Raphael Golta - Magazin Umfeld Sucht. 1/2019 - ada-zh
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Magazin Umfeld Sucht. 1/2019 STA DT R AT Raphael Golta «Die 90er-Jahre haben mich politisiert» A DA - Z H P RÄS I DE NT h . j . mäder «Wir beraten alle – kostenlos» Offizielles Publikationsorgan des VEVDAJ und der ada-zh www.ada-zh.ch, www.vevdaj.ch
INHALT 18 Wir sind für Sie da: Das Team der ada-zh 3 Hier können Sie hinter die Kulissen Editorial schauen. 4 21 Angehörigenarbeit im Umfeld Wenn aus Spiel Ernst wird: Sucht bei der ada-zh: Existenzbedrohung Spielsucht Eine Zeitreise in Zürich Eine legale Droge, die immer überall er- Sonja Sterchi über ihr erstes Jahr bei hältlich ist und zum Ruin führen kann. ada-zh. 22 Verhaltenssüchte überlagern sich zusehends Gespräch mit Franz Eidenbenz über Gamen und seine Folgen. 9 Aufklärung kann ja immer noch 24 eine Hoffnung sein Risikokompetenz entwickeln: Wo Eine Zeitreise mit Monika Stocker, steht die Suchtprävention heute? Alt-Stadträtin von Zürich. Christa Berger und Marcel Reuss von der Suchtpräventionsstelle der Stadt 12 Zürich gaben uns Auskunft. Das Bier neben der Gartenwirt- schaft 28 Im t-alk treffen sich alkoholkranke 7 Fragen an: Arielle, 42 Menschen. PerSpektiven hat einen Sie ist seit 30 Jahren kaufsüchtig und Augenschein genommen. seit 4 Monaten in Therapie. 14 Zürich: Am Brennpunkt einer Stadt mit Zentrumsfunktion Gespräch mit Stadtrat Raphael Golta, Vorsteher des Sozialdepartementes der grössten Schweizer Stadt. 5 Amphetamin, die Speed-Droge Vom Aufputschmittel und Mutmacher für Soldaten zur illegalen Droge. 7 Raus aus dem Grübeln Entspannen mit Yoga Nidra und Meditation. 30 Quiz – Wie suchtgefährdet bist du? 7 18 Kantonsschüler der Kanti Heerbrugg Wichtige Termine Hansjörg Mäder: ada-zh hat haben ein nicht ganz ernstgemeintes das niederschwelligste Angebot: Quiz erarbeitet. Hier können Sie sich 8 Kostenlos testen. Ein dringender Hilferuf zum Warum ada-zh ihre Beratung jetzt Stoppen der Abwärtsspirale kostenlos anbieten kann. Und was der 31 Die Psychologin gibt Auskunft. Haken bei der Sache ist. Impressum 2
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER. Editorial psychischen Belastung oft auch in finan- Dieses neue Angebot ist für ada-zh mit ziellen Engpässen. Das hat dazu geführt, grossen Risiken verbunden. Wenn Sie das dass sich viele die Beratung bei uns nicht Angebot nutzen helfen Sie uns, diese klein leisten konnten, dies auch deshalb, weil un- zu halten. Und Sie erhalten erst noch eine sere Leistungen (noch) nicht über die Kran- erstklassige Beratung und Unterstützung. kenkassen abgerechnet werden können. Also packen wir es gemeinsam an. Angehörige werden also heute immer noch Die vorliegende Ausgabe von PerSpektiven allein gelassen. Für die Suchtkranken steht führt uns nach Zürich. Wir haben uns in ein umfangreiches Therapieangebot zur Ver- der Stadt, die seit über 40 Jahren eine Vor- fügung, Angehörige stehen aber weiterhin reiterrolle in der Suchtpolitik eingenommen noch draussen vor der Tür. Hilfe tut not. hat und ohne die es die heute etablierte und Seit über vierzig Jahren berät und unter- bewährte 4-Säulen-Politik nicht geben wür- stützt ada-zh Angehörige von Suchtkran- Deshalb: Wenn jemand unverschuldet in de, umgeschaut. Zürich bleibt dran. Dazu ken -gefährdeten. In diesen Jahren konnten Not gerät, soll er oder sie nicht auch noch sagt Stadtrat Raphael Golta in unserem In- wir vielen Betroffenen Hilfe leisten. dafür bezahlen müssen. Ab sofort sind des- terview auf Seite 14: «Wir konzentrieren uns halb die Beratungen bei ada-zh kostenlos, darauf, unsere bestehenden Angebote auf- Es gibt auch heute noch viel zu tun. Monika aber nicht gratis. Einzige Bedingung: Die recht zu erhalten, bzw. anzupassen, um Ver- Stocker drückt es in ihrem «Lesebuch Mit- Betroffenen sollten bei uns Mitglied sein. änderungen früh zu spüren und am Puls zu tendrin» so aus: «So bin ich unglücklich Der Mitgliederbeitrag von Fr. 80.– kann bleiben». über die heutigen sozialpolitischen auch in zwei Raten beglichen werden. Debatten, die Menschen mit Problemen ganz einfach nur beschämen und fertigma- Kostenlos, aber nicht gratis. Der Volksmund chen. Ein Mensch verändert sein Leben sagt «was nichts kostet ist nichts wert». Des- Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre. nicht, wenn man ihm seine Defizite um die halb die nicht ganz freiwillige Mitglied- Ohren schlägt und ihn klein hält, z.B. ohne schaft. Das wiederum befähigt ada-zh, mit genügend finanzielle Ressourcen». vielen Mitgliedern im Rücken, gestärkt und selbstbewusst gegenüber Ämtern, Behör- An diesem Punkt möchten wir ansetzen: den und Politikern aufzutreten und ihre An- Angehörige befinden sich nebst ihrer grossen liegen zu vertreten. Erwin Sommer, Chefredaktor Beratungsgespräch mit einer Fachperson (PsychologIn) gratis! Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass unsere Beratungs- und Begleitgespräche für alle Menschen erschwinglich sind, deshalb sind auch die weiteren Gespräche gratis.* *Eine Vereinsmitgliedschaft ist dann obligatorisch und kostet CHF 80.– pro Jahr. 3
ADA-ZH / VEVDAJ 1 JAHR ANGEHÖRIGENARBEIT IM UMFELD SUCHT BEI DER ADA-ZH: EINE ZEITREISE IN ZÜRICH. Diplom. Psychologin Sonja Sterchi-Birzle, Eidgenössisch anerkannte Psycho therapeutin FSP stellt sich vor und berichtet von ihrer Arbeit. Am 15. Januar 2018 begann ich bei der stellen die Angehörigen und die Behand- Angehörigenberatung Umfeld Sucht, ler vor stetige Herausforderungen. Aber ada-zh, als psychologische Beraterin in wie Hölderlin (1808) schon schrieb: «Wo einem hochengagierten Team (vgl. Por- aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» traits Beratungsstelle) zu arbeiten. Die Beratung von Angehörigen erachte ich In diesem Zusammenhang ist auch die als besonders wichtig, und ich beziehe Vernetzung und Kooperation der ada-zh seit jeher in meiner psychologisch/psy- mit dem Zentrum für Suchtmedizin arud, chotherapeutischen Tätigkeit Angehö Supervision sowie der fachliche Aus- rige, wenn möglich, mit ein. tausch im Arbeitsumfeld sehr bereichernd. Foto: zvg Seit einem Jahr bei ada-zh: Mark Gelpke, Pionier und ehemaliger Be- Mein Einstieg in den Drogenbereich er- Sonja Sterchi-Birzle. rater der ada-zh, gibt in Fallbesprechun- folgte als junge klinische Psychologin in gen seine Erfahrungen weiter. Die von der der Kantonalen Psychiatrischen Klinik ada-zh aufgegleisten Projekte im Bereich Rheinau im Jahr 1995. Damals war der ein wirksames Werkzeug, um Angehör ige leistungssensible Suchttherapie, bzw. Tria Einbezug der Angehörigen noch nicht zu stärken und zielorientiert Bewegung log sind fachlich zukunftsweisend und etabliert, und es gab kontroverse An- in starre Suchtstrukturen des Betroffenen dienen der Weiterentwicklung der Ange- sichten bzgl. der Behandlung von Drogen- zu bringen. Der CRAFT-Kurs wurde letz- bote der Angehörigenberatungsstelle. abhängigen in Fachkreisen. Seitdem hat tes Jahr erfolgreich von Andreas Spohn, sich einiges in den Versorgungsstruktu- langjähriger Berater, und mir durchge- ren verbessert, dennoch gibt es noch sehr führt. viel zu tun. LITERATURANGABEN: Auch die Akzeptanz- und Commitment- Als Fachpsychologin für Psychotherapie Therapie (ACT, Hayes. S.C., et. al. 2004) Diegelmann, C. & Isermann, M. FSP mit kognitiv-verhaltenstherapeuti- enthält viel Wertvolles für Angehörige. Ressourcenorientierte schem Hintergrund sehe ich im Commu- Unser letztjähriger ACT-Kurs half ihnen, Psychoonkologie, Kohlhammer, nity Reinforcement and Family Training achtsamkeitsbasiert die Abgrenzungsfä- Stuttgart (2011). (CRAFT, Smith, J.E. , Meyers, R.J. 2009) higkeiten und die Selbstfürsorge zu stär- ken. Die Angehörigen bei der Balance zwi- Hayes, S.C. , Strosahl, K.D., & schen Hilfeleistung und Abgrenzung zu Wilson, K.G. Akzeptanz und unterstützen bleibt eine Herausforderung Commitment-Therapie. der Angehörigenberatung und ist immer CIP-Medien, München (2004). wieder als Thema in den Beratungen und den Selbsthilfegruppen präsent. Das Hölderlin, F.,Patmos, Faksimile Thema Co-Abhängigkeit hat dabei auch der Erstausgabe von 1808 im seinen Platz. Musenalmanach, In: www.hoelderlin.de. Schnell habe ich bemerkt, dass auch Süch- te stets im Wandel begriffen sind: Die Smith, J.E. , Meyers, R.J. Mit Süchte der Millennials, also Partydrogen, Suchtfamilien arbeiten: die oft in den Lebensstil integriert sind, CRAFT:ein neuer Ansatz für die darüber hinaus Online- und Gamesucht, Foto: zvg Angehörigenarbeit, Psychiatrie Sonja Sterchi im Fachaustausch der vermehrte Gebrauch von Neuroen- Verlag, (2009). mit KollegInnen. hancern und Schmerzmitteln im Alltag 4
ADA-ZH / VEVDAJ Die Verlegung meiner seit 1997 bestehen- Arbeitsbereich in meiner Privatpraxis ist Psychoonkologie gemäss TRUST (Diegel- den Privatpraxis in die ada-zh bietet die Psychoonkologie. Im November 2018 mann&Isermann 2011) vermittle ich auch zudem weitere Synergien, insbesondere konnte ich am Weltkongress für Psy- individuell Angehörigen im Umfeld Sucht bzgl. meines Arbeitsschwerpunktes Ver- choonkologie in Hongkong mein Arbeits- zur Resilienzstärkung. So fügt sich das kehrstherapie/Suchtberatung. Über Ver- flussdiagramm zur Strukturierung der eine zum anderen, und ein Kreis schliesst kehrsdelikte Drogen werde ich in einem psychoonkologischen stationären Reha- sich. Artikel in der kommenden Ausgabe der bilitation anhand eines Posters präsen- PerSpektiven berichten. tieren. DIPL. PSYCH. SONJA STERCHI-BIRZLE, EIDGENÖSSISCH ANERKANNTE Ich bin vielfältig interessiert, reise- und Interventionen zur Stressbewältigung PSYCHOTHERAPEUTIN FSP kontaktfreudig. Ein weiterer wichtiger und Distanzierungstechniken aus der AMPHETAMIN, DIE SPEED DROGE. Wir reden von Cannabis, Kokain und Heroin. Aber wir reden selten von der Droge, welche tonnenweise konsumiert wird. In den 30er-Jahren kam Amphetamin als Asthmamittel zum Einsatz, da es zum Ab- schwellen der Schleimhäute führt und vor allem durch die Weitung der Bron- chien ein freieres Atmen ermöglicht. Es wurde ausserdem als Appetitzügler und Antidepressivum genutzt. Wer hat’s erfunden? Die Armee! Im Zweiten Weltkrieg wurde Amphe tamin in den Armeen Deutschlands (Methamphetamin, «Pervitin»), der Ver- einigten Staaten (D-,L-Amphetamin, «Benzedrin»), Grossbritanniens und Japans eingesetzt, um Soldaten wach, motiviert und aggressiv zu halten. 1941 wurde es in Deutschland aufgrund sich häufenden Missbrauchs- und Suchtfällen dem Reichs opiumgesetz unterstellt, wodurch der Ver- kehr mit dem Stoff reglementiert wurde. 1948 brachte Glaxo-Wellcome in den USA Dexedrine (reines Dexamphetamin) als Mittel gegen ADHS auf den Markt. Der Konsum gerät aus dem Ruder. 1954 gab es in Japan 550’000 chronische Nutzer und zwei Millionen ehemalige Konsumenten. 1959 erschienen erste Berichte über Konsumenten in den USA, die sich den Inhalt der Benzedrine- Inhalatoren spritzten. Erste Fälle von illegal produziertem Amphetamin wur- Bild: works.io den bekannt. Amphetamin: Vom legalen Aufputschmittel zur illegalen Droge. 5
ADA-ZH / VEVDAJ 1970 wurden in den Vereinigten Staaten dem Konsum von Amphetamin einher- schizophrenen Psychosen, bipolaren Stö- Besitz und Herstellung von Amphetamin gehen, zählen gesteigerte Aggressivität, rungen, antisozialen Persönlichkeitsstö- ohne Genehmigung strafbar; durch einen Krämpfe, Zittern, Kreislaufkollaps, Herz- rungen und ADHS. In amerikanischen Arzt ist es weiterhin verschreibungsfähig. rasen und Herzinfarkt. Bei einem Abhän- Studien wurde eine Komorbidität mit Heute (Stand: Dezember 2016) sind das gigkeitssyndrom können Zerfall der Schizophrenie in bis zu 25 % der Fälle fest- Amphetamin-Racemat und Dexamphe- Muskulatur, Nierenversagen, Gedächt- gestellt. tamin weiterhin verkehrs- und verschrei- nisstörungen, Schlafstörungen, Schlag- bungsfähig. 1996 wurde in den Vereinigten anfall, paranoide Wahnvorstellungen und Es gibt Hinweise, dass bei Amphetamin- Staaten Adderall (Gemisch verschiedener Depressionen, Bewusstseinstrübung bis missbrauch das Risiko, später an Morbus Amphetaminsalze) als Mittel zur ADHS- hin zu Koma und chronischen Psychosen Parkinson zu erkranken, deutlich erhöht Behandlung zugelassen. Im Militär ver- auftreten. Es kann zu einer Vernachläs- ist. schiedener Länder wird Amphetamin ver- sigung sozialer Verpflichtungen (Familie, mutlich bis heute zur Leistungssteigerung Schule, Beruf, Beziehung) kommen. Wer- Bekannte Amphetamin Benutzer sind und eingesetzt. den Amphetamine häufig geschnupft, waren Musiker, Schriftsteller, wie kann es zu einer Schädigung bis zur Auf- Elvis Presley, Andy Warhol, Philip K. Dick, Beliebt in der Techno-Szene. lösung der Nasenscheidewand kommen. Adolf Hitler… sowie die deutsche Wehr- Amphetamin wird in Europa hauptsäch- macht. lich in der Techno-Szene konsumiert, um Abhängigkeit und Begleiterkrankungen. PERSPEKTIVEN unter anderem länger tanzen zu können. Das Risiko, eine Abhängigkeit zu ent Es wirkt leicht euphorisierend, hält wach wickeln, hängt von genetischen Faktoren und ermöglicht um mehrere Stunden ver- und der psychosozialen Situation der längerte Tätigkeiten. Bei nachlassender Person ab. Im Tiermodell konnten manche Wirkung kommt es zu Nervosität und Ab- Individuen ihren Amphetaminkonsum QUELLEN: gespanntheit («Abturn»); der Körper for- lebenslang flexibel regulieren, bei 50 % trat dert die dringend benötigte Ruhe ein, aber dagegen nach einer gewissen Zeit eine Ab- Wikipedia: das noch nicht abgebaute Amphetamin hängigkeit mit massiver Dosissteigerung Speed. Eine Gesellschaft auf verhindert dies. Aus diesem Grund ist es und Erwerb einer Toleranz auf, die auch Droge verbreitet, sich durch den Konsum von nach erzwungenem Entzug bestehen blieb. Cannabis zu beruhigen («herunterrau- Häufig geraten die Konsumenten in einen Eric Stehfest: chen»). Zum Teil werden starke Beruhi- Teufelskreis aus abwechselnder Einnah- 9 Tage Wach gungsmittel aus der Stoffgruppe der Ben- me aktivierender und beruhigender Dro- zodiazepine wie Rohypnol oder Valium gen, wobei jedes Mittel die Nachwirkun- Zauberpilzblog: eingenommen, um zur Ruhe zu kommen. gen des anderen mildern soll. www.zauberpilzblog.net/ amphetamin-kaufen-speed Gesundheitsgefahren. Bei Amphetaminabhängigen finden sich Zu den gesundheitlichen Risiken, die mit hohe Raten an Begleiterkrankungen mit Quellen: Wikipedia, Speed. Eine Gesellschaft auf Droge, 9 Tage Wach, www.zauberpilzblog.net/amphetamin-kaufen-speed LESERBRIEF Guten Tag Herr Sommer Wir haben abgemacht bei den Peers, dass die Peer Fotos nur solange zur Verfügung stehen, wie die Person bei Arud arbeitet. Ohne den Schutz von Arud, wären sie noch mehr der Stigmati sierung ausgesetzt, wenn sie sich outen. Es ist darum wichtig, dass bei jeder Veröffentlichung nachgefragt wird, ob das Foto noch verwendet werden kann. In diesem Zusammenhang ist natürlich die korrekte Quellenangabe nötig. Bitte also schreiben Foto: Arud P2P/O.Wehrli Foto: Arud P2P/O.Wehrli Zuschrift Artikel 4/18 Bild aus ser Ausgabe 4/18: «Auf der Suche nach dem Hepatitis C-Virus» «Auf der Suche nach dem Hepatitis C-Virus» 6
ADA-ZH / VEVDAJ RAUS AUS DEM GRÜBELN. Entspannen mit Yoga Nidra und Meditation. Sie kennen das sicher: Sie liegen abends im Bett, können aber nicht einschlafen, weil Sie etwas beschäftigt. Ihre Gedan- ken drehen sich im Kreis, und das Grü- beln will einfach kein Ende nehmen. Ein Gedankenkarussell! Wenn Sie etwas denken, dann können Sie sich anschliessend an diesen Gedanken erinnern. Er muss also irgendwie in Ihrem Gehirn gespeichert worden sein. Nun ha- ben wir aber in unserem Kopf keine Fest- platte, die wir beschreiben könnten, so wie das bei einem Computer der Fall ist. Viel- mehr speichern wir Gedanken biologisch ab, und zwar in Form von Synapsen. Jeder einzelne Ihrer Gedanken lässt in können Sie zu Hause anwenden, wenn Sie WORKSHOP: Ihrem Kopf gewachsene neuronale Ver- das nächste mal grübeln. Wenn es noch bindungen entstehen, und zwar exakt in nicht alleine geht, gebe ich Ihnen ganz Referentin: Simone Schaetzle der Sekunde, in der Sie diesen Gedanken viele Ideen und Übungen aus dem Inter- denken. Denn regelmässiges sorgenvolles net mit, die Ihnen helfen. Bitte wenden Sie sich bei Denken, gepaart mit starken negativen Interesse an: Emotionen, verändert nachweislich die SIMONE SCHAETZLE, Strukturen unseres Gehirns. Am Work- DIPLOMIERTE YOGA- UND MEDITATIONS ada-zh shop werde ich einige Techniken zeigen, LEHRERIN MIT 20 JAHRE ERFAHRUNGEN IN 044 384 80 10 die Sie gleich ausprobieren können. Die DIESEM BEREICH info@ada-zh.ch jenige, welche für Sie am besten passt, AGENDA Wichtige Termine ada-zh Seminare Themenabende ada-zh und arud 40. Generalversammlung CRAFT Seminar: Mit Rolf W. Locher: Wissen für Eltern, der ada-zh Kompakt-Seminar für Lachen – der gesündeste Geschwistern, Freunde und Montag, 18. März 2019 Angehörige – geschickt Virus der Welt Arbeitgeber: Gartensaal Alleehaus Einfluss nehmen Donnerstag, 4.4.2019, Cannabis und Alkohol der Reformierten Kirche 13.5./27.5./3.6./17.6. 18.30 – 20.00 Uhr in Zürich Dienstag, 2.4.2019, Neumünster, 18.15 – 19.35 Uhr in Zürich 18.30 – 20.00 Uhr Wolfgang Weigand, Neumünsterallee 21, ACT Seminar: Theologe und Coach: Crystal Meth/Partydrogen 8008 Zürich Achtsam und gelassen Trauer und Abschied Herbst 2019 das Leben meistern 31.10./7.11.2019, 16.10./30.10./13.11./27.11.2019 18.30 – 20.00 Uhr in Zürich Auskünfte und Anmeldung: ada-zh: 044 384 80 10 7
ADA-ZH / VEVDAJ EIN DRINGENDER HILFERUF ZUM STOPPEN DER ABWÄRTSSPIRALE. Frage: Mein IV- berenteter Mann mit Leberzirr- hose ist nach einem Entzug erneut rück- fällig geworden, und er trinkt wieder öf- ters. Nach einem schweren Sturz unter Alkoholeinfluss und notwendigen Ope- rationen sowie diversen Klinikaufent- halten ist er wieder zu Hause. Ich habe neben meiner Arbeitstätigkeit jahrelang meinen Ehemann unterstützt und nun Angst, dass alles nicht mehr zu Foto: haz.de schaffen ist und ich selber in eine Ab- Alkohol ist nach wie vor Droge Nr. 1. wärtsspirale gerate. Ich mache mir sehr grosse Sorgen und Ein Rückfall nach einem Alkoholentzug, Eine Teilzeitkrankschreibung und Arbeit- habe Zukunftsangst. Mein Arbeitgeber wie Sie ihn von Ihrem Mann schildern, ist stätigkeit in reduziertem Pensum könnte wünscht ein Gespräch, um meine beruf- keine Seltenheit. Viele Alkoholkranke be- je nachdem für Sie auch sinnvoll sein, liche Situation mit mir zu klären. Was nötigen mehrere Anläufe bis zur Abstinenz wenn gleichzeitig häusliche Entlastung kann ich für mich tun, und wie verhalte einhaltung, was bei einer bestehenden und Betreuung Ihres Mannes für Sie orga- ich mich nun gegenüber meinem hilfsbe- Leberzirrhose indiziert wäre. So wie ich Sie nisierbar ist. In jedem Fall haben Sie und dürftigen Mann? verstanden habe, ist Ihr Ehemann nun wie- Ihre Gesundheit nun Vorrang. Ich empfehle der in sein altes Trinkmuster gefallen, und Ihnen Selbstfürsorge, auch wenn Sie bisher Antwort: eine Bearbeitung des Suchtdrucks und Ihre Lebensgestaltung nach Ihrem Ehe- Vielen Dank für Ihre Anfrage. seiner Trinkmotive ist noch nicht erfolgt. mann ausgerichtet haben. Es ist häufig so, dass Angehörige alkohol- kranker Partner aus verschiedenen Grün- Eine der Entgiftung anschliessende Sucht- Ihr Ehemann ist in erster Linie für seine den, z.B. Co-Abhängigkeit, jahrelang sehr therapie, bzw. tagesklinische Massnahme Gesundheit selbst verantwortlich und kann viel mittragen und über eigene Grenzen zur Bearbeitung der Hintergrundproblema- seine Trinkgewohnheiten auch nur selbst gehen. Dies scheint mir bei Ihnen auch so tik Ihres Ehemannes wäre sinnvoll. Ich ändern. Frischen Sie Ihrerseits alte Hob- zu sein. Aktuell hat sich aufgrund des chro- empfehle Ihnen eine offene Aussprache mit bies oder Entspannungstechniken auf, nischen Alkoholismus Ihres Ehemannes Ihrem Ehemann, mit dem Hinweis auf die machen Sie Pausen und reaktivieren Sie und der daraus resultierender Gesund- dringliche Notwendigkeit Ihrer Entlastung. Beziehungen, die Sie stärken. heitsprobleme für Sie die Situation der an- So könnte auch Ihr Ehemann eher für sich haltenden Überbelastung zugespitzt. Verantwortung übernehmen und mögli- Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Aus- cherweise seinerseits einen erneuten, aber führungen etwas weiterhelfen und Ihnen Aufgrund drohender Konsequenzen am vertieften Behandlungsversuch starten. mit den genannten Verhaltens-/Behand- Arbeitsplatz, möglicherweise bis zum Ver- lungsmöglichkeiten eine Perspektive geben. lust Ihrer Arbeit, sind Sie nun an dem Nach dem Gespräch mit Ihrem Arbeitge- Aufgrund der Dringlichkeit und Komplexi- Punkt, wo Sie deutlich spüren, so geht es ber kennen Sie auch dessen Position. Aus tät der von Ihnen geschilderten Situation nicht weiter. Ihre Kräfte sind nicht uner- meiner Sicht kommen für Sie mehrere Be- sowie den von Ihnen genannten Belastun- schöpflich, es muss eine Änderung geben, handlungsmöglichkeiten in Frage, um Ihre gen, empfehle ich Ihnen zudem als weite- sonst schaden Sie sich weiter selbst und Belastbarkeit und Ihre Gesundheit zu sta- ren Schritt eine vertiefte persönliche psy- Ihre Gesundheit leidet. Es ist gut, dass Sie bilisieren. Ich empfehle Ihnen aufgrund chologische Beratung und Begleitung. sich Hilfe holen, es ist noch nicht zu spät Ihrer starken emotionalen Nähe zu Ihrem für Selbstfürsorge und Resilienzstärkung, Ehemann die Distanzierung vom häusli- DIPL. PSYCH. SONJA STERCHI-BIRZLE, aber Sie müssen sich auf einen längeren chen Umfeld und die Aufnahme einer Be- EIDGENÖSSISCH ANERKANNTE Weg einstellen. handlung in einer Fachklinik. PSYCHOTHERAPEUTIN FSP 8
ADA-ZH / VEVDAJ AUFKLÄRUNG KANN JA IMMER NOCH EINE HOFFNUNG SEIN. Man sagt, dass die Geschichte uns lehrt, Wir beginnen ganz vorn: Plakat: Andreas Fierz dass der Mensch aus der Geschichte nichts lernt. Aber es gibt Sachen und Er- Die Drogenszene – eine Gefahr für Zürich? eignisse, die dürfen sich einfach nicht In den 80er-Jahren wurden die Drogenpro- wiederholen. An die Hexenprozesse, die bleme immer manifester, besonders in in Deutschland ähnlich viele unschul Zürich. Was als lästig empfunden am dige Opfer wie der Holocaust gekostet Limmatquai begann, entwickelte sich zu haben, erinnern uns höchstens noch ein einer Szene am Platzspitz. Dort sammel- paar Geschichtsfreaks. Obwohl auch ten sich einheimische und durchreisende diese Ereignisse schrecklich waren und Händler und Süchtige auf «ihrem Markt». viel Leid verursacht haben. Und – sie Nahe beim Bahnhof, ein bisschen geschützt können sich jederzeit wiederholen. durch die Grünanlage und doch mitten in der City, schien der Platzspitz ein dafür ge- In Zürich ist das Ereignis aus der jüngeren eigneter Ort zu sein. Geschichte das Leid, das tagtäglich am Platzspitz und später am Letten geschah. Die Auseinandersetzungen, was mit all den Beide Orte sind aufgeräumt, der Alltag und «Drögelern» zu tun sei, nahmen immer die Touristen haben wieder Besitz ergriffen. heftigere Formen an. Man setzte auf Re- pression. Die Polizei rückte ein, die Szene DER TOTENKOPF, DER Monika Stocker, Alt-Stadträtin und Sozial verschwand, um sich nur wenige Minuten VOR RAUSCHGIFT WARNTE vorsteherin, hat diese Zeiten miterlebt: später wieder auszubreiten. Viele gut mei- «Noch immer, wenn ich über die Korn- nende Helferinnen und Helfer erschienen, Vor 50 Jahren entwarf ein hausbrücke gehe, rieche diesen unaus brachten Essen und Decken. Die Szene am Grafik-Student Zürichs erstes stehlichen Geruch». Sie hat vor kurzem in Platzspitz wurde zunehmend nicht nur für Anti-Drogenplakat. 1968 lancierte ihrem Buch «Mittendrin» dieses Thema den Handel und den Konsum genutzt, son- die Stadtpolizei einen Wettbewerb aufgearbeitet. PerSpektiven bekam die Er- dern je mehr die Menschen verwahrlosten für Zürichs erste Kampagne gegen laubnis, einzelne Kapitel abzudrucken. und eben auch von auswärts kamen, umso Drogen. Die Jury entschied sich (Aus Platzgründen gibt es Auslassungen – mehr wurde dort das Drogencamp etab- für den Entwurf des Grafik-Stu- ich empfehle, das ganze Buch zu lesen). liert. denten Andreas Fierz Tanzende Buchstaben. Sie stehen für den Rausch. Eine junge Frau. Ihr Gesicht verschwimmt hinter einem Toten- PILOTVERSUCHE MIT CANNABIS – schädel. Die Botschaft des Pla- ES GEHT VORWÄRTS. kates ist klar: Wer Drogen nimmt, riskiert sein Leben, auch wenn mit Rauschgift vornehmlich Cannabis Der Bundesrat will eine gesetzliche Im BetmG soll mit Artikel 8a eine neue gemeint war. Damals, Ende der Grundlage für die Durchführung von gesetzliche Grundlage für die Durch- 1960er-Jahre, als Jugendliche das begrenzten wissenschaftlichen Pilot- führung von begrenzten wissenschaft- Kiffen entdeckten und die Eltern versuchen schaffen, um Erkenntnisse lichen Pilotversuchen geschaffen wer- noch wenig Ahnung hatten, was ihre über die Auswirkungen neuer Regelun- den, um Erkenntnisse über die Söhne und Töchter da rauchten. gen im Umgang mit Cannabis zu nicht Auswirkungen neuer Regelungen im Für Aufsehen sorgt das Plakat bis medizinischen Zwecken zu gewinnen. Umgang mit Betäubungsmitteln des heute. Es landete im «Spiegel», in Wirkungstyps Cannabis zu nicht me- einer US-Krimiserie – und hing in Der Bundesrat hat dem Parlament am dizinischen Zwecken zu gewinnen. manchem Zürcher Partykeller. Un- 27. Februar 2019 die Botschaft für die ter den Jungen wurde der «Totenk- gesetzliche Grundlage für Pilotversu- Die Geltungsdauer von Artikel 8a opf» schnell zum Kultobjekt. che mit Cannabis überwiesen. BetmG ist auf zehn Jahre beschränkt. Marcel Reuss, Suchtprävention Zürich 9
Eltern suchen ihre Kinder. aber ebenso lautstark jede Einschränkung So langsam setzte sich die Erkenntnis Verzweifelte Eltern und Angehörige such- der Werbe«freiheit» für Alkohol und durch, die kontrollierte Heroinverschrei- ten dort ihre «Kinder», fanden und verlo- Nikotin. Die Widersprüche bleiben. bung ist vielleicht doch ein Mittel, um der ren sie wieder. Der Begriff des «Needle- Verelendung der Betroffenen beizukom- park» begann damals weltweit die Runde Krieg in und um Zürich darf es nicht mehr men. Sicher aber konnten wir zunehmend zu machen und schädigte den Ruf der Stadt geben – Heroin an Schwerstsüchtige. aufatmen: unser Ziel, eine «stadtverträg- Zürich. Zudem wurden internationale (Nach unschönen Vorkommnissen 1994 liche» Lösung des Drogenproblems, war Händler und Konsumenten erst recht da- geschrieben) erreicht worden. Ein Aufatmen gibt es aber von angezogen. Der Teufelskreis drehte Das Projekt zur kontrollierten Verschrei- in diesem Thema nie. sich ununterbrochen. Zürich fühlte sich bung von Heroin wurde aufgegleist. Fach- allein gelassen. leute hatten es schon lange angedacht. Jetzt gab es grünes Licht, und damit war eine MORDDROHUNG Selbstschädigendes Verhalten ist nicht relativ rasche Abwicklung der Realisie- strafbar. rung möglich. Ziemlich schwer zu verdauen war Was bis heute nicht akzeptiert, respektive eine Morddrohung bei mir zu verdrängt wird: Selbstschädigendes Verhal- Information Hause. Meine damals 17-jährige ten ist per se nicht strafbar. Wenn sich je- Das hiess auch, die Öffentlichkeit, die Tochter war am Telefonapparat. mand zu Tode trinkt, dann ist das eine töd- Quartierbevölkerung, die Lehrerinnen und Wir gingen gemeinsam zur Polizei, liche Krankheit aber kein «Verbrechen» und Lehrer, Eltern sowie ältere Menschen zu die eigentlich nur versprechen ebenso, wenn sich Süchtige mit Drogen informieren. Es galt, ihnen Sicherheit zu konnte, oft in unserem Quartier zu aller Art vollstopfen. Verboten sind «nur» vermitteln, dass wir präsent sind und die patrouillieren. Ich musste mich – die Substanzen, nicht der Konsum. Das Sache nicht schleifen lassen werden. Es und meine Familie – einfach macht jede kohärente Prävention und The- war eine intensive Zeit mit täglichen vertrauensvoll «leben lassen» rapie so schwierig und brüchig. Dass das Fas- Abendveranstaltungen. Da flogen auch und hoffen, diese wohl mafiöse zinosum «illegal» gerade auch bei Jugendli- schon mal rohe Eier auf den Stadtpräsi- Warnung sei «nur» Angst machend, chen dazu kommt, weiss man ebenfalls. Eine denten und mich. mehr nicht. Meine Kinder, mit stringente Politik müsste akzeptieren, dass denen ich bewusst die Szene auf die Suche nach dem Rauschzustand offen- Stadtverträgliche Lösung. dem Letten besucht hatte, wussten bar zum Menschen gehört, woher auch im- In den Kliniken Lifeline und Crossline der eigentlich schon, um was es ging. mer dieser Rausch kommen mag. Stadt und in der privaten Abgabestelle konnten Ärzte und Fachleute der Psychia Monika Stocker Aufklärung mit Widerstand. trie, Sozialarbeiterinnen und Streetworker Man könnte und müsste aufklären, dass dank dem täglichen Kontakt in der Poli- es Folgen gibt, die irreparabel sind und klinik den Gesundheitszustand der schwer Grossstadtprobleme und ihre Bewäl nachhaltig zerstören. Aber eben: Beim Al- Abhängigen beobachten und behandeln. tigung. kohol läuft die Lobby schon Amok, wenn Die massive Verwahrlosung, Gelbsucht, Die Arbeit von Monika Stocker dauerte man die Werbung einschränken will. Die schwere Lungenentzündungen reduzier- 14 Jahre. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit selben Personen schreien laut auf, wenn ten sich, und offensichtlich konnte auch waren: man von einer Regulierung der heute «ver- die HIV Ansteckung drastisch verringert – Grossstadtprobleme und ihre Bewäl botenen» Substanzen spricht, bekämpfen werden. tigung Foto: businessinsider.de Vom Feierabendbier zur Sucht ist oft nur ein kleiner Schritt. 10
– soziale Grundversorgung und ihre Or- ganisation – ergänzender Arbeitsmarkt – Arbeit statt Fürsorge – Integration und Zusammenhalt in einem grossen Gemeinwesen – Soziokultur Wir lesen weiter: Obdachlosigkeit. Das Thema Wohnen, bezahlbarer, zugäng- licher Wohnraum für alle, ist in allen Foto: PerSpektiven/ES Städten ein sozialpolitisches Thema. Die Für alle, die ihr Bier nicht mehr in der Gartenwirtschaft trinken dürfen: t-alk. Demonstrationen der 68er- wie der 80er- Jahre waren auch immer durchmischt mit dem Ruf «Wo Wo Wohnige». Die Auflö- sung der Drogenszene machte nochmals t-alk. deutlicher, dass es Menschen gibt, die gar HINTER DEN SIEBEN Die häufigste Sucht ist der Alkohol. Sie ist nicht mehr «wohnen», die sich in einer GLEISEN oft über Jahre versteckt und unauffällig. Wohnung gar nicht mehr aufhalten und Man konsumiert zu Hause, man konsu- wohlfühlen können. Zürich hatte sich im- «Hinter den sieben Gleisen» ist ein miert im Kollegenkreis in der Beiz, man mer mehr mit dem Thema von Obdach schweizerisches Kleinbürger-Drama konsumiert vielleicht mal feucht fröhlich losigkeit zu befassen. Dabei ging es nicht von Kurt Früh aus dem Jahr 1959. in einer Gartenwirtschaft – das alarmiert etwa um die romantisch verklärten Gesel- noch kaum jemanden. len aus dem Film «hinter den sieben Glei- Der Film handelt von drei älteren sen», wo der Song: «mis Dach isch de Him- Clochards, die einer jungen Mutter Wird aber Alkohol schon morgens früh un- mel vo Züri» einem ein Lächeln aufs in ihrem Schuppen am Bahnhof verzichtbar, wenn der Konsum überall und Gesicht zauberte. hinter den sieben Gleisen zu helfen jederzeit notwendig ist, dann lassen sich versuchen. die Spuren nicht mehr verheimlichen. Schnell kommt unkontrolliertes Verhalten dazu. Man achtet nicht mehr auf die Klei- BUCHEMPFEHLUNG Das Konzept des begleiteten Wohnens dung, man riecht unangenehm, und da und (BeWo) hatte Erfolg. Die Stadt mietete Woh- dort wird gar ein Verbot zum Eintritt in die nungen und gab sie in Untermiete oder auch Gaststube ausgesprochen. Der Konsum als einzelne Zimmer an Betroffene ab. wird dann in die Öffentlichkeit verlagert Monika Stocker Monika Stocker und die «Szenen» sind nicht sehr anders SIP, Sicherheit, Intervention, Prävention. als bei anderen Süchten. Es gibt Orte, die Nach längeren Evaluationen bildeten wir man meidet. Es ist unangenehm, am Abend das Projekt: SIP, Sicherheit, Intervention, am Bellevue auf das Tram zu warten … Wir Mittendrin Mittendrin Prävention. Streetworker, Sozialarbeite- rinnen, Fachleute aus der Psychiatrie, vor lancierten das Projekt t-alk: Treffpunkt für Alkohol Konsumierende. allem auch Menschen mit verschiedenen ein Lesebuch mit Geschichte und Geschichten Sprachkenntnissen wurden in Teams zu- Die Menschen wussten, wo sie hingehen fünf Jahrzehnte Sozialarbeit 1968-2018, fünf Jahrzehnte Sozialarbeit 1968-2018, ein Lesebuch mit Geschichte und Geschichten sammengestellt. Sie machten sich mit konnten, sie mussten ihren «Stoff» selber Windjacken oder Gilets, die mit SIP ge- mitbringen, es wurde ein warmes Mittag- zeichnet waren, auf Patrouille. Ich verlang- essen gekocht (von den Betroffenen selbst), te, dass sie mit einem Handy ausgestatten und es bestand die Möglichkeit, Kleider zu MONIKA STOCKER – wurden, das eine besondere, direkte Ver- waschen, zu duschen und auch ein Haar- «MITTENDRIN» bindung zur Polizei bot. schnitt war von Zeit zu Zeit möglich. Die so- ziale Kontrolle, wie es dem einen oder an- Fünf Jahrzehnte Sozialarbeit Sehr schnell aber wurde deutlich, dass SIP dern geht, konnte aufrechterhalten werden. 1968 bis 2018, ein Lesebuch mit in der Grossstadt eine wichtige und auch Man konnte jemanden zum Arzt begleiten Geschichte und Geschichten. eine sehr individuell betreuerische Funk- und allenfalls im Krankenzimmer für Ob- tion wahrnehmen kann. Bis heute ist ihre dachlose ein paar Nächte «aufpäppeln». November 2018, DIN A5, Dienstleistung, zum Teil auch in anderen Diese Möglichkeit zu nutzen war freiwillig. 220 Seiten farbig, gebunden Städten und Gemeinden, gefragt oder wird SIP, unser Streetworkprojekt, machte Be- Preis CHF 38.50 nachgeahmt. troffene auf diese Möglichkeit aufmerksam. 11
ihrem Besuch in der Stadt Zürich) nicht an Oder jemand hat seine selbständige Er- der kontrollierten Heroinverschreibung zu werbstätigkeit so weit, eventuell auch glo- Grunde zu gehen, sondern durch den un- bal, ausgebreitet, dass er die Übersicht und endlichen Konsum von allem und jedem. deshalb alles verloren hat. Sicher würde nie- mand darin «Armutsbetroffene» erkennen, Mittendrin. die man sich unter den Sozialhilfebeziehen- Das Drogenthema ist für mich fachlich den vorstellt. und politisch ein «Paradestück», wenn ich dem so sagen darf, zwischen Anspruch Es gibt Ressourcen, nicht nur Defizite. und Wirklichkeit, und lässt den Titel die- So bin ich unglücklich über die heutigen ses Lesebuches besser verstehen: Mitten- sozialpolitischen Debatten, die Menschen drin. Man erwartet von der Sozialarbeit, mit Problemen ganz einfach nur beschä- dass sie Probleme löst, die nicht zu «lösen» men und fertigmachen. Ein Mensch ver- Monika Stocker. sind. Im Drogenthema steckt der wahn- ändert sein Leben nicht, wenn man ihm witzige Überkonsum einer gesättigten Kul- seine Defizite um die Ohren schlägt und tur. Wer will darüber reden? Sozialarbeit ihn klein hält, z.B. ohne genügend finan- als Profession steckt also mittendrin und zielle Ressourcen, dass ein Leben in Wür- TELEFONANRUFE muss doch reflektieren und quasi «von de, integriert in die Normalität, unmöglich aussen» schauen, analysieren und planen. bleibt. Das ist ja seit mehr als zweihundert Oft bekam ich – vor allem bei Jahren der Trugschluss: Karl Marx hat sich schönem Wetter – Telefonanrufe Das zeigt auch, dass Professionalität nicht schon getäuscht, wenn er meinte, je elen- von erbosten Zürcherinnen oder eine Checkliste meint, die man abhaken der es dem Proletariat geht, umso sicherer Zürchern, am Stauffacher oder am kann, und damit ist das Thema ein für alle werde es aufstehen und die Revolution (sic!) Bellevue werde getrunken. Nun Mal vom Tisch. Die Entwicklungen im in seine Hand nehmen. ja, wo ist der schmale Grat von Suchtbereich sind und bleiben eine Heraus- einer aufsuchenden Sozialarbeit in forderung für die Gesellschaft, seien das Wir danken Monika Stocker, dass wir hier einer Grossstadt, und wo sind freie heute die Handys, der Internetkonsum oder Auszüge aus ihrem Buch veröffentlichen Bürger auch frei, sich aufzuhal- schlicht und einfach auch die Geldgier. So durften. ten? Immer wieder ist diese Frage kann es heute tatsächlich sein, dass ein auszuloten, zu debattieren und zu «Fall» in die Sozialhilfe kommt, weil sich TEXTAUSWAHL UND REDAKTION FÜR «lösen»… jemand mit seinem beträchtlichen Vermö- PERSPEKTIVEN: ERWIN SOMMER gen total verspekuliert hat. Drogen – immer wieder ein Lehrstück. Zur Drogenproblematik gehört leider auch, dass sich die Stoffe weiter entwickeln. Die DAS BIER NEBEN DER chemischen Drogen sind gefährlich und leicht erhältlich. Das Kokain ist ebenfalls billiger geworden und die Medikamente, GARTENWIRTSCHAFT. die in vielfältigen Cocktails zu mixen und zu konsumieren sind, sind an jeder Strassen ecke erhältlich. Das Drogentesting, das je- weils an der Streetparade eingerichtet wird, ist zwar umstritten, eröffnet aber den Kon- sumierenden, welches Gift sie sich da zu- Die meisten Suchtkranken – das wird lei- Es trägt somit zur Stabilisierung der führen. Wer weiss, Aufklärung kann ja im- der meist übersehen – sind alkoholkran- Lebenssituation bei und bietet die Grund- mer noch eine Hoffnung sein. ke Menschen. Menschen, die oft Mühe lage für möglichst unbürokratische, schnel- haben, ihren Alltag zu bewältigen und in le Hilfeleistung in Notsituationen. Das t-alk Dass der Alkohol gerade auch für Jugend- Tagesstrukturen zu leben. Diesen bietet befindet sich an der Bederstrasse, unmit- liche die Einstiegsdroge ist, weiss man. t-alk einen geschützten Ort, wo sie sich telbar bei der Klopstockwiese. Über ihr Werbung für den Alkoholkonsum, die ein aufhalten dürfen. thront unübersehbar das Schloss «Sihl- leichtes und fröhliches Leben verspricht, berg», Residenz der Brauerei-Dynastie lockt an jeder Hauswand und darf auf t-alk bietet schwerst abhängigen Alkoholike- Hürlimann. Grenzt an Zynismus, denke Druck der Herstellerlobby nicht verboten rinnen und Alkoholikern eine möglichst nie- ich (für mich, ganz allein). werden. Und schliesslich scheint die «Frei- derschwellige Alternative zum Aufenthalt, heit des Abendlandes» (so die vernichten- verbunden mit Angeboten für die Schadens- Ich werde von Larissa Stämpfli begrüsst. de Kritik der UNO Kontrollbehörde bei minderung sowie persönliche Beratung. Sie ist seit Oktober 2013 Teamleiterin im 12
Foto: PerSpektiven/ES Gegensätze: Neben der Villa des Brauers treffen sich Alkoholkranke. t-alk. Die ausgebildete Sozialarbeiterin lei- Eine Mittagsmahlzeit kostet Fr. 4.– inkl. Hausordnung. tet seit 2018 ad interim das siebenköpfige Suppe Das t-alk ist keine heile Welt. Alle müssen Team. Auf meine erste Frage, wer denn das – hygienische Einrichtungen wie Dusche, sich an die Hausordnung halten – und sie t-alk besuche, antwortet sie: «Unsere Klien Waschmaschine, Tumbler, Rasier- und wissen das auch. Verstösse werden mit tel verändert sich, nicht mehr nur die Sucht Waschzeug Hausverbot von einem Tag oder mehr steht im Vordergrund. Wir haben hier Men- – den individuellen Fähigkeiten angepass- geahndet. Die Polizei soll auch mal vorbei- schen mit verschiedenen ‹Rucksäcken›.» te Beschäftigungsangebote im Rahmen geschaut haben. der Jobkarte der Stadt Zürich. Für Arbei- Das Angebot richtet sich primär an ten wie Kochen, Fenster putzen, den an- schwerst alkoholabhängige Menschen, die grenzenden Park «fötzeln» oder Dosen – aufgrund ihres Suchtverhaltens kein pressen, erhalten die Teilnehmenden abstinenzorientiertes Angebot nutzen Fr. 6.– pro Stunde und können max. können Fr. 300.– im Monat dazuverdienen. – sozial desintegriert sind – Unterhaltung: Spiele, Zeitungen, TV, – in der Stadt Zürich wohnhaft sind Videothek, Radio, Büchertausch – Abgabe von Kleidern. Es kann vorkom- Es handelt sich bei der Zielgruppe grössten- men, dass Klienten zum Duschen kom- «Im t-alk arbeite ich, weil ich der teils um Männer über 30 Jahre, die sich in men, die Wäsche waschen und in der Überzeugung bin, dass es einen sol- einem schlechten gesundheitlichen Zustand Zwischenzeit keine Kleider haben. Hier chen Ort in Zürich braucht und weil befinden und deren soziale Kontakte sich kann auf das Kleiderdepot zugegriffen es abwechslungsreiche Arbeit ist, meist auf Personen beschränken, die eben- werden, vor allem auch in der kalten Jah- die mich immer wieder aufs Neue falls alkoholabhängig sind. Personen der reszeit. Kleiderspenden sind darum im- herausfordert.» Zielgruppe sind in der Regel seit Jahren mer sehr willkommen. arbeitslos, ohne Obdach oder in einem – kleinere medizinische Versorgungen Larissa Stämpfli niederschwelligen Wohnangebot zu Hause – soziale Beratung, auch Begleitung bei Be- und von der Sozialhilfe oder IV abhängig. hördengängen oder Besuche beim Arzt Vernetzt. Das Angebot im t-alk. «Kochen hat grosses Gewicht», so Larissa Das t-alk ist Teil eines Netzwerkes und legt Das t-alk ist täglich, an 365 Tagen im Jahr Stämpfli. Die Kochteams arbeiten nach Wert auf eine koordinierte Zusammenar- (an einem Tag wird die Generalreinigung einem festen Plan und gehen auch ein beit mit allen Anspruchsgruppen. Koope- durchgeführt – da gibt es nur Suppe), von kaufen. «Sie sind förmlich Aktionen rationspartner sind beispielsweise die Be- 10.15 bis 17.30 Uhr geöffnet. Es bietet in ers- jäger», schmunzelt sie. triebe des Geschäftsbereichs Schutz und ter Linie Gelegenheit zum Aufenthalt und Prävention, die sozialen Dienste der Stadt ist ohne Vorbedingung frei zugänglich. Es Zudem wird das t-alk wöchentlich von der Zürich und weitere Institutionen. Man ist bietet ohne Konsumationszwang folgende Organisation «Schweizer Tafel» beliefert, also in Zürich nicht allein, auch wenn man ständige Angebote an: vor allem mit Frischprodukten wie Ge die kommerziellen Gartenwirtschaften – Abgabe von warmen Mittagsmenus, müse, Früchte, Milchprodukte. Beim Ar- nicht mehr betreten darf. Früchten, Snacks und nichtalkoholi- beiten in der Küche ist Alkoholkonsum ERWIN SOMMER schen Getränken zu minimalen Preisen. untersagt. 13
ZÜRICH: AM BRENNPUNKT EINER STADT MIT ZENTRUMSFUNKTION. Foto: PerSpektiven/ES Wo viele Menschen zusammen leben, er- In der Zwischenzeit hat sich einiges ver- geben sich andere Probleme als auf dem ändert; verschiedene neue Problemlösun- Land. Zürich war nicht nur Ort eines Ge- gen wie die 4-Säulen-Politik, haben sich in schehens, von dem man heute nur un- der Schweiz etabliert. Das Ziel war aber gern spricht, sondern hat daraus gelernt, nicht, dass jetzt von einem Tag auf den an- die Süchtigen akzeptiert. Daraus ist ein deren «alle gesund werden» oder man Konzept entstanden, das allen hilft: Den einen Polizeistaat errichtet und dieser Suchtkranken in ihrem Alltag; den Stadt- überall eingreifen muss. Wir haben im bewohnern für eine lebenswerte Stadt. Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Interesse und einer funktionierenden PerSpektiven hat sich zu diesem Thema Prävention einen sinnvollen Ausgleich ge- Sozialvorsteher Raphael Golta: mit dem Vorsteher des Sozialdepartemen- funden, der für alle Seiten tragbar ist. «Weniger Heroin – mehr neue Substanzen». tes, Stadtrat Raphael Golta, unterhalten. Politik. PerSpektiven: Herzlichen Dank Herr Auch hat sich die «Sichtbarkeit» der Dro- Raum statt, sodass sich auch die Präven- Stadtrat Golta, dass Sie mich hier zu genszene verändert. Ich mag mich noch an tion verlagern musste. Früher wussten un- einer «Tour d`Horizon» über die Sucht- die 90er-Jahre erinnern, da waren die Dro- sere Sozialarbeitenden, wohin sie gehen politik empfangen. In den letzten 40 – 45 gen überall präsent; auf Spielplätzen, in je- müssen, um die betroffenen Menschen an- Jahren hat sich ja auf diesem Gebiet eini- dem Quartier gab es eine Szene. Hier fand zutreffen. Heute findet der Konsum ver- ges bewegt; die Stadt Zürich hat in dieser wirklich eine Veränderung statt, nicht nur stärkt im Privaten statt: Zuhause, auf Par- Angelegenheit eine «Vorreiterrolle» über- für die Bevölkerung, sondern auch für die tys, mit Freunden. Die Szene ist nicht mehr nommen. Süchtigen mit verschiedensten Angebo- so sichtbar, und es mussten neue Ansätze ten, Kontakt- und Anlaufstellen, Präven- in der Prävention und Unterstützung ge- Ich denke auch, dass sich dadurch die tionsprogrammen, usw. Besonders beim funden werden. Ein Angebot ist zum Bei- Schweiz heute anders positioniert. Des- Heroin und den Spritzen ist das Thema spiel das «Drug Checking», das wir in der halb meine erste Frage: Wie sieht die Si- heute nicht mehr so präsent wie damals, Party-Szene anbieten. Hier bekommen wir tuation in und um Zürich heute aus, ist vor allem nicht mehr im öffentlichen Raum. auch Informationen, welche Substanzen alles so wie es war, hat sich diese verän- Dadurch ist auch der politische Druck nicht aktuell im Umlauf sind und wo wir mit der dert? mehr so hoch, und wir müssen deshalb Prävention unter diesem Blickwinkel an- aufpassen, dass diese politischen Errun- setzen müssen. Stadtrat Raphael Golta: Hier muss ich et- genschaften nicht plötzlich verschwinden. was vorausschicken: Die Situation in den 80er- und 90er-Jahren hat mich damals Dieses «aus den Augen – aus dem Sinn» «politisiert». Drogen waren ein sehr prä- kann recht schnell passieren. So hat man «Uberisierung.» sentes Thema. Ich erinnere mich noch, dass im Kanton Zürich zum Beispiel die Mittel ich jeweils als Kind mit meinem Vater am für die dezentrale Drogenhilfe aus Spar- Platzspitz Kastanien sammeln ging, diese gründen gestrichen. Wir haben in der Stadt «Uberisierung». Situation hat sich dann schnell verändert. Zürich diese Angebote aufrechterhalten, Diese Problematik der Verlagerung aus dem aber mit eigenen Steuermitteln finanziert. öffentlichen Raum ins Private besteht nicht Die Stadt Zürich hat in dieser Zeit wichti- Wir hoffen natürlich, dass dies auch in an- nur im Bereich Drogen; wir stellen sie als ge Grundlagenarbeit geleistet, inhaltlicher deren Gemeinden im Kanton so passiert, Folge der Digitalisierung auch in anderen Natur, aber auch politisch. Die Stadt benö- weil diese Aufgaben wichtig sind und die Bereichen fest. Viele Themen finden nicht tigte die Unterstützung übergeordneter Stadt Zürich ihre Angebote nicht für alle mehr konzentriert, sondern im Versteck- Stellen, vom Kanton, vom Bund. So konn- Suchtkranken im Kanton öffnen kann. ten statt. Wir müssen immer neu dazuler- te sie es schaffen, dass man zusammen nen, wie wir diese Menschen erreichen arbeitete, was vorher keine Selbstverständ- Neue Substanzen. können. Auch bei der Prostitution ist das lichkeit war. Noch heute profitieren wir Auf der einen Seite stellen wir einen Rück- ein Thema: «Das muss nicht mehr unbe- von dieser Philosophie, aber auch vom gang des Heroinkonsums fest. Dafür sind dingt in einem «Salon» stattfinden, son- Zusammenwirken der verschiedensten neue Substanzen dazugekommen. Und der dern im Zuge der «Uberisierung» des Sex- Akteure. Konsum findet kaum noch im öffentlichen gewerbes kann das irgendwo sein, jede 14
nehmen. Aber im Sinne der Hausordnung können wir z.B. mitteilen «es wäre gut, wenn du wieder einmal duschen wür- dest…». Es geht ja auch um ein möglichst funktionierendes Zusammenleben. P: Kann man daraus eine Fürsorgepflicht der öffentlichen Hand ableiten? G: Fürsorgepflicht ist hier der falsche Be- griff. Wir versuchen eher, die Menschen zu motivieren, zum Beispiel mit aufsuchen- der Sozialarbeit auf der Strasse. Zwangs- mittel stehen uns nicht zur Verfügung. Nur, wenn wir den Eindruck haben, jemand kann akut gefährdet sein, rufen wir einen Notarzt oder die Polizei dazu. Unsere Auf- gabe ist aber in erster Linie, Unterstützung anzubieten. SIP-ZÜRI Foto: Sip-züri SIP Züri: Zuerst das Gespräch suchen. Sicherheit Intervention Prävention Wohnung kann auch für Prostitution be- halten keinen Zutritt, weil sie z.B. nicht in sip züri kombiniert aufsuchende nutzt werden, da die Vermittlung im Inter- Zürich wohnen. Hier kommt nebst den So- Sozialarbeit mit ordnungsdienstli- net geschieht. zialarbeitern auch psychiatrisch geschul- chen Aufgaben. tes Personal zum Einsatz, die mit den ver- Wir konzentrieren uns darauf, unsere be- schiedenen Kranheitsbildern umgehen Die sip-züri-Mitarbeitenden stehenden Angebote aufrecht zu erhalten, können. schlichten Konflikte in öffentlichen bzw. anzupassen, um Veränderungen früh Anlagen und intervenieren in Parks zu spüren und am Puls zu bleiben. Dieses Konzept setzen wir auch in ande- und auf Plätzen bei Störungen und ren Bereichen um, im betreuten Wohnen Belästigungen. Sie sind auch auf usw. Es sind gemischte Berufsfelder und dem Strichplatz Depotweg sowie Betreuungsaufgaben, die sich ergänzen in den Kontakt- und Anlaufstellen «Oft psychische Probleme mit sollen. Diese Arbeit wird in Zukunft noch im Einsatz. sip-züri vermittelt und im Gepäck.» wichtiger werden. Meist gesellt sich heute schafft Vertrauen auf kommunikati- zur Suchtproblematik auch eine psychi- ver und psychologischer Ebene, sie sche Erkrankung. hat keine polizeilichen Kompeten- Ambulante psychiatrische Betreuung. zen. In kritischen Situationen wird Hier kommt vor allem die ambulante P: Wie werden «Klienten», die stärkere die Stadtpolizei beigezogen. Für die psychiatrische Betreuung zum Zug, was und intensivere Probleme haben, von Ih- Bevölkerung ist sip-züri Anlaufstel- grundsätzlich eine positive Entwicklung nen begleitet? le für Anliegen, Beschwerden und darstellt. Im ambulanten, psychischen G: Einerseits kennt man sich in den K+A Ideen. Bereich benötigen wir andere, neue Ange- nach einer gewissen Zeit, man unterstützt bote, die nicht nur die Suchtmittel zum sie, und entsprechende Beratung wird bei- sip-züri arbeitet mit vielen städti- Thema haben, sondern sich auch mit den gezogen. Es gibt auch die ärztliche Sprech- schen und privaten Institutionen Problemen im Umfeld befassen. stunde, wo wir sicherstellen, dass auch die zusammen, darunter mit der Stadt- medizinische Betreuung erfolgt. Wir be- polizei Zürich, der Offenen Jugend- P: Wie gehen die K+A mit dieser neuen mühen uns auf eine niederschwellige Art arbeit OJA, Grün Stadt Zürich, ERZ Problematik um? und Weise zu sagen, welche zusätzlichen Entsorgung & Recycling Zürich, G: Ich war kürzlich auf einen Besuch in Massnahmen zum Tragen kommen. In den Einrichtungen im Bereich Wohnen der K+A Selnau und konnte sehen, wie be- K+A können wir nicht alle Bedürfnisse ab- und Unterkunft, der Jugendbera- eindruckend dort gearbeitet wird. Hier decken, aber wir können dort anschlies tung Streetwork, den Kontakt- und passt man sich den veränderten Aufgaben sende Angebote anbieten (Wohnen, Ge- Anlaufstellen für Drogensüchtige an, es finden immer wieder kleine Ände- sundheit, Tagesstruktur, Beschäftigung, sowie der Frauenberatung rungen statt. Dann ist der Umgang auch usw.). Wir können aber niemanden ver- Flora Dora. immer verschieden: Welche Personen er- pflichten, unsere Hilfe in Anspruch zu 15
Für die Jugendlichen besteht ebenfalls ein immer wieder kleinere und grössere Hin- Eltern und suchtgefährdete Angebot. Unsere aufsuchende Sozialarbeit dernisse zu überwinden haben. Kinder. ist sehr verschieden und jeweils auf die entsprechenden Zielgruppen ausgerichtet. P: Wie sieht das bei den älteren, über Auch das «Drug Checking» gehört mit zu 45-jährigen, aus? P: Wie können Sie beispielsweise Eltern diesen Angeboten. Es gibt ja keinen Test G: Unser Fokus bei den verschiedenen Al- von Kindern, bei denen Gefahr besteht, ohne Beratung. Wir sind für die Menschen tersgruppen ist jeweils ein anderer: Bis 25 dass sie in einen gefährlichen Suchtkon- da, bieten Hand und holen sie da ab, wo sie geht es darum, eine Berufsausbildung zu sum «abrutschen», unterstützen? sind. ermöglichen, über 25 sind es je nach indi- G: Einerseits bestehen Beratungsangebo- viduellen Voraussetzungen und Möglich- te (siehe Artikel Seite 24). Unsere Haupt- keiten entweder die soziale Teilhabe oder aufgabe besteht anderseits darin, direkt ergänzende Qualifikationen und Unter- betroffene Menschen zu unterstützen. Arbeit statt Fürsorge. stützung bei der Stellensuche, ab 55 unter- Wenn aber Minderjährige betroffen sind, stützen wir immer noch mit Angeboten der müssen sicher die Eltern miteinbezogen Arbeitsintegration, wenn die Betroffenen werden. Aber vom Moment an, wo es sich P: Arbeit statt Fürsorge – wie funktio- das wollen. Mit Druck und Zwang arbei- um Erwachsene handelt, müssen wir in niert dieses Modell? Kann man einen ten wir in dieser Altersgruppe aber nicht erster Linie für diese schauen und können suchtkranken Menschen wieder dazu mehr. Denn es ist eine Realität, dass es für nicht einfach weitere Personen miteinbe- bringen, sich im ersten Arbeitsmarkt zu Menschen ab 50 Jahren immer schwieri- ziehen. Wenn uns die Umstände bekannt integrieren? ger wird, in der Arbeitswelt wieder Fuss sind, können wir das Umfeld mitberück- G: Wir haben verschiedene Angebote zu fassen. sichtigen, aber es ist das individuelle Recht, im Bereich der Arbeitsintegration. Das dass die Privatsphäre gewahrt bleibt. niederschwelligste davon ist die Jobkarte. P: Begleitetes und betreutes Wohnen, was Hier werden Arbeiten stundenweise ent- bietet die Stadt Zürich in diesem Bereich P: Betreibt die Stadt Zürich aufsuchende schädigt, Fr. 6.– pro Stunde bis zu einem an? Sozialarbeit? Maximum von Fr. 300.– pro Monat. Dann G: Begleitetes Wohnen ist grundsätzlich G: Wir haben verschiedene Bereiche, zum folgen weitere Angebote, die wir im Rah- eine ambulante Form des Wohnens. Diese Beispiel beim Wohnen. Da begleiten wir men der normalen Sozialhilfe kennen. Hier Menschen wohnen in «normalen» Woh- die Menschen, sehen nach, wie es mit der können wir je nach Arbeitsmarktsituation nungen und unsere Mitarbeitenden besu- «Wohnfähigkeit» aussieht, wie kann die- unterstützen und vor allem dazu beitra- chen sie sporadisch – 1 bis 2 mal pro Wo- se allenfalls verbessert werden, der Bereich gen, eine Tagesstruktur aufrecht zu erhal- che – beraten und unterstützen sie in allen von sip-züri und der Jugendberatung ten: Job-coaching, Jobvermittlung, Arbeit- Fragen des Wohnens und schauen, dass Streetwork, wo auf die Menschen direkt sintegration. Es kommt immer auf die das «zusammen Wohnen» funktioniert, zugegangen wird: «Ein Bus» – das ist ein einzelne Person und ihre individuellen was immer wieder ein Thema ist. Aktuell neues Angebot für Randständige in Zü- Voraussetzungen an. Aber es ist klar, dass sind über 300 Personen in 20 Liegenschaf- rich. Wir versuchen an den bekannten es für den ersten Arbeitsmarkt immer Min- ten in diesem Programm. Betreutes Woh- Treffpunkten präsent zu sein, unterstüt- destvoraussetzungen gibt, die nicht jeder nen ist die stationäre Ausprägung. Dies ist zen bei einem Kaffee oder Tee und bieten und jede erfüllt. Es gibt darum viele Sozial immer in der Nähe eines Heimbetriebes. vor Ort Gespräche an. hilfeempfänger, die arbeiten möchten, aber Hier ist das Personal «vor Ort» und unter- stützt die Klienten. Hier braucht es mehr Nähe der Mitarbeitenden, z.B. für Medika- mentenabgabe und Substitutionssubstan- zen, die hier abgegeben werden können. Ältere Suchtkranke im Alters- heim? P: Wie betreut man Suchtkranke, die ins Rentenalter kommen? G: Vor einigen Jahren haben wir ein Triage- Gremium zwischen dem Sozial- und dem Gesundheits- und Umweltdepartement etabliert. Foto: archezuerich.ch Betreutes Wohnen: Unterstützung und Hilfe. 16
Sie können auch lesen