ADHS wirkt sich auch auf die Lebenserwartung aus
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Gastbeitrag Foto: privat Russel A. Barkley ADHS wirkt sich auch auf die Lebenserwartung aus In über 40 Jahren Forschung über ADHS und die damit ver- Im Verbund mit den gut bekannten Risiken wie Beeinträchti- wandten Störungen habe ich beobachtet, wie sich ein die gungen, ein Auto zu führen, antisozialen Aktivitäten, reaktiven Kindheit einschränkendes und relativ gutartiges Problem des Aggressionen und Gewalt in ihren Beziehungen reduzieren alle erhöhten Bewegungsdrangs (Hyperaktivität) hin zu einer Stö- diese Risiken ihre Lebenserwartung im Vergleich zur Normalbe- rung des Zuschauens und Zuhörens (Aufmerksamkeitsstörung) völkerung. Im Durchschnitt sind es neun bis 13 Jahre weniger. entwickelt hat. Dies hat nachteilige Konsequenzen für den Bei mindestens einem Drittel kann sogar von einer Reduktion Lernerfolg von Kindern und entwickelte sich weiter zu einem der Lebenserwartung von 20 Jahren ausgegangen werden. Problem der Exekutivfunktionen und Selbstregulierung. Es betrifft mit hoher Beständigkeit während der gesamten Ent- Solche Zahlen sind atemberaubend, da sie fast jeden anderen wicklung nicht nur das Lernen, sondern viele weitere Funkti- Einzelrisikofaktor (Adipositas, Fehlernährung, Rauchen, Alkohol, onsbereiche. Schlafstörungen), der den Gesundheitsbehörden zufolge die Lebenserwartung beeinflusst, übertrifft. Warum? Weil ADHS die Es wird inzwischen als eine ernsthafte und beeinträchtigende Prädisposition für alle diese sowie weitere schlechten Lebens- Störung angesehen und als eine der höchsteinschränkenden gewohnheiten ist. psychischen Störungen eingestuft, die ambulant behandelt werden. Trotzdem wurde ADHS in der vergangenen Dekade, Dieses Heft befasst sich mit dem Stand der Forschung von und insbesondere in den vergangenen Jahren, nicht als eine ADHS, seiner Diagnose, und Behandlung, und warum es zuneh- primäre psychische Störung angesehen, sondern als eine Stö- mend offensichtlich ist, dass es offenkundig als Störung der rung der öffentlichen Gesundheit (public health disorder). Volksgesundheit (chronic public health disorder) betrachtet werden muss und nicht nur als Geistesstörung (mental health Warum ist das so? disorder), wofür es lange angesehen wurde. Weil eine zunehmende Evidenz zeigt, wie negativ die Auswir- kungen bei unbehandeltem ADHS in Belangen der Gesundheit, Mein Kompliment geht an die Herausgeber und die Autoren, dem Lebensstil und Wohlbefinden und Gesundheitspflege die diese wichtigen Informationen zusammengetragen haben, (medical hygiene) sind. die Fachleute zum Verständnis benötigen, wenn sie Behandlun- gen für Patienten mit ADHS anbieten. Patienten, die mit ADHS aufwachsen, sind im Vergleich zu Gleichaltrigen fast doppelt so häufig gefährdet, in ihrer Kind- heit bei Unfällen und mehr als viermal so häufig gefährdet im mittlerem Lebensalter aufgrund von Unfällen, Missgeschicken und sogar Selbstmord zu sterben. Russel A. Barkley, Ph. D. Patienten mit ADHS sind auch doppelt so häufig gefährdet, als Professor für Psychiatrie am Behandlungszentrum für Kinder junge Erwachsene eine Adipositas zu entwickeln. Sie neigen zu im Klinikum der Virginia Commonwealth Universität ungesunder Ernährung, leiden an Schlafstörungen, treiben in Richmond, Virginia. weniger Sport und haben ein erhöhtes Risiko zum Tabak Rau- chen und zum exzessivem Konsumieren von Alkohol und ande- Russel A. Barkley gilt als weltweiter Experte im Bereich der ren Rauschmitteln. Kinder- und Jugendpsychiatrie beim Thema ADHS. 10 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
Schwerpunkt Foto: Peters ADHS ist keine M ode -K rank heit, sonder n war bereits im 18. Jahr hunder t bek annt. Wie beispielsweise beschr ieben in: M.A. Weik ard, D er Philosophische Ar zt, erste Auflage 1775, Linz, gedruckt bei Johann Thomas Edlen von Trattner r, k .k . Hofbuchdruck e r, u n d Ho fb u c h h ä n d ler n . ADHS: Medizinhistorische Entwicklung Helmut Peters Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (AD[H]S) mit einer weltweiten Prävalenz von 5,3 Prozent ist eine häufige chroni- sche Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen; die Persistenz bis in das Erwachsenenalter beträgt bis zu 80 Prozent. Deshalb sollte es jedem Kinderarzt, Hausarzt, Kinder- und Jugendpsychiater, Neuropädiater, Psychiater und Neurologen gut bekannt sein. Das Thema der mangelnden Aufmerksamkeit, Unkonzentriertheit und Vergesslichkeit beschäftigt unsere Gesellschaft seit vielen Jahrhunderten. Es steht in engem Zusammenhang mit unserer Sozialisation. 1717, am 28. September, führte der Preußenkönig Friedrich der Aufmerksamkeit“ (Attentio volubilis). Seine empfohlene Wilhelm I. für seine Bürgerinnen und Bürger die allgemeine „Heilart“ wie: kalte Bäder, Milch, Sauerwasser, bloße Fieberrinde, Schulpflicht ein. Schnell wurde deutlich, dass es Kinder gab, die Vermeidung von Kaffee, Gewürzen, hitzigen Getränken und trotz des sehr strengen preußischen Erziehungsstils Probleme erhitzenden Leidenschaften, stattdessen Stille, Einsamkeit, Ge hatten, still zu sitzen und sich zu konzentrieren. mütsruhe, Reiten und Gymnastik sind aus heutiger Sicht nicht geeignet zur Therapie. Heute wissen wir, dass beispielsweise 1768 verfasste deshalb der Schweizer Pädagoge und Philosoph Coffein als stimulierende Substanz – wenn auch unzulänglich – Johann Georg Sulzer sein vierteiliges Werk „Vorübungen zur geeignet ist, den ADHS-Symptomen entgegenzuwirken. Erweckung der Aufmerksamkeit und des Nachdenkens“. Sulzer war von König Friedrich II. nach Berlin geholt worden und 1798 führte der schottische Arzt Alexander Crichton die Stö- wurde dort Direktor der Akademie der Wissenschaften. rung in seinem Werk „An inquiry into the nature and origin of mental derangement“ eingehender aus. 1773 veröffentlichte der Badearzt Melchior Adam Weikard in seinem dreibändigen Werk „Der philosophische Arzt“, die Erst- 1842 beschrieb der amerikanische Psychologe William James in beschreibung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms bei Er seinem Werk „The Principles of Psychology“ die beim ADHS wachsenen. Er bezeichnete diese Störung bereits als „Mangel auftretenden Impulskontrollstörungen. Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019 11
Schwerpunkt 1845 zeigte der Frankfurter Arzt Heinrich Hofmann in seinem 1981 wird Ritalin wegen missbräuchlicher Anwendung in der Buch „Der Struwwelpeter“ phänomenologische Aspekte sowie Drogenszene betäubungsmittelpflichtig gestellt. Ritalin in Komorbiditäten der ADHS auf. Zappelphillipp, Hanns Guck-in- Ampullenform zur parenteralen Anwendung, für die es eigent- die-Luft, der böse Friederich, Paulinchen und der Suppenkas- lich nie eine Indikation gegeben hat, wird 1988 vom Markt per als allseits bekannte Figuren. genommen. Die für Patienten mit ADHS so wichtige Stimulan- tienbehandlung unterliegt bis heute leider einer kontroversen 1887 synthetisiert der rumänische Chemiker Lazar Edeleanu Diskussion. Wegen heftiger Anfeindungen beispielsweise Phenylisopropylamin, später Amphetamin genannt, an der durch die Scientologen wurde das Präparat von der Pharmain- Humbold-Universität in Berlin; aber erst dustrie ungeachtet seiner großen klinischen Bedeutung nicht weiterentwickelt und auch nicht beworben. Über 20 Jahre war 1920 wird die antriebs- und konzentrationssteigernde sowie Methylphenidat ausschließlich in unverzögerter Form als Rita- stimmungsaufhellende Wirkung der Substanz von dem ameri- lin auf dem Markt. Die Wirkdauer ist hier halbwertszeitbedingt kanischen Chemiker Gordon A. Alles beschrieben. auf drei bis vier Stunden begrenzt und somit für den Schulein- satz zu kurz. 1937 publiziert der amerikanische Kinderarzt und Neurologe Charles Bradley über die „überaus positiven Ergebnisse einer Wegen ihrer unübersehbaren Wirksamkeit zum Wohl der Pati- dreiwöchigen Behandlung von 30 Schulkindern mit 20 mg enten ist die Stimulantienbehandlung mittlerweile in vielen Amphetamin täglich. Unmittelbar nach Einnahme geraten sie Ländern durch Leitlinien abgesichert, etabliert und zum soge- in einen Zustand der Ruhe und Entspannung, jegliche Hyper- nannten Goldstandart erhoben. Dieser Durchbruch erfolgte aktivität und Nervosität glitt von ihnen ab ... Die Wirkung ver- schwindet unmittelbar nach dem Absetzen.” In diesem Jahr 2002 als Concerta als erstes Retardpräparat zugelassen werden haben die Temmlerwerke das seit 1893 bekannte Methamphe- konnte. Es folgten nun zahlreiche neue retardierte Stimulan- tamin patentiert und dann als Pervitin vertrieben. Wegen der tien-Präparate: 2003 Medikinet; 2006 Equasym, Medikinet damit gesteigerten Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit, adult; 2008 Medikinet retard; 2007 Ritalin LA; 2010 Ritalin Adult; euphorisierenden Wirkung wurde es im zweiten Weltkrieg mil- 2013 Elvanse und 2015 Attentin. Darüber hinaus wurden mit lionenfach bei den Soldaten eingesetzt und war bis in die 80er Strattera im Jahre 2004 und Intuniv im Jahre 2015 auch Medi- Jahre in militätischer Verwendung. Als Crystal Meth wird es bis kamente mit anderen Wirkstoffen zugelassen. heute – illegal produziert – von Millionen von Menschen ein Die Pharmakotherapie des ADHS ist ein wichtiger Bestandteil genommen. Auch Amphetamine werden militärisch noch ein- des multimodalen Behandlungskonzeptes. Die Kenntnis hier- gesetzt. über ist auch aus volkswirtschaftlicher Sicht relevant. Der durch diese Erkrankung und ihre Auswirkungen entstandene Scha- 1944 synthetisiert Leandro Panizzon in der Schweiz Methylphe- den bei Nicht-Behandlung wurde 2005 in den USA auf 77 Milli- nidat. Er benennt das Präparat nach seiner Frau Marguerite arden USD beziffert. („Rita“) Ritalin®, welches 1953 auf den Markt kommt. Ritalin wird in Folge auch als Appetitzügler, gegen chronische Müdig- keit und leichte Depressionen eingesetzt. Auto r: Dr. Helmut Peters 1963 berichten die amerikanischen Kinder- und Jugendpsych- langjähriger, ehemaliger Leiter iater C. K. Conners und Leon Eisenberg in kontrollierten Studien des Zentrums für Kinderneurologie Foto: privat über die Wirkung von Methylphenidat bei Kindern mit „mini- und Sozialpädiatrie mal brain disorder“ / „minimal brain dysfunction“. der Rheinhessen-Fachklinik Mainz 12 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
Schwerpunkt Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom AD(H)S bei Kindern und Jugendlichen Helmut Peters Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist keiten (Dissozialität, Straffälligkeit, Suchtentwicklung), Gemüts- eine ernst zu nehmende Erkrankung. Bei den betroffenen Kin- störungen (Depressivität, Angststörungen). Auch die Bewe- dern ist die Störung oft so ausgeprägt, dass es zu deutlichen gungssteuerung ist oft auffällig: muskuläre Hypotonie, motori- Schwierigkeiten in wichtigen Lebenssituationen führt und sche Ungeschicklichkeit (Clumsiness). Komplexe motorische häufig Konflikte in zwischenmenschlichen Beziehungen nach Funktionen wie Schreiben und Sprechen können erheblich sich zieht. Legt man die Häufigkeit im Kindesalter von 5,3 Pro- gestört sein. Wegen dieser motorischen Auffälligkeiten hieß zent zugrunde, sind in Deutschland circa eine halbe Million das ADHS früher MCD (Minimale cerebrale Dysfunktion). Wei- Schulkinder, in Rheinland-Pfalz 25.000 Kinder, im Alter von tere Symptome sind Einnässen (Enuresis) und Einkoten (Enko- sechs bis 18 Jahren betroffen. presis), insbesondere, wenn dies tagsüber auftritt. Die Kinder reifen langsamer. Die Patienten zeigen Symptome in drei Kategorien (Kern- Symptome): Die Patienten zeigen sehr viel positive „Auffälligkeiten“. Sie sind - Störung der Impulskontrolle (Exekutivfunktionen), sehr phantasievoll, kreativ, herzlich, humorvoll, nicht nachtra- - Störung von Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit, gend und haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. - motorische Unruhe – Hyperaktivität Dies prädestiniert sie für Berufe, in denen Kreativität gefragt ist. Die Symptome können von Kind zu Kind sehr unterschiedlich D iag no sestellung ausgeprägt sein. Je nach Ausprägung der Symptome, klassifi- ziert man die Aufmerksamkeitsstörung in einen Es gibt keinen spezifischen ADHS-Test. Die Diagnose erfolgt ausschließlich aufgrund der Bewertung der klinischen Auffäl- - vorwiegend überaktiv-impulsiven Typ – ADHS, ligkeiten. Diese angeborene Störung des Neurotransmitter- - vorwiegend unaufmerksamen Typ – ADS, stoffwechsels kann ab dem dritten Lebensjahr diagnostiziert - wenn alle Kernsymptome vorliegen – ADS vom Mischtyp. werden. Definitionsgemäß müssen von den sogenannten DSM-V-Krite- ADHS-Patienten zeigen rien (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) sehr viel positive Auffällig- beziehungsweise ICD-10 altersabhängig genügend Kriterien der Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität und Impulsivi- keiten. Sie sind sehr tät vorliegen. Dabei ist die ärztliche Kenntnis über die Aufmerk- phantasievoll, kreativ, samkeitsstörung und ihre Differentialdiagnosen von zentraler herzlich, humorvoll, nicht Bedeutung. nachtragend und haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Dr. Helmut Peters Die Auffälligkeiten können sehr variabel sein. Oft sind die Kin- der leicht ablenkbar, vergesslich, haben große Probleme mit der Daueraufmerksamkeit; sie können nicht sitzen bleiben, sind ständig in Bewegung, wechseln oft ihre Betätigung und ande- res mehr. Mit zunehmenden Alter zeigen sie weitere Symptome: Störun- gen des Lesens und Rechnens (Teilleistungsstörung), wieder- kehrende Muskelzuckungen (Tic-Störung), Verhaltensauffällig- Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019 13
Schwerpunkt Bei Schulproblemen ist eine Intelligenztestung zum Ausschluss gen, seine Leistungen zeigen und weitere Einnahme in der einer Über- oder Unterforderung auszuschließen. Je nach Pro- Schule vermieden werden. Wichtig ist es, die optimal wirksame blemlage werden ergänzend weitere diagnostische Verfahren Dosis sorgfältig titrierend zu ermitteln. wie, laborchemische Parameter und EEG-Ableitungen veran- lasst. Wenn die passende Medikation ermittelt ist, wird für die Dauer eines Jahres behandelt. Anschließend wird eine Pause einge- B e ha ndl u n g legt. Es wird Bilanz gezogen und so geklärt, ob die Medikation beendet werden kann, oder ob es notwendig ist, weiter zu Der Komplexität der Symptomatik des ADHS ist in der Behand- behandeln. Ferner sind halbjährliche klinische Kontrollen vor- lung zu entsprechen. Die Therapie ist multimodal angelegt, geschrieben. Wenn die Behandlung nicht wirkt oder nicht ver- allen wichtigen Bezugspersonen, Familie, Lehrerinnen und tragen wird, können andere Medikamente eingesetzt werden: Lehrer sollten Kenntnisse über das Störungsbild und den dazu- Amphetamin, Atomoxetin, Guanfacin. gehörigen Symptomen und dem angemessenen Umgang damit (Psychoedukation) vermittelt werden. Das Ziel: auf jeden Sollten bei wirksamer und korrekter medikamentöser Behand- Fall vermeiden, dass Kinder wegen ihrer Vergesslichkeit, Merk- lung Auffälligkeiten fortbestehen, sind hierauf abgestimmte störung, Unordentlichkeit und schlechter Schrift ständig weitere Maßnahmen für die Patienten und ihr Umfeld erfor gegängelt werden. Dies steht einer gedeihlichen Entwicklung derlich. Hierfür stehen mit Verhaltenstherapie zur Bewältigung der kindlichen Persönlichkeit und seinem Selbstwertgefühl des Alltags bis hin zur systemischen Familientherapie, die das entgegen. Diese Auffälligkeiten sind Symptome einer Erkran- ganze System betrachtet, viele Methoden zur Verfügung. Indi- kung und keine kindlichen Böswillig- oder Bequemlichkeiten. viduelle Besonderheiten wie Störungen des Selbstwertgefühls, Prüfungsängste oder Depressionen können in einer individuel- len Psychotherapie bearbeitet werden. Nicht wirksam sind – insbesondere nicht auf die Konzentration – die so oft einge- Die ADHS-Therapie ist setzte Ergotherapie (ausgenommen schulvorbereitende Behand multimodal angelegt. lung der Feinmotorik) und homöopathische Medikationen Dr. Helmut Peters (Zappelin®, Bachblüten). Pro g no se (Ausblick ) Bei vielen Patienten wird darüber hinaus eine Pharmakothera- pie erforderlich sein. Umso dringlicher, je kritischer die gegen- In der Annahme einer genetischen Störung der Botenstoffsteu- wärtige Lage des Patienten ist. Drohende Klassenwiederholung, erung, ist folgerichtig diese Erkrankung ursächlich nicht heilbar, Schulverweis, zunehmende Frustration bis hin zu Äußerungen, wohl aber sehr gut behandelbar. Dies erklärt, warum die Wei- so nicht mehr leben zu wollen, sind eindeutige Indikationen für terbehandlung über das 18. Lebensjahr hinaus oft erforderlich eine medikamentöse Behandlung. Da dem Störungsbild ein zu ist, damit die Patienten nicht unter ihren Symptomen leiden schneller synaptischer Dopaminrücktransport zu Grunde liegt, oder in Selbstbehandlungsversuchen zu anderen, zum Teil ist es nicht überraschend, wenn die Behandlung mit Medika- süchtig machenden Substanzen wie Cocain greifen. menten, die diesen zu raschen Dopamintransport in das nor- male Maß abbremsen, von zentraler Bedeutung und hoher Wirkung ist. Es kann unter einer sorgfältigen Pharmakotherapie Weiterbehandlung nach so die völlige Beseitigung der Auffälligkeiten erreicht werden. dem 18. Lebensjahr ist Zitat einer Mutter: „Ich merke nichts, wenn er sein Medikament oft erforderlich. einnimmt, ich merke es sehr, wenn er es nicht einnimmt.“ Dr. Helmut Peters O f t i st e i n e Ph ar makot h erap i e er ford erlich Die Medikation der Wahl sind Stimulantien (Methylphenidat, Erfreulicherweise ist nach langem, langem Kampf im Juni 2011 Amphetamin). Sie verringern nachgewiesenermaßen die Kern- jetzt endlich auch in Deutschland Methylphenidat zur Behand- symptome, verbessern die Fähigkeit, Regeln einzuhalten und lung Erwachsener zugelassen worden. Eine notwendige reduzieren emotionale Übererregbarkeit. Begonnen wird die Behandlung der Patienten, die von schicksalhafter Bedeutung Einnahme mit nicht retardiertem Methylphenidat. Bei passen- ist; es ist keine, wie häufig zynischerweise zitiert, Lifestyle der Dosis zeigt sich bereits 30 Minuten nach Einnahme die behandlung. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass durch Wirkung, die für die Dauer von circa drei bis vier Stunden eine konsequente und gute Behandlung Komorbiditäten ver- anhält. Im zweiten Schritt wird jetzt auf eine Verzögerungsform mindert werden können. passend zum kindlichen Alltag umgestellt. Ziel ist es für die Zeit in der Schule eine gleichmäßige Wirkung der Medikation zu Ohne Behandlung ist der Weg dieser Patienten gekennzeichnet erzielen. So kann das behandelte Kind dem Unterricht gut fol- von Beziehungskonflikten, Depressionen, Selbstwertgefühls- 14 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
Schwerpunkt störungen, Abbrüchen von Ausbildungsgängen, häufigen Arbeitsplatzwechseln, Suchtproblemen und vielem mehr. Die D ie interdisziplinäre ADHS -Leitlinie S3 Zukunftsentwicklung der Patienten ist schlechter bei niedriger Intelligenz, niedrigem sozioökonomischen Status, stark oppo- Die interdisziplinäre evidenz- und konsensbasierte (S3) sitionellem und aggressivem Verhalten, gering ausgeprägten Leitlinie „Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung Freundschaftsbeziehungen, emotionaler Labilität und ausge- (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ soll prägter elterlicher Psychopathologie im Sinne einer erhöhten in allen Bereichen der Prävention, Diagnostik und Behand genetischen Belastung. lung der ADHS im Kinder-, Jugendlichen- und Erwachse nenalter eingesetzt werden und richtet sich an alle Wegen des Fortbestehens der ADHS-Thematik in das Erwach- ambulanten, teilstationären und stationären Versorgungs senenalter ist rechtzeitig die Transition zu erwägen und für einrichtungen und Berufsgruppen, die Kinder, Jugend jeden einzelnen Patienten zu realisieren. liche und Erwachsene mit psychischen Störungen oder speziellem Förderbedarf diagnostizieren oder eine Therapie für Personen mit ADHS anbieten oder Pati- enten mit ADHS und ihre Familien. In der Leitlinie, die Au to r: die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizi- Dr. Helmut Peters nischen Fachgesellschaften veröffentlicht, wird das Stö- langjähriger, ehemaliger Leiter rungsbild diagnostisch wie therapeutisch detailliert auf des Zentrums für Kinderneurologie 198 Seiten abgehandelt: https://www.awmf.org/uploads/ Foto: privat und Sozialpädiatrie tx_szleitlinien/028-045k_S3_ADHS_2018-06.pdf (eb) der Rheinhessen-Fachklinik Mainz ADHS -Leitlinien im Üb erblick Wegen der großen klinischen und gesellschaftlichen Be deutung des ADHS gibt es zahlreiche nationale Leitlinien. Hier seien drei davon erwähnt. Wer sich eingehender mit dem Störungsbild befassen möchte, kann sich diese Leit- linien mittels der unten angegebenen Internet-Zitate herunterladen: Die deutsche AWMF-Leitlinie aus dem Jahre 2017: [https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-045.html] Kurzfassung von 81 Seiten; Langfassung 198 Seiten Die englische NICE-Leitlinie (National Institute of Clini- cal Excellence), Attention deficit hyperactivity disorder: diagnosis and management NICE guideline aus dem Jahre 2018 vom National Collaborating Centre for Mental Health im Auftrag des National Institute for Health & Cli- nical Excellence. [https://www.nice.org.uk/guidance/ng87/resources/ attention-deficit-hyperactivity-disorder-diagnosis-and- management-pdf-1837699732933] Kurzfassung 62 Seiten, Langfassung (full guideline) 662 Seiten Die amerikanische Leitlinie aus dem Jahre 2011 von der American Academy of Child and Adolescent Psychiatry und der American Academy of Pediatrics https://pediatrics.aappublications.org/content/ pediatrics/128/5/1007.full.pdf [Subcommittee on Attention-Deficit/Hyperactivity, D., et al., ADHD: clinical practice guideline for the diagnosis, evaluation, and treatment of attention-deficit/hyperacti- vity disorder in children and adolescents. Pediatrics, 2011. 128(5): p. 1007-22] 16 Seiten (eb) Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019 15
Schwerpunkt Für ADHSler kommt die rechtliche Volljährigkeit mit 18 Jahren oft zu früh Günther Endrass Obwohl in Fachkreisen schon seit der Jahrtausendwende den, Rahmenbedingungen in der Familie und am Arbeitsplatz, bekannt, wird immer noch die ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit- störungsspezifische Entwicklungsgeschichte, Ressourcen, Wün- Hyperaktivitäts-Störung) beziehungsweise ADS (Aufmerksam- sche und Bedürfnisse des Patienten, Familienanamnese, psy- keits-Defizit-Störung) überwiegend als eine typische Krankheit chopathologische Beurteilung des Patienten und körperliche von Kindern und Jugendlichen angesehen. Dabei dauern nach zahlreichen Studien die Symptome in unterschiedlicher Aus- prägung bei 50 bis 70 Prozent der Betroffenen bis ins Erwach- ADHS-Symptome reichen senenalter an, gelegentlich sogar bis ins Seniorenalter und weit ins Erwachsenen- werden noch zu wenig diagnostiziert und therapiert. alter hinein. Dr. Günther Endrass Deshalb sind erwachsene Patienten mit Aufmerksamkeitsdefi- zit-/Hyperaktivitätsstörung viel häufiger in der Bevölkerung (geschätzt drei bis fünf Prozent), als Patienten vieler anderer psychischer Erkrankungen, wie zum Beispiel Psychose oder sowie neurologische Untersuchung. Die Basis der Beurteilung Schizophrenie. ist wie bei allen psychischen Störungen, das diagnostische Interview; zum Beispiel als strukturiertes Interview ADHS-DC Wesentlich verändern wird sich die Situation durch die 2018 (Bestandteil HASE, Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene). veröffentlichte erstmalige S3-Leitlinie zur Diagnostik und The- Selbstbeurteilungsverfahren verbreitern die Informationsbasis, rapie von ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. sind für die Diagnose aber alleine nicht ausreichend. D i a gn o se ste l l u n g B ehand lung Auch für das Erwachsenenalter sind für die Feststellung einer Erfüllt ein Erwachsener mit AD(H)S die diagnostischen Kriterien, ADHS die diagnostischen Kriterien der ICD-10 und des DSM sollte geprüft werden, welche Behandlungsoptionen möglich 5 maßgeblich. Ein diagnostischer Entscheidungsbaum bietet sind und welche von den Patienten gewünscht werden (parti- eine Übersicht zu den verschiedenen diagnostischen Lösungs- zipative Entscheidungsfindung). Hilfreich ist hierzu der diffe- möglichkeiten. Bei allen Patienten mit Entwicklungs-, Lern- undrentialdiagnostische Entscheidungsbaum zur psychosozialen Leistungs- sowie Verhaltensproblemen oder anderen psychi- (einschließlich psychotherapeutischen)/pharmakotherapeuti- schen Störungen mit Hinweisen auf Beeinträchtigung der schen Behandlung von Erwachsenen mit ADHS (Abbildung). Aufmerksamkeit und Konzentration oder auf Unruhe und Bei der Therapieauswahl sollten persönliche Faktoren, Umge- Impulsivität, sollte die Möglichkeit einer ADHS in Erwägung bungsbedingungen beruflich und privat, der Schweregrad der bezogen werden. Dies insbesondere (Red Flag) bei Vorliegen Störung sowie komorbide Störungen berücksichtigt werden. von einem oder mehreren psychiatrischen Störungsbildern, die Die Behandlung soll als multimodales Behandlungskonzept trotz einer leitliniengerechten Diagnostik oder Behandlung ausgelegt werden mit psychosozialen (einschließlich psycho- sich bezüglich der Symptomatik nicht oder nicht stabil verbes- therapeutischen) und pharmakologischen sowie ergänzenden sern. Interventionen. Eine umfassende Psychoedukation ist jedoch stets der erste Schritt der Behandlung. Hilfreich sind hierbei Die diagnostische Abklärung soll nach Leitlinie durch einen neben schriftlichem Informationsmaterial auch qualifizierte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neu- Internetseiten wie zum Beispiel www.zentrales-adhs-netz.de. rologie, Facharzt für psychosomatische Medizin, oder durch ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten mit entspre- Pharmakologische Interventionen der ADHS adult chender Weiterbildung, vorgenommen werden. Dafür ist eine umfassende strukturierte Exploration des Patienten und (wenn Im Gegensatz zur Situation bei Kindern und Jugendlichen wird möglich) einer Bezugsperson zu folgenden Themen erforder- im Erwachsenenalter eine Pharmakotherapie als primäre Be lich: Aktuelle ADHS-Symptomatik, Einschränkung der Alltags- handlungsoption – neben der initialen Psychoedukation bei funktionalität, koexistierende somatische und psychische Lei- leichter, moderater und schwerer Symptomausprägung und 16 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
Schwerpunkt entsprechend den funktionellen Einschränkungen durchge- aber relevant für die weitere Diagnostik und Therapie der ADHS führt werden. adult. Sie haben additive Effekte und führen, außer zu einer wechselseitig größeren Krankheitsschwere und schlechteren Die Medikation soll nach Leitlinie und Zulassung der Medika- Prognose, oft auch zu einer erforderlichen Anpassung der mente nur von einem entsprechenden qualifizierten Facharzt eventuellen Medikation. So werden die häufig – bei fehlender für Nervenheilkunde, Psychiatrie und Psychotherapie, für Neu- ADHS-Diagnosestellung – wegen der Agitiertheit der Betroffe- rologie und von ärztlichen Psychotherapeuten angewendet nen, eingesetzten dämpfenden Medikamente (sedierende werden. Antidepressiva oder Neuroleptika) oft schlecht vertragen. Zu beachten ist des Weiteren, dass bei einer akuten schweren psy- Nach erfolgter medikamentöser Einstellung durch einen Spe chischen Störung ohne Vordiagnose ADHS, wegen der hohen zialisten für Verhaltensstörung (subsumierender Begriff für Beschwerdeüberlappung zunächst keine Neudiagnose ADHS obige qualifizierte Fachärzte nach der Fachinformation der in gestellt werden kann. Diese komorbiden Störungen sollen Deutschland zugelassenen Medikamente) können auch Haus- leitliniengerecht und in der Reihenfolge des Schweregrads und ärzte für ein halbes Jahr Folgeverordnungen und die damit der Präferenz des Patienten behandelt werden. Aus kassen- verbundenen Kontrolluntersuchungen vornehmen. Es sollen rechtlichen Gründen ist bei Verordnung entsprechender Präpa- aber weiterhin regelmäßige Vorstellungen beim Spezialisten rate zur Behandlung der komorbiden Störung unbedingt auf erfolgen, um die Wirksamkeit der Behandlung und deren fort- die entsprechende zusätzliche, zulassungskonforme ICD-Kodie bestehende Notwendigkeit zu überprüfen. rung zu achten. O nline - Q ualitätszirkel für b essere Vernetzun g Im Gegensatz zur Situation bei Kindern und Ein weiteres Problemfeld ist die bessere Vernetzung von Fach- Jugendlichen wird im ärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Fachärzten für Allgemeinmedizin, mit Fachärzten für Psychiat- Erwachsenenalter eine rie und Psychotherapie. Dies wurde aber aktuell organisato- Pharmakotherapie als risch erleichtert durch seit Mai 2019 in Rheinland-Pfalz mögli- primäre Behandlungs che, KV-anerkannte Online-Qualitätszirkel zum Beispiel per option durchgeführt. Skype. Dr. Günther Endrass In einem ersten dieser Art, erfolgte die Vernetzung unter ande- rem auf Berufsverbandsvorstandsebene. Als erstes Ergebnis Häufig entwickeln Betroffene ein sehr gutes Verständnis für die wurde von den Berufsverbandsvorsitzenden der Kinder- und Wirkung der Stimulanzien und setzen diese in Abhängigkeit Jugendpsychiater, sowie Erwachsenenpsychiatern ihren Mit- von ihrer persönlichen Alltagssituation sehr differenziert ein gliedern der Einsatz der Transitionsbögen des ADHS-Experten- („intelligente Non-Compliance aber hohe Therapieadhärenz “). rates zur strukturierten Informationsweitergabe für den Über- (siehe auch Artikel Pharmakotherapie) gang vom Jugendlichen ins Erwachsenenalter empfohlen. Akt u e l l e Pro bl em feh l er d er D i ag n os t i k u n d Transitio n braucht Zeit B eha ndl u n g Sinnvoll sind aber auch längere Übergangszeiten mit einem Wesentlich für das Verständnis von ADHS adult sind die häufi- Jahr Parallel-Behandlung. Zumindest sollte zur Vermeidung von gen Komorbiditäten, mit einer Häufigkeit über die Lebenszeit Wartezeiten/Engpass bei Rezeptausstellung, spätestens mit von 88 Prozent, aktuell (12 M.) 66 Prozent. So finden sich häufig 17,5 Jahren durch den Vorbehandelnden, die Aufforderung zur Depressionen (70 Prozent kurze Episoden, in 35 Prozent Terminvereinbarung bei Erwachsenenpsychiater/Nervenarzt schwere Episoden), Angststörungen (chronisches Versagen erfolgen. Dabei haben wir als Erwachsenenpsychiater in der durch ADHS – Symptome, bis 53 Prozent), Zwangsstörungen, Regel keine Ahnung vom Jugendhilfesystem, das bisher häufig Posttraumatische Belastungsstörung (Risiko erhöht bei ADHS, die Behandlung im Kindes- und Jugendlichenalter unterstützt 12 Prozent zu 3 Prozent), Borderline-Persönlichkeitsstörung (bis hat und jetzt meist wegfällt. Für ADHSler kommt die rechtliche 60 Prozent haben ADHS), Substanzmissbrauch (bis 8 Prozent), Volljährigkeit mit 18 oft „zu früh“ (psychosozial oft erst im bipolare Störungen (bis zu 10 Prozent), Tourette-Syndrom, Teil- 21. Lebensjahr) und stellt für die jungen Erwachsenen einen leistungsstörungen. regelrechten „Kulturschock“ bezüglich des Behandlungsrah- mens dar. Deshalb müssen wir als Psychiater unsere Kommuni- Diese Komorbiditäten sind häufig bei Erstkontakt von Erwach- kation in dieser Situation, auch mit der für uns ungewohnter senen im Vordergrund oder dominieren sogar das Beschwerde- Einbeziehung der Eltern, erst daran anpassen. bild, sodass die ADHS-Diagnose oft erst im Verlauf gestellt Weiterhin wird aber auch noch immer im ambulanten und werden kann (siehe Red flag). Gleichzeitig ist deren Erfassung stationären psychiatrisch-psychosomatischen Versorgungsbe- Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019 17
Schwerpunkt reich die Diagnose ADHS angezweifelt, oder ist die möglich schon mit „klassischen Diagnosen“ oder mit Richtlinienpsycho- strukturierte Diagnostik nicht etabliert. Hier wird sicherlich, therapie ausgelastet. Obwohl bereits häufig in Praxen etabliert, neben der Existenz einer S3- Leitlinie, die bessere Verankerung ist die BTM-Rezeptierung manchmal auch noch ein bürokrati- in der neuen (Muster)-Weiterbildungsordnung mit Aufnahme sches Hindernis. des Punktes „Behandlung mittels bio-psycho-sozialen Behand- lungsansatz unter Berücksichtigung der Transitionsphasen“ Des Weiteren fehlt es auch an weitergebildeten Psychothera- eine Verbesserung der Versorgungsrealität erreichen. Mit ihrer peuten und der mangelnden Akzeptanz der meist erforderli- Umsetzung ist in Rheinland-Pfalz für 2020/2021 zu rechnen. chen, begleitenden medikamentösen Behandlung, trotz Präfe- renzierung nach Studien und aktueller S3-Leitlinie. Deshalb sind hierzu gemeinsame Weiterbildungen in Rheinland-Pfalz Die Behandlung von angedacht. motivierten ADHS-Patien- ten ist eine ärztlich sehr Im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie gilt die Behandlung befriedigende Arbeit mit von ADHS oft noch als schwierig (hohe Komorbiditätsrate, oft mehr Erfolgen als bei Abgrenzungsprobleme besonders bei Borderline-Störung und bipolarer Erkrankung, Suchtthema). Dabei ist nach Erfahrung anderen psychiatrisch- vieler Kolleginnen und Kollegen die Behandlung von motivier- psychosomatischen ten ADHS-Patienten eine ärztlich sehr befriedigende Arbeit mit Störungsbildern. oft mehr Erfolgen als bei anderen psychiatrisch-psychosomati- Dr. Günther Endrass schen Störungsbildern. Im ambulanten Bereich bedingt die im Eingang dargestellte L iteratur b eim Ver fasser. hohe Prävalenz von ADHS bei Erwachsenen, dass deren Ver sorgung Teil des kassenärztlichen Versorgungsauftrages der Erwachsenenpsychiater und Nervenärzte darstellt. Bei noch fehlendem Wissen zu ADHS gibt es zwischenzeitlich zahlreiche, Auto r: firmenneutrale Fortbildungsveranstaltungen der Fachgesell- Dr. Günther Endrass Foto: privat schaft DGPPN und der Fortbildungsakademie der Berufsver- Landesvorsitzender BVDN Rheinland-Pfalz bände. Anderseits sind im Erwachsenenbereich viele Praxen E-Mail: g.endrass@gmx.de Differenzialtherapeutischer Entscheidungsbaum zur psychosozialen (einschließlich psychotherapeutischen)/phar ma- k o t he ra pe ut isch en B eh a n d lu n g vo n Er wa c h sene n mi t A D H S 18 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
Schwerpunkt Systemische Auswirkungen in Schule und Ausbildung Sabine Müller-Löw ADS hat Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Perfor- Leistungserbringung bei Ängsten, wird ausgeschöpft – viel- mance der Betroffen und auf die Interaktion mit anderen. Die leicht auch eine Integrationskraft engagiert. Diagnose ADS löst kontroverse Diskussionen im Helfersystem aus (Glaubenskriege). In diesem Fall dürfen sich Alle freuen, ein gelingendes Modell getragen von Fachkenntnis, einem gemeinsamen Ziel und Zum erfolgreichen Umgang gehört die medikamentöse Behand wertschätzender Haltung. lung der Betroffenen und ein gutes, von Wertschätzung und Die Realität in unserem Praxisalltag zeigt leider in der Regel ein Fachkenntnis geprägtes Case Management aller Beteiligten. anderes Bild. Eigentlich könnte man sich ja glücklich schätzen: Nach jahre- Die Akzeptanz dieser schon im 18. Jahrhundert von Weikard langen vergeblichen Bemühungen herauszufinden, was mit beschriebenen Erkrankung ist immer noch nicht selbstver- diesem Kind los sei, gegenseitigen Vorwürfen in der Erziehung ständlich. Häufig beginnt eine Diskussion, die unsachlich, pola- versagt zu haben, nicht konsequent genug gewesen zu sein, risierend und geringschätzend ist. unzähligen Gesprächen in Beratungsstellen mit Hinweisen wie: „Das gibt sich ,seien Sie locker‘.“ bis hin zu: „Das können Sie • Sie wollen Ihr Kind doch wohl nicht mit Drogen ruhigstellen. aber auf keinen Fall durchgehen lassen.“ Ergo- und Logothera- • Nicht jeder braucht ein Abitur. piesitzungen, osteopathischen und homöopathischen Behand- • Das ist doch eine Modeerscheinung. lungen, sowie einer Fülle gut gemeinter Ratschläge von selbst- • Er ist doch so kreativ. ernannten Experten, gibt es jetzt eine Diagnose: Das Kind hat • Das wächst sich aus. eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung und erfreulicherweise ist dies gut behandelbar. Es braucht eine gut eingestellte Medi Dies sind nur einige Beispiele häufig verwendeter Einwände. kation und strukturierte Rahmenbedingungen, Humor und Neben diesen Diskussionen kommt hinzu, dass wir aus ärztli- Geduld. So weit, so gut. Die Eltern atmen auf. cher Sicht leider vergessen, wie das System Schule heutzutage aussieht. Lehrerinnen und Lehrer sind häufig großen Belastun- Der Arzt oder die Ärztin besprechen die medikamentöse Ein- gen ausgesetzt. Zu große Klassen, hohe Ansprüche von Eltern stellung und bitten die Eltern, in der Schule den Lehrern die und Gesellschaft, wenige finanzielle Ressourcen, zu viel Büro- Diagnose mitzuteilen und dass diese bitte beobachten, ob und kratie, sodass schon das Ausfüllen von Fragebögen und regel- wie das Verhalten sich unter der Medikation verändert. So kann mäßige Rückmeldungen an Ärzte oder Eltern eine Überlastung die optimale Dosierung ermittelt werden; nicht zu viel und darstellen können. Diese Tatsache findet dann gerne Nieder- nicht zu wenig. In der Schule ist es außerdem wichtig, dem schlag in der Aussage: „Wissen Sie, ich habe hier nicht nur Kind viel Struktur zu geben, nachzuprüfen, ob Arbeitsaufträge den Einen, der auffällig ist, wenn ich hier bei Jedem…“ richtig notiert und verstanden worden sind, wohlwollend mit Schusseligkeit umzugehen, es nicht als Faul- oder Dummheit Wunschvo rstellung und No t wend ig keit zu werten, sondern als ein Symptom des vorliegenden Krank- versus R ealität heitsbildes. Aus systemischer Sicht erfordert eine gelingende ADS-Therapie De r Ide a l fa l l ein enges Zusammenspiel verschiedener Gewerke. Es sollte klar sein, wer welche „Hoheitsrechte“, welche Rolle hat. Schule die Manchmal hat man Glück. Die Diagnose wird anerkannt, es gibt Pädagogik, Ärzte und Ärztinnen Diagnose und Therapie. Dane- ein Basiswissen darüber, was eine Aufmerksamkeitsstörung ben gibt es Schnittstellen, wo Kooperation und Aushandlungs- und was hilfreich ist. Die Medikation wird als Behandlung geschick erforderlich sind. akzeptiert und für sinnvoll befunden. Eltern, Kind und Lehrerin- nen besprechen gemeinsam, was zu tun ist, es gibt einen regen Es bräuchte die Möglichkeit eines regelmäßigen Austauschs Austausch. Erfolge werden in den Blick gerückt, was gelingt, aller an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen, um festzu- wird mehr gemacht; was nicht gelingt, wird unterlassen. Der stellen, wo die Schülerinnen und Schüler stehen. Wie wird die gesetzliche Rahmen, wie Nachteilsausgleich oder alternative Wirksamkeit der Medikation gesehen? Gibt es Lücken, treten Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019 19
Schwerpunkt Rebounds ein, auf die es einzugehen gilt? Wie ist die Kontinui- Ein weiterer relevanter Aspekt bei ADS ist der Umgang mit der tät des Arbeitsverhaltens? Wie ist der Umgang mit Arbeits Wahrheit. Menschen mit dieser Störung haben häufig eine materialien? vollkommen andere Wahrnehmung der Realität, was dann Wie ist die soziale Integration der Betroffenen? Gibt es weniger nachvollziehbarer Weise zu großen Konflikten führt. Oder sie Reibungspunkte, weniger Streits? Wie sieht es aus mit anderen lügen aus Scham, um nicht zugeben zu müssen, wieder etwas assoziierten Auffälligkeiten, wie Ängsten bis hin zur Prüfungs- vergessen zu haben. Endlose Diskussionen darüber sind in der vermeidung? Die Beantwortung all dieser Fragen ist ein wich- Regel nicht zielführend. In Kenntnis der Tatsache, dass dies sehr tiger Baustein bei der Einschätzung der Wirksamkeit der phar- häufig ein komorbides Verhalten ist, kann es ein Ziel sein makokinetischen Therapie. gemeinsam zu überlegen, was ein vernünftiger Umgang mit diesem Symptom ist. Schon der Perspektivenwechsel vom hin- Wu n sc h na c h g emei n s am en For t b i l d u n g en terhältigen Fehlverhalten zum auf jeden Fall zu vermeidenden Symptom kann hierbei hilfreich sein. Es wäre wünschenswert und dringend erforderlich, gemein- same Fortbildungen zu organisieren. Ein Ziel hierbei ist, Auf- G eg enseitig e Wer tschätzung ist wichtig merksamkeitsstörungen als eine der häufigsten Erkrankung im Kinder- und Jugendalter, die genetisch vermittelt wird, anzuer- Neben Akzeptanz der Erkrankung und Sachkenntnis über Symp kennen und nicht als Modeerscheinung, oder gar als Erzie- tome und deren Auswirkungen ist aus systemischer Sicht die hungsfehler zu sehen. Das Ausmaß der gesamten, besonders Haltung ein wichtiger Faktor, um diesen Kindern und Jugend für die Schule relevanten Symptomatik einer ADS sollte vermit- lichen zum Erfolg zu verhelfen. Sie sollte geprägt sein von telt werden. Dass neben den mittlerweile bei den meisten gegenseitiger Wertschätzung, auch für die Schwierigkeiten und bekannten Symptomen wie Unaufmerksamkeit, Unkonzent- manchmal fehlenden Ressourcen der jeweiligen Menschen. riertheit, Verträumtheit und motorische Unruhe viele andere Verhaltensweisen gerade im schulischen Kontext von enormer Eine Verständigung auf ein gemeinsames Ziel und wer kann Bedeutung sind. welchen Beitrag hierzu leisten. Die Erkenntnis, dass es häufig auf die Dauer der Zeit gesehen lohnenswert ist, sich am Anfang Menschen mit einer ADS-Problematik haben große Merk- mehr Zeit zu nehmen, ein gutes gemeinsames Konzept zu ent- schwierigkeiten. Sie können das Gelernte nicht abrufen. Für wickeln. Vielleicht auch die Erkenntnis zu haben nicht ADS ist Schule bedeutet dies, dass der zu Hause noch präsente Stoff in das Problem, sondern, wie wir darauf schauen. Diese Kinder Klassenarbeiten wie weggeblasen scheint. Es kommt zu einer und Jugendlichen könnten nicht, wenn sie nur wollten, häufig Blockade, nichts geht mehr. Die resultierende Note zeigt so nur wollen sie sehr und können es aber nicht. ADS und deren Aus- eine Momentaufnahme des Versagens, sie zeigt nicht, was wirkungen auf Schule sind vielschichtig, sie zu kennen und eigentlich möglich ist. Die schlechte Note ist Ausdruck der danach gemeinsam zu handeln und Erfolg zu haben – ein mangelnden Performance. Dies wird als höchst frustrierend gutes Gefühl, für die Behandler und Behandlerinnen, die Leh- empfunden und löst bei den Kindern und Jugendlichen häufig rerinnen und Lehrer, die Eltern und vor allem für die Betroffe- eine fatalistische Haltung aus: „Ist doch egal wie viel ich lerne, nen. kann ich es ja gleich lassen.“ Es resultiert nicht selten die Total- verweigerung in Form von Schulabsentismus. Was wie opposi- „Come together“, heißt es bei den Beatles, „right now, it's a long tionelles Verhalten imponiert, ist so betrachtet eine nachvoll- and winding road“. ziehbare Strategie, um sich nicht weiter einem dauernden Frust auszusetzen. Aus systemischer Sicht mehr als nachvollziehbar. Desorganisiertheit und fehlende Struktur gepaart mit großer Auto rin: Ablenkbarkeit. Dr. Sabine Müller-Löw Zielkunft Foto: privat Dieser Symptomkomplex ist gerade für Schule ein großes Institut für systemische Beratung Thema. Es ist wichtig zu wissen, dass es selbst für schon ältere info@zielkunft.de Schülerinnen und Schüler mit einer ADS sehr schwierig ist, sich zu organisieren. Es ist keinesfalls Faulheit oder gar böser Wille. Arbeitsaufträge werden nicht richtig verstanden, oder nur unvollständig notiert. Arbeitsmaterialien werden zu Hause einfach vergessen oder sie verschwinden im Nichts. Eine Ver- einbarung über mehr Kontrolle ist hier von großer Bedeutung und häufig eine erfolgreiche Strategie, etwas zu ändern. Es ist daher obsolet, dies als Erziehung zur Unselbstständigkeit zu werten, sondern darauf zu vertrauen, dass sich so in der Zukunft Misserfolge verringern und dies zu einem Lernerfolg führt. 20 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
Schwerpunkt Zappel-Philipps Erben sollten ausschließlich von Experten behandelt werden Jörn Simon In Anlehnung an die Erzählung „Struwwelpeter“ des Frankfurter ten, wie etwa von Kindern- und Jugendpsychotherapeuten Arztes Heinrich Hoffmann werden Menschen, die an der Auf- oder von Kinder- und Jugendmedizinern mit „Erfahrung und merksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung – kurz ADHS – lei- Fachwissen in der Diagnostik von AD(H)S durchgeführt wird”. den, im Volksmund gelegentlich auch als „Zappelphilipp" be Bei Erwachsenen, so legt die aktuelle Leitlinie dar, sollte die zeichnet. Aus fachlicher Sicht muss dieses häufig verwendete diagnostische Abklärung beispielsweise durch einen Facharzt Bild allerdings ergänzt werden. für Psychiatrie und Psychotherapie oder einen Psychologischen Psychotherapeuten erfolgen. Es wäre zwar wünschenswert, Denn das Syndrom kann sich auch ohne das Merkmal der wenn alle Haus- und Kinderärzte mit dem Störungsbild gut Hyperaktivität äußern. Während die häufiger betroffenen männ vertraut wären, allerdings ist dieses von rund 20 psychischen lichen Patienten meist eine gesteigerte Aktivität aufweisen, und somatischen Erkrankungen differentialdiagnostisch abzu- beobachtet man bei Mädchen häufig Symptome wie Vergess- grenzen, sodass bei einer AD(H)S-Verdachtsdiagnose im urei- lichkeit und einen verstärkten Hang zur Tagträumerei. In diesen genen Patienteninteresse an einen Experten überwiesen wer- Fällen spricht man vom Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (kurz den sollte. Ansonsten besteht ein Fehlversorgungsrisiko. ADS). Nach einer Studie, die in der medizinischen Fachzeit- schrift „The Lancet” publiziert wurde, sind weltweit rund fünf Zwei D rittel d er M ethy lphenid at-Vero rd nunge n Prozent der Kinder im Schulalter und 2,5 Prozent der Erwachse- werd en für Kind er und Jug end liche ausg estellt nen von ADHS betroffen. Das Syndrom zählt infolgedessen zu den häufigsten psychisch-neurologischen Auffälligkeiten in der Dieses Fehlversorgungsrisiko ist schon allein im Hinblick auf die Altersgruppe bis 18 Jahre. eventuell anschließende pharmakologische Behandlung nicht Für den Zeitraum von 2015 bis 2018 zeigen die Verordnungsda- zu vernachlässigen. Methylphenidat (der bekannteste Marken- ten der Techniker Krankenkasse (TK) bundesweit einen mode- Vertreter ist das Ritalin) gehört zu den gängigsten Wirkstoffen, raten Anstieg von 2,5 Prozent. Die TK in Rheinland-Pfalz ver- die zur Therapie von AD(H)S eingesetzt werden. zeichnet sogar einen Verordnungsrückgang um 1,7 Prozent. Auffällig ist allerdings, dass bei männlichen TK-Versicherten in Gemäß der TK-Daten werden zwei Drittel der Methylphenidat- einem Alter von 19 Jahren und älter im gleichen Zeitraum die Verordnungen für Kinder und Jugendliche ausgestellt. Eine Verordnungen um 31 Prozent gestiegen sind. Bei weiblichen Pharmakotherapie sollte allerdings erst bei moderater bezie- TK-Versicherten der gleichen Alterskohorte beziffert sich die hungsweiser schwerer AD(H)S – bei letzterer Ausprägung – Zunahme auf 19 Prozent. Mögliche Erklärungen für den gene- nach intensiver Psychoedukation angewendet werden. Methyl- rellen Anstieg der Verordnungszahlen sind beispielsweise die phenidat fällt im Übrigen unter das Betäubungsmittelgesetz. Indikationserweiterung von Methylphenidat für Erwachsene Der Gesetzgeber möchte mit dieser Regelung den Zugang zu des Gemeinsamen Bundesausschusses im Jahr 2011, eine Substanzen, die über ein gewisses Suchtpotential verfügen erhöhte Vigilanz für das Krankheitsbild und eine konsequen- und missbräuchlich angewendet werden können, erschweren. tere Diagnostik. Auch wenn Experten berechtigterweise oft ins Feld führen, dass unbehandelte Patienten ein stark erhöhtes Risiko für Miss- D i a g n o se ste l l u n g i s t an s p ru c h s vol l brauch anderer Substanzen aufweisen, welches unter Methyl- phenidat-Behandlung auf den Prozentsatz der Normalbevölke- Die Einschätzung, ob ein Patient an AD(H)S leidet oder nicht, rung absinkt, zeichnet der Arzneimittelreport des Springer trifft immer der behandelnde Arzt. Umso wichtiger ist es, dass Verlags 2018 doch ein kritischeres Bild. Demnach hat die Nach dieser über eine umfassende Erfahrung im Umgang mit dem beobachtung über einen Zeitraum von drei Jahren gezeigt, Krankheitsbild verfügt. Denn die Diagnosestellung ist an dass trotz Behandlung mit Methylphenidat erheblich mehr spruchsvoll und zieht oft die Prüfung und Anwendung weiterer Kinder straffällig wurden (27,1 Prozent gegenüber 7,4 bei Behandlungsoptionen nach sich. Daher empfiehlt die S3-Leit Nichterkrankten) und der Drogenkonsum häufiger war (17,4 linie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizini- versus 7,8 Prozent). Zudem kommt eine neuere Metaanalyse zu schen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) von 2017 zur Diagnostik dem Ergebnis, dass Methylphenidat zwar für die Therapie bei und Therapie von AD(H)S bei Kindern, Jugendlichen und Er Kindern und Jugendlichen Mittel der Wahl ist, bei Erwachsenen wachsenen, dass die Diagnose von entsprechenden Fachärz- hingegen Amphetamine überzeugender sind. Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019 21
Schwerpunkt Vo r e i ne r M e t hy l p h en i d at -Verord n u n g wenn man berücksichtigt, dass Betroffene bereits vor der so l l te e i ne a b g es i c h er te D i ag n os e d u rc h Diagnosestellung überdurchschnittlich häufig Ressourcen der S p e zi a l i ste n vorl i eg en Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen und im Laufe ihres Lebens meist Komorbiditäten wie Depressionen und Diese Daten zeigen deutlich, dass vor einer Methylphenidat- Ängste auftreten. Verordnung eine abgesicherte Diagnose durch Spezialisten vorliegen und eine konsequente Verlaufskontrolle mit durch einen Arzt eng begleitetem Auslassversuch erfolgen sollte. Weiterhin sollte die Pharmakotherapie in ein multimodales Auto r: Therapiekonzept integriert sein, um den Behandlungserfolg Jörn Simon zu sichern. Folgt die Therapie diesen Vorgaben, ist ADHS übri- Leiter der TK-Landesvertretung Foto: TK gens eine durchaus kostenintensive Erkrankung, insbesondere, Rheinland-Pfalz 22 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz ❙ 11/2019
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