20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant

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20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
20 Jahre
HafenCity        Dezember 2021   Sonderausgabe

            Gesichter und Geschichten von
               Hamburgs neuer Waterkant
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Modern &

                                                                                                               Editorial
                                                                                                                                  Liebe Leser:innen,

                                                                                                                                  im April 2001 begann an den Kibbelstegbrücken              So geht es eher zu wie auf einem Karussell: Wir laden
                                                                                                                                  offiziell der Bau der HafenCity – ziemlich genau           Sie ein, mit uns eine vergnügliche Runde durch die
                                                                                                                                  vier Jahre, nachdem der Hamburgische Senat das             großen Themen der HafenCity-Entwicklung zu

                           traditionell
                                                                                                                                  Vorhaben erstmals vorgestellt hatte. Die Jahres-           drehen, nach Belieben auf- oder abzuspringen und
                                                                                                                                  wende 2021 / 22 liegt damit zwischen zwei Jubiläen:        sich auf die vorbeiziehenden Bilder und Stimmungen
                                                                                                                                  dem Jubiläum des 20-jährigen Baubeginns und dem            einzulassen.
                                                                                                                                  Jubiläum der 25-jährigen Vision. Zwei Menschen
                                                                                                                                  haben die Geschicke der HafenCity über fast zwei           Gemeinsam mit meiner Kollegin Theresa Twacht-
                                                                                                                                  Jahrzehnte geprägt und verabschieden sich nun              mann und dem beständig wachsenden Team der
                                                                                                                                  in den Ruhestand: Prof. Jürgen Bruns-Berentelg             HafenCity Hamburg GmbH und ihrer Tochtergesell-
                                                                                                                                  schied Ende November als Vorsitzender der                  schaften reihe ich mich nun unter den „Gesichtern
                                                                                                                                  Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH                der neuen Waterkant“ ein. Und wenn die Geschichte
                                                                                                                                  aus, der Geschäftsführer Giselher Schultz-Berndt           der Entstehung der HafenCity in wenigen Jahren
                                                                                                                                  geht zum Ende des Jahres.                                  an den Elbbrücken vollständig erzählt ist, endet
                                                                                                                                                                                             eigentlich nur ein großes Kapitel. Denn die Ge-
                                                                                                                                  Wir haben dies zum Anlass für eine Sonderaus-              schichte der Stadt von morgen geht weiter:
                                                                                                                                  gabe unseres Newsletters genommen. „Gesichter              im Grasbrook, Billebogen und in der Science City
                                                                                                                                  und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant“              Hamburg Bahrenfeld. Wir freuen uns, mit Ihnen
                                                                                                                                  lautet der Untertitel. Denn jenseits von klugen Kon-       und allen anderen Interessierten zusammen an den
                                                                                                                                  zepten für die Stadtentwicklung sowie baulichen und        nächsten Kapiteln zu schreiben!
                                                                                                                                  ingenieurstechnischen Leistungen soll es hier vor
                                                                                                                                  allem um die Menschen gehen, die sich für dieses           Meinen beiden Vorgängern gelten mein großer Dank
                                                                                                                                  Vorhaben engagiert haben. Exemplarisch stehen              und meine Bewunderung. Wie umfassend und
                                                                                                                                  die Gesichter und Geschichten auf den kommenden            vorausschauend ihre Leistung war, wird mit diesem
                                                                                                                                  Seiten für all die Akteur:innen, die sich mit viel Herz-   Sondernewsletter eindrucksvoll dokumentiert.
                                                                                                                                  blut – gerne auch kritisch – eingebracht haben und
                                                                                                                                  weiterhin hoffentlich einbringen.                          Herzlichst, Ihr Andreas Kleinau

                                                                          ↑
                                                                          Dr. Andreas Kleinau, Vorsitzender
                                                                          der Geschäftsführung der HafenCity
                                                                          Hamburg GmbH Foto: Bina Engel

                                                                                                          »Ein Markenzeichen
                   →
    Die HafenCity ist
     im Sommer 2021
   an den Elbbrücken
                                                                                                             unserer Stadt«
        angekommen
      Foto: André Dekker                                                                                         Jedes Jahr Grundsteinlegungen, Eröffnungen und Einweihungen:
                                                                                              Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher zu Meilensteinen und künftigen Herausforderungen

                                                                          2021 hat sich der Baubeginn der HafenCity               Wofür steht die HafenCity heute?                           Was sollen spätere Generationen idealerweise
                                                                          zum 20. Mal gejährt. Die Entscheidung, ehemalige                                                                   sagen, wenn sie 2041 auf die vergangenen 20
                                                                          Hafen- und Industrieflächen in einen neuen und          Peter Tschentscher Die HafenCity steht vor allem           Jahre zurückschauen?
                                                                          modernen Stadtteil zu verwandeln, liegt sogar           für eine moderne, zukunftsfähige Stadtentwick-
                                                                          fast 25 Jahre zurück. Wie blicken Sie auf die           lung. Sie bietet vielfältige Orte zum Arbeiten und         Peter Tschentscher Idealerweise: Alles richtig
                                                                          damalige Entscheidung der Freien und Hansestadt         Wohnen, mit einer hohen Lebensqualität und einer           gemacht.
                                                                          und Ihres Vorgängers Henning Voscherau zurück?          besonderen Lage am Wasser. Damit zählt sie zu
                                                                                                                                  den attraktivsten urbanen Räumen in Europa und             Interview: Henrike Thomsen
                                                                          Peter Tschentscher Die HafenCity ist ein neues          ist in kurzer Zeit zu einem bekannten Markenzei-
                                                                          Kapitel in der Stadtentwicklung Hamburgs. Es war        chen unserer Stadt geworden. Zum Feierabend und
                                                                          eine mutige Idee, alte Hafen- und Industrieflächen      an Wochenenden kommen auch viele Hambur-
                                                                          für die Entwicklung eines neuen, modernen Stadt-        ger:innen aus anderen Stadtteilen in die HafenCity.
                                                                          teils zu nutzen und damit die innere Stadt wieder       Sie genießen die Promenaden am Wasser, die Parks
                                                                          direkter an den Hafen und das Elbufer anzubinden.       und öffentlichen Plätze, die gastronomischen und
                                                                          Henning Voscherau hat damals sehr weitsichtig           kulturellen Angebote.
                                                                          gehandelt und damit einen starken Impuls gegeben
                                                                          für die positive Entwicklung unserer Stadt. Ich         Was scheint besonders gut zu gelingen, worauf
                                                                          persönlich finde die HafenCity sehr hanseatisch:        sind Sie vielleicht stolz? Was gilt es aber auch
                                                                          modern und zugleich traditionsbewusst, im Herzen        noch zu erreichen?
                                                                          der Stadt mit Blick in die Welt.
                                                                                                                                  Peter Tschentscher Im Elbbrückenquartier ent-
                                                                          Was sind für Sie die Meilensteine der bisherigen        stehen Architektur und Bautechnik der Zukunft.
                                                                          Entwicklung?                                            Jedes Gebäude setzt neue Maßstäbe für nach-
                                                                                                                                  haltiges Bauen, das im Hinblick auf den Umgang
                                                                          Peter Tschentscher Es gibt viele, denn die              mit natürlichen Ressourcen und für den Klima-
                                                                          HafenCity wurde in mehreren Schritten vom               schutz von größter Bedeutung ist. Neben Flächen
                                                                          Westen in den Osten geplant und gebaut. Seit            für Büros und Gewerbe wird es in der fertigen
                                                                          dem ersten Spatenstich 2001 wurden jedes Jahr           HafenCity insgesamt rund 7.500 neue Wohnungen
                                                                          Grundsteinlegungen, Richtfeste und Eröffnungen          geben, darunter auch viele geförderte und genos-
                                                                          gefeiert. Als Mitglied des Senats habe ich an vielen    senschaftliche Wohnungen mit günstigen Mieten.
                                                                          teilgenommen, zuerst als Finanzsenator und heute        Darüber hinaus haben private Baugemeinschaften
                     →                                                    als Bürgermeister.                                      Projekte umsetzen können. Es ist gelungen, einen
 Was werden künftige                                                        Besondere Meilensteine waren sicherlich die           vielfältigen und attraktiven Stadtteil für alle zu
 Generationen sagen?
Vision der vollendeten                                                    Eröffnung der Elbphilharmonie, die Fertigstellung       entwickeln. Aber die HafenCity ist noch nicht
  östlichen HafenCity                                                                                                                                                                        ↑
                                                                          der neuen U-Bahn-Stationen oder die Einweihung          fertig. Zum Beispiel im Überseequartier ist noch           Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher
        Visualisierung:
     EDGE bloomimages                                                     des Baakenparks.                                        einiges zu tun.                                            Foto: Ronald Sawatzki / Senatskanzlei Hamburg

                              HafenCity | Sonderausgabe | Dezember 2021                                                          Dezember 2021 | Sonderausgabe | HafenCity
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Modern & traditionell                                                                                                                 Modern & traditionell

                                                                                                                                                                                                                                                                  „Es gilt, sich immer wieder auf neue offene Prozesse
                                                                                                                                                                                                                                                                  einzulassen und den eigenen Handlungsrahmen
Ausgerechnet ein Walfänger. Kees Christiaanse            „Nicht akzeptiert und unterlegen“                        Das Ziel, bis 2035 zwei Drittel aller Emissionen                                                                                                zu hinterfragen. Wir müssen Antworten auf
erinnert sich noch gut an seine Überraschung, dass       Damit war der Ton des Symposiums gesetzt.                einzusparen, werde eine technische Revolution                                                                                                   Fragen, die noch gar nicht gestellt wurden, suchen.
er als junger Architekt einmal mit diesem dubiosen       Es wurde Rückschau auf mehr als 30 Jahre                 erzwingen und erlege der Stadtentwicklung eine                                                                                                  Zugleich gilt es, die Themen anschaulich zu
Beruf in Verbindung gebracht wurde. 1989 war das,        konzeptionelle Entwicklung und 20 Jahre Bau-             „antizipatorische Verantwortung“ auf. „Man kann                                                                                                 vermitteln. Speziell in Hamburg müssen wir uns
die Jagd auf die großen Meeressäuger war bereits         geschichte gehalten, Anekdoten aus dem Näh-              allerdings nicht verordnen, was die Basis nicht mit-                                                                                            zudem insbesondere um ein friedliches Mitein-
seit drei Jahren international geächtet, aber bis        kästchen inklusive, aber letztlich immer wieder          trägt“, warnte Sobek zugleich vor einer Über-                                                                                                   ander von urbanen und hafenwirtschaftlichen
nach Hamburg schien sich das noch nicht herum            mit Blick auf die großen Entwicklungslinien. Die         forderung der Bevölkerung. Als Beispiel nahm er                                                                                                 Nutzungen bemühen.“
gesprochen zu haben. Der damalige Oberbaudirek-          Präsidentin der Hamburgischen Architekten-               den Begriff des „virtuellen Wassers“. Gemeint ist
tor Egbert Kossak meinte es jedenfalls als Kompli-       kammer, Karin Loosen, etwa beschrieb ebenfalls           die Menge Wasser, die in einem Produkt oder                                                                                                     Das Schlusswort war Hamburgs Erstem Bürger-
ment, als er Christiaanse für seinen Beitrag zum         die Schwierigkeiten des Anfangs: „Die HafenCity          seiner Herstellung steckt. „Aber erklären Sie                                                                                                   meister Dr. Peter Tschentscher vorbehalten. In einer
Bauforum HafenCity mit dem Modell eines Wal-             war als Wohnstandort noch nicht akzeptiert und als       mal jemanden, dass seine virtuelle Wasserbilanz                                                                                                 Videobotschaft gratulierte er der HafenCity
fängers belohnte. „Wir sollten wohl diejenigen sein,     Bürostandort der City unterlegen.“ Die Einführung        schlecht ist“, so Sobek.                                                                                                                        zu ihrer Entwicklung, dankte der scheidenden
die mit unserem Entwurf die Bauherren fangen“,           von fünf Meter hohen Erdgeschossen zur Unterbrin-                                                                                                                                                        Geschäftsführung und wünschte der neuen alles
erzählt Christiaanse schmunzelnd im Rückblick.           gung öffentlichkeitsbezogener Nutzungen sei für          Kritik und (kaufmännische) Haltung                                                                                                              Gute: „An diesem Erfolg haben Professor Bruns-
Die HafenCity als reine Investoren-Architektur, die      Hamburg überhaupt völlig neu gewesen. „Am Ende           „Wir mussten das, was wir erreichen wollten,                                                                                                    Berentelg und Giselher Schultz-Berndt einen großen
ihre Netze nach den „dicksten Fischen“ auf dem           kam es auf die ersten Bauherren und ihren Mut an, sich   ständig kommunizieren“, bestätigte Prof. Bruns-                                                                                                 Anteil. Mit hohem Sachverstand und großem
Immobilienmarkt auswirft?                                auf dieses Abenteuer einzulassen“, so Loosen und         Berentelg. „Man musste Kritik bewusst aushalten.“                                                                                               persönlichen Einsatz haben sie die Entwicklung der
                                                                                                                  Neue Trends und Themen, die zu verspüren waren,                                                                                                 HafenCity maßgeblich mitgeprägt. Im Namen des

Auf neuen Pfaden
                                                                                                                  habe die HafenCity Hamburg GmbH (HCH) wissen-                                                                                                   Senats danke ich Professor Bruns-Berentelg und
                                                                                                                  schaftlich aufarbeiten lassen und systematisch in                                                                                               Giselher Schultz-Berndt sehr herzlich für ihre Arbeit
                                                                                                                  die Anwendung gebracht. Wichtig sei nicht zuletzt                                                                                               und den damit verbundenen Fortschritt in der
                                                                                                                  aber auch die „kaufmännische Haltung“ gewesen:                                                                                                  Stadtentwicklung Hamburgs. Dr. Andreas Kleinau
                                                                                                                  „Wir sind für Einnahmen und Ausgaben verantwort-                                                                                                und Theresa Twachtmann können darauf aufbauen
                                                                                                                  lich. Die Einnahmen wurden aber nicht abgeschöpft,                                                                                              und diese Arbeit fortführen. Ich freue mich auf die
Mit rund hundert Gästen fand am 27. Oktober 2021 ein Symposium                                                    sondern für Reinvestitionen genutzt. Das über die                                                                                               Zusammenarbeit und wünsche Ihnen ebenso viel
zur Baugeschichte der HafenCity statt. Von Henrike Thomsen                                                        Jahrzehnte aufgebaute Wissen wurde von der HCH                                                                                                  Erfolg bei der Entwicklung von Hamburgs neuen
                                                                                                                  schließlich auch für andere Vorhaben fruchtbar                                                                                                  Zukunftsorten: dem Grasbrook, dem Billebogen und
                                                                                                                  gemacht, betonte der Leiter der Bundesanstalt für                                                                                               der Science City Hamburg Bahrenfeld.“
                                                                                                                  Immobilienaufgaben Dr. Christopher Krupp.
                                                                                                                                                                            ↑
                                                                                                                                                                            Kees Christiaanse blickt in seiner Ansprache auf die Anfänge der HafenCity
Podiumsdiskussion auf dem Symposium „Auf neuen Pfaden“                                                                                                                      Entwicklung zurück Foto: Stefan Groenveld
Foto: Stefan Groenveld
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Oft ist dem Projekt dieser Vorwurf begegnet,             warnte alle künftigen: „Einfache Bauprojekte wird        „Ohne die Gesellschaft hätte es die Olympia-
aber letztlich zu Unrecht, meint der Leiter              es in der HafenCity nie geben.“ Doch lohne sich der      Planung nicht gegeben“, erinnerte er sich aus
des international renommierten Büros KCAP aus            Aufwand mit Blick auf die Qualität der Ergebnisse:       seiner früheren Zeit in der Hamburger Senats-
Rotterdam, der 1999 gemeinsam mit dem Kölner             „Wer hätte gedacht, dass mitten in Hamburg               kanzlei. Heute ändere sich die Rolle der östlichen
Architekturbüro ASTOC schließlich den Masterplan         einmal Gebäude aus Lehm und Holz entstehen?“             Nachbarn wie etwa des Stadtteils Rothenburgsort.
der HafenCity verfasste. „Es war der Schlüssel zum       Und auch ästhetische Qualitäten würden durch eine
Erfolg, dass sich die Akteure der HafenCity              Vielzahl von wettbewerblichen und kooperativen           Dank an die scheidende Geschäftsführung
mit dem Begriff Urbanität befasst, ihn in die            Verfahren gesichert.                                     Nach rund dreistündigem Programm mit Kurzvor-
Entwicklung eingebracht und als Konzept für              Als Pionier des innovativen Ingenieurbaus mahnte         trägen und Diskussion zog der neue Vorsitzende
Quartiere im menschlichen Maßstab, für eine              Prof. Werner Sobek mit Nachdruck die Rolle der           der HCH-Geschäftsführung, Dr. Andreas Kleinau,
intensive Funktionsmischung und qualitätvolle            Bauwirtschaft für den Klimaschutz an. „Das Bau-          ein Fazit. „Das Erfolgsrezept liegt in der Bereitschaft
Freiräume als Orte für Begegnungen ausgelegt             wesen ist für mehr als 50 Prozent der klimaschäd-        zum Perspektivwechsel – sei es für Konzepte der
haben“, so Christiaanse.                                 lichen Emmissionen verantwortlich“, bilanzierte er.      Stadt- und Quartiersentwicklung, für konkrete
                                                                                                                  Bauvorhaben oder für Konzepte der Kommunikation
                                                                                                                  und Beteiligung“, sagte er.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   ↑
                                                                                                                                                                                                                      Die ehemalige und die neue Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH auf der Symposiumsbühne:
                                                                                                                                                                                       Theresa Twachtmann, Giselher Schultz-Berndt, Dr. Andreas Kleinau und Prof. Jürgen Bruns-Berentelg (v. l. n. r. stehend) Foto: Stefan Groenveld
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Modern & traditionell

                                                                                           Geheimprojekt
Buchtipp

                                                                                           HafenCity
                                                                                            Die Rückschau auf die Anfänge der HafenCity liest sich
                                                                                            heute noch genauso spannende wie beim Erscheinen
                                                                                            vor fünf Jahren. Viele Jahre waren die Planungen streng
                                                                                            geheim gehalten worden. Der Autor Gert Kähler
                                                                                            vermochte den Prozess dennoch genau zu rekonstru-
                                                                                            ieren und den Leser:innen ein faszinierendes „Fern-
                                                                                            rohr in die Vergangenheit“ an die Hand zu geben,
                                                                                            wie Hamburgs Senatorin für Stadtentwicklung und
                                                                                            Wohnen Dr. Dorothee Stapelfeldt das Buch beschreibt.
                                                                                            Eine Schlüsselfigur ist Dr. Henning Voscherau,
                                                                                            damaliger Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg,           1
                                                                                            der den Beschluss zum Bau der HafenCity erst
                                                                                            verkündete, als bereits viele Gespräche geführt und
                                                                                            Vereinbarungen getroffen worden waren. Ihm sei                                                                                                                             Zeitkarussell

                                                                                                                                                                                                                                                                       Anfänge
                                                                                            bewusst gewesen, dass er damit am Rande der Legalität
                                                                                            agierte, aber das „Jahrhundertprojekt rechtfertigt
                                                                                            alles“, wird der „Vater der HafenCity” zitiert.

                                                                                            Die Dokumentation der verschlungenen Wege bis
                                                                                            zum Startschuss für die Realisierung liest sich nicht
                                                                                            umsonst streckenweise wie ein Krimi. Leider vergriffen
                                                                                            & nur im Modernen Antiquariat erhältlich!

                                                                                            „Geheimprojekt HafenCity oder Wie erfindet man einen
                                                                                            neuen Stadtteil?“ von Gert Kähler, Herausgeber Volk-
                                                                                            win Marg. Dölling & Galitz, München / Hamburg 2016

                                                                                                                                                        2                                                                                                                3

                                                                                                                                                        4

 Dr. Henning Voscherau, damals Hamburgs Erster Bürgermeister, erklärt 1997 erstmals die Pläne für die HafenCity Archivfoto: HafenCity                 1. 1996: Die erste Skizze zur HafenCity von Volkwin Marg Visualisierung: gmp Architekten | 2. 2017: Spatenstich für das südliche Überseequartier Foto: Thomas Hampel
                                                                                                                                                      3. 2006: Grundsteinlegung für die Katharinenschule Foto: Thomas Hampel | 4. 2021: Grundsteinlegung Edge Elbside Foto: Thomas Hampel
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
1. Zweibrückenstraße: Entwässerung bei Niederschlag und normalem Wasserstand der Elbe

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Abenteuer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Haltestelle
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Elbbrücken

                                                                                                                                                                                                                                                    Elbbrücken

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Bauen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Ver smanns traß e
                                                                                                                                                                                                                                            mittlerer                  Elbe
                                        Promenade        HWS-Wand                                                     1. Geschoss Tiefgarage                         HWS-Wand                Promenade
                                                                                                                                                                                                                                        Tidewasserstand
                                                                                                                      2. Geschoss Tiefgarage mit Auftriebssicherer Sohle
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Zweibrücken-
 Sandtorpromenade                                                                                                                                                                                                Grasbrookhafen                                                                                                                                                                     straße
             - 6,00 m NN                                                                                                                                                                                              - 3,50 m NN
                                                                                                                                                                                                                                                                                   Regenwasser-
                                                                                                                                                                                                                                                                                 behandlungsanlage
                                                                                      Vertikal Drainage                                                                                                                                                                                                                        Druckleitung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Straßentrog
                                                                                                                                            Tiefgründung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Siel

2018: Moderner Hochwasserschutz: Bauen auf erhöhten Warftgeschossen in der HafenCity Visualisierung: HafenCity Hamburg GmbH                                                                                                                                                                                                                           Pumpwerk

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Zeitkarussell
                                                                                                                                                                                                                                    2018: Über ein ausgeklügeltes System wird das Regenwasser an der tiefliegenden Zweibrückenstraße abgeführt Visualisierung: Christian Eisenberg

                                                                                                                                                                                                         Sitzpodest                    2. Zweibrückenstraße: Hochwasser der Elbe über NN + 5,0 m                                                      3. Zweibrückenstraße: Auflaufendes Hochwasser der Elbe bis NN + 5,0 m
                                                                                                                                                         Aussichtsplattform
                                                                                                                                                                                                                 vorkultivierte
                                                                                                                                     Tideröhrichtzone aus                                                        Gräsermatten
                                                                                             Geländeaufhöhung                        Schilf- und Simsenarten                                                                                                                                                                   Haltestelle
                                                          Geotextil                          um ca. 3 m                                                                                                                                                                                                                        Elbbrücken
                                                                                                                                                                     Füllsand                                                                                                                                                                                                                                                                 Haltestelle
 Leitungen und Kanäle für Strom,                                                                                                                     Oberboden / humoser Sand
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Elbbrücken
 Gas, Telekommunikation, Wasser u. a.
                                                                                           U-Bahn-
             Ober                                                                          Linie                                                                                                                         Inselweg
                    ha fe
                            n                                                                                                                                  Schutzgabione
    Baak                                                                                                                                                                                                                               Hochwasser                                                              Flutung des
           enha                                                                                                                                                    Trennvlies
                  fen                                                                                                                                                                                                                 über NN + 5,0 m                                                         Straßentrogs
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Drainanlage mit
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Gegendruck             Hochwasser
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Darinagerohren       Zweibrücken-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    über NN + 5,0 m
        Elbe                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       straße
                                                                                                        Schlitzwand
                                                                                                                                                                                                                                     Flutung             Ablauf
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Überlaufschacht   Regenwasser-
                                                       Betonsäulen                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   behandlungsanlage
 Ab Sommer 2013 wird eine zweispurige                                                                  Kleischicht                                                                                                                                                                       Zu- und
                                                                                                                                                                                                          Geogitter
 Umleitung eingerichtet, während die neue Versmannstraße                                                                                                                                                                                                                               Ablaufleitung                                                                                                 Zu- und
 und die Verlängerung der U4 hergestellt werden. Die tempo-                                                                                                                 Betonelement                                                                                                                                                                                                           Ablaufleitung
                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Pumpwerk          Grundwasser-
 räre Verkehrsführung verläuft über die neue Brücke über den
                                                                                                     tragende Sande                                                                                       Basisgabione                                                                                 außer Betrieb         druck
 Baakenhafen direkt an der Elbe entlang bis zu den Elbbrücken.               Mikropfähle                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Pumpwerk        Grundwasser-
 Nach Abschluss der Bauarbeiten wird der Verkehr zurückgelegt                                                                                                                                             Verrieselter Sand                                                                                                                                                                                                              druck
 und das Elbufer als breite grüne Promenade gestaltet.

2013: Schnitt durch die Versmannstraße Visualisierung: Christian Eisenberg                                                    2014: Aufbau des steilen Himmelsbergs im Baakenpark Visualisierung: Christian Eisenberg               Visualisierung: Christian Eisenberg                                                                           Visualisierung: Christian Eisenberg

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Bürogebäude
                                                                                                                                                                                                                                         Schwingungsübertragung                                                                                                                                                                    „Watermark“
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Bürogebäude
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            „Shipyard“
                                                                                                                                                                                                                                         Federelemente
                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Wohngebäude „Freeport“
                                                                                                                                                                                                                                         200 Stahlfedern ent-
                                                                                                                                                                                                                                         koppeln das Gebäude                                           Das Gebäude wird über dem Erdgeschoss mithilfe von
                                                                                                                                                                                                                                         von Schallübertragungen.                                      Federelementen und anderen technischen Maßnahmen
                                                                        1                                                                            Oberhafenquartier                                                                   Dieselbe Technik kam in                                       vom darunter liegenden Gebäude vollständig schall-
                                                                                                                                                                                                                                         der Elbphilharmonie zum                                       technisch entkoppelt (siehe links).
                                                                                                                                                                                                 3                                       Einsatz.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Baakenhafen

                                         Lohseparkquartier mit Schulcampus                                                                                                                                                                                     äußerer Schacht    innerer Schacht
                                                                                                                                                                   12
                                         (Bebauung nicht dargestellt)

                                                                                                                                                        2
                                                                                                                                                                                                                         13              Aufzug
                                                                                                                                                                                                                                         Aufzugsschächte werden
                                                                                                                                                                                                                                         mit einem speziell konstui-
                                                                                                                                                                                                                                         erten „Schacht im Schacht“
                                                                                                                                                                                                                                         ausgeführt.
                                              3
                                                                                                11

                                                                                 4                                                                                                                                                                                        Fuge
                                4                                                                                           Tunnel
                                                                                                                                                                                                                                         Treppen
   Versmannstraße                                                                                                                                                                                                                        Auch Treppen, Rohr-
                                                                                 5                                                                                                                                                       leitungen und Lüftungen
                                                                                                                                                                                                                                         müssen in der Gebäudefuge
                                                                                                                                                                                                                                         über dem Erdgeschoss ent-
                                                                                                                                                                                                                                         koppelt werden.
                                                                                                                                                                                 11
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Tiefgarage
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Lärm- und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Schwingungs-                                                                             Zwei Ebenen für unterirdische Park-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       1. Untergeschoss                            plätze haben auch eine konstruktive
                                                                                                                                                               1    Bahndamm                         8      Schlitzwände                                                                                                   emissionen
                   6                                                                                                                                                                (Pfeilerbahn)                                                                                                                                                                                                                  Funktion: Die Auflast über dem Tunnel
                                                                                                                       10                                                                                                                                                                                                                                              2. Untergeschoss
                                                                                                                                                                                                                                                                            Magdeburger Hafen                                                                                                                      wird wie durch eine Brücke reduziert.
                                                                                                                                                               2    ebenerdige Gleise                9      Mikropfähle
  ← weiterer Ausgang
                                                                                                                                                                                                            verankerte
                                                                                                                                                               3    Aufzüge                          10
                                                                                                         9                                                                                                  Baugrubensohle

                                                                                                                                                               4    Stromtrassen (unterhalb          11     Spundwände
                                                                                                                                                                    der Straßen u. der Gleise)
                                    7                                                                                                                                                                                                    Verlauf der U4
                                                                                                                                                               5    LED-Paneele                      12     Serviceweg DB                 Der U-Bahn-Tunnel führt unter dem Magdeburger
                                                                             8                                                                                                                                                            Hafen durch. In der Gebäudeplanung wurde dies
                                                                                                                                                                                                                                          umfassend berücksichtigt. Zwischen dem Gleisbett
                                                                                                                                                               6    Zwischenebene                    13     Ausgang                       und dem Untergrund wurden Unterschottermatten
                                                                                                                                                                                                                                          zu einem ersten Schutz gegen Emissionen durch
                                                                                                                                                                                                            Oberhafen mit                 Schall und Schwingungen eingelegt.
                                                   8                                                                                                                                                                                                                                                    Unterschottermatten
                                                                                                                                                               7    U4                                      Treppe u. Rolltreppe

2021: Der derzeit im Bau befindliche Fußgängertunnel unter den Bahnschienen wird die U-Bahnstation HafenCity Universität an der Versmannstraße mit                                                                                  2017: Über dem Tunnel der U4 erhebt sich das Gebäudeensemble rund um den Turm „Watermark“ am Magdeburger Hafen Visualisierung: Christian Eisenberg
dem Sportgelände am Oberhafen verbinden Visualisierung: Christian Eisenberg
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Stadt &
   Nachhaltigkeit

                                                                                                                                                                                                                                                                    Grußwort
                                                                                                                                                                            Zu den detaillierten Forderungen für Stadtent-
                                                                                                                                                                            wicklung und vielen anderen Themen siehe:

                                                                                                                                                                            www.fridaysforfuture.de
                                                                                                                                                                                                                                                                                 ↑
                                                                                                                                                                                                                                                                                 Stadtentwicklungssenatorin Dr. Dorothee Stapelfeld
                                                                                                                                                                                                                                                                                 Foto: Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg

                                                                                                                                                                                                                                                                                 Vom Geheim-
                                                                                                                                                                                                                                                                               projekt zum Juwel
↑                                                                                                                                                                                                                                                                                Wie Hamburgs Senatorin für Stadtent-
Zehntausende folgten in Hamburg dem Aufruf zur Fridays-for-Future-Demonstration im September 2021
Foto: Florian Quandt
                                                                                                                                                                                                                                                                                 wicklung und Wohnen den politischen

              »Hamburg braucht das
                                                                                                                                                                                                                                                                                 Coup der HafenCity erinnert – und die
                                                                                                                                                                                                                                                                                 Menschen, die ihn prägten

                                                                                                                                                                                                                                                                                 Als vor fünf Jahren im Rahmen einer kleinen Feier

            365-Euro-Ticket – für alle«
                                                                                                                                                                                                                                                                                 Prof. Gert Kählers spannendes Buch „Geheim-
                                                                                                                                                                                                                                                                                 projekt HafenCity“ vorgestellt wurde, erinnerten wir
                                                                                                                                                                                                                                ←                                                uns gemeinsam an die Anfänge dieses wohl bedeu-
                                                                                                                                                                                                                                Gemeinsam mit Fridays for Future fordert
                                                                                                                                                                                                                                Maia Stimming Klimaneutralität bis
                                                                                                                                                                                                                                                                                 tendsten Meilensteins der Hamburger Stadtent-
                                                                                                                                                                                                                                spätestens 2035 Foto: Miguel Ferraz              wicklung in den vergangenen Jahrzehnten.
        Maia Stimming ist 16 Jahre alt und engagiert sich seit zwei Jahren bei Fridays for Future Hamburg. Sie besucht die 11. Klasse
                                                                                                                                                                         Umnutzung in Städten ist eine Sache, das Bauen                                                          Alles begann mit dem politischen Coup, den
           des Gymnasiums Othmarschen und absolviert nebenbei ein Junior-Studium in Geografie an der Universität Hamburg
                                                                                                                                                                         neuer Gebäude eine andere. Wie steht ihr dem                                                            Hamburgs Bürgermeister Voscherau am 7. Mai 1997
                                                                                                                                                                         Thema Neubauten gegenüber?                                                                              anstieß, nach langen vertraulichen Vorgesprächen:
Um das 1,5 Grad Ziel einzuhalten und Klima-                   einer recht privilegierten Situation. Meine Familie   als das Auto. Und Kopenhagen ist auch weit vorn.                                                                                                             In einer Rede im Übersee-Club beschrieb er
neutralität bis 2035 zu erreichen, verlangt                   kann sich meine Jahreskarte für den ÖPNV leisten.     Die Stadt will ja schon 2025 klimaneutral werden.    Maia Stimming Letzten Endes geht es ja darum,                                                           seinem erstaunten Publikum „ein großes, ganz
Fridays for Future von der Politik eine Vielzahl              Das gilt aber nicht für alle Menschen – und das       Da sollte sich Hamburg wirklich etwas abschauen.     Ressourcen zu sparen. Wenn ich mir die HafenCity                                                        konkretes Projekt des Stadtumbaus, das sicher
von Maßnahmen. Dabei appelliert ihr auch an                   wollen wir ändern.                                    Gerade wenn der Erste Bürgermeister verkündet,       anschaue: Da mussten viele neue Häuser gebaut                                                           zwei, drei Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts in
die Hamburgische Bürgerschaft und den Senat.                                                                        dass Hamburg die erste klimaneutrale Metropole       werden, weil eben vorher keine Altbauten da waren,                                                      Anspruch nehmen wird“. Große, treffende Worte,
Was sind eure zentralen Forderungen?                          Ihr sagt, es braucht ein Konzept, das den ÖPNV        Europas werden soll und im Klimaschutzgesetz         die man hätte sanieren können. Aber Konzepte,                                                           und in der Zeitperspektive von der späteren Realität
                                                              für alle finanzierbar macht. Und das gibt es ja       2050 steht – das passt einfach nicht zusammen.       wo zum Beispiel recycelte Baumaterialien benutzt                                                        sogar noch eingeholt, denn die HafenCity steht in-
Maia Stimming Über allem steht die Forderung,                 auch schon: In Wien zum Beispiel kann für einen                                                            werden, sind extrem sinnvoll und sollten dringend                                                       zwischen, zu Beginn des dritten Jahrzehnts ihrer
dass Hamburg seinen Beitrag leisten soll, um                  Jahresbeitrag von 365 Euro jede:r die öffentlichen    Wie hast du die Reaktionen der Politik auf eure      überall umgesetzt werden. Genau wie der Einsatz                                                         Geschichte, vor der Vollendung.
die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten, was eben heißt,              Verkehrsmittel nutzen.                                Forderungen bisher wahrgenommen?                     von Zertifizierungslabels. Wenn aber schon Ge-
dass wir bis 2035 klimaneutral werden müssen.                                                                                                                            bäude da sind, müssen die auch genutzt werden                                                           Doch nicht nur die Größe des Vorhabens beein-
Das bedeutet auch, dass der Hamburger Senat                   Maia Stimming Ja, wir brauchen auch für Hamburg       Maia Stimming Die Forderungen haben wir im           und nicht abgerissen, wobei das ganze Material                                                          druckte damals wie heute. Das Projekt berührte
ein 1,5-Grad-konformes Restbudget für den                     das 365-Euro-Ticket. Denn jetzt ist es für Familien   August 2019 aufgestellt – am Anfang gab es           entsorgt wird, nur um daraufhin neue Gebäude                                                            zugleich ein Spannungsverhältnis zwischen Hafen-
CO2-Ausstoß festlegen muss. Das Ziel der Klima-               mit niedrigem Einkommen einfach zu teuer. Der         einige Gespräche mit der Politik, die sind aber      mit klimaschädlichem Zement hochzuziehen.                                                               grenze und Innenstadt. Wie heikel das war, räumte
neutralität betrifft alle Bereiche: Gebäudesektor,            ÖPNV darf auch nicht komplett kostenlos sein,         recht schnell im Sande verlaufen. Im September       Deswegen fordern wir eine energetische                                                                  Henning Voscherau erst später vor der Hamburg-
Energiesektor und Verkehr. Hier fordern wir zum               denn die Fahrer:innen müssen ja ein vernünftiges      2020 haben wir dann ein Klima Camp aufgebaut         Sanierung des Gebäudebestandes bis 2035.                                                                ischen Bürgerschaft ein; entsprechend waren
Beispiel einen sofortigen Baustopp von Auto-                  Gehalt bekommen. Aber ein Ticket darf einfach         und über ein Jahr lang 24/7 dort gestreikt, aber                                                                                                             die Reaktionen. Auf seine eher vorsichtig
bahnen und dass der ÖPNV ausgebaut wird,                      nicht so viel kosten wie jetzt gerade.                es passierte immer noch nicht viel. Das macht        In der Debatte um energetische Sanierung wird                                                           beschwichtigende Skizzierung des Vorhabens
die Innenstadt autofrei wird und mehr Fahrrad-                                                                      natürlich wütend. Da fragt man sich: Was soll das?   häufig auf die hohen Kosten verwiesen, zumal oft                                                        „HafenCity“ antwortete der Redner der opposi-
straßen ausgebaut werden.                                     In Hamburg sind derzeit rund 799.000 Pkws             Wollt ihr uns veräppeln? Gerade, weil das Bundes-    nicht klar ist, ob Vermieter:innen oder Mietende                                                        tionellen Christdemokraten Ole von Beust mit dem
                                                              angemeldet. Kannst du dir erklären, warum wir         verfassungsgericht vor kurzem geurteilt hat, dass    dafür aufkommen.                                                                                        Urteil, Voscheraus Vision sei „kein mutiger Tabubruch“,
Ihr wollt also ganze Straßenzüge für den Autover-             so am Auto hängen?                                    2050 zu spät ist. Wir brauchen Klimaneutralität                                                                                                              sondern vielmehr ein alter Hut, gar ein „Wolken-
kehr sperren, ähnlich wie den Jungfernstieg, der                                                                    bis spätestens 2035.                                 Maia Stimming Gerade bei diesem Thema sollte                                                            kuckucksheim“. Heute können wir über beides
vergangenes Jahr umgestaltet wurde?                           Maia Stimming Natürlich ist Deutschland eine                                                               klar sein, dass der Staat unterstützen muss, weil es                                                    lächeln, und dieses in seiner Art beispiellose,
                                                              Auto-Nation. Das Auto ist einfach ein Status-         Der Klimawandel hat viele Auswirkungen, viel-        untragbar ist, dass die Mieten noch weiter steigen.                                                     hervorragend gelungene Stück neues Hamburg
Maia Stimming Der Jungfernstieg ist ja nicht                  symbol und Hamburg eine verhältnismäßig reiche        leicht auch auf das Entstehen von Pandemien.         Aber dieses „Mimimi“ (steht für mimosenhaftes                                                           strahlt umso leuchtender. Vor allem aber: Viele
autofrei, sondern nur autoreduziert – Taxen und               Stadt. Hier haben Familien zum Teil auch zwei oder    Durch Corona sind in vielen deutschen Innenstäd-     Verhalten, Anm. d. Red.) bei Kostenfragen ist                                                           Tausend Menschen fanden in der HafenCity eine
Busse dürfen weiterhin durchfahren. Das ist auch              noch mehr Autos und der SUV gehört dazu. Wahr         ten verstärkt Ladenflächen und teils ganze Kauf-     generell der falsche Ansatz. Es ist glasklar: Wenn                                                      Heimat zum Wohlfühlen.
sinnvoll, da wir die Busse für den öffentlichen               ist aber auch, dass Hamburg in der zweiten Hälfte     häuser freigeworden, auch in Hamburg. Wie könn-      wir jetzt kein Geld ausgeben, um – plakativ gesagt
Nahverkehr brauchen. Ein ähnliches Projekt in                 des 20. Jahrhunderts zur autogerechten Stadt          ten diese deiner Meinung nach genutzt werden?        – die Welt zu retten, dann wird die Welt uns das                                                        Über fast den gesamten Entwicklungszeitraum
Ottensen wurde im vergangenen Jahr leider erst-               umgebaut wurde. Das merkt man heute überall:                                                               später heimzahlen und zwar doppelt und dreifach.                                                        stand mit Prof. Jürgen Bruns-Berentelg ein Mann an
mal gekippt. Dabei fand ich den Pilotversuch toll.            Für Autos ist immer Platz, für Fahrräder wird         Maia Stimming Da gibt es natürlich tausend Mög-      Nehmen wir die Flutkatastrophe diesen Sommer,                                                           der Spitze der HafenCity GmbH, der sich mit großer
Wir brauchen viel mehr autoreduzierte Straßen,                gerade erst Platz geschaffen. Es ist natürlich        lichkeiten, gerade in der Innenstadt. Ich fände es   die Schäden in Höhe von mehr als 29 Milliarden                                                          Expertise und nie nachlassender Leidenschaft
das bietet mehr Lebensqualität und verursacht                 schön, dass sich das langsam ändert, aber das         sinnvoll, daraus bezahlbaren Wohnraum zu machen.     Euro verursacht hat. So etwas wird häufiger                                                             diesem und weiteren wichtigen Projekten widmete.
auch viel weniger Lärm.                                       hätte viel früher passieren müssen. Sodass es         Für die Menschen, die in Deutschland am meisten      passieren: Dürren, Nahrungsmittel-Ausfälle                                                              Er wie auch Geschäftsführer Giselher Schultz-
                                                              von Anfang an attraktiver gewesen wäre, nicht         unter der Klimakrise leiden. Menschen mit wenig      und so weiter. Da kommen immense Kosten                                                                 Berndt gehen nun in den Ruhestand, und ihnen
Wie bewegst du dich denn am liebsten von A nach B?            das Auto zu nutzen, sondern Fahrrad oder ÖPNV.        Geld sind von vielfältigen Problemen betroffen und   auf uns zu. Und wir stehen natürlich auch                                                               beiden gilt unser aller tief empfundener Dank
                                                                                                                    die Klimakrise macht vieles noch schlimmer. Hitze    in der Verantwortung anderen Ländern                                                                    für ihren Anteil an einem städtebaulichen Juwel,
Maia Stimming Auf Strecken unter zehn Kilo-                   Welche Städte könnte sich Hamburg in dieser           ist schwerer zu ertragen, wenn man zu zehnt in ein   zu helfen. Da muss jetzt einfach Geld                                                                   das noch viele Jahrzehnte das Gesicht unserer
metern mit dem Fahrrad. Jetzt im Winter wird                  Hinsicht zum Vorbild nehmen?                          paar Räumen aufeinander hockt. Daher sollten         ausgegeben werden, damit es                                                                             schönen Stadt mit prägen wird.
es zu kalt, dann nehme ich Bus und Bahn. Auto                                                                       solche Flächen auch nach sozialen Kriterien ver-     später überhaupt noch Leben
fahre ich eigentlich nie, höchstens wenn ich                  Maia Stimming Natürlich sind die klassischen          geben werden.                                        gibt. Es gibt keine Wirtschaft
nicht in Hamburg bin und zum Beispiel meine                   Fahrradstädte, wie in den Niederlanden, Vorbilder.                                                         auf einem toten Planeten.
Großeltern besuche. Aber ich bin da auch in                   Da ist eher das eigene Fahrrad das Statussymbol
                                                                                                                                                                         Interview:
                                                                                                                                                                         Melanie Kausch
                                                            HafenCity | Sonderausgabe | Dezember 2021
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Stadt & Nachhaltigkeit

                                                                                                                                                                           Die HafenCity als politische Bühne: Wahlkampfveranstaltung der SPD 2009 Foto: Thomas Hampel
Grußwort                                                                                                                                                                   ↓

                                                        Können Städte Antworten zum Kilmaschutz liefern? Hamburgs Senator für Umwelt, Klima,
                                                        Energie und Agrarwirtschaft Jens Kerstan ist gespannt, wie es in der HafenCity weitergeht

                                                        Weg von den blinden Flecken
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Manche Anwohner:innen waren nicht begeistert über
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   den Anblick des Punk-Musicals mitten in der HafenCity
                                                        Vor 20 Jahren hat Hamburg mit der HafenCity einen     an der Elbe. Kurze und attraktive Wege, am besten                                                                                                                                    Foto: Veranstaltungsarchiv HafenCity Hamburg GmbH
                                                        Aufbruch gewagt. Die Aufgabe war gigantisch: Aus      direkt am Wasser – so macht es Spaß, zu Fuß oder                                                                                                                                     ↓
                                                        einem „blinden Fleck“ mit alten Hafenanlagen und      per Rad unterwegs zu sein. Carsharing-Konzepte
                                                        Industriehallen einen Ort zum Leben und Arbeiten      und eine gute Anbindung an Bus und Bahn machen
                                                        komponieren. Und das möglichst nachhaltig. Heute      das eigene Auto überflüssig. Und: Die HafenCity
                                                        macht die HafenCity vor, wie wir unsere Städte        wird immer grüner. Rund 2.000 Straßenbäume
                                                        weiterentwickeln können und liefert auch Ant-         sorgen für gutes Klima, in den vielen Parks lässt sich
                                                        worten auf die vielen Fragen im Klima- und Umwelt-    wunderbar spazieren gehen und Sport treiben.
                                                        schutz. Von der effizienten Flächennutzung über
                                                        ressourcenschonendes Bauen und moderne Mo-            Seit dem ersten Rammschlag ist in der HafenCity
                                                        bilität bis zu nachhaltigen Energielösungen: Die      Großes gelungen. Den Macherinnen und Machern,
                                                        HafenCity hat jede Menge frischen Wind in die öko-    allen voran Prof. Jürgen Bruns-Berentelg und
                                                        logische Stadtentwicklung gebracht. Pionier war       Giselher Schultz-Berndt, möchte ich zu diesem
                                                        der Stadtteil mit seinem Umweltzeichen HafenCity,     Jubiläum herzlich gratulieren und Danke sagen. Ich
                                                        dem deutschlandweit ersten Zertifizierungssystem      bin gespannt, wie hier Hamburg unter Dr. Andreas
                                                        für nachhaltiges Bauen. Das Umweltzeichen hat         Kleinau und Theresa Twachtmann weitererzählt
                                                        Standards für Gebäude gesetzt – zum Beispiel für      wird, etwa mit dem deutschlandweit höchsten Holz-
                                                        den Einsatz umweltschonender und inzwischen auch      haus. Die Kräne in der HafenCity werden sich noch

                                                                                                                                                                           Gelber Planet,
                                                        recycelbarer Materialien, für Energieerzeugung aus    ein paar Jahre drehen, bis sich Hamburg ganz seinem
                                                        regenerativen Quellen und nachhaltigem Betrieb.       großen Strom geöffnet hat. Die Herausforderungen
                                                        In den neuen Quartieren sind heute emissionsarme      für den Klima- und Umweltschutz werden dabei
           ↑
                                                        Wärmeenergiekonzepte und vielfältige Mobilitäts-      nicht kleiner. Für die folgenden Etappen wünsche ich

                                                                                                                                                                           grüner Planet
           Senator Jens Kerstan, Behörde für Umwelt,    angebote so selbstverständlich wie die steife Brise   weiter Mut, Innovationsfreude und gutes Gelingen.
           Klima, Energie und Agrarwirtschaft
           Foto: F. Besser / Senatskanzlei Hamburg

                                                                                                                                                                           Ist die HafenCity ein Viertel für Bessergestellte? Oder ein Labor für
                                                                                                                                                                           Stadtentwicklungsfragen? Leider weder noch. Von Christoph Twickel

                                                                                                                                                                           „Die HafenCity ist ein kleiner gelber Planet“ schrieb            Vielleicht liegt es auch an den Baugemeinschaften,     Anwohner mit seinen Unternehmerfreunden wohl
                                                                                                                                                                           die ZEIT vor 12 Jahren anlässlich der Bundestags-                die im Laufe der Jahre in die HafenCity gezogen sind   unter sich geblieben. Doch seit 2011 hat die Stadt
                                                                                                                                                                           wahl 2009. 27,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler               – deren Klientel speist sich eher aus dem mittel-      wieder eine sozialdemokratisch geführte Stadt-
                                                                                                                                                                           in Hamburgs neuem Stadtteil hatten damals bei der                ständisch-ökologischen Milieu. Jedenfalls sind die     regierung. Und die wollte auch in der HafenCity
                                                                                                                                                                           FDP ihr Kreuz gemacht. Nicht mal 2.000 Menschen                  Bewohner:innen des Stadtteils heute weniger für den    durchsetzen, dass ein Drittel Sozialwohnungen
                                                                                                                                                                           wohnten seinerzeit in der HafenCity, das Wahl-                   Schutz ihrer Lebenseinstellungen als für den Schutz    entsteht. Deshalb wohnen hier – Stand Ende 2018 –
                                                                                                                                                                           ergebnis passte nahtlos in das Gesamtbild, das auch              der Umwelt zu haben. Bei einer Demonstration           inzwischen so viele Empfänger:innen von Arbeits-
                                                                                                                                                                           ich mir von Hamburgs Retortenstadtteil machte:                   im Spätsommer 2021 – angeblich die erste seit          losengeld wie im Stadtteil Sternschanze und
                                                                                                                                                                           Ein Ort, in dem sich Bessergestellte Designer-                   Existenz der HafenCity – forderten Anwohner:innen      fast doppelt so viele wie in Ottensen. Wäre es
                                                                                                                                                                           wohnungen mit unverbaubarem Elbblick kau-                        gar, ein brachliegendes Baufeld solle unbebaut         sozialer, wenn die Stadt von dem Geld in
                                                                                                                                                                           fen, an den die unteren Schichten nur als Reini-                 bleiben, schon wegen des Klimawandels. Man solle       Billstedt oder Finkenwerder dreimal so viele Sozial-
                                                                                                                                                                           gungs- oder Servicekräfte gelangen. Die HafenCity                es in einen Park umwandeln. Eigentlich sollte hier     wohnungen baute? Ähnliche Fragen stellen sich
                                                                                                                                                                           ist ein Stadtviertel, das auf die „Bedürfnisse der               Gruner & Jahr sein neues Flaggschiff-Verlagshaus       bei der Debatte um mehr oder weniger Grün-
                                                                                                                                                                           etablierten Unternehmen der Kreativwirtschaft zu-                bauen, aber wer braucht noch flagship architecture     flächen in der HafenCity: Sollten wir, um anderswo
                                                                                                                                                                           geschnitten“ sei, heißt es in einer Studie aus den               im Zeitalter von Homeoffice? Klimaschützer:innen       unversiegelte Flächen zu schützen, den neuen
                                                                                                                                                                           späten nuller Jahren. Im Schatten des Marco Polo                 versuchen Bürobauten in der HafenCity zu verhindern:   Stadtteil so dicht wie möglich bebauen? Und
                                                                                                                                                                           Towers führte ich 2010 mit dem Performancekol-                   Als ich mit dem inzwischen ehemaligen HafenCity-       müsste man dann nicht für jedes Gebäude in der
                                                                                                                                                                           lektiv Schwabinggrad Ballett das Straßen-Musical                 Chef Jürgen Bruns-Berentelg, an sich ein sehr          HafenCity anderswo ein Feuchtbiotop oder eine
                                                                                                                                                                           „Business Punk City“ auf, ein Spottspektakel auf die             unaufgeregter Typ, darüber sprach, sah ich den         Streuobstwiese      unter     Naturschutz      stellen?
                                                                                                                                                                           Ideologie der „Creative City“, die seinerzeit auch in            Anflug einer Zornesfalte auf seiner Stirn: Das sei     Andererseits: Hat die HafenCity-Bewohnerschaft
                                                                                                                                                                           Hamburg Oberwasser hatte. Am nächsten Tag be-                    doch nicht klimafreundlich, argumentierte er,          nicht auch ein Anrecht auf einen lokalen Beitrag
                                                                                                                                                                           schwerte sich ein Anwohner vom Kaiserkai per Mail                wenn man an einem ohnehin schon verdichteten           zum Klimaschutz? Wer zugunsten des Lastenrads
                                                                                                                                                                           bei der zuständigen HafenCity GmbH: „Dies war kein               Ort darauf verzichte, Arbeitsplätze zu schaffen.       auf den SUV verzichtet, möchte ja nicht in einer
                                                                                                                                                                           normales Konzert mit Musik zur Freude der Anwohner               Schließlich müsse dann anderswo womöglich eine         Asphaltwüste wohnen.
                                                                                                                                                                           (...) Müssen Sie solche Veranstaltungen, die sich ge-            heute unversiegelte Grünfläche dran glauben,           All diese Auseinandersetzungen laufen im Kern auf
                                                                                                                                                                           gen uns Anwohner und unsere Lebenseinstellungen                  damit die Arbeitsplätze entstehen.                     eine Entscheidung hinaus: Soll die HafenCity als Teil
                                                                                                                                                                           richten genehmigen? Wenn ich sowas im Freundes-                                                                         eines Gesamtkonzeptes Stadt bestimmte Funk-
                                                                                                                                                                           kreis und befreundeten Unternehmern erzählt, dann                Für jedes Gebäude eine Streuobstwiese?                 tionen übernehmen? Oder soll sie Modellcharakter
                                                                                                                                                                           will keiner von denen mehr hierherziehen.“                       Der Streit erinnert mich an eine Diskussion, die ich   haben, idealtypisch sein? Man ahnt es: Im wirklichen
                                                                                                                                                                                                                                            mit dem Stadtsoziologen Jens Dangschat vor rund        Leben gewinnt mal diese, mal jene Alternative –
                                                                                                                                                                           Das Bild hat sich gewandelt                                      zehn Jahren hatte, als wir durch die HafenCity         je nach politischer Konjunktur, Parteienproporz und
                                                                                                                                                                           Heute sind die Grünen in der HafenCity die stärkste              spazierten. Dangschat, eigentlich ein ausgewiese-      Beschwerdemacht der Anwohnerschaft. Die
                                                                                                                                                                           Partei. Sie haben bei der letzten Bundestagswahl                 ner Gentrifizierungs-Kritiker, war dagegen, in der     HafenCity ist kein Labor, hier wohnen keine Ver-
                                                                                                                                                                           mit 28 Prozent sogar mehr Stimmen bekommen als                   HafenCity Sozialwohnungen zu bauen. Die Stadt          suchsratten, sondern echte Menschen – und
                                                                                                                                                                           seinerzeit die Gelben. Vielleicht sind die Grünen,               solle die Grundstücke lieber so teuer wie möglich      auch die politischen und wirtschaftlichen Lobby-
                                                                                                                                                                           wie Jutta Ditfurth einst sagte, einfach eine FDP mit             vermarkten – mit dem eingenommenen Geld könne          kräfte, die hier walten, sind real. Natürlich: Die Idee
                                                                                                                                          ←                                Fahrrad. Das hieße, dass einige der FDP-Wähler:innen             sie in anderen Stadtteilen deutlich mehr Sozialwoh-    eines Stadtteils, in dem grundsätzliche Fragen
                                                                                                                                          Kinder bei der Eröffnungsfeier
                                                                                                                                          des Baakenparks 2018
                                                                                                                                                                           in der HafenCity ihren SUV verkauft hätten und                   nungen bauen. Hätte sich Dangschats Argument           diskutiert werden, in dem nach reiflicher Überlegung
                                                                                                                                          Foto: Miguel Ferraz              jetzt für ein lastenradfreundliches Viertel kämpfen.             durchgesetzt, wäre oben zitierter Kaiserkai-           alles richtig gemacht wird – wie schön wäre das!

                                                       HafenCity | Sonderausgabe | Dezember 2021                                                                                                                                          Dezember 2021 | Sonderausgabe | HafenCity
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Stadt & Nachhaltigkeit

Mit der HafenCity hat Hamburg Anschluss an wegweisende städtebauliche Entwick-
lungen in England, den Niederlanden, den USA und Asien gefunden – und sogar vieles
besser gemacht. Von Katrin Loosen, Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer

Den Städtebau
zum Leben erweckt
Die HafenCity war und ist innovativ auf gleich           Eine Herkulesaufgabe
mehreren Feldern: Da wäre zunächst einmal die            Stadt- und Immobilienentwicklung in diesen
Gründung eines städtischen Unternehmens (GHS,            Dimensionen ist niemals nur eine Einzelleistung.
später HafenCity Hamburg GmbH), das für die Um-          Jürgen Bruns-Berentelg und Giselher Schultz-                                                                             1
setzung des gigantischen Projekts zuständig ist. Es      Berndt haben in der HafenCity GmbH ein exzel-
war eine richtige Entscheidung, weil schnell deutlich    lentes Team aufgebaut, das in den vergangenen
wurde, dass ein solch außerordentliches Stadtent-        zwei Dekaden die Herkulesaufgabe der Reali-
wicklungsprojekt nicht innerhalb der vorhandenen         sierung eines neuen innerstädtischen, interna-
behördlichen Strukturen und mit dem vorhandenen          tional beachteten Stadtteils bravourös bewältigt
Personal realisierbar ist. Und genauso richtig war es,   hat. Wie sehr diese Expertise und Erfahrung
mit Jürgen Bruns-Berentelg und Giselher Schultz-         geschätzt wird, zeigt sich auch daran, dass die                                                                                                                                                                        2
                                                                                                                                                                           ↑
Berndt zwei Personen in die Geschäftsführung zu          HafenCity GmbH neue große Aufgaben über-                              Katrin Loosen, Präsidentin der Hamburgischen
berufen, die mit immobilienökonomischen und              tragen bekommen hat: die Entwicklung und                                      Architektenkammer Foto: Berry Behrendt

volkswirtschaftlichem Sachverstand das Projekt           Realisierung weiterer großer Projekte wie den
umsetzten.                                               Grasbrook, den Billebogen und die Science City          Ohne die beharrliche, erfolgreiche Arbeit von
  Beide haben aber von Beginn an dafür gesorgt,          Hamburg Bahrenfeld. Doch am Ende kommt                  Jürgen Bruns-Berentelg und Giselher Schultz-
dass die HafenCity nicht nur ein ökonomischer, son-      es eben auf die Personen an der Spitze an,              Berndt wäre die HafenCity heute nicht der innova-
dern vor allem auch ein urbanistischer Erfolg wurde,     die die Maßstäbe setzen, Leitlinien entwickeln und      tive, urbane und lebenswerte Stadtteil an der Elbe,
um den uns heute viele Städte beneiden. Die Vor-         auf die hohe Qualität in der Umsetzung drängen.         den wir alle uns einst erhofften. Danke dafür!
aussetzungen waren mit dem wegweisenden Städ-
tebaukonzept von Kees Christiaanse und ASTOC
sicher sehr gut, aber ein städtebaulicher Entwurf,
ein Masterplan ist eben erst einmal nur Papier – sie     Zur vertieften Auseinandersetzung
müssen zum Leben erweckt, ihre Leitideen auch in

                                                         Diskussionspapiere
die Praxis umgesetzt werden. Es ist der Verdienst
von Jürgen Bruns-Berentelg und Giselher Schultz-
Berndt, die richtigen Bauherren für dieses am-
bitionierte Projekt gefunden und Planer:innen zu

                                                         zur HafenCity
höchsten Leistungen angetrieben zu haben.
  Allein die Entscheidung, für jedes Bauprojekt einen
Wettbewerb obligatorisch zu machen, war ein großer
Dienst an der Baukultur. Dass an den Straßen und
Promenaden heute belebte Erdgeschosszonen
zu finden sind, ist auf entsprechende Vorgaben
bei der Grundstücksvergabe und der baulichen             2020 „Wohnalltag in der HafenCity“                      2010 „Öffentliche Stadträume und das Entstehen
Planung zurückzuführen – etwa die Auflage,               Wie sehen Lebensentwürfe, Alltagsmuster und             von Öffentlichkeit“
fünf Meter hohe Erdgeschosse einzuplanen, die            Nachbarschaften in der zentralen HafenCity aus?         Das erste Diskussionspapier der HafenCity Hamburg
sich für Geschäfte und Gastronomie eignen.               Die Studie von Prof. Dr. Marcus Menzl und Toralf Gon-   GmbH gibt Einblicke in die Grundgedanken und den
Die hohe Qualität der Frei- und Grünräume der            zález beleuchtet auf Basis einer Interviewreihe mit     Stand der Entwicklung zu dem Zeitpunkt, als der
HafenCity, die allenthalben zum Verweilen und            Bewohner:innen Zuzugsmotive und Lebensentwürfe.         Masterplan für die östliche HafenCity überarbeitet
Treffen einladen, sind hoffentlich Hamburg ein                                                                   wurde. Prof. Jürgen Bruns-Berentelg skizziert den
Ansporn, mehr aus seinen oft stiefmütterlich             2014 „Identität, Nachhaltigkeit und Urbanität“          Weg zu einer durch hohe Urbanität gekennzeichnete
behandelten Straßenräumen, Plätzen und Grün-             Das Diskussionspapier von Prof. Jürgen Bruns-           neue Innenstadt bis zu den Elbbrücken.                           3                                                                                             4
anlagen zu machen. Gerade die Corona-Epidemie            Berentelg geht der Frage nach, wie sich die über
hat noch einmal gezeigt, wie wichtig das ist.            den Masterplan hinausreichenden Perspektiven der
                                                         HafenCity-Entwicklung charakterisieren lassen.          Zum Download unter hafencity.com/mediathek                                                                                   Zeitkarussell

                                                                                                                                                                                                                                              Vorher – Nachher
Eine Zäsur
Der Wille, im neuen Stadtteil wo immer möglich eine      2010 „Reurbanisierung?“
kleinteilige, feinkörnige Mischung von Funktionen        Die Rückkehr des Wohnens in die Innenstadt bot am
zu erzeugen, war seinerzeit, Anfang des Jahrtau-         Beispiel der HafenCity den Anlass für diese Unter-
sends, noch eine Zäsur. Heute ist sie Vorbild für        suchung. Prof. Dr. Marcus Menzl führte die Interview-
zahlreiche andere Stadtentwicklungsprojekte. Die         serie mit Bewohner:innen und wertete sie aus.
Einführung eines eigenen Zertifizierungssystems
für nachhaltiges Bauen führte dazu, dass Gebäude
nicht nur schön anzusehen sind, sondern auch Vor-
zeigeprojekte bei Ökologie, Ressourcenschonung,
CO₂-Vermeidung wurden und werden – man denke
nur an die ehemalige Unilever-Zentrale, den Green-
peace-Sitz oder das noch zu realisierende Holzbau-
Hochhaus „Roots“.
  Neu war und ist sicherlich auch, nicht an einem
einmal beschlossenen Plan dauerhaft festzuhalten,
sondern flexibel zu bleiben, ihn anzupassen an sich
ändernde Zeiten und Entwicklungen. Es war eine
weise Entscheidung, den Masterplan 2010 für die
östlichen Bereiche der HafenCity grundlegend zu
überarbeiten mit dem Ziel, diese Quartiere städti-
                                                                                                            →
scher, dichter und sozial gemischter zu gestalten.                     Visualisierung: rock&stars digital GmbH
                                                                                                                                                                                                                                                5

                                                                                                                                                                                1. Der Kaispeicher A auf der Kehrwiederspitze 2010 Foto: Markus Dorfmüller | 2. Der Kaispeicher A mit Elbphilharmonie und Touristen 2021 Foto: Thomas Hampel
                                                                                                                                                                                3. Blick vom Michel 1980: Hinter dem Zollkanal sieht man die Speicherstadt sowie die damaligen Hafen-und Industrieanlagen Foto: Thomas Haas
                                                                                                                                                                                4. Blick vom Michel 2021 Foto: Miguel Ferraz | 5. Das Baakenhafenquartier mit Wohnbebauung und Frachtschiff im Vordergrund; weiter hinten die MS Stubnitz Foto: Tomas Hampel
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
Innovation & Exzellenz

              Innovation &
                                                                                                                                                                             Der Statistik zufolge ist der Trend zum Auto             Sie müssen auf der Nachbarschaftsebene funk-                          Solche Unternehmen müssen sich dann auch
                                                                                                                                                                             ungebrochen. 2019 erreichte die Auto-Dichte in           tionieren, also sozial, aber auch ökonomisch und                      an der Gemeinnützigkeit beteiligen, zum Beispiel
                                                                                                                                                                             Deutschland einen neuen Höchststand. In Hamburg          ökologisch sowie eine gute Versorgungsinfra-                          dadurch, dass sie dann auch die Daten zur Ver-
                                                                                                                                                                             stagnieren die Zahlen seit 2015 im Grunde. Machen        struktur haben.                                                       fügung stellen. Wir starten gerade mit Google
                                                                                                                                                                             wir uns mit der Mobilitätswende etwas vor?                                                                                     das Projekt Air View, in dem Luftdaten erhoben

                Exzellenz
                                                                                                                                                                                                                                      Andreas Kleinau Corona hat uns gezeigt, dass                          werden. Diese müssen am Ende auch in die offene
                                                                                                                                                                             Andreas Kleinau Wenn die Zahlen stagnieren, ist          einige Themen als Vorurteile nur noch in unseren                      urbane Datenplattform der Stadt eingehen.
                                                                                                                                                                             das ehrlich gesagt eigentlich schon mal schön.           Köpfen existierten. Wir alle haben gesehen, dass
                                                                                                                                                                             Die Prognosemodelle gingen in der Vergangenheit          Home Office für viele Menschen möglich ist und                        Andreas Kleinau Ich habe kürzlich einen Wissen-
                                                                                                                                                                             von immer weiter steigenden Verkehrszahlen aus.          nunmehr als echte Option in unsere Arbeitswelt                        schaftspodcast gehört, in dem es darum ging,
                                                                                                                                                                             Wenn hier der erste Bruch entstünde, wäre das            eingezogen ist. Der Notstand der Pandemie hat                         dass Fahndungen sehr davon profitiert haben,
                                                                                                                                                                             eine gute Nachricht. Aber es zeigt natürlich auch:       hier etwas in Bewegung gesetzt, was uns sicher                        auf private Datenbanken zur Ahnenforschung
                                                                                                                                                                             Viele Menschen können sich einen Wandel ihres            erhalten bleibt.                                                      zugreifen zu können. Dieser Vorgang hat seine
                                                                                                                                                                             Mobilitätsverhaltens gar nicht vorstellen. Da gibt                                                                             ganze eigene ethische Fragwürdigkeit, aber
                                                                                                                                                                             es emotionale Haltungen, die mit der Sachebene           Gesa Ziemer Damit zusammen hängt das Um-                              auch eine sehr sprechende Pointe: Menschen
                                                                                                                                                                             manchmal wenig zu tun haben.                             nutzen von Flächen. Wir werden künftig weniger                        liefern freiwillig ihre intimsten Informationen, in
                                                                                                                                                                                                                                      Büroflächen brauchen, zudem verändert sich der                        diesem Fall ihre DNA, an alle möglichen Syste-
                                                                                                                                                                             Gesa Ziemer Forschungen zeigen, dass Mobilitäts-         Handel in der Innenstadt. Wo am Tag eine Firma                        me. Und diese Grenzen scheinen sich sehr schnell
                                                                                                                                                                             verhalten sich ändert, wenn alternative Angebote         ihre Produkte präsentiert, könnte zum Beispiel                        zu verlagern. Vielleicht werden wir in zehn Jahren
                                                                                                                                                                             vorhanden sind. In Helsinki gibt es beispielsweise       am Abend eine Yoga-Schule oder ein Angebot                            selbstverständlich über Dinge sprechen, die wir
                                                                                                                                                                             eine App, über die man Fahrräder, Schiffe, ÖPNV          für Jugendliche hinein gehen. Selbst Parkhäuser                       heute als vollkommen absurd abtun.
                                                                                                                                                                             und sogar Taxis kombiniert buchen kann. Das              werden fürs Wohnen umgebaut.
                                                                                                                                                                             funktioniert gut, aber Helsinki hat auch nur ca.                                                                               Gesa Ziemer Das passiert und wir können es
                                                                                                                                                                             600.000 Einwohner. Wir brauchen aber auch einer          Wo verläuft die ethische Grenze der Digitalisie-                      nicht aufhalten. Nehmen Sie allein die Sensor-
                                                                                                                                                                             Bewusstseinsänderung. Wir können uns perspek-            rung? In anderen Ländern scheinen beispielsweise                      entwicklung in den letzten Jahren: Von einer
                                                                                                                                                                             tivisch einfach nicht mehr so viel fortbewegen, wie      Gesichtserkennung oder das Messen von Körper-                         rein quantitativen Technologie, die zum Beispiel
                                                                                                                                                                             wir es im Moment noch tun. Wir verbessern unser          temperatur im Stadtraum gesellschaftlich ak-                          zählen konnte, zu einem Instrument, das differen-
                                                                                                                                                                             Mobilitätsverhalten nicht nur deshalb, weil wir in       zeptiert. Ist vor diesem Hintergrund ein gewisses                     zierte Informationen liefert: Ob ich eine Frau oder
                                                                                                                                                                             E-Autos investieren. Auch diese Autos verbrauchen        Misstrauen nicht angebracht?                                          ein Mann bin, wie ich mich bewege usw.. Abgesehen
                                                                                                                                                                             viel Energie und wertvolle Ressourcen wie seltene                                                                              von manchen kritischen Bürger:innen machen ja,
                                                                                                                                                                             Erden. Ich arbeite ja sehr stark international und       Gesa Ziemer Auch beim Smart-Housing kommen                            wie Sie gesagt haben, erstaunlich viele dabei mit.
                                                                                                                                                                             ich kann die afrikanischen Länder verstehen, für         wir in ganz intime Bereiche rein. Stellen Sie sich vor,               Ich glaube daher, dass es nicht nur zu den Auf-
                                                                                                                                                                             die sich der Wettbewerb um solche Ressourcen             dass Sie sich morgens in Ihrem Bett drehen und                        gaben der Wissenschaft, sondern auch eines
                                                                                                                                                                             wie eine neue Form von Kolonialisierung darstellt.       der Sensor merkt, dass Sie wach werden. Gleich                        Stadtentwicklungsunternehmens gehört, über
                                                                                                                                                                                                                                      geht die Kaffeemaschine an und der Kühlschrank                        die Gefahren und den Nutzen solcher Daten
                        ↑
                        HCU-Professorin Gesa Ziemer und HCH-Vorsitzender Dr. Andreas Kleinau Foto: Stefan Groenveld                                                          Nach dieser Logik wären innovative Orte wie              rapportiert, dass leider die Milch fehlt. Mit Recht                   aufzuklären.
                                                                                                                                                                             Helsinki oder die HafenCity am Ende kein Vorbild,        sagen manche, dass sie so etwas nicht wollen.

                     Die Grenzen verlagern
                                                                                                                                                                             weil ihre Bedingungen zu speziell sind, um sich          Unethisch wäre auch, wenn Unternehmen, die in                         Andreas Kleinau Wir lernen in der Stadtent-
                                                                                                                                                                             andernorts durchzusetzen.                                der Stadt Daten sammeln und für ihre Geschäfts-                       wicklung gerade definitiv, dass diejenigen, die
                                                                                                                                                                                                                                      zwecke nutzen, nichts zurückgeben – selbst wenn                       sich engagieren, auch klare Ansprüche an die
                                                                                                                                                                             Andreas Kleinau Ich glaube, man kann schon               diese Daten ganz legal erhoben werden. Die Stadt                      Verfügbarkeit von Daten formulieren. Mit der

                        sich sehr schnell
                                                                                                                                                                             davon lernen. Man muss für die Übertragbarkeit           darf nicht zum Testfeld werden, in dem neue                           Transparenz kommen neue Möglichkeiten,
                                                                                                                                                                             allerdings vergleichbare Rahmenbedingungen her-          Business-Modelle entwickelt und erprobt werden.                       aber auch Verpflichtungen.
                                                                                                                                                                             stellen. Gerade bei Mobilität ist das sehr schwierig,
                                                                                                                                                                             denken Sie nur an den Unterschied der Alltage in                                                                               Interview: Henrike Thomsen
                                                                                                                                                                             Städten und auf dem Land.

     Städte gelten von jeher als Orte des Fortschritts. In verschiedenen Epochen wurde jedoch Verschiedenes darunter verstanden:                                             Gesa Ziemer Und es müssen viele Akteur:innen
   Freiheit, soziale Mobilität, Hygiene, ökonomische Unabhängigkeit… Welche Facetten sind aktuell besonders wichtig für die Debatte                                          gemeinsam an diesem Projekt arbeiten. Nehmen
    und wie wirken sie sich auf die Stadtentwicklung aus? Ein Interview mit Gesa Ziemer, Professorin für Kulturtheorie und Direktorin                                        Sie die östliche HafenCity: Die Wohnungen weisen
           des City Science Lab an der HafenCity Universität und Dr. Andreas Kleinau, Vorsitzender der Geschäftsführung der                                                  nur 0,4 Parkplätze auf, also nicht mal einen halben
                                                                                                                                                                             Parkplatz pro Einheit. Ein Entwickler, der solche
                                                        HafenCity Hamburg GmbH
                                                                                                                                                                             Gebäude plant, muss sich mit einem Mobilitäts-
                                                                                                                                                                             anbieter zusammentun und überlegen: Okay, kann
Freiheit, soziale Mobilität, Hygiene, ökonomische           Wie würden Sie es denn erklären?                          zugänglich. Man kann sich auf städtischen Portalen     in der Tiefgarage ein Sharing-Dienst sein? Und
Unabhängigkeit… Welche Fortschrittsthemen                                                                             detailliert ein Bild seines Quartiers machen: Welche   was ist das dann für einer?
sind aktuell besonders wichtig für die Debatte und          Andreas Kleinau Es gibt zahlreiche Datenplatt-            Bäume gibt es und wo stehen sie? Welche Beteili-
wie wirken sie sich auf die Stadtentwicklung aus?           formen mit legal erhobenen, öffentlich verfügbaren        gungsverfahren haben stattgefunden? Der nächste        Andreas Kleinau Im Grasbrook gehen wir sogar
                                                            und anonymisierten Daten etwa zum Mobilitäts-             Schritt ist es, diese Daten klug zu vernetzen.         auf 0,2 Parkplätze und halbieren also nochmal
Gesa Ziemer Wir leben in einer sehr technologi-             verhalten und vielen anderen Routinen im städti-          Und wir brauchen bessere Datenvisualisierungen,        im Vergleich. Damit so etwas möglich wird, muss
sierten Gesellschaft. Gerade in Städten haben               schen Raum. Wenn wir diese Daten gut und                  sogenannte data stories, die diese Datenportale        man allerdings die Bauherrinnen und Bauherren
wir so viele Daten zur Verfügung wie nie zuvor.             verantwortlich auswerten, können wir Entwick-             attraktiver und nutzerfreundlicher machen. Dann        verpflichten, sich an einem solchen Konzept zu
Und in gewisser Weise ist dies eine andere Situa-           lungen frühzeitig antizipieren und in die Planung         würde jeder rasch erkennen, was für eine Daten-        beteiligen. Einzeln wären sie nicht hinreichend
tion als früher, weil sich vieles im Unsichtbaren           einbringen. Eine riesengroße Chance, unsere               fülle uns erstens ohnehin bereits umgibt und wie       motiviert. Sie würden Marktnachteile in Kauf
wandelt. Im Zeitalter der Industrialisierung sah man        Aufgabe wirklich vorausschauend anzugehen,                man sie zweitens für sich nutzen kann.                 nehmen, ohne etwas zu erreichen. Der Markt
plötzlich überall Fabriken. Da dampfte und rauchte          wie es von uns gefordert wird!                                                                                   funktioniert an solchen Stellen einfach nicht
es und man wusste, da muss man hingehen zum                                                                           Wo spielt sich Innovation in der Stadtentwicklung      von allein. Er wird beispielsweise nie freiwillig
Arbeiten. Die Strukturen heute beruhen auf Daten-           Revolutionen machen Angst, auch die digitale…             sonst noch ab?                                         ein Überangebot für künftige Mobilitätsformen
strömen und -verarbeitung. Sie sind meist unsicht-                                                                                                                           kreieren. Das Überangebot wäre aber die Vor-
                                                                                                                                                                                                                                      ↑
bar und wirken oft geisterhaft. Und das macht               Andreas Kleinau Vielleicht ist es nicht richtig,          Gesa Ziemer Städtische Daten werden mit Gebäu-         aussetzung für das Vertrauen der Nutzer:innen,           Dr. Andreas Kleinau (li.), Prof. Gesa Ziemer (Mitte) und HafenCity News Redakteurin Henrike Thomsen (re.) Foto: Miguel Ferraz
viele Menschen misstrauisch…                                nur den Aspekt des radikal Neuen, Disruptiven in          dedaten verbunden, Städte und Regionen können          die sonst befürchten, um eine knappe Ressource
                                                            den Mittelpunkt zu stellen. Im Feld der Innovation        sich besser venetzen und ein großes Feld ist Smart-    kämpfen zu müssen. Daher braucht es an dieser
Andreas Kleinau Das ist definitiv ein großes                geht es meines Erachtens oftmals einfach ums              Housing: Überall entstehen Gebäude, die mit intel-     Stelle Institutionen wie uns als Initiator und           Dr. Andreas Kleinau ist Vorsitzender der                              Gesa Ziemer ist Professorin für Kulturtheorie
Thema, das uns in den nächsten Jahren begleiten             Mithalten, ums Nicht-Zurückfallen. Zum Beispiel           ligenter Sensorik ausgestattet sind. Diese können      Rahmengeber.                                             Geschäftsführung der HafenCity Hamburg                                an der HafenCity Universität Hamburg. Ihre
wird: Nicht nur den Prozess der Digitalisierung             wenn wir versuchen, bekannte Themen wie Mobili-           dazu beitragen, den Energieverbrauch zum Beispiel                                                               GmbH. Zuvor entwickelte er im Auftrag nationaler                      Forschungsschwerpunkte sind: digitale Stadt,
selbst zu gestalten, sondern auch Transparenz               tät oder Energieverbrauch mit besseren Mitteln            in einer Wohnung reduzieren. Innovation heißt hier     Bedingt durch die Corona-Pandemie ist der Ver-           und internationaler Unternehmen Standortstrate-                       neue Formen von Zusammenarbeit und urbane
darüber herzustellen. In Deutschland sind wir eher          zu lösen.                                                 aber auch, dass sich Prozesse durch Datengebrauch      änderungsdruck besonders auf die Innenstädte             gien, Gebäudekonzepte sowie innovative Arbeits-                       Öffentlichkeiten. Sie leitet das City Science Lab,
pessimistisch, was zum Beispiel die Gefahr von                                                                        ändern, es geht nicht nur um neue Technologien.        weiter gestiegen. Was sind vielleicht temporäre          und Organisationslösungen. In beratender Rolle                        eine Kooperation mit dem MIT Media Lab in Cam-
Datenmissbrauch anbelangt. Viele Bürger:innen               Gesa Ziemer Viel Technologie zum Vernetzen                                                                       Phänomene, was wird sich langfristig auswirken?          begleitete er die Entscheidungsprozesse zahl-                         bridge / USA, das über die Zukunft der Städte (mit
würden wahrscheinlich zunächst einmal gar nicht             der Daten und damit auch von ganzen Städten               Andreas Kleinau Eine Frage, die uns sicher                                                                      reicher Großprojekte, auch in der HafenCity.                          Schwerpunkt Digitalisierung) forscht. Zudem hat
verstehen, wie immens wir in der Stadtentwicklung           ist schon vorhanden. Hamburg ist zum Beispiel             gerade alle bewegt, ist der Umgang mit Mobilität.      Gesa Ziemer Langfristig geht es um die resiliente        Hierzu gehören u. a. die neuen Unternehmenszent-                      sie die akademische Leitung von UNITACinne,
von Datenanalyse profitieren können.                        eine Stadt mit einer sehr guten Dateninfrastruktur.       Wie geben wir eine zeitgemäße Antwort auf die          Stadt oder resiliente Quartiere. Solche Quartiere        ralen von Spiegel, DNVGL, Unilever und New Work                       ein Innovations- und Technologie Lab der
                                                            Flächen- und Gebäudedaten und zunehmend auch              vorherigen Planungshypothesen der autogerechten        müssen so sein, dass ich mehr oder weniger alles         (vormals XING).                                                       Vereinten Nationen, das global zum Einsatz von
                                                            Mobilitätsdaten sind hier in großem Umfang                Stadt?                                                 dort vorfinde, was ich brauche.                                                                                                Technologien in informellen Siedlungen forscht.

                                                          HafenCity | Sonderausgabe | Dezember 2021                                                                                                                                  Dezember 2021 | Sonderausgabe | HafenCity
20 Jahre HafenCity Gesichter und Geschichten von Hamburgs neuer Waterkant
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