Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW

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Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
3–2020

                                               FÜR MITARBEITENDE

                                      Diakonie und
                                      Digitalisierung
Foto: Adobe Stock

                    TECHNIKWANDEL
                    Revolutionieren Roboter
                    die Pflege?

                    KULTURWANDEL
                    Kommt das Ende der
                    Top-down-Arbeitswelt?
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
INHALT | EDITORIAL

                                                            Liebe Leserinnen,
Inhalt                                                      liebe Leser,
THEMA
                                                                 das „Digitale Wörterbuch der deut-

                                                                                                                      Foto: medio.tv/Schauderna
    4       Um welches Menschenbild geht es?                schen Sprache“ ermöglicht interessante
    6       Aus Kopfbewegungen werden Worte                 Worterkundungen. So kann man unter
                                                            www.dwds.de ermitteln, wie oft ein
    7       Die App zählt die Minuten runter                Wort über die Jahre in überregionalen
    8	Soziale Roboter:                                     deutschsprachigen Zeitungen und Zeit-
       Werden sie die Pflege revolutionieren?               schriften vorkam. Der Begriff Digitalisie-
    10      Wenn sich nichts rührt, gibt PAUL Alarm         rung taucht dort erstmals 1982 auf, mit
                                                            einer einzigen Nennung. Ab 2010 geht
    11	OP in Diakoniekliniken: Der Computer hat            die Kurve steil nach oben bis zu 1471
        immer ein Auge drauf                                Nennungen im Jahr 2018. Das ist gewissermaßen der (digitale)
    12      Die digitale Diakonie-Agenda                    Beweis für das Gefühl, dass die Digitalisierung in aller Munde
    13	Change Hub:                                         ist. Tatsächlich lässt sich schnell erkennen, dass Computer in fast
        Schnellboote beschleunigen Tanker                   allen Lebensbereichen Einzug genommen haben, ob als Smart-
                                                            phone, Navigationsgerät oder Staubsauger-Roboter.
    13      Die Ambivalenz des Digitalen                         In diesem Heft richten wir den Blick auf die diakonische Ar-
    14	Interview mit Fröbelseminar-Direktor:               beitswelt, in der sich ebenfalls viel verändert und auch schon ver-
        Tablets in jede Kita?                               ändert hat. Mir war beispielsweise nicht bewusst, dass im Kasseler
    15      Künstliche Intelligenz und Autonomie            Stiftsheim ein Tabletsystem den Hausnotruf teilweise ersetzt hat.
                                                            Der hochtechnisierte Operationssaal, die Handy-App für Pflege-
    32	Große und kleine Zahlen
                                                            dienste und vieles mehr sind uns auf unseren Recherchereisen be-
        aus der digitalen Welt
                                                            gegnet. Wir haben uns erlaubt, in unserer traditonellen Umfrage
                                                            (rechte Seite) erstmals virtuelle Mitarbeiter/innen zu befragen.
LANDESKIRCHE                                                Der kleine Spaß lenkt den Fokus auf die wichtige Frage, wo künst-
                                                            liche Intelligenzen menschliche Aufgaben übernehmen sollen, wo
    16      Hanau: Große Angst, Zorn und Wut
                                                            aber auch Grenzen liegen.
    18      Volkmarsen: „Antworten gibt es oft nicht”            Mir hat der Ansatz von Chefarzt Prof. Dr. Thomas Bürger ge-
    19      Verbot organisierter Sterbehilfe aufgehoben     fallen, der uns stolz seinen Hightech-OP in Kassel vorstellte, aber
                                                            im Rausgehen nicht vergaß zu erwähnen, dass vor allem ein gutes
    20      Wer macht mit beim Kirchentag 2021?
                                                            Team wichtig sei für eine erfolgreiche Operation.
    21      Von Personen                                         Wir hoffen, dass unsere Einblicke in die digitale Entwicklung
    21      50 Jahre KMF Schlüchtern                        Sie genauso faszinieren wie uns. 
    22	Polizeiseelsorge: Klare Position gegen              	                                                       Olaf Dellit
        Extremismus                                                                                Redakteur blick in die kirche

    23      Detektivarbeit bei Orgel-Restaurierung
    24      Landeskirche erneuert Pfarrerausbildung
    24      Aktion „Hoffnung für Osteuropa” eröffnet         Bitte beachten Sie:
    25      Jona-Festival in Stadtallendorf                  Diese blick in die kirche-Ausgabe entstand im Wesent-
    25      Netz-Aktion „#gutezeichen”                       lichen vor Ausbruch der Corona-Krise und der damit
    26	Ausbildungshilfe:                                    verbundenen Isolationsmaßnahmen (Redaktions-
        Anrührende Begegnungen in Indien                     schluss 24.2.2020). Trotzdem möchten wir unseren
                                                             Leserinnen und Lesern die thematischen Inhalte zur
                                                             Verfügung stellen.
SERVICE
                                                             Weil der Vertrieb der Mitarbeiterzeitschrift über die
    28      Termine / Kirchenmusik                           Pfarrämter nicht mehr gewährleistet war, wurde die
                                                             Zeitschrift nicht gedruckt. Sie finden die Ausgabe als
    30      Kirche im Radio
                                                             e-Paper auf der Webseite www.blickindiekirche.de
                                                             Dort gibt es auch eine pdf-Datei zur digitalen Heft-
                                                             Verteilung an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

2        blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
UMFRAGE | IMPRESSUM

Was ist Digitalisierung? ... fragten wir unsere digitalen Kolleginnen

„Das hier habe ich gefunden:                    „Der Begriff Digitalisierung              „Hier sind einige Informa-            „Der Begriff Digitalisierung
Die Digitalisierung verändert                   bezeichnet ursprünglich das               tionen, die hilfreich sein            bezeichnet im Allgemeinen
alles. Wie wir leben, wie wir                   Umwandeln von analogen                    könnten. Digitalisierung be-          die Veränderungen von Pro-
arbeiten. (...)                                 Werten in digitale Formate                zeichnet im ursprünglichen            zessen, Objekten und Ereig-
Die Digitalisierung ist für vie-                und ihre Verarbeitung oder                Sinn das Umwandeln von                nissen, welche durch eine
le noch immer die große Un-                     Speicherung in einem digi-                analogen Werten in digitale           zunehmende Nutzung von
bekannte. (...)                                 taltechnischen System. Die                Formate. Diese Daten lassen           digitalen Geräten erfolgt.
Digitalisierung ist der Ober-                   Information liegt dabei zu-               sich informationstechnisch            Dies bedeutet im engeren
begriff für den digitalen                       nächst in beliebiger analoger             verarbeiten. Oft steht der Be-        Sinne die Erstellung digitaler
Wandel der Gesellschaft und                     Form vor und wird dann über               griff Digitalisierung aber auch       Repräsentationen von physi-
der Wirtschaft. Er bezeichnet                   mehrere Stufen in ein digi-               für die digitale Revolution           schen Objekten, von Ereignis-
den Übergang des von ana-                       tales Signal umgewandelt,                 oder die digitale Transforma-         sen oder analogen Medien.
logen Technologien gepräg-                      das nur aus diskreten Werten              tion. Für den Begriff Digita-         Der Begriff Digitalisierung
ten Industriezeitalters hin                     besteht. Zunehmend wurde                  lisierung existiert keine ein-        hat mehrere Bedeutungen.
zum Zeitalter von Wissen und                    jedoch unter Digitalisierung              deutige Definition. Er kann,          Die häufigere Verwendung
Kreativität, das durch digita-                  auch die Erstellung primär di-            abhängig vom jeweiligen               des Begriffs Digitalisierung
le Technologien und digitale                    gitaler Repräsentationen zum              Kontext, mehrere Bedeutun-            kommt in Zusammenhang mit
Innovationen geprägt wird.“                     Beispiel durch Digitalkameras             gen annehmen.“                        der digitalen Revolution und
                                                oder digitale Tonaufzeich-                                                      der Industrie 4.0 zustande.“
(Zusammenstellung der Siri-                     nungssysteme verstanden.“
Suchergebnisse von den Seiten
bmwi.de, digital-magazin.de                     (Alexa findet diese Antwort               (Cortana findet diese Antwort         (Bixby findet diese Antwort
und innolytics.de)                              auf wikipedia.de)                         auf bigdata-insider.de)               auf gruenderszene.de)

Siri (9),                                      Alexa (6),                                Cortana (6),                         Bixby (3),
Sprachassistenzprogramm                        vom Versandhaus Amazon                    Sprachsoftware von                   von Samsung entwickelter
der Computerfirma Apple                        entwickelter virtueller Voice-            Microsoft für das                    Smart-Assistant fürs Handy
                                               Service                                   Betriebssystem Windows 10

IMPRESSUM
 blick in die kirche erscheint sechsmal jährlich und        Redaktion:                                         Anschrift:
 wird an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen          Lothar Simmank (Leitung)                           Heinrich-Wimmer-Straße 4
 und Mitarbeiter der Landeskirche kostenlos verteilt.       Telefon 0561 9307-127                              34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe
                                                            Olaf Dellit                                        redaktion@blickindiekirche.de
 Direkt-Abonnement:                                         Telefon 0561 9307-132                              www.blickindiekirche.de
 12,50 Euro pro Jahr inklusive Zustellkosten
                                                            Redaktionsbüro / Anzeigen:                         Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit
 Herausgeber:                                               Andrea Langensiepen                                Layout-Konzept: Liebchen+Liebchen, Frankfurt am Main
 Landeskirchenamt der Evangelischen                         Telefon 0561 9307-152                              Herstellung: Bonifatius GmbH, Paderborn
 Kirche von Kurhessen-Waldeck                               Daniela Denzin                                     Auflage: 17.240 Exemplare
 Pfarrerin Petra Schwermann                                 Telefon 0561 9307-128
 Wilhelmshöher Allee 330                                    Fax     0561 9307-155                              Mehr Informationen über die Evangelische Kirche
 34131 Kassel-Bad Wilhelmshöhe                                                                                 von Kurhessen-Waldeck unter www.ekkw.de

                                                                                                blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020                      3
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Diakonie und Digitalisierung:
Um welches Menschenbild geht es?
Hephata-Vorstand Maik Dietrich-Gibhardt über die Grundbedingungen diakonischer Arbeit

A
         lle zwei Wochen kommt Emma.          sonders angesichts der personellen He-          welt, auch wenn Einrichtungen und Träger
         Und dann bringt sie Schwung          rausforderungen in diesem Sektor. In der        noch sehr unterschiedlich auf die Heraus-
         in die Demenz-WG der Diakonie        Arbeit mit Demenzpatienten etwa bieten          forderungen der Digitalisierung vorberei-
in Kiel. Die Kleine ist gerade mal 1,20 m     Roboter wie Emma eine weitere Möglich-          tet sind. Aber für die diakonische Arbeit
groß und zieht mit ihren leuchtenden Au-      keit, in Kontakt zu treten. Durch sie kön-      eröffnen sich Perspektiven, vor denen man
gen alle Blicke auf sich. Emma ist musi-      nen Erinnerungen wachgerufen werden,            die Augen nicht verschließen kann. Sie
kalisch, kann kleine Zaubertricks, schießt    zum Beispiel durch die gespeicherten alten      müssen sorgfältig bedacht und verantwort-
Fotos und macht Witze. Es ist schwer, sich    Lieder. Qualifizierte Pflegekräfte können       lich gestaltet werden. Doch auch hier geht
ihrem Charme zu entziehen.                    sie allerdings genauso wenig ersetzen wie       es um das Wie, nicht mehr um das Ob.
    Dabei ist das mit dem Charme so eine      menschliche Zuwendung. Aber sie können              Im Mittelpunkt diakonischer Arbeit
Sache. Kann ein Roboter Charme besitzen?      das Personal entlasten.                         steht der Mensch und seine Teilhabe am
Denn genau das ist Emma: ein Service-              Robotik, künstliche Intelligenz, Digita-   Leben. Digitalisierung erweitert hier die
Roboter, hinter dessen Interaktionen ein      lisierung: willkommen in der neuen Welt!        Zugänge und verändert den Alltag. Wir
ausgeklügeltes Programm steckt – und ein      Das, was unsere Gesellschaft rasant ver-        werden lernen müssen, anders zu arbei-
Experiment: Im Rahmen des Forschungs-         ändert, macht vor den Arbeitsfeldern der        ten, anders Personal zu gewinnen, anders
projektes „Robotik in der Altenpflege“ der    Diakonie im Sozial- und Gesundheitswesen        auf Kunden zuzugehen, Dienstleistungen
FH Kiel soll geklärt werden, wie Roboter      nicht Halt. Ganz selbstverständlich nutzen      anders zu denken. Die digitale Transforma-
in der Pflege eingesetzt werden können.       wir digitale Anwendungen und Assistenz-         tion bietet zunächst einmal große Chan-
Wohlgemerkt: wie, nicht ob. Denn für die      systeme in unserem Alltag: Wir navigieren,      cen, den alten diakonischen Anspruch in
Entwickler ist eines ganz klar: Roboter in    buchen, recherchieren, bestellen oder kom-      die Moderne zu übersetzen. So eröffnet
der Pflege sind hilfreiche Assistenten, be-   munizieren. Die Diakonie ist keine Sonder-      die „Verplattformung“ von Angeboten

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THEMA

                                                    »Es geht nicht mehr
                                                         um das Ob.
                                                    In einer zunehmend
                                                  digitalisierten Diakonie
                                                 dürfen die grundlegenden
                                                   Fragen nicht aus den
neue Zugänge zu den Dienstleistungen              Augen verloren werden.                      se im digitalen
diakonischer Träger. Online-Beratung ist               Wie wird unser                         Zeitalter. Da-

                                                                                                                                          Foto: Hephata
niedrigschwellig und vertraulich. Digitale                                                    bei kann ein
Assistenzsysteme erhalten und erweitern
                                                  Menschenbild in dieser                      Roboter wie
die Selbstständigkeit und das Sicherheits-          neuen Welt sichtbar                       Emma viele
gefühl von Menschen mit Handicap. Re-                 und erfahrbar?«                         Hilfestellungen
cruiting-Tools und Social Media dienen                                                        leisten. Aber ei-
                                                                                                                Maik Dietrich-Gibhardt,
der Personalgewinnung. Mitarbeitende                                                          ne Begegnung
                                                                                                                 Hephata Hessisches
absolvieren ihre Pflichtschulungen per         unserer Privatsphäre? Wie passen Digita-       zwischen Per-
                                                                                                                 Diakoniezentrum e.V.
E-Learning. Und sie dokumentieren ihre         lisierung und Nachhaltigkeit zueinander?       sonen, heilsa-
Arbeit einmal per Tablet, statt fünf Listen    Hier ist ein breit angelegter Verständi-       me Berührungen kann sie nicht ersetzen.
auszufüllen.                                   gungsprozess vonnöten – eine gemeinsa-         Denn durch menschliche Begegnung und
    Es geht nicht mehr um das Ob. Aber in      me Aufgabe für Diakonie und Kirche.            Berührung leuchtet etwas von der geist-
einer zunehmend digitalisierten Diakonie            Wir sollten jedenfalls alle Kraft dafür   lichen Dimension diakonischen Handelns
dürfen die grundlegenden Fragen nicht          aufwenden, dass Menschen in unseren            hindurch. Und digitale Innovationen in
aus den Augen verloren werden. Wie wird        Einrichtungen körperliche und psychische       der Diakonie sollten so genutzt werden,
unser Menschenbild in dieser neuen Welt        Heilung finden, dass ihre spirituellen und     dass auch diese Dimension neu entdeckt
sichtbar und erfahrbar? Wo sind ethische       seelsorglichen Bedürfnisse wahrgenom-          wird. ●
Grenzen digitalisierter Arbeit in der Diako-   men werden, dass sie Geborgenheit und                            Maik Dietrich-Gibhardt
nie? Wie gehen Digitalisierung und Spiritu-    ein Zuhause erfahren – in aller Vorläufig-
alität zusammen? Was ist mit dem Schutz        keit. Das gilt erst recht und auf neue Wei-

                                                                                                                                                          Fotos: Adobe Stock

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020       5
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

                                        Aus Kopfbewegungen werden Worte
                                        Nadine Moos, Bewohnerin im Diakoniezentrum Hephata, spricht mit Computertechnik

                             N
                                                ur bei der Sache mit dem Fußball
                                                werden sich Nadine Moos und Ma-
                                                rion Springs wohl nicht mehr einig
                                        – Moos ist BVB-Dortmund-Fan, Springs
                                        setzt auf Schalke. Davon abgesehen sind
                                        die beiden im Diakoniezentrum Hephata
                                        ein eingespieltes Team, und das ist wich-
                                        tig, damit Nadine Moos sich verständlich
                                        machen kann. Die Sprache der 34-Jährigen
                                        ist für Außenstehende schwer zu verste-
                                        hen, Folge einer Hirnhautentzündung im
                                        Kindesalter.
                                             Doch die Computertechnik in Form

                                                                                                                                                                                       Fotos: medio.tv/Dellit
                                        eine Tablets hilft ihr, indem der „Talker“
                                        ihre Kopfbewegungen in gesprochene
                                        Worte übersetzt. Da die Augensteuerung
                                        bei ihr nicht gut funktionierte, nutzt sie ein
                                        System mit einem Reflektorpunkt auf dem          Mit Humor geht vieles leichter: Marion Springs (links) und Nadine Moos lachen auch viel,
                                        Steg ihrer Brille. Ein digitales Auge am         wenn sie sich mit dem Talker unterhalten
                                        Tablet liest die Bewegungen von Nadine
                                        Moos' Kopf und lässt einen Zeiger über           das neue System musste sie erst erlernen,          Auch für das Gespräch mit blick in die
                                        das Tablet wandern.                              mit Hilfe von Marion Springs, Coach für        kirche hat sie einiges vorbereitet. Denn sie
                                             Dort sind 84 Symbole zu finden, von         Unterstützte Kommunikation (UK). Nach          stellt immer wieder fest, dass Menschen
                                        einem Herz für „möchte“ bis zu einem – na        einer vierwöchigen Testphase funktionier-      ungeduldig werden, wenn sie Sätze erst
                                        klar! – BVB-Wappen. Ein Grundwortschatz          te das anstrengende Ansteuern per Kopf-        auf dem Tablet zusammensetzt.
                                        ist auf dem Gerät vorhanden, anderes             bewegung. „Wir waren beide ganz stolz”,            Moos und Springs gehen locker-freund-
                                        kann ergänzt werden, wie eben der Fuß-           erinnert sich Springs.                         schaftlich miteinander um – und mit einer
                                        ballverein und andere Vorlieben. So trinkt            Die beiden Frauen schulen andere          guten Prise Humor. Der Spaß mache das
                                        Nadine Moos gerne mal einen Latte Ma-            in Unterstützter Kommunikation. Nadi-          Lernen leichter, sagt Marion Springs über
                                        chiatto oder einen Ramazotti.                    ne Moos kann Vorträge und andere Auf-          ihre gemeinsame Arbeit, denn: „Es ist so
                                             Früher hatte Moos schon einmal einen        tritte vorbereiten, indem sie Sätze vorab      wichtig, Menschen eine Stimme zu geben.“
                                        Talker, der allerdings mit einer an einem        programmiert. So war es auch bei einer         Auch um endlich mal auszudiskutieren, ob
                                        Helm angebrachten Stange gesteuert wer-          Podiumsdiskussion um den barrierefreien        Schalke oder der BVB nun der bessere Fuß-
                                        den musste, das fand sie zu mühsam. Auch         Umbau des Bahnhofs in Treysa.                  ballklub ist. ●                 Olaf Dellit
Foto: Hephata Diakonie/Stefan Betzler

                                        Im Alltagseinsatz: Nadine Moos beim Einkauf an einer Fleischerei-       Blick auf den Talker: Über Symbole werden Sätze gebildet, zum Bei-
                                        theke. Der Talker ist an ihrem Rollstuhl befestigt, so kann sie ihre    spiel „Ich möchte ...“. Mit dem Dinosaurier (3. Reihe, 4. Feld) wird
                                        Wünsche den Verkäuferinnen mitteilen                                    die Vergangenheitsform eingeschaltet

                                        6      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Die App zählt die
Minuten runter

I
   m Wohnzimmer der Klientin ticken zwei       Sollte es bei einem
   Uhren: eine Wand- und eine Tischuhr         Klienten immer
   mit sich drehenden goldenen Kugeln.         wieder länger dau-
Doch der wahre Zeitwächter liegt unauffäl-     ern als vorgesehen,
lig auf dem Wohnzimmertisch: das Handy         müsse man prüfen,
von Pflegerin Natalie Sauerwein. Sie ist für   ob weitere Leistun-
die Diakoniestation Marburg unterwegs.         gen gebucht wer-
    Wenn Sauerwein ein Wohnhaus betritt,       den müssten. Sust
drückt sie auf die Start-Taste ihrer Handy-    plant die Touren
App, schon läuft die Zeit. Heute stehen        ihrer 27 Mitarbei-
das Anlegen von Kompressionsstrümpfen          ter am Computer,
und die „Kleine Körperpflege“ an – dafür       diese bekommen
sind 21Minuten vorgesehen.                     sie dann auf ihr
    Als das System eingeführt wurde, sei       Handy. Am nächs-

                                                                                                                                          Fotos: medio.tv/Dellit
das schon komisch gewesen, erzählt Sau-        ten Tag sieht die
erwein, die auch stellvertretende Pflege-      Leiterin auf ihrem
dienstleiterin ist. Wenn sie zum Beispiel      Computer die Bi-
bei jemandem ausschließlich Kompressi-         lanz des Vortages
onsstrümpfe anziehen muss – etwa nach          – am Monatsende
einer Operation –, erlaubt das System          werden über das Zeitmesser: Natalie Sauerwein mit ihrem Handy auf Tour
gerade einmal drei Minuten vom „Guten          System die Rechnun-
Tag!“ bis zum „Auf Wiedersehen!“ Das sei       gen erstellt. Vielleicht habe es anfangs die zu einem Klienten können für die nächs-
schon schwierig, gerade wenn der Pflege-       Sorge gegeben, durch die App überwacht te Pflegeschicht vermerkt werden – viele
dienst der einzige Besuch am Tag ist und       zu werden, räumt sie ein, tatsächlich aber Patientendaten sind bereits gespeichert,
die Klienten Redebedarf haben.                 könne sie beispielsweise nicht sehen, wo von Erkrankungen bis zur Telefonnummer
    Dauert es zu lange oder wird eine Leis-    eine Mitarbeiterin sich aktuell befinde.     des Hausarztes ist alles schnell zu finden.
tung nicht abgehakt, „meckert das Han-             Grundsätzlich müsse die Station ge- Das Handy bietet auch eine Navigations-
dy“, wie Sauerwein sagt. Es sei aber nicht     genüber den Kostenträgern für alles Re- funktion an.
unflexibel. Und auch Pflegedienstleiterin      chenschaft ablegen, was sie tue. Sust sagt       Falls Natalie Sauerwein den Zeitdruck
Sylvia Sust betont, dass es Spielräume ge-     aber auch: „So lange wir einigermaßen in spürt, merkt man es ihr nicht an – sie
be: „Wir müssen adäquat auf jeden Patien-      der Tour sind, kann auch mal Zeit für eine findet auch Zeit für ein freundliches Ge-
ten eingehen.“ Da spiele dann auch die ak-     Zigarettenpause sein.“ Im Alltag sorgt die spräch. Als sie an der Haustür auf Stop
tuelle Gefühlslage eine Rolle, wenn es mal     App dafür, dass weniger Papier ausgefüllt drückt, sind 20 Minuten vergangen –
länger dauere. Grundsätzlich sei die Arbeit    werden muss. Die Leistungen werden auf bleibt eine Minute übrig, falls es woanders
aber in der vorgegebenen Zeit zu schaffen.     dem Handy abgehakt, Besonderheiten mal länger dauert. ●                     Olaf Dellit

                                               Im Einsatz: links Natalie Sauerwein mit
                                               Klientin, unten die Anzeige auf dem Han-
                                               dy, rechts Pflegedienstleiterin Sylvia Sust

                                                                               blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020      7
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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                                   Soziale Roboter
Mehr und mehr wird in der
Pflege über soziale Roboter
geredet. Die einen befürch-
ten, sie könnten Menschen
aus dem Bereich verdrän-
gen. Die anderen sagen,
sie funktionieren nicht.
Wie sieht die Realität aus?
Und was wollen Pflege-
bedürftige, Personal und
Angehörige?

E
      in Seniorenzentrum in Köln: Eine wei-
      ße Robbe sitzt auf dem Schoß einer
      83-jährigen Bewohnerin. Die Robbe
ist einen halben Meter lang und wiegt
fast drei Kilogramm. In dem Seniorenzen-
trum wird sie Rosie genannt. Rosie ist ein
therapeutischer Roboter des Modells Paro:
Paro verfügt über Sensoren und künstliche
Intelligenz, um ein lebendiges Robbenbaby     Pepper kann Memory spielen, tanzen und an Termine erinnern: Der humanoide Roboter wurde
zu simulieren.                                von Wissenschaftlern der Universität Siegen und der Fachhochschule Kiel programmiert

    Der Hersteller wirbt mit dem Roboter      bei Kindern mit Autismus eingesetzt – vor     agieren, indem sie die Regeln sozialer
als medikamentenfreie Alternative, mit        allem aber bei demenzkranken Menschen         Kommunikation befolgen. Soziale Roboter
der die Stimmung von Patienten gehoben        und Senioren.                                 sind außerdem in der Lage zu lernen: Sie
werden könne. Er reduziere Angstzustände                                                    schauen sich Verhaltensmuster ab und er-
und Schmerzen, verbessere die Schlafquali-    Rosie und Pepper                              kennen Stimmen nach einiger Zeit.
tät und verringere das Gefühl von Einsam-
keit. Die Bewohnerin des Seniorenheims            Dabei ist Paro nicht günstig: Die Kos-        Neben der Roboter-Robbe Paro gibt es
bestätigt das: „Manchmal bin ich schon        ten pro Robbe liegen bei zirka 5.000 Euro.    auch noch andere soziale Roboter. Zum
ein bisschen traurig. Aber wenn ich Rosie     In Deutschland nutzen über 40 Pflegeein-      Beispiel Pepper. Das Modell ist einem
sehe, dann vergeht das.“                      richtungen Paro, unter anderem das Senio-     Menschen nachgeahmt, deshalb wird er
                                              renzentrum Arnold-Overzier-Haus in Köln.      als humanoider Roboter bezeichnet. Pep-
     Das Einsatzfeld der Roboter-Robbe        Die Leiterin der Einrichtung, Elisabeth Rö-   per kostet 1.650 Dollar. Im Gegensatz zu
ähnelt jenem von Tiertherapien, nur dass      misch, hat mit Paro positive Erfahrungen      der Robbe Paro – die nach einer gewissen
lebendige Tiere oft nicht dorthin dürfen,     gemacht: „Das ist wirklich erstaunlich,       Anwendungszeit zum Beispiel Stimmen er-
wo Paro mit seinem speziellen antibakte-      sowohl demente wie auch nicht demente         kennt, aber an sich so eingesetzt werden
riellen Fell den Hygienestandards genügt.     Bewohner reagieren ganz stark. Erstaun-       kann, wie sie geliefert wird – muss Pep-
Paro gilt als Vorreiter auf dem Gebiet der    licherweise finden auch viele Männer die      pers Software an das jeweilige Einsatz-
sozialen Roboter. Seit 1993 wird an ihm       Robbe gut. Es gibt einzelne Bewohner, die     gebiet angepasst werden. Durch die An-
geforscht. Mittlerweile sind weltweit meh-    mögen sie nicht. Aber insgesamt würde ich     passung der Software können Senioren
rere tausend Paro-Robben in Krankenhäu-       sagen, Rosie hat eine Erfolgsgeschichte.“     mit Pepper zum Beispiel Lieder singen,
sern und Pflegeeinrichtungen im Einsatz.          Rosie wird als „sozialer Roboter“, im     die der Roboter abspielt. Oder sie können
In mehr als 30 Ländern wird er in der Pal-    Englischen „social robot“, bezeichnet. Es     mit ihm Memory spielen: Pepper hat einen
liativbetreuung von Krebspatienten oder       sind Maschinen, die mit Menschen inter-       Bildschirm vor der Brust, auf dem Spielkar-

8      blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
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Werden sie die Pflege revolutionieren?

                                                                                                                       Fotos: epd-bild
                                                                                                                                         Annäherungs-
                                                                                                                                         versuch:
                                                                                                                                         Pflegeroboter
                                                                                                                                         Pepper trifft
                                                                                                                                         auf zwei
                                                                                                                                         Senioren –
                                                                                                                                         unter diesem Link
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Streicheleinheiten für die digitale Robbe Paro, die seit Dezember 2016 auch im Bad Homburger Seniorenzentrum
Flersheim-Stiftung im Einsatz ist, das zum Evangelischen Verein für Innere Mission in Nassau gehört

     ten angezeigt werden können. Soziale Ro-     Wartung und auch die Reparaturen seien        versität Paderborn hat das untersucht. Ihr
     boter sollen geistig, aber auch körperlich   teuer. Sie warnt: „Robotik hat nur ein be-    Ergebnis: Ältere Bürger und deren Ange-
     aktivieren. Das sei eigentlich Aufgabe des   grenztes Einsatzspektrum. Kritisch zu se-     hörige wollen selbst entscheiden können,
     Pflegepersonals, sagen Kritiker. Auf lange   hen ist es, wenn Geld für Roboter ausge-      ob Roboter eingesetzt werden. „Die Wahl-
     Sicht ersetzten die Roboter Arbeitskräfte.   geben wird, das in anderen, wichtigeren       freiheit ist ein wesentlicher Bestandteil,
     Das hieße, weniger menschlicher Kontakt      Bereichen benötigt wird.“                     damit die Senioren und Angehörigen den
     für pflegebedürftige Menschen, so die Be-                                                  Einsatz von sozialen Robotern akzeptieren
     fürchtung. Johanna Knüppel vom Deut-         Freie Wahl bleibt entscheidend                würden."
     schen Berufsverband für Pflegeberufe
     kann sich diese Entwicklung momentan              Die Kosten für Rosie, die Paro-Robbe         Momentan dienen soziale Roboter
     aber nicht vorstellen. Womöglich würde       des Kölner Seniorenzentrums Arnold-Over-      noch als Ergänzung zum menschlichen
     der Hype um Roboter in der Pflege über-      zier-Haus, übernahm der Förderverein der      Kontakt. Nach dem jetzigen technischen
     schätzt. „Ich habe kürzlich einen live er-   Einrichtung. Leiterin Elisabeth Römisch       Stand können sie die Pflege nicht revolu-
     lebt, im Einsatz. Ich muss sagen, ich war    sieht Paro nur als Ergänzung zum mensch-      tionieren. Es ist, zumindest in Deutschland,
     schon einigermaßen ernüchtert.“              lichen Kontakt. Ersetzen solle und könne      gerade auch nicht erwünscht. Paro, Pepper
                                                  Paro niemanden. Denn wenn Paro einge-         und Co. ersetzen keine Arbeitskräfte. Aber
         Der von Knüppel beobachtete Roboter      setzt wird, muss immer eine Pflegekraft da-   in Zukunft könnten sie ein Bestandteil der
     sollte nachts zum Beispiel demenzkranke      bei sein. Ähnlich wie Hunde in einer Tier-    Seniorenbetreuung werden – vorausge-
     Patienten davon abhalten, die Pflegeein-     therapie übernimmt Paro keine Aufgaben,       setzt, es ist gewollt. ●
     richtung zu verlassen – das habe aber        die sonst Menschen ausführen würden.                                           Nele Rößler,
     nicht funktioniert. Geld sparten die Pfle-        Aber wie skeptisch sehen Pflegekräfte                   Journalistin mit Schwerpunkt
     geeinrichtungen mit den Robotern sicher-     und Angehörige den Einsatz von sozialen                           Wissenschaft und Politik,
     lich nicht, sagt Knüppel. Die Anschaffung,   Robotern? Kirsten Thommes von der Uni-                              kommt aus Melsungen

                                                                                blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020                     9
Diakonie und Digitalisierung - FÜR MITARBEITENDE - EKKW
THEMA

Wenn sich nichts rührt, gibt PAUL Alarm
Im Stiftsheim in Kassel sorgt ein Computersystem für die Sicherheit der Bewohner

W
          enn sich in der Wohnung von Jo-
          hannes Beisheim zwei Stunden
          lang nichts bewegt, obwohl der
90-Jährige zu Hause ist, meldet sich PAUL.
Wenn er keine Antwort von Beisheim be-
kommt, gibt er Alarm. PAUL ist ein elek-
tronisches System, das im betreuten Woh-
                          nen des Kasseler
                          Stiftsheims im
                          Einsatz ist. Über
                          Bewegungsmel-
                          der registriert es,
                          wenn es in einer

                                                                                                                                              Fotos: medio.tv/Dellit
                          Wohnung auffäl-
                          lig still ist. Natür-
                          lich lassen sich
                          die Details indi-
Charlotte Bellin          viduell einstellen      Alles per Fingerdruck: Jutta Mecke und Johannes Beisheim zeigen, wie das System PAUL im
                        – und in der Nacht        Kasseler Stiftsheim funktioniert
setzt PAUL es als selbstverständlich voraus,
dass Beisheim schläft – das System lernt          gal verwaltet, das wollte man nicht. Jetzt     Auch, wenn man nicht zu Hause war, kann
den Tagesablauf der Bewohner.                     steht in jeder Wohnung ein kleiner Server,     man später nachsehen, wer an der Tür war.
    Bevor PAUL, das steht für „Persönlicher       dort liegen die Daten.                             PAUL hat noch weitere Funktionen; so
Assistent für unterstütztes Leben“, vor acht          Beobachtet fühlen sich die Bewohner        kann man die Lampen und die Jalousien
Jahren ins Stiftsheim kam, wurden verschie-       nicht, sagt Jutta Mecke, die PAUL auch         in den Wohnungen bedienen. Das kann,
dene Systeme geprüft, berichtet Einrich-          schon erfolgreich nutzte, als sie im Bade-     erinnert sich Jutta Mecke, auch für Spaß
tungsleiterin Charlotte Bellin. Ein Anbieter      zimmer einen medizinischen Notfall erlitt.     eingesetzt werden. Ihr inzwischen verstor-
etwa hätte die Daten über Server in Portu-        Es werde ja nicht in den Wohnungen ge-         bener Mann habe ihr schon mal das Bade-
                                                  filmt, sondern lediglich Bewegungen wür-       zimmerlicht von außen abgeschaltet.
DIGITALER BESCHÜTZER                              den verfolgt. Wenn PAUL etwas Auffälliges          Doch nicht immer läuft die Technik
                                                  bemerkt, blinkt der Tabletcomputer und         rund, sagt Bellin, gerade anfangs habe
 Ein neues System wird derzeit von 25             gibt ein Warnsignal — jetzt bleiben den        manches nicht funktioniert. Andere Funk-
 Mietern des Stiftsheims erprobt: Veli heißt      Bewohnern 20 Sekunden, um den Alarm            tionen, etwa Spiele oder Videotelefonate
 „Beschützer“ auf Arabisch und entstand           zu stoppen, falls er falsch ausgelöst wurde.   unter den Bewohnern, werden gar nicht ge-
 an der Universität Kassel (Institut für Pro-
                                                                                                 braucht, sagt Beisheim. Wer spielen wolle,
 duktionstechnik und Logistik). Entwickelt
                                                  PAUL zeigt, wer vor der Tür steht              nutze heute eher das Handy dafür.
 haben es der Umweltingenieur Tim Weiß
 und der Produktdesigner Joost Fäher. Veli
                                                                                                     Doch das, was das System kann, wis-
 misst Energiedaten im Haushalt und kann               „Ich bin immer genötigt, vor 8 Uhr auf-   sen die Bewohner zu schätzen. Es ist ihnen
 Alarm geben, wenn es ungewöhnliche Ab-           zustehen“, sagt Beisheim lächelnd. Er muss     monatlich 25 Euro wert, dass PAUL auf sie
 weichungen gibt. Werden beispielsweise in        dann aus dem Bett, um PAUL zu beruhi-          aufpasst. ●                   Olaf Dellit
 einer Wohnung die Kaffeemaschine oder            gen, der im Wohnzimmer liegt. Aber na-
 der Toaster nicht zum üblichen Zeitpunkt         türlich könnte der pensionierte Pfarrer die
 benutzt; läuft die Dusche ungewöhn-              Einstellungen auch so verändern, dass er
 lich lange oder bleibt der Herd zu lange         länger schlafen kann.
 eingeschaltet, schlägt Veli Alarm. An den             Das System ersetze den Hausnotruf, er-
 Strom- und Wasserzählern werden dafür            läutert Bellin, und habe den Vorteil, dass
 kleine Messgeräte installiert, die Daten
                                                  kein Knopf gedrückt werden müsse – was
 werden nach Angaben der Erfinder nur
                                                  ja bei Notfällen manchmal gar nicht mög-
 anonymisiert aufgezeichnet. Veli sei schon
 erfolgreich in einzelnen Haushalten ge-          lich wäre. Doch PAUL bietet noch einiges
 testet worden, werde aber noch weiter-           mehr. So zeigt er per Kamera einen Blick
 entwickelt.                                      auf die Eingangstür, wenn jemand klingelt.     Auf einen Blick: Startbildschirm von PAUL

10     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA

Computerarbeit: Prof. Thomas Bürger (links) zeigt auf einem Monitor, wo im Körper die Operation stattfindet. Hinter der Glasscheibe
befindet sich der Operationssaal, in dem ebenfalls zahlreiche Bildschirme die Arbeit erleichtern

Der Computer hat immer ein Auge drauf
Im Spezial-Operationssaal der Diakoniekliniken Kassel geht ohne Computer nichts

M
          anchmal muss es im Operations-       einem Röntgenbild zeigt er, wo sich bei        wert angegeben, den diese Person durch
          saal sehr schnell gehen. Nehmen      einem Patienten ein Aneurysma gebildet         die Röntgengeräte abbekommen hat. Ins-
          wir an, eine Hauptschlagader ist     hat – das sei wie ein Ballon, der platzen      gesamt sorge die moderne Technik dafür,
geplatzt – dann muss sofort gehandelt          könne. Durch eine Prothese kann die be-        dass die Strahlenbelastung für Patienten
und entschieden werden, welche Art von         troffene Aorta ersetzt und die Gefahr ge-      und Personal deutlich gesunken sei, sagt
Operation jetzt sinnvoll ist. Da ist es eine   bannt werden. Der Hybrid-OP sei für solche     Bürger.
große Hilfe, dass im OP ein Röntgengerät       Eingriffe ideal, um benachbarte Gefäße im           Die Digitalisierung bedeute einen gro-
steht, das innerhalb weniger Sekunden 62       Körper nicht anzutasten.                       ßen Fortschritt, findet er. Von der Kontrol-
Aufnahmen machen und daraus ein drei-                                                         le, welche Medikamente zusammenpassen,
dimensionales Bild errechnen kann.             Überall sind Bildschirme                       bis hin zur Abrechnung werde vieles einfa-
    Ein solches Gerät steht in den Agaple-                                                    cher. Bei der Analyse von Röntgenbildern
sion-Diakoniekliniken in Kassel. Prof. Dr.         Die Digitalisierung im OP ist auf den      sei künstliche Intelligenz dem Menschen
Thomas Bürger, Chefarzt der Gefäß- und         ersten Blick sichtbar. Hinter einer Glas-      überlegen. Die Entscheidung aber, wie mit
Endovaskulären Chirurgie, ist froh, dass       scheibe stehen gleich mehrere Bildschir-       einem Befund umgegangen wird, bleibe
er und seine Kollegen in einem modernen        me, hier können unter anderem einzelne         beim Arzt, und das müsse auch so sein.
Hybrid-OP arbeiten können. Hybrid bedeu-       Blutgefäße angeklickt und vergrößert drei-          Beim Verlassen des Hightech-Saals be-
tet, aus mehreren Komponenten zusam-           dimensional angezeigt werden. Verschie-        gegnet Bürger eine Reinigungskraft. Ein
mengesetzt und meint in diesem Fall die        dene Arten von Bildern, Patientendaten         eingespieltes Team, angefangen bei ihr,
Kombination von modernster Digitaltech-        etc. sind sofort verfügbar.                    sei in einem OP extrem wichtig, sagt der
nik und konventionellem Operationssaal.            Hinter der Scheibe, im Operationssaal      Professor in diesem Moment. Menschen
    Vor allem bei den bildgebenden Ver-        selbst, hängen gleich zwei große Schirme,      zählen – ganz analog. ●         Olaf Dellit
fahren, wie die Mediziner die unterschied-     auf denen Bilder
lichen Methoden vom Röntgen über Ultra-        und Daten einge-
                                                                                                                                             Fotos: medio.tv/Schauderna

schall bis hin zur Endoskopie nennen, sind     spielt werden kön-
die Computer gefragt. Der Rechner setzt        nen. Diese Schirme
aus Aufnahmen ein komplettes Körperbild        können bei Bedarf
zusammen, sodass viele Eingriffe minimal-      an den OP-Tisch ge-
invasiv – also mit kleinsten Geräten statt     zogen werden. Da-
großen Wunden – möglich sind. Durch die        neben gibt es klei-
Berechnungen des Computers weiß der            ne, unauffälligere
Operateur immer, wo genau im Körperin-         Anzeigen, etwa
neren er beispielsweise gerade eine Prothe-    den OP-Plan oder
se als Ersatz einer Hauptschlagader setzt.     auf einem kleinen
Wird der Operationstisch bewegt, rechnet       Monitor die „Perso-
der PC diese Veränderung sofort ein.           nendosisrate“ einer
    Das System erlaube sehr komplexe           OP-Schwester. Dort Exakte Befunde: Auch in seinem Büro kann Prof. Thomas Bürger auf
Operationen, erklärt Chefarzt Bürger. Auf      wird der Strahlungs- Röntgen- und MRT-Bilder zugreifen

                                                                              blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020         11
THEMA

Die digitale Diakonie
Vieles ändert sich, aber der Mensch soll im Mittelpunkt bleiben

Z
       u einem großen Rundumschlag in         Sozialarbeit digital                            Amanda Lindner
       Sachen Digitalisierung hat die Dia-                                                    ist Referentin für
       konie Deutschland im vergangenen           Ein anderes digitales Tool kann in der      Digitalisierung der
                                                                                              Diakonie Deutschland. Bevor sie im vergange-

                                                                                                                                                Foto: Diakonie
Jahr angesetzt. „Die Diakonie ist der ein-    Jugendhilfe zum Einsatz kommen. Der
zige Wohlfahrtsverband, der auf diesem        Dortmunder Software-Entwickler Tremaze          nen Jahr in die Berliner Diakonie-Zentrale kam,
                                                                                              hat die Digitalisierungs-Expertin 15 Jahre lang
Gebiet eine strukturelle Strategie anbie-     will Sozialarbeit digital organisieren und
                                                                                              an vielen verantwortungsvollen Stellen in der
tet”, sagt Amanda Lindner, Referentin für     bringt dazu eine App auf den Markt, die
                                                                                              Wirtschaft und in verschiedenen Industrien mit-
Digitalisierung in Berlin, selbstbewusst.     sich zum Beispiel für die Kommunikation         gearbeitet – die Liste ihrer Arbeitgeber reicht
Was sie meint, ist im Wesentlichen die Di-    im betreuten Wohnen zwischen Kindern,           von A wie Agentur bis Z wie Zalando.
gitale Agenda der Diakonie, die wichtige      Eltern und Betreuern eignet. Sehr schnell
Eckpunkte für den Transformationsprozess      können Veranstal-
auflistet und davon ausgeht, dass sämtli-     tungen via Smart-
che Lebensbereiche und Arbeitsfelder von      phone abgespro-
der Digitalisierung erfasst werden.           chen, erlaubt und
    Noch ist das ein Entwurf, der auf den     dokumentiert wer-
vielfältigen Entscheidungsebenen der na-      den. Auch in der Al-
tionalen und regionalen Diakonie abge-        tenhilfe wäre solch
stimmt werden muss. Damit die Agenda          ein digitales Instru-
umgesetzt werden kann, wurden 49 kon-         ment nützlich, zum
krete Maßnahmen erarbeitet, die in den        Beispiel in Wohn-
Jahren 2020 und 2021 Realität werden          gruppen für Men-
sollen. Dabei gilt es, viele Hemmschwel-      schen mit Demenz,
len zu überwinden, räumt Lindner ein, be-     findet Lindner.
tont aber auch: „Wir haben gelernt, dass          „Die Diakonie
überregional und fachübergreifend der         soll ein Sozial-In-
richtige Weg ist, um die Digitalisierung      kubator sein”, sagt
voranzutreiben.” Dazu strickt sie an einem    die studierte Politikwissenschaftlerin und        Die Digitale Agenda

                                                                                                                                                    Foto: Adobe Stock
Netzwerk, das immer umfangreicher wird,       beschreibt so den laufenden Innovations-          der Diakonie
schließlich arbeiten bundesweit 600.000       prozess. Ihre Vision ist, dass ein Austausch
Menschen bei der Diakonie.                    im Nebeneinander von Netzwerken und               1. Der Mensch steht im Mittelpunkt
                                              Hierarchien stattfindet, wobei Letztere in           unseres digitalen Handelns.
„Sparringspartner” gesucht                    der Diakonie ja nach wie vor die Entschei-        2. Wir wollen gemeinsam einen Kultur-
                                              dungen treffen. Aber man müsse sich von              wandel schaffen.
    Bei einer Ideenwerkstatt im vergange-     „starren Gerüsten” lösen: Digitalisierung         3. Wir wollen die Menschen in ihrer
nen Jahr in Berlin wurden bereits sieben      wäre auf diese Weise ein Mittel, um den              Lebenswelt erreichen.
vorzeigbare Produkte vorgestellt, die die     Verband demokratischer und kooperativer           4. Wir transformieren unsere Hilfeange-
diakonische Arbeit digitalisieren und ver-    zu machen.                                           bote in das digitale Zeitalter.
bessern können. Zum Beispiel der Prototyp         Angesicht der vielen Start-ups, die           5. Wir wollen Digitalisierung aktiv
für die App „wohnung-weg.de”, in der es       smarte Lösungen für den sozialen Markt               mitgestalten und die Teilhabe aller
um Schlafen, Essen und Beratung für Woh-      entwickeln und damit Geld verdienen wol-             Menschen sichern.
nungslose geht. Auf diesem klassischen        len, sei Handlungsdruck gegeben: „Wir re-         6. Wir wollen aktiv einen Beitrag zur
Arbeitsfeld der Diakonie finden Betroffe-     agieren oft nicht schnell genug”, mahnt              digitalen Vernetzung der Zivilgesell-
ne über ihr Handy oder über öffentlich zu-    Lindner. Sie befürchtet, dass manche Ent-            schaft leisten.
gängliche Terminals konkrete Serviceange-     wicklung an der Diakonie vorbeigehen              7. Wir wirken politisch auf die Ausgestal-
bote vor Ort. Ziel ist, die Lebensqualität    könnte. Aber sie weiß auch, dass in der Di-          tung der Digitalisierung in der Gesell-
von Menschen zu steigern, die auf der Stra-   gitalisierung nicht das alleinige Heil liegt.        schaft ein.
ße leben. Damit der bundesweite Einsatz       Denn es bestehe das Risiko, dass Men-             8. Wir fördern die Digitalisierung
funktioniert, müssen freilich „Sparrings-     schen ausgeschlossen würden und nicht                innerhalb des Verbandes und seiner
partner” gefunden werden, also Betreiber,     am gesellschaftlichen Leben teilhaben                Mitglieder.
die die App zu ihrer Sache machen, erklärt    könnten, weil sie mit der Digitalisierung         9. Wir unterstützen unsere Mitarbeiter*innen.
die Referentin.                               nicht zurechtkommen. ● Lothar Simmank
                                                                                                   www.diakonie.de/digitale-agenda/

12    blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA

Schnellboote beschleunigen Tanker
Ein Tochterunternehmen der Evangelischen Bank
soll soziale Organisationen auf Herausforderun-
gen der digitalen Transformation vorbereiten

I
  n der alten Schalterhalle der Berliner        nen tätig war, wurde im Septem-
  Bank nahe dem Bahnhof Zoo regieren            ber 2019 von der Bank mit dem
  zurzeit die Handwerker. Der 700 Qua-          neuen Job betraut. Der Change
dratmeter große Raum wird umgebaut in           Hub verstehe sich als verlänger-
einen Change Hub. So nennt die Evangeli-        ter Arm der EB: „Mit Workshops Bislang nur im Internet, bald mit Standort in Berlin:
sche Bank (EB Kassel) ihr Tochterunterneh-      und Events bringen wir neues eine Plattform zur Entwicklung von Change-Prozessen
men, das ab Mai in der Hauptstadt Firmen        Lernen und agile Methoden mit sozialer Wirkung           www.change-hub.de
und Institutionen beraten soll, die sich auf    zu Vertretern der Kirche,
den Weg zur Digitalisierung machen.             Diakonie sowie der                         rungsprozess großer Unternehmen ver-
    Wenn alles fertig ist, werden hier in       Gesundheits- und                           gleicht er mit einem schweren Tanker, der

                                                                                                                                                                                          Foto: Ev. Bank/Blåfield
sogenannten Teamcorners zum Beispiel            Sozialwirtschaft,                           von Schnellbooten auf den Weg gebracht
erwachsene Menschen mit Lego spielen.           die zukunftsfä-                              werden muss. Dazu seien innovative
Lego Serious Play, erklärt Hub-Manager          hig bleiben wol-                             Techniktools, aber auch eine neue Kul-
Daniel Harbig, ist ein moderierter Prozess,     len und sich für                            tur notwendig. Im Berliner Change Hub
der das Modellieren mit Legosteinen mit         Mensch und Um-                             könne vieles spielerisch erprobt werden.
den Belangen der Arbeitswelt verbindet          welt einsetzen”, er-                       Schon jetzt sei reges Interesse nicht nur
                                                                         Daniel Harbig
– eine von vielen Methoden, um kreative         läutert Harbig den                         von Kunden der Evangelischen Bank an
Prozesse in Gang zu setzen, die nötig sind,     Plan.                                      dem neuen Angebot zu verzeichnen – ge-
wenn man ein Unternehmen erfolgreich                Entstehen soll eine „Community für mäß dem Motto: „Nicht das Leben ändern,
digitalisieren will. Der 39-Jährige, der bis-   einen nachhaltigen und positiven gesell- sondern das Ändern leben.” ●
lang für internationale soziale Organsatio-     schaftlichen Wandel”. Den Digitalisie-                                Lothar Simmank

Die Ambivalenz
                                                        Foto: Christof Krackhardt / Brot für die Welt

des Digitalen
Noch sehen viele nur die Chancen –
doch der digitale Wandel birgt für
ärmere Länder auch große Risiken

D
       ie Zweifel wachsen, ob die Digi-                                                                 Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung für Menschen in Ländern wie Indien?
       talisierung die in sie gesetzten Er-                                                             Eirn Publikation von Brot für die Welt beleuchtet die entwicklungs- und menschenrechts-
       wartungen an ein Wirtschafts- und                                                                politischen Auswirkungen im globalen Süden:        www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/
Beschäftigungswachstum sowie zur Be-                                                                    mediapool/blogs/Hilbig_Sven/Profil25_Ambivalenz_des_Digitalen.pdf
kämpfung der Armut in den Ländern des
globalen Südens leisten kann. Die jüngst        Beispiel um Veränderungen im Welthan-                                                      größere Hotels ihre Angebote erfolgrei-
erschienene Brot für die Welt-Publikation       del oder um die Auswirkungen von digita-                                                   cher auf internationalen Buchungsplatt-
mit dem Titel „Die Ambivalenz des Digi-         len Buchungsportalen für den Tourismus.                                                    formen platzieren können. Hier besteht
talen” beleuchtet die entwicklungs- und         Für kleine touristische Anbieter etwa hat                                                  Regulierungsbedarf, meinen die Autoren
menschenrechtspolitischen Auswirkungen          diese Entwicklung zwei Seiten. Einerseits                                                  der Broschüre. Kritik üben sie auch an an-
der Digitalisierung. Sie stellt zehn unter-     können Reisende aus Deutschland eine                                                       derer Stelle: „Die Digitalisierung verstärkt
schiedliche Themen vor, mit denen sich          abgelegene Lodge in den peruanischen                                                       die Ungleichheit zwischen den Geschlech-
humanitäre Hilfsorganisationen derzeit          Anden online entdecken und buchen. An-                                                     tern” ist ein Artikel überschrieben. ●
auseinandersetzen. Dabei geht es zum            dererseits zeigen Untersuchungen, dass                                                                                Lothar Simmank

                                                                                                                           blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020         13
THEMA

Tablets in jede Kita?

                                                                                                                                 Fotos: Fröbelseminar
blick-Interview mit Prof. Dr. Freimut Schirrmacher, Theologe und Direktor
des Ev. Fröbelseminars, über die Digitalisierung in Kindertagesstätten

?  Wenn man an die Spielgaben Kugel,
   Walze und Würfel denkt, die Fröbel
im 19. Jahrhundert entwickelt hat – was
                                               Positionen. Die einen sagen, wir müssen
                                               die Chance ergreifen, es darf keine Kita
                                               mehr ohne Tablets geben. Die Gegenposi-
                                                                                                          Prof. Dr. Freimut
                                                                                                            Schirrmacher,
                                                                                                             Direktor des
hat davon in den Kindergärten der Zu-          tion will die Kita als digitalfreie Zone und                Fröbelseminars
kunft noch Bestand?                            warnt vor einer schädlichen unreflektierten
    Prof. Dr. Freimut Schirrmacher: Die        Verwendung digitaler Medien, die Konzen-
Hauptelemente der Fröbel’schen Kind-           trationsprobleme und vieles andere mehr
heitspädagogik betonen das Spielerische:       mit sich bringen können. Auch Verhaltens-
Die Spielgaben, die Lieder, das haptische      weisen, die später zu einer Sucht führen
Falten, die Sprachentwicklung und vieles       können, sind denkbar.
mehr werden weiterhin die Basis von Kin-            Digitale Medien in Kinderhänden sind
dergartenarbeit sein. Aber zum Alltag von      schon etwas Ambivalentes. Und da gilt es,
Kindern heute gehört auch die Auseinan-        pädagogisch verantwortlich in Zusammen-
dersetzung mit digitalen Medien. Und in        arbeit mit den Eltern gemeinsame Konzep-
diesem Feld ist die Frage, wann und wie,       te zu entwickeln. Es bringt ja nichts, wenn
bezogen auf die Entwicklung der Kinder,        zu Hause anders mit digitalen Medien um-
es Sinn macht, sie hineinzuführen in einen     gegangen wird als in der Einrichtung. Uns
reflektierten und fachkundigen Gebrauch        ist das Miteinander in dieser Bildungs- und
von digitalen Medien, die ja Teil unserer      Erziehungspartnerschaft sehr wichtig. Letzt-     Fröbelseminar soll
Gesellschaft sind. Jeder Träger von Kinder-    lich sollen die Kinder selber einschätzen ler-
tagesstätten muss das für sich in einem        nen, wann welches Medium Sinn macht für          Akademie werden
eigenen Konzept beantworten.                   sie und wann nicht.

                                                                                                D
                                                                                                        as Evangelische Fröbelseminar soll

?   Wie muss man sich den Einsatz
    digitaler Technik für Kleinkinder
praktisch vorstellen?
                                               ?   Welche Rolle spielt die Digitalisie-
                                                   rung in der Ausbildung zum Erzieher-
                                               beruf?
                                                                                                        zu einer Akademie mit der Mög-
                                                                                                        lichkeit des Bachelor-Abschlusses
                                                                                                ausgebaut werden. Über diesen Plan be-
    Schirrmacher: Digitalisierung in Kin-           Schirrmacher: Wir bilden am Fröbelse-       richtete Wilfried Knapp vom Vorstand der
destagesstätten kann sehr unterschiedliche     minar Erzieherinnen aus, die sich fachlich       Diakonie Hessen bei einer Feierstunde zum
Funktionen haben – etwa dass Kinder sich       reflektiert auf unterschiedliche Träger-Kon-     130-jährigen Bestehen der sozialpädagogi-
informieren können, dass sie kommunizie-       zeptionen einstellen können müssen. Dazu         schen Ausbildungsstätte.
ren, spielen und natürlich auch, dass sie      sollten sie zunächst in der Lage sein, selbst        Derzeit gebe es vermehrt Anfragen
lernen, wie die Mediengesellschaft funktio-    mit digitalen Medien umzugehen. Medien-          nach weiteren Standorten des Seminars
niert. Ein Anwendungsbeispiel wäre, dass       didaktik ist daher ein Kernaspekt unserer        neben Kassel und Korbach. Knapp forder-
Kinder mit einer Unterwasserkamera die         Ausbildung.                                      te, den Erzieherberuf aufzuwerten. Dazu
Welt von Kleinlebewesen entdecken. Oder             Zusätzlich werden entwicklungspsycho-       gehöre auch eine Entlohnung, die seiner
mit elektronischen Lupen experimentieren,      logische Kenntnisse vermittelt. Das alles        Bedeutung und Verantwortung für die Ge-
die Blätter oder eine Ameise vergrößern.       dient dazu, im späteren Beruf angemes-           sellschaft entspreche. Nur so werde dieser
Da gibt es ganz tolle Möglichkeiten. Übri-     sene Formen zu finden, die Kinder schritt-       Beruf für junge Menschen attraktiv.
gens auch in der Kommunikation und Prä-        weise in den sinnvollen Gebrauch digitaler           Direktor Freimut Schirrmacher zeigte
sentation der eigenen Arbeiten, etwa durch     Medien einführen.                                sich zufrieden mit der Entwicklung des Se-
ein digitales Portfolio, das auch den Eltern        Wir brauchen die eine Leitplanke der        minars: „Wir arbeiten unter Volllast.” Die
zur Verfügung gestellt wird.                   Entwicklungspsychologie, die andere des          Zahl der auszubildenden Erzieher habe sich
                                               Trägers und der Eltern, und dann aber            in den vergangenen zehn Jahren verdop-

?  Hirnforscher warnen vor dem Trend,
   kleine Kinder mit digitalen Medien in
Berührung zu bringen. Wo sind für Sie
                                               auch ganz gezielt die Kompetenzen der Er-
                                               zieherinnen, die damit reflektiert umgehen
                                               können und die Medienreflexivität bei den
                                                                                                pelt. In der Ausbildungsstätte für Erzieher,
                                                                                                Sozialassistenten und Heilpädagogen gibt
                                                                                                es derzeit rund 850 Schüler/innen, 130
die Grenzen der Digitalisierung?               Kindern schon in der Kindertagesstätte an-       Mitarbeiter, darunter 55 Dozenten. Das Se-
    Schirrmacher: In der Forschungsdis-        legen. ●                                         minar sei einer der größten evangelischen
kussion gibt es dazu sehr unterschiedliche                        Fragen: Lothar Simmank        Schulverbünde in Hessen. ●             epd

14     blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020
THEMA

                    Künstliche Intelligenz und Autonomie
                    Prof. Lukas Ohly im Evangelischen Forum Kassel über ethische Voraussetzungen

                E
                          in Auto, das ohne Fahrer durch den      Wesen.“ Ihre Autonomie liege nicht in ih-            tasten könne, „denn das Erleben kann
                          Verkehr steuert, selbstständig bremst   rer objektiven Identität.                            man nicht simulieren.“
                          und Vorfahrt gewährt, Gefahrensitu-          Einen entscheidenden Unterschied zwi-               Ethische Probleme ergeben sich nach
                    ationen erkennt und angemessen darauf         schen Mensch und Maschine stellte der Re-            Ohlys Auffassung immer dann, wenn es KI-
                    reagiert, weil das System nie müde und        ferent anhand des Schamgefühls fest. Nur             Systemen überlassen werde, über Fragen
                    unaufmerksam ist – das alles kann man         Menschen könnten in bestimmten Situa-                zu entscheiden, die die Autonomie und die
                    von einem Produkt mit künstlicher Intelli-    tionen ein Gefühl der Verlegenheit entwi-            Menschenwürde betreffen. Das Beispiel
                    genz erwarten. Seit geraumer Zeit arbeitet    ckeln. In der Interaktion mit Humanoiden             von Kriegsrobotern, die aufgrund von ex-
                    man im Silicon Valley und anderswo an         gebe es solche Affekte nicht. Menschliches           ternen Regeln eines Programmierers selbst
                    der Umsetzung dieser Vision in die Alltags-   Lernen sei zudem ein „Erleben von Erleb-             entscheiden, wen sie töten, belege klare
                    realität. Aber der Durchbruch vollautono-     nissen“, Maschinen mit künstlicher Intelli-          Grenzüberschreitungen. „Der Entscheider
                    mer Mobilitätskonzepte ist noch nicht in      genz könnten demgegenüber nur Regist-                muss ein Wesen haben“, forderte Ohly. Der
                    Sicht, denn zu viele Faktoren sind bislang    riertes registrieren – was nicht das Gleiche         Einsatz solcher Waffen müsse internatio-
                    ungeklärt. Juristische und ethische Be-       sei. Als Theologe habe er keine Angst, dass          nal geächtet werden. ●
                    denken verbieten den Einsatz, auch wenn       man die Souveränität Gottes durch KI an-                                       Lothar Simmank
                    technische Features bereits viele Probleme
                    gelöst haben.
                        Mit Künstlicher Intelligenz (KI) und
                    Autonomie beschäftigte sich der Frankfur-
                                                                                                        Foto: privat

                    ter Theologe Prof. Dr. Lukas Ohly in einem
                    Vortrag des Evangelischen Forums Kassel.
                    Seine Ausgangsfrage: Unter welchen Be-
                    dingungen kann man Maschinen Steue-
                    rungsprozesse überlassen? Was sind die
                    ethischen Voraussetzungen etwa des auto-
                    nomen Fahrens?                                      Prof. Dr. Lukas Ohly (50) lehrt                BUCHTIPP
                        Zunächst einmal hielt Ohly fest: Ma-            Systematische Theologie und
                    schinen können keine Subjekte sein.                 Religionsphilosophie an der                     Lukas Ohly: Ethik der Robotik und der
                    Technische Systeme besitzen kein Ich.               Goethe-Universität in Frankfurt                 Künstlichen Intelligenz. Erschienen in
                                                                        am Main. Sein Forschungs-                       der Reihe: Theologisch-Philosophische
                    Sie täuschen Intelligenz nur vor. Nur weil
                                                                        schwerpunkt liegt in der Ethik                  Beiträge zu Gegenwartsfragen. Peter
                    sie teilweise zuverlässiger funktionieren
                                                                        der Zukunftswissenschaften und                  Lang-Verlag, Berlin 2019, 23,40 Euro
                    als Menschen und uns die Interaktion er-
                                                                        -technologien. Gleichzeitig ist er              Was gegenwärtig unter dem Stichwort
                    leichtern, handeln sie nicht aus einem Er-          Gemeindepfarrer der Evange-
                    leben heraus, sondern reagieren durch die                                                           „Digitalisierung" verhandelt wird, pen-
                                                                        lischen Kirche von Kurhessen-                   delt zwischen Heilsphantasien und
                    „Statistik des Gelernten“, so der Theologe:         Waldeck in Ostheim (Kirchen-                    Katastrophisierung. Die theologische
                    „Selbstfahrende Autos haben kein inneres            kreis Hanau).                                   Ethik tastet sich gegenwärtig noch
                                                                                                                        unsicher an dieses Thema heran. Das
                                                                                                                        Buch legt eine ethische Positionierung
                                                                                                                        für die Probleme der angewandten Ethik
                                                                                                                        mit künstlich intelligenten und auto-
                                                                                                                        nomen Maschinen vor. Insbesondere
                                                                                                                        der moralische Status von Robotern und
                                                                                                                        Künstlicher Intelligenz wird bestimmt.
                                                                                                                        Der Autor weist nach: An Robotern
                                                                                                                        treten wesentliche Phänomene intersub-
                                                                                                                        jektiver Begegnungen nicht auf. Damit
Foto: Adobe Stock

                                                                                                                        sind theologische Kriterien des Status
                                                                                                                        des Menschen benannt, die sich nicht
                                                                                                                        nachbauen lassen.

                                                                                                  blick in die kirche | FÜR MITARBEITENDE | 3–2020               15
LANDESKIRCHE

                                                                                                                                              Foto: v. Stockhausen
                                                            Transparent mit den Namen der Anschlagsopfer an einem Hanauer Jugendzentrum

Hanau: Große Angst, Zorn und Wut
Am 19. Februar wurden in Hanau neun Menschen mit ausländischen

                                                                                                                                              Foto: medio.tv/Schauderna
Wurzeln Opfer eines rassistisch motivierten Anschlags. Danach fand
man den Täter und dessen Mutter tot in ihrer Wohnung auf. Wie haben
Kirchenvertreter vor Ort das Ereignis erlebt? Was hat sich nach der Tat in
der Stadt verändert? blick in die kirche fragte nach
                                                                                                                      Dr. Martin Lückhoff,

M
          ir ist immer noch nicht richtig        herrscht Nachrichtensperre. Gerüchte sind      len geöffnet wer- Dekan des Kirchenkreises
          klar, was passiert ist”, sagt De-      im Umlauf. Mehrere Notfallseelsorger           den. Soll es Mahn-              Hanau
          kan Dr. Martin Lückhoff (56) zwei      wurden direkt von der Polizei informiert       wachen geben?
Wochen nach der Tat. Natürlich hat er all        und sind vor Ort an den beiden Shisha-         Welche anderen Aktionen sind geplant?
die vielen Nachrichten zu dem Attentat,          Bars. Das kirchliche Jugendzentrum JUZ         Und was geschieht in Kooperation mit an-
das ganz Deutschland erschütterte, sorg-         in Kesselstadt ist ganz in der Nähe, auch      deren – etwa bei den spontanen Friedens-
fältig zur Kenntnis genommen. Er hat mit         nur einen Steinwurf entfernt von der Täter-    märschen durch Hanau?
betroffenen Angehörigen geredet, mit Poli-       wohnung.                                           Als „ermutigende Erfahrung” be-
tikern, mit muslimischen und jüdischen Re-                                                      schreibt Lückhoff die Teamarbeit, die von
ligionsvertretern, mit ungezählten Haupt-        Hunderte trauernde Angehörige                  Anfang an gut geklappt habe, zum einen
und Ehrenamtlichen seines Kirchenkreises,                                                       intern, aber auch weit über die beteiligten
aber letztlich ist die ganze Dimension die-          Für den Dekan gilt es zunächst, Infor-     evangelischen Kirchengemeinden hinaus:
ses Massenmords kaum zu fassen. „Hanau           mationen zu sammeln, um zu erfahren,           „Verständigung, Frieden und Vertrauen”,
ist eine Stadt, die auf ihre Integrationsge-     welche Aufgaben nun auf die Kirche zu-         so der Dekan, seien keine leeren Worthül-
schichte stolz ist”, sagt Lückhoff, „hier hät-   kommen. Gute Kontakte zum Büro des OB          sen geblieben. Für Hunderte trauernde An-
te man das nicht erwartet, alle standen          und zum „Runden Tisch der Religionen”          gehörige, die schockiert und zutiefst ver-
unter Schock.”                                   sind hilfreich. E-Mails an die Pfarrerschaft   letzt seien, da zu sein, sei entscheidend.
     Als am Morgen des 20. Februar um            werden versandt. Das Ziel jeglicher Kom-       Natürlich seien in erster Linie Verwandte,
5:30 Uhr der Wecker im Langenselbolder           munikation: Welche Unterstützung brau-         Freunde und die muslimischen Verbände
Pfarrhaus klingelt, ist klar, dass dies kein     chen die Opfer bzw. deren Angehörige und       für sie da. Aber die evangelische Kirche
normaler Tag werden wird. Am Vorabend            die Hinterbliebenen?                           eben auch, betont Lückhoff.
hat es einen schweren Vorfall mit Toten in           Nach dem Frühstück ist eine Flut von           Die Friedensgebete in den Kirchen
Hanau gegeben. Aber wer sind die Opfer?          E-Mails und Telefonaten zu bewältigen:         werden von der Bevölkerung gut ange-
Ist der Täter noch unterwegs? Zunächst           Absprachen mit Kollegen, die Kirchen sol-      nommen, bis zu 250 Besucher kommen

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