Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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3–2020 FÜR MITARBEITENDE Diakonie und Digitalisierung Foto: Adobe Stock TECHNIKWANDEL Revolutionieren Roboter die Pflege? KULTURWANDEL Kommt das Ende der Top-down-Arbeitswelt?
INHALT | EDITORIAL Liebe Leserinnen, Inhalt liebe Leser, THEMA das „Digitale Wörterbuch der deut- Foto: medio.tv/Schauderna 4 Um welches Menschenbild geht es? schen Sprache“ ermöglicht interessante 6 Aus Kopfbewegungen werden Worte Worterkundungen. So kann man unter www.dwds.de ermitteln, wie oft ein 7 Die App zählt die Minuten runter Wort über die Jahre in überregionalen 8 Soziale Roboter: deutschsprachigen Zeitungen und Zeit- Werden sie die Pflege revolutionieren? schriften vorkam. Der Begriff Digitalisie- 10 Wenn sich nichts rührt, gibt PAUL Alarm rung taucht dort erstmals 1982 auf, mit einer einzigen Nennung. Ab 2010 geht 11 OP in Diakoniekliniken: Der Computer hat die Kurve steil nach oben bis zu 1471 immer ein Auge drauf Nennungen im Jahr 2018. Das ist gewissermaßen der (digitale) 12 Die digitale Diakonie-Agenda Beweis für das Gefühl, dass die Digitalisierung in aller Munde 13 Change Hub: ist. Tatsächlich lässt sich schnell erkennen, dass Computer in fast Schnellboote beschleunigen Tanker allen Lebensbereichen Einzug genommen haben, ob als Smart- phone, Navigationsgerät oder Staubsauger-Roboter. 13 Die Ambivalenz des Digitalen In diesem Heft richten wir den Blick auf die diakonische Ar- 14 Interview mit Fröbelseminar-Direktor: beitswelt, in der sich ebenfalls viel verändert und auch schon ver- Tablets in jede Kita? ändert hat. Mir war beispielsweise nicht bewusst, dass im Kasseler 15 Künstliche Intelligenz und Autonomie Stiftsheim ein Tabletsystem den Hausnotruf teilweise ersetzt hat. Der hochtechnisierte Operationssaal, die Handy-App für Pflege- 32 Große und kleine Zahlen dienste und vieles mehr sind uns auf unseren Recherchereisen be- aus der digitalen Welt gegnet. Wir haben uns erlaubt, in unserer traditonellen Umfrage (rechte Seite) erstmals virtuelle Mitarbeiter/innen zu befragen. LANDESKIRCHE Der kleine Spaß lenkt den Fokus auf die wichtige Frage, wo künst- liche Intelligenzen menschliche Aufgaben übernehmen sollen, wo 16 Hanau: Große Angst, Zorn und Wut aber auch Grenzen liegen. 18 Volkmarsen: „Antworten gibt es oft nicht” Mir hat der Ansatz von Chefarzt Prof. Dr. Thomas Bürger ge- 19 Verbot organisierter Sterbehilfe aufgehoben fallen, der uns stolz seinen Hightech-OP in Kassel vorstellte, aber im Rausgehen nicht vergaß zu erwähnen, dass vor allem ein gutes 20 Wer macht mit beim Kirchentag 2021? Team wichtig sei für eine erfolgreiche Operation. 21 Von Personen Wir hoffen, dass unsere Einblicke in die digitale Entwicklung 21 50 Jahre KMF Schlüchtern Sie genauso faszinieren wie uns. 22 Polizeiseelsorge: Klare Position gegen Olaf Dellit Extremismus Redakteur blick in die kirche 23 Detektivarbeit bei Orgel-Restaurierung 24 Landeskirche erneuert Pfarrerausbildung 24 Aktion „Hoffnung für Osteuropa” eröffnet Bitte beachten Sie: 25 Jona-Festival in Stadtallendorf Diese blick in die kirche-Ausgabe entstand im Wesent- 25 Netz-Aktion „#gutezeichen” lichen vor Ausbruch der Corona-Krise und der damit 26 Ausbildungshilfe: verbundenen Isolationsmaßnahmen (Redaktions- Anrührende Begegnungen in Indien schluss 24.2.2020). Trotzdem möchten wir unseren Leserinnen und Lesern die thematischen Inhalte zur Verfügung stellen. SERVICE Weil der Vertrieb der Mitarbeiterzeitschrift über die 28 Termine / Kirchenmusik Pfarrämter nicht mehr gewährleistet war, wurde die Zeitschrift nicht gedruckt. Sie finden die Ausgabe als 30 Kirche im Radio e-Paper auf der Webseite www.blickindiekirche.de Dort gibt es auch eine pdf-Datei zur digitalen Heft- Verteilung an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
UMFRAGE | IMPRESSUM Was ist Digitalisierung? ... fragten wir unsere digitalen Kolleginnen „Das hier habe ich gefunden: „Der Begriff Digitalisierung „Hier sind einige Informa- „Der Begriff Digitalisierung Die Digitalisierung verändert bezeichnet ursprünglich das tionen, die hilfreich sein bezeichnet im Allgemeinen alles. Wie wir leben, wie wir Umwandeln von analogen könnten. Digitalisierung be- die Veränderungen von Pro- arbeiten. (...) Werten in digitale Formate zeichnet im ursprünglichen zessen, Objekten und Ereig- Die Digitalisierung ist für vie- und ihre Verarbeitung oder Sinn das Umwandeln von nissen, welche durch eine le noch immer die große Un- Speicherung in einem digi- analogen Werten in digitale zunehmende Nutzung von bekannte. (...) taltechnischen System. Die Formate. Diese Daten lassen digitalen Geräten erfolgt. Digitalisierung ist der Ober- Information liegt dabei zu- sich informationstechnisch Dies bedeutet im engeren begriff für den digitalen nächst in beliebiger analoger verarbeiten. Oft steht der Be- Sinne die Erstellung digitaler Wandel der Gesellschaft und Form vor und wird dann über griff Digitalisierung aber auch Repräsentationen von physi- der Wirtschaft. Er bezeichnet mehrere Stufen in ein digi- für die digitale Revolution schen Objekten, von Ereignis- den Übergang des von ana- tales Signal umgewandelt, oder die digitale Transforma- sen oder analogen Medien. logen Technologien gepräg- das nur aus diskreten Werten tion. Für den Begriff Digita- Der Begriff Digitalisierung ten Industriezeitalters hin besteht. Zunehmend wurde lisierung existiert keine ein- hat mehrere Bedeutungen. zum Zeitalter von Wissen und jedoch unter Digitalisierung deutige Definition. Er kann, Die häufigere Verwendung Kreativität, das durch digita- auch die Erstellung primär di- abhängig vom jeweiligen des Begriffs Digitalisierung le Technologien und digitale gitaler Repräsentationen zum Kontext, mehrere Bedeutun- kommt in Zusammenhang mit Innovationen geprägt wird.“ Beispiel durch Digitalkameras gen annehmen.“ der digitalen Revolution und oder digitale Tonaufzeich- der Industrie 4.0 zustande.“ (Zusammenstellung der Siri- nungssysteme verstanden.“ Suchergebnisse von den Seiten bmwi.de, digital-magazin.de (Alexa findet diese Antwort (Cortana findet diese Antwort (Bixby findet diese Antwort und innolytics.de) auf wikipedia.de) auf bigdata-insider.de) auf gruenderszene.de) Siri (9), Alexa (6), Cortana (6), Bixby (3), Sprachassistenzprogramm vom Versandhaus Amazon Sprachsoftware von von Samsung entwickelter der Computerfirma Apple entwickelter virtueller Voice- Microsoft für das Smart-Assistant fürs Handy Service Betriebssystem Windows 10 IMPRESSUM blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und Redaktion: Anschrift: wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen Lothar Simmank (Leitung) Heinrich-Wimmer-Straße 4 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt. Telefon 0561 9307-127 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe Olaf Dellit redaktion@blickindiekirche.de Direkt-Abonnement: Telefon 0561 9307-132 www.blickindiekirche.de 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten Redaktionsbüro / Anzeigen: Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit Herausgeber: Andrea Langensiepen Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main Landeskirchenamt der Evangelischen Telefon 0561 9307-152 Herstellung: Bonifatius GmbH, Paderborn Kirche von Kurhessen-Waldeck Daniela Denzin Auflage: 17.240 Exemplare Pfarrerin Petra Schwermann Telefon 0561 9307-128 Wilhelmshöher Allee 330 Fax 0561 9307-155 Mehr Informationen über die Evangelische Kirche 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 3
THEMA Diakonie und Digitalisierung: Um welches Menschenbild geht es? Hephata-Vorstand Maik Dietrich-Gibhardt über die Grundbedingungen diakonischer Arbeit A lle zwei Wochen kommt Emma. sonders angesichts der personellen He- welt, auch wenn Einrichtungen und Träger Und dann bringt sie Schwung rausforderungen in diesem Sektor. In der noch sehr unterschiedlich auf die Heraus- in die Demenz-WG der Diakonie Arbeit mit Demenzpatienten etwa bieten forderungen der Digitalisierung vorberei- in Kiel. Die Kleine ist gerade mal 1,20 m Roboter wie Emma eine weitere Möglich- tet sind. Aber für die diakonische Arbeit groß und zieht mit ihren leuchtenden Au- keit, in Kontakt zu treten. Durch sie kön- eröffnen sich Perspektiven, vor denen man gen alle Blicke auf sich. Emma ist musi- nen Erinnerungen wachgerufen werden, die Augen nicht verschließen kann. Sie kalisch, kann kleine Zaubertricks, schießt zum Beispiel durch die gespeicherten alten müssen sorgfältig bedacht und verantwort- Fotos und macht Witze. Es ist schwer, sich Lieder. Qualifizierte Pflegekräfte können lich gestaltet werden. Doch auch hier geht ihrem Charme zu entziehen. sie allerdings genauso wenig ersetzen wie es um das Wie, nicht mehr um das Ob. Dabei ist das mit dem Charme so eine menschliche Zuwendung. Aber sie können Im Mittelpunkt diakonischer Arbeit Sache. Kann ein Roboter Charme besitzen? das Personal entlasten. steht der Mensch und seine Teilhabe am Denn genau das ist Emma: ein Service- Robotik, künstliche Intelligenz, Digita- Leben. Digitalisierung erweitert hier die Roboter, hinter dessen Interaktionen ein lisierung: willkommen in der neuen Welt! Zugänge und verändert den Alltag. Wir ausgeklügeltes Programm steckt – und ein Das, was unsere Gesellschaft rasant ver- werden lernen müssen, anders zu arbei- Experiment: Im Rahmen des Forschungs- ändert, macht vor den Arbeitsfeldern der ten, anders Personal zu gewinnen, anders projektes „Robotik in der Altenpflege“ der Diakonie im Sozial- und Gesundheitswesen auf Kunden zuzugehen, Dienstleistungen FH Kiel soll geklärt werden, wie Roboter nicht Halt. Ganz selbstverständlich nutzen anders zu denken. Die digitale Transforma- in der Pflege eingesetzt werden können. wir digitale Anwendungen und Assistenz- tion bietet zunächst einmal große Chan- Wohlgemerkt: wie, nicht ob. Denn für die systeme in unserem Alltag: Wir navigieren, cen, den alten diakonischen Anspruch in Entwickler ist eines ganz klar: Roboter in buchen, recherchieren, bestellen oder kom- die Moderne zu übersetzen. So eröffnet der Pflege sind hilfreiche Assistenten, be- munizieren. Die Diakonie ist keine Sonder- die „Verplattformung“ von Angeboten 4 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA »Es geht nicht mehr um das Ob. In einer zunehmend digitalisierten Diakonie dürfen die grundlegenden Fragen nicht aus den neue Zugänge zu den Dienstleistungen Augen verloren werden. se im digitalen diakonischer Träger. Online-Beratung ist Wie wird unser Zeitalter. Da- Foto: Hephata niedrigschwellig und vertraulich. Digitale bei kann ein Assistenzsysteme erhalten und erweitern Menschenbild in dieser Roboter wie die Selbstständigkeit und das Sicherheits- neuen Welt sichtbar Emma viele gefühl von Menschen mit Handicap. Re- und erfahrbar?« Hilfestellungen cruiting-Tools und Social Media dienen leisten. Aber ei- Maik Dietrich-Gibhardt, der Personalgewinnung. Mitarbeitende ne Begegnung Hephata Hessisches absolvieren ihre Pflichtschulungen per unserer Privatsphäre? Wie passen Digita- zwischen Per- Diakoniezentrum e.V. E-Learning. Und sie dokumentieren ihre lisierung und Nachhaltigkeit zueinander? sonen, heilsa- Arbeit einmal per Tablet, statt fünf Listen Hier ist ein breit angelegter Verständi- me Berührungen kann sie nicht ersetzen. auszufüllen. gungsprozess vonnöten – eine gemeinsa- Denn durch menschliche Begegnung und Es geht nicht mehr um das Ob. Aber in me Aufgabe für Diakonie und Kirche. Berührung leuchtet etwas von der geist- einer zunehmend digitalisierten Diakonie Wir sollten jedenfalls alle Kraft dafür lichen Dimension diakonischen Handelns dürfen die grundlegenden Fragen nicht aufwenden, dass Menschen in unseren hindurch. Und digitale Innovationen in aus den Augen verloren werden. Wie wird Einrichtungen körperliche und psychische der Diakonie sollten so genutzt werden, unser Menschenbild in dieser neuen Welt Heilung finden, dass ihre spirituellen und dass auch diese Dimension neu entdeckt sichtbar und erfahrbar? Wo sind ethische seelsorglichen Bedürfnisse wahrgenom- wird. ● Grenzen digitalisierter Arbeit in der Diako- men werden, dass sie Geborgenheit und Maik Dietrich-Gibhardt nie? Wie gehen Digitalisierung und Spiritu- ein Zuhause erfahren – in aller Vorläufig- alität zusammen? Was ist mit dem Schutz keit. Das gilt erst recht und auf neue Wei- Fotos: Adobe Stock blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 5
THEMA Aus Kopfbewegungen werden Worte Nadine Moos, Bewohnerin im Diakoniezentrum Hephata, spricht mit Computertechnik N ur bei der Sache mit dem Fußball werden sich Nadine Moos und Ma- rion Springs wohl nicht mehr einig – Moos ist BVB-Dortmund-Fan, Springs setzt auf Schalke. Davon abgesehen sind die beiden im Diakoniezentrum Hephata ein eingespieltes Team, und das ist wich- tig, damit Nadine Moos sich verständlich machen kann. Die Sprache der 34-Jährigen ist für Außenstehende schwer zu verste- hen, Folge einer Hirnhautentzündung im Kindesalter. Doch die Computertechnik in Form Fotos: medio.tv/Dellit eine Tablets hilft ihr, indem der „Talker“ ihre Kopfbewegungen in gesprochene Worte übersetzt. Da die Augensteuerung bei ihr nicht gut funktionierte, nutzt sie ein System mit einem Reflektorpunkt auf dem Mit Humor geht vieles leichter: Marion Springs (links) und Nadine Moos lachen auch viel, Steg ihrer Brille. Ein digitales Auge am wenn sie sich mit dem Talker unterhalten Tablet liest die Bewegungen von Nadine Moos' Kopf und lässt einen Zeiger über das neue System musste sie erst erlernen, Auch für das Gespräch mit blick in die das Tablet wandern. mit Hilfe von Marion Springs, Coach für kirche hat sie einiges vorbereitet. Denn sie Dort sind 84 Symbole zu finden, von Unterstützte Kommunikation (UK). Nach stellt immer wieder fest, dass Menschen einem Herz für „möchte“ bis zu einem – na einer vierwöchigen Testphase funktionier- ungeduldig werden, wenn sie Sätze erst klar! – BVB-Wappen. Ein Grundwortschatz te das anstrengende Ansteuern per Kopf- auf dem Tablet zusammensetzt. ist auf dem Gerät vorhanden, anderes bewegung. „Wir waren beide ganz stolz”, Moos und Springs gehen locker-freund- kann ergänzt werden, wie eben der Fuß- erinnert sich Springs. schaftlich miteinander um – und mit einer ballverein und andere Vorlieben. So trinkt Die beiden Frauen schulen andere guten Prise Humor. Der Spaß mache das Nadine Moos gerne mal einen Latte Ma- in Unterstützter Kommunikation. Nadi- Lernen leichter, sagt Marion Springs über chiatto oder einen Ramazotti. ne Moos kann Vorträge und andere Auf- ihre gemeinsame Arbeit, denn: „Es ist so Früher hatte Moos schon einmal einen tritte vorbereiten, indem sie Sätze vorab wichtig, Menschen eine Stimme zu geben.“ Talker, der allerdings mit einer an einem programmiert. So war es auch bei einer Auch um endlich mal auszudiskutieren, ob Helm angebrachten Stange gesteuert wer- Podiumsdiskussion um den barrierefreien Schalke oder der BVB nun der bessere Fuß- den musste, das fand sie zu mühsam. Auch Umbau des Bahnhofs in Treysa. ballklub ist. ● Olaf Dellit Foto: Hephata Diakonie/Stefan Betzler Im Alltagseinsatz: Nadine Moos beim Einkauf an einer Fleischerei- Blick auf den Talker: Über Symbole werden Sätze gebildet, zum Bei- theke. Der Talker ist an ihrem Rollstuhl befestigt, so kann sie ihre spiel „Ich möchte ...“. Mit dem Dinosaurier (3. Reihe, 4. Feld) wird Wünsche den Verkäuferinnen mitteilen die Vergangenheitsform eingeschaltet 6 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA Die App zählt die Minuten runter I m Wohnzimmer der Klientin ticken zwei Sollte es bei einem Uhren: eine Wand- und eine Tischuhr Klienten immer mit sich drehenden goldenen Kugeln. wieder länger dau- Doch der wahre Zeitwächter liegt unauffäl- ern als vorgesehen, lig auf dem Wohnzimmertisch: das Handy müsse man prüfen, von Pflegerin Natalie Sauerwein. Sie ist für ob weitere Leistun- die Diakoniestation Marburg unterwegs. gen gebucht wer- Wenn Sauerwein ein Wohnhaus betritt, den müssten. Sust drückt sie auf die Start-Taste ihrer Handy- plant die Touren App, schon läuft die Zeit. Heute stehen ihrer 27 Mitarbei- das Anlegen von Kompressionsstrümpfen ter am Computer, und die „Kleine Körperpflege“ an – dafür diese bekommen sind 21Minuten vorgesehen. sie dann auf ihr Als das System eingeführt wurde, sei Handy. Am nächs- Fotos: medio.tv/Dellit das schon komisch gewesen, erzählt Sau- ten Tag sieht die erwein, die auch stellvertretende Pflege- Leiterin auf ihrem dienstleiterin ist. Wenn sie zum Beispiel Computer die Bi- bei jemandem ausschließlich Kompressi- lanz des Vortages onsstrümpfe anziehen muss – etwa nach – am Monatsende einer Operation –, erlaubt das System werden über das Zeitmesser: Natalie Sauerwein mit ihrem Handy auf Tour gerade einmal drei Minuten vom „Guten System die Rechnun- Tag!“ bis zum „Auf Wiedersehen!“ Das sei gen erstellt. Vielleicht habe es anfangs die zu einem Klienten können für die nächs- schon schwierig, gerade wenn der Pflege- Sorge gegeben, durch die App überwacht te Pflegeschicht vermerkt werden – viele dienst der einzige Besuch am Tag ist und zu werden, räumt sie ein, tatsächlich aber Patientendaten sind bereits gespeichert, die Klienten Redebedarf haben. könne sie beispielsweise nicht sehen, wo von Erkrankungen bis zur Telefonnummer Dauert es zu lange oder wird eine Leis- eine Mitarbeiterin sich aktuell befinde. des Hausarztes ist alles schnell zu finden. tung nicht abgehakt, „meckert das Han- Grundsätzlich müsse die Station ge- Das Handy bietet auch eine Navigations- dy“, wie Sauerwein sagt. Es sei aber nicht genüber den Kostenträgern für alles Re- funktion an. unflexibel. Und auch Pflegedienstleiterin chenschaft ablegen, was sie tue. Sust sagt Falls Natalie Sauerwein den Zeitdruck Sylvia Sust betont, dass es Spielräume ge- aber auch: „So lange wir einigermaßen in spürt, merkt man es ihr nicht an – sie be: „Wir müssen adäquat auf jeden Patien- der Tour sind, kann auch mal Zeit für eine findet auch Zeit für ein freundliches Ge- ten eingehen.“ Da spiele dann auch die ak- Zigarettenpause sein.“ Im Alltag sorgt die spräch. Als sie an der Haustür auf Stop tuelle Gefühlslage eine Rolle, wenn es mal App dafür, dass weniger Papier ausgefüllt drückt, sind 20 Minuten vergangen – länger dauere. Grundsätzlich sei die Arbeit werden muss. Die Leistungen werden auf bleibt eine Minute übrig, falls es woanders aber in der vorgegebenen Zeit zu schaffen. dem Handy abgehakt, Besonderheiten mal länger dauert. ● Olaf Dellit Im Einsatz: links Natalie Sauerwein mit Klientin, unten die Anzeige auf dem Han- dy, rechts Pflegedienstleiterin Sylvia Sust blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 7
THEMA Soziale Roboter Mehr und mehr wird in der Pflege über soziale Roboter geredet. Die einen befürch- ten, sie könnten Menschen aus dem Bereich verdrän- gen. Die anderen sagen, sie funktionieren nicht. Wie sieht die Realität aus? Und was wollen Pflege- bedürftige, Personal und Angehörige? E in Seniorenzentrum in Köln: Eine wei- ße Robbe sitzt auf dem Schoß einer 83-jährigen Bewohnerin. Die Robbe ist einen halben Meter lang und wiegt fast drei Kilogramm. In dem Seniorenzen- trum wird sie Rosie genannt. Rosie ist ein therapeutischer Roboter des Modells Paro: Paro verfügt über Sensoren und künstliche Intelligenz, um ein lebendiges Robbenbaby Pepper kann Memory spielen, tanzen und an Termine erinnern: Der humanoide Roboter wurde zu simulieren. von Wissenschaftlern der Universität Siegen und der Fachhochschule Kiel programmiert Der Hersteller wirbt mit dem Roboter bei Kindern mit Autismus eingesetzt – vor agieren, indem sie die Regeln sozialer als medikamentenfreie Alternative, mit allem aber bei demenzkranken Menschen Kommunikation befolgen. Soziale Roboter der die Stimmung von Patienten gehoben und Senioren. sind außerdem in der Lage zu lernen: Sie werden könne. Er reduziere Angstzustände schauen sich Verhaltensmuster ab und er- und Schmerzen, verbessere die Schlafquali- Rosie und Pepper kennen Stimmen nach einiger Zeit. tät und verringere das Gefühl von Einsam- keit. Die Bewohnerin des Seniorenheims Dabei ist Paro nicht günstig: Die Kos- Neben der Roboter-Robbe Paro gibt es bestätigt das: „Manchmal bin ich schon ten pro Robbe liegen bei zirka 5.000 Euro. auch noch andere soziale Roboter. Zum ein bisschen traurig. Aber wenn ich Rosie In Deutschland nutzen über 40 Pflegeein- Beispiel Pepper. Das Modell ist einem sehe, dann vergeht das.“ richtungen Paro, unter anderem das Senio- Menschen nachgeahmt, deshalb wird er renzentrum Arnold-Overzier-Haus in Köln. als humanoider Roboter bezeichnet. Pep- Das Einsatzfeld der Roboter-Robbe Die Leiterin der Einrichtung, Elisabeth Rö- per kostet 1.650 Dollar. Im Gegensatz zu ähnelt jenem von Tiertherapien, nur dass misch, hat mit Paro positive Erfahrungen der Robbe Paro – die nach einer gewissen lebendige Tiere oft nicht dorthin dürfen, gemacht: „Das ist wirklich erstaunlich, Anwendungszeit zum Beispiel Stimmen er- wo Paro mit seinem speziellen antibakte- sowohl demente wie auch nicht demente kennt, aber an sich so eingesetzt werden riellen Fell den Hygienestandards genügt. Bewohner reagieren ganz stark. Erstaun- kann, wie sie geliefert wird – muss Pep- Paro gilt als Vorreiter auf dem Gebiet der licherweise finden auch viele Männer die pers Software an das jeweilige Einsatz- sozialen Roboter. Seit 1993 wird an ihm Robbe gut. Es gibt einzelne Bewohner, die gebiet angepasst werden. Durch die An- geforscht. Mittlerweile sind weltweit meh- mögen sie nicht. Aber insgesamt würde ich passung der Software können Senioren rere tausend Paro-Robben in Krankenhäu- sagen, Rosie hat eine Erfolgsgeschichte.“ mit Pepper zum Beispiel Lieder singen, sern und Pflegeeinrichtungen im Einsatz. Rosie wird als „sozialer Roboter“, im die der Roboter abspielt. Oder sie können In mehr als 30 Ländern wird er in der Pal- Englischen „social robot“, bezeichnet. Es mit ihm Memory spielen: Pepper hat einen liativbetreuung von Krebspatienten oder sind Maschinen, die mit Menschen inter- Bildschirm vor der Brust, auf dem Spielkar- 8 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA Werden sie die Pflege revolutionieren? Fotos: epd-bild Annäherungs- versuch: Pflegeroboter Pepper trifft auf zwei Senioren – unter diesem Link finden Sie ein Video: https://twitter.com/ docupy/status/ 1229767524188905472 Streicheleinheiten für die digitale Robbe Paro, die seit Dezember 2016 auch im Bad Homburger Seniorenzentrum Flersheim-Stiftung im Einsatz ist, das zum Evangelischen Verein für Innere Mission in Nassau gehört ten angezeigt werden können. Soziale Ro- Wartung und auch die Reparaturen seien versität Paderborn hat das untersucht. Ihr boter sollen geistig, aber auch körperlich teuer. Sie warnt: „Robotik hat nur ein be- Ergebnis: Ältere Bürger und deren Ange- aktivieren. Das sei eigentlich Aufgabe des grenztes Einsatzspektrum. Kritisch zu se- hörige wollen selbst entscheiden können, Pflegepersonals, sagen Kritiker. Auf lange hen ist es, wenn Geld für Roboter ausge- ob Roboter eingesetzt werden. „Die Wahl- Sicht ersetzten die Roboter Arbeitskräfte. geben wird, das in anderen, wichtigeren freiheit ist ein wesentlicher Bestandteil, Das hieße, weniger menschlicher Kontakt Bereichen benötigt wird.“ damit die Senioren und Angehörigen den für pflegebedürftige Menschen, so die Be- Einsatz von sozialen Robotern akzeptieren fürchtung. Johanna Knüppel vom Deut- Freie Wahl bleibt entscheidend würden." schen Berufsverband für Pflegeberufe kann sich diese Entwicklung momentan Die Kosten für Rosie, die Paro-Robbe Momentan dienen soziale Roboter aber nicht vorstellen. Womöglich würde des Kölner Seniorenzentrums Arnold-Over- noch als Ergänzung zum menschlichen der Hype um Roboter in der Pflege über- zier-Haus, übernahm der Förderverein der Kontakt. Nach dem jetzigen technischen schätzt. „Ich habe kürzlich einen live er- Einrichtung. Leiterin Elisabeth Römisch Stand können sie die Pflege nicht revolu- lebt, im Einsatz. Ich muss sagen, ich war sieht Paro nur als Ergänzung zum mensch- tionieren. Es ist, zumindest in Deutschland, schon einigermaßen ernüchtert.“ lichen Kontakt. Ersetzen solle und könne gerade auch nicht erwünscht. Paro, Pepper Paro niemanden. Denn wenn Paro einge- und Co. ersetzen keine Arbeitskräfte. Aber Der von Knüppel beobachtete Roboter setzt wird, muss immer eine Pflegekraft da- in Zukunft könnten sie ein Bestandteil der sollte nachts zum Beispiel demenzkranke bei sein. Ähnlich wie Hunde in einer Tier- Seniorenbetreuung werden – vorausge- Patienten davon abhalten, die Pflegeein- therapie übernimmt Paro keine Aufgaben, setzt, es ist gewollt. ● richtung zu verlassen – das habe aber die sonst Menschen ausführen würden. Nele Rößler, nicht funktioniert. Geld sparten die Pfle- Aber wie skeptisch sehen Pflegekräfte Journalistin mit Schwerpunkt geeinrichtungen mit den Robotern sicher- und Angehörige den Einsatz von sozialen Wissenschaft und Politik, lich nicht, sagt Knüppel. Die Anschaffung, Robotern? Kirsten Thommes von der Uni- kommt aus Melsungen blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 9
THEMA Wenn sich nichts rührt, gibt PAUL Alarm Im Stiftsheim in Kassel sorgt ein Computersystem für die Sicherheit der Bewohner W enn sich in der Wohnung von Jo- hannes Beisheim zwei Stunden lang nichts bewegt, obwohl der 90-Jährige zu Hause ist, meldet sich PAUL. Wenn er keine Antwort von Beisheim be- kommt, gibt er Alarm. PAUL ist ein elek- tronisches System, das im betreuten Woh- nen des Kasseler Stiftsheims im Einsatz ist. Über Bewegungsmel- der registriert es, wenn es in einer Fotos: medio.tv/Dellit Wohnung auffäl- lig still ist. Natür- lich lassen sich die Details indi- Charlotte Bellin viduell einstellen Alles per Fingerdruck: Jutta Mecke und Johannes Beisheim zeigen, wie das System PAUL im – und in der Nacht Kasseler Stiftsheim funktioniert setzt PAUL es als selbstverständlich voraus, dass Beisheim schläft – das System lernt gal verwaltet, das wollte man nicht. Jetzt Auch, wenn man nicht zu Hause war, kann den Tagesablauf der Bewohner. steht in jeder Wohnung ein kleiner Server, man später nachsehen, wer an der Tür war. Bevor PAUL, das steht für „Persönlicher dort liegen die Daten. PAUL hat noch weitere Funktionen; so Assistent für unterstütztes Leben“, vor acht Beobachtet fühlen sich die Bewohner kann man die Lampen und die Jalousien Jahren ins Stiftsheim kam, wurden verschie- nicht, sagt Jutta Mecke, die PAUL auch in den Wohnungen bedienen. Das kann, dene Systeme geprüft, berichtet Einrich- schon erfolgreich nutzte, als sie im Bade- erinnert sich Jutta Mecke, auch für Spaß tungsleiterin Charlotte Bellin. Ein Anbieter zimmer einen medizinischen Notfall erlitt. eingesetzt werden. Ihr inzwischen verstor- etwa hätte die Daten über Server in Portu- Es werde ja nicht in den Wohnungen ge- bener Mann habe ihr schon mal das Bade- filmt, sondern lediglich Bewegungen wür- zimmerlicht von außen abgeschaltet. DIGITALER BESCHÜTZER den verfolgt. Wenn PAUL etwas Auffälliges Doch nicht immer läuft die Technik bemerkt, blinkt der Tabletcomputer und rund, sagt Bellin, gerade anfangs habe Ein neues System wird derzeit von 25 gibt ein Warnsignal — jetzt bleiben den manches nicht funktioniert. Andere Funk- Mietern des Stiftsheims erprobt: Veli heißt Bewohnern 20 Sekunden, um den Alarm tionen, etwa Spiele oder Videotelefonate „Beschützer“ auf Arabisch und entstand zu stoppen, falls er falsch ausgelöst wurde. unter den Bewohnern, werden gar nicht ge- an der Universität Kassel (Institut für Pro- braucht, sagt Beisheim. Wer spielen wolle, duktionstechnik und Logistik). Entwickelt PAUL zeigt, wer vor der Tür steht nutze heute eher das Handy dafür. haben es der Umweltingenieur Tim Weiß und der Produktdesigner Joost Fäher. Veli Doch das, was das System kann, wis- misst Energiedaten im Haushalt und kann „Ich bin immer genötigt, vor 8 Uhr auf- sen die Bewohner zu schätzen. Es ist ihnen Alarm geben, wenn es ungewöhnliche Ab- zustehen“, sagt Beisheim lächelnd. Er muss monatlich 25 Euro wert, dass PAUL auf sie weichungen gibt. Werden beispielsweise in dann aus dem Bett, um PAUL zu beruhi- aufpasst. ● Olaf Dellit einer Wohnung die Kaffeemaschine oder gen, der im Wohnzimmer liegt. Aber na- der Toaster nicht zum üblichen Zeitpunkt türlich könnte der pensionierte Pfarrer die benutzt; läuft die Dusche ungewöhn- Einstellungen auch so verändern, dass er lich lange oder bleibt der Herd zu lange länger schlafen kann. eingeschaltet, schlägt Veli Alarm. An den Das System ersetze den Hausnotruf, er- Strom- und Wasserzählern werden dafür läutert Bellin, und habe den Vorteil, dass kleine Messgeräte installiert, die Daten kein Knopf gedrückt werden müsse – was werden nach Angaben der Erfinder nur ja bei Notfällen manchmal gar nicht mög- anonymisiert aufgezeichnet. Veli sei schon erfolgreich in einzelnen Haushalten ge- lich wäre. Doch PAUL bietet noch einiges testet worden, werde aber noch weiter- mehr. So zeigt er per Kamera einen Blick entwickelt. auf die Eingangstür, wenn jemand klingelt. Auf einen Blick: Startbildschirm von PAUL 10 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA Computerarbeit: Prof. Thomas Bürger (links) zeigt auf einem Monitor, wo im Körper die Operation stattfindet. Hinter der Glasscheibe befindet sich der Operationssaal, in dem ebenfalls zahlreiche Bildschirme die Arbeit erleichtern Der Computer hat immer ein Auge drauf Im Spezial-Operationssaal der Diakoniekliniken Kassel geht ohne Computer nichts M anchmal muss es im Operations- einem Röntgenbild zeigt er, wo sich bei wert angegeben, den diese Person durch saal sehr schnell gehen. Nehmen einem Patienten ein Aneurysma gebildet die Röntgengeräte abbekommen hat. Ins- wir an, eine Hauptschlagader ist hat – das sei wie ein Ballon, der platzen gesamt sorge die moderne Technik dafür, geplatzt – dann muss sofort gehandelt könne. Durch eine Prothese kann die be- dass die Strahlenbelastung für Patienten und entschieden werden, welche Art von troffene Aorta ersetzt und die Gefahr ge- und Personal deutlich gesunken sei, sagt Operation jetzt sinnvoll ist. Da ist es eine bannt werden. Der Hybrid-OP sei für solche Bürger. große Hilfe, dass im OP ein Röntgengerät Eingriffe ideal, um benachbarte Gefäße im Die Digitalisierung bedeute einen gro- steht, das innerhalb weniger Sekunden 62 Körper nicht anzutasten. ßen Fortschritt, findet er. Von der Kontrol- Aufnahmen machen und daraus ein drei- le, welche Medikamente zusammenpassen, dimensionales Bild errechnen kann. Überall sind Bildschirme bis hin zur Abrechnung werde vieles einfa- Ein solches Gerät steht in den Agaple- cher. Bei der Analyse von Röntgenbildern sion-Diakoniekliniken in Kassel. Prof. Dr. Die Digitalisierung im OP ist auf den sei künstliche Intelligenz dem Menschen Thomas Bürger, Chefarzt der Gefäß- und ersten Blick sichtbar. Hinter einer Glas- überlegen. Die Entscheidung aber, wie mit Endovaskulären Chirurgie, ist froh, dass scheibe stehen gleich mehrere Bildschir- einem Befund umgegangen wird, bleibe er und seine Kollegen in einem modernen me, hier können unter anderem einzelne beim Arzt, und das müsse auch so sein. Hybrid-OP arbeiten können. Hybrid bedeu- Blutgefäße angeklickt und vergrößert drei- Beim Verlassen des Hightech-Saals be- tet, aus mehreren Komponenten zusam- dimensional angezeigt werden. Verschie- gegnet Bürger eine Reinigungskraft. Ein mengesetzt und meint in diesem Fall die dene Arten von Bildern, Patientendaten eingespieltes Team, angefangen bei ihr, Kombination von modernster Digitaltech- etc. sind sofort verfügbar. sei in einem OP extrem wichtig, sagt der nik und konventionellem Operationssaal. Hinter der Scheibe, im Operationssaal Professor in diesem Moment. Menschen Vor allem bei den bildgebenden Ver- selbst, hängen gleich zwei große Schirme, zählen – ganz analog. ● Olaf Dellit fahren, wie die Mediziner die unterschied- auf denen Bilder lichen Methoden vom Röntgen über Ultra- und Daten einge- Fotos: medio.tv/Schauderna schall bis hin zur Endoskopie nennen, sind spielt werden kön- die Computer gefragt. Der Rechner setzt nen. Diese Schirme aus Aufnahmen ein komplettes Körperbild können bei Bedarf zusammen, sodass viele Eingriffe minimal- an den OP-Tisch ge- invasiv – also mit kleinsten Geräten statt zogen werden. Da- großen Wunden – möglich sind. Durch die neben gibt es klei- Berechnungen des Computers weiß der ne, unauffälligere Operateur immer, wo genau im Körperin- Anzeigen, etwa neren er beispielsweise gerade eine Prothe- den OP-Plan oder se als Ersatz einer Hauptschlagader setzt. auf einem kleinen Wird der Operationstisch bewegt, rechnet Monitor die „Perso- der PC diese Veränderung sofort ein. nendosisrate“ einer Das System erlaube sehr komplexe OP-Schwester. Dort Exakte Befunde: Auch in seinem Büro kann Prof. Thomas Bürger auf Operationen, erklärt Chefarzt Bürger. Auf wird der Strahlungs- Röntgen- und MRT-Bilder zugreifen blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 11
THEMA Die digitale Diakonie Vieles ändert sich, aber der Mensch soll im Mittelpunkt bleiben Z u einem großen Rundumschlag in Sozialarbeit digital Amanda Lindner Sachen Digitalisierung hat die Dia- ist Referentin für konie Deutschland im vergangenen Ein anderes digitales Tool kann in der Digitalisierung der Diakonie Deutschland. Bevor sie im vergange- Foto: Diakonie Jahr angesetzt. „Die Diakonie ist der ein- Jugendhilfe zum Einsatz kommen. Der zige Wohlfahrtsverband, der auf diesem Dortmunder Software-Entwickler Tremaze nen Jahr in die Berliner Diakonie-Zentrale kam, hat die Digitalisierungs-Expertin 15 Jahre lang Gebiet eine strukturelle Strategie anbie- will Sozialarbeit digital organisieren und an vielen verantwortungsvollen Stellen in der tet”, sagt Amanda Lindner, Referentin für bringt dazu eine App auf den Markt, die Wirtschaft und in verschiedenen Industrien mit- Digitalisierung in Berlin, selbstbewusst. sich zum Beispiel für die Kommunikation gearbeitet – die Liste ihrer Arbeitgeber reicht Was sie meint, ist im Wesentlichen die Di- im betreuten Wohnen zwischen Kindern, von A wie Agentur bis Z wie Zalando. gitale Agenda der Diakonie, die wichtige Eltern und Betreuern eignet. Sehr schnell Eckpunkte für den Transformationsprozess können Veranstal- auflistet und davon ausgeht, dass sämtli- tungen via Smart- che Lebensbereiche und Arbeitsfelder von phone abgespro- der Digitalisierung erfasst werden. chen, erlaubt und Noch ist das ein Entwurf, der auf den dokumentiert wer- vielfältigen Entscheidungsebenen der na- den. Auch in der Al- tionalen und regionalen Diakonie abge- tenhilfe wäre solch stimmt werden muss. Damit die Agenda ein digitales Instru- umgesetzt werden kann, wurden 49 kon- ment nützlich, zum krete Maßnahmen erarbeitet, die in den Beispiel in Wohn- Jahren 2020 und 2021 Realität werden gruppen für Men- sollen. Dabei gilt es, viele Hemmschwel- schen mit Demenz, len zu überwinden, räumt Lindner ein, be- findet Lindner. tont aber auch: „Wir haben gelernt, dass „Die Diakonie überregional und fachübergreifend der soll ein Sozial-In- richtige Weg ist, um die Digitalisierung kubator sein”, sagt voranzutreiben.” Dazu strickt sie an einem die studierte Politikwissenschaftlerin und Die Digitale Agenda Foto: Adobe Stock Netzwerk, das immer umfangreicher wird, beschreibt so den laufenden Innovations- der Diakonie schließlich arbeiten bundesweit 600.000 prozess. Ihre Vision ist, dass ein Austausch Menschen bei der Diakonie. im Nebeneinander von Netzwerken und 1. Der Mensch steht im Mittelpunkt Hierarchien stattfindet, wobei Letztere in unseres digitalen Handelns. „Sparringspartner” gesucht der Diakonie ja nach wie vor die Entschei- 2. Wir wollen gemeinsam einen Kultur- dungen treffen. Aber man müsse sich von wandel schaffen. Bei einer Ideenwerkstatt im vergange- „starren Gerüsten” lösen: Digitalisierung 3. Wir wollen die Menschen in ihrer nen Jahr in Berlin wurden bereits sieben wäre auf diese Weise ein Mittel, um den Lebenswelt erreichen. vorzeigbare Produkte vorgestellt, die die Verband demokratischer und kooperativer 4. Wir transformieren unsere Hilfeange- diakonische Arbeit digitalisieren und ver- zu machen. bote in das digitale Zeitalter. bessern können. Zum Beispiel der Prototyp Angesicht der vielen Start-ups, die 5. Wir wollen Digitalisierung aktiv für die App „wohnung-weg.de”, in der es smarte Lösungen für den sozialen Markt mitgestalten und die Teilhabe aller um Schlafen, Essen und Beratung für Woh- entwickeln und damit Geld verdienen wol- Menschen sichern. nungslose geht. Auf diesem klassischen len, sei Handlungsdruck gegeben: „Wir re- 6. Wir wollen aktiv einen Beitrag zur Arbeitsfeld der Diakonie finden Betroffe- agieren oft nicht schnell genug”, mahnt digitalen Vernetzung der Zivilgesell- ne über ihr Handy oder über öffentlich zu- Lindner. Sie befürchtet, dass manche Ent- schaft leisten. gängliche Terminals konkrete Serviceange- wicklung an der Diakonie vorbeigehen 7. Wir wirken politisch auf die Ausgestal- bote vor Ort. Ziel ist, die Lebensqualität könnte. Aber sie weiß auch, dass in der Di- tung der Digitalisierung in der Gesell- von Menschen zu steigern, die auf der Stra- gitalisierung nicht das alleinige Heil liegt. schaft ein. ße leben. Damit der bundesweite Einsatz Denn es bestehe das Risiko, dass Men- 8. Wir fördern die Digitalisierung funktioniert, müssen freilich „Sparrings- schen ausgeschlossen würden und nicht innerhalb des Verbandes und seiner partner” gefunden werden, also Betreiber, am gesellschaftlichen Leben teilhaben Mitglieder. die die App zu ihrer Sache machen, erklärt könnten, weil sie mit der Digitalisierung 9. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter*innen. die Referentin. nicht zurechtkommen. ● Lothar Simmank www.diakonie.de/digitale-agenda/ 12 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA Schnellboote beschleunigen Tanker Ein Tochterunternehmen der Evangelischen Bank soll soziale Organisationen auf Herausforderun- gen der digitalen Transformation vorbereiten I n der alten Schalterhalle der Berliner nen tätig war, wurde im Septem- Bank nahe dem Bahnhof Zoo regieren ber 2019 von der Bank mit dem zurzeit die Handwerker. Der 700 Qua- neuen Job betraut. Der Change dratmeter große Raum wird umgebaut in Hub verstehe sich als verlänger- einen Change Hub. So nennt die Evangeli- ter Arm der EB: „Mit Workshops Bislang nur im Internet, bald mit Standort in Berlin: sche Bank (EB Kassel) ihr Tochterunterneh- und Events bringen wir neues eine Plattform zur Entwicklung von Change-Prozessen men, das ab Mai in der Hauptstadt Firmen Lernen und agile Methoden mit sozialer Wirkung www.change-hub.de und Institutionen beraten soll, die sich auf zu Vertretern der Kirche, den Weg zur Digitalisierung machen. Diakonie sowie der rungsprozess großer Unternehmen ver- Wenn alles fertig ist, werden hier in Gesundheits- und gleicht er mit einem schweren Tanker, der Foto: Ev. Bank/Blåfield sogenannten Teamcorners zum Beispiel Sozialwirtschaft, von Schnellbooten auf den Weg gebracht erwachsene Menschen mit Lego spielen. die zukunftsfä- werden muss. Dazu seien innovative Lego Serious Play, erklärt Hub-Manager hig bleiben wol- Techniktools, aber auch eine neue Kul- Daniel Harbig, ist ein moderierter Prozess, len und sich für tur notwendig. Im Berliner Change Hub der das Modellieren mit Legosteinen mit Mensch und Um- könne vieles spielerisch erprobt werden. den Belangen der Arbeitswelt verbindet welt einsetzen”, er- Schon jetzt sei reges Interesse nicht nur Daniel Harbig – eine von vielen Methoden, um kreative läutert Harbig den von Kunden der Evangelischen Bank an Prozesse in Gang zu setzen, die nötig sind, Plan. dem neuen Angebot zu verzeichnen – ge- wenn man ein Unternehmen erfolgreich Entstehen soll eine „Community für mäß dem Motto: „Nicht das Leben ändern, digitalisieren will. Der 39-Jährige, der bis- einen nachhaltigen und positiven gesell- sondern das Ändern leben.” ● lang für internationale soziale Organsatio- schaftlichen Wandel”. Den Digitalisie- Lothar Simmank Die Ambivalenz Foto: Christof Krackhardt / Brot für die Welt des Digitalen Noch sehen viele nur die Chancen – doch der digitale Wandel birgt für ärmere Länder auch große Risiken D ie Zweifel wachsen, ob die Digi- Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung für Menschen in Ländern wie Indien? talisierung die in sie gesetzten Er- Eirn Publikation von Brot für die Welt beleuchtet die entwicklungs- und menschenrechts- wartungen an ein Wirtschafts- und politischen Auswirkungen im globalen Süden: www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/ Beschäftigungswachstum sowie zur Be- mediapool/blogs/Hilbig_Sven/Profil25_Ambivalenz_des_Digitalen.pdf kämpfung der Armut in den Ländern des globalen Südens leisten kann. Die jüngst Beispiel um Veränderungen im Welthan- größere Hotels ihre Angebote erfolgrei- erschienene Brot für die Welt-Publikation del oder um die Auswirkungen von digita- cher auf internationalen Buchungsplatt- mit dem Titel „Die Ambivalenz des Digi- len Buchungsportalen für den Tourismus. formen platzieren können. Hier besteht talen” beleuchtet die entwicklungs- und Für kleine touristische Anbieter etwa hat Regulierungsbedarf, meinen die Autoren menschenrechtspolitischen Auswirkungen diese Entwicklung zwei Seiten. Einerseits der Broschüre. Kritik üben sie auch an an- der Digitalisierung. Sie stellt zehn unter- können Reisende aus Deutschland eine derer Stelle: „Die Digitalisierung verstärkt schiedliche Themen vor, mit denen sich abgelegene Lodge in den peruanischen die Ungleichheit zwischen den Geschlech- humanitäre Hilfsorganisationen derzeit Anden online entdecken und buchen. An- tern” ist ein Artikel überschrieben. ● auseinandersetzen. Dabei geht es zum dererseits zeigen Untersuchungen, dass Lothar Simmank blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 13
THEMA Tablets in jede Kita? Fotos: Fröbelseminar blick-Interview mit Prof. Dr. Freimut Schirrmacher, Theologe und Direktor des Ev. Fröbelseminars, über die Digitalisierung in Kindertagesstätten ? Wenn man an die Spielgaben Kugel, Walze und Würfel denkt, die Fröbel im 19. Jahrhundert entwickelt hat – was Positionen. Die einen sagen, wir müssen die Chance ergreifen, es darf keine Kita mehr ohne Tablets geben. Die Gegenposi- Prof. Dr. Freimut Schirrmacher, Direktor des hat davon in den Kindergärten der Zu- tion will die Kita als digitalfreie Zone und Fröbelseminars kunft noch Bestand? warnt vor einer schädlichen unreflektierten Prof. Dr. Freimut Schirrmacher: Die Verwendung digitaler Medien, die Konzen- Hauptelemente der Fröbel’schen Kind- trationsprobleme und vieles andere mehr heitspädagogik betonen das Spielerische: mit sich bringen können. Auch Verhaltens- Die Spielgaben, die Lieder, das haptische weisen, die später zu einer Sucht führen Falten, die Sprachentwicklung und vieles können, sind denkbar. mehr werden weiterhin die Basis von Kin- Digitale Medien in Kinderhänden sind dergartenarbeit sein. Aber zum Alltag von schon etwas Ambivalentes. Und da gilt es, Kindern heute gehört auch die Auseinan- pädagogisch verantwortlich in Zusammen- dersetzung mit digitalen Medien. Und in arbeit mit den Eltern gemeinsame Konzep- diesem Feld ist die Frage, wann und wie, te zu entwickeln. Es bringt ja nichts, wenn bezogen auf die Entwicklung der Kinder, zu Hause anders mit digitalen Medien um- es Sinn macht, sie hineinzuführen in einen gegangen wird als in der Einrichtung. Uns reflektierten und fachkundigen Gebrauch ist das Miteinander in dieser Bildungs- und von digitalen Medien, die ja Teil unserer Erziehungspartnerschaft sehr wichtig. Letzt- Fröbelseminar soll Gesellschaft sind. Jeder Träger von Kinder- lich sollen die Kinder selber einschätzen ler- tagesstätten muss das für sich in einem nen, wann welches Medium Sinn macht für Akademie werden eigenen Konzept beantworten. sie und wann nicht. D as Evangelische Fröbelseminar soll ? Wie muss man sich den Einsatz digitaler Technik für Kleinkinder praktisch vorstellen? ? Welche Rolle spielt die Digitalisie- rung in der Ausbildung zum Erzieher- beruf? zu einer Akademie mit der Mög- lichkeit des Bachelor-Abschlusses ausgebaut werden. Über diesen Plan be- Schirrmacher: Digitalisierung in Kin- Schirrmacher: Wir bilden am Fröbelse- richtete Wilfried Knapp vom Vorstand der destagesstätten kann sehr unterschiedliche minar Erzieherinnen aus, die sich fachlich Diakonie Hessen bei einer Feierstunde zum Funktionen haben – etwa dass Kinder sich reflektiert auf unterschiedliche Träger-Kon- 130-jährigen Bestehen der sozialpädagogi- informieren können, dass sie kommunizie- zeptionen einstellen können müssen. Dazu schen Ausbildungsstätte. ren, spielen und natürlich auch, dass sie sollten sie zunächst in der Lage sein, selbst Derzeit gebe es vermehrt Anfragen lernen, wie die Mediengesellschaft funktio- mit digitalen Medien umzugehen. Medien- nach weiteren Standorten des Seminars niert. Ein Anwendungsbeispiel wäre, dass didaktik ist daher ein Kernaspekt unserer neben Kassel und Korbach. Knapp forder- Kinder mit einer Unterwasserkamera die Ausbildung. te, den Erzieherberuf aufzuwerten. Dazu Welt von Kleinlebewesen entdecken. Oder Zusätzlich werden entwicklungspsycho- gehöre auch eine Entlohnung, die seiner mit elektronischen Lupen experimentieren, logische Kenntnisse vermittelt. Das alles Bedeutung und Verantwortung für die Ge- die Blätter oder eine Ameise vergrößern. dient dazu, im späteren Beruf angemes- sellschaft entspreche. Nur so werde dieser Da gibt es ganz tolle Möglichkeiten. Übri- sene Formen zu finden, die Kinder schritt- Beruf für junge Menschen attraktiv. gens auch in der Kommunikation und Prä- weise in den sinnvollen Gebrauch digitaler Direktor Freimut Schirrmacher zeigte sentation der eigenen Arbeiten, etwa durch Medien einführen. sich zufrieden mit der Entwicklung des Se- ein digitales Portfolio, das auch den Eltern Wir brauchen die eine Leitplanke der minars: „Wir arbeiten unter Volllast.” Die zur Verfügung gestellt wird. Entwicklungspsychologie, die andere des Zahl der auszubildenden Erzieher habe sich Trägers und der Eltern, und dann aber in den vergangenen zehn Jahren verdop- ? Hirnforscher warnen vor dem Trend, kleine Kinder mit digitalen Medien in Berührung zu bringen. Wo sind für Sie auch ganz gezielt die Kompetenzen der Er- zieherinnen, die damit reflektiert umgehen können und die Medienreflexivität bei den pelt. In der Ausbildungsstätte für Erzieher, Sozialassistenten und Heilpädagogen gibt es derzeit rund 850 Schüler/innen, 130 die Grenzen der Digitalisierung? Kindern schon in der Kindertagesstätte an- Mitarbeiter, darunter 55 Dozenten. Das Se- Schirrmacher: In der Forschungsdis- legen. ● minar sei einer der größten evangelischen kussion gibt es dazu sehr unterschiedliche Fragen: Lothar Simmank Schulverbünde in Hessen. ● epd 14 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA Künstliche Intelligenz und Autonomie Prof. Lukas Ohly im Evangelischen Forum Kassel über ethische Voraussetzungen E in Auto, das ohne Fahrer durch den Wesen.“ Ihre Autonomie liege nicht in ih- tasten könne, „denn das Erleben kann Verkehr steuert, selbstständig bremst rer objektiven Identität. man nicht simulieren.“ und Vorfahrt gewährt, Gefahrensitu- Einen entscheidenden Unterschied zwi- Ethische Probleme ergeben sich nach ationen erkennt und angemessen darauf schen Mensch und Maschine stellte der Re- Ohlys Auffassung immer dann, wenn es KI- reagiert, weil das System nie müde und ferent anhand des Schamgefühls fest. Nur Systemen überlassen werde, über Fragen unaufmerksam ist – das alles kann man Menschen könnten in bestimmten Situa- zu entscheiden, die die Autonomie und die von einem Produkt mit künstlicher Intelli- tionen ein Gefühl der Verlegenheit entwi- Menschenwürde betreffen. Das Beispiel genz erwarten. Seit geraumer Zeit arbeitet ckeln. In der Interaktion mit Humanoiden von Kriegsrobotern, die aufgrund von ex- man im Silicon Valley und anderswo an gebe es solche Affekte nicht. Menschliches ternen Regeln eines Programmierers selbst der Umsetzung dieser Vision in die Alltags- Lernen sei zudem ein „Erleben von Erleb- entscheiden, wen sie töten, belege klare realität. Aber der Durchbruch vollautono- nissen“, Maschinen mit künstlicher Intelli- Grenzüberschreitungen. „Der Entscheider mer Mobilitätskonzepte ist noch nicht in genz könnten demgegenüber nur Regist- muss ein Wesen haben“, forderte Ohly. Der Sicht, denn zu viele Faktoren sind bislang riertes registrieren – was nicht das Gleiche Einsatz solcher Waffen müsse internatio- ungeklärt. Juristische und ethische Be- sei. Als Theologe habe er keine Angst, dass nal geächtet werden. ● denken verbieten den Einsatz, auch wenn man die Souveränität Gottes durch KI an- Lothar Simmank technische Features bereits viele Probleme gelöst haben. Mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Autonomie beschäftigte sich der Frankfur- Foto: privat ter Theologe Prof. Dr. Lukas Ohly in einem Vortrag des Evangelischen Forums Kassel. Seine Ausgangsfrage: Unter welchen Be- dingungen kann man Maschinen Steue- rungsprozesse überlassen? Was sind die ethischen Voraussetzungen etwa des auto- nomen Fahrens? Prof. Dr. Lukas Ohly (50) lehrt BUCHTIPP Zunächst einmal hielt Ohly fest: Ma- Systematische Theologie und schinen können keine Subjekte sein. Religionsphilosophie an der Lukas Ohly: Ethik der Robotik und der Technische Systeme besitzen kein Ich. Goethe-Universität in Frankfurt Künstlichen Intelligenz. Erschienen in am Main. Sein Forschungs- der Reihe: Theologisch-Philosophische Sie täuschen Intelligenz nur vor. Nur weil schwerpunkt liegt in der Ethik Beiträge zu Gegenwartsfragen. Peter sie teilweise zuverlässiger funktionieren der Zukunftswissenschaften und Lang-Verlag, Berlin 2019, 23,40 Euro als Menschen und uns die Interaktion er- -technologien. Gleichzeitig ist er Was gegenwärtig unter dem Stichwort leichtern, handeln sie nicht aus einem Er- Gemeindepfarrer der Evange- leben heraus, sondern reagieren durch die „Digitalisierung" verhandelt wird, pen- lischen Kirche von Kurhessen- delt zwischen Heilsphantasien und „Statistik des Gelernten“, so der Theologe: Waldeck in Ostheim (Kirchen- Katastrophisierung. Die theologische „Selbstfahrende Autos haben kein inneres kreis Hanau). Ethik tastet sich gegenwärtig noch unsicher an dieses Thema heran. Das Buch legt eine ethische Positionierung für die Probleme der angewandten Ethik mit künstlich intelligenten und auto- nomen Maschinen vor. Insbesondere der moralische Status von Robotern und Künstlicher Intelligenz wird bestimmt. Der Autor weist nach: An Robotern treten wesentliche Phänomene intersub- jektiver Begegnungen nicht auf. Damit Foto: Adobe Stock sind theologische Kriterien des Status des Menschen benannt, die sich nicht nachbauen lassen. blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020 15
LANDESKIRCHE Foto: v. Stockhausen Transparent mit den Namen der Anschlagsopfer an einem Hanauer Jugendzentrum Hanau: Große Angst, Zorn und Wut Am 19. Februar wurden in Hanau neun Menschen mit ausländischen Foto: medio.tv/Schauderna Wurzeln Opfer eines rassistisch motivierten Anschlags. Danach fand man den Täter und dessen Mutter tot in ihrer Wohnung auf. Wie haben Kirchenvertreter vor Ort das Ereignis erlebt? Was hat sich nach der Tat in der Stadt verändert? blick in die kirche fragte nach Dr. Martin Lückhoff, M ir ist immer noch nicht richtig herrscht Nachrichtensperre. Gerüchte sind len geöffnet wer- Dekan des Kirchenkreises klar, was passiert ist”, sagt De- im Umlauf. Mehrere Notfallseelsorger den. Soll es Mahn- Hanau kan Dr. Martin Lückhoff (56) zwei wurden direkt von der Polizei informiert wachen geben? Wochen nach der Tat. Natürlich hat er all und sind vor Ort an den beiden Shisha- Welche anderen Aktionen sind geplant? die vielen Nachrichten zu dem Attentat, Bars. Das kirchliche Jugendzentrum JUZ Und was geschieht in Kooperation mit an- das ganz Deutschland erschütterte, sorg- in Kesselstadt ist ganz in der Nähe, auch deren – etwa bei den spontanen Friedens- fältig zur Kenntnis genommen. Er hat mit nur einen Steinwurf entfernt von der Täter- märschen durch Hanau? betroffenen Angehörigen geredet, mit Poli- wohnung. Als „ermutigende Erfahrung” be- tikern, mit muslimischen und jüdischen Re- schreibt Lückhoff die Teamarbeit, die von ligionsvertretern, mit ungezählten Haupt- Hunderte trauernde Angehörige Anfang an gut geklappt habe, zum einen und Ehrenamtlichen seines Kirchenkreises, intern, aber auch weit über die beteiligten aber letztlich ist die ganze Dimension die- Für den Dekan gilt es zunächst, Infor- evangelischen Kirchengemeinden hinaus: ses Massenmords kaum zu fassen. „Hanau mationen zu sammeln, um zu erfahren, „Verständigung, Frieden und Vertrauen”, ist eine Stadt, die auf ihre Integrationsge- welche Aufgaben nun auf die Kirche zu- so der Dekan, seien keine leeren Worthül- schichte stolz ist”, sagt Lückhoff, „hier hät- kommen. Gute Kontakte zum Büro des OB sen geblieben. Für Hunderte trauernde An- te man das nicht erwartet, alle standen und zum „Runden Tisch der Religionen” gehörige, die schockiert und zutiefst ver- unter Schock.” sind hilfreich. E-Mails an die Pfarrerschaft letzt seien, da zu sein, sei entscheidend. Als am Morgen des 20. Februar um werden versandt. Das Ziel jeglicher Kom- Natürlich seien in erster Linie Verwandte, 5:30 Uhr der Wecker im Langenselbolder munikation: Welche Unterstützung brau- Freunde und die muslimischen Verbände Pfarrhaus klingelt, ist klar, dass dies kein chen die Opfer bzw. deren Angehörige und für sie da. Aber die evangelische Kirche normaler Tag werden wird. Am Vorabend die Hinterbliebenen? eben auch, betont Lückhoff. hat es einen schweren Vorfall mit Toten in Nach dem Frühstück ist eine Flut von Die Friedensgebete in den Kirchen Hanau gegeben. Aber wer sind die Opfer? E-Mails und Telefonaten zu bewältigen: werden von der Bevölkerung gut ange- Ist der Täter noch unterwegs? Zunächst Absprachen mit Kollegen, die Kirchen sol- nommen, bis zu 250 Besucher kommen 16 blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
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