Archivnachrichten 61 / September 2020 Thema: Zwischen Feindberührung und "amitié". Unser Nachbar Frankreich
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Archivnachrichten 61 / September 2020 Thema: Zwischen Feindberührung und »amitié«. Unser Nachbar Frankreich Landesarchiv »Die Völker haben Gemeinsames Gedenken Quellenbeilage Baden-Württemberg ein langes Gedächtnis« Das »Historial« auf dem Ein Hoch auf Kaiser Gestern und heute Hartmannnswillerkopf oder Republik
Archivnachrichten 61 / 2020 3 Editorial Editorial Im Jahr 842 besiegelten Karl der Kahle und Grundpfeiler der europäischen Gemeinschaft, Ludwig der Deutsche, zwei Enkel Karls des Gro- wenngleich sie gerade aktuell durch die Coro- ßen, ihr Bündnis um Ansprüche im fränkischen na-Pandemie auf eine Probe gestellt wird. Reich in der Sprache des jeweilig anderen: In diesen Archivnachrichten betrachten wir Karl der Kahle, König des westfränkischen die gemeinsame und wechselvolle Geschichte Reichs, sprach seinen Eid in althochdeutscher mit unserem Nachbarn Frankreich. Denn der Sprache, während Ludwig der Deutsche, König deutsche Südwesten hatte und hat durch seine im ostfränkischen Reich, seinen Eid in Gallo- Grenzlage eine ganz besonders intensive Bezie- romanisch ablegte. Diese Straßburger Eide sind hung zu Frankreich. Anlass ist das 150-jährige ganz frühe Textzeugnisse für die Vorläufer der Gedenken an den Deutsch-Französischen Krieg heutigen Sprachen Französisch und Deutsch 1870/71. Zwischen Feindberührung und »amitié« und gleichzeitig der älteste Rechtstext, der die spüren die Autorinnen und Autoren sowohl sprachliche Trennung zwischen dem West- Kriegen, Konflikten als auch personellen Ver- und dem Ostfrankenreich bezeugt. Und sie bindungen, kulturellem Austausch, Annäherun- belegen eindrucksvoll nicht nur die Bedeutung gen und Berührungen bis hin zu gegenwärtigen von Sprache bei der Bündnispolitik, sondern Beziehungen des Landesarchivs mit Archiven sie weisen uns auch auf die gemeinsamen im Elsass nach. Wurzelns Frankreichs und Deutschlands hin: Weiter finden Sie in diesem Heft Artikel zu Das westfränkische und das ostfränkische Reich, aktuellen Projekten und Berichte aus der Arbeit die beide aus dem Reich Karls des Großen des Landesarchivs sowie Informationen zu un- hervorgingen, wurden zum Ausgangspunkt der seren Ausstellungen, zu denen wir Sie herzlich Herausbildung von Frankreich und Deutschland. einladen. Aufgrund der Corona-Pandemie sind Die Beziehungen zwischen Frankreich Veranstaltungen derzeit nur schwierig planbar und Deutschland sind wechselhaft und voller und es können sich kurzfristige Änderungen Verflechtungen, Kontakte und Konflikte. Jedoch ergeben. Aktuelle Hinweise finden Sie auf der erst im 19. Jahrhundert und in der ersten Website des Landesarchivs. 1 Einzug der württembergi- Hälfte des 20. Jahrhunderts sprach man – vor Nun wünsche ich Ihnen allen Gesundheit so- schen Truppen in Stuttgart dem Hintergrund zahlreicher Kriege – vom wie Momente von Nähe und Begegnungen trotz am 29. Juni 1871, Ölgemälde von Christian Speyer »Erbfeind« Frankreich. Die Erinnerung an die der gebotenen Abstandsregelungen und neue (1855–1929), o. D. gemeinsamen Wurzeln Deutschlands und Frank- Einblicke in die deutsch-französisch Geschichte Vorlage: LABW, HStAS M reichs geriet in den Hintergrund. Nach 1945 bei der Lektüre der Archivnachrichten. 703 R969N4 gelang eine Annährung und schließlich Freund- schaft – amitié – mit Frankreich. Durch Städte Ihre 2 Straßburger Eide in »De dissensionibus filiorum partnerschaften, Schüleraustausche und Schulen Hludovici Pii libri quatuor« wie das deutsch-französische Gymnasium in von Nithard, 10. Jahrhundert. Freiburg ist die amitié mit Frankreich heute Vorlage: Bibliothèque nationale Paris, in unserem Alltag angekommen. Die deutsch- ±Dr. Verena Schweizer Latin 9768, fol. 13r französische Freundschaft ist ein wichtiger Redaktion Archivnachrichten
4 Archivnachrichten 61/ 2020 Inhalt Inhalt Thema: 20 Spiegel deutsch-französischer Beziehungen 34 Symbolpolitik Die Rückgabe der württembergi- Zwischen Feind Das Turenne-Denkmal in Sasbach schen Kronjuwelen durch die berührung und — Sinah Panizic französische Militärregierung am »amitié«. 10. März 1948 Unser Nachbar — Franz-Josef Ziwes 22 »wo Mode und der gute Ton die Frankreich Seele der Stadt ausmachen« Eine markgräfliche Familienreise 36 Eine Reise von nach Paris im Jahr 1771 hohem symbolischem Wert 8 »Die Völker haben ein — Wolfgang Zimmermann Der Staatsbesuch des langes Gedächtnis« französischen Präsidenten Die deutsch-französischen Charles de Gaulle im Jahr 1962 Kriege und die Überwindung 24 Allianz gegen Napoleon — Nicole Bickhoff der »Erbfeindschaft« Württembergische — Tobias Arand Staatsverträge von dunkler, seidiger Gefahr bedroht 38 Gemeinsames Gedenken — Albrecht Ernst, Maike Fuidl Das deutsch-französische 12 Württemberg und Montbéliard »Historial« auf Die »Mömpelgarder dem Hartmannswillerkopf Genealogie« von 1474 26 Überzeugter Europäer — Jean Klinkert — Peter Rückert oder früher Nationalist? Fürst Karl Anton von Hohenzollern (1811–1885) 40 Ein Archiv zwischen 14 Als Württemberg fast bis in — Birgit Meyenberg Frankreich und Deutschland die Normandie reichte Das Beispiel der Archives Herzog Friedrich I. (1557–1608) départementales und die Verpfändung 28 Die »vollkommene du Haut-Rhin in Colmar des Herzogtums Alençon Gleichheit des Vortheils« — Laëtitia Brasseur-Wild — Erwin Frauenknecht Die Eisenbahnbrücke zwischen Kehl und Straßburg von 1861 — Martin Stingl 16 Auf »Grand Tour« Archiv aktuell Frankreich als Ziel von Studien- und Kavaliersreisen 30 »Ach wenn die Siege nur 41 Das Online-Findmittelsystem junger Adliger nicht so furchtbar viel Blut im neuen Gewand — Maria Magdalena Rückert kosten würden!« Redesign des Online-Katalogs Briefe aus dem Deutsch- des Landesarchivs Französischen Krieg — Thomas Fricke 18 Von Spionen, Mordbrennern — Jan Wiechert und Aufbauhelfern Beziehungen zwischen Frankreich 42 Zu Besuch in Windhoek und dem deutschen Südwesten im 31 Verbindungsstrecke Kooperation des frühen Absolutismus für Soldaten und Kanonen Landesarchivs mit dem National- — Johannes Renz Die Wutachtalbahn archiv von Namibia als strategische Bahn — Nicole Bickhoff, Cornelia Bandow, — Annika Ludwig Wolfgang Zimmermann 32 Der Tiefpunkt der deutsch- französischen Geschichte NS-Gewaltverbrechen an Franzosen im Spiegel der Justizakten — Peter Müller
Archivnachrichten 61/ 2020 5 Inhalt 43 Archivgut anders entdecken Sachthematische Zugänge Kulturgut Geschichte im Archivportal-D am gesichert original Beispiel der Weimarer Republik 49 Hoftheaterpersonal kokett 56 Ein Hoch auf Kaiser oder Republik — Inger Louise Banse aufgefächert Von Sigmaringen nach Paris: Die Konservierung eines Deutsche und französische 44 Alltagskultur im Südwesten ungewöhnlichen Accessoires Festkultur um 1900 im Vergleich Ein drittes Themenmodul aus der Fächerstadt — Markus Fiederer für LEO-BW — Andrea Rendler — Inka Friesen 45 Zukunft. digital Archive geöffnet Zum Start der neuen Publika tionsreihe »Werkhefte digital« 50 Die Tochter des Papstes: — Tamara Fröhler Margarethe von Savoyen Eine internationale Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart Quellen — Julia Bischoff, Peter Rückert griffbereit 52 Was können uns 46 Ein großer Sprung für die Gewanne erzählen? Retrokonversion? Ein künstlerisches Hauptstaatsarchiv Stuttgart Projekt von Sara F. Levin testet Texterkennungssoftware an — Peter Müller handschriftlichen Findmitteln — Johannes Renz 53 Kamera läuft! Ausstellung »Nation im 47 Virtuelle Landeserkundung Siegesrausch« im Film der Vergangenheit — Wolfgang Mährle Projekt zur Erstellung eines digitalen Orthofotos von 1968 erfolgreich abgeschlossen Häuser mit Geschichte — Andreas Weber 48 »Es sind nur noch diese einzelnen 54 Als Sigmaringen die Fotografien vorhanden…« französische Hauptstadt war Zur Bedeutung von Fotoaufnahmen Der Prinzenbau für das Erschließungsprojekt von (heute Staatsarchiv) 1944/45 Quellen zur Provenienzforschung — Johannes Weißhaupt im Staatsarchiv Freiburg — Katrin Hammerstein Junges Archiv 55 »L’histoire en Français« Fremdsprachenunterricht im Staatsarchiv Ludwigsburg — Julia Schneider
Zwischen Feindberührung und »amitié«. Unser Nachbar Frankreich Cover: Verkehrsübergabe Rheinbrücke Grenzüberschreitender Austausch und Begeis Kehl – Straßburg, französische Militärkapelle, 23. September 1960. Aufnahme: Willy Pragher terung für die französische Kultur prägten über Jahrhunderte die Beziehungen zu unserem Vorlage: LABW, StAF W 134 Nr. 063635a Präsident Emmanuel Macron und Bundespräsident Frank-Walter Nachbarn Frankreich ebenso wie das Erleben Steinmeier vor dem National- denkmal am Hartmannswillerkopf, 10. November 2017. und Erleiden von Kriegen. Doch erst im 19. Jahr- Aufnahme: Présidence de la République – G. Mariette / L. Blevennec hundert sprach man in der Rückschau von Einschließung und Beschießung der Festung Lichtenberg in »Erbfeindschaft«. Dieses Schlagwort wurde im Deutsch-französischen Krieg 1870 / 71 sowie in den nördlichen Vogesen durch württembergische Truppen am 9. August 1870, Aquarell von Karl Albert Schott (1840–1911), o. D. [um 1900]. den Weltkriegen gezielt gepflegt und propa- Vorlage: LABW, HStAS M 703 R968N37 gandistisch eingesetzt. Nach 1945 gelang eine Überwindung der Gräben – sichtbares Zeichen Schild »Sie kommen aus Europa, sie bleiben in Europa« in Weil, Otterbach. Aufnahme: Willy Pragher Vorlage: LABW, StAF W 134 Nr. der »deutsch-französische Freundschaftsver- 026502 Diese Seite: trag« von 1963. »Zwischen Feindberührung und Einweihung der Brücke Neuenburg – Chalampé, Durchschneidung ›amitié‹« (Zuneigung, Freundschaft) spiegelt des Bandes auf französischer Seite, 17. August 1963. Aufnahme: Willy Pragher sich die wechselvolle gemeinsame Vergangen- heit des deutschen Südwestens und Frankreichs. Vorlage: LABW, StAF W 134 Nr. 069157c
8 Archivnachrichten 61 / 2020 Zwischen Feindberührung und »amitiè« »Die Völker haben ein langes Gedächtnis« Die deutsch-französischen Kriege und die Überwindung der »Erbfeindschaft« 1 Wenn es deutschen Soldaten des Ersten Welt- ken, als er im September 1870 im Gefolge der kriegs in der Etappe oder während des oft auch deutschen Armeen das Königsschloss von ereignislosen Lebens in den Schützengräben Versailles besuchte: Endlich, nach zwei Jahrhun- der Westfront langweilig wurde, konnten sie zu derten ist alle Schmach getilgt, die Er und die erbaulich-patriotischer Lektüre greifen. Neben Seinen dem deutschen Namen gethan. Dieser Tag anderen Durchhalte- und Rechtfertigungs sühnt und rächt Straßburg und Freiburg, Heidel- schriften konnten sie ein schmales Heft lesen, berg und Speyer und die verwüstete Rheinpfalz. das Karl Wild, Professor an der Universität Die Völker haben ein langes Gedächtnis, und alte Heidelberg, 1917 in Kaiserslautern verlegen ließ Schulden werden nicht vergessen. Am 18. Januar und den sperrigen Titel Wie die Franzosen vor 1871 vermerkte schließlich Kronprinz Fried- 200 Jahren in Heidelberg und in der Pfalz hausten rich Wilhelm von Preußen, Sohn des an diesem trug (Abb. 1). Im Untertitel war die Zielgruppe Tag im Spiegelsaal von Schloss Versailles zum der Schrift direkt angesprochen: Für die im Kaiser proklamierten Wilhelm I. voller Stolz in 1 Bucheinband des Werks Schützengraben und für die daheim. Im Vorwort sein Diarium: Ich ließ meine Blicke während dieses von Karl Wild. wird Wilds Intention deutlich. Mit Blick auf das Teils der Feier über die Versammlung und an Vorlage: Karl Wild: Wie die Franzosen vor 200 Jahren in zerstörte Heidelberger Schloss schreibt Wild: die Decke schweifen, wo Ludwigs XIV. Selbstverherr- Heidelberg und in der Pfalz edenfalls sind die Ruinen ein Wahrzeichen der lichungen, riesig in Allegorien und erläuternden, hausten. Kaiserslautern 1917 früheren Ohnmacht Deutschlands […]. Sie sind prahlerischen Inschriften abgebildet, namentlich aber auch eine Warnung vor unserem gefährlichen die Spaltung Deutschlands zum Gegenstand haben, Nachbar im Westen. Auch nach zwei Jahrhunder- und fragte mich mehr als einmal, ob es denn wirk- ten konnte die noch immer lebendige Erinnerung lich wahr sei, daß wir uns in Versailles befänden, an die katastrophalen Zerstörungen der Pfalz, um hier die Wiederherstellung des deutschen Heidelbergs, Mannheims und von Teilen Würt- Kaisertums zu erleben – so traumartig wollte mir tembergs, wie sie auf Befehl des französischen das Ganze erscheinen. (Abb. 3) Die Kaiserpro Monarchen Ludwig XIV. während des Pfälzischen klamation im Spiegelsaal von Versailles, später Erbfolgekrieges stattfanden, zur Ertüchtigung oft als bewusster Akt der Demütigung Frank- des Wehrwillens deutscher Soldaten funktionali- reichs dargestellt, war den handelnden Zeit siert werden. genossen wohl vor allem ein Akt ausgleichender Schon Jahrzehnte vorher, im Deutsch-Franzö- Gerechtigkeit, in einem Gebäude, das prakti sischen Krieg von 1870 / 71 erinnerte man sich scherweise gerade zur Verfügung stand – schließ- auf deutscher Seite noch lebhaft der französi- lich befand sich die militärische und politische schen Angriffe unter dem Sonnenkönig und hatte Führung Preußens und seiner Verbündeten seit das Gefühl, nun eine alte historische Rechnung September 1870 in Versailles. begleichen zu können. Nicht nur die Zerstörungen Unabhängig davon, dass diesen antifranzö der Pfalz durch den berüchtigten Ezéchiel de sischen Rachephantasien durchaus etwas Pro- Mélac (Abb. 2), auch der Raub der Reichsstadt pagandistisches anhaftet, gründen sie doch auf Straßburg und des Elsass, das Ludwig XIV. 1681 tatsächlichen historischen Erfahrungen und Frankreich einverleibte, sollte 1870 / 71 endlich zugefügten Verletzungen, die als Traumata über gerächt werden. Ludwig Pietsch, ein Berliner Generationen hinweg im kollektiven nationalen Schriftsteller und Maler, hatte Revanchegedan Gedächtnis verankert waren. Ein neutraler
Archivnachrichten 61 / 2020 9 Zwischen Feindberührung und »amitiè« 2 Zeuge dafür, dass es sich dabei keineswegs nur den Trümmern des 1806 untergegangenen um die Wahrnehmung der meinungsbildenden Reichs aus und verleibte sich Teile des deutschen deutschen Eliten aus Kultur, Militär und am Hof Nordens bis Hamburg ein. Die süddeutschen handelte, ist der britische Kriegsreporter William Rheinbundstaaten – darunter Baden und Würt- Howard Russell, der angesichts des Elends auf temberg –, die – protokollarisch von Napoleon I. den Schlachtfeldern des Krieges 1870 / 71 über erhöht – unabhängig bleiben durften, bezahl die Gefühle auch der einfachen Krieger aus ten den Preis hierfür mit dem Leben tausender Preußen oder Württemberg grübelt: Es ist die Landeskinder, die als Teil der Grande Armée französische Begeisterung für »la Gloire« […] den Russlandfeldzug mitmachen mussten. Erst deretwegen der seßhafte Deutsche nunmehr eine die Befreiungskriege 1813–1815, die eine Re- ruhige, kalte Befriedigung darin findet, gen Ver- aktion auf das maßlose Ausgreifen Napoleons I. sailles zu marschieren, in Gedanken daran, was die waren, trugen dann den Krieg von deutschem Franzosen vor langer Zeit in Berlin getan haben auf französischen Boden. und zuvor in der Pfalz, und edle Strafen für all das Als der Krieg 1870 / 71 ausbrach, hatten 2 Ezéchiel de Mélac (um 1630–1704), französischer General, zeitweise zu ersinnen, was die Vorfahren seiner gefallenen die französischen Truppen Karten der Pfalz und Befehlshaber der Rheinarmee Feinde seinem Großvater, wenn nicht seiner Groß- Badens im Gepäck, aber keine des Elsass oder Ludwigs XIV., deutscher Kupferstich von 1689. mutter angetan haben. Lothringens. Ziel war es, entlang der Mainlinie Vorlage: https://commons. Hinter den ironischen Worten des Journalisten die süddeutschen Staaten von jenen des Nord- wikimedia.org/wiki/File:WP_Melac. verbirgt sich der ganze Horror der deutsch- deutschen Bundes zu trennen. Mit diesem Plan jpg, public domain französischen Kriegsgeschichte seit dem Ende des war die Hoffnung verbunden, der Partikularis- 17. Jahrhunderts, die mit Ausnahme des Ersten mus in Baden oder Württemberg sei stark genug, Koalitionskriegs und der berühmten Kanonade dass sich der Süden an der Seite Frankreichs von Valmy 1792, bis 1870 / 71 hauptsächlich eine gegen Preußen wenden könnte. Da sich der von Geschichte französischen Ausgreifens öst- Frankreich im Juli 1870 nach preußischer Provo lich des Rheins war. Im Pfälzischen Erbfolge- kation erklärte Krieg von Beginn an auf fran krieg 1688–1697, im Spanischen Erbfolgekrieg zösischem Boden abspielte, erwies sich der 1701–1714, im Österreichischen Erbfolgekrieg Plan als genauso hinfällig, wie die vor allem im 1740–1748 und im Siebenjährigen Krieg Grenzland Baden geäußerte Furcht vor einer 1756–1763 standen französische Truppen auf Invasion Napoleons III. Nicht jeder Badener oder dem Boden des Heiligen Römischen Reichs Württemberger ging mit Begeisterung in den Deutscher Nation und fochten dort für Frank- Krieg gegen Frankreich, doch die Ablehnung reichs Ruhm und dynastische Interessen. In den der erneuten französischen Aggression war auch Napoleonischen Kriegen schließlich weitete im Südwesten allgemein (Abb. 4). Die bewusst das Kaiserreich Frankreich seinen Umfang auf geschürte nationalistische Erinnerung an die 3 Kaiserproklamation Wilhelms I. 3 in Versailles am 18. Januar 1871, Gemälde von Anton von Werner, Friedrichsruher Fassung, 1885. Vorlage: https://commons. wikimedia.org/wiki/File: Anton_von_Werner_-_Kaiser proklamation_in_Versailles_ 1871.jpg, public domain
10 Archivnachrichten 61 / 2020 Zwischen Feindberührung und »amitiè« 4 Württemberger Truppen vor Paris. Aquarell von K. Schott. Vorlage: Württembergs Söhne in Frankreich 1870 / 71. Hg. von Paul Dorsch, Calw / Stuttgart 1910. o.S. 5 Siegesdenkmal in Freiburg / Br. Aufnahme: Jörgens.mi / CC BY-SA 3.0, https://commons. wikimedia.org/wiki/File: Siegesdenkmal_(Freiburg_im_ Breisgau)_jm59159.jpg 4 5 vorangegangenen Kriege des »Erbfeinds« war Weltkriegs stand das Ziel der Wiedergewinnung dabei ein wesentlicher Faktor. Dass sich dennoch des geraubten Elsass in Frankreich an erster sofort nach den ersten großen Schlachten Stelle. Als dann 1914 wieder deutsche Soldaten des August 1870 im ganzen deutschen Südwes- auf französischem Boden standen, ließen sich ten neben den Reservelazaretten auch zahlrei- nun in Frankreich die einseitig zugespitzten che private Spitäler und Hilfsorganisationen der Erinnerungen an 1870 / 71 instrumentalisieren, Pflege zehntausender deutscher und franzö- um gegen die vermeintlichen deutschen Barbaren sischer Verwundeter annahmen, zählt zu den die Civilisation zu verteidigen. Die Wirkmächtig- besten Kapiteln dieses Krieges. keit dieses Narrativs, das nicht weniger hasser- Der Verlauf des Krieges, der mit jedem füllt und historisch unterkomplex war als jenes Monat rücksichtsloser auch gegen die französi- vom »französischen Erbfeind«, zeigte sich dann sche Zivilbevölkerung geführt wurde, mündete im Versailler Vertrag von 1919. Die vermeintliche in die von der deutschen Seite so triumphal Demütigung von 1871 wurde 1919 mit einer empfundene Reichsgründung. Doch hinterließ tatsächlichen Demütigung beantwortet. Dass die dieser Triumph eine mehrfache Belastung, deutsche Delegation den diktierten Frieden in die sich schließlich als tödlich für das Kaiserreich jenem Spiegelsaal unter protokollarisch entwür und als toxisch für die deutsch-französischen digenden Umständen unterzeichnen musste, Beziehungen erweisen sollte. Im ganzen Kaiser war für viele Deutsche schmerzhaft genug. Den reich durchdrang der Militarismus als Folge der Kriegsschuldartikel 231 des Versailler Ver- siegreichen Einigungskriege alle gesellschaft- trages, der einseitig die Verantwortung für die lichen Bereiche. Noch heute künden zahllose Katastrophe des Weltkriegs dem Reich zuschob, Denkmäler und Straßennamen von der damali empfanden jedoch alle Deutschen klassen- gen Anbetung der deutschen Waffen und Helden und parteienübergreifend als ungerecht. (Abb. 5). Generationen von deutschen Schul- In der Mantelnote des Versailler Vertrags wird kindern wurden im Geist des Kriegs erzogen die deutsch-französische Kriegsgeschichte seit und man darf wohl vermuten, dass das für die dem 17. Jahrhundert bis zum Beginn des Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht ohne Weltkriegs indirekt in einer Weise dargestellt, Bedeutung war. Die Annexion des Elsass und von die in Deutschland als Zumutung empfunden Teilen Lothringens, die in Deutschland zum einen wurde: Während langer Jahre haben die Regie- als historische Wiedergutmachung und zum renden Deutschlands, getreu der preußischen anderen als strategischer Schutz des deutschen Tradition, die Vorherrschaft in Europa angestrebt. Südwestens vor französischen Angriffen Die ungeheuerlichen Verwüstungen, welche die gedeutet wurde, war für Jahrzehnte Frankreichs deutschen Armeen 1914–1918 in Belgien und blutende Wunde und Grundlage einer dauerhaften im Nordosten Frankreichs hinterließen, können Politik der Revanche. Bei Beginn des Ersten solche Wertungen aus französischer Sicht
Archivnachrichten 61 / 2020 11 Zwischen Feindberührung und »amitiè« erklären; doch viele Deutsche rechneten gebliche »Erbfeindschaft« in eine deutsch- ±Literaturhinweise diese trotzdem mit den Kriegen Frankreichs französische Freundschaft zu verwandeln. Tobias Arand: Epochenjahr 1917 seit dem 17. Jahrhundert gegen, empörten Dass der Impuls hierfür von Ludwigsburg (Geschichte und Geschehen. Themeheft). Stuttgart / Leipzig 2007. und entlastetet sich so zugleich von ihrer ausging, ist aus südwestdeutscher Sicht ein eigenen Schuld. Der Kampf gegen den besonderes Glück. Am 9. September 1962 Tobias Arand: 1870 / 71. Die Geschichte des Deutsch-Französi- Schandvertrag von Versailles, seine Umstän reichte Frankreichs Präsident Charles de schen Krieges erzählt in de und einseitigen Schuldzuweisungen Gaulle in einer Rede im Innenhof des Lud- Einzelschicksalen. Hamburg 2018. waren es, die Adolf Hitler Popularität über wigsburger Schlosses der deutschen Jugend Gestorben für ›Vaterland‹ und das braune Milieu hinaus einbrachten und die Hand zur Freundschaft: Die Zukunft un- ›Patrie‹. Die toten Krieger aus dem Feldzug von 1870 / 71 auf dem ihm so half, die Macht zu erringen. Daran serer beiden Länder, der Grundstein, auf dem ›Alten Friedhof‹ in Ludwigsburg. zeigt sich mit aller Deutlichkeit die Ge- die Einheit Europas errichtet werden kann und Ludwigsburg 2012. fährlichkeit einseitig-nationalistischer, die muß, und der höchste Trumpf für die Freiheit Erbfeinde – Erbfreunde. Die eigene Schuld und Verantwortung leug- der Völker bleiben die gegenseitige Achtung, das deutsch-französischen Beziehungen zwischen 1870 und 1945 im nender Geschichtsbilder. Die Verantwort- Vertrauen und die Freundschaft zwischen dem Spiegel zeitgenössischer Literatur. lichen beider Seiten haben sich im 19. und französischen und dem deutschen Volk. (Abb. 6) Ausstellungskatalog. Hg. vom 20. Jahrhundert derartiger Geschichtsbilder Trotz mancher Belastungsproben dieser Deutsch-Französischen Institut. Ludwigsburg 2007. bedient, um ihre Interessen zu verfolgen Freundschaft, zuletzt in der Corona-Krise und die Völker aufeinander zu hetzen. seit März 2020, hat sie zum Glück bis heute Michael Jeismann: Das Vater- land der Feinde. Studien Ein umso größeres Wunder ist es, dass Bestand. ±Tobias Arand, Professor zum nationalen Feindbegriff und es nach den deutschen Verbrechen im für Geschichte und Geschichtsdidaktik Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918. Zweiten Weltkrieg gelingen konnte, die an- an der PH Ludwigsburg Stuttgart 1992. Jörn Leonhard: Der überforderte Friede. Versailles und die Welt 6 1919–1923. München 2018. Nation im Siegesrausch. Württem berg und die Gründung des Deutschen Reichs 1870 / 71. Hg. von Wolfgang Mährle. Stuttgart 2020. Roland Vetter: »Die ganze Stadt ist abgebrannt« – Heidelbergs zweite Zerstörung im Pfälzischen Erbfolgekrieg. Karlsruhe 2016. Wolfram Wette: Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur. Darmstadt 2008. Mareike König und Élise Julien: Verfeindung und Verflechtung. Deutschland und Frankreich 1870– 1918 (Deutsch-Französische Geschichte 7). Darmstadt 2019. 6 De Gaulle während der »Rede an die deutsche Jugend« am 9. September 1962. Vorlage: Bundesarchiv B 145 Bild-00011789 Aufnahme: Simon Müller
Archivnachrichten 61 / 2020 13 Zwischen Feindberührung und »amitiè« Württemberg und Montbéliard Die »Mömpelgarder Genealogie« von 1474 Für die Beziehungen zwischen dem deutschen Überführung in die Stiftskirche nach Montbé- Südwesten und Frankreich war die Verbindung liard, beschreibt sie die genealogische Abfolge zwischen Württemberg und Montbéliard von und Verwandtschaftsverhältnisse der Grafen herausragender Bedeutung: Über vier Jahrhun- von Montbéliard bis zur Heirat zwischen derte, von 1397 bis 1796, gehörte die Grafschaft Henriette und Eberhard. Besondere Bedeutung 1 Wappen von Württemberg Montbéliard an der burgundischen Pforte zu kommt der Darstellung wegen ihrer kostbaren und Montbéliard in der Württemberg, bis sie im Zuge der Französischen Illustrationen zu, die von dem Schreibkünstler »Mömpelgarder Genealogie«. Revolution an Frankreich abgetreten wurde. und Buchmaler Stephan Schriber am Uracher Hof Vorlage: LABW, HStAS A 266 U 1, S. 8 Durch die Heirat zwischen Graf Eberhard IV. gestaltet wurden. Der Text wurde offenbar in von Württemberg und Henriette von Mont Montbéliard für Graf Eberhard im Bart verfasst. béliard, der Erbtochter des bedeutenden Grafen- Die Mömpelgarder Genealogie, die in geschlechts, war die Grafschaft in die Hände mehreren Parallelhandschriften und Abschriften der Grafen von Württemberg gelangt. Damit überliefert ist, weist mit Eberhards Devise war der Anfang für eine neue Adelsdynastie Attempto (Ich wag’s) auf der Titelseite und der gemacht, die auch in der Herrschaftssymbolik Jahreszahl 1474 auf seine berühmte Uracher der Familie ihren Ausdruck fand: Das Wappen Hochzeit mit Barbara Gonzaga hin (Abb. 2). Ihre der Grafschaft Montbéliard, zwei goldene Entstehung ist also im Kontext der angespro- Barben auf rotem Grund, wurde in den Württem- chenen Herrschaftsrepräsentation und dynasti- berger Wappenschild, neben die drei schwar- schen Selbstdarstellung zu verstehen: Der zen Hirschstangen auf goldenem Grund, aufge Fürst präsentiert die internationale Bedeutung nommen (Abb. 1). seiner Dynastie! Graf Eberhard im Bart von Württemberg Eine Miniatur zeigt die ganze Gestalt des (1445–1496), der Enkel Henriettes und Eber- jugendlichen Grafen Eberhard im Bart. In der hards IV., brachte seinen besonderen Stolz auf Rechten hält er den württembergischen Wappen- 2 Titelseite der »Mömpel- seine vornehme Mömpelgarder Abstammung schild, in der Linken das kurpfälzische Wappen garder Genealogie«. in vielfältiger, repräsentativer Weise zum seiner Mutter, Mechthild von der Pfalz. Darüber Vorlage: LABW, HStAS A Ausdruck. So sollten die Wappen seiner Ahnen finden sich die Wappen seiner Großeltern und 266 U 1, S. 2 den neuen Festsaal in seinem Schloss Urach der Mömpelgarder Ahnenpaare aus drei weite- zieren, wie Eberhard auch weitere solcher ren Generationen (Abb. 3) – der Stolz Eberhards Ahnenproben in seinen Kirchenbauten monu auf seine Mömpelgarder Vorfahren steht hier mental anbringen ließ. stellvertretend für das Haus Württemberg und In besonders kostbarer Form hat Eberhard dessen Nähe zu Burgund und Frankreich. im Bart eine Handschrift anfertigen lassen, die Als nach dem Zweiten Weltkrieg erste von der Familiengeschichte des Hauses Mont- Schritte der Versöhnung zwischen Deutschland béliard berichtet: Die sogenannte Mömpel und Frankreich aufgenommen wurden, war garder Genealogie von 1474. Bereits der Titel die Städtepartnerschaft zwischen Ludwigsburg verrät die inzwischen erfolgte Eindeutschung und Montbéliard im Jahr 1950 die erste deutsch- 3 Graf Eberhard im Bart in des französischen Montbéliard zum schwäbischen französische Städtepartnerschaft, die hierfür der »Mömpelgarder Genealogie« Mümpel- oder Mömpelgard: Wie Mümpelgard an wegweisend wirken sollte – die Erinnerung zwischen den Schilden seiner Vorfahren. die herrschaft Wirtemberg khomen ist, ist sie an die gemeinsame historische Vergangenheit Vorlage: LABW, HStAS A 266 überschrieben. Beginnend mit der Erhebung der von Württemberg und Montbéliard hatte U 1, S. 13 Reliquien des heiligen Maimbœuf und ihrer den Ausschlag dafür gegeben. ±Peter Rückert
14 Archivnachrichten 61 / 2020 Zwischen Feindberührung und »amitiè« Als Württemberg fast berühmten Edikt von Nantes 1598 wurde der württembergische Herzog als treuer Alliierter bis in die Normandie reichte der französischen Krone erwähnt – beides war für den prestigebewussten Württemberger Herzog Friedrich I. (1557–1608) äußerst wichtig. Um die Kredite zurückzuzahlen, sollte Fried- und die Verpfändung rich pfandweise die Einkünfte des Herzogtums Alençon in der Normandie erhalten. Pläne des Herzogtums Alençon dazu wurden bereits 1598 / 99 mit Heinrich IV. verabredet, federführend auf württembergi- scher Seite war Friedrichs Vertrauter Benjamin Bouwinghausen von Wallmerode. Aber die Sache landete vor Gericht, denn das Herzogtum ge- hörte zum französischen Tafelsilber – als Apanage war es den Prinzen der Bourbonen vorbehalten und eigentlich unveräußerlich. Der Streit der 1 Beglaubigte Abschrift des Als Fürst ohne Grenzen hat man den württem- französischen Rechtsgelehrten darüber dauerte Vertrags von Alençon, datiert vom 23. April 1605. bergischen Herzog Friedrich I. bezeichnet – bis 1605. Vorlage: LABW, HStAS nicht nur wegen seiner imponierenden Reisen, Friedrich war dann Titularherzog von A 115 Bü 37 sondern auch wegen seiner umtriebigen politi- Alençon. Der Vertrag wurde in gedruckter Form schen Ambitionen. Bereits vor seinem Herr- publiziert: Contract d’Engagement faict par 2 Titelblatt des gedruckten schaftsantritt in Württemberg (1593) war er als le Roy à Monseigneur le Duc de Wirtemberg des Vertrags von 1606. Graf von Mömpelgard in die konfessionellen Domaines, Chateaux, terres et Seigneuries d’Alen Vorlage: LABW, HStAS A 115 Bü 44 Spannungen in Frankreich verwickelt, die seit çon (1606). Format und Ausgestaltung der 1585 im Krieg der drei Heinriche eskalierten. gedruckten Urkunde sind ungewöhnlich, im Friedrich unterstützte dabei Heinrich von Na- Bestand LABW, HStAS A 115 sind neben einer varra (1553–1610) – dieser galt als zukünftiger beglaubigten Abschrift (Abb. 1) auch mehrere Thronfolger und als Garant für die französi- gedruckte Exemplare mit Pergamenteinband schen Protestanten. und Goldprägung vorhanden (Abb. 2). Der würt- Die finanziellen Leistungen Friedrichs waren tembergische Gesandte und zeitweilige Ober- enorm, an eine Rückzahlung der Subsidien war vogt Hans Jakob Breuning von Buchenbach auch nach der Thronbesteigung Heinrichs IV. verfasste dazu auch eine aufwendig gestaltete (1594) kaum zu denken. Dankbarkeit und Wert- Geschichte der Herzöge von Alençon. schätzung des französischen Königs äußerten Der finanzielle Gewinn aus dem Pfandbesitz sich zunächst anders: 1596 verlieh er Friedrich war bescheiden, denn die Verwaltungskosten den französischen Michaelsorden, und im des Herzogtums – als Statthalter wurde von 1 2
Archivnachrichten 61 / 2020 15 Zwischen Feindberührung und »amitiè« 3 Wappenentwurf von 1607. 3 Das neue, zentrale Element ist der bekrönte Herzschild mit dem Wappen des Her zogtums Alençon: drei gol- dene Lilien in blau, umgeben von einem roten Bord mit acht goldenen Kugeln. In der Helmzier wird das Wappen im Kleid des Mömpelgarder Fischweibleins erneut dargestellt. Die umlaufende Kette und die Umschrift (HONY SOIT QVI MAL Y PENSE) nehmen Bezug auf die beiden renommierten Orden, die Herzog Friedrich erhalten hatte: 1596 den Michaelsorden (Kette) und 1603 den englischen Hosen- bandorden (Umschrift). Vorlage: LABW, HStAS 115 Bü 43 Bouwinghausen eingesetzt – fraßen die Einkünf- Kette steht für den französischen Michaelsorden, te vollständig auf. Umso größer aber war der die Umschrift HONY SOIT QVI MAL Y PENSE Prestigegewinn, den Friedrich auch repräsenta- symbolisiert den englischen Hosenbandorden, tiv zum Ausdruck bringen wollte. Das verdeut- den Friedrich 1603 erhalten hatte. Beide Ver- licht der Entwurf für ein neues Staatswappen leihungen steigerten das Prestige des Würt von 1607 (Abb. 3). Dem bisherigen Wappen tembergers an den europäischen Höfen. Im wird als Herzschild das Wappen von Alençon Januar 1608 ist Friedrich unerwartet gestorben, hinzugefügt. Die drei gekrönten bourbonischen die geplante heraldische Repräsentation mit Lilien, umgeben von einem kugelbesetzten dem neuen Wappen wurde nicht verwirklicht. roten Bord, weisen prominent auf den prestige- 1612 schließlich fand die Episode ein Ende, trächtigen neuen Titel hin. Zudem nahm denn für rund 750.000 Gulden löste die fran- das neue Wappen auch die beiden renommierten zösische Krone das Herzogtum Alençon wieder Orden auf, die Friedrich bekommen hatte: die aus. ±Erwin Frauenknecht
1
Archivnachrichten 61 / 2020 17 Zwischen Feindberührung und »amitiè« Auf »Grand Tour« Da Reisen in der Vormoderne nicht nur ein teu- res Unterfangen, sondern – zumal in den Zeiten Frankreich als Ziel des Dreißigjährigen Krieges – auch immer mit Gefahren für Leib und Leben verbunden war, von Studien- kam den Hofmeistern, die die jungen Touristen begleiteten, eine zentrale Rolle zu. In ständi- und Kavaliersreisen gem brieflichen Kontakt mit den Daheimgeblie- benen stimmten sie nicht nur den Stundenplan, junger Adliger sondern auch die Reiseroute ab. Johann Chris- toph und Joachim Gottfried von Limpurg-Gail- dorf reisten nahezu drei Jahre durch Frankreich. Vom Juli 1611 bis zum Mai 1614 ging es von Straßburg über Paris die Loire entlang bis nach Bordeaux, Toulouse und Marseille und über Lyon und Dijon wieder zurück nach Paris, wo sie elf Monate blieben. Paris war der Höhepunkt einer jeden Kava- lierstour, da hier die Studia florieren, auch dabei die exercitia und politica am besten im schwang gehen. Neben allerlei Studien, Fechten und Reiten wurden hier Opern, Komödien und Ball- 2 häuser sowie die umliegenden sehenswerten königlichen Schlösser, so z. B. Fontainebleau, besucht. Länger hielten sich die Limpurger auch an den protestantischen Ritterakademien in Sedan und Saumur auf. Saumur galt zudem als der Ort, an dem die französische Sprache am reinsten gesprochen wurde. Diese zu erlernen war ein weiteres Ziel der ausgedehnten Frank- reichreisen. Wer diese Sprache, die vor allen an- deren rhumb und vorzug hatte, nicht beherrschte, war unter Grafen und Herren wenig angesehen und aestimiert. Deshalb sollten nicht nur prae- cepta grammaticis, sondern auch die natürliche pronunciation im Land selbst geübt werden. Dies konnte schwierig werden, wie etwa Philipp Albrecht von Limpurg 1665 erfuhr, da sich zu viele estrangers in der Stadt aufhielten, die sich lieber ihrer deutschen Muttersprache bedien- ten. Daher schrieb auch der Hofmeister Graf Otto Heinrichs immer wieder nach Gaildorf, um Geld für die Weiterreise 1 Brief mit Karikatur des Hof- Frankreich galt in der Frühen Neuzeit neben nach Paris zu erbitten. Allerdings starb der meisters des Schenken Philipp Albrecht von Limpurg, Italien als das zweite bedeutende Ziel von Kava Grafensohn am 4. Oktober 1653 in Saumur an Johann Heinrich Hipp, an liersreisen. Auf der Grand Tour sollten junge Fieber und ließ seinen Hofmeister, der noch einen ungenannten Schuldner Adelige Kontakte knüpfen, Bildung und Weltläu- einen Grabstein in Paris für ihn in Auftrag gab, mit der Bitte um Aufschub der Rückzahlung einer Geld- figkeit erlangen und die vorbildliche französische mit Schulden zurück. Anderen Gefahren erlag schuld [1666]. Hof- und Adelskultur – die courtoisie – kennen- der zu Ausbildungszwecken nach Frankreich Vorlage: LABW, StAL B 114 lernen, die sie dann an ihren eigenen Höfen geschickte Philipp Albrecht. Er sprengte Bü 3013 imitierten. So auch für die Erbschenken von 1668 die Reisekasse, da er sich nur noch Diane 2 Itinerar der Reise der Schenken Limpurg, die im 17. Jahrhundert regelmäßig ihre und Venus – c’est à dire la chasse et l’amour – Johann Christoph und Söhne nach Frankreich schickten, um sich die widmete. Besonders interessant sind die Joachim Gottfried von Limpurg- Gaildorf 1611–1614. dortigen mores, die nicht allein in ceremonia und Reiseberichte im Limpurger Bestand auch des- Vorlage: LABW, StAL B 114 handkhüssen bestehen sollten, anzueignen, gal- halb, weil sie zuweilen über tagespolitische Bü 4937 ten doch die Franzosen in geberden den Teutschen Ereignisse wie etwa eine von König Ludwig XIII. überlegen. Eine wahre Fundgrube zur Erforschung 1626 aufgedeckte Verschwörung oder die von Studienreisen nach Frankreich bieten um- Friedensverhandlungen Kardinal Mazarins fangreiche Briefwechsel, Itinerare, Rechnungen mit Spanien berichten, die 1659 in den Pyrenä- und Reiseinstruktionen im Bestand LABW, StAL enfrieden münden sollten. B 114 des Staatsarchivs Ludwigsburg. ±Maria Magdalena Rückert
18 Archivnachrichten 61 / 2020 Zwischen Feindberührung und »amitiè« Von Spionen, Mordbrennern und Aufbauhelfern Beziehungen zwischen Frankreich und dem deutschen Südwesten im frühen Absolutismus Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges sionspolitik des französischen Königs mit der gelang es dem zur führenden europäischen Groß- vorübergehenden Besetzung Mömpelgards macht aufgestiegenen Frankreich zunehmend, seit 1676 zu spüren. Im Jahr darauf fiel Freiburg sein Territorium nicht nur in Richtung des im Breisgau für 20 Jahre an Frankreich. Als Rheins auszudehnen, sondern auch immer nachhaltige französische Erfolge erwiesen sich mehr Einfluss auf den deutschen Südwesten zu u. a. die sukzessive Annexion des Elsass und des nehmen. Die Rheinische Allianz (Erster Rhein- Sundgaus sowie die Besetzung der Grenzstadt bund) und die Aufstellung eines französischen Straßburg im Jahr 1681. Kandidaten für die Kaiserwahl von 1658 waren Gegen die französische Expansion konnte erste Wegmarken in der Politik des jungen und die im gleichen Jahr erlassene neue Reichs- aufstrebenden Königs Ludwig XIV., die seine heeresverfassung wenig ausrichten. So hatte 1 Titelblatt eines Propaganda lange Regierungszeit prägen sollten. Promi- etwa der Schwäbische Reichskreis lediglich gut gedichts gegen Frankreich, nentes Ereignis im Südwesten war der Tod des 5.000 Mann Sollstärke als eigenes Kontingent in welchem die französischen Truppen mit den Tataren französischen Marschalls Henri de Turenne bei aufzubieten, hochgerechnet auf das gesamte und Osmanen verglichen Sasbach in der Ortenau im Jahr 1675 während Reich waren es etwa 40.000 Mann. Im Vergleich werden. Darin auch folgende Zeile: »Befehl ertheilet er des Holländischen Krieges, der später in einem dazu wird die damalige französische Armee- so wider alle Rechte, Spionen Denkmal festgehalten wurde. Als deutsch- stärke auf mindestens 200.000 Mann geschätzt. sind ihm lieb und wärens gleich nur Knechte«, Druck 1689. französisches Kooperationsprojekt entstand Vom Reichsheer zu unterscheiden waren zwar Vorlage: LABW, HStAS dort im April 2001 auch ein Museum. Württem die wesentlich besser ausgerüsteten Kaiser- A 115 Bü 54 berg bekam die Auswirkungen der Expan- lichen Truppen, welche zu diesem Zeitpunkt 1 2
Archivnachrichten 61 / 2020 19 Zwischen Feindberührung und »amitiè« aber weitgehend mit der Abwehr der Osmanen unter denen neben dem bereits genannten ausgelastet waren. Dazu kam dann auch noch Turenne der Offizier Ezéchiel de Mélac die gezielte Anwerbung von Spionen von Seiten besonders berüchtigt war. Die Schlossruinen Frankreichs. Durch einen Archivalienerwerb von Heidelberg und Hirsau sind heute noch im Jahre 1958 gelangte ein Verhörprotokoll gegen Zeugen dieser Epoche. den 18-jährigen Studenten Adam Bruckert aus Auswirkungen auf den deutschen Südwesten Offenburg in die württembergischen Kriegs- hatte auch die Religionspolitik Ludwigs XIV.: akten, der für die Franzosen die Befestigungs- Im Zuge des Edikts von Fontainebleau am werke verschiedener südwestdeutscher Städte 18. Oktober 1685, welches das Toleranzedikt erkundet haben soll. Ihm wurden schließlich Heinrichs IV. von 1598 auf- und den Katho nach dem Urteil eines Kriegsgerichts Nasen [sic!] lizismus endgültig in den Rang einer französi- und Ohren durch den Hencker abgeschnitten […], schen Staatsreligion erhob, warb Württemberg in den Backen Ein galgen gebrennt und ihm auf gezielt hugenottische Glaubensflüchtlinge an, diese Weise der Ruckwegh nach Straßburg halber die u. a. in Cannstatt, Stuttgart und später gewiesen, wo er studiert hatte. Dies war für die auch Ludwigsburg zur Errichtung von Manufak- damalige Zeit ein maßvolles Urteil, da für Spione turen und damit zur Förderung des Handwerks noch bis ins 20. Jahrhundert (Mata Hari!) die angesiedelt wurden. Ähnliche Maßnahmen 2 Urteil eines Kriegsgerichts Todesstrafe galt, aber gerade damit erhoffte gab es auch in Baden (Siedlungen Neureut im Lager bei Biberach sich das Gericht wohl die größere Abschreckung. und Friedrichstal). Diese Maßnahmen dienten (heute Ortenaukreis) gegen den Studenten und Spion Während des Pfälzischen Erbfolgekriegs letztlich als Blaupause für die Aufnahme der Adam Bruckert vom (1689–1697) verwüstete die französische Armee piemontesischen Waldenser, deren Höhepunkt 23. Mai / 2. Juni 1690. nicht nur die Pfalz (u. a. die Städte Heidelberg, im Jahr 1699 anzusetzen ist und zur Errichtung Vorlage: LABW, HStAS A 29 Bü 163 (Erwerbung 1958) Mannheim und Bretten), sondern auch badische eigener Siedlungen führte, die auch heute (u. a. Durlach, Ettlingen und Pforzheim) und noch französische Namen tragen, etwa Perouse, 3 Rekonstruktion des württembergische Städte (u. a. Backnang, Beil- Pinache, Groß- und Kleinvillars oder Serres. Klosters Hirsau nach alten stein, Calw, Marbach, Vaihingen und Winnen- Diese Migranten erwiesen sich ähnlich wie Abbildungen, Druck o. D. Vorlage: LABW, HSTAS den). Auch das Kloster Hirsau wurde ein Opfer in Preußen im kriegsgebeutelten Südwesten als J 190 Hirsau der Politik der französischen Mordbrenner, nachhaltige Aufbauhelfer. ±Johannes Renz 3
20 Archivnachrichten 61 / 2020 Zwischen Feindberührung und »amitiè« Spiegel deutsch- französischer Beziehungen Das Turenne-Denkmal in Sasbach 1
Archivnachrichten 61 / 2020 21 Zwischen Feindberührung und »amitiè« 2 Wie aus einem Gedenkstein zum Ruhm und Karl X. wurde zwischen 1826 und 1829 – Sasbach Tod eines Feldherrn ein Friedenssymbol werden gehörte nunmehr zu Baden, der Platz um das kann, zeigt die Geschichte des Turenne-Denk- Denkmal blieb französisch – ein neues, drittes mals in Sasbach. Am 27. Juli 1675 befehligte der Ehrenmal aus bläulichem Granit aufgestellt und 1611 in Sedan geborene und durch Ludwig XIV. 1854 mit einem neuen Wächterhaus versehen. zum maréchal général des camps et armées du Danach war das Denkmal jedoch Anschlägen roi ernannte Henri de la Tour d’Auvergne, ausgesetzt, Ursache nationalistischer Streitig- vicomte de Turenne, die französischen Truppen keiten und vielfach Thema in der deutschen und am Rhein. Um sich in der Schlacht gegen die französischen Presse, wo durchaus rüde Text- kaiserlichen Truppen des Generals Raimondo passagen wie: Achern, 22. Nov. Sind denn die Fran- von Montecuccoli einen besseren Überblick zosen gänzlich verrückt? […] Es ist aber nicht nur über das Schlachtfeld bei Sasbach zu verschaf- dummes Zeug, sondern es ist auch verlogen und fen, ritt Turenne auf eine Anhöhe, wo er durch impertinent (Bezirksamt Achern) gedruckt wurden. eine Kanonenkugel aus den Geschützen der Im Jahr 1940 ordnete Hitler die Zerstörung Truppen des Markgrafen von Baden getroffen des Gedenkorts an, und nur der List des seiner- wurde. Inmitten seiner Untergebenen soll der zeitigen französischen Denkmalwächters ist es 1 Das heutige (vierte) Turenne- Denkmal in Sasbach. als Vater der Soldaten bekannte Feldherr seinen zu verdanken, dass der Gedenkstein erhalten Fotografiert von der dazu- Verletzungen erlegen sein. blieb, da er ihn vor seiner Abberufung auf dem gehörigen Allee aus. Als sich 1766 der Erbprinz von Braunschweig Grundstück vergrub. Nach Kriegsende unter Aufnahme: LABW, Sinah Panizic und der Marquis de Castries von Straßburg auf französischer Besatzung wurde das Ehrenmal die Spuren Turennes begaben, stellten sie fest, wiederaufgebaut und schließlich im Oktober 2 Das vierte Turenne- dass kein Erinnerungsmal am Sterbeort des 1945 das inzwischen vierte Turenne-Denkmal Denkmal in Sasbach mit französischen Nationalhelden errichtet worden durch General de Gaulle feierlich eingeweiht. erstem Gedenkstein. war. Daraufhin ließ der Militärgouverneur von 1998 gelangten Wächterhaus und Grund- Aufnahme: LABW, Sinah Panizic Straßburg einen dreieckigen, etwa anderthalb stück in den Besitz der Gemeinde Sasbach. In Meter hohen Gedenkstein mit dem Text: Hier ist Zusammenarbeit mit dem Haus der Geschichte 3 Zeitungsartikel zum Turenne vertoetet worden. errichten. Baden-Württemberg richtete man dort ein Turenne-Denkmal. Um mehr Ansehen am französischen Hof Museum als deutsch-französischen Erinne- Vorlage: LABW, StAF B zu erlangen, verfügte Kardinal Louis de Rohan- rungsort ein. Das Turenne-Denkmal in Sasbach 685 / 1 Nr. 1386 Guéméné, Fürstbischof zu Straßburg und war stets ein Gradmesser deutsch-französischer 4 Kopie eines Kupferstiches Landesherr, einen dreieckigen, über 15 Meter Befindlichkeiten. Was ursprünglich die von Christophe Guérin hohen Obelisken aus schwarzem Marmor und militärische Stärke einer Großmacht versinn- nach einer Zeichnung von ein Wächterhaus an Turennes Todesstelle zu bildlichen sollte, wurde später zum Symbol d’Etienne, 1782. Vorlage: LABW, StAF B errichten. Dieser, 1785 fertiggestellt, fiel bereits des Willens, nie wieder gegeneinander Krieg zu 685 / 1 Nr. 1384 1786 einem Sturm zum Opfer. Erst unter König führen. ±Sinah Panizic 3 4
22 Archivnachrichten 61 / 2020 Zwischen Feindberührung und »amitiè« 1 Brief von Pierre Philippe 1 Maelrondt, Agent der Markgräfin in Paris, an Karoline Luise von Baden über die aktuellen Mode- trends an der Seine mit beigefügten Stoffmustern, Paris 18. August 1754. Vorlage: LABW, GLAK FA 5 A Corr. Bd. 43, 48 (Eigentum des Hauses Baden) 2 Pierre Philippe Maelrondt (?). Skizze einer Damenfrisur, um 1770. Vorlage: LABW, GLAK Hfk Hs. 434 IV, 5 (Eigentum des Hauses Baden) 3 Pierre Philippe Maelrondt (?). 3 Kostümstudie einer Dame in Reifrock, um 1760. Vorlage: LABW, GLAK Hfk Hs. 434 V, 1 (Eigentum des Hauses Baden) Online-Angebot: Kunst und Korrespondenz. Karoline Luise von Baden: https://www.karoline-luise. la-bw.de/
Archivnachrichten 61 / 2020 23 Zwischen Feindberührung und »amitiè« »wo Mode und der gute Ton die Seele der Stadt ausmachen« Eine markgräfliche Familienreise nach Paris im Jahr 1771 Paris – die Metropole an der Seine wurde in (1715–1808) oder Jean-Henri Eberts (1726–1803) Reisehandbüchern des 18. Jahrhunderts als öffneten der Markgräfin die Türen zu den Ateliers eine mit von den angenehmsten, galantesten und der Künstler. Kultureller Höhepunkt der Paris- vollkommensten Städten in Europa gefeiert. reise war die Teilnahme der badischen Gäste an Neue Trends in den Wissenschaften, der Philo- einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften sophie oder der Kunst wurden hier diskutiert, sowie der Königlichen Akademie für Malerei die Art und Weise, wie man sich in Paris kleidete, und Bildhauerei. sowie der Lifestyle der Aristokraten und Intel- Die beiden ältesten Söhne erhielten jeden lektuellen prägten ganz Europa. Versailles Vormittag Unterricht durch die führenden war der Inbegriff absolutistischer Herrschaft Wissenschaftler der Stadt, den Chemiker Jacques- und Repräsentation. Antoine Cousin (1739–1800), den Physiker Der Besuch von Paris war für jugendliche Balthazar-Georges Sage (1740–1824) und Adelige auf ihren Kavalierstouren ein Muss die beiden Nationalökonomen Pierre Samuel – so auch für die Prinzen aus dem Hause Baden- Dupont de Nemours (1739–1817) und Marquis Durlach. Markgraf Karl Friedrich (1728–1811) de Mirabeau (1715–1789). Ganz im Sinn des und seine Gattin Karoline Luise (1723–1783) aufgeklärten Absolutismus sollten die Prinzen verwandelten jedoch die geplante Reise ihrer in den Natur- und Staatswissenschaften aus- beiden ältesten Söhne Karl Ludwig (geb. 1755) gebildet werden, um deren Erkenntnisse später und Friedrich (geb. 1756) kurzerhand in einen in Regierungshandeln umzusetzen. mehrmonatigen Bildungsaufenthalt der ganzen Der Tagesablauf der Prinzen war eng getaktet Familie, an dem auch der dritte und jüngste und bot nur wenig Erholung. Karl Ludwig durfte Sohn Ludwig (geb. 1763) teilnahm. Erbprinz sich zumindest an einem Abend beim diner Karl Ludwig führte – natürlich auf Französisch entschuldigen, denn schließlich waren ihm vor- – ein ausführliches Tagebuch (Journal d’un mittags sechs Zähne gezogen worden (je me voyage fait à Paris en 1771), in dem sich eigene suis fait separer les 6 premières dents d’en haut). Schilderungen mit nur wenig veränderten Sehen und gesehen werden war das Motto Exzerpten aus den gängigen Reiseführern bei den Spaziergängen auf den Pariser Boulevards. vermischten. Auch dafür war Markgräfin Karoline Luise Markgraf Karl Friedrich führte seinen von ihren Korrespondenzpartnern gut vorberei- ältesten Sohn in dessen künftige Aufgaben als tet worden: Man wusste, was in war und wie man badischer Regent ein. Es galt höfisches Leben sich zu kleiden hatte. Denn – so hatte ihr 1762 einzuüben und Kontakte zu knüpfen. Die bei- Baron Carl Ludwig August von Palm geschrieben den Empfänge durch Ludwig XV. in Versailles – Paris war die Metropole, in der Mode und der bildeten dabei den Höhepunkt, auch wenn gute Ton die Seele der Stadt ausmachten; wenn der Erbprinz enttäuscht in seinem Tagebuch auch manche Dame zu extravagant auftrat, wie vermerkte, dass der König nur mit seinem Vater ein englischer Beobachter dem Baron zuraunte: gesprochen und ihn gar nicht beachtet habe. these beauties are too artificial for my taste. Den diplomatischen Codes der Zeit entsprechend Im September 1771 fand die Reise der mark- trat man in einem spielerischen Inkognito als gräflichen Familie ein abruptes Ende: Es war Grafen von Eberstein auf, nicht, um unerkannt zu befürchten, dass in Rastatt Markgraf August ±Literaturhinweise zu bleiben, sondern um die starren Regeln Georg Simpert von Baden-Baden sterben Die Meistersammlerin. Karoline Luise von Baden. Hg. von Holger des höfischen Zeremoniells zu umgehen. könnte. Die Vereinigung der seit 1535 geteilten Jacob-Friesen u. a. München 2015. Die umfassend gebildete Markgräfin Karoline Markgrafschaft war greifbar nahe. Jetzt musste Aufgeklärter Kunstdiskurs und Luise besuchte mit Prinz Friedrich, der die Vor- der Regent in Karlsruhe präsent sein. Pferde höfische Sammelpraxis. Karoline liebe für die schönen Künste mit seiner Mutter und Kutschen wurden auf dem Heimweg nicht Luise von Baden im europäischen Kontext. Hg. von Wolfgang teilte, die öffentlichen und privaten Kunst- geschont: Vier Achsenbrüche hielt Karl Ludwig Zimmermann u. a. München 2015. sammlungen der Stadt. Langjährige Korrespon- in seinem Tagebuch fest. denzpartner wie etwa Johann Georg Wille ±Wolfgang Zimmermann
Sie können auch lesen