AMNESTY - KLIMAWANDEL UND MENSCHENRECHTE - MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE - Amnesty International Schweiz
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AMNESTY Nr. 94 72 Dezember Juni 2018 2012 MAGAZIN DER MENSCHENRECHTE KLIMAWANDEL UND MENSCHENRECHTE ALBANIEN WM-GASTGEBER RUSSLAND Täter lernen, wie es ohne Gewalt geht Wenig Freiraum für Homosexuelle
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Titelbild INHALT_JUNI 2018 Ein Junge auf der philippinischen Insel Luzon watet nach einem Sturm im Wasser. September 2017. © Reuters / Erik De Castro AKTUELL THEMA 4 Good News 24 Albanien 6 Aktuell im Bild Gewalt ist uncool 7 Nachrichten 9 Brennpunkt Witze machen verboten In einem Präventionsprogramm DOSSIER lernen Männer, ihre Frauen nicht zu schlagen. Klimawandel 27 Russland «Fussball ist ein Schutzraum» 30 Israel Keine Gnade für Minderjährige 32 Unvergesslich – Unsere Geschichten «Es kann so lustig sein» Neustart in Genf 10 Die globale Herausforderung KULTUR 12 Vor uns die Sintflut 35 Ausstellung Was hat der Klimawandel mit den Menschenrechten zu tun? Die letzte Hexe und die Menschenrechte 14 Auswirkungen des Klimawandels 36 Film Die wichtigsten bedrohten Menschenrechte. Das Klima und das Kino 16 Dakar im Matsch 37 Film In der senegalesischen Hauptstadt kommt es Hollywoods erste schwule Teenie-Romanze zu Überschwemmungen. 38 Musik Grosse Träume, zensurierte Texte 19 Zügelaktion in der Südsee Der Inselstaat Kiribati hat auf Fidschi Land gekauft. 20 Fehlt der Regen, dann fehlt der Reis In Thailand führen Dürren zu Ernteausfällen. CARTE BLANCHE 22 Humanitäre Hilfe stärken 39 Endo Anaconda Migrationsexperte Étienne Piguet über die Bedürfnisse Wir sind um keinen Deut besser von Klimaflüchtlingen. 23 «Das reicht uns nicht» Die Schweizer Klimaseniorinnen fordern, dass der Bund mehr gegen die globale Erwärmung tut. Impressum: «AMNESTY», Magazin der Menschenrechte, Nr. 94, Juni 2018. Redaktion: Carole Scheidegger (verantw.), Manuela Reimann Graf. MitarbeiterInnen dieser Nummer: Endo Anaconda, Nina Astfalck, Ronny Blaschke, Nadia Boehlen, Sabine Cessou, Camille Grandjean-Jornod, Bastian Hartig, Astrid Herrmann, Andrea Jeska, Ralf Kaminski, Ramin Nowzad, Mathias Peer, Shiromi Pinto, Theo- dor Rathgeber, Reto Rufer. Korrektorat: Korrektorat Wilhelm, Oftringen. Gestaltung: www.muellerluetolf.ch. Druck: Stämpfli AG, Bern. Die Mitgliederzeitschrift «AMNESTY» erscheint viermal jährlich in Deutsch und Französisch. Das Magazin gibt es auch als E-Paper unter https://issuu.com/magazin-amnesty-schweiz. Redaktionsschluss der nächsten Nummer: 3. Juli 2018. Distribution: «AMNESTY, Magazin der Menschenrechte» erhalten alle, die die Schweizer Sektion von Amnesty International mit mindestens 30 Franken jährlich unterstützen. Über die Veröffentlichung von Fremdbeiträgen ent- scheidet die Redaktion. Alle Rechte vorbehalten. © Amnesty International, Schweizer Sektion. Spendenkonto: Amnesty International, Schweizer Sektion, 3001 Bern (PC 30-3417-8). Redaktionsadresse: Magazin «AMNESTY», Redaktion, Postfach, 3001 Bern. Tel.: 031 307 22 22, E-Mail: info@amnesty.ch. Auflage: 85 900 (dt.). www.amnesty.ch facebook.com/amnesty.schweiz twitter.com/amnesty_schweiz International: www.amnesty.org www.instagram.com/amnesty_schweiz 3 AMNESTY Juni 2018
A K T U E L L _ EN DA IC THORRI ICAHLT E N Kennen Sie das? Sie erledigen tausend scheinbar dringende Dinge, aber eigentlich wissen Sie: Es wartet eine wesentlich wichtigere Aufgabe, die Sie sofort angehen sollten. So er- GOO Mahadine ist frei TSCHAD − Im letzten Magazin ha- ben wir Ihnen berichtet, wie sehr sich der tschadische Blogger und Online-Aktivist Mahadine über die Unterstützung von Amnesty-Mit- gliedern gefreut hat. Jetzt gibt es noch bessere Nachrichten: Ma- rInnen der Regierung enden muss. Mahadine war einer von zehn Gewissensgefangenen, für die sich Amnesty im Rahmen des Briefmarathons 2017 eingesetzt hatte. Auch in der Schweiz mach- ten sich 2500 Menschen mit der Selfie-Kampagne «I’M HERE» für hadine ist im April freigelassen seine Freilassung stark. scheint mir die Welt angesichts worden. Er war seit dem 30. Sep- des Klimawandels. Wir wissen, wie vorrangig es tember 2016 inhaftiert, nachdem Kein Straflager er im Internet die Regierung kriti- für Mutter und Sohn wäre, gegen die globale Erwärmung anzugehen – siert hatte. Ihm drohte eine le- NORDKOREA – Eine überraschende nur wenige Fachleute bestreiten heute noch, dass benslängliche Haftstrafe. Im März Freilassung im Land von Kim die Klimaveränderungen grösstenteils menschen 2018 wurde die ursprüngliche Jong-un: Die Nordkoreanerin Koo Anklage jedoch fallen gelassen Jeong-hwa und ihr Sohn sind gemacht sind. Verschiedene Vorschläge zum Klima- und durch eine viel geringere An- nicht länger in Gefahr, den Rest schutz liegen auf dem Tisch. Aber wir bekommen es klage ersetzt. Danach folgte die ihres Lebens im Straflager zu ver- Freilassung. Amnesty Internatio- bringen. Die beiden waren im nicht auf die Reihe, und das liegt nicht nur an Do- nal fordert, dass nun auch die Dezember gemeinsam mit acht nald Trump und seinem Ausstieg aus dem Pariser Verfolgung aller anderen Kritike- weiteren NordkoreanerInnen aus Abkommen. Staaten und Privatpersonen müssen Demut statt Strammstehen nun handeln. USA − Zum ersten Mal überreichte Amnesty International den Ambas- Von den Auswirkungen des Klimawandels sind jene sador of Conscience Award einem Sportler: Der American-Football- Spieler Colin Kaepernick ist Weltgegenden stärker betroffen, die weniger zu sei- weltweit für seinen «Take-a- © Katie Piper ner Verursachung beigetragen haben. Menschen Knee»-Protest in den USA bekannt geworden: In der Vor verlieren wegen steigender Meeresspiegel oder saison 2016 hatte er sich wäh- durch Stürme ihr Daheim. Sie haben nichts mehr zu rend der US-amerikanischen essen, weil ihre Felder verdorren. Das Trinkwasser Nationalhymne hingekniet, um friedlich gegen Ungleichheit wird knapp. Der Kampf um Ressourcen kann zu und Polizeigewalt zu protes Kriegen führen. Für die Menschenrechte wird der tieren. Anlass war die unver hältnismässig hohe Zahl an Klimawandel zu einem gewaltigen Problem, wenn Fällen, in denen schwarze wir es nicht schaffen, ihn einzudämmen. Menschen in den USA von der Polizei getötet werden. Auch das kommt Ihnen vielleicht bekannt vor: Gele- Seine Aktion löste eine heftige gentlich braucht es ein wenig Druck, bis Sie das Debatte über Rassendiskrimi- ewig Aufgeschobene erledigen. Die Weltgemein- nierung aus, und Kaepernick – wie auch die vielen Sportler schaft könnte sich diesen Druck machen, indem sie und Sportlerinnen, die es ihm den Klimaschutz mit menschenrechtlichen Stan- in der Folge gleichmachten – wurde stark angefeindet, so dards verbindet. auch von Präsident Trump, der diese friedlichen Aktionen Colin Kaepernick vor einem Bild Carole Scheidegger, verantwortliche Redaktorin verbieten lassen wollte. von Malcolm X. 4 AMNESTY Juni 2018
AKTUELL_GOOD NEWS D NEWS China abgeschoben worden. Die Pride-Parade in IN KÜRZE © KAOS GL Behörden beschuldigten sie des Ankara fand statt Landesverrats, da sie ihr Land TÜRKEI – Hunderte von SERBIEN – Der serbische Natio verlassen hatten. In Nordkorea Studierenden liessen sich nalist Vojislav Seselj hat in Den gilt dies als Verbrechen gegen am 11. Mai nicht davon Haag für Verbrechen gegen die den Staat und kann mit der le- abhalten, friedlich für ihre Menschlichkeit eine Strafe von benslangen Inhaftierung in politi- Rechte zu demonstrieren. zehn Jahren Gefängnis erhalten. schen Straflagern oder mit Hin- Die Verwaltung der Tech- Seselj war zuvor in erster Instanz richtung bestraft werden. Der nischen Universität des freigesprochen worden. Im Beru- Mann von Koo Jeong-hwa, der Nahen Ostens in Ankara fungsurteil wird Seselj wegen Ver- heute in Südkorea lebt, bestätig- hatte zuvor versucht, die folgung, Deportation und zwangs- te, dass sie am 6. März freigelas- jährlich auf dem Campus weiser Umsiedlung von Personen sen wurde und die Anklage ge- stattfindende Pride-Parade Unerschrocken: Studierende in Ankara verurteilt. gen sie fallen gelassen wurde. zu verhindern. Denn der demonstrieren für gleiche Rechte. Gouverneur von Ankara MALAYSIA – Der Oppositionsführer hatte ein Verbot aller Veranstaltungen von LGBTI (Lesben, Schwulen, © E. Romero Anwar Ibrahim ist Mitte Mai aus Bisexuellen, Transmenschen, Intergeschlechtlichen) erlassen. Die dem Gefängnis entlassen worden. Studierendengruppe, welche die Pride organisiert, sagte Amnesty Er sass aufgrund fingierter Ankla- International gegenüber: «Wir konnten nicht einfach schweigen und gepunkte zwei Mal für lange Zeit das Verbot akzeptieren. Wir mussten uns wehren und trotzdem de- hinter Gittern. Amnesty Interna monstrieren. Das Verbot unserer Pride-Parade war rechtswidrig und tional ist überzeugt, dass er nur richtete sich gegen unsere blosse Existenz.» wegen seiner politischen Haltung inhaftiert war, und setzt sich seit Freispruch bestätigt 20 Jahren für ihn ein. SÜDKOREA – Die meisten Bibliothekare leben nicht sehr gefährlich, Lee Jin-young aber schon: Der südkoreanische Gewerkschaftsaktivist und ASERBAIDSCHAN – Am 5. April Besitzer der Online-Bibliothek «Labour Books» war vergangenes Jahr ordnete der Oberste Gerichtshof mehrere Monate im Gefängnis. Er hatte eine Anklage aufgrund des von Aserbaidschan die Freilas- Gesetzes über die Nationale Sicherheit am Hals. Der Vorwurf: Er habe sung von Aziz Orujov an und setz- schriftliche Materialien verteilt, die «regierungsfeindlichen Organisatio- te seine dreijährige Haftstrafe zur Nach 10 Jahren endlich frei: Teodora del Carmen Vásquez. nen» zugute gekommen seien. Am 20. Juli 2017 wurde er freigelas- Bewährung aus. Der Journalist sen, nachdem ihn ein Bezirksgericht in Seoul von der Anklage freige- war seit dem 2. Mai 2017 wegen Nicht länger wegen sprochen hatte. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. konstruierter Anklagen unter un- Fehlgeburt in Haft Im April hat das Hohe Gericht in Seoul den Freispruch bestätigt. menschlichen Bedingungen in EL SALVADOR – Teodora del Car- Haft gehalten worden. © Workers_Kim Yonguk men Vásquez ist am 15. Februar freigekommen. Sie war in Haft, ÄQUATORIALGUINEA – Der Karika- weil sie 2007 eine Fehlgeburt er- turist Ramón Esono Ebalé ist seit litten hatte, was ihr wegen der dem 7. März auf freiem Fuss, drakonischen Abtreibungsgeset- nachdem die Anklage gegen ihn ze in El Salvador als Mord ausge- fallen gelassen worden war. Er be- legt wurde. Ihre Strafe wurde im dankt sich bei allen, die sich für Februar verkürzt. Amnesty Inter- ihn eingesetzt haben: «Ich werde national hatte sich jahrelang für nicht aufgeben. Als ich geboren sie eingesetzt und fordert El Sal- wurde, lag mir nicht die Welt zu vador auf, sich gänzlich von sei- Füssen. Und heute lebe ich, um nem absoluten Verbot von für die Leute meines Landes zu Schwangerschaftsabbrüchen zu zeichnen. Danke.» verabschieden. Freigesprochen: Lee Jin-young inmitten seiner Bücher. 5 AMNESTY Juni 2018
AKTUELL_IM BILD © Sergio Ortiz / AI MEXIKO / USA – Letzte Umarmungen an der Grenze: Mit der MigrantInnen-Karawane zogen sie quer durch Zentralamerika und kamen schliesslich in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana an. Nun verabschieden sie sich von einander. Beide hoffen, in den USA Asyl beantragen zu können. Der langwierige Prozess endet jedoch meist mit der Inhaftierung und Abschiebung der Asylsuchenden. 6 AMNESTY Juni 2018
AKTUELL_NACHRICHTEN wenn deren Abschiebung kurz fen. «Die Regierung treibt mit © AI Taiwan bevorsteht. Auch soll künftig dieser Novelle den menschen- Flüchtlingen, die Geld bei sich rechtlichen Abwärtstrend im tragen, bis zu 840 Euro als Ver- Asylbereich weiter voran. Sie fahrensbeitrag abgenommen macht Schutzsuchende per Ge- werden. Des Weiteren sollen die setz zu Menschen zweiter Klas- Behörden Handydaten von Men- se», sagt Annemarie Schlack, schen, die in Österreich einen Geschäftsführerin von Amnesty Asylantrag stellen, auslesen dür- Österreich. Indirekter Gegenvorschlag zur «Kovi» KONZERNVERANTWORTUNGSINITIATIVE – Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats schlägt im Rahmen der Aktienrechtsrevision gesetzli- che Massnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und die Miss- achtung von internationalen Umweltstandards durch Konzerne mit Sitz in der Schweiz vor. Die Kommission will allerdings nur grosse Un- KünstlerInnen und MenschenrechtsaktivistInnen auf der ganzen Welt solidarisieren sich mit Liu Xia, wie hier in Taiwan. ternehmen der Sorgfaltsprüfungspflicht unterstellen sowie besondere Hochrisiko-Tätigkeiten. Eine Haftung wäre beschränkt auf juristisch Liu Xia in Gefahr kontrollierte Tochterfirmen und nicht auch jene, die man rein wirt- CHINA – Die Witwe des verstorbenen chinesischen Menschenrechtlers schaftlich kontrolliert. Unklar ist bei Redaktionsschluss, ob noch wei- Liu Xiaobo ist in ernster Gefahr. Seit dem Tod ihres Mannes, der 2010 tere Änderungen an diesem indirekten Gegenvorschlag zur Konzern- mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, befindet sich die Dichterin verantwortungsinitiative «Kovi» vorgenommen werden, die weitere unter Hausarrest. Sie ist seit Jahren von Überwachung und Einschrän- Abstriche gegenüber dem Initiativtext mit sich bringen. Somit ist bei kungen betroffen – alles nur, weil sie Liu Xiaobos Frau ist. Liu Xias psy- Redaktionsschluss noch offen, ob der schliesslich definitiv verabschie- chische Verfassung hat sich gemäss FreundInnen massiv verschlechtert. dete Gegenvorschlag zum Rückzug der Initiative führen kann. Internationale Appelle, sie endlich aus China ausreisen zu lassen, waren bislang vergebens. Mord an Umweltaktivisten KOLUMBIEN – Sie engagier- © Svenswikipedia 32 Jahre Haft «Menschenrechtlicher ten sich für Entschädigun- BURUNDI – 32 Jahre Haft wegen Abwärtstrend» gen für lokale Familien, Rebellion: Der Menschenrechts- ÖSTERREICH – Die Menschen nun sind sie tot: Innerhalb verteidiger Germain Rukuki wur- rechte von Asylsuchenden in einer Woche wurden An- de am 26. April 2018 wegen Österreich werden mehr und fang Mai in Antioquia Al- Rebellion, Beteiligung an einer mehr beschnitten. Dem Parla- berto Torres Montoya und aufständischen Bewegung und ment wurde ein erneut verschärf- Hugo Albeiro George Pérez, Bedrohung der Staatssicherheit tes Asylgesetz vorgelegt – die Mitglieder der Bewegung für schuldig befunden. Man hatte «Fremdenrechtsnovelle», wie es Ríos Vivos, von Unbekann- ihn im Juli 2017 verhaftet, weil er in Österreich heisst. Sie enthält ten getötet. Sie hatten sich für die Aktion der Christen für die unter anderem einen Angriff gegen das Wasserkraftpro- Abschaffung der Folter (ACAT) in auf Kinderrechte, denn sie will jekt Hidroituango engagiert, Burundi gearbeitet hatte. Bei sei- schutzsuchende Jugendliche im das die Umwelt beschädigt Der Hidroituango, einer der grössten ner zweiten Anhörung am 8. April Falle einer Verurteilung mit Er- und die Lebensgrundlagen Staudämme Lateinamerikas, wird derzeit 2018 wurde ihm zudem vorge- wachsenen gleichstellen. Die vieler lokalen Bauern und am Fluss Cauca gebaut. Das von öffentlichen Unternehmen durchgeführte Wasserkraft- worfen, «Teil einer Aufstandsbe- Regierung plant ausserdem Bäuerinnen gefährdet. Wei- projekt betrifft mehr als 26 000 Hektar Land wegung im Jahr 2015 zu sein». einen Eingriff in die ärztliche tere Mitglieder der Umwelt in 19 Gemeinden. Damals hatte es breite Proteste Schweigepflicht. ÄrztInnen bewegung fürchten nun gegen Präsident Pierre Nkurunzi- müssten demnach den Behör- um ihr Leben. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens im za gegeben, der eine dritte Amts- den über die Entlassung von November 2016 wurden mehr als 170 Umwelt- und Menschenrechts- zeit anstrebte. PatientInnen Auskunft geben, aktivistInnen umgebracht. 7 AMNESTY Juni 2018
AKTUELL_NACHRICHTEN HINRICHTUNGEN HINRICHTUNGEN 2017 HINRICHTUNGEN2017 2017 HINRICHTUNGEN 2017 HINRICHTUNGEN 2017 Todesstrafen-Bericht 2017 WELTWEIT – Die Arbeit gegen die Todesstrafe macht weitere Fortschritte, insbesondere auch in den afrika- nischen Ländern südlich der Sahara. Dort ist die Zahl der verhängten Todesurteile erheblich zurückgegan- gen. Die Zahl der gemeldeten Hinrichtungen und To- desurteile sinkt auch weltweit, nach einem Rekord- hoch in den vergangenen Jahren. Doch wurden 2017 immer noch mindestens 2591 Todesurteile in 53 Ländern ausgesprochen und es befinden sich weltweit mehr als 20 000 Menschen im Todestrakt. Inzwischen haben 142 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft. Das ist mehr als die Hälfte aller Staaten. Vermutlich Vermutlich Vermutlich Vermutlich mehr mehr mehr als als mehr 1000 als 1000 1000 als Hinrichtungen Hinrichtungen Weniger Weniger als 25 Weniger Hinrichtungen 1000 Hinrichtungen als als Weniger als 25 Hinrichtungen 25 25 Hinrichtungen Hinrichtungen Hinrichtungen Keine Hinrichtungen Keine Keine Hinrichtungen Hinrichtungen Keine Hinrichtungen Länder, die die Todesstrafe für fast Vermutlich mehr als 100 Hinrichtungen Weniger als 10 Hinrichtungen Länder, alle Vergehen aufgehoben haben Länder, Länder, diedie die die die Todesstrafe Todesstrafe für für Todesstrafe für fast fastfast Vermutlich Vermutlich mehr Vermutlich mehr als als als mehr 100 100 Hinrichtungen Hinrichtungen 100 Hinrichtungen Weniger als als Weniger Weniger als 10 10 10 Hinrichtungen Hinrichtungen Hinrichtungen Mehr als eine Hinrichtung, alle alle Vergehen Vergehen alle aufgehoben Vergehen aufgehoben haben aufgehoben haben haben Zwischen 25 und 100 Hinrichtungen Unbekannt genaue Zahlen unbekannt Mehr Mehr als als Mehr als eineeine Hinrichtung, eine Hinrichtung, Hinrichtung, Zwischen Zwischen 25 25 Zwischen 25 und und 100100 und Hinrichtungen Hinrichtungen 100 Hinrichtungen Unbekannt Unbekannt Unbekannt genaue genauegenaueZahlen Zahlen unbekannt Zahlen unbekannt unbekannt JETZT ONLINE Zwangsverheiratet, © Privat vergewaltigt, verurteilt Wir sind Amnesty Schweiz: Mitglieder der SUDAN – Es begann mit einer Schweizer Sektion von Amnesty Internatio- Zwangsheirat, als sie sechzehn nal sagen an der Jahresversammlung 2018 Jahre alt war: Noura Husseins Va- in Bern, weshalb sie sich für Menschen- ter und ihr künftiger Ehemann rechte engagieren und bei Amnesty dabei sind. unterzeichneten einen Ehevertrag. Als Noura im April 2017 das Mit der Kampagne «Menschenrechte Gymnasium beendete, musste machen uns stark» engagiert sich Amnesty sie zu ihm ziehen. Als der Ehe- Schweiz gegen die «Fremde Richter»-Initia- mann sie zum ersten Mal verge- tive, die die Europäische Menschenrechts- waltigte, liess er sie von männli- konvention aufkündigen will und damit chen Verwandten festhalten, da einen Angriff auf die Menschenrechte darstellt. Für die Kampagne wurden Fotos sie sich gegen den «Vollzug der gemacht – sehen Sie das «Making off»! Ehe» wehrte. Am nächsten Tag wollte er Noura wieder vergewalti- Das Rezept der Kriminalisierung: Wie gen, da floh sie in die Küche und kann man lästige UmweltschützerInnen und ergriff ein Messer. Bei der an- Menschenrechtsengagierte am besten schliessenden Rauferei erlitt er loswerden? Peru und Paraguay haben das tödliche Messerstiche. Als Noura Rezept gefunden. Witziges Video zu einem ernsten Thema. anschliessend zu ihrer Familie Zum Tode verurteilt: die heute 19-jährige Noura Hussein ging und ihnen erzählte, was pas- Hammad. Zu finden auf: siert war, übergab ihr Vater sie der www.amnesty.ch/magazin-juni18 Polizei; die Familie verleugnete sie daraufhin. Ein Gericht hat Noura am 29. April des Mordes an ihrem Mann schuldig befunden. 8 AMNESTY Juni 2018
AKTUELL_BRENNPUNKT WITZE MACHEN VERBOTEN de von acht Polizisten verhaftet Meinungsäusserungsfreiheit in © Eloy Alonso / Reuters und wegen Verherrlichung des Spanien zur Farce: Der vage for- Terrorismus angeklagt. Während mulierte Artikel 578 wird inzwi- Cassandra Vera und Arkaitz schen gegen jegliche oppositio- Terrón erfolgreich Berufung ein- nelle Äusserung angewandt. legten, ging es vielen anderen So startete die Guardia Civil ab schlechter: Die Verurteilungen 2014 ihre anlassfreien Durch- wegen Verletzung des Artikels forstungen des Internets – sinni- 578 des spanischen Strafgesetz- gerweise unter der Bezeichnung buches sind in den letzten Jah- «Operation Spinne» –, in deren ren stark angestiegen. Social- Verlauf bisher mehr als 70 Men- Media-Nutzer werden wegen schen festgenommen und ange- ihrer Tweets strafrechtlich ver- klagt wurden. folgt, Musikerinnen stehen we- gen ihrer Liedtexte vor dem Mit dem Gesetz «für die Sicher- Gefängnis und sogar Puppen- heit der Bürger» (Ley de Segu- spieler befanden sich in Haft. ridad Ciudadana) von 2015 Protest gegen die «Ley Mordanza», Das Vorgehen der Justiz hat eine wird auch das Demonstrations- das Knebelgesetz, vor dessen Inkraft- abschreckende Wirkung: Men- recht massiv eingeschränkt. Mit treten am 1. Juli 2015. schen in Spanien getrauen sich diesem «Knebelgesetz», wie es zunehmend seltener, die Regie- in der Bevölkerung genannt S ie hatte einen Witz auf Kos- ten des seit 45 Jahren toten Ministerpräsidenten Luis Carrero rung öffentlich zu kritisieren. «Viele bekamen Angst», sagte wird, können unangekündigte Demonstrationen und Kundge- bungen vor dem Kongress oder Blanco getwittert: Für diese beispielsweise Nyto Rukeli, ein anderen «wichtigen» Gebäuden «Verherrlichung des Terroris- Mitglied von La Insurgencia, ei- mit bis zu 600 000 Euro Busse mus» und die «Demütigung» nem Kollektiv von 12 Rappern geahndet werden. Das Aufrufen seiner Opfer wurde die Studen- und Rapperinnen, die zu je- zu einer «illegalen» Demonstra- tin Cassandra Vera verhaftet und weils mehr als zwei Jahren Ge- tion kann zudem noch eine Ge- vor Gericht gestellt. Halb Spani- fängnis und Geldstrafen verur- fängnisstrafe von bis zu einem en fand die Anklage lächerlich, teilt wurden. «Die Behörden Jahr einbringen. Selbst das Fo- selbst die Enkelin des von der hatten Erfolg, da etwa die Hälf- tografieren von PolizistInnen baskischen ETA 1973 ermorde- te der Mitglieder aufgehört hat oder das Verbreiten dieser Bil- ten Carrero Blanco trat in der zu singen oder die Botschaften der kann mit Bussen von bis Verteidigung auf. Dennoch wur- in ihren Liedern geändert hat.» zu einer halben Million Euro de Cassandra Vera zu einer be- Der Vorwurf gegen La Insurgen- bestraft werden. Wie absurd dingten, einjährigen Strafe verur- cia: Sie hätten die kommunis das Ganze wird, zeigte der Fall teilt. Ihr wurde zudem für sieben tische Untergrundgruppe einer Frau aus Alicante: Sie Jahre verboten, im öffentlichen GRAPO «verherrlicht», eine musste eine Geldstrafe von 800 Sektor zu arbeiten. Organisation, die seit 2007 Euro zahlen, weil sie auf Face- nicht mehr aktiv ist. book ein Foto eines leeren Poli- Auch Rechtsanwalt Arkaitz Ter- zeiautos verbreitet hatte, das rón hatte sich in einem Tweet Unter der seit Ende 2011 regie- auf einem Behindertenpark- einen Witz über die Ermordung renden konservativen Volkspar- platz abgestellt war. Carrero Blancos erlaubt. Er wur- tei Partido Popular wird die Manuela Reimann Graf 9 AMNESTY Juni 2018
B öden trocknen aus, steigende Meeresspiegel fordern Land, Stürme wüten mit zerstörerischer Kraft: Die globale Erwärmung gefährdet unsere Umwelt, und sie bedroht die Menschenrechte massiv. Schon heute hungern, fliehen und sterben Menschen aufgrund von Auswirkungen des Klimawandels. In den hauptverur- sachenden Industrieländern scheinen sie aber noch zu wenig Schäden anzurichten, als dass griffige Massnahmen umgesetzt würden. Die Menschenrechte sollten in der Klimapolitik eine zentrale Rolle spielen. Wandbild in Melbourne, Australien © Reuters/ Mick Tsikas
Die globale Herausforderung
© Vincent West / Reuters Vor uns die Sintflut Durch den Klimawandel werden verschiedene Menschenrechte B is auf wenige Ausnahmen stellt die grosse Mehrheit der Fach- welt den Klimawandel nicht infrage. Allein die Berichte des Weltklimarates (IPCC) legen allen Zweifelnden hohe Hürden für gravierend verletzt. Die Leidtragen- eine gegenteilige Argumentation auf. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen seit 2009 auch das Kinderhilfswerk Unicef, die Ernäh- den sind in erster Linie diejenigen rungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO und die Weltgesund- Bevölkerungsgruppen, die am heitsorganisation WHO. Sie berichten von steigenden Durch- schnittstemperaturen, häufigeren Extremwetterereignissen wie wenigsten Spielraum haben, sich Stürmen, Dürren oder Hitzesommern, unkalkulierbar geworde- an veränderte Klimabedingungen nen Wetterperioden und Vegetationsperioden in der Landwirt- anzupassen. schaft, einem kontinuierlich ansteigenden Meeresspiegel. In jüngerer Zeit folgten Berichte, dass etwa in Westafrika der Von Theodor Rathgeber steigende Meeresspiegel ganze Küstenstreifen verschlingt, von Mauretanien bis Kamerun, und auch die Metropole Lagos (Nigeria) ist bedroht. Für Nordafrika wird prognostiziert, dass einige Regio- nen so heisse Temperaturen haben werden, dass sie nicht mehr bewohnbar sind. Hingegen können die Sahelstaaten voraussicht- lich mit mehr Regen rechnen. In Regionen um den Äquator geht die Ernte von traditionellen Grundnahrungsmitteln und mithin die Ernährungssicherheit kleinbäuerlicher Familien messbar zurück. In ähnlicher Weise verschärfen Projekte zum Ausgleich des Kli- mawandels soziale Konflikte. In Honduras führt ein Palmölmüh- lenprojekt zugunsten der Plantagenbewirtschaftung zum Land- raub bei kleinbäuerlichen Familien, in Panama enteignet die Theodor Rathgeber ist wissenschaftlicher Autor sowie Gutachter für Menschenrechte, Minderheiten und indigene Völker. Seit 2003 ist er Energiegewinnung mittels Stausee Barro Blanco indigene Dorfge- Beobachter für die Uno-Menschenrechtskommission und für den meinschaften, in Kenia werden die traditionell von der Weidewirt- Uno-Menschenrechtsrat. schaft lebenden Massai zugunsten einer Geothermie-Anlage ver- 12 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL Überflutungen können auch in unseren Breiten- graden massiv zunehmen – wie hier in Castejón in Spanien im April 2018 nach heftigen Regenfällen. trieben. Von den vielen Nachrichten dieser Art kommen nur scheidende Vorzüge, wenn über Massnahmen zur Anpas- wenig in den Ländern an, in welchen die meisten Treibhaus- sung oder Vermeidung, Technologietransfer, Ausstattung gase produziert werden. Die Auswirkungen sind für die dor- von Fonds und nicht zuletzt methodische Fragen beim Moni- tige öffentliche Aufmerksamkeit oftmals nicht katastrophal toring verhandelt und entschieden wird. Es macht einen Un- genug. Darüber hinaus kaufen sich die Industrieländer von terschied, ob solche Massnahmen auch mit Grundrechten Emissionsminderungen im eigenen Land frei. Das ist billiger oder nur mit ökologischen Erfordernissen abgeglichen wer- und wiederum weniger schlagzeilenträchtig. den. Menschenrechtliche Standards sind eindeutig, kommen überall mit denselben Begriffen zur Anwendung und bein- Menschenrechte in Bedrängnis Die skizzier- halten die unmittelbare Beteiligung der Betroffenen. Gerade ten Folgen des Klimawandels verweisen darauf, dass Men- im Kontext des Klimawandels ist es nicht verständlich, war- schenrechte wie das Recht auf sauberes Trinkwasser, Nah- um sich die lokale Bevölkerung und ganz allgemein nicht- rung, Gesundheit, auf angemessenen Lebensstandard, auf staatliche Akteure bislang höchstens mittelbar und informell Territorialrechte indigener Völker oder auch auf die Staats- an der Ausgestaltung, Planung und Umsetzung von Klima- bürgerschaft direkt in Mitleidenschaft gezogen werden. Letz- massnahmen beteiligen können. teres betrifft etwa Inselstaaten, die vom Verschwinden be- Die Chance, dass menschenrechtsbasierte Verhandlun- droht sind. Der Weltklimarat hat Studien über die Lage von gen näher an der Dringlichkeit und Tragweite für die unmit- Menschen an Küsten, Flussufern und in Gebirgen erstellt, telbar Betroffenen lägen, ist gross. Zweifelsohne stellt der die Hunderte Millionen in Indien, Bangladesch, China, in Klimawandel ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Fak- den Anden, in Lateinamerika, im südlichen Afrika oder auch toren dar, kausale Abläufe sind die Ausnahme. Gleichwohl in der Mittelmeerregion von Flutungen oder Dürren betrof- kann die Verantwortung für klimaschädliches Handeln zuge- fen sehen. Der IPCC schätzt, dass die für das Jahr 2020 vor- ordnet werden. Dies erkennen inzwischen sogar Gerichte an. ausgesagte Zahl von 50 Millionen Hungernden sich bei Das Oberlandesgericht in der deutschen Stadt Hamm hielt gleichbleibender Entwicklung auf 266 Millionen in 2080 er- im November 2017 die Klage eines Bauern aus Peru gegen höht haben wird. Mangelernährung, Ruhr und endemische den deutschen Energiekonzern RWE und dessen Mitverant- Krankheiten wie Malaria oder Dengue-Fieber werden laut wortung für den Klimawandel für schlüssig. In gleicher Wei- WHO insbesondere für Kinder desaströse Folgen haben. Im se sind menschenrechtlich basierte Pflichten eines Staates Juli 2011 stellte der Uno-Sicherheitsrat in einem Statement gegenüber den Opfern des Klimawandels regelbar; etwa über des Ratspräsidenten fest, dass die Folgen des Klimawandels die Rechtsfigur der sogenannten extraterritorialen Staaten- eine weltweit auftretende Gefahr für den sozialen Frieden pflichten. und die wirtschaftliche Entwicklung darstellen. Im Vergleich zu diesen Szenarien hinkt die Berücksichti- Drohender Gesichtsverlust Wenn alles so nahe- gung menschenrechtlicher Standards im Klimarahmenver- liegend scheint, warum wird es nicht eingesetzt? Einer der we- trag und in den Ergebnissen der Vertragsstaatenkonferenzen sentlichen Gründe dafür ist so simpel wie politisch abgründig: (COP) weit hinterher. Selbst das bislang anspruchsvollste Menschenrechtliche Verpflichtungen der Staaten werden von Dokument, das Pariser Klimaabkommen von 2015 (COP 21), unabhängigen Vertragsausschüssen, Sonderberichterstatte- spart menschenrechtliche Massstäbe zur Einordnung der Kli- rInnen, dem Hochkommissariat für Menschenrechte jeweils mapolitik weitgehend aus. Die vielfältigen Eingaben des Ho- penibel überprüft. Mängel und Verfehlungen werden unge- hen Kommissars für Menschenrechte und mehrerer Sonder- schminkt festgestellt. Alle Staaten, ohne Ausnahme, versu- berichterstatter der Vereinten Nationen im Vorfeld der chen, einen solchen Ansehensverlust zu vermeiden. Pariser Konferenz schafften es lediglich als hehres Ziel in die Seit dem Jahr 2008 versuchen vom Klimawandel betroffene Präambel. Die Einhaltung von Menschenrechten bei Klima- Inselstaaten, Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisati- schutzprojekten wird nicht geprüft. Auch der Clean Develop- onen, beim Uno-Menschenrechtsrat in Genf ein Mandat zum ment Mechanism (ein im Kyoto-Protokoll vorgesehener Me- Thema Klimawandel einzurichten. Auch westliche Länder wie chanismus zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen) ist Deutschland oder die Schweiz haben bis heute das ihnen Mög- bislang bar jeglicher menschenrechtlicher Kriterien zur Be- liche unternommen, ein solches Mandat zu verhindern. Men- wertung solcher Massnahmen. schenrechte als Grundlage zur Bewertung der Klimapolitik scheinen zu offensichtlich die Mankos in der Problembearbei- Warum Menschenrechte? Eine menschen- tung zu benennen. Umso dringlicher ist es, dass wir uns für rechtsbasierte Klimapolitik hätte vor allem für Betroffene ent- deren verbindliche Einbeziehung engagieren. 13 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL Shishmaref Auswirkungen des Klimawandels ATLANTISCHER Unwetterkatastrophen wie Stürme, Stark niederschläge und Überflutungen kosten vielen Menschen das Leben. Schäden an Ökosystemen SÜDOSTEN DER USA PAZIFISCHER New Orleans gefährden die Ernährungssicherheit bzw. Lebens OZEAN grundlagen. HAITI Schmelzende Gletscher und die damit verbundene MEXIKO KARIBIK langfristige Verringerung der Wassermenge in Flüssen gefährden die Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung. Durch das Schmelzen des Eises an den Polkappen kommt es zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Durch den steigenden Meeresspiegel werden tief liegende Küstenzonen und ganze Inselstaaten lang fristig unbewohnbar. Böden und Grundwasser versalzen. Steigende Temperaturen und lang anhaltende Trockenzeiten führen zu Wüstenbildung und Dürren. Sie erschweren die Landwirtschaft und verschlechtern den Zugang zu sauberem Wasser. Seuchen wie Malaria nehmen zu. Hitzewellen und Smog belasten die Gesundheit. Die wichtigsten Menschenrechte, die vom Klimawandel bedroht sind Recht auf Leben Recht auf Wasser und Hygiene Extreme Wetterereignisse in der Folge des Klimawandels führen Dem Weltklimarat IPCC zufolge wird in den meisten trockenen Regio direkt zu vielen Todesfällen, dazu kommen Dürren, Hitzewellen, nen der Zugang zu sauberem Trinkwasser erschwert. Durch steigende Krankheiten mit weiteren Opfern. Auch vorsichtige Schätzungen Meeresspiegel sind auch in Küstengebieten Auswirkungen auf die gehen von gegenwärtig jährlich mehr als 150 000 Toten infolge von Wasserverfügbarkeit zu erwarten. Laut einem Bericht der Weltbank Ereignissen aus, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind. kann ein durchschnittlicher Temperaturanstieg von 2 Grad weltweit Verschiedene Berichte sprechen von rund 400 000 Opfern pro Jahr, dazu führen, dass 1 bis 2 Milliarden Menschen nicht mehr genügend eine Zahl, die bis 2030 auf 700 000 ansteigen könnte. Wasser haben, um ihren Bedarf zu decken. Recht auf Nahrung Recht auf Gesundheit Die Weltbank schätzt, dass bei einem Anstieg der globalen Durch Laut Berichten der Weltbank werden gesundheitliche Auswirkungen schnittstemperatur um 2 Grad Celsius zwischen 100 Millionen und z.B. durch hitzebedingten Smog verschlimmert. Überschwemmun 400 Millionen Menschen mehr von Hunger bedroht wären als heute. gen führen vermehrt zu Infekten wie Malaria oder Durchfall. Höhere Jedes Jahr könnten über 3 Millionen zusätzliche Todesfälle durch Un Unterernährungsraten verschlechtern die Lage zusätzlich. terernährung verursacht werden. 14 AMNESTY Juni 2018
OZEAN Aralsee PAZIFISCHER MITTEL-ASIEN OZEAN Gelber Fluss MITTELMEER Nil CHINA Jangtse Tschadsee Ganges und SENEGAL Brahmaputra THAILAND PHILIPPINEN Dakar INDIEN HORN VON Mekong AFRIKA PAZIFIK-ARCHIPEL SUBSAHARA-AFRIKA KIRIBATI FIDSCHI INDISCHER OZEAN © muellerluetolf.ch, Quellen: Norman Myers, «Environmental refugees. An emergent security issue». Akten des Wirtschaftsforums der OSZE, Prag, Mai 2005. Millennium Ecosystem Assessment; 2005; Liser, 2007. Zit. in.: Le Monde diplomatique (Hg.), Atlas der Globalisierung Spezial: Klima, Berlin (taz Verlag) 2008. Recht auf Selbstbestimmung Der Klimawandel betrifft aber auch viele weitere Rechte, wie z.B. das Die Folgen des Klimawandels schränken die Wahl der Menschen und Recht auf Entwicklung oder die Rechte indigener Völker (z.B. durch ganzer Völker ein, ihren Lebensstil und ihre Existenzgrundlage frei zu Vertreibung). Dadurch, dass die Staaten ihre Ressourcen für die Be wählen. Dazu kommt die Vertreibung von ganzen Völkern z.B. durch kämpfung der Auswirkungen des Klimawandels einsetzen müssen, Überflutung von Inselstaaten. werden Mittel für die Umsetzung verschiedener Menschenrechte eingeschränkt, so zum Beispiel für das Recht auf Gesundheit, auf Recht auf Wohnraum Unterkunft oder das Recht auf Bildung. Die knapper werdenden Das Recht auf eine angemessene Unterkunft wird in vielerlei Hinsicht Ressourcen können Gründe für bewaffnete Konflikte sein, die bedroht. Extreme Wetterereignisse zerstören die Häuser einer Viel wiederum das Recht auf Leben gefährden. zahl von Menschen direkt. Dürre, Erosion, Überschwemmungen und der ansteigende Meeresspiegel machen Gebiete unbewohnbar, was zu Vertreibung und Abwanderung führen kann. Quellen: Diverse Berichte zit. in «Understanding Human Rights and Climate Change. Submission of the Office of the High Commis sioner for Human Rights to the 21st Conference of the Parties to the United Nations Framework Convention on Climate Change.» OHCHR, 2015, sowie «Menschenrechte in der Klimakrise», zeitschrift für menschenrechte, 2010. 15 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL © Keystone/AP/Rebecca Blackwell Ein Laufsteg aus Sandsäcken: Nach starken Regenfällen in einem Vorort von Dakar behilft sich die Bevölkerung mit Notlösungen. 16 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL Dakar im Matsch Während Teile von Senegal mit der Dürre kämpfen, hat der Klimawandel in der Region rund um die Hauptstadt Dakar gegensätzliche Konsequenzen: Bei jeder Regenzeit kommt es zu schweren Überschwemmungen. Gleichzeitig steigt der Meeres- spiegel an. Von Sabine Cessou R und 250 000 Betroffene finden sich in Dakar Jahr für Jahr inmitten von stehendem Wasser wieder. In den Lachen vermehren sich die Larven in Massen. Seit nichts entgegensetzen. Die Stadtbezirksverwaltungen müssen denn auch jedes Jahr wieder Notfall-Pumpein- sätze organisieren. Die Koordination der behördlichen 2015 bilden sich diese Wasserflächen immer wieder in Reaktion krankt nicht zuletzt an der Bürokratie und jenen Vorstädten, wo der Grundwasserspiegel zu nah den Unwägbarkeiten der senegalesischen Demokratie. an der Erdoberfläche liegt. Sie lassen ein Cholerarisiko «Ich sage es nicht gerne, aber seit dem Rücktritt Seng- entstehen, das die Behörden mit der grosszügigen Ver- hors 1980 herrscht in Dakar das Chaos!», betont der teilung von Javelwasser und Plastikeimern eindäm- bekannte Architekt Pierre Goudiaby. Er moniert immer men. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Elends- wieder das Fehlen einer städtebaulichen Planung, wel- viertel in der Agglomeration von Dakar, in Pikine und che die lokalen, regionalen und nationalen Entschei- Guédiawaye, müssen jedes Jahr zusehen, wie die Si- dungsebenen koordiniert. Die herrschende Anarchie ckergruben überlaufen und sich stinkende Tümpel bil- führt dazu, dass die Bevölkerung die Umsetzung von den. Abhilfe schaffen sie, wie es eben geht: Sie stellen Grossprojekten bisweilen teuer bezahlt. Zementsteine oder die Gehäuse von Autobatterien un- So im armen Quartier «Irrégulier Sud» in der Ge- ter ihre Möbel – und begegnen dem Übel bis zur nächs- meinde Pikine mit seinen 300 000 EinwohnerInnen, ten Trockenzeit mit Geduld. das über keinerlei Abwasserplanung verfügt und des- Die ImmobilienbesitzerInnen sind beunruhigt, aber halb seit 2013 von den Überschwemmungen noch stär- machtlos. Laut der französischen Botschaft in Dakar ker betroffen ist. Der Grund dafür sind die Topografie, waren in Pikine 8000 Gebäude in einem Gebiet von unkontrolliertes Wachstum und eine Kanalisation, die 150 Hektaren von den Überschwemmungen im Jahr im Hintertreffen ist. Überdies durchquert eine neue, 2012 betroffen. Dabei kamen 26 Menschen ums Le- vom französischen Baukonzern Eiffage gebaute Auto- ben, 264 000 waren insgesamt betroffen und 5000 Fa- bahn das Quartier. Sie verbindet Dakar mit der Satelli- milien mussten umgesiedelt werden. Die Weltbank tenstadt Diamniadio und dem neuen Flughafen. Das schätzt die von Überschwemmungen bedrohten Ver- schwergewichtige Bauwerk ruht auf Pfeilern aus Be- mögenswerte in Dakar auf 40 Milliarden Euro, das tonblöcken, die zur weiteren Absenkung des bereits doppelte des Bruttosozialprodukts des westafrikani- unter dem Meeresspiegel liegenden Bodens beitrugen. schen Landes. Eine Rolle spielt auch eine politische Rochade: Der vormalige Stadtpräsident von Dakar, Khalifa Sall, war Ein strukturelles Problem Zwar erliessen bei der Bevölkerung beliebt, weil er versuchte, ihre all- die Behörden 2012 einen Zehnjahresplan zur Bekämp- täglichen Probleme zu lösen. Doch als er gedachte, den fung der Überschwemmungen, konnten dem vom Kli- aktuellen Präsidenten des Landes, Macky Sall, bei den mawandel herrührenden strukturellen Problem jedoch Präsidentschaftswahlen 2019 herauszufordern, wurde er im März 2017 wegen Betrug und Unterschlagung verhaftet und damit aus dem Rennen gedrängt. Im Sabine Cessou ist freischaffende Journalistin mit Schwerpunkt März 2018 wurde der Herausforderer zu fünf Jahren Subsahara-Afrika. Gefängnis verurteilt. 17 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL Der Ozean trotzt dem Kontinent jährlich rund ten in den Atlantik hinausreichenden Landzunge Afrikas. Die Fakten lassen sich kaum mehr verleugnen. Laut einer einen Meter Küste ab. Studie der Stadtverwaltung von Rufisque unweit von Dakar trotzt der Ozean dem Kontinent rund einen Meter Küste jähr- lich ab. Die Stadt liess 2013 in Thiawlène einen 730 Meter Noch vor diesem Intermezzo hatte sich die Präsidialbe- langen Damm errichten, und zwar im Beisein von Ali El Haï- hörde auf das Überschwemmungsproblem gestürzt, das Jahr dar, dem Präsidenten des Verbandes senegalesischer Um- für Jahr Wut und Empörung provoziert. Schliesslich wurden weltorganisationen (Fedes) und ehemaligem Umwelt- und ganze Quartiere im Rahmen einer ambitiösen, aber aus- Fischereiminister. Er verlor seinen Ministerposten rasch, sichtslosen Umsiedlungspolitik verlegt. Das vom ehemaligen weil er gegen die Korruption ankämpfte, Ali El Haïdar be- Präsidenten Abdoulaye Wade 2006 lancierte Projekt Jaxaay mängelt immer wieder, dass «Ökologie zum Showbusiness («Adler» auf Wolof) führte zur Umsiedlung von 30 000 Men- geworden ist: Alle reden davon und niemand tut etwas». Der schen in 3000 subventionierte Häuser in Keur Massar, einer Damm ist denn in Senegal auch der einzige seiner Art geblie- anderen Vorstadt von Dakar. Allerdings haben Landflucht ben. Die Aufrufe der vor Ort nach wie vor einflussreichen und Armut dazu geführt, dass die Elendsviertel der Vorstädte religiösen Führer, weitere solche Projekte zum Schutz der sofort wieder besiedelt wurden. In der dicht besiedelten küstennahen Quartiere zu lancieren, verhallten weitgehend Hauptstadtregion von Dakar lebt ein Viertel der landesweiten ungehört. Bevölkerung, das sind zwischen 3 und 4 Millionen Men- Auch hier fehlt es an einer koordinierten behördlichen schen, auf engem Raum. Strategie. In einer Nachbarstadt von Thiaroye sind ganze Häuserblocks entlang der Küste eingestürzt, ohne dass dies Anstieg des Meeresspiegels Eine andere nicht Aufsehen erregt hätte. Nicht einmal für den Greenpeace-Ab- zu übersehende Auswirkung des Klimawandels ist der An- leger in Senegal ist das Problem prioritär. Er konzentriert stieg des Meeresspiegels, der die ganze Küstenregion bedroht. sich auf die illegale Fischerei in den westafrikanischen Ge- Besonders den Inseln der Casamance, im Süden des Landes, wässern, die zur Dezimierung der Fischbestände führt und sowie der Tourismusregion Petite-Côte werden die Fluten des den einheimischen Fischern ihre Erwerbsgrundlage entzieht. Atlantiks gefährlich. Dort, wo die Wellen schon die Gärten schöner Ferienanwesen überschwemmen, vermag das Vor- Ein Schulbeispiel Die EinwohnerInnen von Barg- dringen des Ozeans die Gemüter zu bewegen. Das Zurück- ny, einer 30 Kilometer von Dakar entfernten Stadt, wollen weichen der Küstenlinie wird auch in der nördlichen Stadt wirksamere Taten. Sie protestierten an den Klima-Vertrags- Saint-Louis – von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt – staatenkonferenzen (COP) in Paris und Marrakesch. Ihre zum Problem. Das Phänomen betrifft aber auch die Haupt- Stadt gibt ein Schulbeispiel für die aktuelle ökologische Kata- stadt: Dakar liegt auf der Cap-Vert-Halbinsel, der am weites- strophe in Afrika ab: Dutzende Häuser fielen den anrollen- den Fluten zum Opfer, aber Bauland zur Umsiedlung der © Reuters/Joe Penney Betroffenen fehlt. Die Stadtbehörden haben es für den Bau zweier Kohlekraftwerke reserviert; diese haben für die von Stromunterbrüchen heimgesuchte Stadt Vorrang – auch wenn sie die Luft verschmutzen und Bargny zusätzlich zum Anstieg des Meeresspiegels ein weiteres Gesundheitspro- blem aufhalsen werden. Das Sekretariat der Vereinten Nationen für Risikominde- rung hatte bereits am 28. Januar 2014 Alarm geschlagen. «Der Klimawandel ist im Begriff, Senegal unter Wasser zu setzen», warnte Margareta Wahlstrom, an die sich Bürgermeister auf der Suche nach internationaler Hilfe gewandt hatten. Auf ei- nen Aktionsplan wartet man vier Jahre später immer noch vergeblich, obschon der damalige Innenminister Abdoulaye Daouda Diallo als Erster eingeräumt hatte, die fehlende Ko- ordination in Sachen Zivilschutz stelle im Falle einer Naturka- Jahr für Jahr versinken Strassen im Wasser. tastrophe «eine der grössten Schwächen» Senegals dar. 18 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL Zügelaktion in der Südsee Der südpazifische Inselstaat Kiribati droht im Meer zu versinken. Deswegen hat die Regierung Land gekauft, das vor dem steigenden Meeresspiegel sicher ist: auf Fidschi. Von Bastian Hartig «D as alles», sagt Sade Marika und macht dabei eine © Bastian Hartig ausschweifende Armbewegung. «Dieses ganze Land gehört nun Kiribati.» Das Gebiet, über das der drahtige Mann blickt, reicht vom einige Kilometer entfernten Südpazifik bis hin zu den wolkenverhangenen Berggipfeln, die auf der an- deren Seite in etwa gleicher Entfernung in den Himmel stei- gen. Dazwischen ist vor allem dichter Urwald. Mehr als 2000 Hektar umfasst das Stück Land, das ent- spricht etwa der Fläche von Liestal. Der kleine Inselstaat Kiriba- ti hat das Gebiet vor vier Jahren im Fidschi-Inselreich gekauft. Auf Fidschi sind hauptsächlich die küstennahen Gemeinden vom steigenden Meeresspiegel betroffen, während sich die zer- klüfteten Vulkanberge im Innern der beiden Hauptinseln auf über 1300 Meter erheben. Auf den Atollen Kiribatis hingegen ist alles küstennah – und vor allem maximal ein paar Meter über dem Meeresspiegel. Das Leben dort wird für die knapp 115 000 EinwohnerInnen immer schwieriger. Das steigende Meer drängt die Menschen zunehmend auf dem ohnehin Sade Marika ist Vorsteher des Dorfs Naviavia auf Fidschi. Es liegt mitten in dem knappen Land zusammen und lässt das Trinkwasser versalzen. Gebiet, das nun Kiribati gehört. Grosse Pläne Sade Marika ist der Dorfvorsteher der gelt deshalb mit einer eigenen Hochseefischfangflotte und Fi- 270-Seelen-Gemeinde Naviavia auf Fidschi. Das Dorf ist ein- schereiindustrie. Aber dafür braucht es Platz, grosse Mengen gerahmt von Kokospalmen und einem kleinen Fluss. Ein Süsswasser und andere Rohstoffe. Alles Dinge, die auf Kiribati paar Männer haben sich in der Abendsonne zum Palavern selbst nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen, die es aber versammelt. Rundherum zwitschern die Vögel. Kinder war- rund um Naviavia gibt. ten auf das Nachtessen, während ein Dutzend junger Män- Dort übt man sich noch in vorsichtigem Optimismus. ner Rugby spielen. «Wir hier im Pazifik sind doch irgendwie alle vom selben Doch die Zukunft ist ungewiss. Denn die kleine Gemeinde Schlag», sagt Efraimi Tangenagitu. Aber sein rundes Gesicht liegt mitten in dem Gebiet, das jetzt dem Staat Kiribati gehört. wirkt etwas angespannt. Als die Pläne Kiribatis den Dorfbe- Und der hat hier viel vor. «Man hat uns gesagt, sie werden hier wohnerInnen unterbreitet wurden, gab es Bedenken, ob das Landwirtschaft betreiben, vor allem Maniok und andere Wur- Zusammenleben gut klappen würde, schon allein wegen der zeln anbauen», erklärt Sade Marika. Fragt man Reteta Rimon, unterschiedlichen Sprachen. Gefragt, ob sie mit dem Verkauf Kiribatis Botschafterin in Fidschi, dann erfährt man, dass das einverstanden sind, wurden sie hier sowieso nie. Das Land wohl nur ein Teil der Wahrheit ist. «Es gibt Überlegungen, un- gehörte der anglikanischen Kirche. Die hatte den Bewohne- seren Fischereisektor auszubauen», sagt die elegante Dame. rInnen von Naviavia lediglich ein Nutzungsrecht eingeräumt. Die 33 Inseln und Atolle, aus denen Kiribati besteht, sind über Nach dem Verkauf bleiben ihnen jetzt noch gut 120 Hektar eine Fläche von 3,5 Millionen Quadratkilometern verteilt, da- zur Bewirtschaftung. Das Leben wird sich hier durch den Kli- zwischen liegen einige der reichsten Thunfischfanggebiete des mawandel grundlegend ändern. Pazifischen Ozeans. Kiribati verpachtet zwar die Fanglizenzen, aber den grossen Profit machen andere. Die Regierung liebäu- Bastian Hartig ist freier Journalist in Bangkok. 19 AMNESTY Juni 2018
DOSSIER_ KLIMAWANDEL Der Klimawandel verschärft die schweren Dürreperioden, von welchen Thailands Reisbauern und -bäuerinnen immer wieder © Sukree Sukplang / Reuters getroffen werden. Ernteausfälle treiben sie in die Hände von Kredithaien. Von Mathias Peer. Mitarbeit: Pintong Lekan Fehlt der Regen, dann fehlt der Reis K urz bevor die Regenzeit beginnt, hat Laam Lakul viel auf ihrem Feld zu tun. Zusammen mit HelferInnen pflügt die Bäuerin aus Ban Pho Tak, einem kleinen Dorf im Nordos- Niño-Jahre. Die Wetterkapriolen entstehen, wenn relativ warmes Oberflächenwasser über den tropischen Pazifik Richtung Osten strömt. Der Klimawandel, sagen ExpertIn- ten Thailands, dann ihren fast vier Hektar grossen Acker um. nen, führe dazu, dass die extremen Verhältnisse öfter und Hinterher verteilt sie die Reissamen über dem Boden. Und heftiger auftreten. In Thailand treffen die Folgen vor allem dann hofft sie auf ihr Glück. Wenn es genug regnet, hat die die Ärmsten des Landes. 66-Jährige ein gutes Jahr. Dann erntet sie weit mehr Reis, als Während Frau Laam im Frühjahr 2016 auf ein bisschen ihre Familie essen kann. Doch bleibt der Regen aus, dann Niederschlag hoffte, waren die Pools in den Hotelanlagen des fehlt auch die Ernte. Stattdessen droht die Schuldenfalle. Urlaubslandes so voll wie gewöhnlich, auch die Fabriken in An die letzte Dürre kann sich Frau Laam noch gut erin- den grossen Industriegebieten östlich der Hauptstadt Bang- nern. Erst zwei Jahre ist es her, dass Ban Pho Tak so trocken kok wurden weiterhin mit ausreichend Wasser versorgt, um war wie ein Wüstendorf. «Ich war nervös, ich hatte Angst», die Produktion nicht weiter zu stören. Nur für die Landwir- sagt sie. «Ich wusste nicht, ob wir genug zu essen haben wer- tinnen, die vor allem vom Reisanbau leben, hatten die Behör- den.» Das Wetterphänomen El Niño sei schuld, dass es schon den schlechte Nachrichten: Die Schleusen der Bewässerungs- das zweite Jahr in Folge viel weniger Niederschlag gebe als systeme blieben in vielen Gemeinden dicht. Das wenige sonst, erklärten MeteorologInnen damals. Frau Laam und Wasser, das sich in den Stauseen angesammelt hat, werde in ihre Familie zählten zu den Leidtragenden: Statt 200 Säcken den Städten dringender gebraucht – hiess es. Die Bauern hat- Reis, die ihr Feld normalerweise abwirft, passte die gesamte ten das Nachsehen. Ernte in 50 Säcke. Die Kredite, die sie zuvor für den Kauf von «Wohngegenden und Industrieviertel haben aus Sicht der Düngemitteln aufgenommen hatte, wurden trotzdem fällig. Regierung bei Wasserknappheit Priorität. Die Landwirtschaft «Mein Sohn arbeitet in der lokalen Verwaltung», erzählt steht an der letzten Stelle», sagt Danny Marks, der für das Pro- Laam. «Wir waren auf sein Geld angewiesen.» jekt «Urban Climate Resilience in Southeast Asia» der Univer- sität von Toronto untersucht hat, wie Gemeinden in Thailand Es trifft die Ärmsten Die jüngsten Dürren trafen vom Klimawandel betroffen sind. Neben den Bauern und Bäu- nicht nur Ban Pho Tak mit voller Wucht. Mehr als 40 von erinnen sieht er noch eine weitere Gruppe, die mit besonders Thailands 76 Provinzen meldeten während des Höhepunkts grossen Problemen zu kämpfen hat: die SlumbewohnerInnen der Krise akuten Wassermangel. In 15 Provinzen wurde we- am Rand von Thailands aufstrebenden urbanen Zentren. gen des fehlenden Regens sogar der Katastrophenfall ausge- In Khon Kaen, der grössten Stadt in Thailands Nordosten, rufen. Dürren wie diese sind in der Region typisch für El- leben sie am südlichen Stadtrand. Entlang der Eisenbahn- schienen findet sich die Siedlung Rop Muang 1, in der Danny Marks im vergangenen Jahr sechs Wochen verbracht hat. Der Forscher beschreibt die EinwohnerInnen der Gemeinde als Mathias Peer ist freischaffender Reporter in Bangkok. Menschen, die für den wirtschaftlichen Aufstieg der Stadt 20 AMNESTY Juni 2018
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