2020 jahres bericht - projekte - ergebnisse - ziele - Musella-Stiftung
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Überblick Editorial................................................................................................................................ 3 Arbeitsbereiche................................................................................................................... 5 Tier- und Artenschutz.....................................................................................................5 Gesamtprojekt „Schwarzwaldhof“......................................................................................... 5 Katzenkastrationsprojekt.................................................................................................... 5 Wildbienenprojekt.................................................................................................................8 „Stallhasen“-Projekt............................................................................................................. 10 Igelstation Vörstetten............................................................................................................. 11 Tierhilfe Hoffnung....................................................................................................................13 Vogelpflegestation „Spatzengezwitscher“..............................................................................16 Förderung des Projektes „Win-Win im Weinberg – innovatives, ökologisches und ökonomisches Weinbergmanagement mit extensiver Schafbeweidung“............................. 18 Brutvogelatlas Griechenland: Fachliche Aufarbeitung der von Deutschland aus gesammelten Brutvogeldaten in Griechenland......................................................................20 Kinder- und Jugendbildung.............................................................................................. 21 Projekt „Streuobstwiese“........................................................................................................ 21 Institut für theologische Zoologie Münster (ITZ).................................................................. 23 Mensch und Schöpfung.................................................................................................... 25 Vortragsreihe...........................................................................................................................25 H. Monheim, Wege zur Verkehrswende...............................................................................25 Th. Ruster, Mit Tieren leben und Gott erleben...................................................................29 S. Horstmann – R. Wilde, Pro und Contra Jagd...................................................................33 G. Wessel, Vier fürs Klima....................................................................................................37 „Die Stadt als zukunftsfähiger Lebensraum“......................................................................40
Editorial Ein ereignisreiches Jahr 2020, geprägt durch die Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen und Unsicherheiten liegt hinter uns. Wir freuen uns, dass sich die Arbeit der Stiftung trotz mancher Einschränkungen dennoch gut weiterentwickelt hat und teilweise weiter ausgebaut werden konnte. Das gilt zunächst für unsere ei- genen Projekte. Dazu gehören die Projekte „Schwarzwaldhof“ und „Wildbienenhäu- ser“ sowie unsere Vortragsreihe „Mensch und Schöpfung“ in der Katholischen Akademie in Freiburg. Im Rahmen des Projektes „Schwarzwaldhof“ konnten im Jahr 2020 insgesamt 234 Katzen auf über 140 Höfen kastriert werden. Mit nahezu allen beteiligten Höfen hat sich ein dauerhafter Kontakt entwickelt und unser Team kann vor Ort immer wie- der mit Rat und Tat zur Seite stehen. Die Nachfrage nach unserer Unterstützung nimmt ständig zu. Diese Arbeit ist nur möglich dank der verlässlichen Zusammen- arbeit mit verschiedenen Tierarztpraxen im gesamten Einzugsbereich unseres Pro- jekts. Konkret arbeiten wir zurzeit mit elf Tierärzten zusammen, die sich auf die besonderen Bedürfnisse und Anforderungen unserer Stiftung bei diesen Kastratio- nen von Tieren eingestellt haben. Beim Projekt „Wildbienenhäuser“, das mit dem Projekt Schwarzwaldhof eng ver- zahnt ist, sind im Jahr 2020 achtzehn Wildbienenhäuser aufgestellt worden. Intensiviert wurde die Zusammenarbeit mit der Igelstation in Vörstetten. Hier konnten zahlreiche untergewichtige oder verletzte Igel versorgt und großgezogen werden, um sie anschließend wieder in die Freiheit zu entlassen. Seit Jahren engagieren wir uns in Rumänien für Straßenhunde. Durch unkontrol- lierte Vermehrung werden sie oftmals zu einem Problem in den Gemeinden und werden daher brutal gejagt und oft auf grausame Weise getötet. Wir haben die zu- nächst lockere Zusammenarbeit mit der „Smeura“ in Rumänien, dem größten Tier- heim der Welt, ausgebaut. Es wurden dort im Berichtsjahr über 11.000 Tiere kastriert und auch einige tausend Hunde und Katzen in gute Hände vermittelt. In unserer eigenen kleinen Vogelpflegestation „Spatzengezwitscher“ wurden im Jahr 2020 wieder einige Vögel betreut. Es handelte sich überwiegend um aus dem Nest gefallene oder verletzte Jungvögel. Insgesamt wurden über 20 Tiere betreut und aufgezogen. Erfreulich ist auch, dass der zweite Band des Brutvogelatlas nun nach vielen Jah- ren Arbeit fertiggestellt werden konnte und nun erstmals in gedruckter Form vor- 3
liegt. Dieses gemeinsame Projekt mit dem Max-Planck-Institut für Ornithologie (MPIO) ist damit zum Abschluss gekommen. Das Projekt „Streuobstwiese“ konnte in diesem Jahr schon zum zweiten Mal er- folgreich durchgeführt werden. Hier führten die gültigen Corona-Verordnungen leider auch zu Einschränkungen. Die Kooperation mit dem ITZ in Münster wurde fortgesetzt und die finanzielle Unterstützung wurde überwiegend für den Ausbau der dortigen Infrastruktur ver- wendet. In der Vortragsreihe „Mensch und Schöpfung“ wurden im Berichtsjahr fünf Vor- träge in der Katholischen Akademie in Freiburg gehalten. Die beiden ersten Vorträ- ge im Frühjahr konnten noch in Präsenzform gehalten werden, die weiteren drei Vorträge wurden auf ein Online-Format umgestellt. Dies war mit einigen Verände- rungen in Vorbereitung und Ablauf verbunden, wobei vor allem die Katholische Akademie den technisch reibungslosen Ablauf ermöglichte und dabei keinen Auf- wand scheute, um für eine gute digitale Präsenz zu sorgen. Für die Zuhörer stellte dieses neue Format eine Herausforderung und Umorientierung dar, die aber insge- samt gut angenommen wurde. Die Zuhörer- bzw. Zuschauerzahlen konnten deut- lich gesteigert werden. Auch in nächster Zukunft werden die Vorträge nur online gehalten werden können. Einen Vorteil stellt außerdem der Umstand dar, dass alle Vorträge auch im Nachhinein auf Youtube abgerufen werden können. Das Berichtsjahr wurde weiterhin dazu genutzt, das schon bestehende Arten- schutznetzwerk in der Region weiter zu festigen und professionell auszubauen. Ziel ist es, die Versorgung aufgefundener Jungtiere oder verletzter Wildtiere und Wild- vögel durch enge Verzahnung mit diversen schon bestehenden Pflegeeinrichtungen und Tierschutzvereinen im Bereich Breisgau-Hochschwarzwald nachhaltig zu ver- bessern. Die Erstversorgung bei Fundtieren kann damit beschleunigt, eine gegebe- nenfalls notwendige zwischenzeitliche stationäre Pflege besser gewährleistet werden. Der Kreis der professionellen Ansprechpartner hat sich hierdurch deutlich vergrö- ßert. Das Netzwerk hilft Tierleben zu retten, da wir mehr professionelle Partner mit im Boot haben und die Zeit bis zur Erstversorgung bei Unfällen damit verkürzt werden kann. Danken möchten wir an dieser Stelle der Katholischen Akademie für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit in diesem Jahr, ebenso aber auch all unseren Un- terstützern, Mitarbeitern und ehrenamtlichen Helfern, die uns weiterhin so tatkräftig unterstützen. Der Vorstand 4
Arbeitsbereiche Tier- und Artenschutz Gesamtprojekt „Schwarzwaldhof“ Dieses Schwerpunktprojekt der Musella-Stiftung, welches bisher drei Teilprojekte umfasst, widmet sich unterschiedlichen Aspekten des Tier- und Artenschutzes im Bereich land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in der Region des südlichen Schwarzwalds. Seit dem 1. Januar 2020 wird die Leitung und Durchführung des Pro- jektes von dem neugegründeten Musella-Institut mit Sitz in Freiburg im Breisgau übernommen. Obwohl das Jahr 2020 vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Corona-Ein- schränkungen für die Arbeit der Stiftung und des Instituts nicht einfach war, konn- ten dennoch sämtliche Teilprojekte konstant und ohne nennenswerte Einschnitte durchgeführt werden; in verschiedenen Bereichen gelang es zudem, die bereits vor- handenen Strukturen weiter auszubauen und somit die Maßnahmen im Bereich des Tier- und Artenschutzes zu intensivieren. So wurden beispielsweise zwei neue Mit- arbeiterinnen zur Verstärkung des hier in der Region agierenden Teams eingestellt. Für das Jahr 2021 ist sowohl ein neues Teilprojekt in Kooperation mit dem Verein „Rettet das Huhn“ geplant, als auch eine Intensivierung des Engagements im Bereich des Artenschutzes durch einen Ausbau der Vogel- und Wildtierrettung beabsichtigt. Katzenkastrationsprojekt Das Gesamtprojekt „Schwarzwaldhof“ Regionen Deutschlands – nicht nur das nahm seinen Anfang im Frühjahr 2017 Phänomen herrenloser und halbwilder mit den von der Stiftung organisierten Katzen, die in Wäldern bzw. im Umfeld und durchgeführten Katzenkastratio- von landwirtschaftlichen Betrieben ihr nen, was auch weiterhin das größte Dasein fristen, auftritt, sondern auch Teilprojekt darstellt. dass die Lebensumstände vieler Tiere, die eigentlich zu einem Hof gehören, Vor dem Hintergrund, dass im oft als schwierig zu bezeichnen sind, Schwarzwald – wie in allen ländlichen sah sich die Stiftung zum Handeln ver- 5
anlasst. „Bauernhofkatzen“ sind auf Zur Förderung dieses Anliegens nahezu jedem Hof anzutreffen, wo sie übernimmt die Stiftung den Großteil zur Eindämmung der Mäusepopulation der anfallenden Kosten für die Kastra- dienen. Häufig bleiben die Tiere aber tionen. Damit einhergehend erhalten ohne Futter und grundlegende Betreu- die landwirtschaftlichen Betriebe Un- ung sich selbst überlassen, was die terstützung durch konkrete Hilfestel- Ausbreitung von Krankheitserregern lungen wie den Transport zum Tierarzt fördert und zu Überpopulationen führt, oder das Einfangen der halbwilden woraus Revierkämpfe wegen zu kleiner Tiere. Weiterhin finanziert die Stiftung Jagdreviere entstehen. Das Resultat im Rahmen der begleitenden Untersu- dieser Situation lässt sich vielfach an chung die Behandlung von Parasiten den Straßenrändern beobachten, wo (Würmer, Flöhe, Milben, Giardien etc.) vornehmlich junge Kater Opfer des sowie bei zahmen Tieren zusätzlich die Straßenverkehrs werden, da sie auf der beiden anfänglichen, der Grundimmu- Suche nach neuen Revieren große nisierung dienenden RCP-Impfungen, Strecken in unbekanntem Gebiet zu- sofern der Hof sich zu einer eigenstän- rücklegen müssen. Hinzu kommt er- digen Fortsetzung des Impfprogramms schwerend die auf abgelegenen in der Zukunft verpflichtet. Gehöften immer noch praktizierte Vorgehensweise, die Katzenpopulation Im Sinne der Nachhaltigkeit bemüht durch Tötungen „kontrollieren“ zu sich die Stiftung um einen langfristigen wollen, obgleich dies einen klaren Ver- Kontakt zu den kooperierenden Höfen stoß gegen das Tierschutzgesetz dar- und bietet hinsichtlich der vorhande- stellt. nen Katzenpopulation auch künftig Rat und Hilfe an, beispielsweise bei einer Da eine juristische Konfrontation durch Erkrankungen oder Unfälle not- wegen Verstößen gegen das Tier- wendig werdenden medizinischen Ver- schutzgesetz angesichts der schwieri- sorgung. Sämtliche Maßnahmen finden gen Beweislage meist nur wenig in enger Absprache mit den kooperie- Aussicht auf Erfolg bietet, leistet die renden Tierärzten statt, um einen op- Stiftung stattdessen einerseits konkre- timalen Ablauf für die Patienten zu ten Tierschutz durch Kastrationen zu- gewährleisten. sammen mit medizinischer Versorgung, und appelliert andererseits mittels ein- In der Erprobungsphase beschränkte gehender Beratung und intensiver Ge- sich das Projektgebiet Anfang 2017 sprächsangebote an die moralischen ausschließlich auf die Gemeinde Wertevorstellungen der Tierhalter. Dies St. Märgen. Aber bereits im Sommer geschieht auch vor dem Hintergrund desselben Jahres sah sich die Stiftung der christlichen Tierethik mit dem er- veranlasst, die Nachbargemeinden klärten Ziel, eine bewusste Wertschät- Breitnau, Buchenbach und Wagensteig zung sämtlicher Lebewesen zu in den Aktionsradius miteinzubeziehen. erreichen. In den Jahren 2018 und 2019 wurde der 6
Im Schwarzwald Tätigkeitsbereich wegen der stetig tenden Tierarztpraxen kontinuierlich wachsenden Nachfrage seitens der gewachsen, weswegen sich das Projekt Höfe und vor dem Hintergrund neuge- seit dem Jahr 2020 auf die Mitwirkung schlossener Kooperationsvereinbarun- von mittlerweile elf Tierärzten sowie gen mit in der Region ansässigen einer Freiburger Tierklinik stützen Tierschutzvereinen jeweils deutlich er- kann. weitert. Das Gebiet, in welchem Kat- zenkastrationen durch die Stiftung In den Projektjahren 2017 bis 2020 angeboten und durchgeführt werden, wurden insgesamt 649 Katzen und umfasst mittlerweile neben den bereits Kater von 143 Höfen kastriert und genannten die Gemeinden Biederbach, – sofern sich dies im Rahmen der Un- Eisenbach, Elzach, Friedenweiler, Furt- tersuchung als notwendig erwies – wangen, Glottertal, Gütenbach, Gut- medizinisch versorgt. Davon entfielen ach, Hinterzarten, Horben, Kirch- allein auf das Jahr 2020 insgesamt 234 zarten, Lenzkirch, Oberried, Tiere, die 122 Katzen und 112 Kater Simonswald, St. Peter, Stegen, Titisee- umfassten. Diese hohe Zahl von Kas- Neustadt, Waldkirch und Winden in- trationen belegt eindrucksvoll das im klusive der zugehörigen Ortsteile. In Jahresverlauf 2020 erneut deutlich ge- gleichem Maße ist in den vergangenen wachsene Interesse seitens der Land- Jahren die Zahl der zusammenarbei- und Forstwirte, am Katzenkastrations- 7
projekt der Stiftung teilzunehmen. ihrer Katzen und Kater zu vereinbaren. Dementsprechend ist auch für 2021 Sie haben über Nachbarn, Bekannte, und die kommenden Jahre mit einem Verwandte, beteiligte Tierarztpraxen, kontinuierlichen Anstieg der zu ver- kooperierende Tierschutzvereine oder sorgenden Tiere zu rechnen. Als posi- durch die Medien von dem Projekt er- tiver Effekt ist weiterhin zu vermerken, fahren und ließen sich in diesem Zuge dass sich mittlerweile die Hofbesitzer von der Sinnhaftigkeit und Notwendig- zunehmend eigenständig bei den be- keit der dem Tierwohl dienenden Kat- teiligten Tierärzten bzw. der Stiftung zenkastrationen überzeugen. melden, um Termine für die Kastration Transport eines Wildbienenhauses Wildbienenprojekt Als zweites Teilprojekt kam im Jahr chen Betrieben vor Ort zu erreichen. 2018 die Installation von Wildbienen- häusern hinzu. Anlässlich des starken Hierfür beauftragt die Stiftung fach- Rückgangs von Insekten im Allgemei- kundige Schreiner mit der Konzeption nen und von Wildbienen im Besonde- und dem Bau von Wildbienenhäusern ren besteht das Projektziel darin, den nach naturschutzspezifischen Ge- Bestand der noch vorhandenen Wild- sichtspunkten. In der Folge werden bienenpopulationen zumindest regional diese im Frühling durch die Stiftung auf im Schwarzwald zu stärken. Die Mu- Flächen installiert, die von den jeweili- sella-Stiftung versuchte dies erneut in gen Land- und Forstwirten zur Verfü- Verbindung mit den landwirtschaftli- gung gestellt wurden. Für das Gelingen 8
der Maßnahme verpflichten sich die installiert. Im Frühling 2019 wurden Betriebe bestimmte ökologische Vor- wegen der großen Nachfrage seitens aussetzungen zu erfüllen: So müssen der Höfe bereits 22 weitere Nistplätze im unmittelbaren Bereich des Wildbie- in den Gemeinden Bräunlingen, Eisen- nenhauses Blühwiesenstreifen einer bach, Elzach, Freiburg, Glottertal, Hin- gewissen Größe vorhanden sein, eben- terzarten, Lenzkirch, Löffingen, so sollte das nähere Umland nur zur Oberried, Simonswald, Stegen, Titisee- extensiven Beweidung genutzt werden. Neustadt und Winden sowie in den drei zuvor genannten Ortschaften auf- Im Rahmen des Projektes wurden gestellt. Während des Frühjahres 2020 von 2018 bis 2020 zwei unterschiedli- installierte das Team zusätzliche 18 che Modelle von Wildbienenhäusern verwendet, die sich nach den ersten Auswertungen bewährt haben und daher auch in den Folgejahren zum Einsatz kommen werden: Auf abgele- genen Wiesen installierte die Stiftung einfache Häuser mit einer Höhe von 1,7 m sowie einer Breite von 0,4 m. Auf gut erreichbaren Flächen mit ausla- denden Blühstreifen, meist im direkten Hofumfeld, wurden Wildbienenhäuser mit Rotationsmodulen aufgestellt. Diese mit einem 1,1 m breiten Korpus deutlich geräumigere Variante erleich- tert durch die einzelnen, herausnehm- baren Segmente die kontinuierliche Aufstellung des Wildbienenhauses Wartung der verschiedenen Nistmög- lichkeiten, wodurch eine langfristige Wildbienenhäuser, die aus 15 kleinen Nutzung des Hauses an diesem Stand- und drei großen Häusern bestanden, ort gewährleistet werden kann. auf dem Gelände von landwirtschaftli- chen Betrieben. So sind neben den Durch die enge Verzahnung des bereits in den Vorjahren angeführten Projekts mit dem bereits angeführten Gemeinden nun auch Biederbach, Teilprojekt der Katzenkastrationen Furtwangen, St. Peter und Stühlingen konnten für die erste Aufstellungspha- zu nennen. Die Zahl der von der se 2018 vorwiegend Höfe der Gemein- Musella-Stiftung geförderten und un- den Breitnau, Buchenbach und terhaltenen Anlagen im südlichen St. Märgen zur Bereitstellung von ge- Schwarzwald ist somit auf eine Ge- eigneten Flächen gewonnen werden. So samtzahl von 52 Wildbienenhäusern wurden in den Monaten April und Mai gestiegen. 2018 insgesamt 12 Wildbienenhäuser 9
„Stallhasen“-Projekt Dieses bereits im November 2018 von tal herauszuholen und dauerhaft in der Stiftung ins Leben gerufene dritte einem guten Zuhause unterzubringen. Teilprojekt konnte im Jahr 2020 endlich Vor einer Vergesellschaftung werden Erfolge erzielen: So gelang es vor allem die Tiere in mit der Stiftung kooperie- renden Tierarztpraxen untersucht, medizinisch versorgt und falls notwen- dig kastriert. Die Mitarbeiter der Stiftung werden weiterhin bei ihren Hofbesuchen den häufig zu beobachtenden Missstand einer nicht artgerechten Haltung von Kaninchen und Hasen thematisieren und für eine Verbesserung der Le- bensumstände werben. Zudem wird die Stiftung kranke oder gefährdete Tiere in ihre Obhut nehmen, um sie artgerecht unterzubringen. Den Aus- Zwei Hasen gangspunkt für den Erfolg des Projekts stellt der Dialog mit den Landwirten durch den engagierten Einsatz einer dar, mit denen durch die beiden vor- ehrenamtlichen Mitarbeiterin, Tiere angehenden und erfolgreichen Teilpro- aus nicht artgerechten Haltungen auf jekte bereits eine dem Tierwohl landwirtschaftlichen Betrieben im Elz- dienende Zusammenarbeit besteht. Dr. Johannes Christian Linnemann 10
Igelstation Vörstetten Die Igelstation Vörstetten, mit welcher verletzten und kranken Igeln eng zu- die Musella-Stiftung seit einigen Jahren sammenarbeitet, wurde 2020 in das bei der Rettung und Versorgung von finanzielle Förderprogramm der Stif- Einige Igel tung aufgenommen. Die Station, die in praxen in Denzlingen und Emmendin- enger Abstimmung mit zwei Tierarzt- gen zusammenarbeitet, versorgte in 11
AufEntdeckungstour… diesem Jahr insgesamt 141 Igel, die Die starke Zunahme von abgegebe- hauptsächlich von Privatpersonen zur nen Tieren gegenüber dem Vorjahr Pflege und medizinischen Versorgung 2019, in welchem nur etwa 100 Igel abgegeben wurden. Die Tiere stam- aufgenommen wurden, und die erhöh- men primär aus der Region, die auch te Nachfrage bei der telefonischen Be- länderübergreifend das benachbarte ratung belegen eindrücklich die Elsass umfasst. Von den aufgenomme- Notwendigkeit und den Bedarf einer nen Igeln konnten 122 Tiere nach ihrer solchen Station hier in der Region. Genesung wieder erfolgreich ausgewil- dert werden. Dr. Johannes Christian Linnemann 12
Tierhilfe Hoffnung Wie schon bei unserem langjährigen Pitesti (Rumänien). Im Jahre 2000 Kooperationspartner „Save the Dogs“ übernahm die 2016 verstorbene Ver- lässt sich auch bei dem neuen Koope- einsgründerin Ute Langenkamp eine rationspartner, dem Verein „Tierhilfe ehemalige Fuchsfarm mit 1500 zum Hoffnung“ mit Sitz in Dettenhausen Tode verurteilten Straßenhunden, um das zentrale Anliegen in Sachen Tier- diese vor einem grausamen Tod zu schutz auf den ersten Blick erkennen: retten. Sie widmete sich zudem der Aktive Tierschutzarbeit durch Kastra- Verantwortung für alle verbliebenen tionen. Das Leid unzähliger Katzen Hunde auf den Straßen Pitestis. In der und Hunde überall auf der Welt kann Smeura wurden die Hunde medizinisch nur auf diesem Weg nachhaltig einge- versorgt, kastriert und wieder freige- dämmt werden. Die Zusammenarbeit lassen. Alte bzw. schwerkranke Tiere mit „Tierhilfe Hoffnung“ begann im Jahr 2020 und wird ab 2021 durch eine fi- nanzielle Förderung seitens der Musel- la-Stiftung weiter ausgebaut. Während die Stiftung das Ziel der Kastrationen im Rahmen des Projekts „Schwarzwaldhof“ im Südschwarzwald verfolgt, engagiert sich der 1998 ge- gründete Verein „Tierhilfe Hoffnung“ in Rumänien einerseits für die Vermitt- Hunde im Zwinger lung von Straßenhunden nach Deutschland und andererseits für die und Welpen verblieben in der Smeura. Kastration und medizinische Versor- So konnte der Verein seit dem Jahr gung von Hunden und Katzen vor Ort. 2000 bis zum Juni 2013 allein im Land- Hierbei wird im Sinne der Nachhaltig- kreis Arges-Pitesti die Anzahl von keit nach der „1 zu 3“ Regel gearbeitet: 33.000 unkastrierten auf 4.500 kas- Dies bedeutet, dass für jeden Hund, trierte Straßenhunde reduzieren. Dies der nach Deutschland reist, 3 Hunde in ist ein überzeugendes Beispiel für die Rumänien vor Ort kastriert werden. Lösung und Linderung von Überpopu- lationen der Straßenhunde auf tierge- Der Verein betreibt das größte Tier- rechte und sehr effektive Art und heim der Welt namens „Smeura“ in Weise. 13
Das Tierheim Smeura Aber auch die Zahlen der vergange- tionen der Straßenhunde ein, sondern nen Jahre sind einerseits beindruckend, führt zudem groß angelegte Kastrati- andererseits unterstreichen sie durch onsaktionen für Privathunde durch. den kontinuierlichen Anstieg sowohl Obwohl in Rumänien seit 2015 eine ge- die Notwendigkeit als auch den Erfolg setzliche Kastrationspflicht für Privat- des Projekts: Im Jahr 2018 konnten hunde besteht, stellen gerade die 2.509 Hunde nach Deutschland in Hunde, die sich in der Obhut von Partnertierheime gebracht, sowie 7.748 Menschen befinden, eine große Her- Kastrationen vor Ort durchgeführt ausforderung dar. Tatsächlich sind sie werden. Im Folgejahr 2019 wurden der eigentliche Ursprung der Straßen- 3.430 Hunde vermittelt und 12.564 hunde. Das Leben eines sog. Besitzer- Tiere kastriert. Bis Anfang Oktober hundes unterscheidet sich in der Regel 2020 konnten trotz spürbarer Ein- kaum von dem eines Straßenhundes; schränkungen im Zuge der Corona- sie sind sich selbst überlassen, unkas- Krise bereits 3.909 Hunde nach triert und vermehren sich daher unge- Deutschland gebracht werden, wäh- hindert mit heimatlosen oder rend weitere 10.952 Tiere kastriert Nachbarhunden. Hier leistet der Verein wurden. wichtige Aufklärungsarbeit in der Be- völkerung und sensibilisiert die nach- Tierhilfe Hoffnung e. V. setzt sich folgende Generation durch nicht nur für flächendeckende Kastra- verschiedene Schulprojekte. So wird in 14
verschiedenen Partnerschulen bei- Trotz des stetig wachsenden Engage- spielsweise eine Stunde pro Woche ments von „Tierhilfe Hoffnung“ gehört „Tierschutzunterricht“ angeboten, in der Anblick streunender, halb verhun- welchem den Kindern sowohl mora- gerter, verwahrloster, ausgezehrter und lisch-ethische Grundwerte Tieren ge- kranker Hunde in Rumänien weiterhin zum alltäglichen Straßenbild. Im tägli- chen Kampf ums Überleben sind sie ständigen Gefahren ausgesetzt, werden gejagt und verfolgt. Rumäniens Politi- ker lassen in immer wiederkehrenden Tötungsaktionen zigtausende Hunde auf bestialische Art und Weise töten: Sie werden erschlagen, mit Frost- schutzmittel vergiftet, stranguliert und bei lebendigem Leibe verbrannt. Katzen im Heim Ein guter Grund für die Musella-Stif- genüber im Allgemeinen vermittelt als tung, sich weiterhin stark in Rumänien auch praktische Hilfestellungen für den zu engagieren und die bestehenden respektvollen Umgang mit den eigenen Kooperationen zu pflegen und weiter Tieren der Familie gezeigt werden. zu intensivieren! Dr. Johannes Christian Linnemann 15
Vogelpflegestation „Spatzengezwitscher“ In der Vogelpflegestation „Spatzenge- Dabei machten wir außerdem folgen- zwitscher“ hat es auch 2020 wieder de, allgemeine Beobachtungen: Nest- kräftig gepiepst und gezwitschert. Über linge lassen sich eher auf den die Frühlingsmonate machten insge- Menschen ein und können daher samt folgende Jung-Vögel bei uns Zwi- leichter gefüttert werden. Sie haben schenstation: insgesamt eine höhere Überlebens- Einige Gäste der Vogelstation • Drei Saatkrähen chance. Die Aufzucht der sog. Ästlinge • Fünf (Stadt-)Tauben, von denen drei hingegen gestaltet sich meist weitaus noch heute (beringt) über das Hir- schwieriger; sie zeigen nämlich oftmals schenhof-Viertel in Buchenbach keinen Sperr-Reflex mehr und müssen fliegen. zwangsweise gefüttert werden. Tat- • Ein Steinkauz, den wir wegen einer sächlich sind sie ausschließlich auf die schweren neuronalen Verletzung Fütterung durch ihre Eltern angewie- nach Engen weitergeben mussten. sen, weil sie selbst noch nicht ausrei- • Eine Amsel chend fressen können. Das • Vier sehr kleine Spatzenkinder „gutgemeinte“ Mitnehmen von ver- • Eine Meise meintlich halbflüggen Jungvögeln sehen • Eine Bachstelze wir daher als recht problematisch an • Ein Nest mit vier Rotschwänzchen und raten dringend davon ab. Die so • Drei Turmfalken, die ebenfalls an „geretteten“ Tiere überleben in der Spezialisten weitergereicht wurden. Regel nur äußerst selten. 16
Wenn ausgewachsene Vögel ge- dete Population insbesondere der bracht wurden, war dies in der Regel Singvögel geschützt werden muss. wegen Verletzungen aufgrund von Katzen- oder Hundebissen. Zwar ver- Der Einzelfall der Rettung und Ope- heilten diese zwar äußerlich scheinbar ration einer ausgewachsenen, und gut, oftmals starben die Patienten damit scheuen Krähe wegen eines ge- dann aber doch an den inneren Ver- brochenen Flügels erschien uns unter letzungen oder an einem zu hohen dem Gesichtspunkt des Tierschutzes Stresspegel. Auch hier zeigte sich wie- problematisch. Zwar erholte sie sich der einmal: Die süße und noch so ver- nach sehr langer Rekonvaleszenz er- schmuste Hauskatze ist und bleibt ein staunlich gut, konnte aber nicht mehr Jäger, vor dem die insgesamt gefähr- in die Freiheit entlassen werden. Dr. Marianna Musella, Dr. Angelika Musella 17
Förderung des Projektes „Win-Win im Weinberg – innovatives, ökologisches und ökonomisches Weinbergmanagement mit extensiver Schafbeweidung“ Das bereits seit 2019 geförderte Pro- Bezüglich einer nachhaltigen Land- jekt ist ein Forschungs- und Erpro- nutzung ist eine stärkere Berücksichti- bungsvorhaben der Hochschule für gung von Doppelnutzungen auf Die Schafe bei der Arbeit Forstwirtschaft Rottenburg in Koope- Flächen, die gegenwärtig zur Produkti- ration mit der Professur für Geobota- on eines einzelnen landwirtschaftlichen nik der Universität Freiburg und dem Gutes genutzt werden, existenziell Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg. wichtig. Diese „ökologische Intensivie- Weitere Förderer sind die Stiftung Na- rung“ führt zudem zu einer Steigerung turschutzfonds Baden-Württemberg der biologischen Vielfalt. Dieses Projekt und die Heidehof Stiftung. evaluiert ein solches Modell, bei dem 18
Schafe in Weinbergen eingesetzt wer- für den Praxistest erworben. Die Pro- den. Schafe können nicht nur den Un- jektdauer beträgt vier Jahre, aber terwuchs der Weingärten in Schach schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt halten, sie fressen auch unerwünschte lässt sich erkennen, dass die Schafe auf Triebe der Reben und stellen dadurch den Versuchsflächen des Staatlichen die Traubenzone frei, was den gefähr- Weinbauinstitutes eine echte Alterna- lichen Pilzdruck auf die Trauben senkt. tive für den herkömmlichen Weinbau Der Einsatz von Schafen spart somit darstellen. Mögliche Ausschlusskriteri- Graswuchs im Frühjahr nicht nur den Einsatz von Maschinen en, wie etwa das verstärkte Abknab- und Herbiziden, sondern trägt zur bern von Trauben, können mittlerweile Vereinfachung bestimmter Arbeits- verworfen werden. Um aber Aussagen schritte durch den Winzer bei. über die Wirkungen auf Ökosystem- leistungen treffen zu können, bedarf es Durch die Förderung der Musella- noch weiterer Studien. Stiftung wurden 35 Schafe unter- schiedlicher Rasse und Zaunmaterial Dr. Nicolas Schoof Dr. Johannes Christian Linnemann 19
Brutvogelatlas Griechenland: Fachliche Aufarbeitung der von Deutschland aus gesammelten Brutvogeldaten in Griechenland Bereits beim ersten Europäischen Datensammlung wurde anschließend Brutvogelatlas des European Bird durch den inzwischen verstorbenen Census Council von 1997 war eine or- Dr. Jochen Hölzinger fortgeführt, dem über 700 ehrenamtliche Vogelfreunde ihre Beobachtungen zur Verfügung stellten. Zur Fertigstellung des neuen, im De- zember 2020 erschienenen „European Breeding Bird Atlas 2“ war es notwen- dig, die in Deutschland lagernden, häufig noch handschriftlich festgehal- tenen Daten zu Griechenland zu sor- tieren und auch zu digitalisieren. Diese finale Bearbeitung des Datenmaterials unter fachlicher Leitung des Max- Planck-Instituts für Ornithologie und der Vogelwarte Radolfzell wurde seit 2017 von der Musella-Stiftung personell und finanziell gefördert. Groß ist nun die Freude seitens der Stiftung, dass das Projekt zum Abschluss gekommen nithologische Gemeinschaft aus ist und die Publikation der Ergebnisse Deutschland maßgeblich an der nun vorliegt. Sammlung von Daten beteiligt. Diese Dr. Johannes Christian Linnemann 20
Arbeitsbereich Kinder- und Jugendbildung Projekt „Streuobstwiese“ Zusammen mit dem Diplom-Geologen liegende Ausflugsort, die Streuobstwie- und Erfinder des sog. „Geowindow“ se Maierhof des NABU-Dreisamtal in Mathias Faller organsierte die Musella- der Wiesneck, erschien uns aufgrund Stiftung bereits im zweiten Jahr an zwei der gelungenen Veranstaltungen von Äpfel am Baum… …machen Appetit Vormittagen ein Projekt für Schulkin- letztem Jahr auch dieses Jahr wieder der mit dem Ziel, Biodiversität auf geeignet. Das leider schlechte und kleinstem Raum zu zeigen und damit schon recht kalte Wetter schreckte die auf die Welt als Schöpfung aufmerk- kleinen und großen Entdecker nicht sam zu machen. Der kleine, etwa 15 ab, mit Händen und allen Sinnen Natur Gehminuten von der Schule entfernt und Apfelsaft mit der uralten Hand- 21
presse selbst zu pressen. Da die Apfel- Natürlich wurde auch wieder Apfelsaft ernte 2020 gut war, gab es alle Hände gepresst. Außerdem konnten kleine voll zu tun; es war ein großes Erlebnis Kunstwerke der Natur wie Insekten für die Kinder. und ihre Behausungen, Vogelfedern oder Früchte unter einem Mikroskop genau unter die Lupe genommen wer- den. Die Welt ist hoffentlich noch lange bunt und vielfältig und das auf kleins- tem Raum. Dass es aber so bleibt, dafür müssen wir uns alle einsetzen, indem wir Apfelsaft von Äpfeln der heimischen Streuobstwiesen den Vor- zug geben. Wenn Streuobstwiesen verschwin- den, verschwinden auch viele Insekten, Vögel, wie beispielsweise der Steinkauz und viele Nagetiere, die ihren Unter- schlupf in den Baumhöhlen finden. Problematisch ist auch, dass sich ganze Landstriche verändern, indem sie zu Monokulturen werden. Sie stellen dann Die Mostpresse ist einsatzbereit aber keinen interessanten Lebensraum für Tiere mehr dar. Diese Entwicklung Aufgrund der Corona-Bestimmungen gilt es mit allen Mitteln aufzuhalten. musste der zweite Termin im Fahrrad- Beitragen kann jeder, indem beispiels- keller auf dem Gelände der Grund- weise der Apfelsaft nicht im Discounter schule Buchenbach stattfinden. gekauft wird, sondern vom Erzeuger Dennoch gelang es Mathias Faller, den vor Ort. Schülern die Natur nahe zu bringen. Dr. Marianna Musella 22
Institut für theologische Zoologie Münster (ITZ) Durch die Kooperation und finanzielle die ITZ-Website aktualisiert, überar- Unterstützung der Musella-Stiftung er- beitet und regelmäßig gepflegt. Dies fuhr das Institut für theologische Zoo- ermöglichte dem ITZ, sich erfolgreich Das Institut für theologische Zoologie logie (ITZ) (https://www.theologische- um die Auszeichnung der UN-Dekade zoologie.de) im Jahr 2020 eine größere Biologische Vielfalt im Sonderwettbe- Planungssicherheit im Hinblick auf die werb „Soziale Natur – Natur für alle“ laufenden Kosten. Hierzu gehörten mit dem Projekt „Inseln des Lebendi- Gehälter für Mitarbeiter, Kosten für die gen“ am Haus Mariengrund in Münster Infrastruktur, die Öffentlichkeitsarbeit zu bewerben. und die Projektorganisation. So wurde 23
Tiere am Institut Früchte der Zusammenarbeit mit Universität Kassel die Zusammenarbeit der Musella-Stiftung waren auch die wieder aufgenommen und trotz Coro- Wiederaufnahme und die Vertiefung na-Pandemie im Sommer 2020 mit verschiedener Kooperationen mit dem Studierenden erfolgreich ein mehrtägi- ITZ. So wurde beispielsweise mit der ges Blockseminar durchgeführt. Evangelisch-Theologischen Fakultät der Dr. Angelika Musella 24
Mensch und Schöpfung Vortragsreihe Vortrag von Prof. Dr. Heiner Monheim (Institut für Raumentwicklung und Kommunikation, Trier) Wege zur Verkehrswende – Was Bund, Länder, Kommunen und die Wirtschaft tun können und sollten 29. Januar 2020, Katholische Akademie Freiburg Der renommierte Verkehrsexperte kehrsmitteln Eisenbahn, PKW und dem Prof. Dr. Heiner Monheim sprach in Güterverkehr per LKW. Dabei wird einem mitreißenden Vortrag über die sehr schnell deutlich, dass noch in den Wege zur Verkehrswende. Ein Thema, 1920er Jahren des 20. Jh. das Schie- das an Aktualität und Bedeutung in nennetz in Deutschland sehr gut aus- Sachen Umwelt- und Klimaschutz in gebaut war. Seit den 1950er Jahren erster Reihe steht. Einerseits möchten wurde es zugunsten des Autoverkehrs oder müssen wir alle mobil sein, ande- immer mehr zurückgedrängt bzw. ver- rerseits tragen Individual- und Güter- nachlässigt. Deutschland wurde auto- verkehr zu höheren CO 2-Emissionen mobil und wer es sich leisten konnte, und zur Zersiedlung der Landschaft fuhr natürlich mit dem Auto. Dabei ist bei, fördern die Versiegelung weiterer das Auto neben der Bahn längst nicht Grünflächen und führen zu unzähligen das einzige Fortbewegungsmittel, so Staus. Was ist zu tun und welche Ak- war das Fahrrad noch in den 1950er teure müssen angesprochen werden, Jahren das wichtigste Fahrverkehrsmit- um eine gelungene Verkehrswende zu tel. Auch heute macht die Fußmobili- schaffen? tät, in sog. kleinen Etappen (z. B. von zu Hause zur Bus- oder Bahnhalte- Deutschland seit den 50er Jahren – ein stelle) gerechnet, 80 % der täglichen Land wird mobil Mobilitätsetappen aus. Doch Fußgän- ger haben – im Gegensatz zur Auto- „Geht in die Archive!“ rät Professor mobilindustrie – keine Lobby. Monheim seinen Studierenden, „schaut erst einmal, welche Daten bereits er- Deutschlands Exportschlager – Stau hoben wurden“. Tatsächlich ist die Da- tenlage zur Erfassung der Infrastruktur Mit der ersten Verkehrswende seit miserabel und sehr einseitig: Fuß- und Mitte der 1950er Jahre wurde Fahrradwege sind kaum erfasst, der Deutschland „Autoland“. Nach und Fokus liegt eindeutig auf den Ver- nach wurden Städte und Regionen au- 25
togerecht gestaltet, und dieser Ausbau möglichst unter 150 PKW pro 1.000 ließ wenig Platz für andere Verkehrs- Einwohner, und Straßen rückzubauen, arten. Neben dem Auto als Statussym- um die Flächen zu renaturieren. bol kam zusätzlich die Zentralisierung hinzu: Viele Schulen und Krankenhäu- Um diese Ziele zu erreichen, bedarf ser wurden geschlossen, Verwaltung es eines Moratoriums des konventio- und Einzelhandel wanderten in die nellen Straßenbaus. Ein grundlegender Ballungsräume ab. Dezentralisiert Wandel erfordert folgende Maßnah- wurden hingegen Autobahnen, Hoch- men: schulen und Freizeiteinrichtungen; periphere Wohn- und Gewerbegebiete • Ein nationales Bundesradwegenetz entstanden. Dadurch veränderten sich • Die Umqualifizierung der Straßen- das Stadtbild und die regionale Ent- bauverwaltung auf den Bedarf auf wicklung. Der zunehmende motori- Schiene, Rad- und Fußwege sierte Personenverkehr und der • Ein Ausbauprogramm Schiene Güterverkehr führen seitdem zu Staus • Unsinnige Großprojekte zu beenden in Ballungsräumen und auf Autobah- • Den Bundesverkehrswegeplan sowie nen. Die Menschen sind nun fast das Straßengesetz zu ändern zwangsläufig auf das Auto angewiesen. • Eine Reform der Nutzung und Be- Und, anstatt sich zusammenzutun, um steuerung von Dienstautos möglichst viele Personen zu transpor- • Ein Tempolimit auf Autobahnen tieren, nutzen durchschnittlich heute • Die Reaktivierung vieler stillgelegter nurmehr 1,1 Personen ein Auto werk- aber noch nutzbarer Bahnstrecken tags im Vergleich zu 3,4 Personen um • Den Ausbau der Güterverkehrswe- 1960. Längst ist das Phänomen Stau ge zum Exportschlager Deutschlands ge- • Den Neu- oder Ausbau von S- worden. Bahn-Haltestellen, Straßenbahnen und die Etablierung neuer Bussys- Eine neue Verkehrswende ist notwendig teme für Stadt und Land • Kombibusse, die Personen und Der Klimawandel und der Verkehrs- Waren transportieren können kollaps machen es deutlich: wir brau- • Die Finanzierung der Kommunen chen erneut eine Verkehrswende, die für Radschnellwege, Radstationen sich diesmal zum Ziel setzen muss, und Brücken sowie Leihradsysteme. den vorhandenen automobilen Stra- Ebenso zusammenhängende Netze ßenverkehr deutlich abzubauen. „Die und keine Alibiradwege Verkehrswende ist zwingend und er- • Konzepte für den Fußverkehr mit fordert einen starken Umweltverbund Promenaden und Flaniermeilen mit aus attraktivem Öffentlichem Verkehr vielen Bäumen und Plätzen, die sowie Rad- und Fußverkehr“, so Mon- eine städtebauliche Qualität erge- heim. Dabei sind die Ziele, weniger ben. Autos auf die Straßen zu bringen, 26
Um diese Vielzahl an Forderungen für gebunden. Doch muss insbesondere an eine gelungene Verkehrswende auch dieser Stelle ein Umdenken einsetzen. wirklich anzugehen und umzusetzen, Kommunen, Länder und Bund müssen ist eine Vielzahl an Akteuren notwen- den Schienen-, Rad- und Fußverkehr dig. Zunächst sind wir alle als individu- fördern und insgesamt innovativer ell Handelnde gefragt. Wir können den werden. Die Wirtschaft ist als Akteur Anfang machen und unser Verhalten in gefragt, wenn es um Konzepte für be- der Verkehrsnutzung umstellen. Insbe- triebliches Mobilitätsmanagement geht sondere können wir die Nahmobilität und zuletzt können die Stakeholder mit dem Auto vermindern. Die Institu- wie Lobbys, Medien und Verbände tionen in Politik und Verwaltung müs- mehr fordern und mit ihren Forderun- sen umdenken. Verkehrspolitiker sind gen offensiver an die Öffentlichkeit oftmals sehr emotional an das Auto gehen. Dr. Marianna Musella, Dr. Stephan Seiler 27
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Vortrag von Prof. Dr. Thomas Ruster (Institut für Katholische Theologie, Technische Universität Dortmund) Mit Tieren leben und Gott erleben 11. März 2020, 19.00 Uhr, Katholische Akademie Freiburg Der Dortmunder Theologe Prof. Tho- haben von der Beziehung der Tiere zu mas Ruster sprach in der Reihe Gott und wir selbst den Bezug zur „Mensch und Schöpfung“ über die Be- Natur und den Tieren verloren haben. ziehung zwischen Menschen, Tieren Es gibt so gut wie nichts in der traditi- und Gott. Vor dem eigentlichen Vor- onellen westlichen Theologie, das auf trag ließ Ruster das Gedicht „Sie ist diese Beziehung hinweist, außer weni- mir eingegeben, die Libelle“ des evan- gen Ausnahmen. Meistens wird argu- gelischen Theologen Christian Lehnert mentiert, dass sich der Mensch seine zitieren, um den Zusammenhang zwi- Umwelt untertan machen solle. Wei- schen Gotteserkenntnis und Tier zu terhin ist die Bibel aus anthropozentri- veranschaulichen. scher Sichtweise entstanden und die Tiere werden dabei in ein schwieriges Professor Thomas Ruster erläutert das Verhältnis zu den Menschen gestellt, Verhältnis zwischen Gott, Tier und beispielsweise die Einteilung in „reine“, Mensch – Ein problematisches Verhält- „unreine“ und „abscheuliche“ Tiere nis? (wobei bei der letzten Kategorie auch ein Übersetzungsfehler angenommen Die Beziehung der Menschen zu den werden kann). Nur die reinen Tiere Tieren ist tiefgreifend gestört. Auf der dürfen geschlachtet werden, doch wie einen Seite werden Tiere vermensch- die Kategorisierung entstand, ist aus licht und verniedlicht wie etwa bei den heutiger Sicht nicht mehr nachvoll- inflationär auftretenden Stofftieren ziehbar. oder in Kinderbüchern, auf der ande- ren Seite leben wir mit dem millionen- Deshalb kann das gestörte Mensch- fachen Leid des Schlachtviehs und der Tier-Verhältnis auch auf die Bibel, und Labortiere. Zugleich ist auch die Be- nicht nur auf Descartes, zurückgeführt ziehung zu Gott gestört. Seit langem werden, der Tiere als Automaten be- spricht man von der „Gotteskrise“, und zeichnete. Auch in heutigen christli- zu Recht. Wo wird der lebendige Gott chen Gemeinden setzen sich Christen erfahren? Rusters These ist: Beides, nur in geringem Maße für Tierrechte das gestörte Verhältnis zu den Tieren ein. und das gestörte Verhältnis zum le- bendigen Gott, hängt miteinander zu- Es gibt in der Bibel und der Theolo- sammen. Es hat seinen gemeinsamen gie jedoch zwar wenige, aber dennoch Grund darin, dass wir keine Ahnung eindeutige Stimmen, die sich mit der 29
Thematik befassen. Der Herausgeber einem guten Verhältnis zu den Mitge- der Werke von Thomas von Aquin, Jo- schöpfen, den Engeln und den Tieren. seph Bernhard, stellte in seinem Buch „Die unbeweinte Kreatur“ die Frage, Die Beziehung zwischen den Tieren und wie das Leid der Tiere theologisch ge- Gott deutet werden kann. Sein Ergebnis war: Die traditionelle Theologie sagt Historisch gesehen waren alle frühen dazu nichts. Sie ist von einer tiefen Gottheiten der Menschheit einmal Tier-Vergessenheit gekennzeichnet. Ein Tiere oder erschienen zumindest in Forschungsteam unter der Leitung tierischer Gestalt. Dies betraf insbe- Rusters sammelte daher alle Textstel- sondere die frühen Hochkulturen in len der Bibel, in welchen von und über Mesopotamien und Ägypten. Tiere Tiere gesprochen wird und betrachtete waren Gegenstand einer frühen religi- sie erneut. Es entstand auf diese Weise ösen bzw. göttlichen Verehrung. Sie ein ganz neuer Ansatz, das Tier-Gott- standen für Lebenskraft, Potenz und Verhältnis in der Theologie zu bewer- Fruchtbarkeit. Weiterhin konnten sie ten (vgl. Simone Horstmann, Thomas als „Retter“ oder „Erlöser“ von dem Ruster und Gregor Taxacher: Alles, was Bösen angesehen werden, beispiels- atmet: Eine Theologie der Tiere, Re- weise, indem ein gebändigtes Tier als gensburg 2018). Beute für ein wildes Tier geopfert wurde, das somit nicht mehr die Gotteskrise menschliche Gruppe bedrohte. Doch irgendwann zwischen dem 2. und dem Das Bild Gottes der traditionellen 1. vorchristlichen Jahrtausend lösten westlichen Theologie, der „Theismus“, menschliche Gottheiten diejenigen in führt laut Ruster dazu, dass Menschen Tiergestalt ab. Die Verehrung von Tie- keine Beziehung mehr zu Gott haben. ren wurde als Götzendienst angesehen: Der Glauben an den lebendigen Gott „Wir haben die falschen Götter ange- kommt in unserer Gesellschaft mehr betet“ (beispielsweise die Stiergötzen und mehr abhanden. Daraus ergibt oder das goldene Kalb). sich die Vermutung, dass eine lebendi- ge Gottesbeziehung nicht gelingen Doch das Vertrauen von Gott ähnelt kann, wenn der Mensch keine wirkliche demjenigen des Tieres. Es handelt sich auf Empathie begründete Beziehung um eine vorbehaltlose und bedin- mehr zu Tieren und der Natur hat. Als gungslose Annahme des Menschen, Beispiel einer solchen Beziehung wie sie in unserem Gottesbegriff ge- nannte Ruster Jesus, der vierzig Tage in prägt ist: Gott liebt den Menschen der Wüste blieb und der Versuchung bedingungslos, so wie die uns vertrau- widerstand: „Er lebte bei den wilden ten Tiere uns bedingungslos lieben. Tieren und die Engel dienten ihm“ Weitere Eigenschaften der Tiere kön- (Markus 1,12). Das will sagen: Wer mit nen in diesem Bereich verortet wer- Gott in Reinen ist, der steht auch in den: Arglosigkeit, Vertrautheit und 30
Angstfreiheit. Auf der anderen Seite dass der Mensch allein ist“, ist dann so liegt ihnen jedoch auch eine Anders- zu verstehen: Es ist nicht gut, dass der heit inne, mit ihnen ist keine gleiche Mensch mit sich, mit seinesgleichen al- Kommunikation möglich und wir wis- lein ist. Alteritätskompetenz ist das sen letztlich nicht, wie Tiere eigent- „Andere“ gelten zu lassen und zu ak- lich fühlen. Tiere brauchen den zeptieren. Die Sündenfallerzählung ist Menschen nicht, es gab bereits lange von daher zu verstehen: Die Menschen vor den Menschen Tiere und letztlich wollen Gut und Böse erkennen. Sie stellen sie den Ursprung der Mensch- ordnen die Welt nach dem, was für sie heit dar. Aus den Tieren haben sich Gut und Böse ist und wollen nicht ak- die Menschen entwickelt. zeptieren, dass es ganz andere Zugän- ge zur Welt gibt – eben bei den Die Begegnung mit Tieren ist eine Tieren. Begegnung mit etwas Lebendigen! Die Beziehung zu Tieren kann uner- Im Johannesevangelium ruft Johannes wartet sein, als überraschend, unbe- der Täufer, als er Jesus zum ersten Mal stimmbar und unbeherrschbar sieht, aus: „Seht das Lamm Gottes“ empfunden werden. Dadurch kommt (Joh 1,29). Was bedeuten diese Worte? in der Fremdheit der Tiere eine Das „Agnus Dei“, das in jeder Messe Transzendenz zum Vorschein. Somit wiederholt wird, wird generell op- verkörpern die Tiere eine „horizon- fertheologisch gesehen. Dem wider- tale Transzendenz“ (Christian Leh- spricht Ruster, da in diesem nert). Die Begegnung mit dem Tier Evangelium ansonsten keine Opferthe- kann daher helfen, die Transzendenz orie vorhanden ist. Das Lamm, das im Gottes neu zu erfahren und zugleich Schoße des Vaters liegt, ist vielmehr seine Lebendigkeit zu verstehen. Ein ein Verweis auf das Gleichnis, das der lebendiger Gott kann auf Kontingenz, Prophet Nathan König David vortrug, auf Unbestimmbares und Unvorher- als dieser Ehebruch mit Batseba be- sehbares reagieren. In der christli- gangen hatte (2 Sam 12,1–3). Nathan chen Trinitätslehre ist dies der Geist erzählt von einem armen Mann, der als das lebendige und unbeherrsch- ein einziges Lamm hatte, das er wie bare göttliche Element. eine Tochter liebte und das in seinem Schoß lag. So wie das geliebte Lamm Epilog im Schoße des Mannes liegt, so liegt auch Jesus „am Herzen des Vaters“ Zuletzt wies Ruster auf zwei Tier- (Joh 1,18). Von hier aus lässt sich eine Gott-Mensch-Begegnungen in der Lamm-Christologie entwickeln, die Bibel hin. In der Schöpfungsgeschichte vielleicht treffender ist als die traditio- (Gen 2,19 f.) ist kein Tier Adam nelle Sohnes-Christologie. ebenbürtig. Aber das ist auch gut so, da nicht alle Geschöpfe gleich sein Dr. Stephan Seiler können. Das Wort „Es ist nicht gut, 31
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Vortrag von Dr. Simone Horstmann (Institut für Katholische Theologie, Technische Universität Dortmund) und Reinhard Wilde (Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg) Pro und Contra Jagd – Ein Streitgespräch 23. September 2020, 19.00 Uhr, Katholische Akademie Freiburg Im Rahmen unserer Vortragsreihe und Wildtiermanagementgesetz und „Mensch und Schöpfung“ wurde am 23. verschiedene Verordnungen stark ge- September ein „Streitgespräch“ zum regelt. Das Jagdrecht ist grundrechtlich Thema Jagd veranstaltet. Gegensätzli- geschützt und – auch geschichtlich ge- che Positionen zu diesem Thema wur- sehen – eng mit der Eigentumsgarantie den beleuchtet und diskutiert. Pro und des Art. 14 GG und damit mit dem Contra Jagd – unter diesem Motto dis- Besitz von Grund und Boden verbun- kutierten Dr. Simone Horstmann, den. Seit dem Jahr 2002 ist aber auch Theologin aus Dortmund und Reinhard der Schutz der Tiere als Staatszielbe- Wilde, Jurist und Jäger aus Freiburg stimmung im Grundgesetz in Art. 20a verschiedene Aspekte und Kontrover- GG aufgenommen worden. Beide sen der Jagd aus theologischer, ethi- Verfassungsgüter sind in einen ange- scher, ökologischer und juristischer messenen Ausgleich zu bringen. Sichtweise. Gemäß § 1 Tierschutzgesetz darf daher niemand einem Tier ohne vernünftigen Pro Jagd Grund Schmerzen, Leiden oder Schä- den zufügen. Das Tier ist als Mitge- Reinhard Wilde aus Freiburg, Jurist im schöpf zu sehen. Beide Güter – das in Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg der Eigentumsgarantie wurzelnde und Jungjäger, verwies zu Beginn sei- Jagdrecht und der Tierschutz als ner Darstellung darauf, dass er sich vor Staatsziel müssen, wie gesagt, in Ein- Erhalt des Jagdscheins viele Gedanken klang gebracht werden. Für die Tötung über die Ausbildung und die Tätigkeit von Tieren bedarf es eines triftigen als Jäger gemacht habe. Das Töten Grundes. Es besteht für Jäger die Ver- eines Tieres sei auch für ihn keine pflichtung zur Hege aber auch zur leichte Sache. Seine These besteht in Einhaltung der staatlich vorgegebenen der Aussage, dass Jagd und jagen im Abschusspläne. Gäbe es keine ehren- Rahmen der Rechts- und Schöpfungs- amtlichen Jäger – den Begriff der ordnung richtig und notwendig sind. Hobby-Jäger lehnt Reinhard Wilde mit Die Jagd innerhalb der gesetzlichen Blick auf die Erfüllung einer öffentli- Grenzen sei sogar ein gesetzlicher chen Aufgabe ab – entstünden erheb- Auftrag. In Baden-Württemberg ist die lich mehr Kosten. Ein zentraler Begriff Jagd vor allen Dingen durch das Jagd- ist die Waidgerechtigkeit: Sie stellt das 33
Kernstück der Jagdkultur dar und re- deren Gleichstellung mit dem Men- gelt in § 8 Absatz 1 JWMG Inhalt und schen ab, da sie keine Moral und keine Grenzen der Jagd: „Eine Jagdausübung Freiheit des Geistes besäßen. Dafür ist nur waidgerecht, wenn sie allen verfügten sie über ein hohes Maß an rechtlichen Vorgaben sowie allen allge- Resilienz und machten keinen Unter- mein anerkannten, geschriebenen oder schied zwischen Menschen und natür- ungeschriebenen Regelungen und ge- lichen Fressfeinden. Aus seiner sellschaftlichen Normen zur Ausübung Sichtweise seien viele Jagdgegner Städ- der Jagd, insbesondere im Hinblick auf ter, die die Natur romantisierten. den Tierschutz, die Tiergesundheit, Natur könne durchaus auch grausam den Schutz der natürlichen Lebens- sein und der Tod gehöre dazu. Eine grundlagen, das Verhalten gegenüber Auflösung der Grenze zwischen andern Inhaberinnen und Inhabern des Mensch und Tier, welcher zum Teil Jagdrechts, jagdausübungsberechtigten auch in der Diskussion über die Ein- Personen und der Bevölkerung sowie führung von subjektiven Rechten für im Hinblick auf die Jagdethik, ent- Tiere zum Ausdruck kommt, also quasi spricht.“ Weiterhin werden die Tiere einen menschenrechtlichen Status von durch den Verzehr genutzt. Das Ab- Tieren, lehnt Wilde schon aus ge- schießen eines Tieres aus Spaß ist schichtlichen Gründen ab. Die Inter- rechtswidrig. pretation von Rechtspositionen für Tiere liege zudem letztlich nach wie Aus theologisch-moralischer Sicht vor beim Menschen; die Vielfalt des kritisiert Reinhard Wilde eine auch im Tierreiches mache transparente An- Zusammenhang mit der Jagd zu beob- knüpfungspunkte für eine Tierrechts- achtende starke gesellschaftliche Ver- diskussion nur schwer möglich. einfachung von Moral. Zu schnell würden rote Linien gezogen ohne sich Als Konsens im Rahmen der Podi- der Diskussion zu stellen und die Dinge umsdiskussion sprach Reinhard Wilde zu Ende zu denken. Mit dem Philoso- von der Leidensfähigkeit von Tieren, phen Alexander Grau ist er der Mei- die er anerkenne. Er wünsche sich sei- nung, dass Moral heutzutage nicht tens der Jägerschaft immer die bene- länger Ausdruck eines übergeordneten diktinische Tugend des rechten Maßes und normierenden Wertesystems ist, – von der Gegenseite jedoch auch wie sie sich in der Tradition oder einer einen sachlichen und weniger emotio- Religion widerspiegelt, sondern allzu oft nalen bzw. aggressiven Diskurs. sich in der Argumentation selbst ge- nügt. „Als moralisch gilt das, was auf- Contra Jagd grund moralischer Erwägungen als moralisch befunden wird.“ Reinhard Der Vortrag von Frau Dr. Simone Wilde erkennt eine Leidensfähigkeit Horstmann, Theologin an der Techni- und das Vorhandensein eines Be- schen Universität Dortmund, beinhal- wusstseins bei Tieren an, lehnt jedoch tete drei zentrale Argumente gegen die 34
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