ohnehin noch Mitglieder der wirtschaftlichen Einheit übergeleitet wer- wichtiger werden, weil auch bei der Sanktionierung nach den können, wenn der eigentliche Sanktionsadressat in dem geplanten VerSanG präventive Weisungen möglich sanktionsvereitelnder Weise erlischt oder dessen Vermö- sein sollen (§ 13 VerSanG-RegE), die es sorgsam mit gen verschoben wird (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG- Maßnahmen der jeweils zuständigen Aufsichtsbehörde RegE).42 abzustimmen gilt. Nicht recht in dieses Bild passt, dass der vorliegende Re- Schließlich ist auch die im Entwurf vorgesehene parallele gierungsentwurf bei der originären Begründung der Ver- Registerführung fragwürdig. Künftig soll zusätzlich zum bandsverantwortlichkeit am Rechtsträgerprinzip festhal- Bundeszentralregister und zum Wettbewerbsregister (vgl. ten will. Hier bedarf es stets der Straftat einer Leitungs- §§ 1 ff. WRegG) ein Verbandssanktionsregister (§§ 54 ff. person des jeweiligen Verbands oder einer Tat, die „in VerSanG-RegE) geführt werden. Begründet wird dies mit Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands began- unterschiedlichen Zwecken der jeweiligen Register.39 Die gen“ wurde (vgl. § 3 Abs. 1 VerSanG-RegE). Das ist mit Führung eines Registers ist freilich nicht zwangsläufig auf Blick auf den Nutzen, der dem gesellschaftsrechtlichen einen bestimmten Zweck festgelegt. Solange notwendige Trennungsprinzip gemeinhin zugeschrieben wird, ein Informationen enthalten sind und etwa auch bestimmte gangbarer, mit Blick auf die konzernweite Verantwort- Bußgeldentscheidungen (vgl. § 2 Abs. 2 WRegG) aufge- lichkeit im Kartellrecht aber wertungswidersprüchlicher nommen werden, kann unterschiedlichen Zwecken mit Weg. Misslich ist daran, dass die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 differenzierten Auskunftsregelungen Rechnung getragen 38 41 Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirt- Aus dogmatischer Sicht nicht zu Unrecht kritisch Rostalski, NJW schaft, S. 120, 143 ff.; zur Problematik vgl. auch Gesellschaftsrecht- 2020, 2087 (2090); zu sinnvollen Ausdifferenzierungen vgl. Gesell- liche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Erscheinen). schaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Er- 39 Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirt- scheinen). 42 schaft, S. 145. Abermals kritisch Rostalski, NJW 2020, 2087 (2090). 40 Vgl. Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, S. 64 f.
Baur/Holle – Die geplante Neuaufstellung der Verbandssanktionierung KriPoZ 4 | 2020 231 VerSanG-RegE formulierte Aufsichtspflicht starke An- Verfahrensabschluss“. In Verbindung mit dem gesell- leihe an § 130 Abs. 1 OWiG nimmt, der vorliegende Ent- schaftsrechtlichen Pflichtenkanon und Haftungsregime wurf aber kein Wort dazu verliert, dass diese mittlerweile für Gesellschaftsorgane wird daraus ein zusätzlicher Ko- wohl überwiegend konzernweit verstanden wird. Sofern operationsdruck entstehen. Aus generalpräventiver Sicht man der Positionierung des VerSanG-RegE keine Aus- wäre dies nicht unproblematisch und kann insbesondere strahlungswirkung auf § 130 Abs. 1 OWiG beimisst, käme zu Lasten der Verteidigungsinteressen involvierter natür- man zu dem in der Sache zwar vertretbaren, aber nicht un- licher Personen gehen. bedingt stimmigen Ergebnis, dass eine originäre Konzern- verantwortlichkeit nur im Verbandsordnungswidrigkei- Die Entscheidung, ob sich ein verantwortliches Organ na- tenrecht gegeben ist. mens der Gesellschaft für oder gegen eine Kooperation im Sinne des § 17 VerSanG-RegE entscheidet, stellt richtig- In dieses uneinheitliche Bild passt zudem, dass der Ge- erweise eine unternehmerische Risikoentscheidung dar, setzgeber in verfahrensrechtlicher Hinsicht am gesell- die dem Haftungsprivileg der sogenannten Business Judg- schaftsrechtlichen Trennungsgrundsatz festhält und die- ment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) unterfällt. Gleich- sen sogar durch eine Übertragung strafprozessualer wohl dürfte die Entscheidung für eine Kooperation mit Grundsätze flankiert und weiter ausbaut. So soll das Ver- den Verfolgungsbehörden ex post kaum je einmal als bot der Mehrfachverteidigung im Sinne von § 146 StPO pflichtwidrig eingeschätzt werden. Mit Blick auf eine auch die Verteidigung mehrerer Verbände wegen dersel- schadenersatzrechtliche Einstandspflicht der Leitungsor- ben Tat und unabhängig davon verhindern, ob diese kon- gane wird zudem kaum der Nachweis gelingen, dass ohne zernrechtlich miteinander verbunden sind43 und eine Kooperation das verminderte Verbandssanktionsgeld Mehrfachvertretung daher gesellschaftsrechtlich zulässig (gänzlich) hätte vermieden werden können. Umgekehrt sein könnte. Zumindest für den Vertragskonzern stellt sich scheint es eher denkbar, Leitungsorgane, die sich gegen hier die Frage, ob ein derart striktes und strafrechtlich ge- eine Kooperation entscheiden, für eine Verbandssanktion dachtes Verbot der Mehrfachvertretung sachgerecht ist. in ungeminderter Höhe erfolgreich in Anspruch zu neh- Nicht geregelt ist, inwieweit es im Rahmen der internen men. Diese Ausgangslage wird dazu führen, dass sich Lei- Aufarbeitung (§ 17 VerSanG-RegE) zulässig sein kann, tungsorgane als handlungsmächtige Agenten in aller Re- im Konzern einheitlich vorzugehen. Mehr noch als die gel für eine Kooperation ihres Prinzipals entscheiden wer- „Konzernverteidigung“ kann dies sinnvoll sein, weil es den. In diese Richtung werden Leitungsorgane zusätzlich nicht nur Ressourcen schont, sondern auch die Aufklärung noch dadurch gedrängt werden, dass sie auch bei Ableh- effektiv machen kann, indem Doppelermittlungen oder nung einer Kooperation zur gesellschaftsinternen Aufklä- das mosaikartige Zusammenfügen im Konzern gesam- rung der Verbandstat verpflichtet bleiben und die entste- melter Erkenntnisse vermieden wird. Gesellschaftsrecht- henden Aufklärungsergebnisse auch nach neuem Recht lich ist ein solches Vorgehen grundsätzlich zulässig.44 dem Zugriff der Verfolgungsbehörden nicht entzogen sind (vgl. § 97 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 sowie § 160a Schließlich unterscheiden sich die einzelnen Gesell- Abs. 5 StPO-RegE). schaftsformen, auf die sich das Verbandssanktionengesetz erstreckt, mehr oder minder stark in ihrer rechtlich vorge- Wird die frühzeitige Kooperation zwischen Verband und gebenen Binnenstruktur. Hier bleibt insbesondere unklar, Strafverfolgungsbehörden zur Regel, bleibt dies nicht inwieweit neben den Aufarbeitungsbemühungen des Lei- ohne Auswirkung auf die Verteidigung. Da die Sachver- tungsorgans auch Anstrengungen von anderen Organen – haltsaufklärung weitgehend in der Verantwortungssphäre etwa des Aufsichtsrats – und sonstigen gesellschaftsrecht- des Verbands selbst liegt, wird dieser deren Ergebnisse lichen Institutionen sanktionsmildernd zu berücksichtigen und die Rechtmäßigkeit ihrer Erlangung kaum noch in sind. Als weitgehend offen muss es gelten, ob auch Auf- Zweifel ziehen können. Vorrangiges Verteidigungsziel klärungs- und Compliance-Maßnahmen, die von den An- wird bei konsentiertem Sachverhalt das konkrete Sankti- teilseignern angestoßen werden, Berücksichtigung finden onsmaß sein und das Bestreben, das Verfahren möglichst können. In Betracht kommen hier etwa die Sonderprüfung ohne Öffentlichkeitswirkung und eine breite Offenlegung (§§ 142 ff. AktG) und die Geltendmachung von Schadens- der Ergebnisse verbandsinterner Untersuchungen zu be- ersatzansprüchen gegen die Verwaltungsorgane enden. Kooperationen bei der Sachverhaltsaufklärung (§§ 147 ff. AktG). Es stellt sich in diesem Zusammenhang werden daher regelmäßig in verfahrensbeendende Ab- schließlich auch die Frage, wie mit einem widersprüchli- sprachen übergehen. Nichtöffentliche Erledigungsformen chen Benehmen einzelner Gesellschaftsorgane umzuge- – namentlich die Einstellung unter Auflagen (§ 36 hen ist. VerSanG-RegE) und der Sanktionsbescheid (§ 50 Ver- SanG-RegE) – dürften dadurch zusätzlich befördert wer- These 10: Der vorgelegte Entwurf setzt mit § 17 VerSanG- den. Unter Gesichtspunkten der Generalprävention wäre RegE einen Anreiz für eine frühzeitige Kooperation des eine solche Praxis eher kritisch einzuschätzen.45 Verbands mit den Behörden und einen „einvernehmlichen 43 45 Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirt- Zu den Folgen für den Schutz der Geschädigten vgl. bereits oben schaft, S. 110. These 3. 44 Im faktischen Aktienkonzern bedarf es hierfür freilich der Mitwir- kung des Tochtervorstands, der seinerseits gewissen Restriktionen unterliegt; eingehend Holle (Fn. 24), S. 123 ff.
232 KriPoZ 4 | 2020 Das mit der Neuregelung gesponnene Interessensgeflecht Verbandsmitarbeiter keine Stellung und scheint die Pro- ist auch insoweit problematisch, als es zu Lasten der Ver- blematik der Rechtsprechung überlassen zu wollen. Damit teidigungsinteressen involvierter natürlicher Personen ge- entscheiden jedoch zivilrechtliche Haftungsmechanismen hen könnte. Involvierte Mitarbeiter dürften vielfach schon darüber, wer eine Verbandsgeldsanktion am Ende zu tra- zu einem sehr frühen Zeitpunkt faktisch in die Koopera- gen hat und ob der Präventionshebel des VerSanG syste- tion zwischen Verband und Strafverfolgungsbehörden re- matisch auf natürliche Personen verlängert wird. Eine gelrecht mitgerissen und zumindest unterschwellig zu pa- derart zentrale Frage, die die Grundausrichtung der Kri- ralleler Kooperation gedrängt werden. Bedenklich ist dies minalprävention betrifft, hätte der vorgelegte Regierungs- schon deswegen, weil das Individualstrafrecht eine ähn- entwurf nicht der (zivilen) Rechtsprechung überlassen lich weitreichende Milderungsvorschrift nicht kennt46 und dürfen. natürliche Personen in aller Regel deutlich weniger Ein- blick in den verteidigungsrelevanten Gesamtsachverhalt Der vorgelegte Entwurf enthält keine ausdrückliche Rege- haben werden als (kooperierende) Verbände und Verfol- lung zu der Frage, ob ein verhängtes Verbandssanktions- gungsbehörden. geld von den dafür (mit-)verantwortlichen natürlichen Personen zurückgefordert werden kann. Unbeantwortet These 11: Die Ausgestaltung der Selbstbelastungsfreiheit bleibt damit zwangsläufig auch die Folgefrage, ob sich des Verbands könnte dazu führen, dass der Verband sich Unternehmen oder Unternehmenserwerber im Bereich gedrängt sieht, an problematischen Organmitgliedern des M&A48 künftig gegen Verbandssanktionsgelder ver- festzuhalten. sichern können, die ihre Leitungsorgane verursachen oder denen sie sich infolge einer Unternehmensübernahme aus- Das Verbandssanktionengesetz billigt dem Verband gesetzt sehen.49 Im Schrifttum sind diese Fragen umstrit- Selbstbelastungsfreiheit im Sanktionsverfahren zu. Kon- ten;50 die Zivilrechtsprechung hat sich zur parallelen Prob- kret bedeutet dies, dass es dem gesetzlichen Vertreter des lematik bei der Verbandsgeldbuße bislang noch nicht ab- Verbands im Sanktionsverfahren freisteht, sich zur Sache schließend positioniert.51 Das österreichische Verbands- zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 33 Abs. 1 verantwortlichkeitsgesetz regelt einen Ausschluss des Satz 1 VerSanG-RegE). Auch in anderen Verfahren kann Binnenregresses (§ 11 Ö-VbVG);52 alternative Rege- der gesetzliche Vertreter des Verbands als Zeuge die Aus- lungsentwürfe schlagen ebenfalls ein Regressverbot vor.53 kunft verweigern (§ 33 Abs. 2 Satz 1 VerSanG-RegE). Zur Das Gesamtgefüge des VerSang-RegE spricht hingegen Beurteilung der Frage, ob eine Person als gesetzlicher dafür, dass ein Regress künftig zulässig ist. Schon der Vertreter des Verbands oder als Zeuge zu vernehmen ist, Umstand, dass die finanzielle Belastung, die mit der Ver- soll es ausweislich der Regierungsbegründung – wie im bandsgeldsanktion verbunden ist, künftig als Haftungsbe- Zivilprozess47 – auf den Zeitpunkt der Vernehmung an- trag problemlos verlagert werden kann (§§ 7, 31 kommen. Ob eine Person ein Schweigerecht zugunsten VerSanG-RegE), deutet darauf hin, dass die pekuniäre des Verbandes hat, kann sich demzufolge während des Sanktionsfolge nicht mit einer höchstpersönlichen Zu- Verfahrens ändern. Einem gesetzlichen Vertreter, der sein schreibung einhergeht.54 Amt niedergelegt hat oder abberufen wird, steht ab diesem Moment kein Aussageverweigerungsrecht für den Ver- Es ist zu bedauern, dass der Regierungsentwurf die Pro- band mehr zu. blematik des Binnenregresses nicht angeht. Denn bei die- sem handelt es sich keineswegs um eine einfache zivil- Diese gesetzliche Ausgangslage könnte sich nachteilig auf rechtliche Anschlussproblematik. Vielmehr ist der Bin- die interne und externe Bewältigung einer Verbandstat nenregress zentral für die präventive Grundausrichtung ei- auswirken. Zumindest einem nicht kooperierenden Ver- nes künftigen VerSanG. Er kann nämlich entweder dazu band wäre es nämlich nicht zu verdenken, wenn er auch genutzt werden, den Präventionshebel gezielt und syste- problematische Organwalter möglichst lange im Amt matisch bis zu den verantwortlich handelnden natürlichen hielte, um sich dadurch deren Aussageverweigerungsrecht Personen zu verlängern. Einzelne Stellen in der Begrün- zu erhalten. dung des Referentenentwurfs legen es durchaus nahe, in diesem Sinne verstanden zu werden.55 Dafür mag spre- These 12: Der Entwurf bezieht zur Zulässigkeit des zivil- chen, dass es am Ende die natürlichen Personen sind, die rechtlichen Innenregresses gegen Leitungsorgane und die relevanten Entscheidungen treffen und die Rechtstreue 46 53 Vgl. dazu den voraussetzungsreicheren § 46b StGB; im Übrigen Vgl. Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, Kölner Entwurf eines Ver- bleibt es bei einer Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung bandssanktionengesetzes, NZWiSt 2018, 1 ff., § 10; Saliger/Tsam- nach § 46 Abs. 2 StGB; vgl. dazu Kinzig, in: Schönke/Schröder, bikakis/Mückenberger/Huber, Münchner Entwurf eines Verbands- StGB, 30. Aufl. (2019), § 46 Rn. 39. sanktionengesetzes, 2019, § 16. 47 54 Vgl. hierzu etwa Merkt, in: MüKo-GmbHG, 3. Aufl. (2018), § 13 Vgl. auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in Rn. 51. der Wirtschaft, S. 82, 125; für einen Regressausschluss aber Gesell- 48 Vgl. zum M&A-Kontext auch Begr. RegE eines Gesetzes zur Stär- schaftsrechtliche Vereinigung (VGR), AG 2020, Heft 16 (im Er- kung der Integrität in der Wirtschaft, S. 82 f. scheinen). 49 55 Zur Versicherbarkeit vgl. etwa Thomas, NZG 2015, 1409 (1416 ff.). So deuten etwa die Ausführungen zur Schadenswiedergutmachung 50 Eingehend hierzu Baur/Holle, ZIP 2018, 459 ff. in Begr. RegE eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirt- 51 Offenlassend zuletzt BAG, NJW 2018, 184 ff.; dazu Baur/Holle, schaft, S. 89 darauf hin, dass die Verbandssanktionierung das han- ZIP 2018, 459 ff. delnde Individuum fest im Blick hat, wenn es dort heißt, die (finan- 52 § 11 Ö-VbVG lautet: „Für Sanktionen und Rechtsfolgen, die den zielle) Schadenswiedergutmachung durch den Verband solle auch Verband auf Grund dieses Bundesgesetzes treffen, ist ein Rückgriff dazu führen, dass sich die für den Verband handelnden Personen ih- auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter ausgeschlossen.“ rer Verantwortung bewusst werden.
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