Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 66. Jahrgang Mai 2022
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Christen heute 2022/5 D i e A lt-K a t ho l i s c h e Z e i t s c h r i f t i n D e u t s c h l a n d + 6 6 . J a h r g a n g · M a i 2 0 2 2 3 Die andere Maria (I) von Gerhard Ruisch 11 Maria ist beliebt von Raimund Heidrich 5 Die andere Maria (II) 23 Gewalt – Frucht eines von Georg Spindler 11 Die Heilige und die Hure christlichen Lebens? von Francine Schwertfeger von Veit Schäfer 7 Maria in der Bibel… und in den Dogmen 13 Marienkult oder doch besser 24 „Frieden schaffen ohne Waffen“? von Thomas Sprung eine kritische Mariologie? von Francine Schwertfeger von Raimund Heidrich 10 Maria: Von der Seeschlacht- 28 Aus dem Land der Siegerin zur Friedenskönigin 14 „La Tirana“ und „La Chinita“ Ausgestoßenen… von Veit Schäfer von Sebastian Watzek von Veit Schäfer
Abrüstung der Sprache Reaktivierung von Traumata der Ukraine andererseits waren“, die im Krieg gefordert aus Weltkrieg den russischen Präsidenten Wladimir Der Krieg militarisiert auch Durch den Krieg in der Ukraine Putin zum Angriff ermuntert hätten. die Sprache, sagt die Linguistin Kris- können nach Ansicht des Arztes und Angesprochen auf Äußerungen unter Namen & Nachrichten tin Kuck. „Wir vernehmen gerade in Psychotherapeuten Gereon Heuft anderem der früheren Ratsvorsit- besonderem Maße eine Sprache, die vom Universitätsklinikum Münster zenden der Evangelischen Kirche in mit Superlativen und klaren Schwarz- bei Überlebenden des Zweiten Welt- Deutschland, Margot Käßmann, die Weiß-Unterscheidungen arbeitet“, kriegs traumatische Erfahrungen sich kritisch zu Waffenlieferungen an meint sie. „Und ich würde diesen reaktiviert werden. Der Krieg finde in die Ukraine und das geplante 100-Mil- Sprachgebrauch tatsächlich als Beson- Europa „mehr oder weniger vor unse- liarden-Euro-Sondervermögen zuguns- derheit in Kriegssituationen einstu- rer Haustür“ statt, und bei den Über- ten der Bundeswehr geäußert hatte, fen.“ Sie rät ebenso wie die Leiterin lebenden weckten Ländernamen wie sagte der 78-jährige Katholik Thierse: der Dudenredaktion Kathrin Kunkel- Russland oder Polen vielfältige Asso- „Mir scheint, das ist ein Pazifismus auf Razum zu sprachlicher Abrüstung. ziationen. Hinzu komme die „unmit- Kosten anderer.“ „Wir betreiben eine so starke morali- telbare Bedrohungserfahrung“ bis hin sche Abwertung von Putin, dass man zu Andeutungen, es könne zu einem Finanzierung von Terrormiliz ihn sich als Verhandlungspartner globalen Krieg kommen. Ein zentraler Die Gesellschaft für bedrohte kaum noch vorstellen kann“, so Kuck. Punkt beim Wiederaufkommen von Völker (GfbV) fordert die Bundes- Kunkel-Razum fragt: „Wenn man Traumata seien die Bilder von flüch- regierung auf, ihre Kontakte in der Sprache so aufrüstet, wie kommt man tenden Frauen und Kindern, erklärte nordwestlichen syrischen Provinz Idlib da wieder runter, um miteinander zu Heuft. Die Überlebenden des Zweiten zu nutzen, um das Eigentum der ver- reden?“ Weltkriegs seien damals selbst Kinder triebenen christlichen Minderheit zu gewesen. Die realen Bilder aus dem schützen. Der Syrischen Beobachtungs- 100 Gemeinden wechseln Ukraine-Krieg erinnerten sie an die stelle für Menschenrechte zufolge haben zu ukrainischer Kirche Zeit vor über 75 Jahren. sich islamistische Milizen die Immobi- Rund 100 Kirchengemeinden in lien der Vertriebenen angeeignet. Syri- der Ukraine sind von der Ukrainisch- Militärbudget europäischer Nato- sche Familien, die in diese Häuser und Orthodoxen Kirche des Moskauer Pat- Länder höher als Russlands Wohnungen eingezogen sind, müssen riarchats zur 2018 gegründeten, eigen- Die Militärbudgets der 27 euro- hohe Mieten für sechs Monate im Vor- ständigen (autokephalen) Orthodoxen päischen Nato-Länder waren 2019 aus an die Terrormiliz Hay‘at Tahrir al- Kirche der Ukraine gewechselt. Rund kaufkraftbereinigt doppelt so hoch wie Sham entrichten. „Das ist der syrische Titelbild: Davide Alberani, „Super Mary“, Flickr. Bildbearbeitung und Überarbeitung durch 60 Prozent der etwa 41 Millionen die Russlands, ohne Berücksichtigung Ableger des islamistischen Netzwerks John Grantham. Die Abkürzungen „MP“ und „ΘY“ sind traditionellen Ikonen entnommen Ukrainer bekennen sich zum ortho- der Kaufkraft fünfmal so hoch. Wis- Al-Kaida“, berichtet der GfbV-Nahos- doxen Christentum. Die moskautreue senschaftler des Bonner International treferent Kamal Sido. „Die Terrormiliz Kirche zählt in der Ukraine zwar Centers for Conflict Studies errechne- finanziert ihre Aktivitäten nun also und bedeuten „Mήτηρ Θεού“ bzw. „Mutter Gottes“ (vgl. Konzil von Ephesus 431). deutlich mehr Gemeinden als jede ten im Auftrag von Greenpeace eine durch Mieteinnahmen und den Han- andere Konfession. Aber in Umfragen Gesamtsumme für Europa von rund del mit Immobilien der vertriebenen bekannten sich die meisten Bürger 427 Milliarden Euro. „Angesichts oder geflüchteten Christen in der Pro- zur neuen, unabhängigen orthodoxen solch astronomischer Summen, die vinz Idlib.“ Kirche. die Nato und Deutschland ausgaben, drängt sich die Frage auf, warum die Neue Fleischkennzeichnung Run auf Deutschkurse Landes- und Bündnisverteidigung Das Bundeslandwirtschaftsmi- Die Nachfrage nach Deutsch- derart unzureichend sein soll“, sagte nisterium strebt nach einem Zeitungs- Unterricht ist unter ukrainischen Alexander Lurz, Greenpeace-Experte bericht eine neue Haltungskennzeich- Geflüchteten riesig: Ein Angebot des für Frieden und Abrüstung. „Bevor nung für Fleischprodukte im Handel Goethe-Instituts mit Hauptsitz in nun weiter knappe Steuergelder in eine an. Diese solle sich an der bereits München für Online-Kurse war nach scheinbar höchst ineffiziente Bundes- bestehenden Skala von 0 bis 3 für die 48 Stunden ausgebucht. Dabei gab wehr gepumpt werden, braucht es eine Produktion von Eiern orientieren. es für sie einen Rabatt von 99,9 Pro- Reform des Systems“, so Lurz. Dabei steht 0 für Bio und 3 für Klein- zent – wer aus der Ukraine stammt, gruppenhaltung der Tiere. Bei Schwei- muss nur einen symbolischen Preis „Pazifismus auf Kosten anderer“ nen etwa könnte die Kennzeichnung von 25 Cent zahlen. Die Lehrkräfte Der ehemalige Bundestagspräsi- bedeuten, dass Bio-Ware mit einer 0, stammen selbst aus der Ukraine und dent Wolfgang Thierse (SPD) hat die Freiland-Schweine mit einer 1, Tiere unterrichten zum Teil noch aus dem Friedensbewegung angesichts des rus- mit Frischluft-Kontakt mit einer 2 Kriegsgebiet. Insgesamt haben knapp sischen Angriffs auf die Ukraine zum und alle anderen mit einer 3 gekenn- 1.800 Menschen einen Platz in einem Umdenken aufgefordert. Sie werde zeichnet werden. Die allermeisten der der Kurse bekommen. nur glaubwürdig bleiben, wenn sie in Deutschland gehaltenen Schweine anerkenne, „dass es die Schwäche und fielen demnach in Kategorie 3. Uneinigkeit des Westens einerseits sowie die Schutz- und Wehrlosigkeit fortgesetzt auf Seite 31 5 2 Christen heute
Die andere Maria Teil I und meine Geschwister. Denn wer Gottes Willen tut, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter!“ Mk 3,20f;31-35 Also, Maria kommt zusammen mit den Geschwistern Jesu – ein geplanter Einsatz der gesamten Familie –, um Vo n Ger h ar d Ruisch Jesus mit Gewalt (!) in die Familie zurückzuholen. Und Jesus distanziert sich in geradezu schroffer Weise von sei- Gerhard U nter allen Bibelstellen, in denen von ner Familie: Diejenigen, die auf ihn hören, diejenigen die Ruisch ist Maria die Rede ist, sticht eine heraus. Sie steht den Willen Gottes tun, seien für ihn Bruder, Schwester verantwortlicher Redakteur von bei Markus, im ältesten Evangelium, und dort und Mutter. Diese Worte beinhalten die Aussage, dass Christen heute kommt Maria nur an dieser Stelle vor. Zeichnen die ande- seine leiblichen Angehörigen es nicht mehr sind. Und den und Pfarrer in ren Evangelisten Maria als die jungfräuliche Mutter (Mat- Vorwurf, dass sie den Willen Gottes nicht erfüllen. Här- Freiburg thäus und Lukas), als die Schmerzensmutter unter dem ter geht es kaum! Dass Markus offensichtlich als einziger Kreuz ( Johannes), als eine der führenden Jüngerinnen Jesu Evangelist theologisch nicht an Maria interessiert ist, macht (Lukas in der Apostelgeschichte), so beschreibt Markus die Annahme wahrscheinlich, dass er der historischen Maria den Punkt, an dem sie ihrem Sohn am fremdesten ist – und am nächsten kommt. Dafür, dass die Begebenheit einen umgekehrt: historischen Kern hat, spricht auch, dass Matthäus und Lukas sie von ihm übernommen (dabei aber alles Anstö- Jesus kehrte nach Hause zurück. Sogleich liefen wieder ßige eliminiert) haben, obwohl sie doch nicht gut zu dem so viele Menschen zu ihm, dass er und seine Jünger nicht passt, was sie sonst über Maria erzählen. einmal Zeit zum Essen hatten. Als seine Angehörigen Das, was die anderen Evangelisten erzählen, lässt den das erfuhren, wollten sie ihn mit Gewalt von dort Schluss zu, dass das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn wegholen. „Er hat den Verstand verloren!“, sagten sie. sich später gebessert hat. Trotzdem ist die Frage zu stellen, […] Noch während Jesus sprach, kamen seine Mutter ob diese herbe Bibelstelle nicht alles ins Wanken bringt, und seine Geschwister. Aber weil so viele Menschen was die spätere Dogmatik und die Marienverehrung aus der Foto: Peter, „Antonello da Messina – Annunziata, detail (1475)“, Flickr bei ihm waren, konnten sie nicht zu ihm gelangen. Mutter Jesu gemacht haben. Dafür ist zunächst zu fragen, Sie blieben vor dem Haus stehen und baten, Jesus was denn die Stelle wirklich über Maria aussagt. herauszurufen. Drinnen saßen die Leute dicht um Jesus gedrängt; sie richteten ihm aus: „Deine Mutter, Besorgte Mutter deine Brüder und deine Schwestern warten draußen Markus schildert Maria und die Geschwister Jesu als auf dich. Sie wollen mit dir reden!“ Doch Jesus fragte Menschen, die die Initiative ergreifen. Sie sprechen sich zurück: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine ab, sie machen sich auf einen Weg, sie haben ein drin- Geschwister?“ Dann sah er seine Zuhörer an, die rings gendes Ziel: Sie wollen Jesus nach Hause holen. Wenn es um ihn saßen, und sagte: „Das hier sind meine Mutter sein muss mit Gewalt. Eine kritische Interpretation wird fragen, was die Familie Jesu sich da anmaßt: Ist er nicht 6 6 . J a h r g a n g + M a i 2 0 2 2 3
ein erwachsener Mann? Ist sein Weg nicht zu respektie- Die Kindheitsgeschichte im Lukasevangelium ist genauso ren? Haben sie womöglich nur Angst, Jesus könnte mit wie die bei Matthäus ein großartiger Mythos, erzählende seinen Eskapaden sie als Familie blamieren? Gönnen sie Theologie, wunderschönes Bild für das, was Johannes ihm womöglich seinen Erfolg nicht – während sie alle ein die „Menschwerdung des Wortes“ nennt. Nur eines sind mittelmäßiges, bescheidenes Leben führen, ist Jesus zum die beiden Geburtsgeschichten Jesu nicht: historische geachteten Rabbi mit großer Anhängerschaft geworden. Berichte. Können sie nicht sehen, dass er den jüdischen Glauben, Historisch gesehen hat Maria nicht von Anfang an den sie alle teilen, auf eine aufregend neue Weise deutet, Bescheid gewusst, hat nicht schon vor Jesu Geburt durch und anerkennen, dass er vielen einen neuen Zugang eröff- einen Engel eine Erläuterung seiner außerordentlichen net hat? Bedeutung erhalten. Sondern sie hat wie jede Mutter ihren Aber eine wohlwollende Interpretation wird feststel- Sohn heranwachsen sehen und war mal mit ihm zufrieden, len, dass die Angehörigen wirklich etwas auf sich nehmen, mal unzufrieden, war mal stolz und mal unglücklich, hat um Jesus herauszuholen. Es scheint ihnen wichtig zu sein, versucht ihm die Wege zu ebnen, damit er ein glücklicher dass er nach Hause kommt. Sie bekommen ja mit, wie über Mensch wird, hat versucht, ihn so gut zu erziehen, wie es Jesus gesprochen wird – und das ist keineswegs einhellig ihr möglich war. Und sie hat ihn manchmal verstanden positiv. Gerade in Nazareth ist Jesus ja nach dem Zeugnis und manchmal auch nicht, wie es Eltern eben so geht. der Evangelien auf starken Widerstand gestoßen. Die reli- So wie Jesus erst entdecken musste, wer er ist und was giöse und politische Obrigkeit im damaligen Israel heraus- sein Auftrag von Gott her ist, weil er es eben nicht von zufordern war lebensgefährlich! Anfang an wusste (auch wenn Lukas dem zwölfjährigen Was sie über das öffentliche Auftre- Jesus so altkluge Worte in den Mund legt wie: „Wusstet ten des Sohnes und Bruders hören, ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater lässt die Sorge in ihnen wachsen, gehört“ – Lk 2,49), weil er eben ein „wahrer Mensch“ war dass er sich um Kopf und Kragen und diese Suchbewegung zum Menschsein gehört, so war redet. So entsteht der Wunsch in auch Maria nicht immer die Mutter Gottes und schon gar ihnen, ihn zu retten, vor sich selbst nicht die Himmelskönigin. Sie musste darum ringen, ihren und vor seinen Feinden. Und wenn Sohn zu verstehen, sie hatte Angst um ihn (zu Recht, wie er überhaupt nicht einsichtig ist – sich zeigen würde), und sie wollte ihn schützen – weil sie ein Wahnsinn! Dann muss es zur ihn liebte. Not eben mit Gewalt sein, denn das ist dann ein Zeichen, dass er Starke Frau jeden Bezug zur Realität verloren Aber noch eine andere Erkenntnis lässt sich aus dieser hat und durchgedreht ist. kurzen Episode bei Markus gewinnen, eine, die ebenfalls Was ist das dann, was die einen Gegenpol darstellt zu Lukas. Dort ist Maria die, die Familie Jesu macht? Übergriffig- an sich geschehen lässt. Bei Markus ist sie höchst aktiv. Es keit? Anmaßung? Wir haben gut steht da nur in einer Andeutung, deren Aussage einem nur reden als Christen, die in Jesus seit bewusst werden kann, wenn man sich vor Augen hält, in 2000 Jahren den Erlöser sehen. welcher Gesellschaft Maria lebt. Offensichtlich ist sie ja zu Aber wie hätte seine Familie diese dem Zeitpunkt schon Witwe, weil Josef mit keinem Wort Perspektive haben können? Nein, erwähnt wird. In einer patriarchalen Gesellschaft aber ist in meinen Augen gibt es zwei Gründe für das Auftauchen dann längst der älteste verfügbare Sohn zum Familienober- Marias und ihrer anderer Kinder: abgrundtiefe Sorge und haupt geworden. Jesus als der Erstgeborene fällt hier weg, mütterliche bzw. geschwisterliche Liebe. weil er ja nicht mehr in Nazareth lebt. Die Namen der Brü- Bild: Die Jungfrau Maria erschlägt den Teufel. Aus einem Dann aber kann ich aus dem von Markus geschilder- der Jesu sind Markus bekannt: Jakobus, Joses, Judas und englischen Manuskript von William de Brailes, 13. Jhd. ten Zwischenfall zwar erfahren, dass Maria ihren Sohn Simon (Mk 6,3). Jakobus als der Erstgenannte dürfte wohl keineswegs immer verstanden hat, aber dass das Motiv, das auch der Älteste nach Jesus sein. sie antreibt, die Liebe einer Mutter ist. Das aber steht in Zu erwarten wäre nun entsprechend dem Denken pat- keinerlei Widerspruch dazu, Maria als Vorbild für unseren riarchaler Gesellschaften aller Zeiten, dass es hieße: „Jako- Glauben zu verehren. bus und deine anderen Brüder, deine Mutter (und deine Schwestern) stehen draußen…“ Stattdessen: „Deine Mutter Einfach Mensch und deine Geschwister warten auf dich…“ Maria wird als Im Lukasevangelium kommt schon vor der Geburt das Familienoberhaupt wahrgenommen. Von ihr geht die Jesu ein Engel zu Maria und erklärt ihr, dass sie vom Hei- Initiative aus. Ihre Sorge um den Sohn, ihre Liebe treibt ligen Geist einen Sohn bekommen wird, den man den sie, die ganze Familie zusammenzutrommeln und etwas zu „Sohn des Höchsten“ nennen wird. Maria stimmt dem zu: unternehmen. Die Menge an Anhängern Jesu verhindert das Vorhaben – in dem Moment wohl kaum zur Freude Siehe, ich bin die Magd des Herrn; Marias. mir geschehe, wie du es gesagt hast… Lk 1,32.38 Liebe schenkt Verständnis Liebe zu den Kindern aber ist auch ein starkes Motiv für Eltern, die eigenen Positionen zu überdenken. Auch 4 Christen heute
wenn die Kinder Wege gehen, die man niemals für sie unmöglich machen, Maria zunächst einmal ganz als geplant hätte, entwickeln gesunde Eltern eine Solidari- Mensch, Frau und Mutter zu sehen. Die Episode macht es tät mit ihnen, die den Eltern hilft, auch unerwartete Wege schwierig, in Maria einen Übermenschen, eine Himmels- zu akzeptieren. Die Liebe hat es Maria ermöglicht, Jesus königin, gar eine Göttin zu finden. Aber die suchende, doch noch zu verstehen, zu erfassen, dass er nicht verrückt sorgende und liebende Frau, die uns in dieser Bibelstelle geworden ist, sondern eine Berufung von Gott hat, der er begegnet, die Glaubende, die ihren Sohn bis ans bittere folgen muss, und seinen Weg mitzugehen. Sie, die ihn erst Ende begleitet, sie ist uns näher und deshalb auch hilfrei- vor den Konsequenzen seines Weges retten wollte, konnte cher als eine Göttin. zur Jüngerin werden, die die Konsequenzen mitgetragen Vielleicht müsste diese große Heilige mit anderen Lie- hat. dern besungen werden, als sie in den Gesangbüchern ste- Maria begegnet uns als ein normaler Mensch, als hen, mit anderen Bildern vor Augen geführt werden, als es eine normale Frau und Mutter, die aber zu einer so gro- in unseren Kirchen geschieht, mit anderen Worten ange- ßen Liebe fähig ist, dass sie für alle Zeiten ein Vorbild sein sprochen als in traditionellen Mariengebeten. Doch keine kann. Frage: Maria ist es wert, dass man sie sich vor Augen stellt, Bringt das die späteren theologischen Deutungen dass Christen sie besingen und sie ansprechen. n der Person Marias ins Wanken? Ich finde ja, wenn diese Die andere Maria des Fragens ist typisch für viele Chris- ten des Westens, für die es wichtig ist, ob ein Text „historisch“ wahr ist oder nicht. Christen des Ostens haben diese Probleme nicht. Sie sehen die Teil II vor einem gotischen oder barocken Wahrheit im Text und verstehen sie. Georg Spindler Die Beterin des Magnificat Marienbildnis steht und das oft sehr Alles andere ist unwichtig. ist Diakon im Vo n Georg Spin dler liebliche, hin und wieder aber auch Was uns nun in diesem Mag- Ehrenamt in der Gemeinde traurige und schmerzliche Gesicht nificat begegnet, ist buchstäblich W Rosenheim er ist diese Maria, die Marias betrachtet, wird kaum auf die umwerfend. Da wird alles umgesto- von vielen als „Mutter Idee kommen, es könnte auch noch ßen, was Menschen von Gott, von Gottes“ angerufen wird? eine „andere Maria“ geben. Von genau der Gesellschaftsordnung und auch Die Christen des Ostens haben für sie dieser ist nun im so genannten „Mag- der Politik dachten und denken. eine andere Bezeichnung, dort wird nificat“ die Rede, das wir im ersten Dieser Lobgesang Mariens ist einer sie Theotokos, also „Gottesgebärerin“ Kapitel des Lukasevangeliums finden. der wichtigsten, aber auch einer der Bild: Visitation de la Vierge Marie, genannt, aber auch dieser Titel stößt Wie hat das etwa fünfzehnjäh- gefährlichsten Texte der gesamten 15. Jahrhundert, Frankreich. Aus bei vielen auf Ablehnung. Im Koran rige Mädchen Maria einen solchen Religionsgeschichte. ist Maria eine eigene Sure gewidmet. Text verfassen und sprechen können? Ich möchte nun gerne Vers für Wer ist nun diese Frau wirklich, die Wer hat diese Worte außer Maria und Vers betrachten und bedenken. Wikimedia Commons. Jesus geboren hat und die darum „von Elisabeth gehört und wer hat sie auf- allen Geschlechtern seliggepriesen geschrieben, so dass Lukas (oder wer „Meine Seele preist die wird“, wie uns Lukas in seinem Evan- immer dieses Evangelium verfasste) sie Größe des Herrn…!“ gelium (Lk 1,39-56) berichtet? dann in sein Evangelium aufnehmen Diese Anfangsworte geben dem Wer vor einer der üblichen Mari- konnte? Ich wurde das vor nicht lan- gesamten Text den Namen: „Magni- enfiguren, vor einer Marienikone oder ger Zeit tatsächlich gefragt. Diese Art ficat anima mea Dominum…“ Maria 6 6 . J a h r g a n g + M a i 2 0 2 2 5
Magnificat anima mea Dominum; versteht, dass nicht der Verstand für Gottes ist. Gott hat Erbarmen, er Menschen, die der Meinung sind, Et exultavit spiritus meus das Erleben Gottes zuständig ist, son- kennt uns und „weiß, welche Art bereits alles zu „haben“. Diese Worte dern anima, die Seele. Gottes Größe von Geschöpfen“ wir sind. Von sind eine große Herausforderung an übersteigt immer den Verstand, die Geschlecht zu Geschlecht, also durch unsere heutige Weltsicht. „Hast du Seele aber hat Platz für Gott, ist sie alle Zeiten, bleibt Gottes Treue beste- was, dann bist du was!“ Gott sieht die in Deo salutari meo, doch der Ort, wo „Gott im Men- hen. Auf sie ist Verlass. Wirklichkeit anders. schen wohnt“, wie Meister Eckhart es beschreibt. „Er vollbringt mit seinem Arm „Er nimmt sich seines machtvolle Taten. Er zerstreut, die Knechtes Israel an und denkt Quia respexit humilitatem ancillae im Herzen voll Hochmut sind.“ an sein Erbarmen…“ „…und mein Geist jubelt über Jetzt wird es politisch. Hochmut Wieder klingt hier Gottes Erbarmen Gott, meinen Retter.“ kommt vor dem Fall, so sagt ein an, das sich des Menschen annimmt. Maria sieht in Gott nicht eine Macht, Sprichwort. „Hochmut“ ist Über- Der „gütige und menschenfreund- suae; ecce enim ex hoc beatam der wir Menschen Gehorsam, Got- heblichkeit, unser deutsches Wort liche Gott“, wie ihn die Liturgie der tesfurcht und Erfüllung sämtlicher „Hochmut“ führt etwas in die Irre, Ostkirchen preist, bleibt Israel, sei- Gebote schuldig sind, sondern viel- als handelte es sich um eine Hochge- nem Knecht, nach wie vor verbun- mehr ihren Retter. Darum jubelt sie stimmtheit des Herzens. Das Gegen- den. Gottes Liebe ist keiner Laune me dicent omnes generationes. voll Freude. Hier klingt bereits wie in teil ist der Fall. Das sagt auch der unterworfen. einer Vorwegnahme die „Frohe Bot- Koran, wo es heißt: „Gott liebt die schaft“ an, das Evangelium Jesu. nicht, die stolz und hochmütig ein- „…das er unseren Vätern herschreiten.“ „Zerstreut“ werden sie, verheißen hat, Abraham und Quia fecit mihi magna qui potens „Denn auf die Niedrigkeit seiner so wie die Bauleute, die jenen großen seinen Nachkommen auf ewig.“ Magd hat er geschaut. Von nun an Turm bauen wollten, der bis in den Abraham ist der „Vater der Glau- preisen mich selig alle Geschlechter.“ Himmel reicht. Spüren wir, wie aktu- benden“, der gemeinsame Vater von Gerade das Niedrige und Gewöhn- ell Marias Lobgesang hier ist? Juden, Christen und Muslimen. est, et sanctum nomen ejus, liche findet vor Gott Gefallen. Vor Ihnen allen gilt die Verheißung. Das Gott ist das Kleine groß und das „Er stürzt die Mächtigen vom Magnificat bestätigt die Bedeutung Große klein. Hier wird in einer Art Thron und erhöht die Niedrigen.“ des Bundes mit Abraham und sei- Vorausschau das ganze Programm Jesu Jetzt wird es nicht nur politisch, son- nen Nachkommen. So wird Maria Et misericordia ejus a progenie zum Ausdruck gebracht, die Kenosis, dern brandgefährlich. Kein Wunder, zur verbindenden Gestalt. Das junge das bedeutet Gottes Herabsteigen in dass einige südamerikanische Dik- jüdische Mädchen „Miriam“ wird zur die Niedrigkeit, wie sie sich auch in tatoren diesen Text des Magnificat christlichen „Maria“ und zur muslimi- der Geburt des Kindes in Bethlehem verboten hatten. Wenn das nicht Auf- schen „Maryam“. in progenies timentibus eum. zeigt. So dürfen wir das Magnificat ruf zum Umsturz ist? Revolutionärer wirklich ein „Evangelium im Evange- kann ein Text nicht sein. Es ist die Ist es berechtigt, Maria zu ver- lium“ nennen. große Umwälzung, zu der das Evange- ehren? Von streng protestantischer, lium aufruft. Die sogenannten Mäch- besonders von freikirchlicher Seite, Fecit potentiam in bracchio suo; „Denn der Mächtige hat Großes an tigen werden langfristig keine Zukunft wird diese Frage häufig verneint. Ich mir getan. Sein Name ist heilig!“ haben, auch wenn sie ihre Macht für sehe das anders. Gerade das Magnifi- Maria lobt sich nicht selbst. Sie sieht Jahrhunderte etablieren möchten. cat eröffnet und berechtigt die Vereh- Gottes Handeln in sich. Gott „tut Den „Niedrigen“ wird die Zukunft rung und Wertschätzung dieser Frau, Dispersit superbos mente cordis sui. Großes an ihr“. Alles Große, Gute und gehören. Das ist genau das Programm durch die (in buchstäblichem Sinn) Schöne in ihrem Leben, so sieht sie es, der Theologie der Befreiung. uns das Heil, Christus, geschenkt ist Gottes Tun und sein Geschenk. worden ist. Dieser biblische Text sagt Unsere Gesellschaft lebt dagegen „Die Hungernden beschenkt doch ganz klar: „Von nun an preisen Deposuit potentes de sede, von der Selbstdarstellung: „Schau er mit seinen Gaben. Gott lässt mich selig alle Geschlechter.“ Unter mal, was ich wieder Tolles gemacht die Reichen leer ausgehen.“ diese Menschen reihe ich mich gerne habe!“ Hier sehen wir wieder dieselbe ein und preise Maria mit den Wor- Umdrehung der Wirklichkeit. Got- ten des Engels: „Sei gegrüßt, Maria! et exaltavit humiles. „Er erbarmt sich von Geschlecht zu tes Gaben sind für die „Hungernden“, Du bist voll von Gnade. Der Herr ist Geschlecht über alle, die ihn ehren.“ das bedeutet, für diejenigen, die sich mit dir. Du bist gesegnet unter den Hier klingt der „erbarmende Gott“ nicht mit allem Möglichen vollge- Frauen…“ n an, wie er uns auch im Koran begeg- stopft haben. Die „Reichen“, das sind Esurientes implevit bonis, net, wo „Erbarmer“ einer der Namen im Sprachgebrauch des Evangeliums 6 et divites dimisit inanes. Christen heute
Magnificat wohlgefällig mit dem Blick der Liebe Er vertraut mir Sein Heil an Vo n J u tta R esp on dek das Er der Welt offenbaren will meine Seele preist voller Freude lobpreise ich die Größe des Herrn die Größe des Herrn und mein Geist jubelt für so viel Ansehen und Wohlwollen über Gott meinen Retter wachsend und reifend denn Er hat mich angeschaut zu Größe und Bedeutsamkeit mich werde ich mich als würdig erweisen Jutta Respondek eine einfache unbedeutende Frau und vertrauensvoll ist Mitglied der eine von Vielen in Seinen Dienst stellen Gemeinde Bonn zum Wohle der Völker seligpreisen werden mich alle und zum Heil der Welt ■ Geschlechter denn der Mächtige der Großes vollbringt und dessen Name heilig ist Er hat mich angeschaut Maria in der Bibel… ihr heraus: Sie besingt in zahlreichen Versen, welche alle- Thomas Sprung samt aus vielen Stellen verschiedenster Bücher des Alten ist Mitglied Testaments zusammengestellt sind und eine Kurzfassung der Gemeinde Koblenz der wichtigsten Inhalte der jüdischen Bibel darstellen, ein Ein Überblick großes Gotteslob. Darüber hinaus wird in dem Gesang Vo n T ho m as Sp run g eine apokalyptische Sozialutopie entfaltet. Dieser endet mit einem Verweis auf Gottes Erbarmen in seinen Verhei- A lle vier Evangelisten, aber auch der Völ- ßungen an Abraham. Der Zusammenhang von Wort und kerapostel Paulus, setzen sich in ihren Schriften Glaube führt sie und alle anderen Glaubenden in einen mit der Person der Mutter des Herrn auseinander. Zustand der Seligkeit (so auch Lk 11,48). Am intensivsten erfolgt dies durch den Evangelisten Lukas, Die lukanisch ausgemalte Weihnachtserzählung mit und das in beiden seiner Werke, seinem Evangelium und der Niederkunft „im Stall“ und der matthäischen „Anbe- der Apostelgeschichte. tung der drei heidnischen Weisen“ sowie der „Flucht nach Ägypten“ (Mt 2) sind hinlänglich bekannt. Deren Histo- Die drei synoptischen Evangelien rizität wird heute mehr als angezweifelt, da wir für eine Im Alten Testament wird uns der große Glaube des Volkszählung in dieser Zeit, aber auch eine Kindertötung Abraham, der auf Gottes Weisung seine Heimat in Ur ver- durch Herodes keine außerbiblischen Quellen kennen. lässt und ins Ungewisse aufbricht, als Idealtypus des gott- Unstrittig ist hingegen die geistgewirkte Mitwirkung Mari- gläubigen Menschen vorgestellt. Später ist er sogar bereit, ens im Heilsgeschehen Gottes. seinen einzigen Sohn als Opfer für Gott zu geben. Ähn- Die nach den jüdischen Religionsgesetzen vorge- Deutschland, 1. Viertel 19. Jhd. Aus Wikimedia Commons. lich ist es im Neuen Testament die junge Jüdin Maria, der schriebene Opferung der (männlichen) Erstgeburt im durch den Engel verkündigt wird, den „Sohn des Höchs- Tempel, die ersatzweise durch die Opferung von Tauben ten“, den „Gottessohn“ zu gebären. Schon der Gruß des erfolgt, wird durch das Staunen der jungen Eltern über die Bild oben: „Maria bei Elisabeth“, Hinterglasbild, Engels ließ sie nach Auskunft der Schrift erschrecken, Bekenntnisse des alten Simeon im dritten großen Canti- weshalb die Beschwichtigung „Fürchte dich nicht“ durch cum des Lukas-Evangeliums, dem Nunc dimittis (Lk 2,29– den Gesandten Gottes notwendig wird. Es ist wie bei den 32), aber auch der Prophetin Hanna (2,36-38) geprägt. Wie Propheten-Berufungen: Der Herr ist mit ihr. Zudem wird bereits die heidnischen Weisen aus dem Osten erkennen der Heilige Geist Gottes über sie kommen und sie von der nun zwei alte, lebenserfahrene, weise Juden, ein Mann und Kraft des Höchsten überschattet werden. Alles das, weil bei eine Frau, Jesus als den erwarteten Gottessohn. Gott nichts unmöglich ist (Lk 1,37)! Eine Feststellung, die Lukas erzählt uns auch von den ersten erfolgreichen sich durch die ganze Heilsgeschichte mit Gott zieht. Lehren des Zwölfjährigen im Tempel. Hier begegnet er Spannend die Reaktion der jungen Maria auf diese dem Vorwurf seiner besorgten, suchenden Mutter „Kind, Begegnung: Sie nimmt ohne Murren (vgl. Jeremias), ohne wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben Fluchtversuch (vgl. Jonas) das ihr Verkündigte sofort an: dich voll Angst gesucht“ mit der für sie verblüffenden Ant- „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es wort „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, gesagt“ (1, 38). Beim Besuch ihrer ebenfalls schwangeren dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ Cousine Elisabeth bricht es im sogenannten Magnificat, (2,48-49). Hier stehen sich bereits elterliche Fürsorge und das wir noch heute täglich in der Tagesliturgie beten, aus Berufung in die Verkündigung gegenüber. 6 6 . J a h r g a n g + M a i 2 0 2 2 7
Das Thema findet sich auch im Markus-Evangelium an zwei Stellen: Zunächst versuchen seine „Verwand- ten“ darum, ihn in die Familie zurück- zuführen, da er „von Sinnen“ sei (Mk 3,20-21). Und dann kommt nament- lich genannt auch seine Mutter Maria persönlich zu ihm. Sie tritt vor das Haus, geht allerdings nicht hinein, sondern lässt ihn herausrufen. Jesus folgt allerdings nicht der Aufforde- rung seiner Mutter, sondern lehrt die Anwesenden weiter, und zwar über die wahre Verwandtschaft: einer Gemein- schaft, die sich dadurch auszeichnet, dass sie „den Willen Gottes erfüllt“ (Mk 3,31-35). Das Johannes-Evangelium Im Johannes-Evangelium begeg- net uns die Mutter des Herrn ledig- lich an zwei Stellen: Zuerst am Beginn seines öffentlichen Wirkens anlässlich der „Hochzeit zu Kana“. Hier han- delt ihr Sohn auf ihre Aufforderung hin. Es erfolgt mit dem „Weinwun- der“ das erste „Zeichen“, das Jesus als vollmächtigen Repräsentanten der anbrechenden Gottesherrschaft bestätigt ( Joh 2,1-12). Das aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren nächste Mal begegnet uns seine Mutter am Ende seines von einer Frau und dem Gesetz unterstellt…“ (Gal 4,4). Seins als Mensch in der Passionsdarstellung. Hier steht Bild: Triptychon, „Die Jungfrau Maria stillt Jesus“, umgeben von den Aposteln und beschützt Maria gemeinsam mit ihrer Schwester auf dem Golgotha- Die Offenbarung des Johannes Hügel und begleitet ihren Sohn bis in den grausamen Tod In diesem letzten Buch des Neuen Testaments lesen durch zwei Erzengel, äthiopisch-orthodox, 2. Hälfte des 15. Jhd. Von der Smithsoninan ( Joh 19, 25). Die Übertragung der Sorge für seine Mutter wir von einer Frau die „mit der Sonne bekleidet [ist]; der an den uns unbekannten Lieblingsjünger durch den bereits Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Gekreuzigten mag symbolisch für die Fürsorge (Proexis- Sternen auf ihrem Haupt“ (Offb 12,1-2). Diese Aussage tenz) Jesu stehen ( Joh 19, 26-27). wurde in der Glaubensgeschichte häufig mit der Person der Institution, National Museum of African Art. Aus Wikimedia Commons. In den Oster- und Erscheinungsberichten der Evan- Maria in Beziehung gesetzt. Hinweise auf Zusammenhänge gelien erfahren wir nichts über Maria. Allerdings lesen wir mit der Vision bestehen lediglich in der nicht-kanonischen von ihr in der sogenannten Literatur, den sogenannten Apokryphen. …und Maria in Apostelgeschichte Der Verfasser des Lukas-Evangeliums hat sie uns den Dogmen hinterlassen. Sie beginnt mit der Himmelfahrt Jesu und beschreibt, wie es mit der Jesus-Bewegung danach weiter- ging. Hier ist Maria wieder präsent. Sie ist Mitglied der D Jerusalemer Urgemeinde, die aus den namentlich auf- ie Eigenschaften Mariens, der biblischen geführten Aposteln, den „Frauen“ und den Brüdern des Mutter des Menschen Jesus, war in der Kirchen- Herrn besteht (Apg 1,14). Von einer leiblichen Aufnahme geschichte einige Male Gegenstand von Dogmen. Mariens in den Himmel, also einer eigenen „Himmelfahrt“ Hierbei wurde ihre Gottesmutterschaft, ihre immerwäh- sagt uns die Bibel nichts. rende Jungfräulichkeit, ihre Unbefleckte Empfängnis und ihre leibliche Aufnahme in den Himmel als kirchliche Der paulinische Briefkorpus Lehrmeinung festgelegt. Paulus erwähnt die Mutter des Herrn, die nicht namentlich genannt wird, im Brief an die heidenchristli- Gottesmutterschaft chen Gemeinden in Galatien, dem heutigen Zentralanato- Die Gottesmutterschaft wurde auf dem Konzil von lien. Der Galaterbrief wurde vermutlich im Spätherbst 55 Ephesus (431) dogmatisiert, da Jesu Mensch-Sein durch die verfasst. Im Zusammenhang mit dem christologischen Ver- Geburt belegt wurde. Daher wurde Maria der kirchliche ständnis zwischen Jesu Mensch- und Gott-Sein, also dem Ehrentitel der „Gottesgebärerin“ (theotokos) zugesprochen Verhältnis zwischen den zwei „Naturen“ führt er aus: „Als (DH 251). 8 Christen heute
Es entwickelte sich im Weiteren überraschend die Bulle „Ineffabilis Deus“ („Der unaus- eine theologische Diskussion um die sprechliche Gott“). Diese stellte insofern ein dogmenge- beiden Naturen Jesu: Das Verhält- schichtliches Novum dar, da das Dogma vom Papst allein, nis von Gott und Mensch in Jesus. also ohne Bestätigung durch das Bischofskollegium, recht- Dazu gab es in der damaligen Debatte lich verbindlich verkündet wurde. Hierin wird die Lehre verschiedene Ansichten. Im ägyp- definiert, tisch-syrischen Raum vertrat man die Ansicht, dass Jesus Gott in mensch- …dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick licher Hülle gewesen sei (Monophy- ihrer Empfängnis durch die einzigartige Gnade und sitismus), und im türkisch-persischen Bevorzugung des allmächtigen Gottes im Hinblick Raum, dass beide Naturen zwei auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des getrennte, durch das Band der Liebe Menschengeschlechtes, von jeglichem Makel der zusammengehaltene, Personen seien Urschuld unversehrt bewahrt wurde. (Nestorianismus). Nach letzterer Les- DH 2803 art wäre Maria dann nicht eine Jesus-, sondern eine Christus-Gebärerin. Das Äußerungen zur Nichtannahme führen auch hier zu einem Konzil von Chalcedon (451) sorgte Ausschluss aus der Sakramentengemeinschaft der Kirche für eine Klärung in der Frage und legte als Tatstrafe. fest, dass Jesus eine Person, die zugleich Gott und Mensch („vere deo – vere Leibliche Aufnahme in den Himmel homo“) war – wie es noch heute Inhalt Die durch das Erste Vaticanum im Infallibilitäts- unseres Glaubensbekenntnisses, dem dogma (Unfehlbarkeit des Lehramtes) kirchenrechtlich Nizäno-Konstantinopolitanum, in allen neu geschaffene Möglichkeit, von sich aus ohne Rückbin- christlichen Kirchen ist. Das bedeutet, dung eine Lehre verbindlich zu verkünden, wurde seit der dass die beiden Naturen Jesu unver- Promulgation am 18. Juli 1870 lediglich ein einziges Mal mischt, unverändert, ungeteilt und genutzt. Papst Pius XII. verkündete an Allerheiligen 1950 ungetrennt sind (DH 302). das Dogma „Munificentissimus Deus“ („Der unendlich frei- giebige Gott“). Darin lehrt er: Immerwährende Jungfräulichkeit Da Jesus als Erlöser der Welt (Salvator mundi) selbst Wir verkünden, erklären und definieren es als einen vollkommen sündenfrei sein sollte, musste dies nach Auf- von Gott geoffenbarten Glaubenssatz, dass die makellose fassung der Lateransynode (649-653) zwangsläufig auch Gottesmutter, die allzeit reine Jungfrau Maria, nach für seine Mutter gelten. Darum erklärte sie den Glau- Vollendung ihrer irdischen Lebensbahn mit Leib und ben an die immerwährende Jungfräulichkeit Marias und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen ihre unbefleckte Empfängnis (immaculata conceptio) für wurde. „heilsnotwendig“: DH 2803 Wer nicht mit den Heiligen Vätern im eigentlichen und Eine biblische Fundierung gibt es hierfür nicht. So ver- wahren Sinne die heilige und immer jungfräuliche und merkte schon Epiphanius von Salamis um 370: „Ob sie unbefleckte Maria als Gottesgebärerin bekennt, da sie [Maria] nun gestorben ist, wir wissen es nicht, und ob sie […] das göttliche Wort selbst, das vom Vater vor aller begraben ist“ (Panarion 78,11). Zeit gezeugte, in den letzten Zeiten, ohne Samen, vom Es handelt sich um ein Phänomen des „Volksglau- Heiligen Geist empfangen und unversehrt geboren hat, bens“, der bereits für das 6. Jahrhundert belegt ist. Selbstre- indem unverletzt blieb ihre Jungfrauschaft auch nach dend ist die Nichtannahme des Glaubenssatzes wieder mit der Geburt, der sei ausgeschlossen… der eo ipso eintretenden kanonischen Tatstrafe der Exkom- DH 503 munikation belegt. Die alt-katholische systematische Theologie rekurriert Eine Nichtannahme dieser Lehre wurde mit der Exkom- auf die Lehrentscheidungen des ersten Jahrtausends vor der munikation (anathema) bedroht. In der mittelalterlichen Spaltung in Ost- und Westkirche, also die sieben Ökume- Scholastik wurde der Fortbestand der Jungfräulichkeit nischen Konzilien (Nicäa I (325), Konstantinopel I (381), Mariens nach der Geburt Jesu erneut überdacht. Das Tri- Ephesus (431), Chalcedon (451), Konstantinopel II (553), dentinum (1545-1563) bestätigte hierzu das frühmittelalter- Konstantinopel III (680) und Nicäa II (787)). Hier finden liche Dogma. sich die allgemein, also auch in den orthodoxen Kirchen gültigen Glaubenssätze. Die beiden Mariendogmen des 19. Unbefleckte Empfängnis und 20. Jahrhunderts werden darum durch die alt-katholi- Der stark marianisch geprägte Papst Pius IX. pro- schen Kirchen nicht rezipiert. n mulgierte ohne äußeren Anlass am 8. Dezember 1854 6 6 . J a h r g a n g + M a i 2 0 2 2 9
Maria: Von der Seeschlacht- während des Kampfes das schon lange als siegverheißend geltende Rosen- Siegerin zur Friedenskönigin kranzgebet angeordnet. Mittlerweile wird nicht mehr offiziell an den Sieg erinnert; man spricht nur noch vom Von Veit Sch ä fer Rosenkranzfest. Der Preis für den Sieg war hoch: Binnen vier Stunden S eitdem im frühen 5. Jahr- Kriegsflotte mehrerer Staaten zu Was- 30000 getötete Türken, 8000 Tote hundert das Konzil von Ephesus ser gebracht hatte. Der Sieg der christ- und ebenso viele Verwundete auf Maria, die Mutter Jesu, dogma- lichen Koalition beendete zwar die christlicher Seite. tisch zur Gottesgebärerin (Theoto- türkische Expansion, aber keine lang- kos) erklärt hatte, breitete sich in der fristig stabilisierende Wirkung – die Maria Königin des Friedens Kirche über die Jahrhunderte und Türken rüsteten wieder auf, die christ- Ein gegenteiliges Motiv, Maria praktisch in der ganzen Welt die Ver- liche Liga zerfiel. 100 Jahre später mit einem programmatischen Titel Veit Schäfer ehrung und Anrufung Mariens aus. standen die Türken vor Wien. Den- zu versehen, hatte Papst Benedikt ist Mitglied Die Anlässe dafür reich(t)en von noch hat die Seeschlacht ihren Ruf als XV. (1914-22). Während des 1. Welt- der Gemeinde markanten geschichtlichen Ereignis- Schicksals-„Schlacht des Abendlan- kriegs hatte er wiederholt vergebens Karlsruhe sen in Kirche und Welt bis hin zu den des“ über die Jahrhunderte bewahrt Friedensappelle an die verfeindeten schlichten Bitten unzähliger gläubiger und auch als Hinweis auf die Macht Staaten gerichtet. Am 1. August 1917 Menschen in den Wechselfällen des des Gebets. schließlich richtete er einen dramati- Lebens um Rat, Trost, Hilfe und Für- Ein Jahr später führt der Papst schen Appell an die kriegführenden sprache bei Gott. Votivtafeln in vielen den Gedenktag „Unserer Lieben Frau Staaten: Wallfahrtsorten zeigen eindrucksvoll, vom Siege“ ein. Er hatte vor und „Soll denn die zivilisierte Welt wie Menschen die erflehte Hilfe Mari- nur noch ein Leichenfeld sein, soll das ens in ihren körperlichen, seelischen ruhmreiche und blühende Europa, Nöten und sozialen Notlagen erfuh- wie von einem allgemeinen Wahnsinn ren und erfahren. Über solche indivi- fortgerissen, in den Abgrund ren- duellen Glaubenserfahrungen soll und nen und Hand an sich selbst anlegen kann hier nicht räsoniert werden. zum Selbstmord?“ In vollkomme- Etwas kritischer darf man viel- ner Unparteilichkeit rufe er zum Bild: „Unsere liebe Frau von Galway“, eine Darstellung von der „Lieben Frau des Sieges“, Irland leicht die Würden oder ehrenvollen Frieden auf, „wie es jenem ziemt, Funktionen sehen, die Maria vonsei- der als der gemeinsame Vater alle ten der Kirche, den Päpsten zumeist, seine Kinder mit der gleichen Liebe aber wahrscheinlich ursprünglich aus Italien, 17. Jhd. Aus dem Galway City Museum. aber auch von weltlichen Herrschern umgibt“. Auch dieser Versuch schei- zugesprochen wurden. 1656 erklärte terte kläglich, die meisten Staaten beispielsweise der polnische König antworteten nicht einmal auf Johann II. Kasimir Maria zur den päpstlichen Aufschrei. Im „Königin der polnischen Krone“, Gegenteil, gemeinsam diffa- Papst Pius XI. legte den 3. Mai mierten die Feinde den Papst als Festtag „Unserer Lieben Frau, als Parteigänger der ande- Königin von Polen“ fest. Hinter ren Seite. Die herbste Ent- solchen Proklamationen stehen täuschung für ihn dürfte die (kirchen-)politische Erwägungen Reaktion der katholischen und sogar Kriege. Bischöfe der kriegführenden Kommen wir in diesen schreck- Länder gewesen sein, die weit- lichen Kriegstagen auf zwei Ehrentitel hin die Ziele ihrer Regierun- zu sprechen, die Maria im Zusammen- gen vertraten. hang mit weltgeschichtlichen Kriegs- Angesichts der Verheerung ereignissen zugesprochen wurden. Europas fügte Benedikt XV. den Titel „Maria Königin des Friedens“ in die Unsere Liebe Frau vom Siege Lauretanische Litanei ein. Augen- Es war im Oktober 1571, als scheinlich ein nicht minder hilflo- eine christliche Flotte die als unbe- ser Versuch, mithilfe des Glaubens siegbar geltende und weitaus stär- an himmlische Mächte das Grauen kere türkische Seestreitmacht in der künftiger Kriege abzuwenden: Zwei Seeschlacht bei Lepanto (Golf von Jahrzehnte später brach der noch Patras) besiegte. Unter beträchtli- schrecklichere 2. Weltkrieg aus. n chen Mühen hatte Papst Pius V. eine 10 Christen heute
„gestandene Männer“ attraktiv, wie die großen Wallfahr- Maria ist beliebt ten nach Telgte bei Münster zum Pieta-Gnadenbild der „schmerzhaften Mutter“ zeigen. Aber es gibt in den letzten Jahrhunderten auch immer Vo n R aimun d Heidr ich mehr fragwürdige Marien-Erscheinungsorte, an denen ein eigentümlicher Wunderglaube große Blüten treibt. Einige „M aria zu lieben ist allzeit mein Sinn.“ hat die Römisch-Katholische Kirche sogar anerkannt, z. B. Dieses alte Lied kennen ja wohl viele noch. Fatima, bei anderen, z. B. bei Medjugorje in Bosnien-Her- Mein alter Kumpel aus der Jugendzeit hatte zegowina, ist sie bisher dann doch sehr zurückhaltend. eine Freundin, die Maria hieß; so war bei ihm das Lied Martin Luther hat zwar den übertriebenen Heiligen- doppelt angebracht. Und dazu trug er als Zweitnamen kult abgelehnt, war aber ansonsten auch klassischer Mari- Raimund „Maria“, wie Rainer Maria Rilke zum Beispiel. Das dürfen enverehrer. Und das mittelalterliche Erbe hat sich auch Heidrich Männer ja. Die große Ausnahme. Rundum: Maria war ihm an die evangelischen Marien- und Frauenkirchen vererbt, ist Mitglied der Gemeinde schon immer nahe. z. B. an die Frauenkirche in Dresden. Alle Christen gleich Dortmund Und wenn ich mich umgucke: Wie viele tragen Maria welcher Konfession halten am antiken Credo fest, in dem als Vornamen? Unzählige. Auch in unterschiedlicher sprach- Maria wie selbstverständlich eine Jungfrau genannt wird. licher Form als Marie oder Ria oder als englisches Mary Es bleiben Fragen zu stellen: Was wissen wir über- Jungfrau Maria, Youngjin_Archive oder als russisches Maschenka. Alle kommen vom hebräi- haupt historisch gesichert über Maria? Doch eigentlich Hintergrundfoto: Tätowierung schen Mirjam, das unter anderem auch als „Meerstern“ nur, dass sie Maria hieß und dass ihr Mann der Bauhand- gedeutet wird. Auch in zusammengesetzter Form kommt werker Josef war, dass sie mehrere Kinder hatten, darunter Maria vor als Maria-Anna, kurz Marianne, oder als Maria- auch ihren Sohn Jesus, und dass sie im kleinen, unbedeu- Elisabeth, kurz Marlis. Rundum: Maria war und ist beliebt! tenden Nazareth in Galiläa wohnten. Aber wie sind die Wie viele Kapellen, Kirchen und Dome sind nach ihr tiefgründigen biblischen Aussagen und Bilder bezüglich benannt? Manche etwas versteckt als Kirchen „ULF“, Kir- Maria zu deuten? Welche Bedeutung könnte für uns heute chen „unserer lieben Frau“, kurz „Frauenkirche“. Maria haben, welche Rolle könnte sie heute spielen? Ein- Und dann die große Zahl der Wallfahrtskirchen. Die fach links liegen lassen geht gewiss nicht. Oder wollen wir klassischen, die vor allem die mütterliche „Trösterin der uns wirklich mit Maria anlegen, mit Maria, der Mutter Betrübten“ im Blick haben. Diese Maria ist gerade auch für Jesu? n Die Heilige und die Hure und leibfeindlicher Ausprägungen, die Weiblichkeit noch bedrohlicher erscheinen ließen. Die Gottesmutter konnte auf keinen Fall durch einen Maria versus Maria immerhin fortpflanzungsnotwen- Vo n Fr ancin e Schwert feger digen, aber als sündig verteufelten, möglicherweise lust- und liebevol- V on Maria ist in der Regel der Gottesmutter gelingt wohl die len Geschlechtsakt verunreinigt als Jungfrau und Gottesmut- grandioseste Auferstehung der Mut- („befleckt“) worden sein. Die Jung- ter die Rede. Die „heilige tergöttin früherer Jahrtausende, deren frau Maria wurde zum nie erreich- Maria, Mutter Gottes“ ist Fürspreche- Symbole und Titel sie übernimmt; ten Traumziel der katholischen Frau Francine rin und gehorsame „Magd“ des Herrn. sie wird zur liebreichen Herrin, thro- glorifiziert. Schwertfeger nenden Göttin, Gnadenspenderin, ist Mitglied der Gemeinde Jungfrau Maria – Retterin, Erhörerin von Gebeten, Magdalena – heilige Hure? Hannover nie erreichtes Traumziel Meereskönigin, Maienkönigin, Her- Zum Gegenpol wurde bald in Die feministische Geschichts- rin des Grünens und Blühens, sancta der Kirche die andere Maria gekürt: lesung hingegen bescheinigt ihr regina, stella maris, mater dolorosa.“ Maria von Magdala, aus der Jesus nach den verkappten Rang einer Göttin Das ganze Lehrgebäude der dem Markus- und Lukasevangelium neben dem männlichen Trio Gott- Mariologie hat teils zu schweren sieben Dämonen ausgetrieben hatte vater-Sohn-Heiliger Geist, mit dem innerkirchlichen Zerwürfnissen (Mk 16,9; Lk 8,2). Papst Gregor I. hat die frühe Kirche den noch heidni- geführt. War bei den Evangelis- sie 591 in einer Predigt mit der Sün- schen Menschen in ihrer Sehnsucht ten die besondere Empfängnis Jesu derin gleichgesetzt, die Jesus die Füße nach einem weiblichen und liebevol- („durch den Hl. Geist“) noch ein wusch (Lk 7,36-50). Im althochdeut- len Pendant zum strafendem Vater- Stilmittel, die Geburt des Erlösers schen Sprachraum wurde sie deshalb gott entgegengekommen sei. Christa gemäß alter Göttermythen als etwas als „huora“ (Ehebrecherin) bezeich- Mulack, feministische Theologin, Übermenschliches darzustellen, so net; von da an war sie die „Hure“, schreibt in Maria, die geheime Göttin begann schon unter den ersten Chris- weshalb spätere Heime für „gefallene im Christentum: „Mit der Verehrung ten die Herausbildung asketischer 6 6 . J a h r g a n g + M a i 2 0 2 2 11
Mädchen“ den Namen „Magdale- Die Männer zweifeln, und Pet- nenheime“ erhielten. rus hetzt (Kap. 9.4): Kann es sein, dass Maria Mag- dalena die Personifikation der Sprach Er wirklich ohne unser „heiligen Hure“ war, die in matriar- Wissen mit einer Frau und chalen Religionen als Repräsentan- dies vor uns verborgen? Sollen tin der Göttin im Tempel den als wir uns ihr nun zuwenden göttlich verstandenen Geschlechts- und ihr künftig zuhören? akt mit Männern zwecks „heiliger Hat Er sie uns vorgezogen? Hochzeit“ vollzog? Immerhin war das bei Luther (Mt 4,15) übersetzte Maria bricht in Tränen aus und „heidnische Galilea“, das wörtlich Levi nimmt sie vor Petrus in Schutz „Bezirk der Heiden“ heißt, vor- (Kap. 9.7): mals unter assyrischer Herrschaft. Die Assyrer hatten in ihrer Vielgöt- Magdalena ihr von Jesus empfangenes Nun sehe ich, wie du [Petrus] ter-Religion auch sumerische Ein- geheimes Wissen den Jüngern, weil dich gegen diese Frau aufbäumst, flüsse. Und der berühmte sumerische Petrus sie auffordert. Aus Kap. 5.5: als wäre sie dein Gegner. Denn Gilgamesch-Epos ist laut Forschung wenn der Retter sie als wertvoll ursprünglich matriarchal gewesen. Schwester, wir wissen, dass erachtete, wieso möchtest du sie Dazu gehörten Tempeldienerinnen der Retter dich mehr liebte als dann ablehnen? Der Retter kennt (Harimtu), die im Namen der Göt- alle anderen Frauen. Berichte sie sicherlich sehr gut. Das ist der tin Ishtar/Inanna mit Männern die uns von den Worten… Grund, wieso er sie mehr liebte heilige Hochzeit vollzogen (s. die als uns. Wir sollten uns besser Mythen von Inanna und Dumuzi bzw. Sie spricht über die Entwicklung der schämen und lieber dafür sorgen, Samhat und Enkidu, der dadurch vom Seele. den perfekten Menschen in uns „Tier“ zum Mensch werden sollte). und für uns zu leben, so wie Er es Wurde dies mit der Vorherrschaft uns aufgetragen hat. Lasst uns das der Männer entweiht und ver- Maria Magdalena: Festtag 22.7. Evangelium predigen und nicht teufelt? Wurde die unverheiratete Regeln oder Gesetze aufstellen, Magdalena zur verachteten Hure, 5 Attribute: unter dem Kreuz, die jenseits dessen stehen, die weil sie einst der Göttin diente, sich Salbgefäß, als Büßerin, Geißel, uns der Retter mitgeteilt hat. nicht an einen Mann band? Das mit Musikinstrumenten, kann nur Spekulation bleiben. nackt und völlig behaart, mit Diese Perspektive des Evangeliums Ein spannendes Textfrag- Totenschädel (als Symbol für der Maria ist ein starkes Zeugnis ment ist das Evangelium der Maria Nichtigkeit / Eitelkeit). für eine Strömung, die ebenfalls in (Magdalena) aus der 2. Hälfte 5 Patronin von Ripatransone; der der Kirche vorhanden war; doch des 2. Jahrhunderts. In ihm ist sie Frauen, reuigen Sünderinnen konnte sie sich bekanntlich in der ungewöhnlich deutlich die heraus- und Verführten; der Kinder, die Kirchengeschichte nicht durchset- ragende, selbständige/unverheira- schwer gehen lernen; der Schüler zen. Stattdessen wurde Leib- und tete, den Männern gleichgestellte und Studenten, Gefangenen; der Frauenfeindlichkeit kultiviert bis Apostelin, die eine enge Bindung Handschuhmacher, Wollweber, hinein in die christliche Sexual- zu Jesus gehabt hat – aber wohl Kammmacher, Friseure, Salben- erziehung. Wie weit diese Intro- keine sexuelle, wie so viele neu- mischer, Bleigießer, Parfüm- jektionen der männlichen Psyche ere, phantasievolle Publikationen und Puderhersteller, Gärtner, gehen, spiegelt sich nicht nur bei gern glauben machen möchten. Winzer, Weinhändler, Böttcher; manchen Männern wider, sondern Prof. Dr. Silke Petersen schließt gegen Augenleiden und Pest; es hat durch Jahrhunderte z. T. dies jedenfalls aus; siehe ihr Beitrag gegen Gewitter und Ungeziefer. auch gläubige Frauen in ihrer Sexu- Maria aus Magdala zum wissen- 5 Bauernregeln: alität behindert. schaftlichen Bibellexikon der Deut- An Magdalena regnet’s gern, Wie kommt es sonst, dass Por- schen Bibelgesellschaft im Internet weil sie weinte um den Herrn. nografie so weit verbreitet ist, auch (2011). (Dort rückt sie auch die Regnet’s am Magdalenentag, unter verheirateten Männern? Die aus ihrer Sicht z. B. im Evangelium folgt gewiss mehr Regen nach. Psyche spaltet die Frau auf in die des Philippus erwähnten Küsse Wie Maria fortgegangen, brave, aber langweilige Hausfrau zurecht.) wird Magdalena und Mutter (asexuelle Heilige) und sie empfangen. in die verruchte, aber aufregende Brodelnder Geschlechterkonflikt Am Tag der heiligen Prostituierte, mit der „Mann“ sich Das Evangelium der Maria Magdalenen alle Phantasien auszuleben traut schildert einen brodelnden kann man schon und, wie Frauenschutzorganisa- Geschlechterkonflikt in der Nach- volle Nüsse sehen. tionen auch warnen, die Frau als folge Jesu. So offenbart Maria Aus: www.heiligenlexikon.de 12 Christen heute
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