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Schlesischer Kulturspiegel 1 56. Jahrgang 2021 l Würzburg l 1/21 Januar-März 21 Śląski Prezegląd Kulturalny . Slezské Kulturní Zrcadlo Herausgegeben von der Stiftung Kulturwerk Schlesien Informationen über das schlesische Kulturleben – Ausstellungen, Tagungen, Publikationen, Wissenswertes „Hochofenanlage in Koenigshuette.“ Kolorierter Holz- stich, Zeichnung von Blätterbauer, aus: F. Schroller: Schlesien, Bd.III, S. 28, 1888 © Stiftung Kultur- werk Schlesien CHRONIK Vor 100 Jahren: Die Volksabstimmung in Oberschlesien Oberschlesier stimmten am 20. März 1921 über den Verbleib der Region bei Deutschland oder deren Zuschlagung zum wiedererrichteten Polen ab. Es war eine welthistorische Premiere: Vor 100 Jahren mächte – schließlich eine Volksabstimmung für Ober- durften zum ersten Mal rund 1,2 Millionen Menschen in schlesien durch. Oberschlesien in einer freien und geheimen Wahl darüber Die britische Politik verfolgte dabei gleich mehrere abstimmen, in welchem Land sie künftig leben wollten: in Ziele: Man wollte mit diesem Ad-hoc-Zugeständnis den Deutschland oder in Polen. Ein verbrieftes Selbstbestim- Deutschen die Vertragsunterschrift erleichtern und mungsrecht der Völker war damals ein Novum, das sich im Falle eines deutschen Abstimmungssiegs die Wirt- aus den berühmten „14 Punkten“ des US-Präsidenten schaftskraft des Reiches für die anstehenden Repara- Woodrow Wilson ergab. tionszahlungen erhalten. Zugleich sollte die Balance of In Schlesien hatte zuvor schon häufig die Herrschaft Power auf dem Kontinent gewahrt und nicht allzu sehr in gewechselt; seit Friedrich dem Großen hatte sie fast Richtung Polens und seines Bündnispartners Frankreich 200 Jahre lang bei Preußen gelegen. In den Versailler verschoben werden. Friedensverhandlungen Anfang 1919 war Oberschlesien In Paris sah man die Sache grundlegend anders: Ein jedoch von den Alliierten zunächst dem neu konstituier- stabiles und dank Oberschlesien wirtschaftlich potentes ten polnischen Staat zugeschlagen worden. Erst als die Polen war Kernstück eines Cordon sanitaire mittelost- Reichsregierung scharf protestierte, machte sich die bri- europäischer Staaten, die nach Frankreichs Vorstellung tische Regierung unter David Lloyd George die deutschen sowohl Sowjetrussland als auch Deutschland in Schach Argumente zu Eigen und setzte im Rat der Vier – dem halten sollten. Zugleich sollte die „Waffenschmiede“ obersten Entscheidungsgremium der alliierten Sieger- Oberschlesien dem Reich für immer entzogen werden – Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021 1
LIEBE lassen Sie uns gemeinsam auf eine neue Ausgabe des die Schlesienexkursion, die erneut von Viola Plump von „Schlesischen Kulturspiegels“ und die Pläne der Stif- den Freunden und Förderern der Stiftung Kulturwerk LESERinnen tung Kulturwerk Schlesien für das Jahr 2021 blicken: Schlesien e.V. organisiert wird, gibt schon beim Lesen und Leser, Entsprechend des Jubiläums des Plebiszits der Ober- des Programms Anlass zu Fernweh und Reiselust. Da- schlesischen Aufstände informiert Sie Dr. Karsten rüber hinaus planen wir in Würzburg Veranstaltungen Eichner über dieses historische Großereignis. Wie im Rahmen des Festjahres „1.700 Jahre Jüdisches in der letzten Ausgabe versprochen, stelle ich das Leben in Deutschland“ und in diesem Jahr soll wieder Thema meiner Dissertation und damit ein weiteres zum gewohnten Termin im September zu den Wan- Oberschlesien-Thema vor. Wir nehmen Sie des Wei- gener Gesprächen geladen werden. Daneben arbeiten teren mit nach Hirschberg beziehungsweise Glogau, wir an Projekten, um uns besser in der Welt des In- von wo der Leiter des dortigen Diözesanarchivs über ternets zu präsentieren und weitere Leser, Schlesien- einen interessanten Fund berichtet. Wir erinnern an begeisterte und solche, die es noch werden, auf uns die Schriftstellerin Erle Bach, die bereits vor 25 Jah- aufmerksam zu machen. Gerade das Jubiläumsjahr ren verstarb und ehren einige weitere Schlesier, die in 2021 eignet sich hierfür in besonderem Maße, vor den vergangenen Monaten aus dem Leben schieden. allem dann, wenn wir es als Lehrstück von globaler Trotz der andauernden Einschränkungen des kulturel- Bedeutung für die Entwicklung im Bereich der Staats- len Lebens arbeiten die Häuser mit Schlesienbezug in bürgerschaft und Nationalitätenpolitik betrachten. Lisa Haberkern, Deutschland sowie die Kultureinrichtungen in Schle- Da Sie und wir wissen, dass all die schönen Plä- die neue Ge- sien auf Hochtouren, so dass wir uns freuen, Sie auf ne am Ende davon abhängen, wie wir als Gesellschaft schäftsführerin der Stiftung Kulturwerk ein vielfältiges Programm hinweisen zu können. durch die Covid-19-Pandemie kommen, wünschen wir Schlesien Als Stiftung Kulturwerk Schlesien blicken wir mit Ihnen und uns weiterhin Geduld und Zuversicht! Os- © Angela Ankner einer großen Portion Vorfreude auf 2021. Unsere tern und der Frühling stehen vor der Tür und zusätz- Jahrestagung „Schlesien und Bayern“ vom 4. – 6. lich hoffen wir, Ihnen die Durststrecke mit anregender Juni in Bad Alexandersbad lockt mit einem vielver- Lektüre etwas zu versüßen. sprechenden Programm. Die Nachwuchstagung für Schlesienforschung macht schon jetzt neugierig und Ihre Lisa Haberkern und Anja Weismantel FOR TSETZUNG VON SEITE 1 mit dem für Paris angenehmen Nebeneffekt, dass man nur jeweils fünf von einem britischen bzw. italienischen. künftig umso wirkungsvoller mit einer französischen Militärisch hatten die Briten zur Verblüffung ihrer Bünd- Ruhrbesetzung drohen konnte. Dementsprechend pro- nispartner sogar einen peinlichen Komplett-Rückzieher polnisch war die französische Politik. gemacht, so dass die Franzosen schließlich 12.000 der anfangs 15.000 Mann starken alliierten Truppen im Land Konträre Großmacht-Interessen stellten, die übrigen 3.000 kamen aus Italien. Erst wäh- Diese höchst konträren Interessen der beiden Groß- rend der Abstimmung zeigte Großbritannien kurzzeitig mächte sollten in den folgenden drei Jahren auch die mit einigen Einheiten zumindest symbolisch Flagge. Grundmelodie in Oberschlesien vorgeben. Die Briten gaben dabei aber von vornherein fast alle Trümpfe aus Mit allen Wassern gewaschen der Hand, denn für London waren eigene politische Kri- Ähnlich waren die Machtverhältnisse in der Kommission, senthemen wie beispielsweise die Irlandfrage weitaus die Anfang 1920 ihren Sitz in Oppeln nahm: Ihr Präsi- dringlicher. Für die Abstimmung hoffte man zwar auf ein dent, der französische General Henri Le Rond, diktierte Fair Play – aber ohne sich für dessen Durchsetzung allzu von Anfang an das Geschehen. Propolnisch, polyglott und sehr zu engagieren. Italien hatte an Oberschlesien kaum politisch-diplomatisch mit allen Wassern gewaschen, Interesse, ebenso wenig die USA, die sich nach dem Frie- konnten seine Kommissionskollegen diesem „Napolerond“ densschluss vom europäischen Schauplatz verabschie- nicht das Wasser reichen – weder der oft sprunghafte deten – eine frühe Version des „America First“. Paris italienische General Alberto de Marinis noch der auf- nutzte das entstehende Vakuum hingegen geschickt für rechte, aber zunehmend frustrierte britische Truppen- seine Zwecke aus. offizier Harold Percival, der allzu häufig keine politische Die französische Dominanz zeigte sich im Abstim- Rückendeckung aus London erhielt und als Oberst zudem mungsgebiet folglich an allen Ecken und Enden: In der einen niedrigeren militärischen Rang bekleidete. Interalliierten Regierungs- und Plebiszitkommission – die in der Abstimmungszeit die Regierungsgewalt übernahm Ringen um die Outvoter-Frage – hatten sich die Franzosen nebst dem wichtigen Ge- Schwierigkeiten und Streitpunkte gab es von Anfang an, neralsekretariat vier zentrale Ressorts gesichert, für zumal der Zweite Polnische (in der polnischen Literatur: die Briten blieben nur zwei minder wichtige und für die Schlesische) Aufstand Mitte 1920 weitere Unruhe brach- Italiener eines. Von 21 oberschlesischen Kreisen wur- te. Zum Hauptstreitpunkt entwickelte sich schon bald die den elf durch französische Kreiskontrolleure verwaltet, Frage, wer überhaupt wahlberechtigt war: Sollten bei- 2 Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021
spielsweise auch gebürtige Oberschlesier, die inzwischen im Ruhrgebiet und anderswo Arbeit gefunden hatten (so genannte Outvoter), an der Abstimmung teilnehmen dürfen? Auch hier liefen die diplomatischen Drähte heiß, bis schließlich nach langem Ringen eine gemeinsame Li- nie gefunden war: 190.000 Outvoter konnten schließlich ihre Stimme in Oberschlesien abgeben. Sie wurden in rund 280 Sonderzügen herangeschafft, eine beachtliche logistische Leistung. Stimmen waren regional unterschiedlich verteilt Die Vorbereitungen zur Abstimmung dauerten länger als ein Jahr. Erst am 20. März 1921, einem sonnigen und vorfrühlingshaften Sonntag, konnten endlich rund 1,2 Millionen Menschen ihre Stimme abgeben. Die Auszäh- lung ergab, dass knapp 60 Prozent für Deutschland, gut 40 Prozent für Polen votiert hatten. Doch die Stimmen waren regional höchst unterschiedlich verteilt. Insbe- sondere das oberschlesische Industriegebiet glich einem Flickenteppich: Einer deutschen Stimmenmehrheit in den der deutschen Position zu, Frankreich der polnischen. Sitz der interalliierten großen Städten standen polnische Mehrheiten in den Eine gütliche Lösung schien damit ferner denn je, zumal Regierungs- und Ple- biszitskommission für vielen umliegenden kleinen Landgemeinden entgegen. der Versailler Vertragstext hier keine eindeutige Rege- Oberschlesien in Op- Folglich sahen sich beide Seiten als Sieger: Während lung vorgegeben hatte und in der Folge höchst unter- peln, Annabergplatz, Deutschland aufgrund der 60-Prozent-Mehrheit das Ge- schiedliche Teilungspläne diskutiert wurden. heute Plac Wolnosći. biet in Gänze forderte, reklamierte der polnische Plebis- Einmal mehr stand die schlesische Geschichte hier an Bild: Max Glauer, aus: Oberschlesien zitkommissar Wojciech Korfanty aufgrund der Gemein- einem Wendepunkt – mehr dazu in der folgenden Ausga- – Seine Entwicklung de-Ergebnisse weite Teile Oberschlesiens inklusive des be des ‘Schlesischen Kulturspiegels‘. und seine Zukunft, Industriegebiets für Polen. Großbritannien neigte eher Karsten Eichner Berlin 1925 Fund im Diözesanarchiv Zielona Góra aus dem Jahr Listen mit Namen in Glogau im Jahr 1945 verstorbener und gefallener Personen entdeckt. In der Dokumentenreihe des Diözesanarchivs in Grün- Die einzige Informationsquelle über diese 38 Toten berg in Schlesien wurden zwei lose Typoskriptseiten aus sind zwei vergilbte Typoskriptseiten auf schlechtem Ko- dem Jahr 1945 gefunden. Ein damaliger Zeuge schrieb pierpapier im Format A4, die nicht verbrannten und in in chronologischer Reihenfolge Nach- und Vornamen der den Akten der Pfarrei St. Nikolaus aufbewahrt wurden. Menschen auf, die vom 16. April bis 19. November 1945 Am Beispiel des entdeckten Dokuments findet die Weis- in Glogau gestorben oder gefallen sind, also nachdem die heit, dass die Toten lebendig sind, solange die Erinnerung Stadt von der Roten Armee befreit worden war. Die Ver- an sie weiterlebt, ihre Bestätigung. storbenen gehörten zur Pfarrei St. Nikolaus oder befan- ks. dr. hab. Robert Kufel den sich dort infolge der Kriegswirren. Sie wurden in der Direktor des Diözesanarchivs in Zielona Góra Stadt von einem örtlichen Priester begraben, der es wohl nicht geschafft hatte, ordnungsgemäße Sterbeurkunden Gerne können Sie das Diözesanarchiv nach vorheriger auszustellen. Es ist davon auszugehen, dass das Typo- Anmeldung Montag bis Freitag von 9.30 bis 13.30 Uhr skript als Quelle für einen Eintrag in das Sterbebuch der besuchen. Kontakt und Information: Pfarrei verwendet werden sollte. Vermutlich hoffte der Archiwum Diecezjalne w Zielonej Górze Priester, im Laufe der Zeit die fehlenden Daten zu diesen Osiedle Kaszubskie 8 Personen ergänzen zu können oder weitere Verstorbene 65-548 Zielona Góra hinzu zu fügen, über die er zum Zeitpunkt des Schreibens Telefon: +48 666 028 237 dieses Typoskripts keine Kenntnis hatte. E-Mail: archiwum@diecezjazg.pl Bitte unterstützen Sie die Arbeit der Stiftung Kulturwerk Schlesien mit einer Spende. Unser Spendenkonto: IBAN: DE34 7907 0016 0023 6000 00 BIC: DEUTDEMM790 Die Stiftung Kulturwerk Schlesien ist mit Freistellungsbescheid des Finanzamts Würzburg vom 31.7.2017 als gemeinnützig anerkannt. Selbstverständlich erhalten Sie auf Wunsch eine Spendenbescheinigung. Wir danken Ihnen herzlich. Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021 3
Sondermarke zur Oberschlesischen Tragödie aufgelegt Polnische Post erinnert mit Briefmarke von Adam Kultys an den 75. Jahrestag Neu aufgelegte Die Polnische Post bringt aus Anlass des 75. Jubiläums Briefmarke zur der Oberschlesischen Tragödie eine von Adam Kultys Erinnerung an den 75. Jahrestag der gestaltete Sondermarke heraus. Unter dem Sammelbe- Oberschlesischen griff Oberschlesische Tragödie werden die verschiedenen Trägödie Aspekte des zivilen Leides der lokalen Bevölkerung im © Poczta Polska Zusammenhang mit dem Kriegsende und den Wirren nach Ende des Zweiten Weltkrieges zusammengefasst. Die Marke zeigt einen Deportationszug, der Bergleute in das Innere der Sowjetunion transportiert; neben einem Tagebau in Oberschlesien ist eine Abbaustätte im Don- bas, in der heutigen Ukraine auf dem Postwertzeichen abgebildet. Die Deportationen sind einer der Aspekte der Oberschlesischen Tragödie, derer in Polen und Deutsch- land bisher weniger intensiv gedacht wurde. Die Marken werden für 3,30 zł zum Kauf angeboten, Interessierten ist die Lektüre des Buchs von Korne- wurden in einer Auflage von 120.000 Stück produziert lia Banaś (Kattowitz 2016) ans Herz zu legen: In „Niech und können über den Online-Shop der Polnischen Post świat pamięta o nas...“ (Lass die Welt sich an uns erin- erworben werden. nern) geht die Historikerin anhand von Ego-Dokumenten Über dieses Kapitel der Nachkriegsgeschichte infor- auf die Lebensgeschichte nach Oberschlesien zurückge- miert das „Dokumentationszentrum für Deportationen kehrter Deportierter ein. Leider liegt das Buch bisher nur der Oberschlesier in die UdSSR im Jahre 1945“ in Radzi- auf Polnisch vor. Eine Übersetzung ins Deutsche würde onkau. Weitere Informationen zum Dokumentationszen- dieses wenig bekannte Thema einer breiteren Leser- trum finden Sie unter: https://deportacje45.pl/index/de. schaft zugänglich machen und wäre sehr zu begrüßen. VON DER STIFTUNG KULTUR WERK SCHLESIEN Kurznachrichten aus der Stiftung Kulturwerk Schlesien Druckkostenzuschüsse, Neuerscheinungen und mehr +++ Am 12.02.2021 traf sich der Vorstand der SKWS die Historische Kommission für Schlesien veröffentlicht zu einer Sitzung im Videokonferenz-Format +++ SKWS den 13. Band der „Schlesischen Lebensbilder“ sowie den fördert Buchprojekte mit Druckkostenzuschüssen: Für Sammelband „Epochen – Themen – Methoden. Historio- die Reihe „Neue Forschungen zur schlesischen Geschich- graphie in Schlesien zwischen Aufklärung und Moderne“ te“ transkribiert und kommentiert Dr. Dietrich Meyer die +++ Geschäftsführerin Lisa Haberkern stellt in einem „Alte und Neue Brüder-Historie oder kurzgefasste Ge- Blogartikel auf www.chibow.org ihre Arbeit für die SKWS schichte der Evangelischen Brüder-Unität“ (Barby 1771); vor +++ Erinnerung an Nachkriegsinternierung in Oberschlesien Ausblick auf das Dissertationsvorhaben der Geschäftsführerin der Stiftung Kulturwerk Schlesien Unter dem Arbeitstitel „Oberschlesische Tragödien terviews. Sie dienen der Erschließung der betreffenden erinnern“ geht die Dissertation der Frage nach, wie Familiengedächtnisse (Halbwachs). Hierfür wurden Fami- Inkongruenz und Diskontinuität innerhalb des Famili- lien herangezogen, in deren Kreis sich Mitglieder finden, engedächtnisses verhandelt werden und nimmt dafür beziehungsweise fanden, die in der Zeit nach der Befrei- ost-oberschlesische Familien in den Fokus. Die Region, ung Oberschlesiens durch die Rote Armee in polnischen speziell deren östlicher Teil, eignet sich hierfür besonders Internierungs- beziehungsweise Arbeitslagern festge- gut, da sich in der neueren und neuesten Geschichte halten wurden. Konkret wird der Fokus auf das verhält- die Grenzverläufe und mit ihnen die von Nationalstaaten nismäßig gut erforschte Arbeitslager Zogda in Schwien zugeschriebenen Staatsangehörigkeiten der Bewohner tochlowitz gelegt. In der Analyse werden die gewonnenen vielmals wandelten. beziehungsweise geschaffenen Quellen vorhandenem Die Basis der Arbeit bildet eine Interviewstudie be- Archivmaterial (IPN Katowice) und der Fachliteratur zur stehend aus narrativen Einzel- und Mehrgenerationenin- Nachkriegsgeschichte gegenübergestellt. Ziel ist es, ein 4 Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021
Verständnis dafür zu entwickeln, wie ostoberschlesische Marie Curie Skłowdoska-Action der Europäischen Union Familien ihre Geschichte mit der polnischen oder deut- finanziert wurde, konnte ich zwischen 2016 und 2019 schen Meistererzählung (Sabrow) der Nachkriegszeit als Mitarbeiterin an der Schlesischen Universität in Kat- in Einklang bringen. Eine weitere Vergleichsebene wird towitz am Lehrstuhl Prof. Kaczmareks (Regionalstudien durch die Erzählungen von Familien eingeführt, die Polen und Archivistik) mein Dissertationsvorhaben voranbrin- verlassen haben und heute in Deutschland leben. In allen gen. Das Nachwuchsnetzwerk unter dem Titel „Children Fällen ist die Frage danach entscheidend, wie sich die Born of War – Past, Present, Future“ ermöglichte mir Bewertung der Familiengeschichte von einer Generation und 14 weiteren Promovierenden in neun EU-Ländern zur nächsten und übernächsten verändert und inwiefern (zu diesem Zeitpunkt zählte auch Großbritannien noch zu die staatlicherseits angewandten nationalen Kategorien diesem Kreis) die Auswirkungen von Kriegen auf Men- sich hierauf auswirken. schen, die im Zusammenhang von Kriegsereignissen ge- Die Arbeit will auf weiße Flecke in der Nachkriegs- zeugt wurden, zu erforschen. Mehr Informationen zum geschichte aufmerksam machen, indem sie sich mit den Forschungsnetzwerk finden Sie unter www.chibow.org Auswirkungen der Internierung von Teilen der oberschle- Sollten Sie sich für die Geschichte des Arbeitsla- sischen Bevölkerung auseinandersetzt. Das gesamtge- gers Zogda in Schwientochlowitz interessieren, bieten sellschaftliche Wissen um die unterschiedlichen Internie- die Bücher der Zgoda-Überlebenden Gerhard Grusch- rungslager im Polen der Nachkriegszeit ist in Polen und ka (Gruschka (1995): Zgoda – ein Ort des Schreckens, Deutschland gering. Gleichzeitig erweist sich die einge- ISBN 3893916075) und Isa Mann (Mann (1999): In der hende Beschäftigung mit diesem Thema in Wissenschaft Hölle wächst kein Gras) lebendige Eindrücke der erlebten und Publizistik als konflikttreibend, was die Überführung Gewalt aus der Zeitzeugenperspektive. Die politische bereits vorliegender Erkenntnisse zum Thema in einen Geschichte besprechen beispielsweise die Beiträge des gesellschaftlichen Diskurs erschwert. Bandes „Die deutsche Minderheit in Polen und die kom- Durch die Brille des Familiengedächtnisses, auf munistischen Behörden 1945-1989“ von Adam Dziurok, Grundlage von Einzelschicksalen, kann die Arbeit einen Sebastian Rosenbaum und Piotr Madajczyk (Dziurok et neuen Blick auf einen von Vorurteilen überlagerten Ge- al (2017), ISBN 978-3-657-78717-3). An dieser Stelle genstand freigeben. Durch die Wahl des Familienge- ließen sich noch viele weitere Bände zu etlichen Einzelas- Gedenkveranstal- dächtnisses als eine der kleinsten Einheiten des sozialen pekten aufzählen. Zugleich ist das Thema in seiner vollen tung des Deutschen Gedächtnisses (Assmann, Bourdieu), als Prisma, durch Breite bei weitem nicht erschöpfend wissenschaftlich Freundeskreises das die Geschichte betrachtet wird, ist die Arbeit in der bearbeitet. Sollten Sie sich für konkrete Lager oder das am ehemaligen Tor des Arbeitslagers Tradition des Cultural Turns zu verorten. Thema allgemein interessieren und weitere Leseempfeh- Zgoda in Schwien- Als Mitglied eines sogenannten Initiative Training Net- lungen wünschen, wenden Sie sich gerne an unsere Ge- tochlowitz works, also eines Nachwuchsnetzwerkes, das durch die schäftsstelle. Lisa Haberkern © Lisa Haberkern IMPRESSUM V.i.S.d.P.: Lisa Haberkern M. A. und gegen eine Spende auf Konto-Nr. IBAN DE34 7907 0016 0023 6000 00 Erscheinungsweise: 4x jährlich BIC DEUT DE MM790 Texterfassung und redaktionelle Bearbeitung: Techn. Herstellung: Onlineprinters, Anja Weismantel und Lisa Haberkern Neustadt/Aisch Layout und Endredaktion: „Schlesischer Kulturspiegel“ Pressebüro Context, Würzburg ISSN 1437-5095 Nachdruck von Beiträgen und Wiedergabe Herausgeber und Verlag: von Abbildungen nur mit schriftlicher Stiftung Kulturwerk Schlesien, Genehmigung und Quellenangabe. Die Stiftung Kulturwerk Schlesien wird aus Kardinal-Döpfner-Platz 1, 97070 Würzburg; Tel. 0931/5 36 96; Fax 0931/5 36 49 Regelmäßige Zusendung erfolgt auf Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums email: info@kulturwerk-schlesien.de schriftliche Bestellung beim Herausgeber für Familie, Arbeit und Soziales gefördert. Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021 5
PERSONEN Eine späte, glücklicherweise nicht zu späte Anerkennung Friedrich Schikora wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Am 24. August 2020 ist Friedrich Schikora aus dem Verdienste auf; ihre Laudatio sei hier im Wortlaut wie- oberschlesischen Gleiwitz das vom deutschen Bundes- dergegeben: präsidenten mit Urkunde vom 17. Februar 2020 ver- liehene Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens „Es ist mir eine Ehre und eine große Freude, Sie heu- der Bundesrepublik Deutschland überreicht worden. te hier in Gleiwitz begrüßen zu dürfen. Wir ehren mit Die Auszeichnung des mittlerweile über 90-jährigen gilt Ihnen, lieber Herr Schikora, einen der Gründer der Deut- im Wesentlichen dem drei Jahrzehnte zurückliegenden schen Minderheit in Polen. Ich bin sehr froh, dass wir da- Einsatz zur Erlangung der Minderheitenrechte für seine für trotz der Pandemie eine Möglichkeit gefunden haben deutschen Landsleute im heute polnischen Oberschle- und dass Ihre Familie aus Deutschland anreisen konnte. sien. Zu der Übergabe der Ordensinsignien mit einem Wie viele Oberschlesier mussten Sie sich, lieber Herr anschließenden „vin d‘honneur” hatte die stellvertretende Schikora, mit dem Kriegsende über Nacht in einer völ- Generalkonsulin Jana Orlowski von der konsularischen lig veränderten Welt zurechtfinden. Sie sollten nicht nur Vertretung der Bundesrepublik in Breslau - abweichend Polnisch lernen, sondern alles Deutsche am besten ver- vom üblichen Protokoll – in ein Gleiwitzer Hotel einge- gessen. Ihren Lebensweg hat das erschwert, nach einer laden. An dem Festakt nahmen die größtenteils aus Schlosserlehre mussten Sie im Abendstudium das Abitur Deutschland angereisten Angehörigen sowie etliche und das Studium für Ihre spätere Arbeit als Bauingenieur Freunde und Weggefährten des Ordensprätendenten absolvieren. In Ihrem Beruf waren Sie danach nicht nur teil, u. a. zwei seiner ehemaligen Mitstreiter, die für ihren anerkannt und geschätzt, sondern auch ein so gefragter Beitrag schon Jahre zuvor in gleicher Weise den „Dank Spezialist, dass Sie bis zum 72. Lebensjahr gearbeitet des Vaterlandes” ausgesprochen erhielten. haben. Mit dieser Ehrung fand die herausragende, vielfach Es ist nicht möglich, einem Menschen seine Wurzeln, beispielgebende Lebensleistung des aufrechten, unbeug- seine Muttersprache und Identität zu nehmen. Aber es samen Mannes eine späte, dank seiner Lebenskraft ist unterschiedlich, wie Menschen damit umgehen, wenn glücklicherweise nicht zu späte Anerkennung, worüber er das versucht wird. Sie, lieber Herr Schikora, haben verständlicherweise tiefe Genugtuung empfand. Besteht immer zu den Kämpfern für die Rechte der deutschen doch – nach Blaise Pascal (1623-1662), dem franzö- Minderheit gezählt. In Zeiten, in denen kaum jemand die sischen Mathematiker, Physiker und Philosophen – „das Stimme zu erheben wagte, haben Sie 1970 gemeinsam ganze Glück des Menschen darin, bei anderen Achtung zu mit (Ihrem Freund) Konrad Kappek an Primas Wyszynski genießen.“ geschrieben und ihn gebeten, deutsche Gottesdienste einzuführen. Eine Antwort haben Sie nie erhalten, die Kir- Die stellvertretende Generalkonsulin Laudatio der stellvertretenden Generalkonsulin che zog es vor, die Existenz einer deutschen Minderheit Jana Orlowski über- Jana Orlowski im Wortlaut weiterhin nicht anzuerkennen. reichte Friedrich In einer einfühlsamen, auch unangenehme zeitbedingte Ironischerweise war es ausgerechnet die politische Schikora das Bun- Begleitumstände seines Wirkens nicht ausblendenden Geheimpolizei, die Sie in den 1980er-Jahren einbestellt desverdienstkreuz © Generalkonsulat Rede zeigte Jana Orlowski den Lebensweg des Auszu- und durch die Sie erfahren haben, dass es Mitstreiter für Breslau zeichnenden und – daran anknüpfend – seine vielfältigen Ihr Anliegen gibt. Über Bekannte haben Sie sich dann der Aktivistengruppe um Blasius Hanczuch angeschlossen, die seit 1984 Registrierungsanträge für deutsche Ver- einigungen stellte, und sind dafür immer wieder von der Geheimpolizei verhört worden. Dennoch haben Sie 1989 das große Fest der Deutschen in Zawada [ein nördlich von Gleiwitz gelegener Ort, der zwischen 1933 und 1945 Bachweiler hieß] mitorganisiert. Im Mai 1988 erkundigte sich der StS [Parlamen- tarische Staatssekretär] im Bundesinnenministerium, Spranger, erstmals, wie viele Deutsche eigentlich in Oberschlesien leben. Sie haben daraufhin Ihr Haus für eine Unterschriftensammlung zur Verfügung gestellt, und mehr als 30.000 Personen haben dort unterschrieben – sie haben vor dem Hause Schlange gestanden. Da ich selbst in der DDR aufgewachsen bin, weiß ich sehr gut, wieviel Mut dazugehört hat, gerade in dieser Zeit sol- che Aktionen zu organisieren, und habe großen Respekt davor. Seit dieser Zeit haben Sie immer wieder Anträge auf Anerkennung eines deutschen Minderheitenverbands 6 Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021
Geplanter Ablauf 19.6. Hinfahrt von Würzburg via Dresden nach Schloss Wernersdorf 20.6. Kleine Riesengebirgstour - deutsch-polnische Autorenlesung (abends) 21.6. Naturlesung am Erle Bach-Gedenkstein 22.6. Agnetendorf (Haus Wiesenstein) - Bad Salzbrunn 19. - 27. JUNI 2021 23.6. Neisse - „Eichendorff-Weg“ 24.6. Habelschwerdt - Schloss Lubowitz - Schloss Plawniowitz 25.6. Kreuzburg O.S. - Breslau 26.6. Breslau - literarischer Stadtspaziergang - Rathausempfang 27.6. Rückfahrt von Breslau via Dresden nach Würzburg Für die Dauer der Fahrt steht uns ein komfortabler Reisebus mit uns bekanntem und ortskundigen Fahrer zur Barock – Romantik - Neuzeit Verfügung. Bei Interesse und für weitere Informationen kontaktieren WISSENSCHAFTLICHE LEITUNG: PROF. DR. CHRISTIAN ANDREE Sie bitte Viola Plump unter ORGANISATION: VIOLA PLUMP & ANJA WEISMANTEL 0172-2947100 / viola.plump@hr-consultingservices.de WIR WERDEN VON SCHRIFTSTELLERINNEN UND SCHRIFT- STELLERN DER ERLEBNISGENERATION BEGLEITET. oder Anja Weismantel in der SKWS-Geschäftstelle unter Eine Initiative der Freunde und Förderer der Stiftung Kulturwerk Schlesien e.V. 0931-53696 / info@kulturwerk-schlesien.de. gestellt, die ebenso regelmäßig von der Woiwodschaft Bis heute helfen Sie beim Austausch von Chören, Kul- abgelehnt wurden. turgruppen und Musikkapellen mit Partnern in Deutsch- Im Januar 1989 konnten Sie an einem damals noch land. Für Ihre Verdienste um die deutsch-polnische Ver- „illegalen“ Treffen der deutschen Minderheit mit Außen- ständigung wurden Sie 2012 auch von polnischer Seite minister Genscher nicht teilnehmen, weil die Geheimpo- durch eine Auszeichnung des Marschallamtes Kattowitz lizei Ihren Chef stark unter Druck setzte und er Ihnen geehrt. unter Androhung der Entlassung den nötigen Urlaub Ich freue mich sehr, Ihnen für Ihren besonderen Ein- hierfür verweigerte. Jedoch haben Sie im Laufe des Jah- satz für die Rechte der Deutschen Minderheit und die res sowohl Bundespräsident [von] Weizsäcker wie auch deutsch-polnische Verständigung heute das Ihnen vom Kanzler Kohl die Situation der deutschen Minderheit in Bundespräsidenten verliehene Verdienstkreuz am Bande Polen schildern können. des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland Ihr noch von weiteren Persönlichkeiten der Minder- überreichen zu können.“ heit unterzeichnetes Schreiben an Erzbischof Nossol bewirkte endlich, dass ab Juni 1989 wieder deutsch- Aller guten Dinge sind drei sprachige Gottesdienste für die Deutschen in Polen So weit, so gut. Aber warum mussten so viele Jahre stattfinden konnten. vergehen, ehe Friedrich Schikoras unbestreitbare Ver- Lieber Herr Schikora, Sie hatten am 16. Januar 1990 dienste diese Anerkennung erfuhren? Ich hatte sie be- den großen Erfolg, dass auf Ihren Antrag hin die Woiwod- reits in meiner Ordensanregung vom 16. März 2009 ge- schaft Kattowitz die Einrichtung eines DFK [Deutscher genüber dem damaligen Breslauer Generalkonsul anhand Freundschaftskreis] in Gleiwitz genehmigte. Sie haben des eingeholten Lebensabrisses, der erkennbar auch der ihm sogar zeitweilig Ihr eigenes Haus zur Verfügung ge- vorstehend wiedergegebenen Laudatio zugrunde liegt, stellt – mit großem Risiko und erheblichem Stress und aufgezeigt. Auf meine Rückfragen nach dem Stand des Angst für Sie und Ihre Familie, denn es wurden alle Schei- Verfahrens wurde lange auf die noch andauernde Abstim- ben eingeschlagen und das Haus beschmiert. Ihr großer mung zwischen dem Auswärtigen Amt und der Deut- Mut und ihre Entschlossenheit, die deutsche Minderheit schen Botschaft in Warschau hingewiesen und letztlich in Polen aufzubauen und zu unterstützen, sind wirklich lapidar und mich natürlich enttäuschend mitgeteilt, dass bewundernswert. Sie haben den DFK Gleiwitz bis 2007 das „angeregte Ordensverfahren nicht mehr weiterver- geleitet und sind auch heute noch Mitglied. Sie waren folgt wird“. auch jahrelang Vize-Vorsitzender des VdG [Verband der Aufgrund meiner Erfahrung mit einer anderen, zu- deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen]. nächst ebenfalls abschlägig beschiedenen und sodann, Sie haben sich immer für die Kultur der Deutschen in mit politischem Rückenwind, ins Positive gewendeten Polen und die deutsche Sprache engagiert und alle zwei Ordensangelegenheit versicherte ich mich bei dem 2011 Jahre die „Deutsch-Polnischen Kulturtage“ organisiert. in die Wege geleiteten zweiten Versuch einflussreicher Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021 7
Protektion von jener Seite. Dabei wies ich ausdrücklich für die Verleihung des Verdienstordens der Bundesre- auf die bereits vor Jahren des Verdienstordens würdig publik Deutschland nicht ausreichend.“ Könnte es nicht erachteten zwei Mitstreiter Schikoras hin sowie darauf, vielmehr sein, dass die im Ordensreferat des Auswärti- dass die Auszeichnung verdienter Persönlichkeiten der gen Amtes Tätigen den ihnen gestellten Anforderungen deutschen Minderheit in Oberschlesien ein wichtiges seinerzeit nicht ausreichend genügt haben? Zeichen gegen die um sich greifende Gleichgültigkeit und Diese Frage drängt sich unwillkürlich auf, nachdem den Kleinmut in Bezug auf die eigene Sprache und Kul- der sieben Jahre später, 2019, seitens des Landes- tur wäre und diejenigen ermutigen würde, die sich für verbands Bayern im Bund der Vertriebenen ergriffenen die Belange der vom „Absterben“ bedrohten Volksgrup- neuen Initiative – bei unveränderter Sachlage und unter pe (so die Ausdrucksweise einer Oppelner Tageszeitung) voller Offenlegung meiner vorangegangenen vergeblichen einsetzen. Davon unbeeindruckt, teilte das Auswärtige Bemühungen – nun doch Erfolg beschieden war. Jeden- Amt nach einem Jahr sibyllinisch mit: „Das Engagement falls bestätigt sich damit das geläufige „Aller guten Dinge von Herrn Schikora im Interesse der deutschen Minder- sind drei“ wieder mal auf wundersame Weise… heit in Polen ist beachtlich und begrüßenswert, jedoch Norbert Willisch Privatdozent Michael Hirschfeld jetzt Professor Auszeichnung für einen schlesischen Historiker Große Freude für Privatdozent Dr. Michael Hirschfeld. 2009 Vorstandsbeisitzer und seit 2019 Vorstands- Dem Historiker wurde von der Universität Vechta der mitglied. Ebenfalls gehört Hirschfeld seit 2008 der akademische Titel außerplanmäßiger Professor ver- Historischen Kommission für Schlesien an und ist liehen. Der 49-Jährige lehrt nach erfolgreicher Habi- überdies ordentliches Mitglied der Historischen Kom- litation bereits seit 2011 als Privatdozent für Neuere mission für Niedersachsen und Bremen. 2008 wurde und Neueste Geschichte an der Vechtaer Universität. er im Kölner Dom in den päpstlichen Ritterorden vom Michael Hirschfeld, 1971 in Delmenhorst geboren, Heiligen Grab zu Jerusalem investiert, dessen Kom- erhielt während seines Studiums der Geschichte und turei St. Wiho Osnabrück-Vechta er seither angehört. Germanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität In der neuen Position, so berichtet Hirschfeld dem in Münster 1994 ein Kardinal-Bertram-Stipendium des Schlesischen Kulturspiegel, wird er seine Forschungs- Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschich- felder in den Bereichen Katholizismusforschung, Lan- te. Er engagierte sich in der „Gemeinschaft für deutsch- des- und Regionalgeschichte Oldenburgs bzw. Nord- polnische Verständigung“ (gdpv), der Jugendinitiative westdeutschlands sowie schlesischer Geschichte weiter im Heimatwerk Schlesischer Katholiken, deren Vorsit- ausbauen und nach Möglichkeit miteinander verknüpfen. zender er von 1999 bis 2005 war und deren Jahrbuch Konkrete Projekte sind ein studentisches Veröffentli- „Via Silesia“ er initiierte. Während der Promotion war chungsprojekt über „Prominente Vertriebene im Kreis Hirschfeld von 1997 bis 2001 als wissenschaftlicher Vechta“. An einem regionalen Fallbeispiel sind dabei aus- Mitarbeiter beim Apostolischen Visitator Breslau tätig. gehend von einer universitären Lehrveranstaltung Bio- In dieser Zeit gab er gemeinsam mit Markus Trautmann gramme von Frauen und Männern entstanden, die aus einen Sammelband über die Aufnahme der Vertrie- Schlesien, Ostpreußen und dem Sudetenland stammend benen im Bistum Münster heraus. Hirschfeld und Traut- nach 1945 im Raum Vechta in Kirche, Kommunalpolitik, mann übernahmen auch die redaktionelle Bearbeitung Schule und Kultur für die Vertriebenen tätig waren. Hie- des Buchs zur 1000-Jahrfeier des Bistums Breslau. rauf aufbauend plant Hirschfeld mittelfristig eine Studie 2003 kam Hirschfeld als wissenschaftlicher Mit- über Brüche in Lebensläufen vertriebener Persönlich- arbeiter an das Institut für Geschichte und historische keiten, auf Basis der Frage, welche Entwicklungspro- Landesforschung an der damaligen Hochschule Vechta. zesse der Verlust von Heimat und beruflichem Umfeld Als examinierter Lehrer ist er seit 2009 zugleich am bei sozial und gesellschaftlich engagierten Menschen Gymnasium Lohne tätig, wo er Geschichte und Deutsch ausgelöst hat bzw. inwieweit er ihre Identität nachhaltig unterrichtet. Darüber hinaus engagiert er sich als Vor- geprägt hat. Regionale Fallbeispiele, so betont Hirsch- sitzender des Geschichtsausschusses im Heimatbund feld, helfen, diese Thematik anschaulich zu gestalten. für das Oldenburger Münsterland. In seiner Habilitati- Ein weiteres Arbeitsfeld liegt in der Arbeitswan- onsschrift beschäftigte er sich mit den Bischofswahlen derung aus Oberschlesien in die nordwestdeutschen im Kaiserreich zwischen Kulturkampf und Erstem Welt- Industriezentren, insbesondere in den Raum Bremen, krieg (erschienen Münster 2012), blieb aber gleichzei- zwischen der Reichsgründung 1871 und dem Beginn tig Themen der schlesischen Kirchengeschichte treu des Ersten Weltkriegs 1914. Eine Monographie zur Mi- und publizierte regelmäßig in „Schlesien in Kirche und gration in das einstige Textilzentrum Delmenhorst wird Welt“. Beim „Institut für Kirchen- und Kulturgeschichte im Frühjahr 2021 erscheinen. Weiterhin wird Hirsch- der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa“ (Tübin- felds Arbeit die Grafschaft Glatz in den Fokus nehmen, gen), dem vormaligen „Institut für ostdeutsche Kirchen- über deren Heimatzeitschriften nach der Vertrei- und Kulturgeschichte“ (Regensburg), ist Hirschfeld seit bung in Kürze ein Aufsatz aus seiner Feder erscheint. 8 Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021
Schlesisches Kalenderblatt Mit Erle Bach starb vor 25 Jahren eine herausragende Schlesierin. Im Jahre 2021 gedenken wir des Todes Erle Bachs, die am 27. Mai 1996 in Efringen-Kirchen verstarb. Der To- destag der Schriftstellerin, über die der damalige Bun- deskulturreferent der Landsmannschaft Schlesien, Kon- rad Werner, schrieb, sie sei „eine der schlesischsten Schlesierinnen“ gewesen, jährt sich zum 25. Mal. Erle Bach kam am 5. November 1927 als Johanna Barbara Rauthe in Hirschberg zur Welt. Ihr Vater, Franz Rauthe, stammte aus Harachsdorf in Böhmen, die Mut- ter, Katharina Rauthe (geb. Jannuschka), stammte aus Bendzin in Oberschlesien. Beide Eltern wurden von den Nationalsozialisten verfolgt: Der Vater aufgrund seiner SPD-Zugehörigkeit, die Mutter infolge einer Behinderung - Katharina Rauthe fiel den Krankenmorden, die die Na- das „Bundesverdienstkreuz am Bande“ (1988) sowie die Erle Bach- tionalsozialisten euphemistisch als Euthanasie bezeichne- höchste Auszeichnung der Landsmannschaft Schlesien, Gedenkstein © Taraszczuk ten, zum Opfer. Ihre Kindheit verbrachte die junge Johan- das „Schlesierschild“ (1993), um nur einige zu nennen. na Barbara Rauthe bei Angehörigen in Hirschberg, wo Mit der Gründung des „Arbeitskreises Archiv für sie mit Brauchtum vertraut wurde und regionale Hand- schlesische Mundart“ 1982 erfüllte sich Erle Bach, die arbeitstechniken erlernte. Das Kriegsende 1945 erlebte inzwischen zur Mundartbeauftragten der Landsmann- sie in einem Kinderheim in der Grafschaft Glatz, wo sie schaft Schlesien in Baden-Württemberg ernannt worden als Helferin tätig war. Nach der Vertreibung lebte sie zu- war, einen Lebenstraum. Aufgabe des Arbeitskreises war erst in Thüringen, danach in Niedersachsen, wo sie sich die Erfassung und Dokumentation der Arbeiten unbe- als Haushaltshilfe, Statistin und Büroangestellte durch- kannter schlesischer Mundartschriftsteller. Unterstützt schlug. 1950 heiratete sie Gerhard Strehblow und nahm wurde Erle Bach hierin seit 1992 durch Friedrich-Wil- dessen Namen an. Das Ehepaar lebte zunächst in Essen, helm Preuß, der bis zu ihrem Tod gleichberechtigt in der zog jedoch wenig später in das baden-württembergische Leitung wirkte und seitdem alleiniger Leiter des Arbeits- Lörrach. Ihre kirchliche Hochzeit holten sie am 7. Juni kreises ist. Im kommenden Jahr besteht das in Wangen 1953 in schlesischer Tracht in der evangelischen Kirche im Allgäu beheimatete Archiv seit 40 Jahren. Seither in Wangen im Allgäu nach. Die Feier fand im Rahmen des konnten über 400 schlesische Mundartschriftsteller aus- ersten Hirschberger Heimattreffens in der Patenstadt findig gemacht und eine Vielzahl derer Arbeiten archiviert Wangen statt. werden. Daneben gab der Arbeitskreis die Schriftenrei- Nach der Trennung von ihrem Mann zog die inzwi- he „Woas die Stoare pfeifa“ heraus, in der die Arbeiten schen vierfache Mutter 1982 nach Efringen-Kirchen, dieser weniger bekannten Autoren veröffentlicht wurden. wo sie als freie Journalistin und Buchhändlerin tätig war. 2016 wurde die Reihe mit Band 20 abgeschlossen, der Nachdem Barbara Strehblow ihre Kinder großgezogen sich im Umfang von über 500 Seiten Erle Bach widmet. hatte und wieder kulturell und schriftstellerisch tätig Als im Frühjahr 2016 die Auflösung der Grabstätte wurde, veröffentlichte sie ihre Arbeiten unter dem Pseu- der Schriftstellerin im Raum stand, veranlassten der donym Erle Bach. Auch hierin zeigt sich ihre Verbunden- Vorstand des Arbeitskreises gemeinsam mit den Nach- heit zur schlesischen Herkunft: Den Namen wählte sie fahren der Verstorbenen, die Versetzung des Grabsteins in Gedenken an die Erlebach-Baude am Heimatort ihrer mit seiner aufgesetzten Schneekoppe an die heutige Familie im Riesengebirge. Erlebach-Baude am Spindlerpass. Das Vorhaben stieß Seit etwa 1950 schrieb Erle Bach für verschiedene bei den heutigen Besitzern Martina und Jiri Tomasek auf Heimatzeitungen mundartliche Kurzgeschichten und ein positives Echo: Die tschechische Baudenfamilie schuf Gedichte. Ernst Schenke, der wohl bedeutendste Mund- einen geeigneten Platz, so dass der Grabstein, ergänzt artschriftsteller, schenkte dem Schaffen Bachs schon um eine deutsch-, tschechisch- und polnischsprachige damals große Anerkennung, was wohl auch dazu bei- Messingplatte, am 11. Juni 2016 als Gedenkstein auf- trug, dass die Schriftstellerin ein gern gesehener Gast gestellt werden konnte. Viele Wanderer nutzen den Platz in Rundfunk und Fernsehen wurde. Ihr Gesamtwerk am Gedenkstein auf dem Weg zum Spindlerpass zu einer umfasst nahezu 30 Bände. Ihr letztes Buch „In ihrem kurzen Rast und werden somit an Erle Bach erinnert. Er- Atem schläft die Zeit“, herausgegeben im Husum-Verlag, innerung ist ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben durfte die beliebte Kulturschaffende noch kurz vor ihrem werden kann und bei den Zurückgebliebenen verbleiben Tod in Händen halten. Für ihre Arbeit wurde Erle Bach immer Spuren ihres Lebens. Gedanken und Augenblicke, vielfach geehrt und mit Preisen bedacht. Den Anfang an die die Freunde sich stets erinnern, die sie glücklich machte der „Erzählerpreis für Humor“ des Ostdeutschen und traurig machten, aber Erle Bach nie vergessen las- Kulturrates, den sie 1974 erhielt. Es folgten die „Ehren- sen. Friedrich-Wilhelm Preuß medaille des Patenschaftswerkes Hirschberg“ (1988), Leiter Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundarten“ Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021 9
IN MEMORIAM Dr. Dieter Pohl gestorben Die Grafschaft Glatz verliert einen engagierten Heimatforscher. Der Grafschaft Glatz, der Heimat seiner Vorfahren, galt 1793 bis 1817. Alle diese Werke hat er im Eigenverlag das Interesse von Dieter Pohl, der am 15. August 2020 in herausgebracht. Natürlich kamen auch historische Auf- Köln gestorben ist. Geboren wurde er am 1. März 1934 sätze und anderes hinzu, zumal sich die Interessen Die- in Hirschberg im Riesengebirge. Die Vertreibung führte ter Pohls von der Genealogie hin zur Landeskunde des den 12jährigen nach Bremen, wo er 1954 das Abitur ab- Glatzer Raums verlagerten. Von 1986 bis 2001 war er legte. Das Studium der Elektrotechnik an der Rheinisch- Leiter der Forschungsgruppe Grafschaft Glatz der Ar- Westfälischen Technischen Hochschule Aachen schloss beitsgemeinschaft ostdeutscher Familienforscher e.V., er 1962 mit dem Grad eines Diplom-Ingenieurs ab, 1974 gründete dann die allgemeiner kulturell und kirchenge- wurde er ebenda zum Dr.-Ing. promoviert. Beruflich war schichtlich ausgerichtete Arbeitsgemeinschaft Graf- Dieter Pohl ab 1973 in der nachrichtentechnischen In- schaft Glatz – Kultur und Geschichte (AGG), in der er dustrie tätig, zunächst beim Philips-Konzern, dann bei mehr als 60 Interessenten sammelte und deren Leitung der Robert Bosch GmbH, zuletzt bis zu seiner Pensio- er nach seinem 80. Geburtstag an Prof. Dr. Klaus Hübner nierung 1994 als Abteilungsdirektor im Forschungs- und übergab. Für diese Arbeitsgemeinschaft gab er dreizehn Entwicklungsbereich. Hefte der ‚AGG – Mitteilungen‘ mit den Vorträgen der Mit der Forschung nach seinen Vorfahren in Nieder- jährlichen Treffen heraus. Zusammen mit Herbert Eckelt schwedeldorf in der Grafschaft Glatz begann Dieter Pohl verfasste er zudem in der Reihe ‚Kulturelle Arbeitshefte‘ im Jahr 1973, und zwar vor Ort, was damals noch mit jenes über die Grafschaft Glatz. In die erste Hälfte des erheblichen Schwierigkeiten verbunden war; seine Vor- 20. Jahrhunderts führten ‚40 Jahre Kirchengeschich- fahren konnte er bis um 1650 als Gutsuntertanen der te in der Grafschaft Glatz in Schlesien 1906-1946. Herren von Larisch nachweisen. Dabei stellte er fest, Die Chronik der katholischen Stadtpfarrkirche zu Glatz‘ dass die deutschen Kirchenbücher der Grafschaft Glatz (Köln 2009) nach Originalhandschriften der Stadtpfarrer verstreut auf den Dachböden der Pfarreien, im Staats- Augustin Skalitzky und Franz Monse. Und 2014 ver archiv Breslau und im Erzbischöflichen Diözesanarchiv öffentlichte er seine Lebensrückschau ‚Aus meinen 80 Breslau lagerten. Was lag näher, als ein Verzeichnis zu Jahren. Lebenserinnerungen eines Schlesiers‘ (Köln erstellen? Nach 15-jähriger Recherche erschien von 2014). Danach ist es um ihn krankheitsbedingt still ge- ihm das Findbuch ‚Die Kirchenbücher der Grafschaft worden. Glatz (Schlesien). Die Bestände 1937 und 1997. Mikro- Dieter Pohl war Mitglied des Vereins für Geschichte verfilmungen‘ (Lorsch 1996). Und er stellte, von seiner Schlesiens e.V., referierte bei dessen erstem Heimatge- Frau Elsbeth unterstützt, weitere Quellenverzeichnisse schichtlichen Wochenende 1999 und gehörte lange Jahre zusammen: ‚Die Grafschaft Glatz (Schlesien) in Darstel- dem Kuratorium der Stiftung Kulturwerk Schlesien sowie lungen und Quellen‘ (Modautal 1994), ‚Das Dekanatsar- deren Freunden und Förderern an. Seine Verdienste um chiv des Erzbischöflichen Generalvikariats der Grafschaft die Recherche zu den Quellen und zur Erforschung der Glatz. Bestandsaufnahme 1994‘ (Lorsch 1995) und Geschichte der Grafschaft Glatz wurden mit der Zuwahl ‚Grafschaft Glatz (Schlesien): Die Sammlung Kögler im in die Historische Kommission für Schlesien 1999, der Erzbischöflichen Diözesanarchiv Breslau (Bestandsauf- Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande 2004 nahme 1986-1997)‘ (Köln 2000). Ediert hat er zudem und der ihm gewidmeten Festschrift ‚Glaciographia Nova‘ in fünf Bänden ‚Die Chroniken der Grafschaft Glatz‘ von (Hamburg 2004) gewürdigt. Mit seinem Tod verliert die Joseph Kögler (Modautal, Köln 1992-2003) – das wohl Grafschaft Glatz einen Anreger und vielseitigen Heimat- bedeutendste Werk der Grafschaft Glatzer Geschichts- forscher mit dem Mut für langfristige, erfolgreich abge- schreibung – anhand der Autographe aus den Jahren schlossene Projekte. Ulrich Schmilewski Zum Tode von Pfarrer Ulrich Hutter-Wolandt Theologie und evangelische Kirchengeschichte Schlesiens Zu den Wissenschaftlichen Mitarbeitern der Stiftung seinigen hinzu – am 18. März 1955 in Köln. Nach dem Kulturwerk Schlesien gehörte vom 1. Januar 1986 bis Abitur studierte er Theologie, Geschichte und Kunst- zum 2. November 1987 Ulrich Hutter-Wolandt, der als geschichte in Bonn, Köln, Münster und Wuppertal, Fä- amtierender Pfarrer der Evangelischen Trinitatis-Kir- cher, denen er sein Leben lang wirkend, betrachtend und chengemeinde zu Berlin-Charlottenburg am 23. Novem- schreibend verbunden blieb. Sein geplantes Promotions- ber 2020 im Alter von 65 Jahren in der Hauptstadt nach vorhaben zur Friedenskirche in Schweidnitz verband ihn Ulrich Hutter- kurzer, schwerer Krankheit starb. nicht nur mit Schlesien, sondern brachte ihm bereits vor Wolandt © Rainer Leffers Geboren wurde Ulrich Hutter – bei der Hochzeit der Wende auch zahlreiche Kontakte zu polnischen evan- (2016) 1990 mit Barbara Wolandt fügte er ihren Namen dem gelischen Pfarrern und Gemeinden. Abgeschlossen hat 10 Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021
er sein Studium mit dem Magister der Theologie. Nach phisches von Neutestamentlern, wobei er häufig direkt kürzeren vorausgehenden Tätigkeiten gewann ihn Bischof aus den Quellen schöpfte. An Monographien erschienen Joachim Rogge 1993 für den Dienst in der Evangelischen aus seiner Feder ‚Die evangelische Kirche Schlesiens im Kirche der schlesischen Oberlausitz, und zwar in den Wandel der Zeiten. Studien und Quellen zur Geschichte Kirchengemeinden Rothenburg/OL und Förstgen sowie einer Territorialkirche‘ (Dortmund 1991), ‚Tradition und am Martin-Ulbricht-Haus in Rothenburg. Ein Jahr später Glaube. Zur Geschichte evangelischen Lebens in Schle- setzte sein Engagement im Gustav-Adolf-Werk ein, dem sien‘ (Dortmund 1995), ‚Die Hofkirche in Breslau. Ein Diasporawerk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Rokokokirchenbau im frühpreußischen Schlesien‘ (Bonn 2007 wechselte er nach Berlin, seit 2010 war er Pfarrer 1999) und ‚Glaubenswelten. Aufsätze zur schlesischen in der Trinitatisgemeinde Berlin, wo er sich offensichtlich und Oberlausitzer Kirchengeschichte‘ (Bonn 2011). Als besonders wohl fühlte. Seine Stärke war der pastorale Mitherausgeber war er beteiligt an den Werken ‚Mar- Dienst, die Zuwendung zum Menschen. tin Luther und die Reformation in Ostdeutschland und Mit dem deutschen Osten und seiner Kirchen- Südosteuropa‘ (Sigmaringen 1991), ‚Quellenbuch zur geschichte, besonders der evangelischen Kirchenge- Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens‘ (Mün- schichte Schlesiens, war Ulrich Hutter-Wolandt familiär chen 1992), ‚Diakonie – stark für andere. Beiträge im verbunden, ihr galt sein geschichtswissenschaftliches Jubiläumsjahr der Diakonie aus der schlesischen Ober- Forschungsinteresse. In Diensten des Kulturwerks lausitz‘ (Düsseldorf 1998) sowie ‚Der Durchbruch kam wirkte er u. a. an Katalog und Ausstellung ‚Schlesien im Osten. Die Reformation in Ostpreußen, Pommern, in der Biedermeierzeit‘ mit, organisierte Ausstellungen Schlesien, den böhmischen Ländern und in Siebenbürgen‘ und betreute Heinrich Trierenbergs ‚Reiseführer Schle- (Bonn 2018). Beheimatet fühlte sich der stets freund- sien‘ redaktionell. Neben Predigttexten hat er Führer zu liche und hilfsbereite Ulrich Hutter-Wolandt im Verein für schlesischen Kirchen veröffentlicht und zahlreiche Auf- Schlesische Kirchengeschichte e. V., dessen Vorstand er sätze zur schlesisch-evangelischen Kirchengeschichte, seit 1984 als Beisitzer angehörte und damit länger als so zur Ortskirchengeschichte, zur Diakonie und Biogra- sein halbes Leben. Ulrich Schmilewski Pontifex Poloniae - in memoriam Dr. „Przemek“ Wiater Einer der einflussreichsten Historiker und Förderer der Riesengebirgsregion ist gestorben. Ein unsichtbarer Trauerflor scheint über dem imposanten Przemysław Wiater Gebäude des Riesengebirgsmuseums von Hirschberg © Christian Henke zu liegen. Nach nur zehn Monaten im Amt des Direk- tors dieser Kultur- und Bildungsstätte verstarb am 17. November 2020 mit Dr. Przemysław Wiater einer der einflussreichsten Historiker und Förderer der Riesen- gebirgsregion. Er verlor den ungleichen Kampf mit einer bösartigen Coronainfektion. Am 26. Dezember 2020 wäre er 62 Jahre alt geworden. Przemysław Wiater, der von seinen zahlreichen Freunden und Gefährten innerhalb und außerhalb Polens „Przemek“ genannt wurde, kam 1958 in Breslau zur Welt und wuchs in Hirschberg auf. Er absolvierte 1983 an der Breslauer Universität ein Geschichtsstudium mit Archivspezialisierung, 1987 folgte der Abschluss in Kunstgeschichte und 1994 promovierte er zum Thema „Öffentlicher Verkehr in Breslau vor 1945“. Sein Doktor- vater war der anerkannte polnische Geschichtsprofessor Adam Galos. stand er der Sudetischen Wallonischen Gesellschaft vor. Bereits 1995 wurde er Kustos im Carl- und Gerhart- Für sein Engagement wurde er zum Ehrenmitglied der Hauptmann-Haus in Schreiberhau, einer Zweigstelle des Gilde der Sudeten-Reiseführer und der Isergesellschaft Riesengebirgsmuseums. Diesem Wohn- und Arbeitsort ernannt. 2004 gehörte Przemek zu den Initiatoren und sollte er ein Leben lang die Treue halten. Auf vielfältige Art Gründern des Retro-Skilaufs auf altertümlichen Brettern und Weise errang er die Anerkennung und Achtung so- und mit historischer Kostümierung, der alljährlich bei der wohl der Wissenschaftswelt als auch breitester Schich- Orle-Baude im ehemaligen Glashüttenort Carlsthal viele ten der Bevölkerung des in Vergangenheit und Gegenwart Aktive und Schaulustige begeistert. als Künstlerkolonie bekannten Ortes. Er verfasste neben Die enge Verbundenheit von Dr. Wiater mit Schrei- einer Vielzahl von historischen und kunstgeschichtlichen berhau beweist seine Mitarbeit als gewählter Stadtrat Aufsätzen etliche Monografien von bleibender Bedeutung, während vier jeweils vierjährigen Kadenzen. Mit beson- so zur Geschichte von Schreiberhau oder über den Weg derer, nicht nachlassender Zähigkeit setzte er sich für der Wallonen im Iser- und Riesengebirge. Als Kanzler die Rekultivierung des alten evangelischen Friedhofs in Schlesischer Kulturspiegel 56, 2021 11
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