43 SpurenKostenlos zum Mitnehmen - Jäger, Forscher, Naturschützer
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Spuren Kostenlos zum Mitnehmen Nr. 43 Februar 2022 Dürener Geschichtswerkstatt e.V. und Stadtmuseum Düren Jäger, Forscher, Naturschützengrs Schilli Auf den Spuren C. G. Beim Blättern in Opas Albloniualm zeit Erinnerungen an die Ko
2 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Von BERND HAHNE Neues aus der »Szene« n Arisierung eines Indener Unternehmens hat sich zum Ziel gesetzt, nicht nur alle rd. Der Geschichtsverein der Gemeinde Inden 15.000 in NRW von Gunter Demnig verleg- gehört zu den produktivsten in unserer Re- ten Stolpersteine zu erfassen, sondern hat da- gion. Nicht zuletzt durch seine Publikationen rüber hinaus eine Vielzahl an zusätzlichen In- greift er immer wieder wichtige Themen auf. formationen zusammengetragen und teilweise Als aktuelle Jahresgabe für seine Mitglieder mit aufwändigen „Graphic Stories“ illustriert. legt er jetzt eine von Britta Enneper verfasste Zustandegekommen ist diese beeindruckende Studie über die „Arisierung“ des Familienun- Arbeit durch die Hilfe vieler Initiativen vor ternehmens W. Heymann und das Schicksal Ort, die sich um die Stolpersteine kümmern, seines letzten Inhabers Walther Lichtenstein u.a. auch die Dürener Geschichtswerkstatt. vor. Anhand umfangreicher Dokumente Die App ist in den üblichen Stores down- aus dem Firmennachlass konnte die Autorin loadbar und auch in einer Desktop-Version minutiös rekonstruieren, wie der Prozess der vorhanden. Enteignung von Unternehmen und Privatbe- sitz vonstatten ging und wer davon profitierte. n Die ersten Weimarer Jahre Walther Lichtenstein und seine Frau konnten Als Fortsetzung der Publikationen zur in der Schweiz die NS-Herrschaft überleben Dürener Stadtgeschichte (bisher erschienen: und mussten nach dem Krieg erfahren, wie Dürens Goldene Jahre 1871-1914; In Großer mühsam es in der neuen Bundesrepublik Zeit. Heimatfront Düren 1914-1918) hat sich war, für das erlittene Unrecht entschädigt jetzt ein Redaktionsteam zusammengefunden, und in seine alten Rechte wieder eingesetzt zu um unter dem Titel „Auf schwankendem Bo- werden. den“ die ersten Jahre der Weimarer Republik in Düren aufzuarbeiten. Themen wie Besat- n Lob aus berufenem Munde zung, Inflation, Separatismus, aber auch neue Eine ausführliche Rezension erfuhr jetzt Lebensformen versprechen eine spannende unsere jüngste Publikation „In Großer Zeit. Arbeit. Um dabei ein möglichst authentisches Heimatfront Düren 1914-1918“ in der Bild zu vermitteln, suchen wir noch Unter- „Historischen Zeitschrift“, einem führenden lagen aus jener Zeit wie Tagebücher, Briefe, Organ der deutschen Geschichtswissenschaft: Poesiealben, Dokumente wie etwa Lehr- oder „Hervorzuheben ist, dass alle Beiträge sehr Arbeitsverträge, aber natürlich auch Fotos, quellennah geschrieben sind, häufig werden kurz: alles, was mit dem damaligen Leben in lange Quellenexzerpte in die Darstellung Düren zu tun hat. Das Stadtmuseum nimmt eingefügt. Darüber hinaus werden zahlreiche diese Dinge gerne als (Dauer-)Leihgaben oder ausführliche Quellentexte an den passenden auch nur temporär zur digitalen Erfassung Stellen der Darstellung separat und besonders entgegen; ggfs. kommen wir auch vorbei, um gekennzeichnet abgedruckt: Zeitungsarti- etwas abzuholen. Besuchen Sie uns wäh- kel, Tagebuchauszüge, Aufrufe, behördliche rend der Sonntagsöffnung von 11-17 Uhr Inhalt Bekanntmachungen etc. Und schließlich ist oder nehmen Sie Kontakt mit uns auf: Tel. 2 Neues aus der das Werk mit hunderten von Abbildungen 02421.1215925 oder per Mail unter info@ »Szene« in hoher Druckqualität illustriert. Überhaupt stadtmuseumdueren.de. Wir freuen uns auf 3 Jäger, Forscher, gebührt dem Redaktionsteam und dem Ver- Ihre Einlieferungen! Naturschützer lag das Kompliment, das Buch sehr sorgfältig Auf den Spuren Carl lektoriert, ansprechend gestaltet und druck- Impressum Georg Schillings‘ technisch in vorbildlicher Weise produziert zu 14 Ehrenbürger haben. […] Fazit: Das dreiteilige Buch ist ein n Herausgeber: Trägerverein Stadtmuseum gerettet! Standardwerk zur Dürener Stadtgeschichte Düren e.V. und Dürener Geschichtswerk- 15 Beim Blättern in und ein wichtiger Beitrag zur Erforschung statt e.V., Cyriakusstr. 33, 52355 Düren Opas Album der „Heimatfront“ 1914–1918.“ Die ganze n Redaktion: Bernd Hahne M.A. (verantw.), Erinnerungen an Rezension ist auf der Seite des Stadtmuseums Dr. Anne Krings M.A. Deutschlands unter Downloads zu finden. n Herstellung: Schloemer & Partner GmbH, Kolonialzeit Düren 21 Vielfalt, wohin man n Stolperstein-App schaut Vor wenigen Tagen hat eine sehr gelunge- Alle Ausgaben der „Spuren“ sind digital im Bericht aus dem ne Aktion des WDR einen guten Start in die Internet unter www.geschichtswerkstatt- Stadtmuseum Öffentlichkeit gehabt: Die „Stolperstein-App“ dueren.de abrufbar.
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 3 Jäger, Forscher, Naturschützer Auf den Spuren Carl Georg Schillings‘ Im Januar 1921 verstarb in Berlin der Doch beginnen wir mit einer vermeint- Von HEINER HILGER Gürzenicher Afrika-Forscher Carl Georg lich einfachen Frage: Wer war eigentlich Carl und SARAH HÖNER Schillings. Das Stadtmuseum Düren plante Georg Schillings? 2021 anlässlich des 100. Todestags dieses Ein geborener Dürener berühmten Sohns der Stadt Düren ver- schiedene Veranstaltungen sowie eine Als dem Gutsbesitzer, Bürgermeister von Ausstellung, die aufgrund der Corona-Pan- Birgel und Lokalschulinspektor Carl Schillings demie verschoben werden mussten. Nun und dessen Frau Antonia geb. Brentano 1865 ist es aber soweit: Seit dem 23.01.2022 ein Sohn geschenkt wird, ahnt niemand, dass ist die neue Ausstellung „Jäger, Forscher, dieser Junge einmal ein berühmter Pionier der Naturschützer – Auf den Spuren von Carl Afrika-Forschung und Tierfotografie werden Georg Schillings“ für die Öffentlichkeit soll. Die Mutter aus dem bekannten Hause zugänglich. Sie beleuchtet in zahlreichen Brentano zu Frankfurt hat Vater Carl in Bonn Original-Objekten und historischen Doku- geheiratet. Carls Eltern sind der aus Aachen menten sowie faszinierenden Fotografien stammende Königliche Preußische Ober- das kurze, aber facettenreiche Leben eines förster Timotheus Schillings und dessen Frau vielschichtigen und äußerst umtriebigen Caroline Englerth, eine Tochter der Gründerin Mannes, der zu Lebzeiten internationale des Eschweiler Bergwerksvereins Christina Bekanntheit erlangte. Wültgens. Der kleine Carl Georg Schillings Am Abend des 29. Januars 1921 bekamen kann also auf prominente und sicher auch die achtjährige Anna und ihre Mutter in deren vermögende Verwandte blicken. Berliner Wohnung wieder einmal Besuch von einem ihnen bekannten Mann: Es war schon Carl Georg und dunkel und wir genossen die Schlummerstunde Max von Schillings und schauten auf die Lichter der vorbeifahrenden im Jahr 1875 Züge. Plötzlich klingelte es. Der bewusste Mann stand vor der Tür. Er legte im Flur seinen Mantel ab und ging ins Wohnzimmer. Meine Mutter ging in die Küche, um Streichhölzer für die Gas- beleuchtung zu holen. Plötzlich polterte es im Wohnzimmer. Ich lief in die Küche und sagte meiner Mutter, dass der Mann umgefallen sei. So erinnert sich Anna fast acht Jahrzehnte später an jene Vorkommnisse: Erst nach dem Tod meiner Mutter erfuhr ich, dass dieser Mann mein Vater war: Der Afrikaforscher Carl Georg Schillings. Zu seiner Zeit ein bekannter und sehr geach- teter Mann, entschwanden diese Persönlichkeit und ihr vielseitiges Wirken mit den Jahren aus dem öffentlichen Bewusstsein, so auch innerhalb der Dürener Bevölkerung. Das Stadtmuseum Düren möchte dies mit seiner neuen Ausstel- lung ändern. Warum? Weil das Leben von Carl Georg Schillings so reich an Wendungen war und seine Anliegen auch 101 Jahre nach seinem Tod weiterhin aktuell sind. Weil seine Befürch- tungen zum Aussterben der ostafrikanischen In der Oberstraße 26 in Düren erblickt er Tier-Vielfalt aktueller sind denn je. Weil das am 11. Dezember 1965 als erstes Kind seiner Thema Kolonialismus und die Aufarbeitung der Eltern das Licht der Welt. Zwei Geschwister kolonialen Vergangenheit Deutschlands auch an folgen, darunter der spätere bekannte Kom- Düren nicht vorübergehen. ponist und Dirigent Max Schillings. Mit dem
4 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Frühe undatierte Aufnahme des Tod des Großvaters Timotheus Schillings im Carl Georg Schillings 1888 nach bereits zwei Weyerhofs Mai 1871 tritt die Familie dessen Erbe an und Jahren aus dem Dienst entlassen. siedelt auf den Weyerhof in Gürzenich über. Passionierter Jäger und Reiter Dieser Gutshof verfügt über einen ausgedehn- ten Waldbestand und einen rund 30 Hektar Während sein Bruder Max früh die Musik großen Park mit mehreren großen Weihern, für sich entdeckt, gelten Carl Georgs Inter- der im Stile eines romantischen Landschafts- essen der Natur und insbesondere der Jagd. gartens mit verschiedenen pittoresken Park- Diese Leidenschaft teilt er bereits als Jugend- gebäuden gestaltet worden ist. In diesem licher mit seinem Vater, die beide dazu das naturnahen und privilegierten Umfeld wächst weite Gelände des Weyerhofes nutzen. Sämt- Carl Georg Schillings auf. Auf dem Weyerhof liche gefangenen oder geschossenen Tiere ist dem kleinen Carl Gelegenheit gegeben, mit werden von dem passionierten Jäger akribisch der Natur vertraut zu werden. Der bereits von in einem eigenen Schussbuch aufgeführt, das den Großeltern bestens gepflegte Park und er 1882 von seinem Vater geschenkt bekom- der angrenzende Wald geben dem Jungen die men hat. Sind es im ersten Jahr insgesamt 71 Möglichkeit, seine jugendliche Abenteuerlust Tiere, wie zum Beispiel Hasen und Hühner, voll auszuleben. Ab dem sechsten Lebens- werden zwei Jahre später bereits 596 erlegte jahr erhält er zuhause gemeinsam mit seinem Tiere festgehalten. Der Verbesserung seiner Bruder Privatunterricht von einem Lehrer. Schießkunst dient das Tontauben-Schießen. Zwischen 1882 und 1886 wird Bonn zum Das Training zahlt sich aus: Schillings schnei- temporären Wohnsitz, hier besucht Carl det erfolgreich bei einem Schieß-Wettbewerb Georg das Königliche Gymnasium (heute ab und stellt dort einen neuen Rekord auf. Beethoven-Gymnasium) und Darüber hinaus widmet er sich der Zucht und besteht das Abitur. Weniger dem Abrichten von Jagdhunden, von denen Februar 1895 an der Rur: Der Hund bringt gleich zwei erfolgreich verläuft das auch einige namentlich im Schussbuch er- geschossene Enten anschließende Studium wähnt werden. Nach vierzehn Jahren beendet der Landwirtschafts- Carl Georg Schillings seine Eintragungen in ökonomie an der das Schussbuch. In diesem Zeitraum hat er Friedrich-Wilhelms- insgesamt 6.055 Tiere selbst gefangen oder Universität in geschossen. Bonn, das er nach Neben der Jagd ist dem Gutsbesitzersohn drei Jahren ohne auch das Reiten sehr vertraut: Er beherrscht Abschluss abbricht. es bereits seit frühster Kindheit. Seine Heimat Die anschließende Gürzenich ist in der zweiten Hälfte des 19. Militärzeit bei der Jahrhunderts noch ein abgelegenes Dörf- „Garde du Corps“, chen. Die Umgebung, Düren – und damit die 5. Kompanie in Eisenbahn – sind nur mit Pferd oder Pferde- Berlin, ist un- wagen zu erreichen. Zudem erfolgt auch die erwartet kurz. regelmäßige Kontrolle der zum Weyerhof Wegen einer gehörenden landwirtschaftlichen Flächen diagnostizierten reitend. Für Schillings ist das Reiten jedoch Lungenkrankheit nicht nur Mittel zum Zweck. Er liebt die und einer geschä- Arbeit mit Pferden und trainiert leidenschaft- digten Leber wird lich gerne seine Fähigkeiten. Bereits in den
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 5 1880er Jahren veranstaltet er erste Rennen in wusstes Denken von der zeitgenössischen Gürzenich und der näheren Umgebung. Das Geisteshaltung geprägt ist, akzeptiert er auch finanzielle „Polster“ seines Vaters versetzt ihn das bestehende koloniale Herrschaftssystem in die Lage, gute Pferde zu erwerben und mit in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, ihnen an den Veranstaltungen teilzunehmen, als er diese 1896/97 erstmalig im Rahmen die meist von Erfolg für ihn gekrönt sind. Er einer Expedition von Schoeller besucht. professionalisiert sein Können und besucht Dabei knüpft er wichtige Kontakte zu ver- ab 1887 auch größere Rennbahnen, z. B. in schiedenen kolonialen Einrichtungen, Aachen, Jülich, Krefeld oder Düsseldorf. Sogar so z. B. zur Deutsch-Ost-Afrika-Ge- in Mannheim und Berlin ist Schillings anzu- sellschaft (D.O.A.G.). Diese nutzt er treffen. Oft findet man seinen Namen auf den später für seine insgesamt drei län- von der Presse veröffentlichten Siegerlisten. geren eigenständigen Expeditionen, Die Preisgelder nutzt er, um sein kostspieliges auf denen er die vielfältigen Land- Hobby weiter zu finanzieren. Die größten Er- schaften und Tierarten der Region folge verzeichnet er zwischen 1887 und 1897. erforscht. In dieser Zeit erhält er auch Angebote anderer Auf der ersten Pferdebesitzer, ihre Tiere zu trainieren oder dieser Reisen wird der gar selbst mit ihnen an Rennen teilzunehmen. jagderfahrene Schillings Die Siegesnachrichten sammelt er akribisch in von Schoeller mit der Aufgabe einem Ordner. betraut, eine Sammlung der regionalen Auf dem Weyerhof legt Schillings auf einer Fauna zusammenzustellen. Konkret Fläche von 350 Morgen Koppeln zur Aufzucht gesagt handelt es sich dabei um die von jungen Pferden an. Ein „Springgarten“ ge- Sammlung, Katalogisierung und nannter Hindernisparcours im Park des Gutes Betreuung von Trophäen – von ge- soll die Tiere auf ihren zukünftigen Einsatz bei schossenen Wildtieren. Rennen vorbereiten. Bei allen Reisen besteht die Ex- 1895 gewinnt er mit seinem Wallach Ru- peditionskarawane neben einigen fus das große Distanzrennen von Düsseldorf, Lastentieren aus mehreren hundert bei dem es gilt, innerhalb von 24 Stunden Personen. Dazu gehören u. a. angeheu- einen Fußmarsch von 100 km zu absolvieren, erte Träger, die zum Teil Sklaven sind, die bevor das eigentliche Reitrennen über weitere „Askari“ als persönliche Schutztruppe, ein 100 km folgt. Dies bleibt Schillings größter Koch sowie weitere Bedienstete. Sie be- Erfolg als Reiter. Zwei Jahre später bricht gleiten Schillings auf seinen langen und Rufus während eines Hindernisrennens tot herausfordernden Märschen durch die Durchaus standesbewusst: zusammen. abwechslungsreiche Naturlandschaft. Carl Georg Schillings als Reiter Schillings ist stets umgeben von Arbeits- Naturfreund und Forscher kräften, die ihm zu Diensten stehen und ihn Nachdem sein Bruder Max den Weyerhof tatkräftig unterstützen. verlassen hat, bewirtschaftet Carl Georg das Die Kolonie Deutsch-Ostafrika – das Ex- Familiengut alleine. Mit großem Interesse peditionsgebiet von Carl Georg Schillings widmet er sich der Gestaltung und Pflege des Parkgeländes. Um das Jahr 1890 fragt er Das Gebiet des heutigen Tansania (mit beim Zoologischen Garten in Berlin u. a. um Teilen Ruandas und Burundis) wird 1885 Wildenten für seine Weiher an. Nach einer vom Deutschen Reich „erworben“. Auf der positiven Antwort reist Schillings persönlich Berliner Afrika-Konferenz 1884/85 haben in die Hauptstadt und lernt im Zoologischen die einflussreichsten Kolonialmächte ihre Garten zufällig dessen Direktor, Ludwig Heck, Interessen abgesteckt und den Kontinent kennen. Diese Begegnung soll sich für Carl unter sich aufgeteilt. Auf dem Land der nun Georg Schillings‘ zukünftige Vorhaben als sehr „Deutsch-Ostafrika“ genannten Kolonie leben hilfreich herausstellen. zu diesem Zeitpunkt etwa acht Millionen Dank seiner privilegierten Familienverhält- Menschen. 90 % von ihnen gehören den nisse verfügt Schillings über beste Verbindun- Bantu an. Auch Angehörige der Massai und gen zu den bedeutenden Familien in Düren. arabische Einwanderer aus dem Oman, die So lernt er auch den Fabrikantensohn Max intensive Handelsverbindungen ins Landes- Schoeller kennen, der seine Leidenschaft für innere, nach Europa und in den Nahen Osten die Jagd und die Faszination für den großen unterhalten, leben dort. und damals noch unbekannten afrikanischen Flächenmäßig etwa doppelt so groß Kontinent teilt. Da Carl Georgs standesbe- wie das Deutsche Reich, herrscht dort ein
6 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Reiseroute von Max Schoeller durch Deutsch-Ostafrika. Grün eingezeichnet die Route Carl Georg Schillings‘, nachdem er sich von Schoellers Expedition getrennt hatte. tropisches Klima und es gibt eine üppige vor allem der Erforschung der artenreichen Vegetation. Der Kilimandscharo, der höchs- und in Teilen noch unbekannten Tierwelt te Berg Afrikas, wird mit Beginn der deut- jener Region. Und so entdeckt Schillings meh- schen „Schutzherrschaft“ als „höchster Berg rere neue Wildarten, u. a. eine neue Hyänen- Deutschlands“ oder „Kaiser-Wilhelm-Spitz“ und eine Giraffenart, die zukünftig seinen bezeichnet. Er wird zum Wahrzeichen der Namen tragen werden. deutschen Kolonialpolitik, symbolisiert er Neuentdeckte und nach Schillings benann- doch die angestrebte „Weltgeltung“. Die te Wildarten in Ost-und Äquatorial-Afrika: Kolonialverwaltung bezieht ihren Sitz in der n die gestreifte Hyäne (Hyäne Schillingsi Küstenstadt Dar Es Salaam. Mtsch) Bis 1913 ziehen rund 5.000 Deutsche n die Bergantilope (Orestragus Schillingsi nach Deutsch-Ostafrika. Für sie steht die Neum) wirtschaftliche Ausbeutung des Landes im n der Pangani-Büffel (Buffulus Schillingsi Vordergrund. Sie errichten Plantagen für Mtsch) Kautschuk, Hanf, Baumwolle und Kaffee, die n die Kuhantilope (Bubalis Schillingsi Mtsch) von Einheimischen unter sklavischen Umstän- n die Zwerggazellen (Eudorcas Schillingsi, Eu- den bewirtschaftet werden. Zur Verbesserung dorcas Ndjiriensis, Eudorcas Sabakiensis) der Infrastruktur, u. a. für den Abtransport n die Geier (Pseudogyps Sabakiensis, Schil- der Plantagen-Erzeugnisse, wird 1894 die lingsi Erl.) erste Eisenbahnstrecke eröffnet. Bis zum n der Schillingsvogel (Gyps Schillingsi) Beginn des Ersten Weltkriegs folgen weitere n die Giraffe (Giraffa Schillingsi Mtsch). Strecken sowie Telegraphenstationen. Die Abhängig von der Art und Größe der Tiere, deutsche Infrastruktur vor Ort erleichtert Carl werden diese entweder zunächst lebendig im Georg Schillings den Zugang in diese Region Fangeisen gefangen und getötet oder auf der mit ihren Naturschätzen erheblich. Auch er Pirsch geschossen. Direkt vor Ort werden die kann bei seinen Expeditionen auf Sklaven als Tierkörper von einem Präparator und dessen Arbeitskraft zurückgreifen. Helfern fachmännisch bearbeitet. Die Häute und Hörner des Großwilds sowie Insekten Tierfänger und Fotograf und Vögel werden konserviert und für den Auf die erste eigenständige Expedition, die Weitertransport ins Deutsche Reich vor- dank seiner Tagebucheinträge sehr gut doku- bereitet. Von diesen Trophäen erhoffen sich mentiert ist, begibt sich Carl Georg Schillings deutsche Zoos und Naturkundemuseen einen in den Jahren 1899 bis 1900. Finanziert wird wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Schil- diese Reise u. a. durch Landverkäufe oder lings erhält von den verschiedenen Institutio- Beleihungen. Ihre Kosten belaufen sich auf ca. nen regelrechte Auftragslisten. 25.000 Goldmark (heute ungefähr 125.000 Insbesondere auf dem Gebiet der Tier- Euro). Die Jagd auf die heimischen Wildtiere Fotografie erweist sich Schillings als Pionier, Ostafrikas – das Hauptziel dieser Reise – dient denn ihm gelingt es als einem der Ersten, mit
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 7 Kameraausrüstung für die berühmten Tierfotografien seinen speziellen Apparaturen und selbstge- gen, die mit nach Deutschland gebracht bauten Fotofallen, sensationelle Aufnahmen werden, soll Schillings nicht nur lebende Tiere von unterschiedlichen Tieren in ihrer natür- fangen, sondern insbesondere versuchen, die- lichen Umgebung anzufertigen. Die benötigte se in ihrem natürlichen Lebensraum zu foto- Ausrüstung versucht er, bei allen folgenden grafieren. Die Anfertigung solcher „Naturdo- Reisen bestmöglich an die örtlichen Gegeben- kumente“ ist damals noch völlig unbekannt. heiten anzupassen. Zwar gibt es bereits Tier-Aufnahmen, dabei „Photographische Apparate“ sind bereits handelt es sich jedoch meist um Standfotos bei Schillings erster Expedition nach Deutsch- von zahmen Haus- oder erlegten Wildtieren. Ostafrika Bestandteil des Gepäcks. Im Gegen- Schillings soll der Wissenschaft nun erstmals satz zu seinen späteren Reisen entstehen aber die Gelegenheit bieten, ostafrikanische Wild- nur wenige Aufnahmen für private Zwecke. tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu be- Bei den folgenden Expeditionen verlegt Schil- trachten und darüber ihr Verhalten und ihre lings den Fokus immer deutlicher vom Jagen Lebensumstände zu erforschen. auf das Erforschen und Sammeln. Der Direk- Aufwand und Leistung, die Schillings und tor des Zoologischen Gartens in Berlin hat in seine Helfer für das Gelingen der Aufgabe er- ihm eine revolutionäre Idee geweckt: Anstelle bringen müssen, sind aus heutiger Sicht kaum der üblichen Häute, Skelette und Zeichnun- vorstellbar. Nicht nur müssen eine spezielle Schillingssaal in der Geweih- Ausstellung 1898 im Berliner Borsighaus
8 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Flussüberquerung mit umfangreichem Gepäck Kamera sowie eine bis dahin nicht existieren- Naturschützer und Schriftsteller de transportable Blitzlichtanlage entwickelt Seine umfangreiche Trophäensammlung werden, die den Anforderungen der Expedi- zeigt er 1898 innerhalb einer Ausstellung in tionen gewachsen sind, auch müssen bei der Berlin und verschenkt deren größten Teil an Reise über Monate kistenweise Fotochemika- Kaiser Wilhelm II., wodurch das Königliche lien sowie tausende empfindliche Glasplatten Museum für Naturkunde in der Hauptstadt transportiert werden. des Deutschen Reichs neuer Besitzer wird. Zu- Das Vorhaben gelingt: Schillings bringt dem hält Schillings öffentliche Vorträge, veröf- sensationelle Aufnahmen von Antilopen, fentlicht einzelne Schriften und steht mit den Hyänen, Löwen, Giraffen und zahlreichen führenden deutschen Zoologen in Kontakt. anderen Wildtieren mit zurück, die in ganz Aus diesem Austausch entwickeln sich neue Deutschland für Aufsehen sorgen und spä- Forschungsansätze: Die Wildtiere sollen nicht testens durch seine Veröffentlichungen in nur geschossen und gefangen, sondern auch der ganzen Welt bekannt werden. Für viele in ihrem natürlichen Lebensraum erkundet Menschen bedeuten sie die erste Gelegenheit, werden. Mit seinem umfangreichen Wissen die afrikanische Tierwelt mit eigenen Augen über die Fauna Ostafrikas gelangt Carl Georg zu betrachten. Bis heute haben sich mehrere Schillings zu der Erkenntnis, dass der Mensch hundert dieser Aufnahmen erhalten – ein diese reichhaltige Tierwelt zerstört und deren fotografischer Schatz! Artenreichtum dadurch massiv bedroht
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 9 ist. Fortan wird der Schutz dieser Tiere sein Hauptanliegen. Er nimmt 1901 als einziger Nichtfachmann an der Zoodirektoren-Konfe- renz in Berlin teil und folgt als Experte einer Einladung nach London zur ersten internatio- nalen Wildschutzkonferenz. Im gleichen Jahr erkennt auch die Stadt Düren den besonderen Wert der Trophä- ensammlung ihres inzwischen berühmten Sohnes und erwirbt sie. Ausgestellt wird sie wenige Jahre später im neu erbauten Leo- pold-Hoesch-Museum. Aus den gesammelten Erfahrungen verfasst Schillings sogar einen Entwurf für ein Jagdschutzgesetz. 1903 fließt dieser Entwurf in neue Jagdschutzgesetze für diese Kolonie ein. Im Frühjahr 1902 folgt die zweite Expe- dition in den bereits vertrauten Teil Afrikas. Jedoch zwingen lebensbedrohliche Erkrankun- gen Schillings nach wenigen Monaten zum Abbruch und zur Rückkehr nach Deutsch- land. Bereits Anfang 1903 erfolgt Carl Georg Schillings‘ dritte und letzte Expedition nach Deutsch-Ostafrika. Dieser einjährige Aufent- halt dient neben der fotografischen Arbeit auch dem Fang lebendiger Tiere für den Zoologischen Garten in Berlin. So finden u. a. ein junges Nashorn, ein Stachelschwein und mehrere Löwen dort ein neues Zuhause. Auf dem Weyerhof besuchen zahlreiche Verwandte und Bekannte den Reiserück- kehrer, die neben den vielfältigen Trophäen, besonders von seinen abenteuerlichen Erzäh- lungen begeistert sind. Immer häufiger wird er bedrängt, seine Erlebnisse festzuhalten und „Abschussgenehmigung“ zu „wissenschaftlichen Zwecken“ ein Buch zu veröffentlichen. Die Schriftstelle- für Carl Georg Schillings auf rei ist Schillings nicht fremd, bereits 1887 hat seiner dritten Expedition er erste Texte in einer Jagdzeitschrift veröffent- licht. Sein Artikel „Jagd auf Raubvögel mit Hilfe des abgerichteten Uhus“ hat sogar so viel Beachtung gefunden, dass er 1889 unter dem Pseudonym „Hermit“ in einer französi- Karikatur 1909 in einer Berliner schen Übersetzung erschienen ist. Die ersten Zeitschrift mit der Unterschrift: Sätze über seine Expeditionen nach Deutsch- „Heiliger Schillings!“ Ostafrika bringt Schillings aber erst 1904 zu Gewiss, Vogelschutz ist schön. Aber Straussfedern sind n o c h Papier. Ausschlaggebende „Motivation“ ist schöner! seine inzwischen prekäre finanzielle Situa- tion: Die Afrika-Reisen haben einen Großteil seines Vermögens verschlungen. Einnahmen hat er nur durch Vorträge und Verkäufe von Trophäen an Museen sowie lebenden Tieren an Zoos. Das reicht auf die Dauer nicht aus, denn die Expeditionen haben insgesamt ca. 100.000 Goldmark (heute ca. 500.000 Euro) gekostet. Im Herbst 1904 beginnt Schillings mit der Arbeit an einem ersten Buch „Mit Blitzlicht und Büchse“, das 1905 im Verlag R. Voigt- länder erscheint. Das Werk soll vor allem der
10 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Verbreitung der einmaligen Tierfotografien ist am 1. Februar 1899 von Lina Hähnle in dienen. Es wird ein durchschlagender Erfolg: der Stuttgarter Liederhalle gegründet worden Die erste Auflage ist bereits wenige Monate und kämpft für den Schutz einheimischer nach der Veröffentlichung vergriffen. Die Vögel. Carl Georg Schillings hat Lina Hähnle Einnahmen retten Schillings aus seiner ange- und ihren Mann nach seiner ersten Afrika- spannten finanziellen Situation. Noch vor der Expedition kennengelernt und drückt seine Drucklegung einer neuen Auflage des Erst- Unterstützung für den Vogelschutz vor allem werks folgt das zweite Buch „Der Zauber des in diversen Veröffentlichungen aus, die der Elelescho“. 1910 werden beide Bände zusam- Veranschaulichung der zahlenmäßigen Aus- men in einer Volksausgabe veröffentlicht. Der beutungen, dem Aufruf zum Artenschutz und Erfolg der Bücher bleibt über die Jahrzehnte der Nennung bedrohter Tierarten dienen. bestehen: Bis in die 1950er Jahre werden sie Das Ende eines bewegten Lebens und immer wieder neu aufgelegt und verkaufen der lange Weg der Schillings-Sammlung sich weit über 100.000 mal. Die englische Übersetzung „Flashlights in the Jungle“, er- Mit nur 55 Jahren stirbt Carl Georg Schil- reicht sogar den amerikanischen Präsidenten lings, dieser vielschichtige und umtriebige Theodore Roosevelt, der Schillings einen an- Mann, plötzlich und unerwartet, im Beisein erkennenden Brief schreibt. seiner Tochter, an jenem Januarabend 1921 In den Jahren 1907 bis 1908 tritt Carl Ge- in Berlin. Die Beisetzung seiner Urne erfolgt org Schillings in den Dienst des Auswärtigen im Familiengrab in Gürzenich. Seine Samm- Amtes in Berlin und entwirft ein Jagdschutz- lung an Trophäen und Fotografien ist zum gesetz für Deutsch-Ostafrika. Dieses Vorhaben größten Teil noch erhalten und bis heute ein scheitert jedoch am großen internen Wider- wichtiges Zeugnis seiner Zeit und somit ein stand und so beendet Schillings enttäuscht großer Schatz für die Forschung. Doch nicht seine dortige Tätigkeit. nur in Wissenschaftskreisen ist man an diesem Eine fünfte Reise auf den afrikanischen Schatz interessiert – auch die Öffentlichkeit Kontinent geht 1911/12 nicht über die strömt über die Jahre immer wieder herbei, Planungsphase hinaus. Weiterhin versucht um sich die Präsentationen der Schillings- Schillings, durch die Veröffentlichungen Sammlung, deren Weg bis heute so manche „Die Tragödie des Paradiesvogels und des Station vorweisen kann, anzuschauen. Edelreihers“ (1912) oder „Die Arche Noah“ 1905 wird die Sammlung erstmals im ge- (1914) auf den Vogelschutz bzw. Artenschutz rade neu erbauten Leopold-Hoesch-Museum aufmerksam zu machen. Er ist inzwischen ausgestellt. Mangels vorhandener Lagerfläche engagiertes Mitglied im Deutschen Vogel- wird sie nach den Wirren des Zweiten Welt- schutzbund, heute als Naturschutzbund kriegs und der damit verbundenen Zerstörung Deutschland (kurz NABU) bekannt. Dieser Dürens am 16.11.1944, der sie glücklicher- Der Schillingsraum im Leopold- Hoesch-Museum
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 11 weise entgangen ist, auf dem Speicher der Mal zu sehen: Bereits 2009 bis 2011 wird sie Ostschule deponiert. Dieser entpuppt sich in den Räumlichkeiten an der Arnoldsweiler- als völlig unzureichender Lagerort, denn die straße präsentiert, muss aber schließlich aus empfindlichen Objekte und Dokumente sind Platzgründen wieder abgebaut werden. dort Wind, Wetter und Dieben schutzlos aus- In der aktuellen Ausstellung, die seit dem geliefert. So „verschwinden“ wichtige Teile der 23. Januar 2022 zu sehen ist, werden einige Sammlung auf Nimmerwiedersehen. Exponate erstmalig der Öffentlichkeit gezeigt, Erst der damalige Rektor der Ostschule darunter auch verschiedene persönliche Be- Rinkens beschäftigt sich eingehender mit dem sitztümer von einem bis dato nie gewürdig- „Dachboden-Schatz“ und dekoriert verschie- ten Mann: Schillings Reisebegleiter Wilhelm dene Bereiche der Schule mit ihm entnom- Orgeich. menen Exponaten. Unter Rektor Jüdermann Präparator, Begleiter, Freund – der wird die zu diesem Zeitpunkt stark in Mit- Gürzenicher Wilhelm Orgeich leidenschaft gezogene Sammlung in einem Kooperationsprojekt mit Schülerinnen und Wilhelm Orgeich wird am 23. April 1863 Schülern gesäubert, gesichert und im Schulge- als Sohn des Schreiners Johann Orgeich und bäude ausgestellt. 1979 übergibt Jüdermanns seiner Ehefrau Margarethe geboren. Ur- Nachfolger die Sammlung offiziell wieder dem sprünglich als Gärtner auf dem Anwesen Leopold-Hoesch-Museum. 1985 nimmt sich der Familie Schillings, dem Weyerhof in schließlich der damalige Rektor der Haupt- Gürzenich, beschäftigt, begleitet Orgeich als schule Gürzenich, Rolf Terkatz, ihrer an. Mitglied der Expeditionen 1899 bis 1900 und Unter tatkräftiger Unterstützung der damali- 1903 bis 1904 Carl Georg Schillings nach gen Leiterin des Leopold-Hoesch-Museums, Deutsch-Ostafrika (heute Tansania). Vom Dr. Dorothea Eimert, richtet er in einem Reisegefährten entwickelt er sich dabei u. a. Kellerraum der Schule ein kleines „Schillings- zu Schillings Krankenpfleger, der sich um ihn Museum“ ein, das noch vielen Schülerinnen kümmert, wenn er wegen seiner Malaria-In- und Schülern in Erinnerung sein dürfte. fektion gepflegt werden muss. Er dient ihm als Die erste größere Schillings-Ausstellung Assistent beim Kontrollieren und Einholen der außerhalb von Düren findet 1968 in den in der Nacht von Wildtieren selbst belichteten Räumen der Stadtsparkasse Aachen statt. Fotoplatten, ist als Tierfänger und -pfleger tä- Im Folgenden werden zahlreiche namhafte tig und verantwortlich für die Präparation der Museen und Einrichtungen in ganz Deutsch- geschossenen Tiere und deren Häute. land auf die faszinierenden Exponate aufmerk- Bereits auf dem Weyerhof hat sich Orgeich sam. So wandern Teile der Sammlung als an den Vorbereitungen zum Gelingen der Leihgaben in immer neue Ausstellungen, die Nachtaufnahmen beteiligt. Wo er das schwie- vor allem in Naturkunde- und Kunstmuseen rige Handwerk des Präparators gelernt hat, ist Wilhelm Orgeich (li.) und Carl gezeigt werden. Das renommierte Zoologi- unbekannt. Wahrscheinlich hat er sich die ers- Georg Schillings sche Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn ist 1969 ebenfalls eine der ersten Institutionen, die große Teile der Schillings- Sammlung präsentiert. Auch das Naturkunde- museum in Karlsruhe, das Essener Folkwang- Museum und das Wallraf-Richartz-Museum in Köln reihen sich ein in die Riege der Schauorte. Seit 1997 werden einige Exponate in der Ausstellung der Stiftung Naturschutz auf der Drachenburg auf dem Drachenfels bei Königswinter gezeigt. Sie heben vor allem Carl Georg Schillings‘ Rolle bei der Entwicklung des Naturschutzes in Deutschland hervor. Auch in Düren selbst zeigt man immer wieder großes Interesse an der Schillings- Sammlung. 1986 wird sie im Rahmen einer Ausstellung in den Räumen der Stadtsparkas- se Düren gezeigt. 2001, im „Jahr des Sam- melns“, stellt das Leopold-Hoesch-Museum zahlreiche Exponate aus. Auch im Stadtmu- seum Düren ist sie aktuell nicht zum ersten
12 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren sischen ist die offizielle deutsche Kolonial- geschichte verhältnismäßig kurz. Obwohl der Schon von Krankheit gezeichnet: Ruf nach eigenen Kolonien spätestens seit den Schillings im Jahre 1918 1840er Jahren immer lauter erschallte, wurde erst 1884 mit „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia) der Grundstein für das (flächenmä- ßig) drittgrößte Kolonialreich gelegt. Noch im gleichen Jahr folgten weitere Gebiete in West- und Ostafrika. Obwohl Reichskanzler Otto von Bismarck kolonialen „Erwerbungen“ skeptisch gegen- überstand, wurden unter seiner Kanzlerschaft die meisten getätigt. In Afrika waren das u. a. die Gebiete der heutigen Staaten Togo, Kame- run, Tansania und Namibia. Die Kolonien be- zeichnete er als „Schutzgebiete“, wobei damit der Schutz des deutschen Handels gemeint war und nicht etwa der Schutz der lokalen ten Kenntnisse in seiner Zeit als Jäger angeeig- Bevölkerung. Während Bismarck die Kolonien net. Für seine Arbeit erhält er häufig höchstes als Handelsstützpunkte betrachtete, sah der Lob. So heißt es in einem Schreiben des Vor- Deutsche Kolonialverein sie als Erweiterung standes des Königlichen Naturalien-Cabinets des deutschen Herrschaftsbereichs. Eine Orts- in Stuttgart aus dem Mai 1900: „Ich habe die gruppe dieser Organisation wurde übrigens Ehre Ihnen mitzuteilen, dass S. M. der König schon 1884 auch in Düren gegründet. von Württemberg allergnädigst geruht haben, Der wirtschaftliche Nutzen rückte gegen- Ihnen die silberne Civil-Verdienst-Medaille über den politischen Zielen in den Hinter- zu verleihen in Anerkennung der Mühe und grund. Ein „Wettrennen nach Kolonialbesitz“ Sorgfalt, mit welcher Sie die Präparation und begann. Conservierung der von Herrn Schillings in Als Siedlungsgebiete blieben die deutschen Afrika erlegten Tiere durchgeführt haben.“ Kolonien unbedeutend. Bis 1914 ließen sich Über die Jahre wird Orgeich zum treuen gerade einmal 23.000 Menschen dort nieder. Freund für Schillings. Dieser bedenkt ihn so- Der Besitz der Kolonien sollte Vormacht- gar großzügig in seinem Testament, hinterlässt stellung und „Weltgeltung“ des Deutschen ihm neben einer großen Summe Bargeld und Reichs vergrößern. Auf seinem Höhepunkt diversen persönlichen Besitztümern u. a. seine war die deutsche Kolonialmacht nach Groß- goldene Uhr, in die er die Inschrift „Für aus- britannien, Frankreich und den Niederlanden gezeichnete Dienste in Dankbarkeit“ gravieren die viertgrößte der Welt. Deutsche Interessen lässt. Nach Schillings‘ Tod ist Orgeich wieder als Gärtner auf dem Weyerhof tätig. Wilhelm Orgeich stirbt am 22. Februar 1954 im Alter von nahezu 91 Jahren. Die Ausstellung „Jäger, Forscher, Naturschützer – Auf den Spuren von Carl Georg Schillings“ beleuchtet erstmalig auch sein Leben und Wirken in verschiedenen Fotografien und persönlichen Besitztümern, die dem Stadtmu- seum als Leihgaben seiner Nachkommen zur Sogenannte „Askari“ (arabisch: „Soldaten“) Verfügung gestellt wurden. beschützten die Expeditionen Deutsche Kolonialgeschichte ab dem 19. Jahrhundert – ein Überblick Man kann nicht die Geschichte Carl Georg Schillings erzählen, ohne sich mit der deut- schen Kolonialgeschichte auseinanderzuset- zen, die es dem Gürzenicher überhaupt erst ermöglichte, die damalige Kolonie Deutsch- Ostafrika zu bereisen und deren Unrechtssys- tem ihm so manche Tür geöffnet hat: Im Gegensatz zur britischen oder franzö-
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 13 Parade deutscher „Schutztrup- pen“ in Afrika wurden in allen Kolonien mit brutalsten Mit- Immer wieder kam es zu Auf- und Wider- teln, sogar bis zum Völkermord, verteidigt. ständen der lokalen Bevölkerung gegen die Vor der Kolonisierung Deutsch-Ostafrikas koloniale Fremdherrschaft, nicht nur auf dem bestimmten die arabischstämmigen Einwoh- Gebiet des heutigen Tansania. 1904 erhoben ner an der Küste den Handel. Gewinne warf sich in Deutsch-Südwestafrika (heute Nami- dabei vor allem ein ausgedehnter Sklavenhan- bia) die Herero, denen sich wenig später die del ab. Als diese Gruppe ab 1885 zunehmend Nama anschlossen. Sie griffen Plantagen und an Einfluss verlor, kam es immer häufiger zu Ortschaften an und ermordeten dabei über gewaltsamen Widerständen, die durch die 120 Menschen. Die deutschen „Schutztrup- deutschen Kolonialisten blutig niedergeschla- pen“ nahmen grausame Rache und agierten gen wurden. Auch Angehörige der Bantu mit einer bis dahin unbekannten Brutalität. widersetzten sich der Unterdrückung durch Bis Ende 1907 töteten sie – einem Vernich- die Kolonialherrschaft und kämpften gegen tungsbefehl folgend – nahezu zwei Drittel der die deutschen „Schutztruppen“, die aus Söld- Herero-Bevölkerung und etwa 10.000 Nama, nern aus dem Sudan und Portugiesisch-Afrika was rund die Hälfte dieser Volksgruppe aus- (heute Mozambique) und deutschen Offizie- machte. Der Aufstand gilt heute als erster Völ- ren bestanden. Diese „Askari“ (arabisch „Sol- kermord des 20. Jahrhunderts, doch erst im daten“) galten als tapfer und treu. Sie wurden Jahr 2021 hat der Deutsche Bundestag dieses von der deutschen Kolonialverwaltung dafür Verbrechen offiziell als Völkermord anerkannt bezahlt, die lokale Bevölkerung unter Kont- – ein Zeichen für die späte Auseinanderset- rolle zu bringen. Spätestens ab 1890 gab es zung Deutschlands mit dem unbequemen Unterwerfungsfeldzüge bis ins Hinterland der Thema kolonialer Schuld. Kolonie. 1905 begann in Deutsch-Ostafrika der sogenannte „Maji-Maji-Krieg“, bei dem sich mehr als zwanzig verschiedene Volksgruppen vereinten, um gegen die Fremdherrschaft zu kämpfen. Die deutschen Truppen, die waffen- technisch deutlich überlegen waren, reagier- ten mit der „Strategie der verbrannten Erde“: Sie vernichteten Dörfer und Felder, um die Moral der Bevölkerung zu brechen und ihr die Lebensgrundlage zu entziehen. Den Kampf führten auch hier „Askari“. Schätzungen zu- folge starben etwa 300.000 Menschen durch Gewalt und Hunger. Zahlreiche Widerständler wurden hingerichtet. Ihre Schädel und Ge- beine schickte man „zu Forschungszwecken“ nach Deutschland. Bis heute lagern mehr als 1.000 Schädel von Widerstandskämpfern aus Deutsch-Ostafrika allein im Zentraldepot der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Zwar wurde die Sklaverei in den deutschen „Schutzgebieten“ seit 1905 per Gesetz des Reichstags aufgehoben, doch das heißt nicht,
14 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren dass die lokale Bevölkerung auf den Planta- sein der Deutschen nimmt die koloniale gen keine Sklavenarbeit verrichten musste. Vergangenheit und die daraus resultierende Die eingesetzten Arbeiter*innen verdienten Verantwortung bisher nicht den Raum ein, durchaus Geld, das sie aber mitnichten behal- der ihr zukommen muss. Die gründliche his- ten durften, sondern umgehend als Steuern torische Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels wieder abzuführen hatten – an die deutsche deutscher Geschichte steht noch aus. Kolonialverwaltung. Körperliche Misshand- Quellen: lungen und das Anketten waren durchaus üb- Becker, Manfred: Bwana Simba – Der Herr der Löwen. Carl lich. Der Besitz von persönlichen Haussklaven Georg Schillings. Forscher und Naturschützer in Deutsch- sollte erst ab 1920 untersagt sein, doch die Ostafrika, Düren 2008. Eimert, Dr. Dorothea: Frühe Sammlungen. In: 100 Jahre 30-jährige Gewaltherrschaft der Deutschen Leopold-Hoesch-Museum. 100 Jahre Museumsverein endete ein Jahr zuvor. Düren. Herausgegeben von Dorothea Eimert und Irmgard Gerhards, Düren 2005, S. 70f. Als nach dem Ersten Weltkrieg der Ver- Terkatz, Rolf: Geschichte der Schillingssammlung. In: 100 Jah- sailler Vertrag geschlossen wurde, musste re Leopold-Hoesch-Museum. 100 Jahre Museumsverein Düren. Herausgegeben von Dorothea Eimert und Irmgard Deutschland seine Kolonien in Afrika, Ozea- Gerhards, Düren 2005, S. 72f. nien und Asien wieder abgeben. Doch die https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/bild_ und_raum/detail/resist.html Spuren – und Narben – des deutschen Kolo- http://rjm-resist.de/ nialreiches sind in den betreffenden Ländern bis heute zu finden. Im allgemeinen Bewusst- Ehrenbürger gerettet! Am 5. September veröffentlichten wir in veranlasst hatte. In einem „Der Dichter Josef der „Zeitung am Sonntag“ in unserer Reihe Schregel kennzeichnet das Naziblatt“ über- „Geschichten aus dem Stadtmuseum“ ei- schriebenen Artikel ging die „Neue Zeit“ auf nen Artikel „Erinnerungen an jüdisches Le- die gängige Praxis des NS-Blattes ein, sich ben in Düren“, der mit einem Gedicht von ohne Rücksicht auf Urheberrechte an frem- Josef Schregel abschloss. Dieses Gedicht den Texten zu bedienen. Es wäre total verlorene mit dem Titel „Am Meer“ behandelte in Mühe, die Spitzbuben geistigen Eigentums des durchaus gehässigem Ton die angeblichen Naziorgans zu journalistischem Anstand zu be- Reichtümer der deutschen Juden, gepaart wegen, kommentierte die Redaktion. Aller- mit der Aufführung gängiger Klischees, dings richtete sie an Schregel den Vorwurf, und endete mit der Wunschvorstellung, sich nicht umgehend gewehrt zu haben. Er hat das Meer möge sie alle hinwegspülen. es versäumt, das Naziblatt sofort zur Ordnung Zitiert hatten wir das Gedicht nach einer zu rufen. Wir haben eine volle Woche gewartet, Ausgabe der „Neuen Zeit“, einer sozialde- ehe unser Artikel als Echo auf das Gedicht zum mokratischen Zeitung, vom 3. November Abdruck kam. 1931. Unter der Überschrift „Der Dürener In dem an die Redaktion gerichteten »Ehrenbürger« als Antisemiterich“ hatte das Schreiben Schregels heißt es: Zu den Versen Blatt Bezug genommen auf die Veröffent- „Am Meer“, welches Ihr Organ in der letzten lichung des Gedichts im NS-Organ „West- Nummer aus dem „Westdeutschen Grenzblatt“ deutsches Grenzblatt“ und kommentierte: abdruckte, bemerke ich, daß die Veröffentlichung Ehrung und Anerkennung scheinen Schregel den in dem nationalsozialistischen Blatt ohne mein Kopf verdreht zu haben. Von seiner bisherigen Wissen und Willen geschah! […] vornehmen Warte steigt er tief hinunter in die „Am Meer“ entstand vor mehr denn 40 Niederung tendenziöser antisemitischer Hetzpro- Jahren unter ganz andern Verhältnissen in paganda. […] Denn ausgerechnet die Aachener Blankenberghe. Es war eine Jugendentgleisung »Westdeutsche Grenzpest« der NSDAP. benutzt aus der Sturm- und Drangperiode … Ich erkläre der »Ehrenbürger« Schregel zu dem nachfolgen- ausdrücklich, daß ich weder Antisemit noch den üblen Hetzgereime an Israel. Nationalsozialist bin … Vier Tage später folgte an gleicher Stel- Auch wenn das Gedicht natürlich trotzdem le die Aufklärung der Angelegenheit. Josef unerträglich ist – die aufgrund der Veröffent- Schregel hatte sich in einem Schreiben an lichung anzunehmende Nähe zu den Natio- die Redaktion gewandt, in dem er klarstellte, nalsozialisten kann man nach Vorstehendem dass er keineswegs die Veröffentlichung des wohl ausschließen. Josef Schregel kann Ehren- Gedichts im „Westdeutschen Grenzblatt“ bürger der Stadt Düren bleiben.
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 15 Beim Blättern in Opas Album Erinnerungen an Deutschlands Kolonialzeit Es ist manchmal schon erstaunlich, wie Die Initialzündung dazu brachte der Berli- Von BEATE FÄHNRICH eigentlich sehr unrobuste Dinge Jahr- ner Kolonialkongress 1884, der den Versuch und BERND HAHNE zehnte einschließlich zweier Weltkriege unternommen hatte, die Interessensphären unbeschadet überstehen können. Ein der europäischen Mächte auf den anderen Fotoalbum aus den ersten Jahren des 20. Kontinenten abzustecken. Im gleichen Jahr Jahrhunderts liegt vor uns, voll mit exoti- erfolgte die Erklärung Togos, Kameruns schen Fotografien und Postkarten aus einer und Deutsch-Südwestafrikas zu deutschen damals fast noch unbekannten Welt. „Schutzgebieten“, 1891 wird Deutsch-Ost- afrika in Besitz genommen. In die- Eigentlich hatte Josef Theel sen Gebieten waren schon län- das Schuhmacherhandwerk ger deutsche Unternehmen gelernt, aber 1912, mit 19 tätig, meist im Handel Josef Theel Jahren, reist er nach in- oder in der Ausbeutung fanteristischer Grund- von Bodenschätzen. ausbildung als Schuh- Besondere machersgast, so sein Faszination übten offizieller Dienst- aber die Gebiete grad, auf dem in der Südsee aus: Ablösetransporter Bismarckarchi- Patricia (Hapag) pel, Marianen, von Wilhelmshaven Marschallinseln, über Gibraltar durch Karolinen, Palau- das Mittelmeer, den inseln, Teile von Suezkanal, das Rote Neuguinea, Salomo- Meer, den Golf von nen – vor allem aber Aden in den Indischen Samoa.1 Nicht nur in Ozean über Colombo auf der schon 1884 gegrün- Ceylon und Singapur nach deten Ortsgruppe Düren Hongkong, Shanghai und des Deutschen Kolonialver- Tsingtau. Dort, in der Werft des eins,2 sondern wahrscheinlich deutschen Stützpunkthafens, wechselt in großen Teilen der Bevölkerung Besatzung der „Cormoran“ mit die Besatzung auf die S.M.S. Cormoran, mit herrschten Vorstellungen vom Leben dort, die Offizieren der sie zwei Reisen unternimmt: 1. Reise: 8.7.1912 – 3.3.1913. Tsingtau – Japan – Carolinen Inseln – „Kaiser-Wilhelms- Land” auf Neu-Guinea – Salomon-Inseln – Sydney – Tasmanien – Adelaide – Melbourne – Neuseeland – Samoa – Fiji Inseln – Sydney 2. Reise: 21.4.1913 – 29.11.1913. Sydney – Fiji Inseln – Samoa – Sydney – Neu-Guinea – Carolinen Inseln - Jap Die Reisen gehen also auch an verschiede- ne Orte des damaligen deutschen Kolonial- reiches, das neben Gebieten in Afrika (Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika und Deutsch- Südwestafrika) auch einige Inselgruppen in der Südsee umfasste. Mit seinen 2,6 Millio- nen Quadratkilometern und 14 Millionen „Untertanen“ nahm sich das im Vergleich zu anderen Kolonialmächten wie Großbritannien oder Frankreich relativ bescheiden aus, aber immerhin hatte man sich auch einen „Platz an der Sonne“ gesichert.
16 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Erhaltene Karte mit Reiseroute hart kontrastierten mit der eigenen Erfahrung besonders für die einfachen Mannschaften. (blaue Linien) 1913 von 14stündigem Arbeitstag in lauten und Schließlich war man nicht auf Erholungsreise, dreckigen Fabriken, von Hunger und engen sondern als Teil der stetig wachsenden Kaiser- Wohnungen und nicht zuletzt von kalten und lichen Marine unterwegs. dunklen Wintern. Beate Fähnrich aus Langerwehe hat als Und nun hatte man als 19jähriger Bursche Kind immer wieder mit roten Ohren den die Gelegenheit, all diese traumhaften Orte Erzählungen ihres Großvaters, eben jenes Josef der Welt kennenzulernen. Sicher, das Leben Theel, gelauscht, hat fasziniert die Tätowie- an Bord eines Kriegsschiffes mag durchaus rung auf seinem Unterarm, eine „Geisha aus hart und entbehrungsreich gewesen sein, Kobe“, bewundert und die mitgebrachten
Spuren Februar 2022 · Nummer 43 17 Fotos und Postkarten bestaunt. Und irgend- wann hat sie die Erinnerungen an diese Ge- spräche aufgezeichnet: Das Deutsche Kaiserreich besaß seit Ende des 19. Jhdts. Kolonien in Afrika, Ostchi- na und im Pazifik, die alle nach dem Ersten Weltkrieg verloren gingen. Das Ostasien- geschwader spielte bei der Sicherung des Kolonialanspruchs eine große Rolle. Es sollte die Interessen des Deutschen Kaiserreiches durchsetzen und die Handelsniederlassungen und Plantagen sichern, die sich dort im Laufe des Jahrhunderts etabliert hatten. Begehrtes Produkt war vor allem Kopra, das Frucht- fleisch der Kokospalme zur Ölgewinnung. Daneben wurden Kakao, Kautschuk, Kaffee und Tabak angebaut, auch unter Ausbeutung von Melanesiern, Indern und Chinesen. Die langen Expeditionen der S.M.S. Cormoran in der Südsee dienten allerdings vor allem Ver- Kopf zu rasieren und sie anschließend in einen Waschtag auf der „Cormoran“ messungsaufgaben an den Küsten. Wir Kinder Wasserbottich zu tauchen. waren naturgemäß weniger an den historischen Unser Großvater erzählte auch lebhaft und Zusammenhängen interessiert, sondern eher bisweilen dramatisch von schwerem Seegang an dem Abenteuer, das unser Opa in so jungen mit hohen Wellen, die das Schiff ins Wanken Jahren erlebt hatte. brachten. Um Kohle einzusparen, fuhr die Deshalb lauschten wir besonders, wenn er Cormoran bei günstigem Wind unter Segel. von der Äquatortaufe erzählte. Jeder Matrose, Er bedauerte immer noch die „armen Jungen, der zum ersten Mal den nullten Breitengrad die Kleinsten, die Toppgasten“, die hoch in kreuzte, musste sich diesem Ritual unter- das Krähennest klettern mussten. Von die- ziehen. Die Mannschaft versammelte sich an sem Mastkorb aus hielten sie Ausschau nach Bord, um auf die Ankunft des Meeresgottes anderen Schiffen und Land oder inspizierten Neptun nebst (männlicher) Gemahlin und die Segel. Gefolge zu warten. Sie erschienen alle persön- Das Bordleben war alles andere als ro- lich mit lautem Getöse, Neptun mit langem mantisch. So mussten die Seeleute sehr hart Bart, wallendem Gewand und seinem Drei- arbeiten und zum Beispiel ihre Wäsche selber zack. Dann ließ er befehlen, den Seeleuten den waschen. Unser Opa war als Schuhmachersgast Äquatortaufe
18 Nummer 43 · Februar 2022 Spuren Bucht auf Samoa unter anderem für die Schuhe der Matrosen die auf die deutschen Matrosen sehr exotisch zuständig. Wir waren erstaunt, dass man sich gewirkt haben müssen. Wesentliche Lebens- als Spielgefährtin eine Katze hielt. grundlagen waren neben dem Anbau vor allem In seinen lebendigen Erzählungen die Jagd und der Fischfang. schmückte er auch gerne aus, dass es auf Besonders auf der 2. Reise kreuzt die den entlegenen Südseeinseln die Order des S.M.S. Cormoran immer wieder vor Neu– Kapitäns gab, beim Landgang nur zu zweit Guinea und den zahlreichen kleinen und und bewaffnet zu sein, wegen der gefährlichen größeren Südseeinseln. Dabei gerät das Schiff „Ureinwohner“, unter denen es Kannibalismus in einen Taifun und läuft nahe Samoa auf ein geben sollte. War das nur Seemannsgarn? Riff. Es wird nur notdürftig flott gemacht und Auf der langen Reise durch die Südsee er- liegt später einen Monat lang mit verbogenem Landgang auf der gaben sich bei Landgängen immer wieder inte- Ruder in Sydney im Trockendock zur Repa- Kokusnussplantage ressante Begegnungen mit den Einheimischen, ratur. Im Januar 1913 ist es wieder in Apia auf Samoa. Ob Josef Theel hier von „seinem“ Samoa-Mädchen Abschied genommen hat, bevor er auf dem Schwesterschiff S.M.S. Condor nach Hause fuhr? Jedenfalls landet die veraltete Cormoran später in Tsingtau, wo der abgetakelte Rumpf am 28.9.1914 während des Krieges von der eigenen Besatzung versenkt wird. In der Zwischenzeit ist der Erste Weltkrieg ausgebrochen und Opa Josef Theel wieder zurück in seiner Heimat. Er war am 19.3.1914 auf der S.M.S. Condor unter seinem Kapitän Konrad Mommsen nach mehrmonatiger Fahrt aus der Südsee nach Wilhelmshaven gereist. Von dort ging es durch den Kaiser-Wilhelm- Kanal über Kiel nach Danzig, wo das veraltete Schiff wegen starker Abnutzung des Rumpfes am 30. März 1914 abgetakelt und außer Dienst gestellt wurde.
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