Anne Rauber Käthe von Bose - gender thoughts

Die Seite wird erstellt Finn Funke
 
WEITER LESEN
gender
   thoughts

  New Perspectives in
  Gender Research
  Working Paper Series
  2021, Volume 1

  Anne Rauber
  Gendered Hygiene —
  Medikalisierte Weiblichkeit
  durch Intimhygiene

  Mit einem Kommentar von
  Käthe von Bose
gender
           thoughts
           New Perspectives in Gender Research
           Working Paper Series

           (ISSN 2509-8179)

EDITORS-IN-CHIEF
Christoph Behrens, Maximiliane Hädicke, Solveig Lena Hansen, Susanne Hofmann und Oliver Klaassen

Official Series of the Göttingen Centre for Gender Studies (GCG)
By 2017 the Göttingen Centre for Gender Studies starts a new working paper series called Gender(ed)
Thoughts Goettingen as a scholarly platform for discussion and exchange on Gender Studies. The series
makes the work of affiliates of the Göttingen Centre visible and allows them to publish preliminary and
project-related results.
All contributions to the series will be thoroughly peer-reviewed. Wherever possible, we publish com-
ments to each contribution. The series aims at interdisciplinary exchange among Humanities, Social
Sciences as well as Life Sciences and invites researchers to publish their results on Gender Studies. If you
would like to comment on existing or future contributions, please get in touch with the editors-in-chief.
The series is open to theoretical discussions on established and new approaches in Gender Studies as
well as results based on empirical data or case studies. Additionally, the series aims to reflect on Gender
as an individual and social perspective in academia and day-to-day life.
All papers will be published Open Access with a Creative Commons License, currently cc-by-sa 4.0,
with the license text available at https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/.

2021, Volume 1
Anne Rauber
Gendered Hygiene — Medikalisierte Weiblichkeit durch Intimhygiene

Mit einem Kommentar von Käthe von Bose

 Suggested Citation
 Rauber, A. (2021): Gendered Hygiene — Medikalisierte Weiblichkeit durch Intimhygiene; Gender(ed)
 Thoughts, Working Paper Series, Vol. 1, https://dx.doi.org/10.3249/2509-8179-gtg-17

Göttingen Centre for Gender Studies
Project Office
Georg-August-Universität Göttingen
Centrum für Geschlechterforschung
Platz der Göttinger Sieben 7 ∙ D - 37073 Göttingen
Germany
genderedthoughts@uni-goettingen.de ǀ www.gendered-thoughts.uni-goettingen.de
gender thoughts
                                                                   New Perspectives in Gender Research
                                                                   Working Paper Series 2021, Volume 1
                                                                       DOI: 10.3249/2509-8179-gtg-17

Gendered Hygiene
Medikalisierte Weiblichkeit durch Intimhygiene
Anne Rauber1
1 Fakultät für Sozialwissenschaften, Ruhr-Universität-Bochum; annerauber@fh-muenster.de

Zusammenfassung
Dieser Beitrag widmet sich der gesellschaftlichen Bedeutung von weiblicher Intimhygiene aus einer
biopolitischen Analyseperspektive. Medikalisierung, welche die Ausweitung des medizinischen Zu-
ständigkeitsbereichs auf immer mehr Bereiche der Prävention und Kosmetik beschreibt, zeigt sich
anhand verschiedener Charakteristika, die ich in diesem Beitrag am Beispiel von Intimhygiene erläu-
tern werde. Dafür nehme ich eine theoretische Perspektiverweiterung auf den Begriff Medikalisierung
vor, die an einem gouvernementalitätsanalytischen Ansatz nach Michel Foucault orientiert ist. Ich
werde darlegen, dass Medikalisierung erstens entlang vorherrschender Körperideale und Geschlech-
terverhältnisse verläuft, zweitens zur geschlechtsspezifischen Pathologisierung als auch Selbstoptimie-
rung beiträgt und drittens als eine Technik vergeschlechtlicher Selbstoptimierung fungiert.

Schlagworte
Hygiene; Medikalisierung; Intimpflegeprodukte; Disziplinierung; Selbstoptimierung

Abstract
This article analyses the social significance of female intimate hygiene through the theoretical perspec-
tives of biopolitics. Medicalization - the extension of medical competence to more and more areas of
prevention and cosmetics - becomes evident in various characteristics, which the article explains with
the example of intimate hygiene. To do this, the article expands the theoretical perspective to include
the term medicalization, which is based on a Foucauldian governmentality approach. The article ex-
plains that medicalization, firstly, runs along predominant corporeal ideals and gender relations,
secondly, it contributes to gender-specific pathologization and self-optimization, and thirdly, it func-
tions as a technique of gendered self-optimization.

Keywords
Hygiene; medicalization; intimate care products; discipline; self-optimization

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                               1
Rauber: Gendered Hygiene

Einleitung1                                                 tung und Krankheitsprävention; andererseits
                                                            haftet derartigen Hygienepraktiken noch ein
Intimpflegeprodukte werden „speziell für die
                                                            weites Feld an Bedeutungen an, die über diese
Bedürfnisse des Intimbereichs entwickelt – für
                                                            medizinische Lesart hinausgehen. Durch Hy-
ein angenehmes Gefühl von Sauberkeit, Schutz
                                                            gienepraktiken werden auch soziale Differen-
und Wohlbefinden – jeden Tag“ (Beiersdorf
                                                            zierungen in die Gesellschaft eingeschrieben;
2020). Durch ein umfassendes Sortiment an In-
                                                            gleichwohl sind damit auch Forderungen nach
timpflegeprodukten, die es in Drogerien und
                                                            einem bürgerlichen Werte- und Normsystem
Apotheken zu kaufen gibt, werden Frauen ver-
                                                            wie „Ordnung, Fleiß, Disziplin und Reinlich-
stärkt dazu aufgefordert, „selbstbewusst und
                                                            keit” (Breuss 2006: 110) verknüpft. Hier zeigt
ohne Scham mit ihrem Intimbereich
                                                            sich eine geschlechtsspezifische Fokussierung
um[zu]gehen“ (Karo Pharma GmbH 2020).
                                                            des Hygienebegriffs. So ist es vor allem das Ge-
Dabei ist zu beobachten, dass sich die Indika-
                                                            bot der Reinlichkeit, das mit Weiblichkeitsvor-
tion, den Intimbereich mit Hygienepräparaten
                                                            stellungen verbunden ist (vgl. Ullrich 2004: 86).
zu bearbeiten, zunehmend von einer medizini-
                                                            Hygiene ist damit immer ‚mehr‘ als eine keim-
schen zu einer kosmetischen verschiebt. Diese
                                                            freie Sauberkeit und eng mit gesellschaftlichen
Ausweitung des medizinischen Zuständigkeits-
                                                            Deutungsmustern verknüpft (vgl. von Bose
bereichs wird als Medikalisierung bezeichnet
                                                            2017: 77).
und in diesem Beitrag genauer erläutert. Unab-
                                                                Dieser Beitrag widmet sich dem Themen-
hängig davon, ob Intimpflegeprodukte medizi-
                                                            komplex Hygiene, Medikalisierung und Ge-
nisch oder kosmetisch verwendet werden, wird
                                                            schlecht am Beispiel von Intimhygiene und be-
der Gebrauch dieser Präparate als eine der Ge-
                                                            handelt das Thema aus einer theoretischen Per-
sundheit dienlichen Praktik speziell für den
                                                            spektive von Medikalisierung und Biopolitik.
weiblichen Intimbereich vermarktet. Dass Frau-
                                                            Ich werde zum einen der Frage nachgehen, in-
en ihren Körper gestalten, wird als ein „natürli-
                                                            wiefern soziale Differenzierungen, die dem Hy-
cher Teil ihrer Weiblichkeit“ (Villa 2017: 7) ver-
                                                            gienebegriff anhaften, auch mit Fragen nach
standen, und der Markt an geschlechtsspezifi-
                                                            Geschlechterverhältnissen zusammenhängen.
schen Hygienepräparaten reproduziert und ver-
                                                            Zum anderen werde ich analysieren, inwiefern
festigt diese vorherrschende Annahme.
                                                            Medikalisierung zur geschlechtsspezifischen
    Hygiene als zentrale Alltagspraktik ist nicht
                                                            Adressierung im Hygienediskurs beiträgt. Hier-
nur eine Anrufung zum ‚richtigen‘ Verhalten,
                                                            für werde ich zu Beginn darstellen, inwiefern
sondern auch ein medizinisches Versprechen
                                                            der Intimbereich als ein medikalisierter Teil-
für keimfreie Sauberkeit und damit eine elemen-
                                                            markt betrachtet werden kann. Dafür werde ich
tare Praktik für die Ermöglichung von Gesell-
                                                            anhand ausgewählter Beispiele aus dem Sorti-
schaft (vgl. Labisch 1992: 105). Es ist wohl eine
                                                            ment der Intimpflegeprodukte die Charakteris-
der alltäglichsten und selbstverständlichsten
                                                            tika von Medikalisierung aufzeigen. Daraufhin
Praktiken in modernen, kapitalistischen Gesell-
                                                            führe ich die diesem Beitrag zugrunde liegende
schaften, sich und andere, beispielsweise durch
                                                            biopolitische Analyseperspektive aus. Es folgt
gründliches Händewaschen, vor Krankheitser-
                                                            ein kurzer historischer Exkurs auf Hygiene mit
regern zu schützen (vgl. ebd.). Denn Hände-
                                                            einem Fokus auf der Hygienebewegung und der
waschen bedeutet einerseits Gesundheitserhal-
                                                            Bakteriologie im 19. Jahrhundert sowie der be-
1   Es handelt sich bei der Erweiterung der Charakteris-    sonderen Adressierung und Disziplinierung von
    tika von Medikalisierung, die ich in diesem Beitrag     Frauen. Vor dem Fazit lege ich dar, inwiefern
    am Beispiel Intimhygiene darlege, um das theoreti-      die zunehmende Ausweitung des medizinischen
    sche Fundament meiner empirischen Masterarbeit
    mit dem Titel „Die Hygienisierung des weiblichen        Zuständigkeitsbereichs (Medikalisierung) auch
    Körpers. Wissenssoziologische Betrachtungen über        als eine Technik vergeschlechtlichter Selbstop-
    Intimpflegeprodukte in Apotheken“, die ich basie-       timierung fungiert.
    rend auf einer wissenssoziologischen Diskursethno-
    graphie nach Christoph Maeder (2017) verfasst habe.

2                                                    Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1
Rauber: Gendered Hygiene

Der Intimbereich als medikali-                             auch ‚heilende‘ Anwendung, beispielsweise bei
                                                           Beschwerden wie Entzündungen oder Pilzer-
  sierter Teilmarkt
                                                           krankungen, gibt. In Apotheken sind Intimpfle-
Im Folgenden gebe ich einen Einblick in den                geprodukte dem Sortiment der Over-the-Counter-
ausdifferenzierten Markt der Intimpflegepro-               Präparate (OTC-Präparate) zugeordnet. Hierbei
dukte und zeige auf, warum hier von einem me-              handelt es sich um rezeptfreie, apothekenpflich-
dikalisierten Markt im Konsumraum Apotheke                 tige oder frei verkäufliche Arzneimittel und an-
und Drogerie gesprochen wird. Nach Peter                   dere Präparate, die vorrangig im Bereich der
Conrad (2007) beschreibt Medikalisierung „a                Selbstmedikation verkauft werden. Selbstmedi-
process by which nonmedical problems become                kation bedeutet, dass die Kund_innen aufgrund
defined and treated as medical problems, usually           einer selbst durchgeführten Diagnose apothe-
in terms of illness and disorders“ (ebd.: 4).2             kenpflichtige oder frei verkäufliche Arzneimittel
Auch ich verstehe unter Medikalisierung die                einnehmen (vgl. Henkel 2011: 241). Dazu gehö-
Ausweitung des medizinischen Zuständigkeits-               ren beispielsweise gewisse Arzneistoffe, aber
bereichs, die anhand verschiedener Charakteris-            auch Nahrungsergänzungsmittel, Vitaminpräpa-
tika Ausdruck findet (vgl. ebd.). Diese Charak-            rate und Intimpflegeprodukte. OTC-Präparate
teristika von Medikalisierung werde ich im An-             setzten im Jahr 2019 in Deutschland 4,8 Milliar-
schluss anhand von Beispielen aus dem Sorti-               den Euro um (vgl. ABDA 2020: 58). Es handelt
ment der Intimpflegeprodukte beschreiben und               sich hierbei vorwiegend um Produkte, die nach
erläutern.                                                 Anna Henkel (2011) „mediziniert und damit
    Intimpflegeprodukte sind vor allem für den             apothekenfähig gemacht werden“ (ebd.: 242),
weiblichen Intimbereich vermarktete Hygiene-               wodurch die Gefahr besteht, dass für Laien der
präparate, die sowohl in Drogerien als auch in             Unterschied zwischen Arzneimitteln und hoch-
Apotheken rezeptfrei käuflich zu erwerben                  wertigen Wellness- und Präventionsprodukten
sind.3 Zu der Kategorie Intimpflegeprodukte                nicht mehr erkennbar ist (vgl. ebd.: 252).
zählen unter anderem Intimwaschlotionen, Gele              Dadurch „gewinnt ein Sammelsurium weiterer
und Schäume, Feuchtigkeitssalben, Rasier-                  Produkte und Beratungsleistungen an Bedeu-
Balsame, Intimpflegetücher, Intimdeodorants                tung, die dem Bereich Gesundheitsvorsorge und
und pH-Selbstabstriche oder Vaginalduschen.                ‚Life-style‘ zuzuordnen sind – die Übergänge
Eine Besonderheit von Intimpflegeprodukten                 sind fließend“ (ebd.: 243). Neben den pharma-
ist, dass es sie sowohl für eine präventive als            zeutischen Unternehmen, die Intimpflegpro-
2 Charlotte Ullrich und Beate Kortendiek (2013) ver-
                                                           dukte in Apotheken anbieten, haben auch im-
  stehen unter Medikalisierung „einen vielschichtigen      mer mehr Hersteller_innen von kosmetischen
  Prozess der Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs       Körperpflegeprodukten „Vulva und Vagina als
  der Medizin“ (ebd.: 7). Peter Wehling et al. (2007)      Markt für sich entdeckt und erschlossen“
  zeigen auf, dass die Tendenz zur Ausweitung medi-
  zinischer Diagnostik deutliche Parallelen zu dem Be-     (Meßmer 2013: 10). In Drogerien reiht sich das
  griff „Medikalisierung“ (medicalization) aufweist, der   Angebot an Intimpflegeprodukten in den eben-
  seit den 1970er Jahren insbesondere in der englisch-     falls expandierenden Markt an Tampons, Slip-
  sprachigen Soziologie Verbreitung gefunden hat (vgl.
  ebd.: 552). Claudia Peter und Carolin Neubert (2016)     einlagen (mit und ohne Duft), Milchsäurestäb-
  kritisieren, dass es „konkurrierende Definitionen und    chen und auch Menstruationscups ein: Gemäß
  Deutungen“ (ebd.: 275) von Medikalisierung gäbe.         Anna-Katharina Meßmer (2013) wird der weib-
3 Die Vermarktung von Intimpflegeprodukten führt im

  Sinne des common sense nach Susanne Kessler Wendy        liche Intimbereich zum medikalisierten Teil-
  McKenna (1978: 113) die Annahme fort, dass alle          markt (vgl. ebd.: 9).
  Menschen aus körperlichen Gründen (Naturhaf-                 Im nächsten Schritt werde ich in Anlehnung
  tigkeit) entweder das eine oder das andere Ge-
  schlecht (Dichotomie) haben und dass die Genitalien      an Conrad (2007) die Charakteristika von Medi-
  die essenziellen Indizien des Geschlechts sind (vgl.     kalisierung erweitern und aufzeigen, wie am
  Riegraf 2010: 68). Das bedeutet, dass die Vermark-       Beispiel von Intimhygiene die Ausweitung des
  tung von Intimpflegeprodukten die problematische
  Gleichsetzung von Vulven mit Frauen reproduziert.        medizinischen Zuständigkeitsbereichs durch die

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                                  3
Rauber: Gendered Hygiene

Charakteristika (1) Verfügbarkeit, (2) Geruch,                 (vgl. Henkel 2011: 318). Diese Verfügbarkeit
(3) Sprache, (4) ärztlicher Blick und (5) Integra-             kann zu einem zunehmenden Konsum von In-
tion neuer Phänomene in die Alltagswelt repro-                 timpflegeprodukten beitragen.
duziert und dadurch zu „unterstützenden Fak-
toren für zunehmende Medikalisierung“ (Pe-                     Geruch
ter/Neubert 2016: 275) werden.                                 Die Ausweitung des medizinischen Zuständig-
                                                               keitsbereichs findet auch über die Zuschreibung
Verfügbarkeit                                                  von Gerüchen in Form von schlecht riechenden
Auf dem Markt ist eine Vielzahl von Intimpfle-                 Attributen bestimmter Körperteile statt, die ent-
geprodukten verfügbar, die immer häufiger als                  lang der Kategorie Gender sichtbar werden.
medizinische Mittel ohne eine medizinische                     Nach Anthony Synnott (2002) wird insbesonde-
Notwendigkeit oder Diagnose eingenommen                        re Frauen ein gesteigerter Bedarf zur Bereini-
oder      angewandt     werden      (vgl.    Ull-              gung von Intimgerüchen vermittelt (vgl. Syn-
rich/Kortendiek 2013: 7). Diese Produkte wer-                  nott 2002: 200). Bei dem Produkt Multi-Gyn In-
den häufig als gesundheitsförderliche Präparate                tiSkin beispielsweise handelt es sich um ein
deklariert, wodurch ein Spielraum für deren                    „Wohlfühl-Mikrospray für den Intimbereich“
Anwendung entsteht.4 Die Hersteller_innen ge-                  (Karo Pharma GmbH 2020). Dieses wird nicht
ben ein breites Spektrum an Gründen an, wa-                    nur damit beworben, „natürliche Frische und
rum Intimpflegeprodukte verwendet werden                       Wohlbefinden“ (ebd.) herzustellen, sondern
sollten oder könnten. Es wird sowohl ein un-                   auch „Reizungen, Wundsein und Geruch“
ausgeglichener pH-Wert oder eine Infektion an-                 (ebd.) zu lindern. Ebenso soll es einen „ange-
gegeben als auch das Herstellen eines ‚Frische-                nehmen Geruch“ (ebd.) spenden und „gegen
gefühls‘ im Intimbereich, verbunden mit der                    Schweißbildung“ (ebd.) helfen. Intimgerüche
Idee, sich und seinem Körper etwas ‚Gutes zu                   sind nach Angaben der Hersteller_innen sowohl
tun‘ (vgl. Beiersdorf AG 2020). Intimpflegepro-                ein Zeichen für Infektionen als auch für man-
dukte werden sowohl als medizinische Präpara-                  gelnde Intimhygiene (ebd.). Das bedeutet, dass
te für die Behandlung von Infektionen als auch                 Intimgerüche jeglicher Art durch das breite Sor-
als kosmetische Präparate für Pflege und Hy-                   timent an Intimwaschlotionen entsprechend
giene im Intimbereich vermarktet (vgl. ebd.).                  behandelt und überlagert werden können und
Dadurch ist es möglich, dass diese nicht nur in                sollen. Die Geruchsüberlagerung wird durch je-
Apotheken, sondern auch in Drogerien verkauft                  ne florale und Heilung versprechende Duftstof-
werden können. Insbesondere die Apotheke,                      fe wie Kamille, Ringelblume, Thymian oder Sal-
die nach Henkel (2011) zunehmend auch in                       bei beworben, deren Inhaltsstoffe positive Ge-
einen kapitalisierten und auf Wachstum ausge-                  rucheigenschafen zugesprochen werden (vgl.
richteten Prozess eingebunden ist, trägt dadurch               MEDA Pharma GmbH & Co. KG 2020).
zur Verfügbarkeit von Intimpflegeprodukten im                      Dass die Vermarktung von Intimpflegepro-
pharmazeutischen wie kosmetischen Sinne bei                    dukten insbesondere den Intimgeruch sowohl
                                                               im pathologischen als auch hygienischen Sinne
4   Medikalisierung beschreibt den Konstruktionsprozess        aufgreift, ist nicht zufällig gewählt. Wie in der
    sowohl von Krankheit und Störung als auch von Ge-          Gesellschaft mit Gerüchen umgegangen und
    sundheit (vgl. Conrad 2007: 5). Letzteres umfasst          wie über diese gedacht wird, was sie bedeuten
    auch Bereiche wie Wellness und Kosmetik (vgl. ebd.:
    71). Bei dem Phänomen Intimhygiene finden beide            und wie Gerüche unsere soziale Interaktion be-
    Prozesse gleichzeitig statt. So dient beispielsweise ein   einflussen, ist u. a. Gegenstand der Soziologie
    und dasselbe Produkt der Behandlung einer Infek-           des Geruchs, mit der sich Synnott (2002) in
    tion und der Herstellung eines ‚Frischegefühls‘ (vgl.
    Dr. August Wolff GmbH & Co. KG Arzneimittel                „The Body Social – Symbolism, Self and
    2021). Im ‚Vagisan Produktfinder‘ wird z. B. das           Society“ auseinandergesetzt hat. Nach Synnott
    Produkt ‚Vagisan Intimwaschlotion‘ nicht nur für die       steht die Bedeutung von Intimhygiene auch in
    Behandlung einer Infektion, sondern auch für die In-
    timpflege empfohlen.                                       Verbindung zu dem gesellschaftlichen Umgang

4                                                       Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1
Rauber: Gendered Hygiene

mit Gerüchen. Indem Gerüche bewertet wer-            Sprache
den, erhalten sie eine soziologische und öko-        Die Ausweitung des medizinischen Zuständig-
nomische Bedeutung: „what smells good is             keitsbereichs und der medizinischen Diagnostik
good. Conversely, what smells bad is bad” (ebd.:     findet nach Conrad (2007) außerdem zentral
190). Diese Verknüpfung ist ein zentrales Ele-       durch Sprache statt. Immer mehr Phänomene,
ment in der moralischen Konstruktion des An-         die ursprünglich in einem nicht-medizinischen
deren sowie des Selbst. Die Dichotomie von gut       Bereich verortet waren, werden mit medizini-
und schlecht und die wechselseitige Symbiose         schem Vokabular versehen: „The key to medi-
von gut als wohlriechend und schlecht als stin-      calization is definition. That is, a problem is de-
kend verdeutliche zum einen die hohe Relevanz        fined in medical terms, described using medical
von Gerüchen in der Gesellschaft (vgl. ebd.).        language, understood through the adoption of a
Zum anderen basiere die Industrie der Parfüms,       medical framework, or “treated” with a medical
After-Shaves und duftenden Pflegemitteln auf         intervention“ (ebd.: 5). Durch entsprechende
der Imagination des Wohlriechenden und damit         Intimpflegeprodukte können und sollen spezi-
Guten (vgl. ebd.: 193). Die Verwendung von           fisch weibliche ‚Probleme‘ des Intimbereichs
diesen Produkten suggeriere nicht nur eine In-       bearbeitet werden. Medikale Diagnosen, bei-
vestition in die Präsentation, sondern auch in       spielsweise Störungen der Scheidenflora,
die moralische Konstruktion des Selbst:              -infektionen und -trockenheit oder auch ein un-
„Smelling good is a sign of being good“ (ebd.        ausgeglichener pH-Wert, werden zu Krank-
193).                                                heitsbildern, die es durch eine Vielzahl an In-
   Über Gerüche würden zudem auch gesell-            timpflegeprodukten präventiv vorzubeugen gilt.
schaftliche Ausschlüsse und Abwertungen kon-         Die Ausweitung der medizinischen Diagnostik
struiert. Die moralische Bedeutung des Geruchs       auf immer mehr Bereiche der Prävention und
werde durch die Zuschreibung von schlecht rie-       Kosmetik zeigt sich in dem ausdifferenzierten
chenden Attributen bestimmter Körperteile            Sortiment der entsprechenden Produkte. Durch
deutlich, die sich auch entlang der Kategorie        mediziniertes Vokabular findet eine spezifische
Gender zeige (vgl. ebd.: 200). Um diese Gerüche      Adressierung an Konsument_innen mit spezifi-
zu überlagern, habe sich ein ausdifferenzierter      schen ‚Problemen‘ im Intimbereich über die
Markt an Intimpflegeprodukten für Frauen             Lebenspanne hinweg statt. Das Verwenden die-
entwickelt (vgl. ebd.). Durch Intimdeodorants,       ser Produkte verspricht dadurch Pflege, Be-
-waschlotionen, oder -feuchtigkeits- und             handlung und Prävention in einem.
-wohlfühlsprays würden Frauen sich selbst und
andere gegen den eigenen Intimgeruch schüt-          Ärztlicher Blick
zen. Der Intimbereich wird dadurch als etwas
                                                     Die Medikalisierung des täglichen Lebens geht
konstituiert, der durch die Verwendung von In-
                                                     mit der Frage einher, inwiefern entsprechende
timpflegeprodukten nicht nur für einen selbst,
                                                     Verhaltensweisen oder Einstellungen gesund-
sondern auch für andere ‚gut‘ riechen soll. Auch
                                                     heitsförderlich sind oder nicht (vgl. Hehl-
Meßmer (2017) zeigt auf, dass Intimpflegepro-
                                                     mann/Schmidt-Semisch/Schorb 2018: 124).
dukte darauf abzielen, die als „ekelhaft, unhygi-
                                                     Dies ist mit der Anrufung Einzelner verbunden,
enisch und stinkend“ (ebd.: 145) geltende Vagi-
                                                     „eine gewisse Verantwortung für ihre Gesund-
na unter Kontrolle zu bringen. Ob es sich hier-
                                                     heit und ihren Körper zu übernehmen“ (Ull-
bei um eine medizinische Notwendigkeit oder
                                                     rich/Kortendiek 2013: 8). Dadurch ist das Indi-
kosmetische Möglichkeit handelt, werde dabei
                                                     viduum dazu angehalten, sich zunehmend selbst
der Frau selbst überlassen (vgl. ebd.).
                                                     zu beobachten und – mit Michel Foucault ge-
                                                     sprochen – den ärztlichen Blick auf den eigenen
                                                     Körper zu übernehmen (vgl. Foucault 2008:
                                                     11f.). Nach Meßmer (2017) suggerieren Intim-

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                              5
Rauber: Gendered Hygiene

pflegeprodukte einen notwendig prüfenden                in dem sie „Behandlungen dezidiert einfordern
Blick auf den eigenen Genitalbereich als „ris-          oder für die Anerkennung bestimmter ‚Proble-
kante, dreckige und infektiöse Orte, die eigenar-       me‘ als Krankheiten kämpfen“ (Meßmer 2017:
tige Flüssigkeiten absondern, unangenehm rie-           199), so wie beispielsweise in der Schönheits-
chen und Hort für Bakterien, Viren und Pilze            oder Anti-Aging-Medizin. Mit zunehmender
sind“ (ebd.: 184). Die Übernahme des ärztlichen         Verfügbarkeit von kosmetisch-medizinischen
Blicks bedeutet hier, eine Vielzahl an „Überwa-         Präparaten wie Intimpflegeprodukten werden
chungsanstrengungen“ (ebd.) zu leisten, um die          ständig neue Phänomene in den alltäglichen
richtige Behandlung für sich und seinen Geni-           Konsumraum des Individuums übertragen.
talbereich zu finden – beispielsweise durch so-         Damit sinkt zum einen die soziale Tolerierbar-
genannte Selbstabstriche für zu Hause, mit Hil-         keit von Symptomen jeglicher Art, da ihre Ver-
fe derer der vaginale pH-Wert bestimmt werden           hinderung möglich ist. Zum anderen kann dies
kann, womit ein frühzeitiges Erkennen bei-              zu einer konsumatorischen Verwendung von
spielsweise einer bakteriellen Infektion gewähr-        medizinisch-kosmetischen – medikalen – Präpa-
leistet ist (vgl. Grünspecht Naturprodukte              raten wie Intimpflegeprodukte führen.5
GmbH 2020). Das vermeintlich selbstbestimm-                 Die studies of medicalization untersuchen, wel-
te Individuum nimmt dadurch gewissermaßen               che Faktoren an der Medikalisierung mitwirken
eine Ärzt_in-Rolle ein, der_die über gesund             und wie sich diese zueinander verhalten (vgl.
oder krank, behandlungsbedürftig oder nicht             Peter/Neubert 2017: 283). So wurde in den
entscheidet (vgl. Meßmer 2013: 18). Die Selbst-         vorherigen Abschnitten deutlich, dass die von
beobachtung durch den internalisierten ärzt-            mir     aufgezeigten        fünf     Charakteristika
lichen Blick fördert nicht zuletzt die Selbst-          (Verfügbarkeit, Geruch, Sprache, ärztlicher
medikation des Individuums.                             Blick und Integration neuer Phänomene in die
                                                        Alltagswelt) insofern unterstützende Faktoren
Integration neuer Phänomene in die Alltagswelt          für eine zunehmende Medikalisierung sein kön-
Durch Medikalisierung werden kontinuierlich             nen, als dass sie Individuen in den Medikali-
neue Phänomene in die Alltagswelt der Gesell-           sierungsprozess einbinden. Dadurch, dass die
schaft integriert (vgl. Peter/Neubert 2016: 280).       Charakteristika von Medikalisierung Individuen
Dies bedeutet, dass individuelle und soziale            geschlechtsspezifisch dazu anleiten, an Gesund-
Problemlagen immer mehr als Thema der Me-               heit und Körper zu arbeiten, sind Individuen
dizin aufgefasst und durch das Konzept der              nicht nur ein Faktor von vielen, sondern zentra-
Medikalisierung in die Gesellschaft integriert          ler Ausgangspunkt für Medikalisierung. Dieser
werden          (vgl.        Hehlmann/Schmidt-          Mechanismus wird durch einen diesem Beitrag
Semisch/Schorb 2018: 123). Bedeutend ist                zugrundliegenden gouvernementalitätsanalyti-
hierbei, dass durch die Medikalisierung des all-        schen Ansatz deutlich, den ich im Folgenden
täglichen Lebens spezifische Problemlagen zu            erklären werde.
einer Frage medizinischer Definitionen mit ent-
sprechenden Handlungsmöglichkeiten werden
und diese dadurch individualisiert – und vor
                                                        5   Darüber hinaus bezieht sich Medikalisierung nicht
allem entpolitisiert – werden (vgl. ebd.: 126).
                                                            nur auf den weiblichen Körper, sondern Medikamen-
Medikalisierung reagiert nicht einfach auf bis-             te wie Viagra oder Ritalin weisen darauf hin, dass
lang unbekannte Phänomene, sondern diese                    auch der männliche Körper zunehmend in den Fo-
werden durch die Ausweitung des medizi-                     kus medizinischer Bearbeitung rückt (vgl. Meßmer
                                                            2013: 14). Das „Erstarken des Themenkomplexes
nischen Zuständigkeitsbereichs überhaupt erst               Männergesundheit“ (ebd.) zeigt, dass die Medikalisie-
geschaffen (vgl. ebd.: 124).                                rung des Körpers den weiblichen sowie männlichen
    Auch Patient_innen sind immer wieder                    Körper betrifft, nach Meßmer (2013) jedoch ge-
                                                            schlechtsspezifisch unterschiedliche Auswirkungen
Treiber_innen von Medikalisierungsprozessen,                und Handlungsmöglichkeiten aufzeigt, den eigenen
                                                            Körper zu bearbeiten (vgl. ebd.: 18).

6                                                Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1
Rauber: Gendered Hygiene

Hygiene aus einer biopolitischen                     völkerungspolitische Maßnahmen6 mit der Dis-
                                                     ziplinierung der Subjekte beispielsweise durch
  Analyseperspektive
                                                     Schule, Gefängnis und Militär (vgl. ebd.: 3).
In sozialwissenschaftlichen Diskussionen stellt      Nicht zuletzt ist Biomacht daran ausgerichtet,
der Begriff Biopolitik eine systematische Analy-     die Produktivität der Bevölkerung zu optimie-
seperspektive dar, mittels der die spezifischen      ren und dazu anzuleiten, „dass sie das was sie
modernen Formen der Machtausübung analy-             tun, aus innerer Einsicht tun“ (Hehl-
siert werden können, „die das Verhältnis von         mann/Schmidt-Semisch/Schorb 2018: 186).
Lebensprozessen und Politik bestimmen“ (Sän-             In neoliberalen Gesellschaften hat sich diese
ger/Rödel 2012: 8). Wie Eva Sänger und Malai-        Anleitung des ‚richtigen‘, ‚gesunden‘ und ‚guten‘
ka Rödel aufzeigen, ist diese Perspektive beson-     Lebens bis in die intimsten Lebensäußerungen
ders für Analysen geeignet, die sich mit der Ver-    hinein ausgeweitet (vgl. Folkers/Rödel 2015: 2).
schränkung von Zugriffen auf das ‚Lebendige‘         Hierbei handelt es sich um eine Dezentrali-
und der Reproduktion und Naturalisierung der         sierung von Macht, die im Konzept der Gou-
vorherrschenden Geschlechterordnung ausei-           vernementalität thematisiert wird (vgl. Klöppel
nandersetzen (vgl. ebd.). Im Folgenden werde         2012: 223). Der Begriff Gouvernementalität
ich zunächst eine begriffliche Klärung des Kon-      verweist nach Thomas Lemke (2014) „auf un-
zepts Biopolitik vornehmen. Anschließend wer-        terschiedliche Handlungsformen und Praxisfel-
de ich die Machtmechanismen hinter Hygiene           der, die in vielfältiger Weise auf die Lenkung
aufzeigen, die durch eine biopolitische Analyse-     und Leitung von Individuen und Kollektiven
perspektive sichtbar werden und sowohl im dis-       zielen“ (Lemke 2014: 260). Zentral für das
ziplinierenden als auch selbstregulierenden Sin-     Konzept der Gouvernementalität ist die indirek-
ne Individuen zum hygienischen Verhalten an-         te Steuerung von Lebensprozessen, die durch
leiten und einbinden. Nach einem kurzen histo-       das Einwirken auf die Lebensumstände von –
rischen Exkurs zur Disziplinierung durch Hy-         wie es Sänger und Rödel (2012) aufzeigen – ge-
giene im darauffolgenden Kapitel werde ich ab-       sunden und kranken, schlafenden und essenden
schließend darlegen, inwiefern Medikalisierung       Menschen durch Stadtplanung, das öffentliche
am Beispiel Intimhygiene durch die Reproduk-         Gesundheitswesen oder Hygienemaßnahmen
tion vorherrschender Körperideale zu einer           geschieht (vgl. ebd.: 9). Die in diesem Zusam-
Technik      (vergeschlechtlichter)   Selbstopti-    menhang oftmals thematisierte Arbeit am Kör-
mierung wird.                                        per für eine gesundheitsorientierte Lebensweise
    Der Begriff Biopolitik beschreibt einen Mo-      ist nicht nur Ausdruck einer Disziplinierung,
dus der Politik, der auf das ‚Lebedinge‘ abzielt     sondern auch einer Selbstregulierung des Indi-
(vgl. vgl. ebd.). Biopolitische Regulierungswei-     viduums (vgl. ebd.). Disziplinartechnologien
sen fokussieren biologische Prozesse sowohl          werden dabei nicht abgelöst, sondern werden in
der Bevölkerung hinsichtlich deren Sterblich-        die Technologien des Selbst integriert (vgl.
keit, Geburtenraten und Gesundheitsniveau als        Klöppel, 2012, S. 222). Die Selbsttechnologien
auch des Individuums hinsichtlich dessen Le-         ermöglicht es den Individuen,
bensweise (vgl. Folkers/Rödel 2015: 3). Ergän-
                                                     „[…] mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit
zend zum Begriff Biopolitik beschreibt der Be-       ihren eigenen Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ih-
griff Biomacht nach Andreas Folkers und Ma-          rer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so,
laika Rödel (2015) das Verständnis von Macht,        daß sie sich selber transformieren, sich selber modifizie-
„das nicht primär verbietet und beschränkt,          ren und einen bestimmten Zustand von Vollkommen-
sondern produktiv und auf Lebenssteigerung
ausgelegt ist“ (ebd.: 1). Biomacht verbindet be-
                                                     6   Historisch betrachtet beispielsweise die Einführung
                                                         einer     umfassenden     Hygieneerziehung      und
                                                         -anleitung, Trinkwasserversorgung, Impfungen oder
                                                         Geburtenkontrolle.

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                                          7
Rauber: Gendered Hygiene

heit, Glück, Reinheit, übernatürlicher Kraft erlangen.“     193). Auf der anderen Seite findet die Anleitung
(Foucault 1984: 35f.)                                       zum hygienischen Verhalten auch durch bevöl-
Die Bearbeitung des weiblichen Intimbereichs                kerungspolitische Maßnahmen und der Dis-
durch Hygienepraktiken ist eine mögliche                    ziplinierung von Subjekten statt. Dies zeigt sich
Technologie des Selbst, die kontinuierlich sti-             insbesondere durch die Einführung der öffent-
muliert wird, um den weiblichen Körper zu op-               lichen Hygiene, auf die ich im Folgenden histo-
timieren. Wie Meßmer (2013) aufzeigt, wirft                 risch eingehen werden.
dies die Frage nach der Verfügbarkeit von Kör-
perstellen neu auf. Denn besteht einmal die
Möglichkeit der Optimierung intimster Körper-               Kurzer historischer Exkurs zur
stellen, muss entschieden werden, diese zu nut-               Disziplinierung durch Hygiene
zen oder auch nicht (vgl. ebd.: 19). Die Selbst-
                                                            Das Verständnis von Hygiene hat sich konti-
technologien des Individuums werden kontinu-
                                                            nuierlich auf nicht lineare Art und Weise verän-
ierlich stimuliert, „um die eigene Lebensqualität,
                                                            dert (vgl. von Bose 2017: 62). Das liegt vor al-
Leistungsfähigkeit und Produktivität zu stei-
                                                            lem daran, dass das Wissen über Hygiene über
gern“ (ebd.). Nach Judith Conrads (2020) kön-
                                                            die Zeit stetig zugenommen hat, wodurch auch
nen Techniken des Selbst als Mechanismen der
                                                            die Lebens- und Arbeitsformen der Gesellschaft
Selbstführung verstanden werden, „durch die
                                                            maßgeblich geprägt wurden (vgl. ebd.). Bei-
Individuen scheinbar autonom und authentisch
                                                            spielsweise hat sich die Abfallbeseitigung und
handeln und damit zu ihrer Subjektwerdung
                                                            Wasserversorgung durch die Entdeckung der
beitragen“ (ebd.: 36). Auf diesen Aspekt werde
                                                            Übertragungswege von bakteriellen Krankheits-
ich im letzten Abschnitt des Beitrags noch ge-
                                                            erregern durch Wasser entsprechend neuer hy-
nauer eingehen. Zentral an dieser Stelle ist zu-
                                                            gienischer Maßstäbe grundlegend verändert
nächst, dass politische Regierungsformen mo-
                                                            (vgl. Labisch 1992: 127). Den Grundstein dafür
derner Staaten, so Conrads (2020), auf die
                                                            legten zunächst die Erkenntnisse aus der Bak-
Selbstführung der Bürger_innen zurückgreifen
                                                            teriologie in der Mitte und am Ende des 19.
und diese jenseits von disziplinierenden Maß-
                                                            Jahrhunderts, indem mehr Wissen über Entste-
nahmen auch zur Eigeninitiative und Selbstre-
                                                            hung und Prävention von Infektionen bekannt
gulierung anregen (vgl. ebd.). In neoliberalen
                                                            wurde. Durch die Bakteriologie wurde somit
Gesellschaften geht es damit um das selbstver-
                                                            auch die Verwissenschaftlichung von Hygiene
antwortlich gesunde, ‚autonom’ handelnde Sub-
                                                            vorangetrieben. Hygiene wurde zum zentralen
jekt, das nicht nur diszipliniert, sondern auch
                                                            Bestandteil für die Modernisierung des alltägli-
durch sich selbst reguliert ist (vgl. Sänger/Rödel
                                                            chen Lebens. Sowohl die Hygienebewegung im
2012: 9). Am Beispiel Hygiene zeigt sich die
                                                            frühen 19. Jahrhundert als auch die Verwissen-
Disziplinierung und Selbstregulierung gleicher-
                                                            schaftlichung von Hygiene durch die Bakterio-
maßen. Auf der einen Seite findet die Anregung
                                                            logie Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts war
zur Selbstregulierung und das Ergreifen von
                                                            nach Susanne Breuss (2006) mit einer „Inkor-
Handlungsoptionen im Sinne geschlechtlicher
                                                            porierung von hygienischen Normen“ (ebd.:
Subjektivierung durch einen makellosen Körper
                                                            117) verbunden. Die Disziplinierung des Sub-
statt. Durch Medikalisierung und der damit ein-
                                                            jekts geht mit dem ‚gelehrigen und dressierten
hergehenden Option zur Selbstoptimierung mit-
                                                            Körper‘ im foucaultschen Sinne einher, der das
tels Hygienepraktiken werden die Selbsttechno-
                                                            zentrale Ziel der Sauberkeits- und Reinlichkeits-
logien des Individuums kontinuierlich stimu-
                                                            kampagnen im 19. Jahrhundert darstellte (vgl.
liert, um – wie ich im Abschnitt zu Medikali-
                                                            Eckart/Jütte 2007: 209). Daniela Heinzmann
sierung als Technik (vergeschlechtlichter)
                                                            (2017) zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass
Selbstoptimierung erläutern werde – die eigene
                                                            Frauen in ihrer Funktion als Hausfrau und Mut-
Leistungsfähigkeit und Produktivität zu steigern
                                                            ter dabei in einem besonderen Maße adressiert
(Hehlmann/Schmidt-Semisch/Schorb                   2018:

8                                                    Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1
Rauber: Gendered Hygiene

wurden, beispielsweise durch direkt an sie ge-           dert eher in einem sittlich-moralischen Sinne an
richtete Vorträge und Haushaltsbücher. Indem             die Bevölkerung weitergegeben wurden, wurden
Frauen die Verantwortung für die Hygiene in              diese durch die aufkommende Bakteriologie in
der Familie übertragen wurde, nahm Hygiene               der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nun
gleichzeitig eine zentrale Rolle in der Etablie-         medizinisch-wissenschaftlich fundiert (vgl. La-
rung der bürgerlichen Geschlechterordnung ein            bisch 1992: 303). Die Hygienebewegung ging
(vgl. ebd.: 272).                                        „deutlicher mit sozialen Differenzierungen […]
    Zentral für die Hygienebewegung im frühen            einher als die eher wissenschaftlich ‚neutral‘ ar-
19. Jahrhundert war die Verbindung zur Alltäg-           gumentierende Bakteriologie“ (ebd.). Diese wird
lichkeit, welche die Sphäre sowohl des Privaten          deshalb auch als ein medizinhistorischer Ein-
als auch des Öffentlichen durchzog. Wenn-                schnitt bezeichnet (vgl. von Bose 2017: 62). Zu
gleich die Hygienebewegung prinzipiell auf die           dieser Zeit war es insbesondere die Medizin, die
gesamte Bevölkerung abzielte, wurden Frauen              als scheinbar theoretisch-rationale Wissenschaft
in einem besonderen Maße adressiert (vgl.                hervorgebracht und zur „Königin der Wissen-
Breuss 2006: 109.). Sie galten sowohl als „Ein-          schaften“ (Foucault 1976: 84) wurde. Die Bak-
fallstor in die Privatsphäre, als auch als Multipli-     teriologie verstand Hygiene in erster Linie als
katorinnen hygienischer Normen“ (ebd.). Durch            eine präventive Maßnahme vor Infektionen. Die
eine Vielzahl an Haushaltslehrbüchern, Bro-              Erhaltung der Gesundheit und die Prävention
schüren zu Hygienevorschriften sowie Vorträ-             vor Krankheiten konnte durch entsprechende
gen, die das Gesundheitsverhalten der eigenen            hygienische Maßnahmen als individuell beein-
Person und der Familie thematisierten, waren             flussbar und eigenständig aufrechtzuerhalten
Frauen somit verstärkt Disziplinierungsmaß-              wahrgenommen werden. Im Rahmen dieser
nahmen unterworfen (vgl. ebd.: 111).                     veränderten Betrachtungen von Hygiene hat Al-
    Die Hygieniker7 haben sich zunächst an bür-          fons Labisch (1992) den Begriff Homo Hygienicus
gerliche Frauen und erst später an Arbeiterin-           geprägt, der einen Menschen beschreiben, der
nen gewandt (vgl. Heinzmann 2017: 272). Der              „sein Leben den Prinzipien einer aus medizi-
Bezug zur Reproduktions- und Carearbeit, zur             nisch-wissenschaftlichen Lehren abgeleiteten
Familie und zum Haushalt, den sie in Verbin-             Lebensführung unterwarf“ (ebd.: 134). Damit
dung zur weiblichen Geschlechterrolle sahen,             war der Homo Hygienicus als „wissenschaftliches
basierte auf der Vorstellung, dass der weibliche         Konstrukt“ (ebd.) geboren.
Körper aufgrund seiner biologischen Voraus-                  Diese Verwissenschaftlichung durch die
setzungen allein zu diesen Aufgaben bestimmt             Bakteriologie und die damit zusammenhängen-
sei (vgl. ebd.). In der Hygienebewegung richte-          den Maßnahmen ließen Hygiene als eine objek-
ten sich überwiegend männliche Hygieniker an             tivierte Tatsache erscheinen. Hygiene in einem
Frauen in ihrer Funktion als Hausfrau und Mut-           bakteriologischen Sinne kann als ein Ausdruck
ter, um sie verstärkt in die häusliche (private)         der strikten Trennung von Natur und Gesell-
Sphäre einbinden zu können (vgl. von Bose                schaft verstanden werden, die nach Bruno La-
2017: 73). Diese geschlechtsspezifische Adres-           tour (2008) für die Moderne bezeichnend ist
sierung und Wissensproduktion in der Hygiene-            (vgl. ebd.: 43). Die Bakteriologie folgt einem
bewegung kann dadurch als androzentristisch              positivistischen Verständnis von Hygiene; durch
und heterozentristisch bezeichnet werden (vgl.           die Verwissenschaftlichung von Bakterien und
Becker-Schmidt/Knapp 2000: 14).                          Viren galt Sauberkeit als ein linearer Fortschritt
    Während Hygienemaßnahmen im Kontext                  in der Gesellschaft und konnte ihre Wirkung
der Hygienebewegung im frühen 19. Jahrhun-               durchsetzen (vgl. von Bose 2017: 71). Die ver-
                                                         meintliche Neutralität des medizinisch-
7   Dadurch, dass der Hygienediskurs im frühen 19.       wissenschaftlichen Verständnisses von Hygiene
    Jahrhundert androzentristisch geprägt war, spreche   durch die Bakteriologie stand jedoch auch in
    ich hier von Hygienikern im generischen Maskuli-
    num.                                                 Verbindung zu gesellschaftlichen Deutungs-

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                                 9
Rauber: Gendered Hygiene

mustern. Dies wird insbesondere durch die Ein-        gezeigt habe, das komplexe Wechselspiel aus
schreibung bakteriologischen Wissens und Vo-          Pathologisierung     und     vergeschlechtlicher
kabular in das Körperinnere bestimmter Kör-           Selbstoptimierung weiter fortgeführt wird. In-
perlichkeiten sichtbar. Ein Beispiel dafür ist die    wiefern Medikalisierung als eine Technik verge-
Pathologisierung und Pathogenisierung des             schlechtlichter Selbstoptimierung verstanden
weiblichen Körpers (vgl. Sabisch 2007: 9). So         werden kann, werde ich im Folgenden themati-
zeigt Katja Sabisch auf, dass zu der allgemeinen      sieren.
wissenschaftlichen Pathologisierung durch die
androzentristisch geprägte Medizin, welche die
Frau aufgrund ihrer biologischen Gegebenhei-          Medikalisierung als Technik (ver-
ten als unvollständig konstatierte, eine spezielle     geschlechtlichter) Selbstopti-
Pathogenität hinzukam. Demnach könne die
Frau – so die damalige Auffassung – Ge-                mierung
schlechtskrankheiten weitergeben, ohne selbst         Medikalisierung hat nach Peter Wehling et al.
krank zu sein. Die Frau galt demnach per se als       (2007) den menschlichen Körper „immer mehr
infektiös (vgl. ebd.). Auch heute schreibt sich       zum Objekt einer wissenschaftlich-technischen
„das Deutungsmuster des defizitären Frauen-           Intervention und damit – selbst bei Interventi-
körpers“ (Meßmer 2013: 13) weiter fort. Präg-         onsverzicht – entscheidungsabhängig gemacht“
nante Beispiele sind in diesem Zusammenhang           (ebd.: 549). Hinzu kommen kulturelle und ins-
Themen rund um Schwangerschaft und Geburt,            besondere wirtschaftliche Faktoren, die diese
Menstruation und Menopause, Kontrazeption,            Ausweitung beeinflussen, ermöglichen und in
Prämenstruelles Syndrom (PMS), aber auch In-          eine gewisse Richtung lenken (vgl. ebd.). Die
timchirurgie und Intimhygiene. Das alles sind         Idee der Gestaltung und „Perfektionierung der
Beispiele dafür, wie spezifische ‚Probleme‘ von       menschlichen Natur“ (ebd.: 547) ist in der Mo-
Frauen medikalisiert werden (vgl. ebd.).              derne unter anderem durch die Medizin ermög-
    In den vorangegangenen Kapiteln habe ich          licht worden. Dabei geht es weniger um die
gezeigt, dass Medikalisierung zu einer ge-            westliche Medizin als theoretisch-rationale Wis-
schlechtsspezifischen Adressierung beitragen          senschaft, die maßgebliche Errungenschaften
kann. Das bedeutet, dass durch die Ausweitung         wie die öffentliche Hygiene oder das Impfwesen
des medizinischen Zuständigkeitsbereichs und          hervorgebracht hat. Vielmehr geht es darum,
der Diagnostik die Pathologisierung des weibli-       wie die Medizin für die Gesellschaft nutzbar
chen Körpers nicht nur verstärkt wird, sondern        und verfügbar gemacht wird und wie über sie
gemäß der gouvernementalitätstheoretischen            und mit ihr eine Form der Selbstregulierung
Analyseperspektive dieses Beitrags auch die           und -optimierung betrieben wird. In Gesell-
Möglichkeiten der Selbstoptimierung zuneh-            schaften des Globalen Nordens verschwimmt
men. Die gesteigerte Aufmerksamkeit auf den           zunehmend eine grundlegende Unterscheidung,
Körper und die individuelle Gestaltung von die-       die lange Zeit für Medizin, Psychotherapie und
sem nimmt in neoliberalen Gesellschaften eine         Pädagogik handlungsorientierend war: „die Dif-
zentrale Rolle ein und verläuft entlang vorherr-      ferenz aus Heilung (therapy) und Verbesserung
schender Geschlechterbilder und Körperideale.         (enhancement)“ (ebd.: 549). Das macht sich zum
Indem das Individuum durch das Ergreifen von          Beispiel dadurch bemerkbar, dass medizinische
Handlungsoptionen und u. a. durch die Opti-           Mittel ohne eine medizinisch-diagnostische
mierung des Körpers subjektiviert wird, stellt        Grundlage in einem präventiven oder auch op-
auch das hier gewählte Beispiel Intimhygiene          timierenden Sinne eingenommen oder ange-
eine geschlechtsspezifische Option der Körper-        wendet werden.
bearbeitung und -optimierung dar. Das bedeu-              Indem der Körper und die eigene Lebens-
tet, dass insbesondere durch Medikalisierung,         führung durch Medikalisierung als individuell
die ich anhand des Beispiels Intimhygiene auf-        gestaltbar erscheint, ist das Individuum in eine

10                                             Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1
Rauber: Gendered Hygiene

„neoliberale Form der Aufmerksamkeitsöko-            zur begehrten Ressource macht“ (Bublitz 2012:
nomie und des unternehmerischen Handelns“            206). Die Bearbeitung des Körpers geht mit
(Bublitz 2012: 205) eingebunden. In diesem Zu-       vorherrschenden Körperidealen einher, die bei-
sammenhang kommt der geschlechtlichen Sub-           spielsweise mit der ‚richtigen‘ Ernährung oder
jektivierung durch einen makellosen Körper,          Fitness zu erzielen sind. Wie Paula-Irene Villa
der in neoliberalen Gesellschaften einen sozia-      (2017) herausarbeitet, gehen dabei immer mehr
len Mehrwert markiert, eine besondere Bedeu-         Praktiken der Körperbearbeitung auch unter die
tung zu (vgl. ebd.). Die übermäßige Körperkon-       Haut, so wie die Schönheitschirurgie, „bei der
trolle durch beispielsweise gute Ernährung und       die Medizin sich in Richtung ökonomisch profi-
die Optimierung der Körperfunktionen erweist         tabler Dienstleistung am Kunden entgrenzt“
sich vor diesem Hintergrund als ein Kampf um         (ebd.: 9). Die ästhetische Gestaltung des Kör-
gesellschaftliche Anerkennung und Macht (vgl.        pers und die Notwendigkeit des ‚Schön-
ebd.: 209). Das Individuum ist diesen Macht-         Machens‘ und ‚Sauber-Seins‘ wird dabei „als
mechanismen unterworfen, bildet sich jedoch          Frauensache“ (ebd.: 7) diskursiviert, was sich
erst in seiner Unterwerfung selbst heraus und        nicht zuletzt an der spezifischen Adressierung
schafft Handlungsmöglichkeiten für sich, wo-         des weiblichen Körpers von beispielsweise
rüber es subjektiviert wird. Auch Hygieneprak-       Kosmetik und Hygienepräparaten wie Intimhy-
tiken können eine subtile Form der Körperkon-        giene zeigt (vgl. ebd.: 8). Die Selbstbearbeitung
trolle und Arbeit an dem Körper darstellen.          des Körpers kann als eine mögliche Selbsttech-
Dies ist Ausdruck der Einbindung des Indivi-         nologie des Individuums bezeichnet werden, da
duums in ökonomische Prozesse und neolibera-         durch medizinische Optimierungsmöglichkeiten
le Anforderungen an den Körper. Das Indivi-          und Wahlfreiheiten das eigene Leben und die
duum ist durch Hygiene als eine Form der             Lebensqualität verbessert werden kann
Selbsttechnologie in neoliberale Anforderungen       und/oder muss (vgl. Meßmer 2013: 18). Die
eingebunden und wird darüber subjektiviert.          Medikalisierung des weiblichen Intimbereichs
Indem Subjektivierung als „Werden des Sub-           schafft durch den wachsenden Markt an Intim-
jekts aufgefasst wird, „das[s] sich in der Unter-    pflegeprodukten diese Optimierungsmöglichkei-
werfung selbst erst herausbildet und Hand-           ten, den Körper bearbeiten zu können (vgl.
lungsmöglichkeiten für sich entwirft“ (ebd.:         ebd.).
217), kann auch Hygiene solch eine Hand-
lungsmöglichkeit darstellen.
    Wie ich in diesem Beitrag beschrieben habe,      Fazit
geht es bei Medikalisierung um den Prozess           Medikalisierung zeichnet sich durch verschiede-
bzw. die Konstruktion von Krankheit als auch         ne Charakteristika aus. Zentral ist dabei, dass
von Gesundheit (vgl. Conrad 2007: 5). Letzteres      die Ausweitung des medizinischen Zuständig-
umfasst auch Bereiche wie Wellness und Kos-          keitsbereichs durch die Medikalisierung un-
metik (vgl. ebd.: 71). Die Medikalisierung von       trennbar mit einer Verschiebung der Verant-
Hygiene ermöglicht, dass Intimpflegeprodukte         wortung auf das Individuum verbunden ist.
sowohl gegen Krankheit als auch für Gesund-          Während die geforderten Hygienepraktiken im
heit beworben, vermarktet, verschrieben als          19. Jahrhundert durch die Hygienebewegung
auch verwendet werden können. Insbesondere           und später durch die Verwissenschaftlichung
der Aspekt von Wellness und Kosmetik kann            von Hygiene mithilfe der Bakteriologie als dis-
dabei als ein Teil von Selbstoptimierung be-         ziplinierende Maßnahme an die Bevölkerung
trachtet werden und findet entlang geschlechts-      weitergegeben wurde, kann die heutige Ausdif-
spezifischer Zuschreibungen statt: „Auf der          ferenzierung von Hygienepraktiken auch als
Ebene des Geschlechtskörpers unterliegen die         Anregung zur Selbstoptimierung gesehen wer-
Individuen den Regeln des Marktes, der den           den. Medikalisierung zeigt sich hier als eine
idealen, um nicht zu sagen, optimalen Körper

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                           11
Rauber: Gendered Hygiene

produktive Kraft, die nicht nur das Verständnis          rien, Apotheken und ins eigene Badezimmer
von Hygiene als eine Arbeit am Körper, son-              übertragen. Maßgeblich erfolgt dies durch (1)
dern auch eine vergeschlechtliche, auf Binarität         die Ausweitung des medizinischen Zuständig-
ausgerichtete Vorstellung des Körpers als Ef-            keitsbereichs auf immer mehr Bereiche der Prä-
fekt des Einwirkens von Diskursen hervorge-              vention und Kosmetik, (2) einer Anrufung des
bracht hat. Die Stimulierung von Selbsttechno-           Handels unabhängig vom eigentlichen Bedarf
logien durch die Medikalisierung, wie es am Bei-         durch mediziniertes Vokabular und (3) einer
spiel Intimhygiene deutlich wurde, ist dabei tief        sorgsamen Beobachtung des eigenen Körpers.
mit Geschlechterverhältnissen verwoben. Dies             Am Beispiel Intimhygiene zeigt sich die Einbin-
basiert sowohl auf einer Defizitannahme und              dung des Individuums in ökonomische Pro-
einer historisch gewordenen Pathologisierung             zesse bis in die intimsten Lebensäußerungen
des weiblichen Körpers als auch auf der Anru-            hinein. Hygiene, das „Zauberwort der Moder-
fung zur Körperoptimierung und ästhetischen              ne” (Sarasin 2001: 17), scheint damit auch im
Gestaltung des Körpers, die als ‚natürlicher‘ Teil       Jahr 2021 nichts von seinem Glanz verloren zu
von Weiblichkeit diskursiviert wird (vgl. Villa          haben.
2017: 7). Das Wechselspiel aus Pathologisierung
und Selbstoptimierung des weiblichen Körpers
wird kontinuierlich in die Alltagswelt, in Droge-

Literatur
Becker-Schmidt, Regina / Knapp, Gudrun-Axeli. 2000. Feministische Theorie zur Einführung. Hamburg:
     Junius.
Beiersdorf AG. 2020. „Intimpflege: Tipps für die tägliche Reinigung“. Letzter Zugriff am 21.10.2020.
     https://www.nivea.de/beratung/schoene-haut/intimpflege-tipps-fuer-die-taegliche-reinigung
Bublitz, Hannelore. 2012. „Der Körper, das Gefängnis des Geschlechts. Biopolitik, Sexualität und
     Geschlecht.“ In: Eva Sänger; Malaika Rödel (Hg.): Biopolitik und Geschlecht. Zur Regulierung des Le-
     bendigen: 200-219. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). 2020. „Die Apotheke. Zahlen. Daten.
     Fakten 2019.“ Letzter Zugriff am 21.10.2020. fi-
     le:///C:/Users/Rauber/AppData/Local/Temp/ABDA_ZDF_2020_Brosch.pdf
Breuss, Susanne. 2006. „Die Hygienisierung der Hausfrau. Zur Popularisierung moderner Sauber-
     keitsnormen in der Haushaltsratgeberliteratur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.“ In:
     Angelika Klampfl; Margareth Lanzinger (Hg.): Normativität und soziale Praxis. Gesellschaftspolitische
     und historische Beiträge: 108–120. Wien: Turia + Kant.
Conrad, Peter. 2007. Medicalization of Society: On the Transformation of Human Conditions Into Treatable. Bal-
     timore: The Johns Hopkins University Press.
Conrads, Judith. 2020. Das Geschlecht bin ich. Vergeschlechtlichte Subjektwerdung Jugendlicher. Geschlecht und
     Gesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Dr. August Wolff GmbH & Co. KG Arzneimittel. 2021. „Vagisan Produktfinder“. Letzter Zugriff
     am 19.01.2021. http://www.vagisan.com.wolff-typo3-cms.com/de-de/vaginalcremes-kapseln-
     co/produktfinder/category/scheidenpilz
Eckart, Wolfang / Jütte, Robert. 2007. Medizingeschichte. Eine Einführung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau.
Folkers, Andreas / Rödel, Malaika. 2015. „Biopolitik/Biomacht.“ In: Gender Glossar. Letzter Zugriff
     am 27.10.2020. https://gender-glossar.de/b/item/51-biopolitik
Foucault, Michel. 1984. Von der Freundschaft als Lebensweise. Michel Foucault im Gespräch. Berlin: Merve.
Foucault, Michel. 1976. Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Übersetzt aus
     dem Französischen von Hans-Joachim Metzger. Berlin: Merve.

12                                               Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1
Rauber: Gendered Hygiene

Foucault, Michel. [1987] 2008. Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. Übersetzt aus
     dem Französischen von Alan Sheridan. Frankfurt am Main: Fischer.
Foucault, Michel. 2015. „Die Gouvernementalität.“ In: Ulrich Bröckling; Susanne Krasmann;
     Thomas Lemke (Hg.): Gouvernementalität und Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen: 41–
     67. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Grünspecht Naturprodukte GmbH. 2020. „Unser Konzept zur Intimgesundheit – Der weibliche In-
     timbereich.“ Letzter Zugriff am 18.09.2020 https://www.elanee.de/startseite/intimgesundheit/
Heinzmann, Daniela. 2017. Fortpflanzung und Geschlecht. Zur Konstruktion und Kategorisierung generativen
     Praxis. Bielefeld: transcript.
Hehlmann, Thomas / Schmidt-Semisch, Henning/Schorb, Friedrich. 2018. Soziologie der Gesundheit.
     München: UVK.
Henkel, Anna. 2011. Soziologie des Pharmazeutischen. Baden-Baden: Nomos.
Karo Pharma GmbH. 2020. „Bio-aktive Hilfe für die vaginale Gesundheit.“ Letzter Zugriff am
     25.10.2020. https://www.multi-gyn.de/
Klöppel, Ulrike. 2014. „“Leben machen“ am Rande der Zwei-Geschlechter-Norm. Biopolitische Re-
     gulierung von Intersex.“ In: Eva Sänger; Malaika Rödel (Hg.): Biopolitik und Geschlecht. Zur Regulie-
     rung des Lebendigen: 200–219. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Labisch, Alfons. 1992. Homo Hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit. Frankfurt am Main/New
     York: Campus.
Latour, Bruno. 2008. Wir sind nie modern gewesen – Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Übersetzt aus
     dem Französischen von Gustav Roßler. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Lemke, Thomas. 2014. „Gouvernementalität.“ In: Clemens Kammler; Rolf Parr; Ulrich Johannes
     Schneider (Hg.): Foucault Handbuch. Leben – Werk – Wirkung: 260–263. Stuttgart: J.B. Metzler.
Lemke, Thomas / Krasmann, Susanne / Bröckling, Ulrich. 2015. „Gouvernementalität, Neolibera-
     lismus und Selbsttechnologien. Eine Einleitung.“ In: Ulrich Bröckling; Susanne Krasmann;
     Thomas Lemke (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen: 7–40.
     Frankfurt am Main: Suhrkamp.
MEDA Pharma GmbH & Co. KG. 2020. „Die richtige Intimpflege für Sie.“ Letzter Zugriff am
     19.09.2020. http://www.sagella.de/de/startseite
Meßmer, Anna-Katharina. 2013. „„Und gut, dann ändert man halt seinen Körper“: Intimchirurgie
     zwischen Medikalisierung und Rohstoffisierung.“ In: Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft,
     5(1): 9–23.
Meßmer, Anna-Katharina. 2017. Überschüssiges Gewebe. Intimchirurgie zwischen Ästhetisierung und Medikali-
     sierung. Wiesbaden: Springer VS.
Peter, Claudia / Neubert, Carolin. 2016. „Medikalisierung sozialer Prozesse.“ In: Matthias Richter;
     Klaus Hurrelmann (Hg.): Soziologie von Gesundheit und Krankheit: 273–285. Wiesbaden: Springer
     VS.
Riegraf, Birgit. 2010. „Konstruktion von Geschlecht“. In: Brigitte Aulenbacher; Michale Meuser; Bri-
     gitte Riegraf. Soziologische Geschlechterforschung. Eine Einführung: 59–78. Wiesbaden: Springer VS
Sabisch, Katja. 2016. Der Mensch als wissenschaftliche Tatsache. Wissenssoziologische Studien mit Ludwik Fleck.
     Berlin: Kadmos.
Sänger, Eva / Rödel, Malaika. 2012. Biopolitik und Geschlecht. Zur Regulierung des Lebendigen. Münster:
     Westfälisches Dampfboot.
Sarasin, Philipp. 2001. Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914. Frankfurt am Main:
     Suhrkamp.
Synnott, Anthony. 2002. The body social. Symbolism, Self and Society. London: Routledge.
Ullrich, Charlotte (2004): „Nichts spüren. Nichts sehen. Nichts riechen. Zur Inszenierung von Weib-
     lichkeit in der Menstruationshygienewerbung.“ In: Ilse Lenz; Lisa Mense; Charlotte UHrich

Gender(ed) Thoughts, Working Paper Series 2021, Volume 1                                                    13
Sie können auch lesen