Audit Committee Quarterly - chaos und Kapital - iii / 2019 - Audit Committee Institute
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Audit Committee Quarterly III / 2019 das magazin für corporate governance Gefördert durch Audit Committee Institute e.V. Chaos und Kapital
EDITORIAL Chaos und Kapital © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Leerer Raum. Das ist eine der ursprünglichen Bedeu- Auf diese Herausforderungen sind viele deutsche Unternehmen tungen von »Chaos«. Genauer: der leere Raum, aus bislang nur unzureichend vorbereitet. Sie sollten die wenige verblei- dem – griechischen Mythen zufolge – das Weltall ent- bende Zeit nutzen, um zumindest die drängendsten operativen Frage- stand. stellungen zu lösen – und dabei unbedingt die umfangreichen Hin- weise und bereits beschlossenen Ausnahmeregeln der britischen Der Begriff für absolutes Durcheinander stand also Regierung und der EU beachten. Noch wichtiger: Sie sollten übereilte auch einmal für Potenzial. Wer sich dieser Tage mit Reaktionen unterlassen, ihr Geschäft – soweit es geht – sichern und dem Brexit beschäftigt, könnte diese Wortherkunft stattdessen den Blick auf potenzielle Chancen richten. Denn die Krise tröstlich finden. Denn das reale Chaos des Ausstiegs kann agilen Unternehmen langfristig auch neue Optionen bieten. scheint immer bedrohlicher. Durch die fortgesetzte Abwertung des britischen Pfunds können sich Ob Großbritannien am 31. Oktober ungeregelt aus Chancen für attraktive Investitionen in einzelne Vermögensgegen- der Europäischen Union ausscheidet oder aber es stände oder gar ganze Unternehmen ergeben. Zudem bieten sich doch noch zu einer Trennung zum 1. Januar 2021 mit neue Perspektiven durch Kooperationen mit britischen Unterneh- Vertrag kommen wird, bleibt ungewiss. Eine Reihe men in Drittstaaten. Bisher gibt es nur wenig Zusammenarbeit deut- internationaler Konzerne hat erklärt, ihre Geschäfte im scher und britischer Unternehmen in deren Kernmärkten, wie bspw. Vereinigten Königreich einzustellen bzw. nach Konti- in Indien oder Afrika. Dabei sollten deutsche Unternehmen auch die nentaleuropa zu verlagern. Und das nicht mehr nur in gute Position britischer Unternehmen im US-Markt im Blick haben. der Bankenbranche. So wird die »Special Partnership« zwischen den USA und Groß britannien weiter ausgebaut werden und unabhängig von Brexit Für Deutschland könnte ein No-Deal-Brexit heißen: und Trump weiterbestehen. Für deutsche Firmen kann es auch eine monatelange schwere Disruptionen im Handel mit erfolgreiche Strategie sein, den Marktzugang britischer Unternehmen Großbritannien, ein Absinken des Bruttoinlandspro- in ausländischen Märkten zu nutzen. dukts um voraussichtlich 0,5 Prozentpunkte und damit eine Rezession. Sicher ist auch, dass die deutsch-britischen Wirtschaftsbeziehungen langfristig nicht zusammenbrechen werden. Egal, auf welche Weise Unternehmen drohen sinkende Umsätze bei gleichzei- sich das Vereinigte Königreich von der EU trennt, es wird eine tig steigenden Kosten. Zudem ist eine Vielzahl kom- wesentliche Wirtschaftsmacht bleiben – und ein wichtiger Handels- plexer Anpassungen nötig: insbesondere steuer- und partner Deutschlands. Der Brexit wird nicht das Ende des deutschen zollrechtlich, arbeits-, datenschutz- und patentrechtlich, Geschäfts mit Großbritannien sein, sondern vor allem ein geeigneter operativ in den Bereichen Logistik und IT, finanziell und Zeitpunkt, um dessen Ausrichtung grundlegend neu zu beurteilen strategisch. und zu gestalten. Also: Keine Angst vor der chaotischen Leere, die auf den Brexit folgen könnte. Wo nichts ist, kann alles werden. Andreas Glunz Bereichsvorstand International Business KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
i n h a lt 2 E ditorial 29 ie Zerschlagung von global tätigen Unternehmen – D Andreas Glunz sind die Gesetzgeber gefordert? Prof. Dr. Meinrad Dreher, LL.M. 31 ie EU 27 im Jahr 2025 – Abschied vom Inbild einer D S c h w er p u n k t »immer engeren Union«? Chaos und K apital PD Dr. Jan Hoffmann 6 Auswirkungen eines neuen Energiezeitalters: 34 Wie sicher sind die Märkte? die geopolitische Relevanz der Erneuerbaren Risiken managen im internationalen Geschäft Michael Sen Michael Reuther 10 Präsident Trump, China und die WTO – 36 isikomanagement geopolitischer Risiken – R der Welthandel in der Krise? Beitrag zur strategischen Unternehmenssteuerung Dr. Holger Hestermeyer Jan Joos und Timo Herold 12 Das große Spiel mit strategischer Unsicherheit Prof. Gabriel Felbermayr 39 I n ei g e n er S a c h e Prof. Dr. iur. Dr. h. c. mult. Peter Hommelhoff 14 Neue Seidenstraße – Chancen und Risiken für die deutsche Wirtschaft Prof. Dr. Markus Taube 40 achhaltigkeits- und Innovations-Champions N 16 Wie jemand denkt, so handelt er auch stärken den Standort Hon.-Prof. Dr. rer. pol. Hermut Kormann Kerstin Andreae 20 ie deutsche Industrie vor den Herausforderungen D 42 idden Champions – H der GET-Welt Avantgarde der deutschen Wirtschaft Jan Friedrich Kallmorgen Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon 22I n der Entflechtungsfalle – Warum die USA 44 atenschutz im globalen Wettbewerb – D mit ihrer Chinapolitik scheitern werden vom California- zum EU-Effekt? Prof. Dr. Eberhard Sandschneider Prof. Dr. Jan von Hein und Anna Bizer 24 ie geotechnologische Rivalität zwischen D 46 eliktsrechtliche Haftung von Großunternehmen D den USA und China und ihre Konsequenzen in Frankreich für Menschenrechtsverletzungen für Unternehmen ihrer Tochtergesellschaften und Lieferanten Marius Hachenberg Prof. Dr. Dr. h. c. Holger Fleischer, LL.M., und Yannick Chatard 26 ormus, Iran und der Mittlere Osten H Neue geopolitische Risiken Dr. Rudolf G. Adam und Anna Streich 4 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Kol u m n e z u k u n f t 64 D ie w elt der Cor p orate Gov er n a n c e : A l ba n ie n 49 Die Kunst chaotischen Handelns Bledar Mankollari Prof. Dr. habil. Heiko von der Gracht Fi n a n c ial R e p orti n g U p date | Ta x sta n d p u n k t 66 Neue Tax Compliance-Herausforderung für 50 Strategische Ziele schneller erreichen mit einem Unternehmen – die Einführung der Anzeigepflicht strukturierten Innovationsmanagementsystem für Steuergestaltungen in der EU Dr. Jonas Soluk und Hans Winterhoff Claus Jochimsen und Christian Schmid 52 Kompetenzmix mit Wirkung Dr. Michael Ensser i n ei g e n er sa c h e 68 Fortbildungsprogramm für Aufsichtsräte A k t u elle R e c h ts p re c h u n g 54 Vertretungsmacht des Vorstands und Aufsichts- rats präzisiert 70 P u b li k atio n e n Astrid Gundel 56 Einrichtung eines Aufsichtsrats auf der Basis einer Öffnungsklausel zulässig 71 Der Navigator für den Aufsichtsrat Astrid Gundel 72 A u s g e w ä h lte Zeits c h ri f te n arti k el Cor p orate Go v er n a n c e a k t u ell 58 Zur Angemessenheit der Vorstands- und Auf- sichtsratsvergütung im Spannungsfeld von gesetz- 73 Impressum lichen Vorgaben, öffentlicher Wahrnehmung, Pay for Performance und Wettbewerbsfähigkeit Michael H. Kramarsch und Regine Siepmann 74 Bestellformular 60 Sanktionierung von Pflichtverletzungen durch Aufsichtsrats- und Prüfungsausschussmitglieder nach der Abschlussprüferrichtlinie Dr. Dirk Rabenhorst 62 Kurzmeldungen Zusammengestellt von Astrid Gundel Audit Committee Quarterly III/2019 5 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
S c h w er p u n k t Ch aos und K a pita l Auswirkungen eines neuen Energiezeitalters: die geopolitische Relevanz der Erneuerbaren Autor: Michael Sen Foto: © Siemens AG 6 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Michael Sen ist Mitglied des Vorstands der Siemens AG und dort verantwortlich für die Operating Company Gas and Power sowie für Siemens Gamesa Renewable Energy. Er ist außerdem designierter CEO der Siemens Energiesparte, die im kommenden Jahr in Form eines Spin-Offs an die Börse gebracht werden soll. Nach Abschluss seiner Stammhauslehre bei Siemens und seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Berlin war Sen in verschiedenen Positionen bei Siemens tätig, unter anderem in der Konzernstrategie, als Leiter der Investor Relations sowie als Chief Financial Officer des Sektors Healthcare. 2015 wechselte er als Finanzvorstand zu E.ON, wo er die Abspaltung des Energiehandels und des Geschäfts mit konven- tioneller Stromerzeugung in die Tochtergesellschaft Uniper bis hin zum Börsengang verantwortete. 2017 kehrte Sen zu Siemens zurück. Als für Siemens Healthineers Verantwortlicher im Siemens Vorstand bereitete er den Börsengang im März 2018 maß- geblich vor. Internationale Krisen, weltwirtschaftliche Spannun- Souveränität gewinnen: gen, zunehmender Populismus und Polarisierung – Energiewende als Weg die Geopolitik und die Geoökonomie werden immer zu größerer Selbstständigkeit komplexer und fragmentierter. Es bildet sich eine neue Weltordnung heraus, in der China mehr und mehr die Gerade in einer Zeit geopolitischer Umbrüche ist jede Rolle eines globalen Innovationstreibers übernimmt – Nation gut beraten, eine eigene starke, verlässliche, und das nicht nur im technologischen Bereich: Mit der nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung sicher- »Belt and Road Initiative« verfolgt die chinesische zustellen. Das bedeutet bereits heute für viele Volks- Regierung eine ehrgeizige Industrie- und Außenpolitik. wirtschaften eine Umstellung des Energiesystems Unterdessen gilt auf der gegenüberliegenden Seite von zentral auf dezentral und von konventionell auf des Pazifiks das Prinzip »America First«. Die USA stel- erneuerbar. len als einer der wichtigsten Partner Europas den Frei- handel infrage. Erneuerbare Energien sind fast überall verfügbar. Da- durch ändert sich die Energielandschaft von zentraler Die Europäische Union steht damit vor großen Heraus- Stromerzeugung, also den fossil befeuerten Großkraft- forderungen – politisch, wirtschaftlich, ökologisch werken, hin zu zunehmend dezentralen und flexiblen ebenso wie sozial. Dabei spielt die Energieversorgung Lösungen. Diese Dezentralisierung wiederum redu- eine immer bedeutendere Rolle. Denn der Klimawan- ziert die Abhängigkeit von Preisschwankungen auf del und seine Auswirkungen auf Gesellschaft, Politik den internationalen Energierohstoffmärkten. Und sie und Wirtschaft lassen sich nur mit einer konsequen- hat auch Auswirkungen auf das geopolitische Gefüge. ten Energiepolitik eindämmen. Wenn Staaten ihre Energie stärker vor Ort produzieren und mehr und mehr auf erneuerbare Energien setzen, Die Weltkommission für Geopolitik, eine unabhängige gewinnen sie größere Souveränität. Das wiederum Initiative der Internationalen Organisation für erneuer- wirkt sich auf Abhängigkeitsverhältnisse aus und kann bare Energien (IRENA), erwartet, dass die Energie- dazu beitragen, das Konfliktrisiko zu senken, das durch wende Auswirkungen auf die globale Energievertei- die Verfügbarkeit von oder die Armut an fossilen Ener- lung und auf die Beziehungen zwischen Staaten und giequellen entsteht. Ländern haben wird. Denn durch die Erneuerbaren sind die Länder in der Lage, Energieimporte zu reduzie- Die Erneuerbaren haben außerdem bereits bewiesen, ren und Versorgungssicherheit zu garantieren. Unter- dass sie die Stromgestehungskosten signifikant sen- nehmen, Volkswirtschaften und Wirtschaftsregionen ken können. In vielen Fällen sind die Kosten für Strom- müssen den massiven Wandel verstehen und zeit- erzeugung aus Wind- und Solarenergie auf Augen nah agieren, um die eigene Anpassungsfähigkeit zu höhe oder sogar niedriger als bei konventionellen erhöhen. Energiequellen; mittelfristig werden sie noch weiter sinken. Allerdings sollten niedrigere Preise nicht zulas- ten der Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit der Branche gehen. Für ein intaktes Energiesystem braucht es Regulierung mit Augenmaß, d. h. der Abbau von Subventionen und der Übergang zu marktgerechteren Strukturen sollte in einer sinnvollen Geschwindigkeit erfolgen. Audit Committee Quarterly III/2019 7 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Schwerpunkt Chaos und Kapital Im Stromsektor ist die Energiewende bereits weit lange Dürreperioden mit Wasserknappheit, Hitze und vorangeschritten, in anderen Bereichen wie Wärme, Ernteausfällen, ungewöhnliche Kältewellen. Oftmals Verkehr oder Industrie gibt es jedoch noch großen sind gerade ärmere Länder besonders von den Aus- Handlungsbedarf. Mobilität hat bspw. in Deutschland wirkungen des Klimawandels und der damit einherge- einen Anteil von 22 Prozent am Primär-Energiever- henden Instabilität betroffen. Ganz konkret zeigt sich brauch. Der Anteil der Industrie liegt sogar bei 26 Pro- das an der Migration – heute sind weltweit mehr als zent und der von Gebäuden immerhin bei 16 Prozent. 70 Mio. Menschen auf der Flucht, viele von ihnen flie- Die intelligente Verknüpfung dieser Bereiche, die sog. hen aus unwirtlichen, von Klimakatastrophen betroffe- Sektorkopplung, muss deshalb der nächste Schritt bei nen Gegenden. der Energiewende sein. Sicher auch vor diesem Hintergrund haben die Verein- ten Nationen das Ziel, »Sofortmaßnahmen zu ergrei- Sicherheit gewinnen: Energiewende fen, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu als Weg zu größerer Stabilität bekämpfen«, als eines von 17 »Sustainable Develop- ment Goals« (SDGs) formuliert. Die SDGs sollen welt- Weltweit lebt noch immer rund eine Mrd. Menschen weit die nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, ohne Stromversorgung. Gleichzeitig steigt die globale sozialer sowie ökologischer Ebene sichern. Eines die- Energienachfrage weiter: Allein bis 2040 werden wir ser Ziele, das eng mit dem Kampf gegen den Klima- fast 80 Prozent mehr Strom benötigen – und diese wandel zusammenhängt, ist der »Zugang zu bezahl Zahl bezieht weitere Energieformen noch nicht mit barer, verlässlicher und nachhaltiger Energie für alle«. ein. Der Ausbaubedarf ist also weiterhin groß; Strom- Je eher wir diese beiden zentralen SDGs erreichen, versorgung ist nicht nur für private Individuen essenziell desto schneller gelangen wir zu geopolitischer Stabi und aus meiner Sicht ein Menschenrecht. Eine verläss- lität. liche Stromversorgung ist Voraussetzung für nachhalti- ges Wirtschaftswachstum. Die Energiewende hat also Was können Unternehmen tun? Bei Siemens haben direkten Einfluss auf die Entwicklungsperspektiven wir entschieden, unsere Aktivitäten im Energiege- und damit die Stabilität von Staaten. schäft in ein eigenständiges »Powerhouse« zu über- führen. Damit gründen wir ein eigenständiges Unter- Diese Stabilität hängt eng mit dem Klimawandel zu- nehmen, das die gesamte Wertschöpfungskette der sammen. Überall in der Welt nehmen Anzahl und Energie abbildet – von der Erzeugung konventioneller Stärke extremer Wetterereignisse zu und gefährden und erneuerbarer Energien bis hin zur verlustarmen Lebensgrundlagen: Starkregen und schwere Unwetter, Stromübertragung. Mit einem Geschäftsvolumen von 8 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
etwa 30 Mrd. EUR, mehr als 80.000 Mitarbeitern und einem Auftragsbestand von etwa 70 Mrd. EUR ent- steht ein »Pure Play« mit allen Voraussetzungen, in diesem sich rasant verändernden Markt eine führende Position einzunehmen und gesellschaftliche Verant- wortung zu übernehmen. Unternehmen können einen stärkeren Beitrag als vielleicht früher leisten, indem sie sich grundsätzlich mehr mit der Frage beschäftigen, wie sie Geschäfte machen – nicht nur welche Geschäfte. Dahingehend hat sich auch die Erwartungshaltung der Gesellschaft verändert: Unternehmen sollen klimafreundliche Pro- Stärke gewinnen: Energiewende in dukte anbieten, sie sollen Innovationen vorantreiben Europa konsequent vorantreiben und sich für Weltoffenheit, fairen Wettbewerb und soziale Verantwortung einsetzen. Das ist der Anspruch, Für ein wettbewerbsfähiges und nachhaltiges Europa den Gesellschaften an Unternehmen heute haben. brauchen wir mehr denn je eine noch stärker abge- Und diesem Anspruch sollten Unternehmen idealer- stimmte europäische Energie- und Klimapolitik. Wir weise gerecht werden. brauchen eine Politik, die die richtigen Voraussetzun- gen schafft, damit wir gemeinsam die nötige Infra- Bei Siemens dienen die 17 Sustainable Development struktur für erneuerbare Energien ausbauen können: Goals als Leitlinie für unser unternehmerisches Han- mit adäquaten Stromtrassen, intelligenten Netzen und deln – bei dem »Siemens Powerhouse«, das wir innovativen Speichertechnologien. Durch Power-to-X, gerade gründen, ebenso wie bei unseren anderen also synthetisch erzeugte Energieträger, können bspw. Geschäften. Siemens trägt aktiv zur Umsetzung der temporär auftretende Stromüberschüsse bei Erneuer- Ziele bei, mit innovativen Lösungen, verantwortungs- baren in andere Energieformen umgewandelt und so vollen Geschäftspraktiken und sozialem Engagement. zwischengespeichert werden – genau genommen also So haben wir z. B. die »Energy Value Charter« entwi- »Green Power-to-X«. ckelt und in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei handelt es sich um ein ganzheitliches Konzept, Wir sollten die erneuerbaren Energien in die Gesamt- das Ländern aufzeigen kann, wie sie ihre Energie wirtschaft integrieren – und zwar nicht nur im Bereich systeme zukunftsfähig und nachhaltig gestalten. der Mobilität, sondern auch in Gebäuden und in der Industrie. Dazu müssen wir das volle Potenzial der Digitalisierung nutzen und seitens der Politik die richti- gen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich Inves- titionen in klimaschonende Technologien, in Flexibi lisierung und Versorgungssicherheit lohnen. Es geht hier nicht um Dauersubventionen, sondern darum, den erfolgreichen Start neuer, vielversprechender innovativer Technologien bis hin zur Marktreife zu ermöglichen. Europa hat im Wettbewerb mit den großen Wirt- schaftsregionen Asien und Amerika gute Chancen, wenn wir innovativ und damit konkurrenzfähig blei- ben. Eine verlässliche und gleichermaßen nachhaltige Energieversorgung ist die Basis dieser Wettbewerbs- fähigkeit. Politik und Wirtschaft sind hier gemeinsam gefordert, um die Energiewende zum Erfolg zu füh- ren. Das wäre ein starker Beitrag für ein vereintes Europa. Audit Committee Quarterly III/2019 9 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Schwerpunkt Chaos und Kapital Präsident Trump, China und die WTO – der Welthandel in der Krise? Autor: Dr. Holger Hestermeyer Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und den USA stecken in einer tiefen Krise. Doch der Handelskrieg zwischen dem weltgrößten Warenexporteur, China, und dem größten Importeur, den USA, ist nur ein Aspekt einer Krise des Welthandels, die dessen Governance-System und dem Regelwerk des Welthandels erheblichen Schaden zuzufügen droht. Die Grundregeln des Welthandels sind niedergelegt in Während die Weiterentwicklung des WTO-Rechts den WTO-Abkommen, jenen völkerrechtlichen Verträ- durch Verhandlungen seit über einem Jahrzehnt stockt, gen, die auch die Welthandelsorganisation (WTO) in wurden in anderen Bereichen, insbesondere bei der Genf gründeten. Mit ihren heute 164 Mitgliedern (160 Streitschlichtung, stetig Fortschritte erzielt. Die jüngs- Staaten, die EU, Hongkong, Macau und Chinesisch ten Entwicklungen jedoch deuten auf eine Krise hin, Taipeh) ist die WTO eine der bedeutendsten internatio- die auch die bestehenden Regeln infrage stellt. Drei nalen Organisationen und spielt eine zentrale Rolle im Beispiele verdeutlichen dies. Governance-System des Welthandels. Sie dient ihren Mitgliedern als Forum für Diskussionen über die Imple- Erstens zeigt der amerikanisch-chinesische Handels- mentierung, Einhaltung und Weiterentwicklung der Re- krieg, dass das WTO-Recht der bewussten Eskalation geln des Welthandels, betreibt aktiv den Aufbau von eines Zollkriegs nicht Herr werden kann. Die Regierung Kapazitäten in Entwicklungsländern und ermöglicht es des US-Präsidenten Trump machte früh deutlich, dass ihren Mitgliedern, Streitigkeiten über die Einhaltung der ihr der Importüberschuss Chinas im Handel mit den Regeln in einem Streitschlichtungssystem zu lösen. USA ein besonderer Dorn im Auge ist. Sie sieht Straf- Nicht alle dieser Funktionen erfüllt die WTO jedoch mit zölle als adäquates Mittel an, Importe aus China zu gleichem Erfolg. So hat die Vergrößerung der Organi- reduzieren. Im März 2018 verhängte sie Zölle auf chine- sation und die zunehmende Diversität ihrer Mitglieder sische Importe wegen unfairer Praktiken im Bereich dazu geführt, dass die Aushandlung neuer Handels des geistigen Eigentums. Sie wartete zuvor nicht das regelungen, die traditionell in sog. Handelsrunden statt- Ergebnis eines gleichzeitig von ihr eingeleiteten WTO- findet, fast völlig zum Erliegen gekommen ist. Kaum Verfahrens gegen China ab, obwohl sie hierzu verpflich- jemand glaubt noch an einen Erfolg der 2001 begon- tet gewesen wäre.1 China konterte mit einer Klage vor nenen Verhandlungsrunde, der sog. Doha-Runde. der WTO,2 erhob aber ebenfalls Vergeltungszölle, ohne deren Ausgang abzuwarten. Trotz intensiver Gesprä- che zwischen den beiden Ländern eskalierte der Zoll- konflikt. Der durchschnittliche Zollsatz für chinesische Importe in die USA stieg von 3,1 Prozent vor dem Kon- flikt auf 18,3 Prozent im Mai 2019. Ein Ende der Spirale aus Zöllen und Gegenzöllen ist nicht in Sicht.3 Dabei 1 China – Intellectual Property Rights II, WT/DS542; zur Pflicht, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten: US – Section 301 Trade Act, WT/DS152/R 2 US – Tariff Measures on Certain Goods from China, WT/DS543; siehe auch US – Tariff Measures on Certain Goods from China II, WT/DS565 3 Chad P. Bown and Melina Kolb, Trump’s Trade War Timeline, https://www.piie.com/blogs/trade-investment-policy-watch/trump- trade-war-china-date-guide; Chad P. Bown and Eva Zhang, http://www.piie.com/blogs/trade-and-investment-policy-watch/trumps- 2019-protection-could-push-china-back-smoot-hawley 10 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Dr. Holger Hestermeyer ist Shell Reader in International Dispute Resolution am King’s College London und Senior Research Affiliate am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völker- recht in Heidelberg. Zuvor arbeitete er als Référendaire am Europäischen Gerichtshof. Er ist als Rechts- anwalt in Deutschland und New York zugelassen und berät zu Fragen des Völker- und Europarechts. Zurzeit berät er als Specialist Advisor den EU-Ausschuss des House of Lords zu völkerrechtlichen Ver- trägen im Rahmen des Brexit. Seine Forschung zu Fragen des Wirtschaftsvölkerrechts wird durch eine Mid-Career Fellowship der British Academy finanziert. Holger.Hestermeyer@kcl.ac.uk wurde das wirtschaftliche Ziel der Trump-Regierung gegen Katar begonnen.10 Bereits entschieden wurde ein Konflikt zwi- nicht erreicht. Zwar fielen die Importe aus China in die schen Russland und der Ukraine, in dem festgestellt wurde, dass die USA im ersten Halbjahr 2019 um 12 Prozent gegen- Voraussetzungen der Klausel zur nationalen Sicherheit durchaus im über dem Vorjahr, das Handelsbilanzdefizit der USA WTO-Streitschlichtungsverfahren überprüfbar sind.11 Zu einer Mäßi- ging jedoch nicht zurück.4 gung der Krise führte diese Entscheidung bislang nicht. Zweitens berufen sich Staaten zunehmend auf die Drittens gerät das Streitschlichtungssystem der WTO in eine Krise. »nationale Sicherheit«, um den Zwängen des WTO- Dem System kommt für die Durchsetzung der WTO-Regeln eine Rechts zu entgehen. Das Recht des internationalen besondere Bedeutung zu, weil sich Parteien vor nationalen Gerichten Waren- und Dienstleistungshandels befreit Maßnah- in den meisten Ländern nicht auf WTO-Recht berufen dürfen. Auch men zum Schutz der nationalen Sicherheit unter be- hat die WTO keine Gewalt, ihre Regeln durchzusetzen. So bleibt oft stimmten Voraussetzungen von den Verpflichtungen nur der Weg zur Streitschlichtung der WTO, wenn ein Land die WTO- des WTO-Rechts.5 Ob diese Voraussetzungen recht- Regeln verletzt. Ein WTO-Streitschlichtungsverfahren ist ein Verfah- lich überprüft werden können, ist umstritten. Die USA ren zwischen WTO-Mitgliedern und sieht in erster Instanz die Ent- vertreten, dass das WTO-Streitschlichtungsverfahren scheidung eines Panels vor, das speziell für den jeweiligen Streit eine solche Überprüfung nicht vornehmen dürfe. Aller- eingesetzt wird. Die Panel-Entscheidung kann durch eine Berufung dings zeigten sie bisher große Zurückhaltung bei der zu dem Berufungsgremium, dem »Appellate Body«, angegriffen Berufung auf die Klausel zum Schutz der nationalen werden. Der Appellate Body ist mit sieben Juristen, die als Richter Sicherheit. Diese Zurückhaltung gab die Trump-Regie- fungieren, besetzt. Sie werden von den WTO-Mitgliedern ernannt. rung auf. Im März 2018 kündete sie unter Berufung auf Jeder Fall wird von drei von ihnen entschieden. Die USA blockieren die nationale Sicherheit Zölle auf Stahl- und Aluminium seit einiger Zeit die Ernennung neuer Richter. Sie begründen dies an.6 Alliierte wurden, wie man bei Maßnahmen zum damit, dass das Gremium wiederholt seine Kompetenzen über- Schutz der nationalen Sicherheit vielleicht hätte erwar- schritten habe, verweigern jedoch einen konstruktiven Reformdis- ten können, nicht verschont: So endete eine der EU kurs. Nachdem die Amtszeit mehrerer Richter ausgelaufen ist, ist der gewährte Ausnahme im Juni 2018. Mehrere Staaten Appellate Body nur noch mit drei Richtern besetzt. Im Dezember 2019 gingen gegen die Maßnahmen im Wege der WTO- wird die Amtszeit zweier weiterer Richter auslaufen und der Appellate Streitschlichtung vor 7 und verhängten ihrerseits Ver- Body damit handlungsunfähig sein.12 geltungszölle.8 Das Ergebnis der Verfahren steht noch aus, da droht schon weiteres Ungemach. Der ameri- Trotz der sich zuspitzenden Krise um die WTO gilt es, einen kühlen kanische Präsident erklärte einige Autoimporte zu Kopf zu bewahren. Das Welthandelssystem entwickelte sich stets einer Gefahr für die nationale Sicherheit und öffnete von Krise zu Krise. Der Verlust des Appellate Body ist zwar drama- damit die Tür für weitere Zölle.9 Die USA sind nicht die tisch, aber das Panel-System würde fortbestehen. Unbestritten staut Einzigen, die den Handel unter Berufung auf die natio- sich zudem seit geraumer Zeit der Reformbedarf des Welthandels- nale Sicherheit erschweren. Mehrere WTO-Verfahren rechts. Insbesondere die wirtschaftlichen Strukturen Chinas werfen wurden im Umfeld der Blockade einiger Golfstaaten Handlungsbedarf auf, da die Erwartungen eines Systemwandels Chinas hin zu westlichen Strukturen sich nicht erfüllt haben und die 4 Sherman Robinson and Karen Thierfelder, Who’s Winning the US-China Trade War?, https://www.piie.com/blogs/trade-and-investment-policy- WTO-Regeln nicht angemessen mit Chinas Strukturen umgehen.13 watch/whos-winning-us-china-trade-war-its-not-united-states-or Es gilt, eine Formel zu finden, die die positiven Grundstrukturen der 5 Art. XXI GATT, Art. XIV bis GATS WTO bewahrt, destruktiven Tendenzen der US-Regierung energisch 6 Im amerikanischen Recht findet sich die Rechtsgrundlage in § 232 des entgegentritt, aber zugleich willkommene Reformvorschläge aufgreift. amerikanischen Trade Expansion Act of 1962. Die nächsten Monate werden zeigen, inwiefern die Staaten diesen 7 Verfahren wurden von China, Indien, der EU, Kanada, Mexiko, Norwegen, Russland, der Schweiz und der Türkei begonnen. US – Steel and Alumi- strategischen Herausforderungen begegnen können. nium Products, WT/DS544, 547-8, 550-2, 554, 556, 564. Der Streit mit Kanada und Mexiko wurde beigelegt. 8 Hiergegen klagten die USA ihrerseits in den »Additional Duties«-Verfah- 10 Mit Katar als Kläger: DS526-8, 567; mit Katar als Beklagtem DS567 ren. Die Verfahren gegen Kanada und Mexiko (DS557, 560) wurden bei- 11 Russia – Traffic in Transit, WT/DS512/R vom 5.4.2019 gelegt. Verfahren gegen China, die EU, die Türkei und Russland stehen aus (DS558-9, 561, 566). 12 Doug Palmer, Trump’s next 5 months could reshape trade for years, Politico, 29.7.2019 9 David Shepardson, Trump declares some auto imports pose national 13 Mark Wu, The »China, Inc.« Challenge to Global Trade Governance, Harvard International Law security threat, Reuters, 17.5.2019 Journal, 57, S. 261 ff., 2016 Audit Committee Quarterly III/2019 11 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Schwerpunkt Chaos und Kapital Das große Spiel mit strategischer Autor: Prof. Gabriel Felbermayr U n si c Seit Anfang 2011 steckt der Globalisierungsprozess Der US-Präsident versteht dieses Spiel mit der Unsicherheit sehr gut. fest. Der weltweite Güterhandel wächst nicht mehr Er konnte seine (fragwürdigen) Vorstellungen gegenüber Handels- schneller als die Industrieproduktion, sondern im partnern wie Mexiko, Kanada oder Korea durchsetzen, auch Japan Durchschnitt sogar leicht langsamer. Für Europa und scheint bereit zu sein, ein neues Handelsabkommen zu akzeptieren. insbesondere für Deutschland stellt dieses Umfeld Und der US-Präsident findet Nachahmer in der Türkei, Russland oder eine Herausforderung dar. So hat sich in Deutschland Indien. Auch China setzt strategische Unsicherheit seit Langem zur die Exportdynamik stark abgeschwächt. Dies bremst Erreichung seiner Ziele ein. die Dynamik der Wirtschaftsentwicklung mittlerweile spürbar ab. Weil die Drohung mit Zöllen oder anderen Handelsbarrieren die inter- nationale Arbeitsteilung verzerrt, leidet das globale Bruttosozial Vielfach werden die unorthodoxe Handelspolitik des produkt. Länder oder Regionen mit großen Exportüberschüssen US-Präsidenten Donald Trump und das Brexit-Refe- wie Deutschland verlieren Wertschöpfung, doch Länder mit großen rendum im Vereinigten Königreich für den fehlenden Handelsdefiziten profitieren. Schwung im Welthandel verantwortlich gemacht. In der Tat verschärfen diese Phänomene eine Grund Die Politik wird dadurch vor erhebliche Herausforderungen gestellt. tendenz, die allerdings schon länger zu beobachten ist. In Europa liegt die Kompetenz für die Handelspolitik bekanntlich bei Seit der Weltwirtschafts- und -finanzkrise von 2009 der EU; auch für internationale Investitionen liegt die Verantwortlich- nimmt die Anzahl diverser protektionistischer Maß- keit seit dem Vertrag von Lissabon in Brüssel. Das ist wichtig, denn nahmen weltweit zu, wie Daten der Universität Sankt in dem skizzierten geostrategischen Spiel ist der wichtigste Faktor Gallen belegen. Auch die Verwendung von Zöllen die Größe des eigenen Binnenmarkts. Er bestimmt die internationale nimmt zu. Viel wichtiger als das Niveau der Zölle Verhandlungsmacht. selbst ist die Unsicherheit darüber, wie Exporteure in den Zielländern behandelt werden. Die Gewissheit, Das einzige politische Mittel, um der neuen handelspolitischen auf den Weltmärkten mit stabilen Verhältnissen rech- Unsicherheit zu entgegnen, ist das Abschließen neuer Handelsver- nen zu können, ist dahin. Im Handel mit vielen Län- träge. Daher sind die jüngsten Außenhandelsverträge der EU, z. B. mit dern, nicht nur den USA oder Großbritannien, scheinen Japan, sehr begrüßenswert. Auch das Abkommen der EU mit den neue Zollbarrieren oder andere Schikanen jederzeit Mercosur-Staaten Südamerikas kann als Beitrag zur Reduktion der möglich. Das Globalisierungsmodell scheint, zumin- Unsicherheit gewertet werden. Es ist kein gutes Zeichen, dass meh- dest was den Güterhandel angeht, in eine fundamen- rere Mitgliedstaaten – Österreich, Frankreich, Irland – dem Abkom- tale Krise geraten zu sein. men sehr skeptisch gegenüberstehen. Sie scheinen die geostrate gische Relevanz nicht zu sehen. In Zeiten, in denen geostrategische Rivalitäten das in den ersten zwanzig Jahren nach Ende des Kalten Krie- Die EU ist, wenn sie geeint auftritt, international eine »Trade Super- ges vorherrschende Positivsummendenken ersetzen, power«, wie die Financial Times jüngst geschrieben hat. Sie hat auch müssen Unternehmen ihre Strategien anpassen. Im erhebliche internationale Gestaltungsmacht bei Regulierung und Grunde bleibt ihnen keine andere Wahl, als, wo mög- Wettbewerbsrecht. Dies deshalb, weil die EU für 15 Prozent der lich, verstärkt Produktion in die wichtigsten Absatz- weltweiten Güterexporte verantwortlich ist, Intra-EU-Handel nicht märkte zu verlagern, statt diese mit Exporten zu bedie- mitgerechnet. Beim Dienstleistungshandel liegt der Anteil der EU nen. Nur so kann man möglichen Zöllen entgehen. nach Statistik der Welthandelsorganisation (WTO) sogar bei 25 Pro- zent. Damit liegt die EU vor China oder den USA. 12 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
h e r h e i t Und die EU hat ein dichtes Netz von handelspolitischen Verbündeten, mit denen sie Freihandelsabkommen unterhält. Nach Zählung der Welthandelsorganisation (WTO) hat die EU ganze 42; weitere 11 befinden sich in Verhandlung. Die USA haben im Vergleich dazu nur 14 Abkommen und verhandeln mit der EU und Japan. China hat 15 existierende Abkommen und verhandelt weitere 3. Eine Folge dieser Abkommen ist, dass die EU für mehr Länder der wichtigste Handelspartner ist als die USA oder China. Ihre starke Rolle im Welthandel verleiht der EU Mög- lichkeiten der Einflussnahme. Gleichzeitig ist die EU in wirtschaftlicher Hinsicht abhängiger vom Außenhan- del als die USA: Der internationale Handel macht circa 17 Prozent des BIP aus; in den USA liegt dieser Wert nur bei 13 Prozent. Noch vor wenigen Jahren lag in die- ser Statistik China vorn, doch hat die verstärkte Binnen- marktorientierung die Außenorientierung Chinas deut- lich reduziert. Europa muss seine wirtschaftliche Souveränität ver- Prof. Gabriel Felbermayr ist Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. teidigen. Die Ausgangsposition ist gar nicht schlecht. Gleichzeitig hat er einen Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Christian- Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungs- und Beratungstätigkeit kon- Doch drei Dinge sind entscheidend. Erstens, die EU- zentriert sich auf Governance-Fragen in der internationalen Wirtschaftspolitik, Mitgliedstaaten müssen einsehen, dass die handels- die wirtschaftliche Integration Europas und die deutsche Wirtschaftspolitik. und investitionspolitischen Kompetenzen in Brüssel liegen müssen. Einzelne Mitgliedstaaten sollten Frei- handelsabkommen wie jenes mit Mercosur nicht blo- ckieren können. Zweitens, die EU muss sich stärker als bisher als Anwalt des multilateralen Systems verste- hen, in dem reine politische oder wirtschaftliche Macht durch für alle geltende Regeln eingedämmt wird. Es gibt sehr viele Staaten auf der Welt, die in eine solche Koalition einscheren könnten, weil sie in einer neuen Wild-West-Weltwirtschaftsordnung verlieren würden. Und drittens muss die EU ihre eigene Verletzlichkeit reduzieren. Das geht am besten durch einen weiteren Ausbau des EU-Binnenmarkts und einen Abbau der immer noch hohen Friktionen auf vielen europäischen Märkten, vom Arbeits- bis zum Strom- und Datenmarkt. Der Aufbau eigener Barrieren an der Grenze könnte für die EU hingegen einen Bumerang darstellen. Audit Committee Quarterly III/2019 13 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
o n e B e lt, o n e r o a d Neue Seidenstraße – Chancen und Risiken für die deutsche Wirtschaft Autor: Prof. Dr. Markus Taube In einer von zunehmenden nationalen Egoismen, zerfallenden multi- Für deutsche Unternehmen bieten sich hier diverse lateralen Strukturen und blockierten Wertschöpfungsketten gepräg- Möglichkeiten eines Engagements. Diese umfassen ten Weltwirtschaft b ezeichnet die Neue Seidenstraße eine der weni- gen Initiativen, die konstruktiv neue Wirtschaftsräume e rschließen • Dienstleistungsexporte zur Erstellung von Infra- und die grenzübergreifende Arbeitsteilung vorantreiben will. Gerade struktureinrichtungen; für die international ausgerichtete deutsche Wirtschaft bietet die Umsetzung der Idee »Neue Seidenstraße« somit substanzielle Chan- • den Export von Kapitalgütern (i) im Rahmen von cen, ihre Wettbewerbsstärke international zur Geltung zu bringen. Infrastrukturprojekten und (ii) zur Ausrüstung vor Ort neu entstehender Industriekapazitäten; In ihrer Gesamtkonzeption ist die »Neue Seidenstraße« weitaus mehr als die Errichtung neuer Bahntrassen und Schifffahrtsrouten zwi- • die Errichtung neuer Beschaffungsstrukturen für schen China und Europa. Diese neuen Logistikoptionen sind Realität leichtindustrielle Güter durch den Aufbau lokaler und bieten in sich interessante Geschäftsmodelle bzw. erlauben es, Lieferanten (extern bzw. mit Eigenkapital). Hierbei Nischeninteressen im sino-europäischen Wirtschaftsverkehr zu können günstige Lohnstrukturen und lokale Roh- bedienen, die bislang ungenutzt lagen. Die Erschließung wirklich stoffverfügbarkeiten (»pull«) genutzt werden, um beachtenswerter neuer Geschäftsmöglichkeiten erfolgt aber andern- Verlagerungen aus Regionen mit wachsendem orts: in den zwischen China und Europa gelegenen Volkswirtschaf- Kostendruck bzw. erhöhten politischen Risiken – ten. An den Seehäfen und Bahnhöfen entlang den Routen der Neuen wie z. B. China (!) – (»push«) umsetzen zu können; Seidenstraße entstehen derzeit zahlreiche Industrie- und Freihan- delszonen, die die lokalen Volkswirtschaften in die Transporttrassen • die schrittweise Erschließung lokaler Konsumgüter- »einklinken«. Diese Zonen können für deutsche Unternehmen neue märkte, die allerdings zunächst noch durch ver- Tore zu bislang weitgehend unzugänglichen Volkswirtschaften bil- gleichsweise niedrige Kaufkraftniveaus begrenzt den, ihren Arbeitsmärkten, Ressourcen und Märkten. Insbesondere wird. in Zentral- und Südasien handelt es sich hierbei größtenteils um Volkswirtschaften, die sehr niedrige Lohnniveaus aufweisen und über erhebliche Bodenschätze und / oder Agrarressourcen verfügen. 14 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Mercator School of Management und Direktor der IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Gründungspartner von THINK!DESK China Research & Consulting sowie amtierender Präsident der Euro-Asia Management Studies Association (EAMSA). Eine grundlegende Herausforderung in all diesen Aktivitäten stellt die starke Präsenz chinesischer Kon- kurrenten dar, die durch umfassende staatliche För- derprogramme, chinesische Entwicklungshilfe mit »buy-Chinese«-Klauseln (»tied aid«) und chinesische Unternehmensnetzwerke erhebliche »unfaire« Wett- bewerbsvorteile aufweisen. Dergestalte Wettbe- werbsverzerrungen sind allerdings nicht grundsätzlich prohibitiv, sondern können neutralisiert und überwun- den werden. Tatsächlich wächst in zahlreichen »Sei- denstraßen-Ländern« die Angst vor einer exzessiven Abhängigkeit von chinesischen Akteuren und Interes- sen. Hierdurch entstehen Möglichkeiten für deutsche Unternehmen, sich als Gegengewicht zu positionieren und vergleichsweise höhere Preise durchzusetzen. Alternativ bietet sich auch die Möglichkeit, im Rahmen von Drittlandskooperationen mit chinesischen Unter- Dessen ungeachtet dürfte ein verstärktes Auftreten nehmen gemeinsam in den Zielmärkten aufzutreten. deutscher Unternehmen in der Seidenstraßen-Region Diese Option bietet sich insbesondere an, wenn deut- mittel- bis langfristig zwingend notwendig sein. Dabei sche Akteure sich auch gleichzeitig den Zugang zum geht es zum einen um die Erschließung von Märkten chinesischen Markt bzw. zu chinesischen Technolo und Produktionsfaktoren, die bislang in zahlreichen glo- gien sichern wollen. bal orientierten Geschäftsmodellen noch nicht ihrer Wertigkeit entsprechend repräsentiert sind. Zum ande- Ein Engagement in den Volkswirtschaften der Neuen ren bietet die Region Möglichkeiten zur stärkeren Diver- Seidenstraße geht auch mit erheblichen Risiken einher. sifizierung globaler Lieferanten- und Kundenportfolios. Der formale Rahmen der lokalen Wirtschaftsordnun- Relevant ist dabei nicht allein die Kostendimension gen wie auch politischen Regimes ist zumeist noch bzw. Marktgröße. In einer Ära wachsender politischer schwach; was sich in makroökonomischen Instabilitä- Konflikte und schleichender Desintegration multinatio- ten und hoher Volatilität niederschlägt. In diesen Rah- naler Ordnungsstrukturen wird die Stärkung einer der- menbedingungen gilt es, zu bestehen. Gleichzeitig artigen regionalen Diversifizierung zunehmend bedeut- verlangen die stark informell geprägten Strukturen sam für das Austarieren globaler Geschäftsrisiken. besondere Managementkompetenzen im operativen Geschäft, die insbesondere gegen »schnelle Lösun- Langfristig kommt ein weiterer Parameter hinzu, der gen« qua Korruption resistent sein müssen. Die aktuell für deutsche Unternehmen von entscheidender Be- anlaufenden Anstrengungen der Europäischen Union, deutung sein sollte. Deutsche Unternehmen sind es im Rahmen einer »Konnektivitätsstrategie« stärkere bislang gewohnt, ihre Geschäfte im Rahmen eines Präsenz entlang der Neuen Seidenstraße zu zeigen leistungsstarken Wertekonsenses und klarer Ord- und größeren Einfluss auf den Ordnungsrahmen der nungsstrukturen umzusetzen. Die Politik des »Wan- Wirtschaftstätigkeit zu nehmen, haben das Potenzial, dels durch Handel« hat diese Strukturen erfolgreich mittelfristig positive Impulse zur Überwindung dieser hinaus in die Welt getragen und deutschen Unter Herausforderungen zu setzen. nehmen weltweit vertraute Handlungsumwelten ge- schaffen. In China ist dieser Prozess eines Wandels Eines der schwerwiegendsten Risiken unternehmeri- gemäß deutschen und westlichen Vorlagen mittler- schen Engagements in der Seidenstraßen-Region weile aber zum Stillstand gekommen und wird teil liegt bei näherem Hinschauen gegenwärtig aber nicht weise sogar zurückgedreht. Stattdessen ist eine neue in der Region selbst oder in China begründet, sondern Ost-West-Strömung eines »Wandels durch Handel« erwächst in Washington. In jüngster Zeit intensivierte entstanden. Diesmal sind es chinesische Akteure, die US-amerikanische Bestrebungen, eigene Interessen ihre Institutionen, Geschäftsusancen, technischen Nor- auch mittels einer extraterritorialen Durchsetzung men und Standards entlang der Neuen Seidenstraße amerikanischen Rechts und »secondary sanctions« zunehmend erfolgreich propagieren. Deutsche Unter- (vgl. US-Strafmaßnahmen gegen Dritte im Rahmen nehmen und ihre Interessen werden hierdurch beein- der Sanktionen gegen Iran und der Boykotte chinesi- trächtigt. Die deutsche Wirtschaft tut von daher gut scher Unternehmen wie ZTE und Huawei) durchzu- daran, durch eine starke Präsenz in der Region dieser setzen, können einzelne lukrative Geschäftsmodelle Entwicklung ihre eigenen Werte und Ordnungsmodelle quasi über Nacht zunichtemachen. entgegenzustellen. Audit Committee Quarterly III/2019 15 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Schwerpunkt Chaos und Kapital Wie jemand denkt, so handelt er auch Autor: Hon.-Prof. Dr. rer. pol. Hermut Kormann 16 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Hon.-Prof. Dr. rer. pol. Hermut Kormann war vier Jahrzehnte in technisch geprägten Industrie unternehmen und davon zwei Jahrzehnte als Nicht-Familienmitglied in der Führung eines bedeutenden Familienunternehmens tätig. Er hat Honorarprofessuren an der Zeppelin Universität, Friedrichshafen, und an der Universität Leipzig auf dem Gebiet der Familienunternehmen inne. 1. Gilt die strategische Logik weltweit? Geht man von der weithin akzeptierten Theorie aus, dass unser Denken und Planen schließlich auch unser Handeln beeinflusst (Ajzen), dann haben unsere men- talen Modelle (Seel, 1991), mit denen wir als Bürger oder Berufsträger sozialisiert werden, Einfluss auf unsere Verhaltensmuster. In den letzten 50 Jahren hat die BWL einen eindrucksvollen Kanon von strategi- schen Maximen entwickelt, die in die Denkmodelle der Unternehmensführer eingegangen sind, wobei die Gilde der Berater einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, diese mentalen Modelle zu verbreiten. Es entsteht der Eindruck, dass wir immer besser verste- hen können, welches Handeln »richtig« ist. Zumin- dest richtig gewesen wäre, wenn nichts dazwischen- gekommen wäre, was unsere an sich ja richtigen Pläne möglicherweise vereitelt hat (z. B. Finanzmarktkrise, Gerichtsprozesse in Amerika). Als Berufsträger in der industrialisierten, westlichen Wirtschaft, in der und für die diese Modelle entwickelt werden, nimmt man an, dass diese strategische Logik allgemeingültig ist. Man spricht auch gerne von »Laws of the Marketplace«, die ähnliche Gültigkeit haben, ob man sie beachtet oder nicht, wie etwa das Ohm’sche Gesetz. Diese Allgemeingültigkeit der Naturgesetze kann jedoch offensichtlich nicht auf das Wirken im gesellschaft lichen Bereich übertragen werden. Die heute beste- henden Gesellschaften sind Ergebnisse je eigenstän- diger kultureller Entwicklungen und es ist durchaus plausibel, dass in unterschiedlichen Kulturkreisen auch unterschiedliche Regeln für »richtiges« Handeln, auch richtiges Handeln im Bereich der Wirtschaft, bestehen. Audit Committee Quarterly III/2019 17 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Schwerpunkt Chaos und Kapital Der Unterschied wird deutlich, wenn wir eine mög- lichst große Distanz im kulturellen Abstand wählen, heute die Distanz zwischen China und dem euro päisch-amerikanischen Wirtschaftsraum. Wir stützen uns hier zunächst auf die Reflexionen von François Jullien, einem französischen Philosophen und Sinolo- gen, der in einem Gedankenexperiment die Grundan- nahmen des strategischen Handelns eines Europäers aus der Sicht eines chinesischen Philosophen analy- sieren ließ (Jullien, 1999 und 2006). 2. Die Grundannahmen des europäisch-amerikanischen 3. Die Grundannahmen des chinesi- Strategieverständnisses schen Strategieverständnisses Sehr verkürzt lässt Jullien in dem Gedankenexperi- Mehrere Grundannahmen der chinesischen Philoso- ment den chinesischen Philosophen erkennen, dass phie-Lehren führen zu einem andersartigen Verständ- der Europäer davon ausgeht, die Welt gestalten zu nis von den Herausforderungen für strategisches Han- können, und zwar im Hinblick auf die von ihm gesetz- deln und zu andersartigen Vorgehensweisen zur ten Ziele. Der Stratege geht dabei regelmäßig von Problemlösung. Hierbei wirken sowohl Lehren des idealen Zielen aus. Es geht um das Gute, Beste. Durch Taoismus – insbesondere in den inhaltlichen Vorge- Nachdenken oder Experiment hat er eine Vorstellung hensweisen – wie auch des Konfuzianismus – insbe- von den Ursachen- und Wirkungsbeziehungen, die zur sondere in den Anforderungen an den strategischen Zielerreichung führen (das »Modell«) und weiß daher, Führer, den Weisen – zusammen. Der zentrale Aus- bei welchen Ursachen er den »Hebel« ansetzen muss, gangspunkt ist, dass es keinen Idealzustand als Ziel um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Diese Über- gibt. Es gibt kein Paradies und kein Elysium im chine zeugung verleiht seinen Handlungsimpulsen sowohl sischen Denken. Die Welt ist eine Einheit und darin in der Schnelligkeit wie in der Intensität des Vorge- ist alles voneinander abhängig. Der Ausgangspunkt hens hohe Kraft. Unverzügliches, besser noch »pro für die Sicht auf die Handlungsherausforderung ist aktives« Handeln wird präferiert. Die Gewissheit, daher nicht ein abstraktes oder gar ideales Ziel. Der richtig zu handeln, wird dadurch verstärkt, dass wir Ausgangspunkt ist vielmehr die konkrete Situation. Es durch die aristotelische Logik darin geübt sind, zwi- gilt, zu analysieren, was das Potenzial einer Situation schen unterschiedlichen Handlungsoptionen A und B ist, was sich daraus ergeben könnte, wenn die in der klar zu unterscheiden und die bestgeeignete auszu- Lage angelegten Kräfte und Tendenzen klug genutzt wählen. Ein »Drittes« gibt es nicht. Die so getroffene werden. Entscheidung setzen wir als Umgestaltung der Wirk- lichkeit um. Dabei können allerdings unvorherge Zeigen sich nun in dieser Analyse des Situationspoten- sehene Widerstände auftreten. Diese gilt es, zu zials zwei Optionen für die Entwicklung, A und B, dann überwinden. (Die Phalanx der frühen griechischen gilt es, nicht – nach aristotelischer Logik – zwischen Kriegsführung war eine Anordnung, um Widerstand diesen Optionen zu entscheiden. Vielmehr liegt die durch konzentrierten Krafteinsatz zu durchbrechen.) kluge Strategie nach der konfuzianischen Weisung, Wenn auf diese Weise das ideale Ziel erreicht wird, »Maß und Mitte« einzuhalten, darin, möglichst viel ist es eine bewundernswerte, »heroische« Leistung. von A und B gemeinsam zu realisieren. Es wird gera- Diese verdient Anerkennung, auch in Form der finan dezu von einem »Management in Grey« gesprochen. ziellen Beteiligung an dem errungenen Gewinn. Die- ser Ruhm und die Belohnung mögen sogar Einfluss Widerstände sollten bei diesem Weg ohnehin selte- darauf haben, dass mutige Männer, später dann die ner auftreten und wenn, dann sollten sie eher durch Ritter, diese Herausforderung geradezu suchen, denn Abwarten oder Umgehen unwirksam gemacht wer- wie anders soll sonst ihre heroische Persönlichkeit den. Das Nutzen der sich aus der Situation ergeben- erkennbar werden. den Tendenzen und das indirekte Einwirken auf diese Entwicklungen sind der bevorzugte Weg. Wie Bertold Brecht Laotse sagen lässt: »Daß das weiche Wasser in Bewegung / mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt. / Du verstehst, das Harte unterliegt.« 18 Audit Committee Quarterly III/2019 © 2019 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einem Mitglied des KPMG- Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative (»KPMG International«), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
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