ADB-JAHRESTHEMA 2021 WAS WEISS ICH? RASSISMUSKRITISCH DENKEN LERNEN! - EINE KERNAUFGABE FÜR GESELLSCHAFT UND POLITISCHE BILDUNG - ARBEITSKREIS ...
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Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung AdB-Jahresthema 2021
Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. (AdB) Mühlendamm 3, 10178 Berlin Tel.: (030) 400 401 00 Fax: (030) 400 401 22 info@adb.de www.adb.de Der AdB wird gefördert aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes. © AdB Berlin, 2021
der politischen Bildung und zugleich deren Auftrag für die Bildungsarbeit mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen dar. Der AdB greift damit eine immer stärker wer- dende gesellschaftliche Debatte über Rassismus in vielen Be- reichen des gesellschaftlichen Lebens und in der Arbeitswelt auf. Die Bundesregierung hat Ende 2020 einen umfangrei- chen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des Rassismus beschlossen, der nicht nur sehr ambitioniert, sondern auch finanziell sehr umfangreich ist. Die Stärkung der politischen Bildung spielt dabei eine zentrale Rolle. Uns als politischen Bildner*innen kommt dabei eine wich- tige Aufgabe zu: Wir erreichen viele Menschen mit unseren Liebe Leser*innen, Bildungsangeboten, wir bringen Menschen mit und ohne Rassismuserfahrungen zusammen und wir sind in der Lage, diese Debatte in Seminare und Projekte und damit in profes- am 19. Februar 2021 jährte sich der Tag, an dem in Hanau sionelle Bildungssettings zu transformieren und eine rassis- neun Menschen Opfer eines rassistisch motivieren Anschlag muskritische Haltung zu erzielen. wurden. Sie wurden ermordet. Der Täter habe seine Tat ver- Rassismus ist kein neues gesellschaftliches Problem. Von mutlich „als Kampfansage an gefundene Formen friedlichen daher ist es auch nicht neu als Thema der politischen Bildung. Zusammenlebens verstanden wissen und Angst verbreiten Aber offensichtlich ist der Druck in Politik und Zivilgesell- wollen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in schaft, zu Lösungen und einem gesellschaftlichen Konsens seiner Rede anlässlich des Jahrestages. zu kommen, so stark geworden, dass nunmehr Klärungen Weiter rief der Bundespräsident dazu auf, „die bösen herbeigeführt werden müssen, damit die von rassistischer Geister in unserer Mitte nicht zu übersehen – den Hass, die Diskriminierung betroffenen Menschen und Organisationen Ausgrenzung, die Gleichgültigkeit. Aber lasst uns glauben zukünftig nicht mehr benachteiligt, ausgegrenzt oder gar an den besseren Geist unseres Landes, an unsere Kraft zum von Gewalt bedroht sind. Miteinander.“ Die aktuelle Stellungnahme liefert das Lernziel gleich mit: Der menschenverachtende Anschlag von Hanau ist der „Rassismuskritisch denken lernen!“ vorläufige Höhepunkt von grausamen Attentaten gegen Wir wollen die Praxis der politischen Bildung durch die deutsche Staatsbürger*innen und genauso wenig vergessen Auseinandersetzung mit Rassismus stärken und in unseren wie der Mordanschlag von Halle, der Mord an Walter Lübcke Einrichtungen Diversität im Programm, im Personal und in und die Morde des NSU. der Infrastruktur sichtbarer machen. Aus Sicht der politischen Bildung muss diese „Kraft zum Miteinander“ durch geeignete Bildungsangebote für alle for- Die vorliegende Broschüre zum aktuellen Jahresthema soll ciert und gefördert werden. Der AdB will daher mit seinem Ihnen einen Zugang zu dieser Debatte verschaffen und Ih- Jahresthema 2021 „Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken nen anhand ausgewählter Beispiele aus der Praxis politischer lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bil- Bildungsarbeit Impulse für eigene Seminare und Projekte dung“ ein Zeichen setzen und die Mitgliedseinrichtungen in vermitteln. Wir wünschen uns im AdB, aber auch darüber der Arbeit gegen Rassismus unterstützen. hinaus in der Landschaft der politischen Bildung, eine rege „Die Perspektiven derjenigen, die unmittelbar von diesen Debatte über die Bekämpfung von Rassismus und die damit rassistischen Diskriminierungen betroffen sind oder sich be- einhergehende Förderung von Diversität in unseren Struktu- droht fühlen, werden oft nicht gehört oder ihre Positionen ren, Angeboten und personellen Ressourcen. werden vom weißen Teil der Gesellschaft relativiert.“ Dieser Auszug aus der Stellungnahme des AdB zum Jahresthema Boris Brokmeier 2021 stellt eine zentrale Problemanalyse aus der Perspektive Vorsitzender des AdB 3
Inhalt AdB-Jahresthema 2021 6 Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung Eine Einführung 10 AdB-Stellungnahme zum Jahresthema 2021 14 Rassismuskritische politische Bildung Was bedeutet das für den Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten? Narmada Saraswati AdB-Jahresthema 2021 17 Verankerung des Themas Rassismuskritik in der politischen Was WEISS ich? Bildung Interview mit Professor Dr. Karim Fereidooni Rassismuskritisch denken lernen! 21 Auf dem Weg (?) Eine Kernaufgabe für Gesellschaft … zu einer rassismuskritischen Bildung(sstätte) und Politische Bildung Roland Wylezol 4
Praxisberichte 24 You‘ll never walk alone 36 Nicht selbstverständlich Die Bildungsstätte Anne Frank thematisiert Das Internationale Bildungszentrum Diskriminierung im Sport dock europe e. V. in Hamburg bietet Qualifizierungs- Bildungsstätte Anne Frank e. V. reihe für Schwarze Menschen und Menschen of Color Internationales Bildungszentrum dock europe e. V. 27 Emanzipation von „Wir versus die Anderen“ Die Jüdisch-Muslimischen Kulturtage in Heidelberg sind anders Muslimische Akademie Heidelberg i. G. Teilseiend e. V Anhang 30 Spiderman ist Schwarz Ein Empowerment-Angebot für Schwarze und 39 Publikationen zum Jahresthema Afro-deutsche Kinder in der Jugendbildungsstätte Links zum Thema LidiceHaus Bremen LidiceHaus gGmbH 40 Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten – Ein Überblick 33 Alle können gewinnen Die Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) bildet Migrant*innen als Fachkräfte der Jugendarbeit aus Stiftung „Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar“ 5
AdB-Jahresthema 2021 Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung Eine Einführung Einrichtungen und Akteure politischer Bildung sind Teil der gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnisse. Sie werden mitbestimmt von Bildern, Narrativen und Normen, die – oft unbewusst – auf kolonialen, rassistischen Vorstellungen beruhen können und diese – ebenso oft nicht bewusst – tradieren. Dieses anerkennend, haben sich der Arbeitskreis deutscher Mainstreaming in die Konzepte, Diskussionen und in den Bil- Bildungsstätten e. V. (AdB) und seine Mitgliedseinrichtungen dungsalltag implementiert. Die Fachkommission „Mädchen auf den Weg gemacht, um eine selbstkritische Analyse der und Frauen“, die im Jahr 2016 zur Kommission „Geschlechte- eigenen Arbeit und Strukturen vorzunehmen, Räume für ras- reflektierte Bildung“ wurde, hat hier eine zentrale Aufgabe sismuskritische Bildung zur Verfügung zu stellen, Diversität übernommen. zu ermöglichen und sich deutlicher zu positionieren als bis- Der AdB ist aber nicht bei der Fokussierung auf Geschlech- her (vgl. Stellungnahme zum AdB-Jahresthema 2021 in dieser tervielfalt stehengeblieben, sondern hat nach und nach Broschüre). Die Entscheidung für das Jahresthema 2021 „Was ebenso die Themen Migration und Intergration in den Blick WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufga- genommen und die politische Bildung in der Einwande- be für Gesellschaft und Politische Bildung“ ist ein wichtiger rungsgesellschaft verortet und weiterentwickelt. Es wurden Schritt auf diesem Weg. Dass der Verband aber nicht bei Ab- verschiedene Stellungnahmen veröffentlicht und Positions- sichtserklärungen und guten Worten stehenbleiben kann, ist bestimmungen vorgenommen wie z. B. die Stellungnahme allen Verantwortlichen bewusst. „Politische Bildung in der demokratischen Gesellschaft. Zum Beitrag Politischer Bildung bei der Gestaltung des gesell- Der AdB auf dem Weg schaftlichen Wandels“ (2006; www.adb.de/node/333) oder die Standortbestimmung „Politische Bildung im AdB für Seit vielen Jahren verfolgt der Arbeitskreis deutscher Bil- Vielfalt und gegen Ausgrenzung“ aus dem Jahr 2018 (www. dungsstätten eine vielschichtige Strategie, um den Verband adb.de/stellungnahme/standortbestimmung-politische-bil- diverser, inklusiver und offener zu gestalten. In diesem Pro- dung-im-adb-fuer-vielfalt-gegen-ausgrenzung). zess können verschiedene Schritte auf unterschiedlichen Ebenen ausgemacht werden. Im Folgenden werden einige weitere Schritte Bereits in seiner Mitgliederversammlung 2001 hat der im Verband skizziert: AdB Gender Mainstreaming als Gemeinschaftsaufgabe be- Im Jahr 2008 wurde die Arbeitsgruppe „Interkulturelle Öff- schlossen und die Umsetzung als zentrale Verbandsaufga- nung“ durch den AdB-Vorstand in Leben gerufen, in der be in den Strukturen und auf allen Ebenen der Organisation Expert*innen aus Mitgliedseinrichtungen mit dem Ziel zusam- geplant. Durch Arbeitsgruppen und Projekte, durch Gender- menarbeiteten, den bundeszentralen Verband für die Kom- beauftragte und Publikationen wurde das Thema Gender munikation und Kooperation mit Migrantenorganisationen 7
AdB-Jahresthema 2021 zu öffnen sowie Migrantenorganisationen für die Mitglied- Im Sommer 2020 ist die digitale Plattform politischbilden.de schaft im AdB zu gewinnen und damit die gesellschaftliche online gegangen (https://politischbilden.de) – ein gemein- Realität auch in der Struktur sichtbar werden zu lassen. Die schaftliches, stetig wachsendes Nachschlagewerk für Veröffentlichung einer Broschüre mit dem Titel „Interkul- Fachkräfte und Aktive in der politischen Jugend- und Er- turelle Öffnung – Eine Arbeitshilfe für Bildungsstätten und wachsenenbildung mit thematischen Hintergrundbeiträgen, Träger der politischen Bildung“ erfolgte im Jahr 2015 (www. Methodenbeschreibungen und Kontakten. Die Beiträge wer- adb.de/content/arbeitshilfe-interkulturelle-oeffnung). Diese den von Expert*innen zur Verfügung gestellt und stehen al- Publikation sollte einen Beitrag zu einem Gesamtprozess zur len Interessierten zur freien Verfügung und helfen, das Feld Interkulturellen Öffnung des Verbandes leisten. Die Interkul- der politischen Bildung weiter zu qualifizieren. Bei der einbe- turelle Öffnung wurde dabei als Strategie der AdB-Mitglieds- zogenen Expertise wird auf eine große Diversität geachtet. einrichtungen verstanden, die darauf abzielt, die Strukturen Aktuelle Themenschwerpunkte sind Politik, Rassismus, Diver- so zu verändern, dass Menschen mit Migrationsgeschichte sität, Globalisierung und Digitalisierung. die gleichen Partizipationschancen in den Veranstaltungen Diese Aktivitäten werden gerahmt von einem Strategie- der politischen Bildung sowie in allen Funktionen und auf al- prozess auf den unterschiedlichen Ebenen AdB-Geschäfts- len Ebenen der Organisationen haben. stelle, Vorstand und Mitgliederversammlung, der im Jahr In den Jahren 2016 und 2017 hat der AdB in Kooperation 2017 startete und nach und nach zu einem Verbandentwick- mit dem Informations- und Dokumentationszentrum für lungsprozess reift. Ging es zu Beginn um eine Selbstverge- Antirassismusarbeit (IDA) insgesamt sechs Fortbildungs- wisserung und die Frage, wohin sich der AdB entwickeln soll, veranstaltungen zur politischen Bildung mit Geflüchteten geht es nun zunehmend um die Konkretisierung einzelner durchgeführt. Ziel war es, Geflüchtete als Multiplikator*innen Aspekte vor dem Hintergrund der rassismuskritischen Öff- zu qualifizieren, Wissen z. B. zu rechtlichen Fragen oder auch nung und damit um eine Weiterentwicklung dieses (unab- zu Strukturen und kreativen Methoden politischer Bildung schließbaren) Prozesses. zu erweitern, Menschen miteinander zu vernetzen und neue Projekte anzustoßen. Folgende Aspekte wurden in einem mehrjährigen Ein ähnliches Ziel hatte das das Projekt „Empowered by Prozess als zentral identifiziert: Democracy. Stärken. Bilden. Vernetzen.“ (https://empow- Verbesserung, Erhöhung der Wahrnehmung ered-by-democracy.de), das der AdB gemeinsam mit der Diskussion um den Namen des Verbands, Erschließung neuer GEMINI – Gemeinsame Initiative der Träger politischer Ju- Kommunikationswege, Prüfung der Materialien auf Diversi- gendbildung in den Jahren 2017–2019 durchgeführt hat. tät, Leitbildprozess, Formulierung eines Selbstverständnis- Es zielte darauf ab, mehr junge Menschen mit Fluchthinter- ses, Entwicklung einer Position zum Verständnis politischer grund als Zielgruppe in die Jugendbildungsmaßnahmen der Bildung, Werbung um neue Mitglieder, Verbesserung der AdB-Mitgliedseinrichtungen einzubeziehen und junge Ge- Mitgliederkommunikation, Aufbau neuer Netzwerke flüchtete zu ermutigen und befähigen, selbst Teamer*innen Aktivere Rolle im Fachdiskurs der politischen Bildung zu werden. Gründung eines Expert*innenrates, Hochschulkooperatio- Einen nicht unerheblichen Anteil an der inhaltlichen und nen, Forschungsprojekte anstoßen, Nachwuchsförderung, strukturellen Weiterentwicklung des Verbandes haben die Testimonials gewinnen, neue Netzwerke aufbauen vier Fachgruppen im Programm „Politische Jugendbildung im AdB“ (2017–2022): Erinnerungskultur und Teilhabe, Flucht Stärkere Wahrnehmung als politischer und Migration, Digitale Medien und Demokratie, Arbeit und Akteur/Interessenvertretung Lebensperspektiven. Politische, gesellschaftliche Akteure einladen, mediale Prä- Auch die Öffentlichkeitsarbeit widmet sich diesen The- senz erhöhen, Stellung beziehen, neue Kooperationen, Prä- men und stärkt die Verbindungen zwischen theoretischen, senz auf Länderebene, Lobbyarbeit ausbauen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrun- Gewinnung neuer Mitglieder gen: In der Fachzeitschrift „Außerschulische Bildung. Zeit- Gezielte Ansprache neuer deutscher Organisationen, (post) schrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung“ migrantischer Organisationen, Minderheitenorganisatio- werden immer wieder einschlägige Themen aufgegriffen nen, Sichtbarmachen des Mehrwerts einer Mitgliedschaft, und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, z. B. Selbstverständnis der politischen Bildung und der Bildungs- in der Ausgabe 2/2017 – Konstruktion der Anderen (www. orte weiterentwickeln adb.de/content/zeitschrift-ausserschulische-bildung-ausga- be-2-2017); 1/2018: Integration – ein gesamtgesellschaftliches Stärkere Vernetzung Projekt (www.adb.de/zeitschrift/ausserschulische-bildung- Vernetzung mit der Wissenschaft, mit anderen Akteuren po- ausgabe-1-2018); 1/2020: Solidarität – Gelebte Vielfalt und litischer Bildung, mit Kooperationspartnern der Mitglieds- gesellschaftlicher Zusammenhalt (www.adb.de/zeitschrift/ einrichtungen, international, Aufklären über Strukturen ausserschulische-bildung-ausgabe-1-2020). politischer Bildung 8
Internationale Öffnung Mitgliedschaft, Interessenvertretung, Austausch zu Qua- litätskriterien, internationalen Diskurs zur politischen Bil- dung stärken, Mehrsprachigkeit Professionalisierung des Arbeitsfeldes Einsetzen für Lehrstuhl Politische Bildung, Weiterbil- dungsmöglichkeiten schaffen, auch über AdB-Mitglieds- einrichtungen hinaus, Coaching anbieten, Patenschaften/ Tandems, Knowhow der Mitgliedseinrichtungen nutzen, modulare Ausbildung zur politischen Bildung entwickeln Die zur Erreichung dieser Ziele in Gang gesetzten Prozesse werden mit dem Jahresthema 2021 „Was WEISS ich? Ras- sismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesell- schaft und Politische Bildung“ eng verknüpft. Mit diesem Jahresthema wird zum ersten Mal die rassismuskritische Bildung in den Fokus der Debatten und der Praxis politi- scher Bildung im AdB gerückt. Zusammen mit dem AdB- Projekt „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“, das in dieser Broschüre im Beitrag von Narmada Saraswati vorgestellt wird, markiert es einen zentralen Schritt hin zur rassismuskritische Öffnung des Verbandes. Zu dieser Broschüre Diese Broschüre zeigt, um was es dem AdB mit dem Jah- resthema 2021 und darüber hinaus geht. Es wird deut- lich, wo der Verband steht, was sich der AdB und seine Mitgliedseinrichtungen vorgenommen haben. Mit der Stellungnahme zum Jahresthema wird dafür der Rah- men gesetzt und werden die Herausforderungen und Aufgaben für die Politische Bildung und die politischen Entscheidungsträger*innen benannt. Im ersten Fachbeitrag von Narmada Saraswati werden – anschließend an diese Einführung – Begriffe geklärt und weitere Herausforderungen benannt. In einem Interview mit Professor Dr. Karim Fereidooni geht es um die Ver- ankerung des Themas Rassismuskritik in der politischen Bildung. Roland Wylezol beschreibt den Weg, den eine Ju- gendbildungsstätte beschreiten muss, um eine rassismus- kritische Einrichtung zu werden. Es folgen fünf Praxisberichte, die unterschiedliche The- men und Zugänge der AdB-Mitgliedseinrichtungen in den Fokus rücken und sichtbar machen, wie der Weg hin zu einer rassismuskritischen Bildungspraxis und einer divers aufgestellten Einrichtung politischer Bildung aussehen kann. Die Berichte reichen vom Thema „Diskriminierung im Fußball“ über die Realisierung jüdisch-muslimischer Kulturtage bis zu Empowerment-Angebote für Schwarze und Afro-Deutsche Kinder. Es wird sichtbar gemacht, wie Migrant*innen als Fachkräfte in der Jugendarbeit gewon- nen, bzw. People of Color als Trainer*innen der politischen Bildungsarbeit qualifiziert werden können. 9
Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung AdB-Stellungnahme zum Jahresthema 2021 Während der AdB-Mitgliederversammlung, die am 25. und 26. November 2020 online stattfand, wurde die Stellungnahme zum AdB-Jahresthema 2021 verabschiedet. Damit wurden die Aktivitäten des Verbands im Kontext des Jahresthemas eröffnet, das zum Ziel hat, das Thema „Rassismuskritik und politische Bildung“ über das Jahr hinaus im Verband zu verankern. Im Folgenden ist die Stellungnahme abgedruckt. 10
Das Bekenntnis zur unantastbaren Würde jedes Menschen Die Perspektiven derjenigen, die unmittelbar von diesen bildet die Grundlage unseres gesellschaftlichen Wertesys- rassistischen Diskriminierungen betroffen sind oder sich be- tems. Deutschland versteht sich als weltoffenes und de- droht fühlen, werden oft nicht gehört oder ihre Positionen mokratisches Land. Dennoch ist es nicht frei von Rassismus werden vom weißen Teil der Gesellschaft relativiert. Hinzu – rassistische Diskriminierungen, Vorurteile und Gewalt fin- kommt, dass viele von Rassismus unmittelbar Betroffene den sich im gesellschaftlichen Alltag ebenso wieder wie in weiteren Diskriminierungen (z. B. aufgrund des Geschlechts Strukturen des öffentlichen Lebens. oder der wirtschaftlichen Möglichkeiten) ausgesetzt sind. Die rassistischen Wissensbestände gründen insbeson- Das Problem Rassismus wird immer noch nicht ernst genug dere auf kolonialen und nationalsozialistischen Vorstellun- genommen, bzw. es werden sogar oftmals diejenigen dafür gen, die auf Ideologien der Ungleichwertigkeit basieren verantwortlich gemacht, die diskriminiert werden. und nach wie vor in der Gesellschaft fest verankert sind. In Rassismus wird oft individualisiert, d. h. als individueller Lehrbüchern, Spielfilmen, in der Werbung und in unserer Akt von Rassist*innen betrachtet, die jenseits einer ver- Sprache werden diskriminierende Leitbilder (un-)bewusst meintlich moralischen Wertegemeinschaft stehen, was reproduziert. dazu führt, dass Rassismus nicht als gesellschaftliches, struk- „Rassismus ist ein gesellschaftliches und soziales Phäno- turelles Problem wahrgenommen wird. Gespräche über men und dient u. a. auch der vermeintlichen Legitimation Rassismus sind oftmals durch Abwehr, Schweigen, Rechtfer- bestehender oder der Erzeugung neuer Ungleichheiten.“ tigungen und Relativierungen gekennzeichnet. Dies beruht (Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung gegen Rassis- häufig auf fehlendem Wissen und der mangelnden Bereit- mus) Aktuelle Beispiele, von denen vor allem marginalisierte schaft der Mehrheitsgesellschaft zur kritischen Auseinan- Gruppen betroffen sind, gibt es viele: rassistischer Terror, dersetzung mit dem Thema. rassistische Vorfälle in staatlichen Organisationen wie Poli- Hier muss Politische Bildung ansetzen, zu deren Grund- zei und Bundeswehr, rassistische Hetzreden im Bundestag. verständnis eine rassismuskritische Haltung und Ausrich- Hinzu kommt die Tatsache, dass immer mehr Bürger*innen tung gehören. Rassistische und demokratiefeindliche Hasstiraden und rassistische Anfeindungen im Internet ver- Entwicklungen in Deutschland und auch global machen breiten oder gemeinsam mit Holocaust-Leugner*innen, eine Bekräftigung dieses Anspruchs und die Notwendigkeit Rechtsextremist*innen und Reichsbürger*innen auf die einer rassismuskritischen und menschenrechtsorientierten Straße gehen, um gegen vermeintliche Freiheitsbeschrän- Politischen Bildung in Deutschland erforderlich. Die Politi- kungen im Zuge einer Pandemie zu protestieren. sche Bildung ist auf verschiedenen Ebenen herausgefordert, 11
AdB-Jahresthema 2021 sich dieses Themas anzunehmen und sich mit den Ursachen, kämpfung von rassistischen Strukturen auf allen Ebenen zu Auswirkungen, mit Prozessen und Strukturen kritisch ausei- ermöglichen, bedarf es einer Sensibilisierung für das Thema nanderzusetzen. und das Schaffen guter Bedingungen. Hierzu gehört u. a. die Förderung wissenschaftlicher Forschung zu rassistischen Die Akteur*innen Politischer Bildung Strukturen z. B. in staatlichen Organisationen und anderen sind aufgerufen, Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. … die rassismuskritische politische Bildung in staatlichen … eine selbstkritische Analyse der eigenen Arbeit und Institutionen auszubauen Strukturen vorzunehmen Es gibt bereits gute Angebote politischer Bildung in staatli- Einrichtungen der Politischen Bildung müssen sich und ihre chen Institutionen wie z. B. in Polizei und Bundeswehr. Diese Strukturen immer wieder aufs Neue hinterfragen. Inhalte, müssen ausgebaut werden. Freie Träger sollten dabei eine Formate und Haltungen müssen diskriminierungskritisch wichtige Rolle spielen und entsprechend finanziell ausge- überprüft und ggf. verändert werden. Um rassismuskritisch stattet werden. Sie können helfen, ein Klima zu schaffen, das zu handeln reicht es nicht, entsprechende Seminare und die offene Auseinandersetzung mit und die Bekämpfung von Workshops anzubieten. Teil des Prozesses muss es auch sein, Rassismus ermöglicht. die Zusammensetzung der Mitarbeitenden, der Teilnehmen- den, die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit etc. rassismus- … die rassismuskritische Bildung in formaler und kritisch zu hinterfragen. non-formaler Bildung zu fördern In schulischen und beruflichen Bildungsangeboten fehlt die … Räume für rassismuskritische Bildung zur Verfügung (rassismus-)kritische Auseinandersetzung, insbesondere mit zu stellen deutscher Kolonialgeschichte und ihren Folgen. Hier bedarf Rassismus muss als strukturelles, gesellschaftliches Problem es einer engen Zusammenarbeit mit der außerschulischen anerkannt und vermittelt werden. Teilnehmende brauchen Politischen Bildung und den von Rassismus betroffenen Menschen und Formate, die ihnen dabei helfen, die Kom- Menschen und entsprechenden Organisationen. Die rassis- plexität und Geschichte des Rassismus zu begreifen. Dafür muskritische Bildung würde zudem wirksam unterstützt und brauchen sie teilnehmendenorientierte Formate, professio- gestärkt, wenn sie Bestandteil von Lehr- und Ausbildungsplä- nelle Workshopleitungen mit entsprechender Expertise und nen würde. Offenheit. Im Besonderen bedeutet dies, eine Professiona- lisierung der politischen Bildner*innen in Form einer rassis- … sich auf die Seite von den von Rassismus betroffenen muskritischen Aus- und Weiterbildung sicherzustellen. Menschen und Organisationen zu stellen und diese zu schützen … Diversität sichtbar zu machen Rassistische Angriffe auf Menschen und Organisationen – sei Eine rassismuskritische politische Bildung darf Diskriminie- es analog oder digital – sind Angriffe auf die Demokratie. rungen nicht (ausschließlich) aus einer weißen Perspektive Diese Angriffe müssen verurteilt und ihnen muss klar entge- thematisieren. Die Perspektiven der von Rassismus betrof- gengewirkt werden. Politisch Verantwortliche sind gefordert, fenen Bildner*innen muss sich in den Angeboten deutlich alles dafür zu tun, dass Deutschland ein offenes und vielfäl- wiederfinden. Insbesondere Teilnehmende, die unmittelbar tiges Land ist, in dem niemand rassistisch bedroht oder dis- selbst von Rassismus betroffen sind und bei denen vor allem kriminiert wird. das Empowerment wichtig ist, brauchen die Perspektiven von Leitungen, die selbst Diskriminierung erfahren haben. Politische Bildung ist nicht neutral. Sie basiert auf den Men- … sich deutlich zu positionieren schenrechten und demokratischen Werten, die mit Rassis- Politische Bildung muss sich klar gegen Rassismus und Diskri- mus unvereinbar sind. Rassismuskritik gehört daher zu den minierung positionieren. Sie muss rassistische, antisemitische Kernaufgaben Politischer Bildung. und demokratiefeindliche Strukturen als solche benennen und verurteilen. Ebenso muss sie sich solidarisch mit den von rassistischer Diskriminierung betroffenen Menschen und ih- ren Organisationen positionieren. Beschlossen von der Mitgliederversammlung des AdB Der AdB fordert politische am 26.11.2020 Entscheidungsträger*innen auf, Download der AdB-Stellungnahme: www.adb.de/stellungnahme/was-weiss-ich-rassismuskritisch- … Rassismuskritik auf allen gesellschaftlichen Ebenen denken-lernen zu fördern und umzusetzen Weitere Informationen zum Jahresthema 2021: Um die rassismuskritische Auseinandersetzung und die Be- www.adb.de/jahresthema-2021 12
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AdB-Jahresthema 2021 Rassismuskritische politische Bildung Was bedeutet das für den Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten? Von Narmada Saraswati, Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. „Not everything that is faced can be changed. But nothing can be changed until it has been faced. History is not the past. It is the present. We carry our history with us. We are our history. If we pretend otherwise, we literally are criminals.“ James Baldwin 1 Warum sollten sich ausgerechnet Akteure der politischen einteilt in ein „Wir“ der so selbstverständlich Dazugehören- Bildung mit Rassismus auseinandersetzen? Als Verband, als den und „die Anderen“, die nicht-weißen, nicht-christlichen Einrichtungsleiter*innen, als Bildner*innen der politischen Menschen mit oder ohne Migrationsgeschichte. Bildung sind wir doch alle entschieden gegen Rassismus und Wenn diese konstruierte Andersheit von Menschen- andere Formen von Diskriminierungen und stehen für eine (gruppen) mit strukturellen Ausgrenzungsmechanismen und politische Bildung, die sich an den Grund- und Menschen- ungleicher Ressourcenverteilung in der Gesellschaft einher- rechten ausrichtet! 2 Allerdings stehen wir auch als in der poli- geht, spricht man von Rassismus (vgl. Hall 2000, S. 7 ff.). Wer tischen Bildung Tätige nicht außerhalb von gesellschaftlichen dabei Subjekt oder Objekt von rassifizierendem Wissen ist, Verhältnissen, sondern sind Teil der Gesellschaft, eingebun- bestimmen die gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Auch den in gewachsene Strukturen und mit bestimmten Bildern, im Bildungsbereich wird häufig sehr undifferenziert und Narrativen und Normen sozialisiert. pauschalisierend über die „Anderen“ gesprochen, die ver- meintlich so schwer zu erreichen sind. Selten wird überlegt, Rassifizierende Diskurse in Gesellschaft welche Prozesse anders gestaltet werden müssen, wer wel- che Entscheidungskompetenzen hat und welche Perspekti- Wie bei vielen anderen Diskriminierungsformen geht es ven in der Institution komplett fehlen. Das hat zur Folge, dass auch bei Rassismus nicht um eine gesellschaftliche Rander- Konstruktionsprozesse über die „Anderen“ weiterhin – wenn scheinung. Es ist nicht (nur) ein Problem der Rechten. Es geht auch meist nicht bewusst – reproduziert werden. Menschen vor allem um ein (un-)bewusstes gesellschaftliches Wissen mit Marginalisierungserfahrung werden damit zu selten als über die vermeidlich „Anderen“, das sich sowohl intentional aktive Mitgestalter*innen von Gesellschaft gleichberechtigt als auch nicht-intentional äußern kann. Rassistisches Wissen repräsentiert und wahrgenommen. Wenn sich aber instituti- zeigt sich von der individuellen Haltung und Handlung bis zur onell nichts ändert, wie soll Rassismus, der auch in Deutsch- institutionellen und strukturellen Ebene in allen gesellschaft- land tödlich sein kann, bekämpft werden? Wie sollen sich lichen Bereichen. Dies äußert sich in einer extremen Un- Diskurse verändern? gleichbehandlung von bestimmten Menschen(gruppen) z. B. Rassistische Ideologien beruhen auf einer jahrhunder- im Bildungsbereich oder auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt telangen Vorgeschichte. Die Erfindung von Menschenras- und führt letztendlich zu undemokratischen Strukturen. sen – auch als akademischer Diskurs – ging von Europa aus. Ohne das Wissen und die Auseinandersetzung mit ver- Heute spricht zwar kaum noch jemand von „Rasse“. Dennoch schiedenen Rassismusformen wie z. B. Rassismus gegenüber werden Menschen (weiterhin) durch willkürlich gewählte Rom*nja und Sinti*zze oder Schwarzen Menschen, zeigen „Merkmale“ zu den „Anderen“ gemacht und pauschal mit sich rassistische Wissensbestände oft ganz unscheinbar. In abwertenden und manchmal auch mit vermeintlich positiven Sprache, Texten, Bildern und Diskursen wird immer wieder Eigenschaften versehen. Sie gelten als latent „kriminell“, „bil- die zutiefst gefährliche binäre Denklogik (re-)produziert, die dungsfern“, „unzivilisiert“, „nicht-aufgeklärt“ oder „sexistisch“. 1 Aus: „I’m not your negro“, Regie: Raoul Peck, 2017; https://fsk12.bpb.de/mediathek/283417/i-am-not-your-negro (Zugriff: 16.02.2021) 2 Der AdB und seine Mitgliedseinrichtungen stehen für eine demokratische und menschenrechtsorientierte politische Bildung. Siehe dazu das AdB-Selbstverständnispapier: www.adb.de/selbstverstaendnis-des-arbeitskreises-deutscher-bildungsstaetten 14
» Wenn eine rassismuskritische politische Bildung umgesetzt werden soll, braucht es neben dem erlernten Wissen von Menschen ohne Rassismus-erfahrung auch immer das Fachwissen von Expert*innen, die selbst von Rassismus betroffen sind. « Alles also, was die damit implizierte „Wir-Gruppe“ nicht oder andere beim Status quo bleibt. Das wäre eher das Gegenteil nur mit Ausnahmen sei. Die „Wir-Gruppe“ wird wiederrum bei von Rassismuskritik. Vielmehr geht es darum, eine rassismus- solchen Rassifizierungsprozessen gleichzeitig auch zur nicht kritische Haltung zu entwickeln – sich immer wieder hierzu markierten, unbenannten weißen Norm. Bei der Auseinan- weiterzubilden und mit diesem Wissen die eigene Bildungs- dersetzung mit Rassismus ist es daher umso wichtiger, sich arbeit insgesamt neu auszurichten. Gerade die Auseinander- der eigenen gesellschaftlichen (Macht-)Position bewusst zu setzung mit und der Wissenserwerb zu Rassismuskritik wird werden. häufig noch sehr unterschätzt. Da es jedoch letztendlich auch Um sich konstruktiv mit dem Abbau von Rassismus aus- um ein Neu- und Verlernen, um die Entrassifizierung und De- einanderzusetzen, ist es grundlegend zu verstehen, dass kolonisierung der eigenen Denkmuster und Bilder geht, ist Rassismus sich nicht nur in individuellen, absichtlichen bös- dies auch ein entsprechend langer Prozess. Bildungsangebote artigen Handlungen zeigt, sondern wir mit bestimmten ge- rassismuskritisch zu gestalten bedeutet sich bewusst zu sein, sellschaftlichen Diskursen und Bildern aufwachsen und von dass Bildung nie neutral oder per se diskriminierungskritisch ihnen umgeben sind, aber eben auch unbewusst genau diese oder diversitätsorientiert ist. Das heißt auch, die eigene Hal- reproduzieren können. tung zu ändern und von einem „Wir sind doch offen für alle“ hin zu den Fragen zu kommen: „Was müssen wir anders ma- Rassismuskritik als Paradigmenwechsel chen? Was fehlt uns noch an Wissen und Perspektiven in der Einrichtung oder auf Verbandsebene?“ Genau hier setzt Rassismuskritik an. Der Begriff wurde in Neben den Haltungsfragen und Kompetenzen auf indi- den Fachdiskurs eingeführt, um einen Paradigmenwechsel vidueller Ebene geht es bei Rassismuskritik immer auch um herbeizuführen. Es reicht nicht allein aus, sich nur gegen Ras- Strukturen. So kann nicht von einer rassismuskritischen poli- sismus zu positionieren und sich als Antirassist*in zu bezeich- tischen Bildung einer Einrichtung oder des Verbandes gespro- nen (vgl. Mecheril/Melter 2010, S. 168 ff.). Ganz im Gegenteil: chen werden, wenn nicht auch der Blick auf die Personal- und Für einen wirksamen Abbau von rassistischem Denken und Gremienbesetzung, Programminhalte, Zielgruppen, Netzwer- Handeln braucht es neben dem Willen zur Veränderung ins- ke und Kooperationen gerichtet wird: Wie diversitätsorientiert besondere eine intensive Auseinandersetzung mit Rassismus, sind wir als Einrichtung und als Verband aufgestellt? Wie viele eine Selbstreflexion in Bezug auf die eigenen Denkmuster Menschen of Color arbeiten z. B. als Bildner*innen oder in einer und Handlungen. Wenn z. B. Bildungseinrichtungen klar Po- leitenden Funktion in der Einrichtung oder im Verband selbst? sition gegen Diskriminierung beziehen, wie z. B. in Leitlinien Wer setzt welche Schwerpunkte bei den Bildungsangebo- oder Stellungnahmen, ist zwar ein wichtiger symbolischer ten? Werden auch nicht-weiße Menschen als Expert*innen Schritt getan, dennoch dürfen Institutionen hierbei nicht ste- zu Veranstaltungen eingeladen? Wie divers sind die Teilneh- hen bleiben, sonst laufen sie Gefahr, eine reine „nicht-perfor- menden? Gibt es Vernetzungen und Kooperationen mit nicht- mative Antidiskriminierungsarbeit“ zu betreiben, wie es die weißen oder/und migrantischen Organisationen? feministische Wissenschaftlerin Sara Ahmed beschreibt (vgl. Wenn eine rassismuskritische politische Bildung umgesetzt Ahmed 2006, S. 104 ff.). Strukturen werden sich kaum verän- werden soll, braucht es neben dem erlernten Wissen von dern, wenn sich nicht auch Diskurse und Haltungen in den Menschen ohne Rassismuserfahrung auch immer das Fach- verschiedenen Institutionen selbst verändern. wissen von Expert*innen, die selbst von Rassismus betroffen sind. Ansonsten macht sich eine rassismuskritische politische Einen neuen Blick auf Gesellschaft und Bildung unglaubwürdig. politische Bildung entwickeln Gerade weil sich politische Bildung an den Grund- und Menschenrechten ausrichtet, ist Rassismuskritik eine unver- Aber was bedeutet nun Rassismuskritik in Bezug auf politi- zichtbare Professionskompetenz für politische Bildner*innen. sche Bildung, auf den AdB und seine Mitgliedseinrichtungen? Nicht zuletzt ist die Auseinandersetzung mit Rassismus- und Eine rassismuskritische politische Bildung bedeutet nicht, Diskriminierungskritik jedoch auch für die Gesamtgesellschaft dass einfach „nur“ das Seminarprogramm zu antirassistischen so zentral, weil sie entscheidend für das Überleben einer Themen in der Bildungseinrichtung erweitert wird, aber alles wehrhaften pluralen Demokratie ist. Die hier beschriebenen, 15
AdB-Jahresthema 2021 notwendigen Schritte will der AdB gehen. Ein zentraler Baustein auf diesem Weg ist das Verbandsprojekt „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“, dessen Grundzüge im Folgenden beschrieben werden. Das AdB-Projekt „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stärken“ Der AdB führt das Projekt „Polyphon! Diversität in der politischen Bildung stär- ken“ (2019–2022) durch. Es wird von der Bundeszentrale für politische Bildung/ bpb im Rahmen der Programmlinie „Modellprojekte zur Modernisierung und zum Ausbau der Trägerstrukturen der politischen Erwachsenenbildung – Stär- kung und Diversifizierung“ gefördert. Anlass für den AdB, sich um eine Projektförderung zu bemühen, war die Fest- stellung, dass noch zu wenig gesellschaftliche Vielfalt in Bezug auf (post-)migran- tische, nicht-weiße Träger und politische Bildner*innen im Verband vorhanden ist. Mit Polyphon! entwickelt der AdB erste Maßnahmen, um den Verband und insbesondere die politische Erwachsenenbildung diversitätsorientierter aufzu- stellen. Es ist ein wichtiger Schritt hin zu einer rassismuskritischen Öffnung. Schon zu Projektbeginn wurde durch Interviews, mittels einer Umfrage mit Mitgliedseinrichtungen, (post-)migrantischen und nicht-weißen Organisationen und durch die Empfehlungen des Projektbeirats deutlich, dass eine wirklich dau- erhafte Veränderung nur durch die Auseinandersetzung mit Rassismuskritik auf unterschiedlichen Ebenen funktionieren kann. Daher findet eine Zusammenar- beit und die Maßnahmenentwicklung des Projektes auf ganz unterschiedlichen Verbandsebenen statt. Die Kommission Erwachsenenbildung, weitere Mitglieds- einrichtungen, der Vorstand und die Geschäftsstelle werden intensiv eingebun- den. Ein weiterer Baustein des diversitätsorientierten Öffnungsprozesses ist die Kooperation und Vernetzung mit (post-)migrantischen und nicht-weißen Orga- nisationen, die im Bereich der politischen Bildung tätig sind. Der Fokus liegt hier Narmada Saraswati auf der Erhöhung der Sichtbarkeit dieser Organisationen und der Einbindung der ist Referentin für Diversität in dort vorhandenen Expertise in den AdB. Dies ist auch ein wichtiger Baustein, um der Erwachsenenbildung im den Fachdiskurs der politischen Bildung in einer Gesellschaft der Vielen weiter- Arbeitskreis deutscher Bildungs- zuentwickeln. stätten e. V. und leitet dort das Mit den Projektaktivitäten wird ein Bewusstsein für die rassismuskritischen Projekt „Polyphon! Diversität in Leerstellen in der politischen Bildung angestoßen, denn ohne die Entwicklung der politischen Bildung stärken“. eines Problembewusstseins auf unterschiedlichen Ebenen und ein Grundver- Sie beschäftigt sich u. a. mit ständnis von Rassismuskritik können keine strukturellen Lösungen für mehr ge- rassismuskritischen Veränderungs- sellschaftliche Vielfalt und Chancengleichheit entwickelt werden. prozessen in Bildungsinstitutionen, In einer Zeit, in der rassistische und antisemitische Diskurse eher zu- als abneh- wie eine politische Bildung in einer men, sieht es der AdB als eine höchst relevante Aufgabe, das gesellschaftliche Gesellschaft der Vielen aussehen Diversität sich auch in der politischen Bildung widerspiegelt. Ähnlich wie beim kann und was die Praxis eines soli- Gender Mainstreaming braucht ein Öffnungsprozess hin zu mehr gesellschaftli- darischen Verbündetseins in einer cher Vielfalt einen langen Atem, der weit über die Laufzeit von Projekten hinaus- diversen Gesellschaft bedeutet. geht. Literatur Ahmed, Sara (2006): The Nonperformativity of Antiracism. In: Meridians, Vol. 7, No. 1, pp. 104–126 Mecheril, Paul/Melter, Claus (2010): Rassismuskritik als pädagogische Querschnittsaufgabe. Das Thema „Rassismus“ in der deutschsprachigen Pädagogik. In: Mecheril, Paul u. a.: Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz, S. 168–178 Hall, Stuart (2000): Rassismus als ideologischer Diskurs. Rassismus ohne „Rassen“. In: Räthzel, Nora (Hrsg.): Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument, S. 7–16 16
Verankerung des Themas Rassismuskritik in der politischen Bildung Interview mit Professor Dr. Karim Fereidooni Der Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e. V. setzt mit dem Jahresthema 2021 „Was WEISS ich? Rassismuskritisch denken lernen! Eine Kernaufgabe für Gesellschaft und Politische Bildung“ seinen Verbandsentwicklungsprozess fort. Bei diesem Prozess geht es sowohl um eine Weiterentwicklung der politischen Bildung als auch um die Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen und eine Öffnung des Verbandes. Im Gespräch mit Professor Dr. Karim Fereidooni werden durch den Blick von außen Anregungen für die Weiterarbeit gewonnen. AdB: Wo steht aus Ihrer Sicht normale Professionskompetenz an- weise: Rassismus wird nicht nur bei so- die außerschulische politische gehender und fertig ausgebildeter genannten deprivilegierten Menschen Bildung mit Blick auf die Themen Lehrkräfte werden kann. Schulen reproduziert, sondern auch in der so- Rassismus, Rassismuskritik müssen die Dienste außerschulischer genannten Mitte der Gesellschaft. und Diversität? Wo sehen Sie politischer Bildung in Anspruch neh- Dass sich die sogenannte Mitte der die größten Leerstellen oder men, weil sie diese Kompetenzerwei- Gesellschaft für rassismusfrei hält und Probleme? terung in der Institution Schule nicht glaubt, sie hätte nichts mit Rassismus schaffen. Lehrer*innen müssen Fort- zu tun, verhindert schulische und au- bildungen besuchen, die von der au- ßerschulische Bildungsprozesse. Karim Fereidooni: Die größte Heraus- ßerschulischen politischen Bildung Viele Lehrkräfte und außerschuli- forderung liegt darin, die Kooperatio- oder der außerschulischen Bildung all- sche politische Bildner*innen wiegen nen zwischen außerschulischen und gemein angeboten werden. sich in der falschen Hoffnung, frei von schulischen Partnern überhaupt zu in- Rassismus zu sein. itiieren. Für außerschulische Anbieter Rassismuskritik ist ja keine Meiner Meinung nach spielen über- ist die größte Schwierigkeit demnach, Methode, die, angewandt, zu einem all wo Menschen zusammenkommen, in die Schulen zu gelangen, weil häu- „guten“ Ergebnis führt, sondern rassismusrelevante Wissensbestände, fig die mangelnde Zeit Lehrkräfte dazu bedarf eines grundlegenden struk- Handlungspraktiken und Sprechwei- veranlasst, nicht mit außerschulischen turellen Umdenkens in Institutio- sen eine Rolle. Somit lautet mein erster Bildungspartner*innen zusammenzu- nen und Organisationen. Welche Handlungsvorschlag: Erkennen Sie an, arbeiten. Wenn Lehrkräfte in einem Bereiche und Aspekte sind aus Ihrer dass Rassismus ein Strukturierungs- Turnus von 6 bis 8 Wochen Klassenar- Sicht dabei berührt? Wo müssen merkmal unserer Gesellschaft sowie beiten schreiben müssen, dann wird Strukturen hinterfragt, muss unserer schulischen und außerschuli- der Fokus auf eine vorbereitende Struk- Macht abgegeben, müssen Ressour- schen Bildungsinstitutionen ist. Rassis- tur gerichtet, die zum „Klausur-Erfolg“ cen geteilt werden? mus ist keine Ausnahmeerscheinung führt, aber weniger auf ganzheitliche oder ein „Problem“ in unserer Gesell- Bildungskonzepte, die außerschulische schaft, sondern überall in unserer Ge- Bildner*innen mit berücksichtigen. Ich glaube, eine große Herausforde- sellschaft präsent. Schulen müssen sich aber für au- rung ist tatsächlich, dass das Sprechen Genauso wie politische Bildner*in- ßerschulische Bildungspartner*innen über Rassismus in unserer Gesellschaft nen in der Lage sein sollten, ihren öffnen, damit Rassismuskritik als ganz tabuisiert ist. Ein Tabu lautet beispiels- Schüler*innen oder Klient*innen politi- 17
AdB-Jahresthema 2021 sche Wissensbestände beizubringen, es keinen Fortschritt geben. Diese Ziel- sollten sie sich drei Fragen stellen und setzungen können rassismuskritische auch in der Lage sein, diese Frage zu Zielsetzungen der Personal- und der beantworten. Organisationsentwicklung sein. Diese Ziele sollten mit Inhalten gefüllt wer- 1. Was hat Rassismus mit meinem den. Große Zielsetzungen bedürfen eigenen Leben zu tun? kleinerer Meilensteine und diese Mei- » Beider Rassismus- 2. Was passiert in meinem lensteine muss jede Institution für sich Berufskontext rassismusrelevantes, selber identifizieren und dann schauen: kritik geht es um die auch wenn ich das nicht möchte? Wie komme ich an das Ziel? Wer hilft Fähigkeit, sensibel und 3. Inwiefern befördern meine mir dabei? Was muss ich tun, um diese Ziele zu erreichen? selbstkritisch Materialien – Schulbücher, Es müssen Expert*innen zu Rate Gesetzestexte, Handreichungen über Rassismus und der außerschulischen politischen gezogen werden, die sich mit einer rassismuskritischen Personal- und Or- Rassismuserfahrungen Bildung etc. –, die ich für meinen ganisationsentwicklung beschäftigen. Professionskontext brauche, zu sprechen und auch rassismusrelevante Wissens- Rassismuskritik ist eine Querschnitts- aufgabe. Nur weil Menschen, die in die Strukturen bestände? ihrem Leben Rassismuserfahrungen dahingehend in den Bei der Rassismuskritik geht es um die machen, eingestellt worden sind, be- Fähigkeit, sensibel und selbstkritisch deutet das nicht automatisch, dass Blick zu nehmen über Rassismus und Rassismuserfah- rassismuskritische Veränderungen sowie Veränderungen rungen zu sprechen und auch die stattfinden. Denn auch Menschen, die Strukturen dahingehend in den Blick zu selber keine Rassismuserfahrungen ma- herbeizuführen. « nehmen sowie Veränderungen herbei- chen, müssen sich verändern. Und das zuführen. sind immer noch diejenigen, die Struk- Die curriculare Anbindung dieser turen verändern können. Themen in der ersten und zweiten Pha- Rassismuskritische Organisations- se der Lehrer*innenausbildung sowie entwicklung hat nichts mit Partikularin- in der Schule ist wichtig. teressen zu tun oder damit, dass man Ferner bin ich der Meinung, dass die Menschen of Color oder Schwarze Men- Schaffung neuer Professuren dafür not- schen bevorteilt werden, vielmehr be- wendig ist. deutet rassismuskritische Personal- und Rassismuskritik sollte in der ersten und Organisationsentwicklung, dass dieje- zweiten Phase der Lehrer*innenbildung nigen, die keine Rassismuserfahrungen als auch in der Lehrer*innenfortbildung machen, sich bewegen und sich kritisch eine Rolle spielen. Mometan ist das aber vor Augen führen, welche rassismusre- noch nicht der Fall. levanten Phantasien und Hindernisse dazu führen, dass sich eine Organisati- Können Sie sagen, was in Bezug on nicht breit aufstellt in Bezug auf eine auf Strukturen im außerschulischen diversitätsbewusste Gesellschaft. Bereich wichtig wäre? Es kann Manche Menschen glauben, wenn ja nicht nur darum gehen, mehr wir nur genug Menschen of Color oder Menschen mit Diskriminierungs- Schwarze Menschen einstellen, dann erfahrungen einzustellen oder haben wir schon genug getan. Das einzubeziehen. Was wären da glaube ich nicht. Meiner Meinung nach gewinnbringende Herangehens- müssen sich weiße Menschen, die nicht weisen, um bestehende Strukturen von Rassismus betroffen sind, mit ihren zu hinterfragen oder auch auf- rassismusrelevanten Wissensbeständen zubrechen? und Handlungsmaximen auseinander- setzen. Rassismuskritische Personal- und Organisationsentwicklung ist eine Jede Organisation muss sich zuerst Querschnittsaufgabe, die in die Struktur Ziele setzen. Ohne Zielsetzung kann von Organisationen implementiert wer- 18
den muss und zwar jenseits von befris- dafür zuständig erklären, sowie perso- teten Projekten. nelle und finanzielle Ressourcen bereit- stellen; jenseits von Projektstellen. Das Thema Rassismus ist nicht nur Das Projekt muss eng an den Vor- eine strukturelle Herausforderung stand angebunden sein; der Vorstand für die politische Bildung, sondern muss Leitlinien entwickeln und Ziele auch eine thematische. In vielen definieren, die man gemeinsam um- Bereichen der politischen Bildung setzt. Gemeinsam muss ein tragfähiges ist nicht genug Wissen vorhanden. Konzept entwickelt werden. Dass der Das Feld der politischen Bildung ist Vorstand Ziele identifiziert, diese breit groß und sehr unterschiedlich kommuniziert, sich um Transparenz organisiert und aufgestellt. Wie bemüht, damit sich andere Menschen kann man erreichen, dass sich nicht diesen Zielen anschließen können, ist nur einzelne bewegen, sondern ein gangbarer Weg. sich das Feld insgesamt weiterent- Der Vorstand muss den Beteiligten wickelt? Braucht es neue Allianzen? die Notwendigkeit für die rassismuskri- tische Personal- und Organisationsent- wicklung darlegen. Die Frage: „Warum Das kann mit Hilfe von Tagungen oder wollen wir das überhaupt?“ Könnte da- von Fortbildungsveranstaltungen ge- mit beantwortet werden, dass der Ver- schehen, indem man Tagungen zum band von Steuergeldern finanziert wird Thema Rassismuskritik veranstaltet, und diese wiederum auch von rassis- sich Peer-Feedback einholt und unter- muserfahrenen Menschen gezahlt wer- schiedliche Institutionen bittet, die viel- den, die aber quantitativ im Verband leicht weiter sind als man selbst, Best nicht repräsentiert werden. Practices-Modelle vorzustellen. Lernen Die Notwendigkeit könnte aber auch am Beispiel gehört sicherlich dazu. daher rühren, dass dem Verband die Mitglieder wegbrechen, u. a., weil sich Wenn wir einen Blick auf den die Anzahl rassismuserfahrener Men- Arbeitskreis deutscher Bildungs- schen erhöht hat, aber die Strukturen stätten werfen: Sie sind ja auch und Themen des Verbands dieselben Beiratsmitglied im Projekt „Poly- geblieben sind. In Bezug auf die ange- phon! Diversität in der politischen wendeten Konzepte könnte sich der Bildung stärken“. Das Projekt Verband fragen: Haben wir keine an- » Rassismuskritische ist ein Schritt innerhalb eines sprechenden Konzepte entwickelt, um Verbandsentwicklungsprozesses, in der Migrationsgesellschaft anzukom- Personal- und Organi- der vor einigen Jahren angestoßen men? sationsentwicklung wurde und der eben genau das zum Ziel hat: eine verbandliche Sie beobachten das Feld der ist eine Querschnitts- Heterogenität zu stärken und politischen Bildung aus wissen- aufgabe, die in die Struk- auch gesellschaftliche Vielfalt schaftlicher Perspektive. Wo ist besser abzubilden. Das Projekt aus Ihrer Sicht mehr evidenzbasierte tur von Organisationen kann nur ein Teil davon sein. Forschung nötig? Wo sollte es eine implementiert werden Was sind aus Ihrer Sicht die engere Zusammenarbeit und einen Grundvoraussetzungen, damit stärkeren Austausch zwischen muss und zwar jenseits dieser Prozess gelingt? Wissenschaft und Praxis geben? von befristeten Was wünschen Sie sich als Wissen- schaftler von der Praxis? Projekten. « Wichtig ist, dass die derzeitige Projekt- mitarbeiterin Narmada Saraswati nicht alleine gelassen wird, denn dieser Pro- Beispielsweise wäre es toll, wenn man zess ist keine Tätigkeit, die von einer nicht nur Interviewstudien durchführen einzigen Person bewältig werden kann. würde, sondern mit Hilfe der teilneh- Vielmehr muss sich der Gesamtverband menden Beobachtung in den Schulen 19
AdB-Jahresthema 2021 » Sie forscht und sich anschaut, was passiert dern wir rassistische Dinge, obwohl wir müssen ermitteln, da eigentlich Rassismusrelevantes? das selbst nicht wollen? was hat Rassismus Wir machen das in einem Projekt zum Sie sollten sich die Frage stellen, wie Thema Antisemitismus. Wir schauen es sein kann, dass im Jahr 2020 nach wie eigentlich mit unseren uns Unterricht der Fächer Deutsch, Ge- vor nicht so viele Menschen auf Color Strukturen zu tun? schichte, Politik, katholische, evangeli- oder Schwarze Menschen in wichtigen sche und islamische Religionslehre an Positionen in ihrem Verband sichtbar Inwiefern befördern und analysieren: Was passiert da antise- tätig sind. Was wurde dort verschlafen wir rassistische Dinge, mitisches? und inwiefern kann man das verändern? Besuchen Sie selbst als Vorstand obwohl wir das selbst Sehen Sie da für die außer- Anti-Rassismus-Workshops, damit Sie nicht wollen? « schulische Bildung eine Parallele einfach selbst erleben, durch welche oder gäbe es da noch andere gesellschaftliche Brille, aus welcher ge- Themen, Forschungsfelder, die sellschaftliche Position heraus Sie auf Sie wichtig finden? dieses Thema schauen. Ich würde Ihnen raten, Ziele zu for- mulieren. Ich würde Ihnen raten, einen Wichtige Frage sind diesbezüglich für Zeitplan aufzustellen, wann Sie welches mich: Wie verlaufen die Kooperationen Ziel erreicht haben möchten. Ich wür- zwischen Schule und außerschulischen de Ihnen darüberhinausgehend auch politischen Bildungspartnern? Was sind jenseits des Beirates des Projekts „Poly- Chancen und Fallstricke in der Zusam- phon!“ raten, professionelle Menschen menarbeit? zu engagieren, die sich mit rassismuskri- tischer Personal- und Organisationsent- Zum Abschluss: Was möchten wicklung beschäftigen. Alleine werden Sie dem AdB, seinen Mitglieds- Sie das nicht schaffen. Sie brauchen ein einrichtungen – den politischen Coaching und eine langfristige Beglei- Bildner*innen im AdB und darüber tung. hinaus – gern mit auf den Weg Und ich glaube, Sie schaffen das geben? nicht mithilfe eines einzigen Projekts, sondern mit Hilfe einer Umstrukturie- rung und mit Leitideen, die auch ausge- Bevor Sie was verändern können, bevor hend vom Vorstand entwickelt werden Sie nach außen wirken können, müssen können. Sie sich selbstkritisch mit ihren Struktu- ren beschäftigen. Sie müssen ermitteln, was hat Rassismus eigentlich mit unse- Wir danken Ihnen für ren Strukturen zu tun? Inwiefern beför- das Interview! Prof. Dr. Karim Fereidooni ist Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Rassismuskritik in pädagogischen Institutionen, Schulforschung und Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft und Diversitätssensible Lehrer*innenbildung. Er berät die Bundesregierung in dem Kabinettsausschuss der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sowie im Unabhängigen Expert*innenkreis Muslimfeindlichkeit des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. www.karim-fereidooni.de mail@karim-fereidooni.de 20
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