UniPress* - Forschen - auch in der Nacht - Universität Bern
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Forschen – auch in der Nacht * Gespräch – Stig Förster und Daniel M. Segesser zum Grossen Krieg 32 * Begegnung – Albert Gobat, der unzimperliche Friedenskämpfer 36 Au g u st 2 0 1 4 161 * Forschung – Frischer Atem leicht gemacht 28 UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern
Der universitäre Abschluss als Ziel Rund 64 verschiedene Weiterbildungsabschlüsse an der Universität Bern www.weiterbildung.unibe.ch Master of Advanced Studies MAS Diploma of Advanced Studies DAS Certificate of Advanced Studies CAS Frei Zeit* Wir suchen Assistenzärztinnen und Assistenzärzte. www.privatklinik-meiringen.ch * Meine Work-Life-Balance stimmt. Ich lebe und arbeite im Haslital… Informationen: Zentrum für universitäre Weiterbildung ZUW Schanzeneckstrasse 1, 3001 Bern, www.zuw.unibe.ch, zuw @ zuw.unibe.ch Dort, wo andere Ferien machen! Bauen an der Zukunft Geschichten einer Generation Erinnern und Vergessen * Gespräch – Rektor Martin Täuber zur Strategie 2021 32 * Gespräch – Thomas Stocker und Gian-Kasper Plattner zum Klima 32 * Gespräch der Generationen – Norbert Thom und Elena Hubschmid 32 * Begegnung – Timo Engel bricht in fantastische Welten auf 36 * Begegnung – Thierry Aebischer entdeckte ein Paradies für Tiere 36 * Begegnung – Manuela coacht Helai 36 Oktober 2013 158 Dezember 2013 159 Ap r il 2 0 1 4 160 * Forschung – Wie sich Geschlechter-Stereotypen auflösen 26 * Forschung – Gehen mit dem Digitalfilm die Emotionen verloren? 26 * Forschung – Wenn die Matur leicht ist, wird es später schwer 30 UniPress* UniPress* UniPress* Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Forschung und Wissenschaft an der Universität Bern Eine UniPress-Ausgabe verpasst? Gerne können Sie Einzelexemplare nachbestellen: unipress@unibe.ch oder Tel. 031 631 80 44 Wollen Sie UniPress (4 Ausgaben jährlich) kostenlos abonnieren? Abo-Bestellungen über: www.unipress.unibe.ch oder an die Vertriebsfirma Stämpfli AG, Tel. 031 300 63 42, abonnemente@staempfli.com Universität Bern Abteilung Kommunikation Hochschulstrasse 4 CH-3012 Bern Tel. +41 31 631 80 44 2 UniPress 161/2014 kommunikation@unibe.ch www.kommunikation.unibe.ch
FORSCHEN – AUCH IN DER NACHT «Forschen» ist ein schwaches Verb, aber eine starke Tätigkeit. Das althochdeutsche forscõn bedeutet «fragen nach» und verweist auf den harten Kern dieser Arbeit, die als beständiges Fragen ein intensives Bemühen um Antworten meint. Wer fragt, weiss nicht – und wer hinterfragt, ist mit den vorhandenen Antworten nicht zufrieden. «Die Universität Bern betreibt Forschung zur Förderung der Erkenntnis und um des Verstehens willen» formuliert das Leitbild der Universität Bern. Mit einem Augenzwinkern könnte man auch sagen: Universi- täten sind Institutionen des Mangels – des Wissensmangels gewissermassen. Nur wer zu wenig weiss, will mehr wissen. Und nur wer fragt, sucht nach Antworten. Fragen dient dem Informationsgewinn (im Gegensatz zur rhetorischen Frage, die zu beeinflussen sucht). An Universitäten ist Forschung immer mit Lehre verbunden. Wer dank entsprechender Ausbildung je die Erfahrung eines eigenen Erkenntnisgewinns machen durfte, vergisst dies nicht so schnell. Eigene Erkenntnisse formen die Persönlichkeit – und fördern das Vermögen zu einer (auch) selbstbestimmten Lebensführung sowie zur republikanischen Teilnahme am «öffentlichen Vernunftgebrauch», wie es der Philosoph Immanuel Kant einmal eindrücklich formuliert hat. Und das heisst hier für uns und einfacher ausgedrückt auch: zur aktiven Teilnahme an der Demokratie. Wir porträtieren in diesem Heft acht ausgewiesene Forscher- persönlichkeiten aus den acht Fakultäten der hiesigen Voll- universität. Unser Interesse galt ihrer Leidenschaft für ihre Forschung: für ihre Fragen, auf die sie gerne Antworten hätten. Und da Forschung und Lehre verbunden sind, interessierte uns auch die Leidenschaft an der Forschung bei aufstrebenden jungen Forscherinnen und Forschern. Kurze Porträts dieser Persönlichkeiten finden Sie ebenfalls in diesem Heft, vertiefende Interviews in einem entsprechenden Dossier unserer Webzeitung «uniaktuell». Diese 161. Ausgabe von UniPress möchte Sie einstimmen auf die zweite Nacht der Forschung vom 6. September 2014, zu der wir Sie hiermit freundlich einladen. Begegnen Sie Forscherinnen und Forschern der Universität Bern mit ihren Fragen und vorläu- figen Antworten, stellen Sie Ihre eigenen Fragen und lassen Sie sich von ihnen durch die Nacht führen. Denn wie wir alle wissen: Leidenschaften finden nicht nur am Tag statt. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre. Marcus Moser und Timm Eugster UniPress 161/2014 1
Alumnitag 2014 der Universität Bern Wissenschaft trifft Wirtschaft Samstag, 6. September im Kultur Casino Bern 10.00 Empfang mit Kaffee und Gipfeli 10.30 Musikalische Begrüssung – Alumni- & Sinfonieorchester der Universität Bern 10.50 Grusswort – Prof. Dr. Martin Täuber, Rektor der Univerisät Bern 11.00 Eingangsreferat – Regierungsrat Andreas Rickenbacher 11.15 Podiumsdiskussion «Wissenschaft trifft Wirtschaft» mit - Prof. Dr. Willy Benz – Physikalisches Institut, Universität Bern - Prof. Dr. Daniel Buser – Zahnmedizinische Kliniken, Universität Bern - Dr. h.c. Willy Michel – Ypsomed Holding AG - Regierungsrat Andreas Rickenbacher – Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern - Dr. Suzanne Thoma – BKW Energie AG Moderation: Sonja Hasler, SRF 12.20 Musikalische Verabschiedung – Alumni- & Sinfonieorchester der Universität Bern 12.40 Apéro riche 14.30 Offizielles Ende 14.45 – 16.00 Exklusive Führung über das Gelände der «Nacht der Forschung» Melden Sie sich noch heute an: www.alumni.unibe.ch/alumnitag Alle Ehemaligen der Universität Bern sind herzlich eingeladen. Die Teilnahme ist gratis Geschäftsstelle Alumni UniBE Hochschulstrasse 4 CH - 3012 Bern Tel. +41 31 631 52 40 E-Mail: office@alumni.unibe.ch www.alumni.unibe.ch 2 UniPress 161/2014
Inhalt FORSCHEN – AUCH IN DER NACHT 5 Angela Berlis – Sie rettet aus der «Spirale des Vergessens» Von Sandra Flückiger 8 Thomas Cottier – Die Globalisierung im Blut Von Martin Zimmermann 11 Adrian Vatter – Vatters Scharfblick aufs Politikspiel Von Timm Eugster 14 Thierry Carrel – Forschung als Herzenssache Von Nathalie Matter FORSCHUNG UND RUBRIKEN 17 Peter Neumann – Bis in den Busch zu den Bienen Von Salomé Zimmermann Forschung 20 Reinhard Schulze – Das Vertraute im Anderen 28 Zahnmedizin: Hilfe gegen den Mief im Mund entziffern Von Susanne Wenger Von Marcus Moser 30 Klimageschichte: Nadelstiche ins Eis 23 Pasqualina Perrig-Chiello – Die Psychologin forscht Von Kaspar Meuli «von der Wiege bis zur Bahre» Von Sandra Flückiger Rubriken 26 Kathrin Altwegg – Sie sucht die Antworten in den Tiefen des Alls 1 Editorial Von Martin Zimmermann 32 Gespräch Daniel Marc Segesser und Stig Förster – «Den Bildstrecke: Forscherpersönlichkeiten aller Fakultäten der Eliten war das Schicksal von Millionen egal» Universität Bern und ihre Lieblingsobjekte – ins Licht Von Marcus Moser gerückt von Adrian Moser. 36 Begegnung Albert Gobat, der vergessene Friedenskämpfer Von Timm Eugster 38 Meinung Kunst – Kultur – Nachhaltigkeit Von George Steinmann 39 Bücher 40 Impressum UniPress 161/2014 3
Sie rettet aus der «Spirale des Vergessens» Angela Berlis beschäftigt sich mit Randfiguren und bringt diese ins historische Bewusstsein zurück. Die Kirchenhistorikerin, die gleichzeitig eine der weltweit ersten christkatholischen Priesterinnen ist, möchte damit die Wahrnehmung von Geschichte verändern. Von Sandra Flückiger Ihre Arbeit ist mit der einer Detektivin historische Bewusstsein zurückbringen, Zusammenhänge und Deutungsmuster von vergleichbar: Angela Berlis macht sich «aus der Spirale des Vergessens reissen». innen heraus. Eine Voraussetzung für die auf die Suche nach Menschen, ihren Gelungen ist ihr dies beispielsweise bei der Forschung sei ein solches Insiderwissen Geschichten, Handlungen und Motiven. Historikerin Christine von Hoiningen-Huene, allerdings nicht. Ihren Studierenden Wie eine Detektivin braucht sie dabei die 1898 an der Universität Bern promoviert versucht sie denn auch vor allem die auch hin und wieder eine Lupe, um wurde – als eine der ersten Generation von Relevanz von Geschichte aufzuzeigen und Handschriften, insbesondere «kleine Fitzel- Frauen mit Doktortitel in der Schweiz. Über durch die Theologie ein breites kulturelles schriften», zu entziffern. Ihre Neugierde sie ist nun dank Angela Berlis ein Artikel im Wissen zu vermitteln. «Ich möchte zeigen, treibt die Kirchenhistorikerin an, eine Historischen Lexikon der Schweiz zu finden. wie spannend Geschichte ist. Sie sollen historische Person kann sie richtiggehend Die Geschlechterforschung beschäftigt Zusammenhänge erkennen, diese kritisch packen, «und dann suche ich und suche die Theologin auch dann, wenn sie Dis- deuten können und dadurch ihre Perspek- ich, bis ich irgendetwas über diese Person kussionen über den Zölibat im 19. Jahr- tive weiten», so die Theologin. finde». So geschehen etwa, als sie für ein hundert analysiert: «In polemischen Natürlich lebe sie dabei ihre Leidenschaft Kapitel ihrer Doktorarbeit zu einem kirch- Schriften wurden den Gegnern oft weib- für die Kirchengeschichte vor. Wichtiger sei lichen Archiv in Köln reiste, um Briefe liche Eigenschaften zugeschrieben, um sie aber, dass die Nachwuchsforschenden ihre von einer Frau an einen befreundeten herabzusetzen», erläutert Berlis. So hätten eigenen wissenschaftlichen Leidenschaften Pfarrer einzusehen: «Als der Archivar den die Christkatholiken damals gesagt, ihre entwickelten. Umschlag aus der Kiste holte, war er leer. Priester seien männlich, weil sie nicht nur Das war eine herbe Enttäuschung.» eine Gemeinde leiten, sondern durch die Kontakt: Prof. Dr. Angela Berlis, Dem Wohlwollen des Archivars hatte sie Heirat auch Oberhaupt einer Familie Departement Christkatholische Theologie, es zu verdanken, dass sie den gesamten werden könnten. Der römische Priester angela.berlis@theol.unibe.ch Nachlass schliesslich doch einsehen durfte, hingegen sei vom Papst abhängig – ähnlich obwohl er noch unter Verschluss war. Und wie eine Frau von ihrem Mann. Die siehe da, dort waren die Briefe. Ein Schlüs- römisch-katholischen Priester wiederum selerlebnis für die Theologin: «Da habe ich sahen sich als männlicher an, da sie eben Theologie gemerkt, dass man am Ball bleiben und nicht an eine Frau gebunden waren. an der Nacht der Forschung eine gewisse Eigensinnigkeit und Kreativität entwickeln muss, wenn man nach Quellen Insider-Wissen als Priesterin Du sollst dir (k)ein Bildnis machen – gleich forscht.» Gerade wenn es um weniger «Mir ist es wichtig, mit meiner Forschung zwei Projekte der Theologischen Fakultät bekannte Personen gehe, sei die Quellen- neue Interpretationen von Personen, an der Nacht der Forschung beleuchten suche harte Arbeit. Aber umso spannender. Ereignissen oder auch Diskursen aufzu- die Rolle von Bildern im Christentum: zeigen und dieses Wissen in die Geschichts- Beim ersten können Sie einem Ikonen- «Verweiblichte» Priester schreibung zu integrieren», betont Berlis: maler über die Schulter schauen; und bei Angela Berlis studierte christkatholische – «Historische Ereignisse scheinen manchmal einer Vortragsreihe geht es um Fragen wie ausserhalb der Schweiz als altkatholisch weit weg, aber sie prägen uns und unsere «Hatte Gott einen Bart?». Schreiben Sie bezeichnete – Theologie in Bonn und Gesellschaft oft bis heute. Es ist eine aussderdem Ihren Namen auf Hebräisch Utrecht. An der Universität Bern ist sie seit Herausforderung, Geschichte und Ge- oder kreieren Sie eigene Mosaike nach 2012 ordentliche Professorin für Geschichte schichten heute neu zu erzählen, in einer dem Vorbild der prächtigen römischen des Altkatholizismus und Allgemeine breiteren Wahrnehmung.» Kirche San Clemente. Auch die Liebe hat Kirchengeschichte. «Geschichte und Ihren eigenen kirchlichen Hintergrund – ihren Platz: Ein Test demonstriert, welche Geschichten haben mich schon immer fas- Angela Berlis und eine weitere Frau wurden Dynamiken interreligiöse Paarbeziehungen ziniert, vor allem über Menschen und ihre 1996 zu den weltweit ersten altkatho- entwickeln können. Lebenszusammenhänge», sagt sie über ihre lischen Priesterinnen geweiht – sieht die Forschung, die sie häufig Randfiguren, Kirchenhistorikerin als Vorteil für ihre Weitere Infos: oft Frauen, widmet. Diese möchte sie ins Forschung. Sie kenne dadurch bestimmte www.nachtderforschung.unibe.ch Forschen – auch in der Nacht UniPress 161/2014 5
Die lange Tradition des Christkatholizismus an der Universität Bern Die Christkatholisch-theologische Fakultät an der Univer- sität Bern wurde 1874 gegründet und richtete sich an Studierende, die sich gegen das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit stellten. 2001 fand der Zusammenschluss mit der Evangelisch-theologischen Fakultät statt, woraus die heutige Theologische Fakultät entstand. Christ- katholische Theologie wird auch an den Universitäten Bonn, Utrecht, Prag und Warschau gelehrt, die Berner Professur für Geschichte des Altkatholizismus ist in ihrer Ausrichtung weltweit jedoch einzigartig. Angela Berlis ist seit 2009 an der Universität Bern tätig, seit 2012 als ordentliche Professorin. Sie erforscht haupt- sächlich die Geschichte des Alt- und Christkatholizismus. Zu ihren Spezialgebieten gehören dabei etwa die Edition eines Briefwechsels von Eduard Herzog – des ehemaligen Rektors der Universität Bern (1884/85) und ersten Bischofs der Christkatholiken – sowie Analysen zur Aufhebung der Zölibatspflicht und der Einführung der Priesterehe in den christkatholischen Kirchen. Daneben interessiert sie sich für die historisch-theolo- gische Frauen- und Geschlechterforschung. Gemeinsam mit den anderen Professorinnen der Theologischen Fakul- tät hat sie 2013 ein Forschungsprojekt über «Gender und Tod» initiiert, in dem geschlechtsspezifische Einstellungen und Erfahrungen von Männern und Frauen in verschie- denen theologischen Disziplinen untersucht werden. Die mutige Forschungsreisende Bombenexplosionen und terroristische päischen Alt- respektive Christkatholiken sei Attentate können sie nicht von ihrer in Armenien bisher nicht aufgearbeitet Forschung abhalten: Mariam Kartashyan worden und im Westen relativ unbekannt. reiste im November 2013 trotz der Syrien- Als gebürtige Armenierin liegt der Krise für drei Monate in den Libanon, um jungen Forscherin viel daran, diese Lücke zu nach Quellen zu suchen. «Ich besuchte ein schliessen. «Während der Forschungsreise, abgelegenes Kloster, das ein fast völlig bei der ich oft Angst um mein Leben unsortiertes Archiv mit etwa 65 000 Briefen hatte, sah ich, wie weit ich für meine besitzt. Es war eine unbeschreibliche Forschung gehen kann», so Kartashyan. Die Freude, diese noch unbekannten Quellen zu Ergebnisse seien nach dem Überwinden erforschen», erzählt die Doktorandin am dieser Schwierigkeiten besonders wertvoll Departement für Christkatholische für sie. (sf) Theologie. Sie habe wichtige Informationen gefunden, die ihr Forschungsprojekt über Kontakt: Mariam Karthashyan, die Spaltung zwischen den armenischen Departement Christkatholische Theologie, Katholiken und den römischen Katholiken mariamkartashyan@yahoo.de einen grossen Schritt weiter bringen. Dieser Konflikt im 19. Jahrhundert und seine uniaktuell-Interview online: Lesen Sie Auswirkungen auf die Beziehungen der das Interview im Online-Magazin unter katholischen Armenier zu den westeuro- http://tinyurl.com/dossier-tdf2014 6 UniPress 161/2014 Forschen – auch in der Nacht
Die Globalisierung im Blut Klimawandel, Welthandel, Migration – in einer globalisierten Welt mit globalisierten Problemen reicht das klassische Völkerrecht nicht mehr aus, davon ist Thomas Cottier, Leiter des Berner World Trade Institute, überzeugt. Mit Nachwuchs- wissenschaftlern aus zahlreichen Ländern forscht er deshalb an der juristischen Neuordnung der Welt. Von Martin Zimmermann An geschlossene Arbeitsräume glaubt Interesse für den noch jungen Forschungs- ansätze beim Aufbau neuer Governance- Thomas Cottier nicht: Die Tür zu seinem bereich Wirtschaftsvölkerrecht – sein Strukturen. Die Suche danach motiviert Büro steht meistens offen, auch für Professor, John Jackson, war «ein Pionier mich.» die Dauer des Gesprächs mit UniPress. auf dem Gebiet». Nach einem Forschungs- Die Breite dieser Aufgabe bedinge aber «Mir ist es wichtig, dass sich die Studie- aufenthalt in Cambridge vertrat Cottier die einen interdisziplinären Forschungs- renden und Mitarbeitenden als Teil einer Schweiz während zehn Jahren bei den ansatz, der auch ökonomische, politolo- Gemeinschaft fühlen und sich für die Arbeit Verhandlungen zum Allgemeinen Zoll- und gische, ökologische und soziale Fragen der anderen Institutsangehörigen interes- Handelsabkommen GATT, zuletzt als stell- angehe, fügt er bei und schliesst: «Wenn sieren», erklärt der Leiter des World Trade vertretender Direktor des damaligen ich dazu beitragen konnte, dass künftige Institute (WTI). Diesen Ansatz widerspiegelt Bundesamts für Geistiges Eigentum. Doch Forschergenerationen von Anfang an diese auch die offene Innenarchitektur des das Interesse an der Forschung blieb. ganzheitliche Perspektive einnehmen, dann Instituts: Die Arbeitsplätze werden oft nur gehe ich zufrieden in den Ruhestand.» durch hohe Büchergestelle voneinander Wir wissen zu wenig über die EU getrennt. Der persönliche Kontakt soll nicht An der Alma Mater indes habe man mit Kontakt: Prof. Dr. Thomas Cottier, abreissen. Wirtschaftsvölkerrecht zuerst nicht viel Institut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht Eine Ordnung basierend auf offenen anfangen können, so der in Bern und Inter- (IEW), thomas.cottier@iew.unibe.ch Grenzen – diesen Kerngedanken der Globa- laken aufgewachsene Freiburger. «Als ich in lisierung hat der Wirtschaftsvölkerrechtler Bern etwa auf dem Gebiet des GATT an seinem Institut nicht nur architektonisch, weiterforschen wollte, hiess es, das gehe sondern auch personell umgesetzt: Die nicht, das gehöre nicht wirklich zum Rechtswissenschaften Hälfte der 50 Mitarbeitenden besitzt keinen Völkerrecht.» Doch dann lehnte das Stimm- an der Nacht der Forschung Schweizer Pass; das WTI pflegt Partner- volk 1992 überraschend den EWR-Beitritt schaften mit Hochschulen in aller Welt. ab. «Der Kanton und die Uni-Leitung Alles, was Recht ist, zeigt die Rechtswis- «Wir bilden ihre Studierenden und Dokto- erkannten, dass wir in der Schweiz einfach senschaftliche Fakultät an der Nacht der rierenden weiter», erläutert Cottier, der die zu wenig über die EU wissen», sagt Cottier. Forschung mit ihrem breiten Programm. beste Chance für die Schweiz im globalen Er bezeichnet den damaligen Schock So demonstriert etwa das World Trade Wettbewerb als Verkäuferin von Wissen deshalb als «Katalysator» für die Einfüh- Institute (WTI), welche positiven und sieht. Er holt ein zierliches Porzellanboot rung der Fächer Europa- und Wirtschafts- negativen Folgen grosse Landpachten in aus einem Holzkistchen und hält es ans völkerrecht an der Universität Bern – ohne Entwicklungsländern – das sogenannte Licht: Das kleine Merci einer taiwanesischen sie gäbe es auch kein WTI. Land Grabbing – haben können. Beim Delegation und «ein schönes Sinnbild für Die Spannungen zwischen der Schweiz Institut für Bankrecht werden Sie selbst den internationalen Handel». und der EU nach dem Ja zur SVP-Massen- zum Banker, fischen Steuersünder oder einwanderungsinitiative, aber auch globale testen, ob Sie das Zeug zur cleveren Anle- Eine «Drehtüren-Karriere» Probleme wie die Migration, das Gefälle gerin haben. Kinder unternehmen derweil geht zu Ende zwischen Nord und Süd oder der Klima- eine spielerische Weltreise und lernen, Nächstes Jahr wird der 64-Jährige emeri- wandel verdeutlichen in seinen Augen welches Land für welche exotischen tiert. Damit neigt sich eine lange «Dreh- eines: Das klassische Völkerrecht reicht in Exportprodukte berühmt ist – Naschen ist türen-Karriere» dem Ende zu: Von der einer globalisierten Welt nicht mehr aus. ausdrücklich erlaubt. Forschung in die Praxis und wieder zurück. «Es fehlt oft der rechtliche Rahmen, um Während der Postgraduate-Zeit in den USA globale Probleme anzugehen», erklärt Weitere Infos: Anfang der 80er Jahre entflammte Cottiers Cottier. «Unsere Forschung liefert Lösungs- www.nachtderforschung.unibe.ch 8 UniPress 161/2014 Forschen – auch in der Nacht
Den Welthandel regulieren Die Globalisierung schreitet aller Krisen zum Trotz weiter voran – was dies für verschiedene Weltge- genden konkret bedeutet, und wie man diese Entwick- lung steuern kann, wird am World Trade Institute (WTI) der Universität Bern erforscht. Das 1999 vom Wirtschaftsvölkerrechtler Thomas Cottier gegründete Institut ist personell und thematisch eng mit dem ebenfalls von ihm geleiteten Berner Insti- tut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht (IEW) ver- flochten. Dieses fokussiert auf die Aussenbeziehungen der EU und betreut die Lehre in Europarecht in Bern. Am WTI wird aus einer interdisziplinären Perspektive geforscht, diese umfasst Ökonomie, Rechtswissen- schaften, Ökologie und Politologie. Das Institut gilt in- zwischen weltweit als eines der wichtigsten Zentren auf dem Gebiet des Wirtschaftsvölkerrechts. Der Schweizerische Nationalfonds honorierte dies, indem er 2005 den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) «Trade Regulation» einrichtete. In diesem Rahmen werden die Mechanismen des Welthandels untersucht. Neben der Forschung liegen die Schwerpunkte des WTI in der Aus- und Weiterbildung von Forschenden anderer Hochschulen sowie von Vertretern staatlicher Institutionen. Dabei geht es laut Thomas Cottier da- rum, gerade Menschen aus ärmeren Ländern mit dem nötigen Know-how auszurüsten, um eigene Ansätze zur Lösung der Probleme in ihrer Heimat zu finden. Pingpong spielen in der Miniaturwelt Wir leben alle auf einem Planeten. Mit auf ihm ein Mensch geboren wird.» Wir dieser Überzeugung passt Charlotte Schweizerinnen und Schweizer gehören zu Sieber-Gasser, 31, gut ins international den Privilegierten. Dieses Bewusstsein ausgerichtete World Trade Institute der wurde Charlotte Sieber-Gasser im Eltern- Universität Bern. Eine «Miniaturwelt», so haus vermittelt. Ihre Chancen möchte sie nennt sie das Institut, an dem sie kürzlich deshalb sinnvoll nutzen, etwas bewegen. ihre Dissertation einreichte. Vier Jahre harte Zumindest für politischen Wirbel hat sie Arbeit, 300 Seiten Text: Die Erschöpfung schon gesorgt: Das Freihandelsabkommen war gross, der anschliessende Urlaub mit zwischen der Schweiz und China nach der Familie überfällig. Der Enthusiasmus Annahme der Masseneinwanderungs- für die Forschung aber ist geblieben, initiative? Eigentlich nicht umsetzbar, da wie sie sagt. «Ich kann die Dinge hinter- der Vertrag Arbeitskräfte-Kontingente fragen, neu denken, mit der Gesellschaft in explizit verbietet, so der brisante Schluss Dialog treten.» Am WTI schätzt die Post- einer von ihr mitverfassten Studie. Sieber Doktorandin das «Pingpong», den Gedan- ist zufrieden: «Es ist gewaltig, was man kenaustausch, mit Arbeitskollegen. mit der Forschung alles auslösen kann!» Sei es die fragwürdige Investitionspraxis (maz) von China in Afrika, der fehlende Schutz der verfolgten Albinos in Tanzania oder die Kontakt: Charlotte Sieber, NCCR International Chancen, die der Freihandel zwischen Ent- Trade Regulation, World Trade Institute, wicklungsländern bringt – Fairness und charlotte.sieber@wti.org Gerechtigkeit sind fundamentale Motive in Siebers rechtswissenschaftlicher Arbeit. uniaktuell-Interview online: Lesen Sie Denn ob ein Planet oder nicht: «Es macht das Interview im Online-Magazin unter immer noch einen riesigen Unterschied, wo http://tinyurl.com/dossier-tdf2014 Forschen – auch in der Nacht UniPress 161/2014 9
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Vatters Scharfblick aufs Politikspiel Als Adrian Vatter jung war, faszinierte ihn der Aufbruch in der lange so «bhäbigen» Schweizer Politik. Heute analysiert er als Professor, wie das spannungsreiche Politikspiel unsere einst so musterhafte Konsensdemokratie verändert. Von Timm Eugster Gott würfelt nicht, sagte einst Albert einer grünen Liste überraschend gewählt ders, wenn man ihn darauf anspricht: «Der Einstein. Politiker tun es, sagt der Berner wurde. Leni Robert wurde Erziehungsdirek- Vatter» ist «der neue Linder». Politologe Adrian Vatter und wirft einen torin, verhinderte die damals ernsthaft Blick auf die beiden Würfel, die in seinem diskutierte Abschaffung der Politikwissen- Er setzt auf die nächste Generation Büro stehen. Der eine zeigt Bundes- schaft an der Universität Bern und forcierte Das Werk präsentiert eine enorme Daten- parlamentarier wie Felix Gutzwiller oder die Wahl von Wolf Linder zum Professor für fülle und Schlussfolgerungen wie diese: Die Christoph Blocher und stammt aus einer Schweizer Politik und zum Institutsdirektor. Schweiz habe sich vom Musterbeispiel einer Ausstellung für Schülerinnen und Schüler. Konsensdemokratie zu einem europäischen Der andere zeigt Berner Regierungsräte und Ohne Sonderfall-Brille Normalfall entwickelt. «Ich hoffe, dass ist ein Werbeartikel vom letzten Wahl- «Mir war sofort klar: Da muss ich hin», die nächste Politikergeneration unsere kampf, als die rot-grüne Mehrheit mit dem erinnert sich Adrian Vatter. Als Student bewährten Konkordanz-Institutionen wieder Slogan «4 gewinnt» antrat. «Die Politik hat wurde er Linders Hilfsassistent, dann sein stärker mit Leben füllen wird», bilanziert auch eine sehr spielerische Seite», erklärt Assistent und schliesslich sein Doktorand: der Politologe, der sich nicht scheut, der Professor: «Und wie in jedem guten «Er hat mich in den ersten Jahren stark Stellung zu beziehen. Spiel zählt das Glück des Zufalls genauso geprägt.» Sicher ist: Auch für die nächste Genera- wie die richtige Strategie.» Mit 39 Jahren wurde Adrian Vatter tion von Politologen bleibt es spannend. Vatter sagt‘s, und demonstriert es gleich selbst Professor – in Konstanz. «Es war Adrian Vatter bereitet sie gerne darauf vor: an einem der Köpfe: «Christoph Blocher spannend zu sehen, wie wenig man sich «Es ist immer sehr schön zu sehen, wenn hatte das Glück, dass er zur rechten Zeit dort für Schweizer Politik interessiert», eine Studentin oder ein Student plötzlich kam: Als sich die Konfliktlinie Öffnung erzählt Vatter – vor allem aber sei es enorm ein Aha-Erlebnis hat.» versus Schliessung der Schweiz ausprägte.» befruchtend gewesen, von aussen auf die Diese Ausgangslage habe Blocher dann Schweiz zu schauen: «Es schärft den Sinn Kontakt: Prof. Dr. Adrian Vatter, strategisch sehr geschickt genutzt. dafür, wo wir wirklich einzigartig sind und Institut für Politikwissenschaft (IPW), Und schon sind wir mitten im Thema, wo wir anderen europäischen Ländern adrian.vatter@ipw.unibe.ch das Adrian Vatter seit seiner Jugend fas- ähnlicher sind als man es durch die Sonder- ziniert und das er heute wissenschaftlich fall-Brille sehen kann.» analysiert: Wie die «stabile, ‹bhäbige› bis Nun ist er nach einer weiteren Professur langweilige» Schweizer Politik der Nach- an der Universität Zürich wieder in Bern – Wirtschafts- und kriegsjahrzehnte dem heutigen dyna- auf der Traumstelle, die er sich nie als Ziel Sozialwissenschaften mischen, konfliktreichen Spiel wich – und zu setzen wagte: auf der Professur für an der Nacht der Forschung welche Auswirkungen dies für unser Land Schweizer Politik nahe an den Akteuren in hat. Er war 21 Jahre alt, als 1986 im der Hauptstadt, Direktor an einem Institut Überraschende Einsichten ermöglicht die Kanton Bern das Unvorstellbare geschah: mit starken Vorgängern. Diese Position ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Im Zuge der Finanzaffäre verloren die eine Verpflichtung. Fakultät an der Nacht der Forschung: Der Bürgerlichen die Macht an Rot-Grün. Einen Gute Ideen kommen Adrian Vatter oft «Open Data Hack Room» der Forschungs- Mehrheitswechsel in dieser Form hatte es beim Unterrichten oder in der Freizeit. Doch stelle für Digitale Nachhaltigkeit führt Sie noch nie gegeben, seit der Bundesstaat dann folge harte Arbeit. Der Professor holt zur offenen Datenschatzkiste des Inter- 1848 gegründet wurde. «Als junger ein gewichtiges Buch aus dem Regal: «Ich nets, während Sie beim Institut für Marke- Student bekam ich diesen Machtwechsel schrieb jeden Tag zwei bis drei Seiten, auch ting am eigenen Gaumen erleben, wie hautnah mit», erinnert sich Vatter, der am Wochenende.» 589 Seiten zählt nun Werbung Ihren Geschmack beeinflusst. damals im selben Haus wohnte wie Leni das im Frühjahr erschienene Werk mit dem Robert; der ersten Frau im Regierungsrat, Titel «Das politische System der Schweiz». Weitere Infos: einer ehemals Freisinnigen, die nun auf Die Kritiken sind gut. Eine freut ihn beson- www.nachtderforschung.unibe.ch Forschen – auch in der Nacht UniPress 161/2014 11
Schweizer Politik im internationalen Vergleich Adrian Vatter und sein Team befassen sich mit der Analyse von politischen Institutionen, Entscheidungs- prozessen und ausgewählten Politikfeldern auf den verschiedenen Staatsebenen der schweizerischen Demo- kratie. Die Professur für Schweizer Politik zeichnet – ge- meinsam mit den Universitäten Zürich und Genf – verant- wortlich für die VOX-Analysen (Nachbefragungen zu den eidgenössischen Urnengängen). Darüber hinaus werden praxisorientierte Forschungs- und Evaluationsprojekte im Auftrag der öffentlichen Hand durchgeführt; eine wich- tige Dienstleistung ist zudem das Jahrbuch für Schweizer Politik «Année Politique Suisse». Die Schweizer Politik wird an der Universität Bern seit 1961 erforscht, als Erich Gruner zum Professor berufen wurde. Er war einer der prägenden Pioniere der Schweizer Politikwissenschaft und verfasste mehrere Stan- dardwerke. 1987 wurde Wolf Linder Professor für Schweizer Politik und Institutsdirektor. Mit grossem Geschick gelang es ihm, innerhalb von wenigen Jahren ein modernes Institut für Politikwissenschaft zu formen. Er ist Autor von Klassikern zur schweizerischen Politik. Sein Nachfolger wurde 2009 Adrian Vatter. Das Institut mit fünf Professuren konzentriert sich auf die Strukturen, Prozesse und Inhalte schweizerischer Politik, die vergleichende Politikwissenschaft, die Europa- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltens- forschung im Rahmen der politischen Soziologie. Im Vordergrund stehen dabei die Entwicklungen in der Schweiz im europäischen Vergleich. Demokratien im Praxistest In einer Demokratie zählt jeder Bürger und richtig liegt mit seinem Ansatz der ver- jede Bürgerin gleich viel – unabhängig gleichenden «empirischen Repräsentations- vom Einkommen. So weit die Theorie. Die forschung». Die Möglichkeiten neuer statis- Praxis untersucht Julian Bernauer, Ober- tischer Methoden faszinieren ihn: «Ich assistent am Institut für Politikwissenschaft. möchte die Realität besser abbilden, Gemeinsam mit Nathalie Giger und Jan ohne die Möglichkeit des Vergleichs zu Rosset zeigte er, dass Parteien und Regie- verlieren.» rungen die Interessen von Leuten mit Nach einigen Jahren der Unsicherheit kleinen Einkommen weniger gut berück- ist für Bernauer klar: Er will Professor sichtigen als jene von Leuten mit grossen werden. Gleichzeitig will er auch weiterhin Einkommen. Und: Je grösser die Kluft seine beiden Kinder betreuen. «Ich würde zwischen Reich und Arm in einem Land ist, die Stelle deshalb gerne mit einer Frau desto weniger Gewicht haben die Armen in teilen.» (te) der Politik. «Es ist also schlimmer, in Gross- britannien arm zu sein als in der Schweiz, Kontakt: Dr. Julian Bernauer, wo die Einkommensunterschiede geringer Institut für Politikwissenschaft (IPW), sind», so Bernauer. julian.bernauer@ipw.unibe.ch Der Artikel ist von der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissen- uniaktuell-Interview online: Lesen Sie schaften ausgezeichnet worden – für den das Interview im Online-Magazin unter 33-Jährigen eine Bestätigung, dass er http://tinyurl.com/dossier-tdf2014 12 UniPress 161/2014 Forschen – auch in der Nacht
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Forschung als Herzenssache Freizeit braucht er wenig – der prominente Herz- chirurg und Klinikleiter Thierry Carrel ist auch nachts, an den Wochenenden und manchmal auch in den Ferien für seine Klinik und seine Patienten verfügbar. Genauso wichtig wie die Praxis ist ihm die Forschung. Von Nathalie Matter Für andere da zu sein und die eigenen spannende Erweiterung des klinischen vom Aufhören Mühe bereitet. Zehn Jahre Bedürfnisse hinten anzustellen: Das gehört Tagesgeschäfts», sagt Carrel. Kliniken verbleiben ihm noch bis zu seiner Emeritie- zum Selbstverständnis von Thierry Carrel. müssen im Gegensatz zu anderen Unibe- rung. «Mit 65 von Hundert auf Null zurück- Der bekannte Herzspezialist ist als Chirurg, trieben einen 24-Stunden-Betrieb führen zuschalten, wird für mich schwierig.» Für Ausbildner, Forscher und Klinikleiter oft und sich anhand von finanziellen Erträgen Chirurgen und Klinikdirektoren wie ihn über 80 Stunden pro Woche im Einsatz. und Patientenzahlen messen lassen. Da gebe es kein «sanftes Entsorgungs- Daneben engagiert er sich seit Jahren in fehlt manchmal das Verständnis, dass auch konzept», also keine Möglichkeit, die humanitären Projekten, verbringt etwa mit die Betreuung von Nachwuchsforschenden Verantwortung langsam abzugeben, die seinem Team einen Teil seiner Ferien in der Zeit braucht: Einen Eingriff durchzuführen eigene Erfahrung an die neue Klinik- russischen Uralstadt Perm, wo er Kinder ist wichtiger als eine Masterarbeit oder eine direktion weiterzugeben, diese allenfalls und Jugendliche am Herzen operiert und Habilitation zu betreuen, kriegen Mediziner im Hintergrund noch zu entlasten. die dortigen Chirurgen finanziell und mit oft zu hören. «Solange ich noch im Amt bin, will ich Know-how unterstützt. Für den 54-Jährigen meine Zeit optimal nutzen und versuchen, ist Medizin Berufung, nicht einfach Beruf. Forschen für den Patienten ideale Bedingungen zu schaffen für meine Seine christliche Grundprägung trägt Carrel will durch seine Forschung dem Nachfolge.» Dass Thierry Carrel sich dann ebenfalls dazu bei, dass er rund um die Uhr Patienten konkrete Vorteile ermöglichen. aber ganz aus der Medizin zurückziehen verfügbar ist. Wie der Hausarzt aus seiner Etwa, indem sie dazu beiträgt, ein tech- wird, ist kaum anzunehmen. Kindheit, der sogar sonntags vorbeikam. nisches Gerät zu verbessern oder eine Dieses Bild hat Carrel geprägt. Auch er Herzoperation schneller und risikoärmer Kontakt: Prof. Dr. med. Thierry Carrel, wollte ursprünglich Hausarzt werden, durchzuführen. Zum Beispiel forscht eine Universitätsklinik für Herz- und entschied sich dann aber während des Gruppe an einer automatisierten Rekon- Gefässchirurgie Inselspital, Studiums, statt in die Breite in die Tiefe zu struktion der Eingangsklappe der linken thierry.carrel@insel.ch gehen und sich einem einzelnen Organ zu Herzkammer. Mit einer Art Pistole (im Bild widmen: dem Herzen. rechts oben) werden künstliche Sehnen- fäden aus Goretex eingesetzt, die abge- «Sinnvoll und hochspannend» rissene oder verlängerte eigene Sehnen- Medizin Mit derselben Leidenschaft, mit der Carrel fäden ersetzen sollen. Das Verfahren soll an der Nacht der Forschung seiner klinischen Tätigkeit nachgeht, den Eingriff erleichtern, aber auch sicherer betreibt er auch Forschung: «Es gibt machen und verkürzen. Neue Erkenntnisse aus der Forschung und noch unbegrenzt vieles zu entdecken», Eine weitere Aufgabe von Thierry Carrel viel Praxis bietet die Medizinische Fakultät ist er überzeugt. «Schon über unser ist das Ausbilden des Nachwuchses. Auch an der Nacht der Forschung: Operieren Sie rund 300 Gramm schweres Herz ist trotz dies betreibt er mit Erfolg: Er hat ein sehr mit dem Da-Vinci-Operationsroboter eine 30 bis 40 Jahren klinischer Tätigkeit noch gut operierendes Chirurgen-Team aufge- Schokolade, erforschen Sie live Ihr Gehirn sehr vieles unerforscht!» Auch wenn er baut und wurde 2013 zum besten Herz- oder fertigen Sie ein 3D-Modell Ihres selber nur noch selten im Forschungslabor chirurgie-Ausbildner Europas ernannt. Den Gesichts an. Kontrollieren Sie mit einem steht, treibt ihn eine permanente wissen- Forschenden in seinem Team öffnet er Test Ihre Augenbewegungen, tauchen Sie schaftliche Neugier an. Als Gutachter zudem international Türen, um ihnen einen ein in die medizinische Welt vor 50 Jahren wissenschaftlicher Artikel für die bedeu- Auslandaufenthalt und wertvollen Aus- und hören Sie Vorträge zu Krebs, Rheuma, tendsten Herzchirurgie-Journals liest er viel tausch mit anderen Jungforschenden zu Migräne und Komplementärmedizin. und animiert sein Team dazu, Erkenntnisse ermöglichen. Daneben weibelt er bei In- Ausstellungen zeigen chirurgische Implan- von anderen mit den eigenen Erfahrungen dustriepartnern, um Forschungsprojekte tate, und märchenhaft wird es in der zu vergleichen, Innovationen und Technolo- nach Bern zu holen und nicht zuletzt auch, medizinischen Pantomime «Das Virus und gien zu überprüfen. So vergleicht man im um finanzielle Unterstützung für die For- der verlorene Schuh». Team Ideen, priorisiert sie, verwirft einige schung aufzutreiben. wieder, da sie nicht realisierbar sind. Bei einem so grossen Engagement Weitere Infos: «Forschung ist eine sinnvolle und hoch- erstaunt es nicht, dass ihm die Vorstellung www.nachtderforschung.unibe.ch 14 UniPress 161/2014 Forschen – auch in der Nacht
Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie Die Klinik am Berner Inselspital ist die führende herz- und gefässchirurgische Klinik der Schweiz. Jährlich werden rund 2 500 Operationen durchgeführt, davon etwa 1 400 Herzoperationen. Schwerpunkte sind unter anderen die Bypass-Chirurgie, die Therapie von angeborenen Herzfehlern bei Kindern und Erwachsenen, die Aorten- chirurgie und die Herzinsuffizienz-Chirurgie mit organ- erhaltenden Hochrisiko-Eingriffen, Herztransplantationen und Kreislauf-Unterstützungssystemen. Seit 2014 besteht eine «Public-private»-Kooperation in der Herzchirurgie mit der Klinik Hirslanden in Aarau. Im Rahmen der auf über 50 Jahre angelegten Überbauungs- ordnung «Masterplan» wird die Klinik für Herz- und Gefässchirurgie ab 2020 mit den Kliniken für Angiologie und Kardiologie in einem neuen Gebäude zum Schweize- rischen Herz- und Gefässzentrum am Inselspital zusam- mengefasst. Thierry Carrel ist seit 1999 ordentlicher Professor und Direktor der Klinik. Seit Beginn seiner herzchirurgischen Tätigkeit hat er an über 10 000 Eingriffen als Assistent, Operateur oder Ausbildner teilgenommen. 2008 behan- delte er den erkrankten Bundesrat Hans-Rudolf Merz, dem er fünf Bypässe setzte. Neben seiner Arbeit für die Univer- sität und Klinik ist er ein gefragter Redner, der monatlich an bis zu zehn Anlässen auftritt. Er äussert sich zu so verschiedenen Themen wie Operationstechniken an einem Medizinerkongress, über Mut zum Risiko am Swiss Economic Forum oder zu Gesundheit und Spiritualität als Ressource in einer Pfarrei. Seine knapp bemessene Freizeit verbringt der gebürtige Freiburger gerne mit seiner Frau am Vierwaldstättersee und als Bassposaunist im Blasorchester Freiburg. Sie stärkt schwache Herzen Henriette Most operiert im Team von gruppe, die sie selber aufgebaut hat, hofft Thierry Carrel – die stellvertretende Ober- Most, zu Innovationen und neuen Thera- ärztin setzt Bypässe, ersetzt Herzklappen pien beizutragen. Da sie in der Klinik stark und assistiert bei Transplantationen oder eingespannt ist, muss sie die Forschung teil- Implantationen von kreislaufunterstützen- weise in ihrer Freizeit betreiben: «Um bei- den Pumpen. Ihr Forschungsinteresse spielsweise ein Manuskript oder einen An- gilt der Frage, wie geschwächte Herzen trag zu schreiben, muss ich genügend Zeit gestärkt werden und wieder kräftiger frei nehmen.» Für ein Projekt zu Tests von schlagen können, so dass dereinst vielleicht neuartigen Therapeutika an menschlichen Transplantationen nicht mehr die einzige Herzmuskelzellen wurde sie bereits 2012 Möglichkeit sind, den Patienten zu helfen. mit dem Forschungspreis des Departements «Herzmuskelschwäche ist ein weit ver- Klinische Forschung ausgezeichnet. (nm) breitetes Problem, bei dem wir aber oft zu- wenig ausrichten können. Darum ist dort Kontakt: Dr. med. Henriette Most, Uni- die Sterblichkeitsrate höher als beispiels- versitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie weise bei vielen Krebserkrankungen», sagt Inselspital, henriette.most@insel.ch Most. Patienten mit Herzinsuffizienz müssen immer häufiger ins Spital, während uniaktuell-Interview online: Lesen Sie die Krankheit voranschreitet – dies verur- das Interview im Online-Magazin unter sacht hohe Kosten. Mit der Forschungs- http://tinyurl.com/dossier-tdf2014 Forschen – auch in der Nacht UniPress 161/2014 15
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Bis in den Busch zu den Bienen Peter Neumann, Professor für Bienengesundheit, ist fasziniert von der ausgeklügelten Arbeitsteilung und der Schwarmintelligenz von Bienen. Er er- forscht, warum die Bienenvölker weltweit dahin- sterben und wie Krankheitserreger den Bienen zu schaffen machen. Von Salomé Zimmermann «Vor zwanzig Jahren wurde ich für mein Imker innerhalb von zwei bis drei Jahren wichtige Schlüsselerlebnis für mich als Fachgebiet, die Bienengesundheit, be- tot. Die Milben interagieren mit Viren und Forscher», so Peter Neumann. Nach lächelt», erinnert sich Peter Neumann. Der anderen Parasiten. Wie und mit welchen Südafrika und auch nach Norwegen reist über zwei Meter grosse Berliner mit Folgen das geschieht, will Neumann mit Neumann regelmässig, denn dort gibt es Kotelettenbart und einem Flair für schwarze seinem Team herausfinden – die Bienen- Bienen, die gegen die Varroamilben resis- Kleidung ist seit Anfang 2013 ausserordent- Pathologie ist denn auch der Kernbereich tent sind. licher Professor für Bienengesundheit. «Seit der Professur, die von der Stiftung Vinetum Er leitet zudem seit mehreren Jahren das dem grossen Bienensterben ist das Thema für zehn Jahre finanziert wird. wissenschaftliche Bienen-Netzwerk COLOSS im Fokus der Öffentlichkeit, damit ist auch Wieso wird für ein derart kleines Wesen mit über 350 Mitgliedern aus 64 Ländern. Geld da, und seit ein paar Jahren ist eine so viel Forschung betrieben? Die Bienen «Diese internationale Zusammenarbeit richtige Aufbruchstimmung bei uns Bienen- sind neben anderen Insekten massgebend erlaubt uns grössere Fortschritte für die forschenden spürbar», so Peter Neumann. für die Bestäubung. Dadurch leisten sie Bienengesundheit und macht zudem Spass, Auch nach zwanzig Jahren Beschäftigung einen entscheidenden Beitrag für den weil wir durch diese Kooperationen auch mit den kleinen Tieren ist der 47-jährige Naturschutz und «bieten einen wichtigen viel von anderen Ländern und deren «Bienchen-Professor» fasziniert: «Viele Ökosystem-Service». Zudem tragen sie zur Kulturen erfahren», berichtet der vielseitig kleine Insekten zusammen bilden eine Sicherung unserer Ernährung bei, da die Interessierte. bestens funktionierende Einheit. Dies Bestäubung für die Entstehung von geschieht nach dem Prinzip der Schwarmin- Früchten und Gemüse unabdingbar ist. Kontakt: Prof. Dr. Peter Neumann, telligenz – das einzelne Tier ist nicht so Weiter ist die Imkerei ein Hobby und Institut für Bienenforschung, schlau, allein ginge es nicht, es braucht Erwerb für viele Menschen. «Leider fehlt peter.neumann@vetsuisse.unibe.ch eine ausgeklügelte Arbeitsteilung.» mir selber die Zeit, um zu imkern», so der Professor, er muss sich mit den Bienen- Futtermangel, Pestizide stöcken begnügen, welche die Universität und Krankheiten zu Forschungszwecken hält. Veterinärmedizin Deshalb geht es bei der Bienengesundheit an der Nacht der Forschung auch nicht in erster Linie um den Zustand Aha-Erlebnis in der Kalahari-Wüste der einzelnen Biene, sondern um das Volk Soziale Insekten interessieren Peter Die Vetsuisse-Fakultät zeigt an der Nacht als Ganzes. Und diese Völker sterben seit Neumann schon seit seiner Kindheit. der Forschung Bedrohungen für Tiere etwa sieben Jahren dahin, und zwar welt- Während seines Chemie- und Biologie- auf – neben Bienen etwa auch für Fische weit. Dafür gibt es gemäss Neumann vor Studiums in Berlin beschäftigte er sich und Wildtiere. Beobachten Sie durch Glas- allem drei Gründe. Den Bienen macht zu anfänglich mit Ameisen. Zufällig sah er eine scheiben Bienen bei der Arbeit und dis- schaffen, dass sie nicht genügend Nahrung Ausschreibung für eine Hilfsassistenz bei kutieren Sie über aktuelle Projekte zur haben, insbesondere in Zeiten von soge- einem Professor, der eine Koryphäe der Bienengesundheit. Erfahren Sie, welchen nannten Futterlücken, abhängig von Saat- Bienenforschung war. In der Folge be- Gefahren Wildtiere durch den Klimwandel und Erntezeiten. Dann haben die Pestizide geisterte er sich für diese Art von so- ausgesetzt sind. Aufgezeigt werden weiter negative Effekte auf die Bienen. «Bei diesen zialen Insekten und schrieb auch seine die Vorteile der genetischen Vielfalt, die beiden Aspekten sind politische Lösungen Doktorarbeit zur Genetik von Bienen. von Züchtern über Jahrhunderte ge- gefragt, es geht um Massnahmen in der «Nach der Dissertation war jedoch bei schaffen wurde. Bei der Abteilung Tier- Landwirtschaft, um die Bestäubung für mir nach der ständigen Arbeit im Labor die schutz lernen Sie, wie Küken zu ihrem zukünftige Generationen zu sichern», Luft etwas raus», erinnert sich Peter Wohlbefinden befragt werden können. erläutert Neumann. Der dritte Faktor, der Neumann. Bei einem Forschungsaufenthalt Ausserdem werden Schweizer Ziegen und Wild- und Honigbienen dezimiert, sind in Südafrika gewann er neue und seither eines der seltenen Gurt-Rinder zum An- Krankheiten. Es sind vor allem die Varroa- ungebrochene Motivation für sein Gebiet. ziehungspunkt für Jung und Alt. milben, die Bienenvölker dahinraffen – «Ich war in der Kalahari-Wüste, draussen jedes Schweizer Honigbienenvolk ist von im Busch bei den Bienen. Diese Feldarbeit Weitere Infos: ihnen befallen und ohne Massnahmen der war nach der Hilfsassistenz das zweite www.nachtderforschung.unibe.ch Forschen – auch in der Nacht UniPress 161/2014 17
Einzigartiges Institut Die 2013 neu geschaffene ausserordentliche «Stiftung Vinetum-Professur für Bienengesundheit» ist in dieser Form einzigartig in Europa. Das Institut für Bienen- gesundheit ist der Vetsuisse-Fakultät angegliedert und arbeitet eng mit der Philosphisch-naturwissenschaft- lichen Fakultät zusammen, vor allem mit dem Institut für Ökologie und Evolution. Über die Universität hinaus steht es in stetem Austausch mit dem Zentrum für Bienenforschung der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope. Dieses widmet sich der angewandten Forschung, während das Universitäts-Institut die Grund- lagenforschung leistet. Der dritte Mitspieler ist der nationale Bienengesundheitsdienst, der vom Bund, den Kantonen und den Imkern getragen wird. Die Berner Bienenprofessur wird von der Stiftung Vinetum während zehn Jahren finanziert. Peter Neumann, 47, studierte Chemie und Biologie in Berlin und promovierte und habilitierte in Halle in Zoologie. Nach einem Postdoktorat in Südafrika über- nahm er die Vertretung der Professur für Evolutions- biologie und Biodiversität in Halle. Ab 2006 war Neumann am Zentrum für Bienenforschung von Agro- scope in Bern tätig und lehrte am Berner Institut für Ökologie und Evolution. Seit 2008 leitet er das interna- tionale wissenschaftliche Netzwerk COLOSS (Prevention of honey bee COlony LOSSes) mit über 350 Mitgliedern aus 64 Ländern. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit der Bienenpathologie, im Speziellen mit Varroamilben, Kleinen Beutekäfern, Bakterien und Viren sowie der Darmseuche Nosemose. Seit 2013 ist er ebenfalls ausserordentlicher Professor in Pretoria in Südafrika. Sie sieht Bienen als Fenster zur Natur Ihr Herz schlägt für die Natur und das sowie der enge Austausch mit den Prak- komplexe Zusammenspiel von Lebewesen: tikern, den Imkern», sagt die Bienen- Die 29-jährige Gina Retschnig aus der forscherin. Sie versucht, im akademischen Ostschweiz hat nach ihrem Master in Umfeld nicht abzuheben, sondern «boden- Ernährungswissenschaften in Wien und ständig und sich selber» zu bleiben. Das ihrer Dissertation bei Peter Neumann eben Forschen vermittelt ihr das Gefühl, etwas ihre Anstellung als Postdoc und Assistentin Sinnvolles zu tun – als Ziel bezeichnet sie am Institut für Bienengesundheit ange- denn auch nicht Ruhm und Titel, sondern treten. konkret die Verbesserung der Bienen- Gina Retschnig sieht in den Bienen ein gesundheit und neue Erkenntnisse. Zu den Fenster zur Natur, das uns Aufschlüsse über Bienen ist sie über die Ernährungswissen- den Zustand der Natur im Allgemeinen schaft, ihr ursprüngliches Fach, gelangt, erlaubt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind indem sie Pestizidrückstände im Honig die Drohnen, die männlichen Bienen, und untersuchte. (sz) Interaktionen zwischen verschiedenen Stressfaktoren für die Bienen. Gewisse Kontakt: Dr. Gina Retschnig, Pestizide wirken beispielsweise stark mit Institut für Bienengesundheit, einem Darm-Parasiten zusammen und gina.retschnig@vetsuisse.unibe.ch schwächen dadurch die Bienenvölker über- proportional stark. «Mir gefällt die viel- uniaktuell-Interview online: Lesen Sie seitige Tätigkeit im Labor und auf dem das Interview im Online-Magazin unter Feld, der Unterricht für die Studierenden http://tinyurl.com/dossier-tdf2014 18 UniPress 161/2014 Forschen – auch in der Nacht
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Das Vertraute im Anderen entziffern Arabischer Frühling, Arabischer Herbst: Uner- müdlich kommentiert Professor Reinhard Schulze die Ereignisse in der arabischen Welt – und führt dadurch auch die Bedeutung der Islam- wissenschaft vor Augen. Von Marcus Moser «Ich mag es, Unbekanntes zu entdecken», Reinhard Schulze spricht druckreif; dies Menschen gleicher sozialer Schichten sich sagt Reinhard Schulze zwischen Bücher- und seine Fähigkeit, sein immenses Fach- über Kulturen hinweg verstünden: «Ein kisten. Das Büro ist nach dem Umzug aus wissen zur verständlichen Analyse der Geschäftsmann in Abu-Dhabi lebt in einer einer zugemieteten Wohnung in die Uni- Vorgänge in der islamischen Welt einzu- ähnlichen Welt wie ein Geschäftsmann tobler noch nicht fertig eingeräumt. Die setzen, haben ihn zu einem häufigen Gast in Genf.» Die Übereinstimmung der Nähe zu den anderen Instituten der Philoso- in den Medien gemacht. Dieses Engage- Lebenswirklichkeit sei viel wichtiger als die phisch-historischen Fakultät inspiriert den ment entspricht seinem Selbstverständnis. Differenz, dass der Geschäftsmann in grossgewachsenen Forscher, der seit 1995 «Je mehr wir von unserem Wissensfundus Abu-Dhabi Muslim, jener in Genf ein an der Universität Bern wirkt. «Unbe- in die Öffentlichkeit und in eine öffentliche Calvinist sei. Ähnliches gilt laut Schulze kanntes verbirgt sich in Texten, in Tradi- Sprache übersetzen können, desto grösser auch für Kleinbauern im Emmental und in tionen, aber auch im sozialen Handeln von wird die Chance, dass sich Menschen ein Unterägypten. «Unsere These ist gerade, Menschen», schlägt Schulze den Bogen vernünftiges Urteil über die Vorgänge in dass sich die unterschiedlichen Traditionen vom sozialen Ort Unitobler zu seiner der islamischen Welt machen können.» durchaus vergleichen lassen.» Derartige Forscherpassion: «Es ist die Entzifferung Vernunft, nicht spontane oder emotionale Fragen untersucht Reinhard Schulze in von Wirklichkeit, die ich als meine Leiden- Einstellungen, soll unsere Urteile be- einem 2013 begründeten Forschungs- schaft bezeichnen würde.» stimmen. Hier spricht der ganz der Auf- projekt. Daran wird ihn auch seine klärung verpflichtete Wissenschaftler. Emeritierung in vier Jahren nicht hindern. Der letzte Orientale Reinhard Schulze ist Professor für Islam- Leidenschaft dank Methode Kontakt: Prof. Dr. Reinhard Schulze, wissenschaft und Neuere Orientalische Sprachwissen, Sachwissen, Methode: Es ist Institut für Islamwissenschaft und Neuere Philologie. Als er selber mit dem Studium diese Dreiheit, für die Schulze seine Studie- Orientalische Philologie, begann, hiess das Fach noch Orientalistik. renden begeistern will. «Wenn sie dank reinhard.schulze@islam.unibe.ch Das tönte exotisch und bedeutete zunächst, richtigem Methodeneinsatz ihre erste, sich mit vielen fremden Sprachen zu eigene Erkenntnis erarbeiten, dann beginnt befassen. Mit Arabisch, Persisch, Türkisch; das Feuer zu lodern.» Für weiteren Sauer- mit Sumerisch und Aramäisch. Der junge stoff sorgten die Inhalte, das Fach: «Das Geistes- und Philologe war fasziniert – «und dann habe sogenannt ‹Andere› ist gar nicht so anders Kulturwissenschaften ich beim Entziffern festgestellt: Da wird ja als wir», erläutert Schulze. «Die Aufgabe an der Nacht der Forschung was geschrieben! Das war meine Hin- liegt eher im Vertrautmachen als im Über- wendung zum Inhalt.» Schulze kann sich setzen.» Der Professor ist überzeugt, dass Die Philosophisch-historische Fakultät ein feines Lächeln nicht verkneifen. Der wir beim Blick in die arabische Welt wie präsentiert an der Nacht der Forschung «exotische Orientalismus» war von kurzer beim Blick in einen Spiegel auch unser Kultur in allen Facetten. So zeigt etwa Dauer: Bereits bei seiner ersten Reise in den Eigenes wiederfinden könnten. «Es gibt eine Ausstellung mit Bildern von «Schwei- Orient beschieden ihm Gesprächspartner, Stimmen, die darauf hinweisen, dass in der zern» und «Nigerianern», wie Fremd- und eine Unterhaltung in Französisch sei auch Arabischen Welt aktuell auch die mögliche Eigendarstellung funktionieren. Im Projekt ok («ça marche»). «Da wurde mir klar, dass Zukunft anderer Weltteile beschrieben wird. «KulturTransfer» erfahren Sie, wie das der Orientalist der letzte Orientale ist. Er Wir erleben vielenorts den Zusammenbruch @-Zeichen vom Mittelalter in unsere Mails sucht seinen Orient – und findet ihn nicht, des Konsenses, in einer Gesellschaft fried- gelangte und wie die Kalaschnikow auf ausser in der Person des Orientalisten.» lich zusammenleben zu wollen.» Eine Dis- die Flagge Mosambiks kam. Ausserdem Schulze lacht. Er hat Freude an dieser tanzierung im Sinne von «das sind Mus- gilt es Rätsel um archäologische Funde zu Pointe, die gleichzeitig ein Schlüsselerlebnis lime, das ist die arabische Welt» gelinge lösen, Low-Budget-Musikclips aus den markiert: «Ich habe damals gelernt, dass nicht mehr, so Reinhard Schulze, da derar- 1960er Jahren zu entdecken und die es nicht zwei Welten sind, in denen wir tige Prozesse der Desintegration recht nahe Macht der Sprache zu erfahren. leben. Es ist eine Welt – mit verschiedenen seien, wie ein Blick in die Ukraine zeige. Sprachformen, Ausdrucksweisen und Der Prozess der Globalisierung habe Weitere Infos: Traditionen.» aber auch zur Tatsache geführt, dass www.nachtderforschung.unibe.ch 20 UniPress 161/2014 Forschen – auch in der Nacht
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