MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...

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DEZEMBER 2016

                                                                MAGAZIN

                                                                     Vielfalt der Sprachen – Schulen
                                                                     und Kindertagesstätten im Kontext
                                                                                                         t
                                                                     sprachlich-kultureller Heterogenitä

                                        gkeit und Integration Köln       KONZEPTE • NACHRICHTEN
Zeitschrift des Zentrums für Mehrsprachi
                                                                       PROJEKTE • VERANSTALTUNGEN
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    Impressum
    Herausgeber:                                   Redaktion:                                                       Editorial-Design, Satz & Layout:
                                                                                                                    Peter Liffers, agentur für unternehmenskommunikation
    ZMI                                            Rosella Benati
                                                                                                                    www.liffers-webdesign.de
    Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration   Jolanta Boldok
    c/o                                            Ariane Schmid                                                    Bildnachweis:
    Diversity                                                                                                       Titelseite: Christiane Wengmann, S. 14 Tim Wolfgarten, San-
                                                                                                                    dra Tietjens, S. 15-16 Museumsdienst Köln, Sebastiano De
    Kommunales Integrationszentrum                 Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
                                                                                                                    Petris, S. 17-18 Magdalena Kaleta, S. 20 Emilia Böttcher, Co-
    Kleine Sandkaul 5                              bei den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge.          rina Volcinschi, S. 22-23 Sylvia Siegel-Kopatz, S. 24-25 Leyla
    50667 Köln                                     Auflage 2.000                                                     Cakar-Winkel, S. 30 Brixx, S. 32-33 Gabriele Ceseroglu, Wal-
    www.zmi-koeln.de                               Köln, Dezember 2016                                              traud Reeder-Dertnig, S. 37 MAIS NRW, S. 38-39 Christiane
                                                                                                                    Wengmann, S. 40 Elisabeth Schmitz, Rosella Benati, S. 41
                                                                                                                    Maurice Cox. Alle übrigen Archiv des ZMI.

    zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
Inhalt

                                                                                           DEZEMBER 2016

                                                           MAGAZIN
                                                           Leitwort
                                                       4   Vielfalt der Sprachen – Schulen und Kindertagesstätten im Kontext
                                                           sprachlich-kultureller Heterogenität von M. Becker-Mrotzek, M. Höhne, N. Rehberg

                                                           Wissenschaft und Forschung
                                                       6   Klick, klick, Propaganda. Grundzüge eines Präventionsprogramms gegen Radikalisierung
                                                           durch Internet-Propaganda an Schulen im EU-Forschungsprojekt CONTRA
                                                           von Julian Ernst, Josephine B. Schmitt, Diana Rieger u. a.
                                                       7   Interview mit Jim Cummins. Es fragten Rosella Benati und María José Sánchez Oroquieta.
                                                      10   Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit: ein Fragebogen
                                                           von Anja Leist-Villis
                                                      12   Transnationale Biographien: Exkursion nach Istanbul
                                                           von Stefanie Magdalene Helbert und Sandra Tietjens
                                                           Praxis und Projekte: Aktuelles aus dem ZMI
                                                      15   Identitäten in Köln – ein Projekt des Museumsdienstes Köln mit dem ZMI-Köln
                                                           im Museum Ludwig von Karin Rottmann und Anke von Heyl
                                                      17   Kölner Sommerschule für geflüchtete Jugendliche von Diana Gebele und Alexandra L. Zepter
                                                      19   Der Gesprächskreis „Deutsch als Zweitsprache“ für Lehrkräfte - Mehr als nur sprachliche
                                                           Sensibilisierung von Emilia Böttcher und Corina Volcinschi

                                                      21   Das koordinierte Lernen mit BiSS (Bildung durch Sprache und Schrift)
                                                           von Ina-Maria Maahs und María José Sánchez Oroquieta

                                                      22   Wie das Konzept der Ferienschule als Literaturwoche in die Schule kam und um den As-
                                                           pekt des Generativen Erzählens erweitert wurde – ein Bericht aus dem Verbund „DemeK
                                                           mit BiSS“ von Sylvia Siegel-Kopatz

                                                      24   Meine Sprachen und Kulturen – Auf Entdeckungsreise mit Fantasmino
                                                           Interkulturelles Unterrichtsmaterial für die Grundschule von Maja Scheerer

                                                           Stadt und Land: Ideen und Projekte aus der Region
                                                      26   Das Positionspapier für Mehrsprachigkeit des Ministeriums für Schule und Weiter-
                                                           bildung Nordrhein-Westfalen. Interview mit Christiane Bainski, Leiterin der Landeskoordi-
                                                           nierungsstelle Kommunale Integrationszentren (LaKi). Die Fragen stellte Ariane Schmid.
                                                      28   „Experiment“ Eine interkulturelle Theatergruppe setzt Sprachenvielfalt in Szene
                                                           Interview mit Wladimir Weinberg. Die Fragen stellte Christina Walter.
                                                      30   Kreatives Deutsch Lernen mit Rap und Gesang
                                                           Ein Interview mit Rapperin Brixx. Die Fragen stellte Jolanta Boldok.
                                                      32    „Väter lesen vor“ – ein Projekt für Kölner Väter
                                                           von Gabriele Ceseroglu, Waltraud Reeder-Dertnig und Gian Luca Bonucci
Das ZMI-Magazin ist die Zeitschrift des                    talentCAMPus 2016: Empowerment – kein Kind zurück lassen von Irmgard Coerschulte
                                                      35
Zentrums für Mehrsprachigkeit und Integration Köln:
                                                           Zuletzt erschienen ...
                                                      36   Aktuelle Neuerscheinungen, vorgestellt vom ZMI
                                                           Veranstaltungen
                                                      37   Das ZMI - Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration und die Arbeitsstelle Migration
                                                           der Bezirksregierung Köln beim NRW-Tag
                                                      38   Mehrsprachigkeit ist unser Alltag – Sprachfest des ZMI am 26. Januar 2016
                                                      40   Mehrsprachiger Lesewettbewerb 2016
                                                      40   Fortbildungstag Deutsch am 19. November 2016
                                                      41   Ausstellungseröffnung „Identitäten in Köln“ im Museum Ludwig am 30. September 2016
                                                           Interkulturelle Glosse
                                                      42   „NSU Nummer“ von F. Çevikkollu
                                                                                                                                  zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
4   mehrwert:

    Vielfalt der SprachenKo–ntext
                                     im
    Schulen und Kindertagesstätten
                                      tät
    sprachlich-kultureller Heterogeni
                                                                   a Rehberg
                                    otzek, Manfred Höhne und Nin
     von Prof. Dr. Michael Becker-Mr

    Köln ist eine Stadt, die schon lange durch Migrationsbewegungen geprägt wird. Das spiegelt sich auch in den Bil-
    dungsinstitutionen wider: Knapp über 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren haben eine eigene
    Zuwanderungsgeschichte, oder mindestens ein Elternteil hat eine Zuwanderungsgeschichte. Die damit verbundene
    sprachlich-kulturelle Heterogenität stellt seit Jahrzehnten erhebliche Anforderungen an das deutsche Bildungswe-
    sen, die durch den Anstieg der Neuzuwanderungen der letzten Jahre nochmals erhöht wurden.
    zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
Leitwort 5
Schülerinnen und Schüler, die mit einer
anderen Sprache als Deutsch aufwach-
sen, sind häufig schulisch benachteiligt,
mit nachteiligen Auswirkungen auch auf
ihren Bildungserfolg. Um allen Kindern
und Jugendlichen unabhängig von ihrer
Herkunft eine chancengleiche Bildung
zu gewährleisten, ist es erforderlich, die
sprachlich-kulturelle Heterogenität so-
wohl in der Schul- und Unterrichtsent-
wicklung als auch in der Entwicklung der
Bildungsarbeit in den Kindertagesstätten
zu berücksichtigen.                                 Professor Dr. Michael Becker-       LRSD Manfred Höhne             Nina Rehberg
                                                    Mrotzek, Mercator-Institut ,        Bezirksregierung Köln          Dienststelle Diversity, Stadt Köln
Grundlegend für die Entwicklung von                 Universität zu Köln
Bildungsinstitutionen ist, dass sich jede
einzelne Einrichtung – ob Schule oder
Kindertagesstätte – als ganzes System
entwickelt, also die Organisation, das              erarbeiteten Leitlinien derzeit in den Kol-         weitere Aktivitäten an der Schnittstelle
Personal und den Unterricht bzw. die                legien besprochen und im Jahr 2017 auf              von Schul- und Unterrichtsentwicklung
pädagogische Praxis miteinbezieht.1 Um              Verbundebene verabschiedet.                         mit initiiert und begleitet. Als Beispiele
Nachhaltigkeit zu erzielen, müssen die              Eine zentrale Rolle in der Schul- und Unter-        sind hier zu nennen:
Maßnahmen aufeinander abgestimmt                    richtsentwicklung sowie der Entwicklung             Das Projekt „Identitäten in Köln“ ist in Ko-
werden und so mit dem alltäglichen Ge-              der Bildungsarbeit in Kindertagesstätten            operation mit Lehrkräften des Herkunfts-
schehen in Schule oder Kindertagesstätte            kommt der Haltung und den Umgangsfor-               sprachlichen Unterrichts und dem Muse-
verwoben werden.                                    men der Erzieherinnen und Erzieher sowie            umsdienst Köln durchgeführt worden. Im
Für die Berücksichtigung der sprachlich-            der Lehrkräfte zu. Mit einer im Jahr 2015           Rahmen des Herkunftssprachlichen Un-
kulturellen Heterogenität im Rahmen von             durch das ZMI mitfinanzierten Studie zur            terrichts haben sich die Schülerinnen und
Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie             Mehrsprachigkeit in Kölner Kindertages-             Schüler zusammen mit ihren Lehrkräften
der Entwicklung der Bildungsarbeit in den           stätten konnte die grundsätzlich offene             mit ihrem eigenen Dasein in Köln befasst.
Kindertagesstätten stehen eine Vielzahl             Haltung der dort tätigen pädagogischen              Der wertschätzende Umgang mit der per-
an Konzepten und Strategien – von der               Fachkräfte im Hinblick auf die sprachlich-          sönlichen Lebensgeschichte im Kontext
integrierten Sprachbildung im Deutschen             kulturelle Heterogenität aufgezeigt wer-            von Mehrfachzugehörigkeit stand dabei
bis hin zur Einbeziehung der Mehrspra-              den.2 Dies zeigt sich im Allgemeinen auch           im Vordergrund.
chigkeit – zur Verfügung. Das Zentrum               für die Schule, wobei Studienergebnisse             Die diesjährige Sommerferienschule des
für Mehrsprachigkeit und Integration                verdeutlichen, dass Lehrerkräfte häufig             Sprachförderprojekts der Universität zu
unterstützt Bildungseinrichtungen, die              noch unzureichend auf die sprachlich-               Köln an der Adolph-Kolping-Hauptschule
sich dazu entschließen, entsprechende               kulturell heterogenen Lerngruppen in ih-            in Köln-Kalk war ein Angebot für neu zu-
Maßnahmen zu implementieren. So be-                 ren Klassenzimmern vorbereitet werden.3             gewanderte Schülerinnen und Schüler in
gleitet es Schulen wie den Verbund Köl-             Kindertagesstätten und Schulen benö-                den Vorbereitungsklassen. Neben der För-
ner Europäischer Grundschulen, die ihren            tigen solche Fortbildung, die im Sinne              derung der deutschen Sprachkenntnisse
Schülerinnen und Schülern die Möglich-              einer ganzheitlichen und nachhaltigen               hatte die Ferienschule auch das Ziel, den
keit zur koordinierten Alphabetisierung in          Entwicklung gemeinsam mit dem gesam-                teilnehmenden Schülerinnen und Schülern
Deutsch und der Herkunftssprache bieten,            ten Kollegium bzw. Team besucht werden              das Kennenlernen und Erleben des All-
oder die mit dem Unterrichtskonzept „De-            können. Im Jahre 2016 hat das ZMI eine              tagsgeschehens in den Kölner Stadtvier-
meK: Deutschlernen in mehrsprachigen                Fortbildung für Lehrkräfte-Teams zur ge-            teln zu ermöglichen.
Klassen“ arbeiten. Um die Maßnahmen                 lingenden Zusammenarbeit im Kontext                 Das Zentrum für Mehrsprachigkeit und
der Verbundschulen in der Organisation              von sprachlich-kultureller Heterogenität            Integration wird auch künftig durch die
der Schule weiter zu verankern, hat das             an den Schulen – sowohl in den Klassen              fruchtbare Zusammenarbeit der drei Ko-
ZMI im September 2016 gemeinsam mit                 als auch im Kollegium – durchgeführt.               operationspartner Stadt Köln, Bezirks-
den Schulleiterinnen und Schulleitern des           Darüber hinaus hat das ZMI im Jahr 2016             regierung Köln und Universität zu Köln
Verbunds eine Klausurtagung zur Aktu-               2 Vgl. Roth, H.-J. et al. (2016): MehrKita -        seinen Beitrag dazu leisten, Bildungsein-
alisierung der Leitlinien veranstaltet. In          Mehrsprachigkeit in Kölner Kindertagesstätten.      richtungen in ihrer Entwicklung im Kon-
einem weiteren Schritt werden die dort              Universität zu Köln.                                text von sprachlich-kultureller Heterogeni-
                                                    3 Vgl. SVR- Forschungsbereich und Mercator
1 Vgl. Rolff, H.-G. (2013): Schulentwicklung kom-   Institut für Sprachförderung und Deutsch als
                                                                                                        tät zu unterstützen. 
pakt. Weinheim u. Basel: Beltz.                     Zweitsprache (2016)

                                                                                                                                  zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
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      Aus Wissenschaft
                       und Forschung

      Klick, klick, Propaganda.
     Grundzüge eines Präventionsprog
                                     ramms gegen Radikalisierung du
     Internet-Propaganda an Schulen                                 rch
                                    im EU-Forschungsprojekt CONTRA
     von
                                                                   .
          Julian Ernst, Dr. Josephine B. Sch
                                             mitt, Dr. Diana Rieger, Michalina
     Prof. Dr. Peter Vorderer und Prof.                                        Trompeta, Prof. Dr. Gary Bente,
                                         Dr. Hans-Joachim Roth

Das Internet ist längst selbstverständlicher Bestandteil der Lebenswelten Jugendlicher. Auf Plattformen wie YouTube,
Instagram oder Facebook bewegen sich Jugendliche routiniert und in großer Vertrautheit1. Beiträge werden kom-
mentiert, Bilder geteilt. Beliebt ist vor allem auch das Anschauen von Videos via Smartphone und anderer mobiler
Endgeräte2. Doch nicht alle online verfügbaren Inhalte können als unproblematisch eingeschätzt werden. Zunehmend
haben auch extremistische Gruppierungen soziale Online-Netzwerke als effizientes Medium zur Verbreitung ihrer ra-
dikalen Botschaften entdeckt3: Kaum anderswo lässt sich Propaganda anonym und derart einfach mit wenigen Klicks
veröffentlichen und ist mit noch weit weniger Klicks für jede Person mit einem Internetanschluss zugänglich.

Jugendliche laufen hierdurch im medialen Alltag konstant Gefahr,                    Wirkweisen von Online-Propaganda an und setzt sich zum Ziel,
sich Propagandainhalten auszusetzen – sei es gewollt oder durch                     Lehrkräften an Schulen wirksame Konzepte und Methoden an
Zufall. Extremistische Propaganda – unabhängig von ihrer ideo-                      die Hand zu geben, um Schülerinnen und Schüler gegen den Ein-
logischen Ausrichtung – kann in verschiedener Gestalt vorliegen:                    fluss von vorwiegend audiovisueller Internet-Propaganda stark
Videos, aber auch Musikstücke, Bilder und Kommentare präsen-                        zu machen.
tieren antidemokratische Thesen, predigen Hass gegen bestimm-
te Gruppen und rufen zu Gewalt auf. Die Inhalte dienen nicht nur                    Was und wer ist CONTRA?
der Vermittlung von Informationen über die vertretene Ideologie.
Sie sollen begeistern und zur Rekrutierung neuer Anhänger ver-                      CONTRA (Countering Propaganda by Narration Towards Anti-
helfen. Ziel der Extremistinnen und Extremisten ist es, insbeson-                   Radical Awareness) ist ein von der Europäischen Kommission
dere bei medienaffinen Jugendlichen Radikalisierungsprozesse zu                     gefördertes Forschungsprojekt, in dem ein Programm zur Prä-
befördern und diese in letzter Konsequenz davon zu überzeugen,                      vention der Wirkweisen rechtsextremistischer und islamistischer
sich in den Dienst einer vermeintlich höheren Wahrheit o.ä. zu stel-                Internet-Propaganda für den Einsatz in Schulen erarbeitet wird.
len – und damit der demokratischen, wertepluralistischen Gesell-                    Die derzeit in Entwicklung befindlichen Einheiten und Methoden
schaft, Familie und Freunden den Rücken zu kehren.                                  für den Unterricht werden im Frühjahr 2017 erstmals an Schulen
Wie kann verhindert werden, dass Jugendliche sich durch online                      in Deutschland eingesetzt. Ihr Erfolg wird dann evaluiert wer-
frei verfügbare Propaganda gewalttätigen und demokratiefeind-                       den. Die dabei in Deutschland gesammelten Erfahrungen sollen
lichen Ideen zuwenden? Auf diese Frage wollen wir mit dem For-                      dann auch in anderen EU-Staaten genutzt werden. Das internati-
schungsprojekt CONTRA Antworten geben. Das im März 2016                             onal und interdisziplinär zusammengesetzte Forschungsteam be-
gestartete Projekt knüpft an aktuelle Forschungsergebnisse zu                       steht aus Medienpsychologen und Erziehungswissenschaftlern

1 Vgl. S.172 f. bei Calmbach, M./Borgstedt, S./Borchard, I./Thomas, P. M./Flaig, B. B. (2016). Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter
von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Springer Verlag, Wiesbaden 2016.
2 Vgl. bei Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (Hrsg.). JIM 2015. Jugend, Information, (Multi-) Media (mpfs). Basisstudie zum Medienumgang 12-
bis 19-Jähriger in Deutschland.
3 Vgl. bei Jugendschutz.net (Hrsg.) (2015a): Islamismus im Internet. Propaganda-Verstöße-Gegenstrategien. Mainz. sowie bei Jugendschutz.net (Hrsg.) (2015b):
Rechtsextremismus online. Beobachten und nachhaltig bekämpfen. Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2014. Mainz.

                                                                                                                                           zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
8   Aus Wissenschaft und Forschung

    der Universitäten Köln, Mannheim und Haifa (Israel), interna-                   Propaganda gelten Musliminnen und Muslime zugleich häufig als
    tionalen Experten von Sicherheitsbehörden aus den Niederlan-                    outgroup, d.h. sie werden pauschal abgewertet und zu Feinden
    den (NCTV), Österreich (Österreichischer Verfassungsschutz) und                 erklärt. Bei Berufsschülerinnen und -schülern stieg das Interes-
    Deutschland (Bundeskriminalamt) sowie Praktikern der Präven-                    se an Propaganda, wenn es sich um Propaganda mit „ingroup“-
    tions- und politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen (Ufuq e.V.,              Bezug handelte.
    Bundeszentrale für politische Bildung, 180° Wende).                             Im Internet finden sich auch zahlreiche Gegenstimmen (Coun-
    CONTRA möchte die Aufmerksamkeit Jugendlicher und Pädago-                       ter-Narratives/Counter-Messages). Zu einem großen Teil werden
    ginnen und Pädagogen für radikale Botschaften, sowohl islamis-                  diese von staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Ak-
    tische als auch rechtsextremistische, schärfen, das kritische Re-               teuren organisiert und publiziert. So stellen sich zum Beispiel ver-
    flexionsvermögen stärken sowie die genannten Gruppen zur Teil-                  schiedene muslimische YouTuberinnen und YouTuber radikalen
    nahme am sozialen bzw. medialen Diskurs über Extremismus be-                    Argumentationen des rechten und islamistischen Lagers entge-
    fähigen. Langfristig soll so Radikalisierungsprozessen entgegen-                gen. Die „Datteltäter“ etwa parodieren in ihren YouTube-Videos
    gewirkt werden, welche durch – im Schwerpunkt audiovisuelle                     sowohl Islamfeinde als auch Islamisten und bringen damit die
    – Online-Angebote bedingt und gefördert werden. Doch welche                     Absurdität entsprechender ideologischer Forderungen zum Aus-
    Rolle spielen Internetvideos überhaupt in der Hinwendung zu ra-                 druck. Auch Dominik Musa Schmitz kontert die vermeintlich at-
    dikalen Ideologien?                                                             traktiven Angebote von Neo-Salafisten: Er ist prominenter Aus-
                                                                                    steiger aus der deutschen neo-salafistischen Szene und erzählt
    Radikalisierung durch Internetvideos                                            rückblickend über seinen Radikalisierungsprozess und den Weg
                                                                                    aus der Szene.
    Die vorliegenden Forschungsergebnisse zu Radikalisierungspro-                   Gegenbotschaften haben zum Ziel, Propaganda zu entkräften
    zessen erlauben kaum konkrete Aussagen über typische Verläu-                    und Alternativen zu radikalem Denken aufzuweisen. Die Wege
    fe. Soviel ist dennoch klar: Der Einfluss radikaler Propaganda im               sind unterschiedlich: So stehen die beiden genannten Beispie-
    Internet auf Entwicklungen und Entscheidungen Jugendlicher                      le für ironisch-performative Inszenierungen und rationale Aufklä-
    darf nicht unterschätzt werden.                                                 rung durch Information und Lebenserzählung.
    Auf Propaganda können Jugendliche über Freunde und Bekann-                      Doch können Gegenerzählungen auch scheitern? Können sie
    te sowie auch durch Zufall bei der Suche nach jugendtypischen                   Jugendlichen vielleicht sogar indirekt Wege zur Propaganda
    Fragestellungen der Identitätssuche stoßen – von „darf ich einen                eröffnen?
    Freund haben?“ über „was ist eigentlich deutsch?“ wird ein brei-
    tes Spektrum an Themen bedient. Sowohl rechtsextremistische                     Nur einen Mausklick von der Gegenbotschaft
    als auch islamistische Akteurinnen und Akteure verknüpfen ihre                  zur Propaganda
    Videobotschaften geschickt mit Schlagworten, die oberflächlich
    keinen weiteren Aufschluss darüber geben, ob es sich um Propa-                  Die Pfade zur Propaganda, etwa auf der Video-Plattform YouTu-
    ganda handeln könnte oder nicht.                                                be, verlaufen nicht zwangsläufig gradlinig. So stoßen Jugendli-
    Eine grundsätzlich befürwortende Haltung gegenüber Propagan-                    che nicht nur durch die gezielte Suche auf audiovisuelle Manipu-
    davideos lässt sich bei jungen Erwachsenen nicht finden. So geht                lationsversuche. Radikale Botschaften sind für viele Jugendliche
    aus der Studie „Propaganda 2.0“ hervor, dass viele junge Er-                    potentiell nur einen Mausklick weit entfernt – dies trifft selbst
    wachsene Propagandavideos eher ablehnen und sie häufig gar                      dann zu, wenn Videos von Gegenstimmen abgerufen werden.
    nicht bis zu Ende ansehen4. Größere Zustimmung zu Propaganda                    Öffnet man zum Beispiel auf YouTube den Kanal von Dominik
    zeigt sich in Abhängigkeit zum Ausbildungsstand der Teilnehmer:                 Musa Schmitz, werden durch den automatisierten Algorithmus
    Bei Studierenden stieg die Ablehnung von Propaganda, wenn                       der Plattform neben den „Datteltätern“ auch Kanäle als ähnlich
    sie ein potentielles Zugehörigkeitsgefühl auslöst. Dies kann bei-               vorgeschlagen, deren Sender und Inhalte man als überaus pro-
    spielsweise der Fall sein bei Propaganda, die Zuschauerinnen und                blematisch einstufen kann (s. roter Rahmen in der Abbildung).
    Zuschauer als ingroup adressiert. Im Falle rechtsextremistischer                Neben dem Kanal des im deutschsprachigen Raum bekannten
    Propaganda sind dies „Deutsche“, „Volksgenossen“ oder ähnli-                    neo-salafistischen Predigers Pierre Vogel, wird auch der Kanal
    che Gruppenkonstruktionen, bei islamistischer Propaganda wer-                   „Die wahre Religion“ empfohlen: Der Videokanal einer für ih-
    den Musliminnen und Muslime adressiert oder jene, die sich für                  re Missionierungsarbeit (auch: Da`wa-Arbeit) bekannten Gruppie-
    den Islam als Lebensform interessieren. In rechtsextremistischer                rung um den neo-salafistisch ausgerichteten Aktivisten Ibrahim
                                                                                    Abou-Nagie5.
    4 Rieger, Diana/Frischlich, Lena/Bente, Gary (2013): Propaganda 2.0. Psycho-
    logical Effects of Right-Wing and Islamic Extremist Internet Videos. Luchter-   5 Vgl. bei Wiedl, Nina/Becker, Carmen (2014): Populäre Prediger im deutschen
    hand Verlag, Köln. Online abrufbar unter: https://www.bka.de/SharedDocs/        Salafismus. Hassan Dabbagh, Pierre Vogel, Sven Lau und Ibrahim Abou Nagie.
    Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/PolizeiUndForschung/1_44_         In: Schneiders, Thorsten Gerald (Hrsg.): Salafismus in Deutschland. Ursprünge
    Propaganda2.0.html                                                              und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung. Transcript

    zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
Aus Wissenschaft und Forschung 9

Nutzeransicht des Videokanals von Dominik Musa Schmitz, bekannter Aussteiger der deutschen neo-salafistischen Szene. In rot gerahmt sind die von YouTube
als „ähnlich“ vorgeschlagenen Kanäle u.a. des als problematisch geltenden salafistischen Predigers Pierre Vogel und des Aktivisten Ibrahim Abou-Nagie.

Das im Rahmen von CONTRA entwickelte                 Förderung kritischer Medien-                         und Wege nicht nur zu kennen, sondern
Präventionsprogramm möchte Jugendliche               kompetenz: #weARE                                    auch zu nutzen, beispielsweise den Inhal-
auf solche Herausforderungen und Fall-                                                                    ten hasserfüllter Videos oder Kommentare
stricke im Umgang mit Online-Angeboten               Unter kritischer Medienkompetenz wird in             etwas entgegensetzen und die eigene Stim-
aufmerksam machen, für die Verführung                CONTRA, nach Ganguin und Sander, „eine               me und Position als machtvoll wahrzuneh-
durch einfache Propagandaantworten sen-              analytische, reflexive und ethische Einord-          men und einsetzen zu können – dies meint
sibilisieren und zu eigener Positionierung           nung bzw. Beurteilung medialer Inhalte“7             empowerment.
ermutigen.                                           verstanden, im Speziellen von Propagan-              Konkrete Methoden zur Förderung kriti-
                                                     da. Schülerinnen und Schüler sollen fä-              scher Medienkompetenz und Prävention
Nicht bewahren: Befähigen!                           hig sein, etwa die im Beispiel (siehe Ab-            von Radikalisierung werden bis zum Ende
                                                     bildung) dargestellten Verknüpfungen von             der Projektlaufzeit von CONTRA im Früh-
Am oben genannten Beispiel wird deutlich,            Videos mit zweifelhaften Kanälen zu er-              jahr 2018 entwickelt, evaluiert und pub-
dass Jugendliche während des alltäglichen            kennen bzw. im Falle des Aufrufens kri-              liziert. Bei konkreten Fragen zum Projekt
Surfens jederzeit auf radikale Botschaften           tisch hinterfragen zu können. Dies bedarf            besuchen Sie die Projektwebseite www.
stoßen können – sei es gewollt oder ein-             spezifischen Wissens, Fähigkeiten und Hal-           project-contra.org. 
fach nur zufällig. Da Mediennutzung ein              tungen. Diese spiegeln sich bei CONTRA
bedeutsamer Teil der Freizeitgestaltung              in drei Zieldimensionen wider: awareness
Jugendlicher ist6, ist der Versuch, Jugend-          (Aufmerksamkeit), reflection (kritische Re-
liche von potentiell radikalisierenden Inhal-        flexion) und empowerment (Stärkung eige-
ten fernzuhalten, aus (medien-)pädago-               ner Positionierung), eingängig abgekürzt                 info
gischer Perspektive keine Option. CONT-              mit #weARE. Die Dimension awareness be-                  Kontakt
RA folgt der Auffassung, dass Jugendliche            schreibt eine grundlegende Aufmerksam-
nicht vor der Konfrontation mit Propagan-            keit für radikale Botschaften im Netz, das               Julian Ernst, Universität zu Köln

da im Internet „bewahrt“ werden können.              schlichte Wissen darüber, dass man auf                   Dr. Josephine B. Schmitt, Universität zu Köln
                                                                                                              Dr. Diana Rieger, Universität Mannheim
Sie müssen jedoch darauf vorbereitet wer-            YouTube und anderen Online-Portalen auf                  Michalina Trompeta, Universität zu Köln
den, diese Manipulationsversuche im Inter-           Propagandainhalte verschiedener Gestalt                  Prof. Dr. Gary Bente, Universität zu Köln

net erkennen, reflektieren und einordnen             stoßen kann. Reflection geht bereits einen               Prof. Dr. Peter Vorderer, Universität
                                                                                                              Mannheim
zu können. Hierfür zentral ist die Förde-            Schritt weiter. Schülerinnen und Schüler
                                                                                                              Prof. Dr. Hans-Joachim Roth, Universität zu
rung der kritischen Medienkompetenz.                 können bestimmte Kriterien an Online-In-                 Köln
                                                     halte (z. B. Videos) anlegen und zu einem
Verlag, Bielefeld 2014. S.187-215.                   Schluss kommen: Handelt es sich gerade                   Projektwebsite: project-contra.org
6 Vgl. S.233 bei Ganguin, Sonja/Sander, Uwe
(2015): Zur Entwicklung von Medienkritik. In: von    um Internet-Propaganda oder nicht? Die
Gross, Friederike/ Meister, Dorothee M./Sander,      Ebene der Handlung und des Aktiv-Wer-
Uwe (Hrsg.): Medienpädagogik – ein Überblick.        dens ist ebenfalls berücksichtigt. Mittel
Beltz Juventa, Weinheim und Basel 2015. S.229-
246.                                                 7 Vgl. S.234 ebd.

                                                                                                                                           zmi-Magazin | 2016
MAGAZIN DEZEMBER 2016 - Vielfalt der Sprachen - Schulen und Kindertagesstätten im Kontext sprachlich-kultureller Heterogenität - Zentrum für ...
10   mehrwert:

           rv ie w m it P ro f. D r. Ji m C u m                                                                  mins
     In te                                 Studies in Education, University
                                                                            of Toronto
     Professor am Ontario Institute for                                                                         f.
                                                                               ta. Übersetzung Christina Neuhof
         Inte rvie w füh rten Ros ella Ben ati und María José Sánchez Oroquie
     Das

     Am 30. November und am 1. Dezember 2016 wurde das ZMI - Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration zu der
     Konferenz „Great Start in Life“ in Brüssel eingeladen. Diese Konferenz, die von der Europäischen Kommission, Direkti-
     on EDUCATION AND CULTURE (EAC), Einheit B.2 - Schools and Educators; Multilingualism organisiert wurde, hatte zum
     Ziel, Expertinnen und Experten zu Bildung und Migration aus den Bereichen Wissenschaft, Politik und Praxis zusam-
     menzuführen. Gemeinsam wurden die Bedingungen und Erfolgsfaktoren für eine bestmögliche Erziehung und Bildung
     in Elementar- und Primarstufe diskutiert.
     Frau Benati vom ZMI und von der Arbeitsstelle Migration der Bezirksregierung Köln und Frau Sánchez Oroquieta,
     ebenfalls Mitarbeiterin in der Arbeitsstelle Migration, haben über die Kölner Programme zum mehrsprachigen Lernen
     (koordiniertes Lernen - KOALA und Gelebte Mehrsprachigkeit) im Rahmen eines Plenarvortrages referiert. An der Fach-
     konferenz haben viele renommierte Referentinnen und Referenten teilgenommen; darunter auch Prof. Dr. Jim Cummins,
     der in seinem Vortrag mehrmals lobend die fortschrittliche Praxis in Köln aufführte. Anschließend an den Vortrag von
     Frau Benati und Frau Sánchez Oroquieta hat Herr Cummins in einem Interview seine Eindrücke und wissenschaftlichen
     Erkenntnisse über die Kölner Konzepte und Programme zur Förderung der Mehrsprachigkeit dargelegt.

     Prof. Cummins, Sie haben gerade                 und wie diese geschrieben werden. Wie in        Was die wissenschaftliche Basis angeht, in
     zwei kurze Ausschnitte aus Filmen               dem Beispiel, als die Kinder, die selbst kein   Bezug auf die Arbeit, die Sie tun, denke ich,
     über die beiden aktuellen Konzep-               Arabisch sprechen, von dem Schüler, des-        viele Leute sind sich gar nicht bewusst, dass
     te „KOALA - Koordiniertes Lernen“               sen Muttersprache Arabisch ist, einige Din-     dem ein starkes Fundament an Forschungs-
     sowie „Gelebte Mehrsprachigkeit“                ge darüber lernen, wie die arabische Spra-      ergebnissen zugrunde liegt und etliche Wis-
     gesehen. Welchen Eindruck haben                 che geschrieben wird und wie sie klingt. Es     senschaftlerinnen und Wissenschaftler dis-
     Sie daraus gewonnen?                            liegt hier also ein genereller Fokus auf dem    kutieren diese schon seit vielen Jahren.
                                                     Bewusstsein für Sprache und das Erlernen        Zunächst einmal wissen wir, dass es einen
     Es war sehr interessant für mich, diese Bei-    und Kennenlernen von anderen Sprachen           starken Zusammenhang gibt, zwischen der
     spiele Ihrer Arbeit im Schulalltag zu sehen,    wird mit Spaß erlebt. Das wird offenkundig      Tatsache, wie gut Kinder ihre Mutterspra-
     mit ihrem Fokus auf eine Lese- und Schreib-     das Bewusstsein der Kinder stärken, wie die     che entwickeln und wie erfolgreich sie die
     entwicklung, die die Herkunftssprachen der      „Hauptunterrichtssprache“ – in dem Falle        „Hauptunterrichtssprache“ erlernen wer-
     Kinder einbezieht. Es wurde ganz offen-         Deutsch – aufgebaut ist und sie werden sich     den. Kinder, die aus einem Vorschulpro-
     sichtlich – durch die Begeisterung, die die     viel zuversichtlicher und entspannter in der    gramm oder aus ihren Elternhäusern be-
     Kinder zeigen sowie die Tatsache, dass sie      Lernumgebung fühlen. Das ist sehr beein-        reits mit starken Fähigkeiten in ihrer Mut-
     von sich aus Informationen aus ihren jeweili-   druckende Pädagogik und ich denke, diese        tersprache in die Grundschule kommen,
     gen Sprachen einbringen – dass sie sich be-     Arbeit ist Pionierarbeit, wegweisend für das,   mit in ihrer Muttersprache entwickelten
     stätigt fühlen und ihr Wissen über ihre Her-    was gemacht werden sollte.                      Konzepten und vielleicht auch Erfahrungen
     kunftssprachen in der Klasse einen Wert                                                         mit Büchern in ihrer Muttersprache, werden
     hat. Sie wurden ermutigt, Sprachen zu ver-      Vielen Dank. Wie beurteilen Sie dies            die zweite Sprache in der Schule viel besser
     gleichen. Sie lernten über andere Sprachen      aus wissenschaftlicher Perspektive?             erlernen als Kinder, die diesen Hintergrund

     zmi-Magazin | 2016
Aus Wissenschaft und Forschung 11

nicht mitbringen. Das ist also der erste          schuljahren praktiziert werden, erscheinen
Punkt, dass es eine starke positive Bezie-        die gezeigten Ansätze einigen Pädagogin-
hung zwischen den Sprachen gibt: Je bes-          nen und Pädagogen unter Umständen als
ser die Muttersprache entwickelt wird, um-        recht herausfordernd, wenn sie noch keine
so leichter tun sich die Kinder mit der zwei-     Erfahrung damit haben. Die sagen vielleicht
ten Sprache.                                      “Ich weiß nichts über diese Sprachen, wie
Zweitens gibt es viel laufende Forschung          soll ich in so einem Kontext unterrichten?
dazu, dass Bilingualität und Mehrsprachig-        Ich weiß nicht, wie man diese Sprachen un-
keit die Gehirne von Kindern stimulieren          terrichtet.“ Doch ich denke, sie unterschät-
und in Verbindung mit der Zweisprachigkeit        zen, was in diesen Situationen möglich ist.
kognitive Vorteile festzustellen sind. Und        Die Lehrperson muss die Sprachen nicht
diese Forschung hat in den letzten zehn bis       kennen, es dürfte für die meisten unmög-
fünfzehn Jahren dramatisch zugenommen.            lich sein, auch nur einen Bruchteil der Spra-
Es ist weithin anerkannt, dass Bilinguali-        chen zu kennen, die innerhalb eines diver-        dennoch die ganze Idee, was Bildung ist,
tät das Sprachbewusstsein von Kindern er-         sen Umfelds in der Klasse zusammen kom-          bereichern. Es geht eben nicht nur dar-
weitern kann, ihre Gehirne flexibler macht        men. Was Lehrpersonen jedoch tun kön-            um, Informationen von der Lehrperson an
und es ihnen erleichtert, weitere Sprachen        nen: Sie können den Klassenraum als mehr-        die Schülerinnen und Schüler zu vermitteln.
innerhalb ihrer Schullaufbahn besser zu           sprachigen Raum öffnen und den Kindern           Es geht darum, einen Raum zu eröffnen, in
erlernen.                                         vermitteln, dass ihre Herkunftssprache ei-       dem Kinder zur Lernumgebung beitragen
Ein dritter Punkt ist, dass die gesamte Fra-      ne intellektuelle Leistung ist, ein kognitives   und voneinander lernen können.
ge nach der Identität und wie Kinder sich         Werkzeug und Fundament, nicht nur für ih-        Ich möchte den Lehrpersonen, die in die-
mit sich selbst fühlen, sehr wichtig ist in Be-   re persönliche, sondern auch ihre akademi-       se Arbeit involviert sind, gratulieren. Sie
zug darauf, wie erfolgreich sie sich entwi-       sche Entwicklung in der Mehrheitssprache.        sind die Speerspitze der Bildung in einem
ckeln werden. Wenn Kinder fühlen, dass sie        Wir können voneinander lernen und das            Kontext der Diversität. Ich werde ganz si-
in der Klasse akzeptiert werden, dass ihre        bezieht die Lehrperson mit ein.                  cher die Einzelheiten und Beschreibungen,
Kultur und ihre Sprache von ihren Lehrkräf-       Es gibt eine Vielfalt an Strategien, die Lehr-   was hier passiert, zu meinen kanadischen
ten wertgeschätzt wird und sie diese als Er-      personen, Schülerinnen und Schüler in sol-       Kolleginnen und Kollegen mitnehmen und
rungenschaft empfinden, dann fühlen sie           chen Situationen einsetzen können. Das           ich bin sicher, es wird mehr Interaktion zwi-
sich bestärkt in ihrer Identität. Kinder, die     „KOALA-Konzept“ und „Gelebte Mehr-               schen Pädagoginnen und Pädagogen und
sich in ihrer Identität stark fühlen, beteili-    sprachigkeit“ sind Beispiele dafür. Aber         Institutionen in der Welt geben, sich zu Ini-
gen sich mehr.                                    schon ganz einfache Dinge, wie zum Bei-          tiativen wie diesen auszutauschen.
Diese drei Faktoren umreißen im Kern die          spiel, jeden Tag ein oder zwei Kinder zu er-
wissenschaftliche Basis und sie spiegeln          muntern, ein Wort aus ihrer Sprache mitzu-       Vielen Dank, Professor Cummins!
sich ganz direkt in der Arbeit, die Sie tun.      bringen, das ihnen etwas bedeutet. Wenn
Denn die Kinder fühlen sich ganz offen-           sie noch klein sind, schreiben die Eltern ih-
sichtlich bestärkt in ihrer Identität, sie sind   nen das Wort vielleicht auf. Sie entschei-
                                                                                                      info
stolz auf ihre Sprachkenntnisse, ihre Kul-        den und erklären selbst, warum sie dieses
                                                                                                      Kontakt
tur ist willkommen in der Klasse, sie lernen      Wort ausgewählt haben, was es bedeutet
                                                                                                      Rosella Benati
voneinander und sie bringen die beiden            und dann lernen alle in der Klasse, inklusi-        Arbeitsstelle Migration
Sprachen in Kontakt in einer geplanten und        ve der Lehrperson, dieses Wort. So haben            Bezirksregierung Köln

motivierenden, spannenden Art und Weise.          wir jeden Tag unterschiedliche Sprachen             Geschäftsführung ZMI
                                                                                                      rosella.benati@brk.nrw.de
Auch wenn solche Projekte vielleicht teil-        im Klassenraum, die Kinder entwickeln ein
weise einen intuitiven Ursprung haben mö-         Bewusstsein für die Worte und wie sie ge-
gen, so gibt es doch auch eine sehr solide        schrieben werden, sie finden mehr über die          María José Sánchez Oroquieta

wissenschaftliche Basis dafür und die erho-       Kulturen ihrer Klassenkameradinnnen und             Verbundkoordinatorin des
                                                                                                      Verbundes „Koordinierte
benen Daten validieren diese Ansätze.             -kameraden heraus und was ihnen wichtig             Entwicklung von Lese- und
                                                  ist, wie deren Sprachen aussehen und klin-          Schreibfähigkeiten in Deutsch

Eine letzte Frage: Möchten Sie den                gen. Etwas so Einfaches kann bereits pro-           und in der Herkunftssprache
                                                                                                      während der Primarstufe“
Lehrpersonen in der Früherziehung                 funde Auswirkungen auf die Stärkung der
                                                                                                      im Programm Bildung durch
und Betreuung etwas sagen?                        Identität der Kinder sowie auf die Entwick-         Sprache und Schrift (BiSS).
                                                  lung ihres Sprachbewusstseins haben.                Fachberaterin der Arbeitsstelle

Ich denke, wenn wir uns die Art von Päd-          Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Es        Migration der Bezirksregierung
                                                                                                      Köln
agogik anschauen, die in Programmen der           gibt eine große Vielfalt an ziemlich einfa-         maria.sanchez@brk.nrw.de
Früherziehung und in den ersten Grund-            chen Strategien, die nichts kosten und die

                                                                                                                                    zmi-Magazin | 2016
12   Aus Wissenschaft und Forschung
                                                                                                             chen.“
                                                               r bei uns sollen die Kinder deutsch spre
                   „Mehrsprachigkeit finde ich gut, abe
                                              r
                   Einstellungen pädagogische
                                              keit:
                   Fachkräfte zu Mehrsprachig
                   ein Fragebogen
                    von Dr. Anja Leist-Villis

     Die Einstellungen pädagogischer Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit sind in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus
     der Forschung gerückt. Qualitative Studien können hier in die Tiefe gehen, betrachten aber zumeist nur kleine Stich-
     proben, sind dabei zeitaufwändig und in der Praxis nur punktuell zu realisieren. Der hier vorgestellte standardisierte
     Fragebogen ermöglicht mit recht geringem Aufwand einen Einblick in die Denkweisen pädagogischer Teams.

     „In unserer Schule wird nur deutsch gesprochen, damit die Kinder               chung zu schriftsprachlichen Fähigkeiten türkisch-deutscher
     mit anderen Muttersprachen es auch gut lernen.“ Ein nachvoll-                  Grundschülerinnen und -schüler in Köln entstanden.2 Hier wurden
     ziehbarer Gedanke: Kinder, die in Deutschland leben, brauchen                  drei Förderkonzepte miteinander verglichen: die koordinierte Al-
     gute Kenntnisse der deutschen Sprache – aber ist das alles? Nein,              phabetisierung (KOALA), die Deutschförderung mit und diejenige
     denn das deutsche Umfeld ist nur ein Teil der mehrsprachigen                   ohne muttersprachlichen Ergänzungsunterricht. Der Fragebogen
     Lebenswelt dieser Kinder, in der sie all ihre Sprachen brauchen.               wurde von 133 Lehrkräften aus zehn Grundschulen beantwortet.
     Zudem spielt die Mutter-/ Erstsprache eines Kindes eine wichti-                Modifiziert und weiterentwickelt wurde diese Version im Projekt
     ge Rolle in seiner Entwicklung – in ihr werden erste Beziehun-                 „CoLiBi“3 zur Untersuchung der Bedeutung unterschiedlicher Bil-
     gen gestaltet, die Welt erkundet, die Persönlichkeit entfaltet. Ent-           dungskontexte für die Entwicklung griechisch-deutschsprachiger
     sprechend fordert der Nationale Integrationsplan der Bundesre-                 Schülerinnen und Schüler. Der Fragebogen wurde hier interna-
     gierung: „Neben dem Erwerb der deutschen Sprache erkennen                      tional vergleichend eingesetzt: an einer griechisch-deutschen
     die Länder die Bedeutung der Mehrsprachigkeit für alle Kinder                  Schule in Griechenland, deren gesamtes Konzept auf Zweispra-
     und Jugendlichen an. Dies schließt die Herkunfts- oder Familien-               chigkeit ausgerichtet ist, und an einer Schule in Deutschland
     sprachen der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund                 mit griechisch-deutschem Zweig. Auf Basis der hier ausgefüllten
     ein. Es sind geeignete Maßnahmen zu identifizieren, die das Prin-              138 Bögen wurde die vorliegende Endfassung des Fragebogens
     zip der Mehrsprachigkeit im Schulalltag angemessen verankern.“1                erstellt.
     Was aber ist „angemessen“? Unter welchen Bedingungen können                    Diese enthält 22 Aussagen (Items) zu Mehrsprachigkeit, die zum
     sich Kinder in harmonischer Weise zweisprachig entwickeln? Sie                 einen generelle Einstellungen – Die Zweisprachigkeit zweispra-
     brauchen Möglichkeiten, beide Sprachen zu hören und zu spre-                   chiger Kin­ der ist als besondere Kompetenz anzuerkennen –,
     chen. Und sie brauchen ein Umfeld, in dem Mehrsprachigkeit posi-               zum anderen konkrete Umgangsformen – Ich beziehe alle
     tiv begegnet wird. Tatsächlich aber geht der Eintritt anders-/zwei-            Sprachen der Schülerinnen und Schüler in den Unterricht mit
     sprachiger Kinder in den einsprachig ausgerichteten Kindergarten               ein – beschreiben. Angesetzt wurde eine vierstufige Likert-Skala
     oftmals mit einem Bruch in ihrer sprachlichen – und damit gesam-               mit der zusätzlichen Antwortmöglichkeit ich weiß nicht. Die
     ten – Entwicklung einher. Schnell bekommen sie den Eindruck,                   Gesamtskala weist eine Reliabilität von 0.86 (Cronbach’s Alpha)
     dass hier allein Deutsch wichtig ist. Ihre andere Sprache stagniert            auf. Die Faktorenanalyse zur Prüfung der Validität ergab zudem
     oder beginnt zu verkümmern.                                                    die Eindimensionalität der Items. Reliabilität und Eindimen-
     Nach wie vor sind diese Themen nicht selbstverständlich Inhalt der             sionalität sind zentral für die Qualität einer solchen Skala und
     Ausbildung von Erzieherinnen und Lehrkräften. So bleibt der Umgang             Voraussetzung dafür, dass die einzelnen Werte zusammengefasst
     mit Mehrsprachigkeit vor Ort zumeist den einzelnen Personen selbst
                                                                                    2 Initiiert durch die Bezirksregierung Köln und federführend durchgeführt
     überlassen. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen: Wie denken
                                                                                    durch Prof. Hans H. Reich, Universität Landau. Reich, Hans H. (2011). Schrift-
     sie darüber? Welches Klima schaffen sie in ihrer Einrichtung durch             sprachliche Fähigkeiten türkisch-deutscher Grundschülerinnen und -schüler in
     ihre Haltung gegenüber und ihren Umgang mit Mehrsprachigkeit?                  Köln. Ein Untersuchungsbericht. Köln. Abrufbar unter http://www.zmi-koeln.
                                                                                    de/index.php/materialien/Allgemeine-Dokumente/Koala/Evaluation-KOALA.
     Entwicklung eines Fragebogens                                                  pdf/; Reich, Hans H. (2016). Auswirkungen unterschiedlicher Sprachförderkon-
                                                                                    zepte auf die Fähigkeit des Schreibens in zwei Sprachen. In: Peter Rosenberg
     Der hier vorgestellte Fragebogen „Einstellungen pädagogischer                  und Christoph Schroeder, Mehrsprachigkeit als Ressource in der Schriftlichkeit,
     Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit“ ist im Rahmen einer Untersu-                   Berlin, S. 177 – 205.
                                                                                    3 In CoLiBi kooperierten Wissenschaftlerinnen der Aristoteles-Universität
                                                                                    Thessaloniki (Prof. Ianthi Tsimpli und ihr Team) und der Universität zu Köln
     1 Die Bundesregierung (2007). Der Nationale Integrationsplan. Berlin, S. 26.   (Prof. Christiane Bongartz, Prof. Argyro Panagiotopoulou und Teams).

     zmi-Magazin | 2016
Aus Wissenschaft und Forschung 13

und Durchschnittswerte, Streuungen, Signifikanzwerte usw.                 Lehrkräfte Eltern mit nicht-deutscher Mutterspra­che, mit ihren Kin-
errechnet werden können.                                                  dern möglichst viel Deutsch zu sprechen. Tatsächlich finden sich 24
Der Fragebogen ist so konzipiert, dass er sowohl in elementar-            Lehrkräfte, die beide Items mit trifft eher zu beantworten, obwohl
pädagogischen als auch in schulischen Einrichtungen eingesetzt            es sich doch eigentlich um gegensätzliche Aussagen handelt. Selbst
werden kann. Übertragen in weitere Sprachen eignet er sich für            wenn vielleicht unterschiedliche Deutschkenntnisse der Eltern diese
internationale Vergleiche.                                                verschiedenen Ratschläge verursachen, zeigt sich hier eine deutliche
                                                                          Unsicherheit der Lehrkräfte, die für Rat suchende Eltern hoch prob-
Erste Ergebnisse aus der Forschung                                        lematisch werden kann.
Die zusammenfassende Auswertung der Daten aus den beiden                  Alarmierend ist schließlich die Bewertung des Items Es ist in Ord-
oben skizzierten Projekten ergibt drei signifikante Zusammenhänge:        nung, wenn Kinder gleicher Familiensprache in der Schule au-
                                                                          ßerhalb des Unterrichtes untereinander ihre nicht-deutsche
•   Die Bewertung grundsätzlicher Aussagen zu Mehrsprachigkeit
                                                                          Sprache sprechen: Dazu gibt es zwar eine hohe Zahl von Zustim-
    ist insgesamt positiver, als diejenige praxisbezogener Items.
                                                                          mungen, jedoch stimmen 17% der Lehrkräfte hier eher nicht und
•   Je positiver die Einstellung einer Lehrkraft ist, desto unterstüt-
                                                                          21% überhaupt nicht zu.
    zender ist auch ihr konkreter Umgang mit Mehrsprachigkeit.
•   Diejenigen Lehrkräfte, an deren Schulen Zweisprachigkeit ei-
                                                                          Konkrete Impulse für Teamentwicklung
    nen vergleichsweise hohen Stellenwert einnimmt, antworten
    signifikant positiver.                                                Aus den Ergebnissen lassen sich konkrete Impulse für die Team-
                                                                          und Konzeptarbeit an dieser Schule ableiten: Was hindert die
Es fällt also vielen Lehrkräften leichter, Zweisprachigkeit grund-        Lehrkräfte daran, die Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler
sätzlich zu akzeptieren und als positiv anzusehen, als dies auch in       stärker in den Schulalltag einzubeziehen? Welche ganz konkreten
ihr Handeln umzusetzen. Dabei scheinen es vor allem die institu-          Möglichkeiten können hierzu erarbeitet werden? Wie empfinden
tionellen Rahmenbedingungen – etwa die monolinguale Ausrich-              die Schülerinnen und Schüler das Klima bezüglich Mehrsprachig-
tung der Bildungseinrichtung – zu sein, die die praktische Umset-         keit an ihrer Schule? Ein zentrales Thema für eine Fortbildung
zung der eigentlich positiven Einstellung erschweren.                     dieses Kollegiums wäre sicher die Bedeutung der Muttersprache
                                                                          für die kindliche Entwicklung und damit zusammenhängend die
Interne Evaluation pädagogischer Teams                                    Frage, wie man Eltern am besten unterstützt. Die Items aus dem
Zusammengefasste Werte bieten eine gute Basis für vergleichende           Fragebogen eignen sich dabei als konkrete Diskussionsgrundlage.
Analysen, zugleich liegt es in ihrer Natur, dass sie die Realität ver-
kürzt abbilden. Es lohnt sich daher der Blick in die Details – hier ex-   Fazit & Ausblick
emplarisch anhand ausgewählter Ergebnisse der 83 Lehrkräfte der           In der zweisprachigen Entwicklung von Kindern spielen Einstellun-
Schule mit griechisch-deutschem Zweig aus dem CoLiBi-Projekt.             gen pädagogischer Fachkräfte eine wichtige Rolle. Es empfiehlt sich
87% der Lehrerinnen und Lehrer stimmen der Aussage zu, dass die           daher, diese stärker in den Blick zu nehmen. Wenn immer noch
Förderung der Zweisprachigkeit eine wichtige Aufgabe der Schule           zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer der Meinung sind, dass auf dem
ist. Dies spiegelt sich in der konkreten Umsetzung jedoch nur mä-         Schulhof auch von anderssprachigen Schülerinnen und Schülern un-
ßig wider: Immerhin noch 58% der Lehrkräfte geben an, dass sie            tereinander deutsch gesprochen werden soll; wenn viele Fachkräfte
die Schülerinnen und Schüler ermuntern, all ihre Sprachen in das          unsicher sind, wie sie Eltern beraten können, kann dies nur als ein
Schulleben ein­zubringen. Gefragt, ob sie alle Sprachen der Schü-         dringender Appell an Forschung und Lehre aufgefasst werden: Es
lerinnen und Schüler in den Unterricht mit einbeziehen, antworten         muss noch besser gelingen, wissenschaftliche Erkenntnisse in die
dann 40% der Lehrerinnen und Lehrer mit überhaupt nicht, und              Praxis zu transportieren. Ein höherer Stellenwert dieser Themenbe-
31% mit eher nicht. Für viele Lehrkräfte scheint also trotz Achtung       reiche in Aus-/Fortbildung ist dringend nötig: Wissen, aber auch
und Wert­schätzung der Zweisprachigkeit generell eine durchgehen-         die Auseinandersetzung mit der Entstehung eigener Haltungen
de Trennung der Sprachen erstre­benswert – oder ist es vielmehr die       trägt wesentlich zur bewussten Reflexion und Veränderung bei. Der
Unsicherheit, wie Sprachen stärker einbezogen werden können, die          vorgestellte Fragebogen bietet sowohl für Forschung, als auch für
sich hier spiegelt? Darauf deutet die mit 18% recht hohe Anzahl           (Selbst)reflektion einen strukturierten Einstieg. 
von ich weiß nicht-Stimmen bezüglich der Aussage Es gibt im
deutschsprachigen Unter­richt Situationen, in denen die Ver-                info
wendung von nicht-deutschen Familiensprachen durch die                                           Kontakt

Schülerinnen und Schüler sinnvoll ist.                                                           Dr. Anja Leist-Villis
                                                                                                 Bonn
Ambivalent fallen die Antworten zur Beratung der Eltern aus: So
geben zwar 69% der Lehrerinnen und Lehrer an, dass sie Eltern                                    www.zweisprachigkeit.net

prinzipiell darin unterstützen, ihre Muttersprache mit ihren Kindern                             info@zweisprachigkeit.net

zu sprechen. Im Widerspruch dazu raten aber ebenfalls 69% der

                                                                                                                             zmi-Magazin | 2016
14     Aus Wissenschaft und Forschung

        a n sn a ti o n a le B io g ra p h ie n:
     Tr
     Exkursion nach Istanbul
                                              t und Sandra Tietjens
      von Stefanie Magdalene Helber

     Zum zweiten Mal hatten Masterstudierende der Interkulturellen Bildungs-                         die Befragten beispielsweise als Deutsche,
     forschung der Universität zu Köln die Möglichkeit, im Rahmen eines Semi-                        die in der Türkei leben, oder als Türkinnen
     nars an einer Exkursion nach Istanbul teilzunehmen; der einzigen Stadt, die                     und Türken, die lediglich in Deutschland
     auf zwei Kontinenten zugleich liegt. Der thematische Schwerpunkt der von                        geboren sind – Nationalität war in jedem
     Dipl.-Päd. Tim Wolfgarten geleiteten Exkursion lag in diesem Jahr auf dem                       Gespräch ein Begriff. Wie kommt das? Es
     Konzept von Transnationalität.                                                                  liegt nahe, dass man sich außerhalb von
                                                                                                     Universitäten kaum mit solchen Theorien
     „Transnational“ – das Wort ist                    Mit diesen Fragen im Gepäck fuhr die Ex-      beschäftigt. Es zeigt auch, dass die Idee der
     in aller Munde                                    kursion nach Istanbul, das durch seine be-    nationalen Zugehörigkeit und alles, was
     Konzerne bezeichnen sich heute als „trans-        sondere Transitlage weltweit einmalig ist     damit einhergeht, fest in unseren Denk-
     national“, wenn sie Geschäftsstellen in ver-      und somit ein optimales Forschungsfeld bei    strukturen verankert ist. Ob weltweite Mig-
     schiedenen Staaten haben; und auch eine län-      der Auseinandersetzung mit dieser Thema-      rationsbewegungen, die alle Gesellschafts-
     derübergreifende Vernetzung terroristischer       tik. Aufgesucht wurden deutsch-türkische      schichten durchziehen, in Zukunft eine
     Organisationen bekommt das Label „trans-          Gesprächspartnerinnen und -partner in         Veränderung in diesem Gebiet bewegen?
     nationaler Terrorismus“ aufgedrückt. Einfach      verschiedenen Bildungseinrichtungen und
     ein schickes Wort für inter- oder multinatio-     kulturellen Institutionen, die jeweils ganz   Sprache als Ressource
     nal? Was soll der Begriff tatsächlich umschrei-   unterschiedliche, aber allesamt zumindest     Sprache wurde in allen Gesprächen als eine
     ben? Und was ist ein transnationaler Raum         per Definition transnationale Biographien     der wichtigsten Ressourcen für den berufli-
     oder eine transnationale Biographie?              besitzen. In den geführten Gesprächen galt    chen und privaten Werdegang genannt. Mit
     „Transnational“ ist ein Prozess, in dem Be-       es herauszufinden, ob und wie sich die je-    einer einzigen Ausnahme waren alle Be-
     ziehungen, soziale Praktiken und Symbol-          weilige Person im Konzept des Transnatio-     fragten bilingual groß geworden. Türkische
     systeme geschaffen werden, die national-          nalismus wiederfindet. Des weiteren sollte    Sprachkenntnisse wurden als obligatorische
     staatliche Grenzen überschreiten. Doch            geklärt werden, welche persönlichen Res-      Voraussetzung oder als hilfreiche Zusatz-
     umgangssprachlich wird der Begriff recht          sourcen die Interviewten als entscheidend     kenntnis für die aktuelle berufliche Tätigkeit
     konfus verwendet. Oft wird verkannt, dass         für ihren beruflichen und privaten Lebens-    genannt, waren aber auch bedeutend für das
     es hier, anders als bei den Begriffen inter-      abschnitt in Istanbul empfinden. Dabei        familiäre Zusammenleben und das private
     national und multinational, ausschließlich        trugen grobe Leitfragen zu einem erfreulich   Umfeld. Teilweise wurden Sprachkenntnisse
     um zwischenmenschliche Beziehungen und            offenen und dynamischen Austausch bei.        sogar mit Kenntnissen über eine Kultur oder
     Netzwerke geht. Ein Konzern oder eine Or-         Den meisten Interviewten könnte der The-      Lebensart gleichgesetzt. Aber nicht immer
     ganisation könnten demnach selber gar             orie zufolge eindeutig eine transnationale    wurden Sprachkenntnisse in positivem Licht
     nicht transnational sein, lediglich ihre Mit-     Biographie zugeschrieben werden, und alle     gesehen: Die Befragten sahen in ihnen auch
     arbeitenden können individuell transnatio-        pflegen privat und beruflich Beziehungen      einen Stolperstein. Personen, die das Tür-
     nale Netzwerke haben.                             über die Grenzen der Türkei hinaus.           kische nicht als Erstsprache erlernt hatten,
     In den Bildungswissenschaften wird ger-           Doch das Konzept der Transnationalität        bedauerten den begrenzten Rahmen von
     ne das Konzept transnationaler sozialer           scheint bisher in der Lebenswelt der Men-     Ausdrucksmöglichkeiten, der verschiedene
     Räume aufgegriffen, zwischenmenschliche           schen nicht aufzutauchen. So sahen sich       Türen verschlossen hält. Wird die Sprache
     Verflechtungen, die multi-lokal sind und
     einen neuen Raum konzipieren, der All-
     tagspraxis, sowie Biographie und Identität
     von Personen leitet und über den sozialen
     Zusammenhang der Nationalität hinaus-
     geht. Aber ist dies im realen Leben tatsäch-
     lich so vorzufinden? Wie darf man sich eine
     transnationale Biographie vorstellen? Ver-
     orten sich Menschen, die theoretisch eine
     solche besitzen, auch in diesem Konzept?

       zmi-Magazin | 2016
Praxis und PAus
                                                                       rojWissenschaft und Forschung
                                                                           ekte                                                       15

gut beherrscht, besteht wiederum die Gefahr,                     Aktuelles aus dem ZMI
unangenehm aufzufallen, wenn bestimmte
kulturelle Codes oder Alltagspraktiken nicht
bekannt sind, die andere Sprecherinnen und
Specher unhinterfragt voraussetzen. Im wis-
senschaftlichen Bereich wurde auf die gerin-
gere Reichweite von Publikationen verwiesen,
die nicht auf Englisch verfasst werden, sondern
– in diesem Fall – auf Deutsch oder Türkisch.
Kultur wurde immer wieder als Ressource ge-
nannt, die hilfreich bei einer Migration oder
für den Beruf war. Bei genauerem Nachfragen
stellte sich aber heraus, dass viele Personen
unter Kenntnis der Kultur Sprachkenntnis ver-
stehen. Sprache scheint nicht nur als Haupt-
kriterium für den Zugang zu Beruf und Privat-
leben, sondern auch als Basis für kulturelles
Verständnis gesehen zu werden.
Bei einem Besuch in dem regierungskritischen
Kulturzentrum Depo hinterließ die Ausstel-            Identitäten in Köln –
lung zum kurdischen Frühjahrsfest noch einen          ein Projekt des
                                                                    Museumsdienstes Köln
weiteren Eindruck in Bezug auf Sprache. Bis-
                                                      mit dem ZMI-Köln im Museum
her waren nur Sprachen betrachtet worden,                                        Ludwig
die einen gewissen wirtschaftlichen Nutzen            von Karin Rottmann und Anke von
                                                                                             Heyl
mit sich bringen. Doch wie sieht es eigentlich
mit den Sprachen aus, die von Minderheiten
gesprochen werden und diesen Nutzen nicht
bieten? Kurdisch ist bekanntlich ein heikles      99 Schülerinnen und Schüler aus neun verschiedenen Herkunfts-
Thema in der Türkei und wird trotz zahlreicher    sprachenklassen beschäftigten sich im Museum Ludwig mit Candi-
Sprecherinnen und Sprecher kaum an Schulen        da Höfers Fotoserie „Türken in Deutschland“ und realisierten dort
unterrichtet. In der interkulturellen Bildung     eine Ausstellung mit eigenen Arbeiten.
wird die Forderung immer lauter, auch Minder-     Ein Schulhalbjahr lang haben sich die Schülerinnen und Schüler im ak-
heitensprachen aktiv in Bildungsinstitutionen     tuellen Projekt „Identitäten in Köln“ mit der Frage nach ihrer Identität
anzubieten.                                       in einer deutschen Lebenswelt und den Anteilen ihrer Herkunftskultur
Im Laufe der Exkursion haben die Studierenden     darin beschäftigt. Sie stellten sich der Frage, wie sich dies mit den
eine sehr differenzierte Sichtweise auf Sprache   Mitteln der Fotografie darstellen lässt. Die berühmte Fotoserie von
als Ressource gewinnen können und diese als       Candida Höfer, aber auch andere Kunstwerke aus dem Museum Lud-
Symbol für die Zugehörigkeit zu sozialen Grup-    wig halfen dabei, die Thematik formal und inhaltlich zu erschließen.
pen, Ländern und Kulturen, aber auch als po-
tenziellen Stolperstein kennengelernt.           Im Fokus der Unterrichtseinheiten, die die einzelnen Kolleginnen geplant haben,
                                                  stand die Auseinandersetzung mit dem Umfeld der Kinder. Wie erleben sie sich
  info                                            und ihre Herkunftskultur in der kölnischen Gesellschaft? Da wurden Kinderzimmer
  Stefanie Magdalene Helbert, B.A.                erforscht, die Wohnstraße, Geschäftsviertel und Supermärkte. Es wurden Famili-
  s.m.helbert@uni-koeln.de                        enfeste dokumentiert oder Tagesabläufe untersucht.
  Studentin im Masterstudiengang
                                                  Mit dem Fotografen Maurice Cox wurde in Workshops die Frage beantwortet,
  Interkulturelle Kommunikation
  und Bildung
                                                  was ein gutes Foto ist. Danach folgte die Motivsuche und es wurden Qualitätskri-
  Universität zu Köln                             terien dafür diskutiert.
                                                  Im Museum Ludwig konnten ausgewählte Kunstwerke anhand einiger Leitfragen
                                                  analysiert werden: Was erzählt das Bild über den Ort? Was erfahren wir über die
  Sandra Tietjens, B.A.
                                                  Menschen? Welche Bedeutung haben die Dinge? Mit Hilfe des Creative Writing
  stietjen@smail.uni-koeln.de
  Studentin im Masterstudiengang                  gelangen Texte, die für den Unterricht beispielgebend sein können. Vor den Som-
  Interkulturelle Kommunikation                   merferien des Schuljahres 2016 sollten dann aus den Projektklassen jeweils zehn
  und Bildung
                                                  Fotos für eine Ausstellung im Museum Ludwig eingereicht werden. Die Schüle-
  Universität zu Köln
                                                  rinnen und Schüler mussten ihre Fotos selbst auswählen. So konnten sie selbst

                                                                                                                 zmi-Magazin | 2016
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