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                          Russischer Löwenzahn könnte sich zu einer regional
                          anbaubaren Alternative für den tropischen Gummibaum
                          entwickeln. Denn seine Wurzel enthält Naturkautschuk,
                          der vielseitig einsetzbar ist – etwa bei der Produktion
                          von Autoreifen.

                          L
                               euchtend gelbe Blüten und weiße         Den neuen Anbauflächen würden wahr-           Schon nach der Entdeckung der Art in den
                               Kugeln, deren Schirmchen vom            scheinlich Regenwälder zum Opfer fallen,      1930er-Jahren hat es unter anderem in der
                               Wind verweht werden: Löwenzahn          so die Befürchtung.                           Sowjetunion und in Deutschland Versu-
                               ist hierzulande ein häufiger Farb­      Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-        che gegeben, sie anzubauen. „Trotzdem
                          tupfer auf Wiesen und zwischen Be­           ler haben sich daher zum Ziel gesetzt, den    gehen wir von einer Wildpflanze aus, die
                          tonplatten. Die wild wachsende Pflanze       Russischen Löwenzahn als regionalen           in der Landwirtschaft bisher überhaupt
                          schmeckt Kaninchen, aber auch Men-           Lieferanten von Naturkautschuk zu för-        nicht Fuß gefasst hat“, erklärt Katja Thie-
                          schen – zum Beispiel im Wildkräu­            dern. Im Rahmen des Verbundprojekts           le. Denn der Russische Löwenzahn ist – in
                          tersalat. Und sie hat das Potenzial, als     „Takowind II“, an dem insgesamt acht          seiner wilden Version – wenig ertrags-
                          Kulturpflanze angebaut zu werden.            Partner beteiligt sind, arbeitet das Julius   stark. Es gab damals zwar schon züchte-
                          Spannender als der alte Bekannte vom         Kühn-Institut (JKI) daran, ihn züchterisch    rische Versuche, aber die Entwicklung
                          Straßenrand, der Gewöhnliche Löwen-          so zu entwickeln, dass er als Kulturpflan-    verlief zu langsam. Außerdem war nach
                          zahn (Taraxacum officinale), ist dabei       ze angebaut werden kann. „Wir haben           dem Zweiten Weltkrieg in Asien erzeug-
                          einer seiner vielen Verwandten: der          festgestellt, dass sich der Russische Lö-     ter Kautschuk auf dem Weltmarkt verfüg-
                          Russische Löwenzahn (Taraxacum kok-          wenzahn sehr gut bei uns im gemäßigten        bar, wodurch der Löwenzahn-Kautschuk
                          saghyz), zu Hause in den Hochtälern des      Klima anbauen lässt“, sagt Katja Thiele,      nicht mehr konkurrenzfähig war. Mit dem
                          kasachischen Tian-Shan-Gebirges. Inte-       Arbeitsgruppenleiterin am Institut für        heute steigenden Bedarf nach Naturkaut-
                          ressant ist er vor allem aufgrund des ho-    die Sicherheit biotechnologischer Verfah-     schuk wird er als Alternative jedoch wie-
                          hen Kautschukanteils in seiner Wurzel.       ren bei Pflanzen des JKI in Quedlinburg.      der relevant.
                          Kautschuk ist ein Naturrohstoff, der un-     Dort ist sie zuständige Leiterin aller        Auf mehreren Versuchsflächen haben
                          ter anderem in der Autoreifenproduktion      Forschungsprojekte rund um den Russi-         Katja Thiele und ihr Team in den vergan-
                          benötigt wird. Bisher ist der tropische      schen Löwenzahn.                              genen Jahren erforscht, was die Pflanze
                          Gummibaum, der nur im sogenannten            Gegenüber dem Kautschukbaum hat die           braucht: Wie funktionieren Aussaat,
                          Kautschukgürtel rund um den Äquator          Pflanze nicht nur den Vorteil, dass sie au-   Düngung, Ernte oder Pflanzenschutz?
                          wächst, der einzige Lieferant dieses Roh-    ßerhalb der Tropen gedeiht, sie ist auch      Welche Schädlinge könnten ihr gefähr-
                          stoffs. Bleibt er das, wären bis 2024 etwa   recht flexibel einsetzbar. Eine Kautschuk-    lich werden? Dabei hat sich gezeigt: Der
                          8,5 Millionen Hektar zusätzliche Anbau­      plantage braucht etwa sieben bis zehn Jah-    Russische Löwenzahn scheint eine recht
Foto: Heiko Specht/laif

                          fläche vonnöten, schätzt die Fachagentur     re bis zur ersten Ernte. Nach 20 Jahren hat   genügsame Pflanze zu sein, die sich auf
                          Nachwachsende Rohstoffe (FNR), ein Pro-      sie ausgedient. Der Russische Löwenzahn       kargem, sandigem Boden wohlfühlt und
                          jektträger des Bundesministeriums für        dagegen kann bei Bedarf jedes Jahr gesät      wenig anfällig für Krankheiten ist. In
                          Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).         und geerntet werden.                          den vergangenen Jahren sei er fast ohne
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Stickstoffdüngung angebaut worden, be-               Ziel sei, den Kautschukgehalt von fünf          terial für die Reifenherstellung zu nutzen,
richtet Dr. Brigitte Ruge-Wehling. Sie ist           Prozent auf etwa 15 Prozent zu steigern,        und eröffnete im Dezember 2018 in An-
seit 2013 Leiterin der Arbeitsgruppe zum             erklärt Brigitte Ruge-Wehling. Dazu             klam ein Forschungs- und Versuchslabor.
Löwenzahn und am Institut für Züch-                  entwickeln sie und ihr Team auch soge-          Bei positiven Ergebnissen soll der Roh-
tungsforschung an landwirtschaftlichen               nannte Selektionsmarker, um Pflanzen            stoff binnen zehn Jahren in der Serien-
Kulturen des JKI in Groß Lüsewitz tätig.             mit gewünschten Eigenschaften, wie zum          produktion eingesetzt werden.
Durch ihre lange Pfahlwurzel könne die               Beispiel einem hohen Kautschukgehalt,           Ein durchschnittlicher PKW-Reifen ent-
Pflanze Wasser tief aus dem Boden holen,             zu ermitteln. Bereits im Keimling können        halte etwa ein bis drei Kilogramm Na­
erklärt die Gartenbau-Expertin.                      sie feststellen, ob er die gewünschte Ei-       turkautschuk, erklärt Klaus Engelhart,
„Wir haben in den letzten Jahren gelernt,            genschaft hat. So weiß der Züchter oder         Pressesprecher von Continental. Um eine
dass es sich lohnt, den Russischen Löwen-            die Züchterin, welche Pflanzen sich für         Tonne davon zu gewinnen, benötige man
zahn anzubauen“, sagt Katja Thiele. Die              die Nutzung eignen.                             derzeit eine Kautschukbaum-Plantage
Erträge auf den Versuchsflächen seien                Das Projekt zeigt, wie groß das Interesse       von rund einem Hektar Fläche. „Wir
zwar wirtschaftlich noch nicht konkur-               an einer regionalen Alternative zum             wollen mit der Löwenzahnpflanze lang-
renzfähig. Aber das könne sich in den                Gummibaum ist – nicht nur in der For-           fristig einen ähnlichen Ertrag erreichen“,
nächsten Jahren ändern, wenn die Pflan-              schung, sondern auch in der Industrie.          erklärt Engelhart. Wollte man – ausge-
ze züchterisch weiterentwickelt werde.               Seit vielen Jahren ist der Reifenhersteller     hend von diesem Zielertrag – den gesam-
Das Saatgut für die Versuchsfelder liefert           Continental mit an Bord. Schon 2014 stell-      ten Naturkautschukbedarf Deutschlands
Dr. Fred Eickmeyer vom niederbayeri-                 te das Unternehmen den ersten Testrei-          decken, wären nach seiner Einschätzung
schen Unternehmen ESKUSA. Gemein-                    fen vor, der Naturkautschuk aus Russi-          fünf bis sieben Prozent der heutigen
sam mit dem Team des JKI sucht er nach               schem Löwenzahn enthält. Praxis-Tests           Maisanbaufläche notwendig. Sein Un­
Wegen, einen Russischen Löwenzahn zu                 haben bestätigt, dass der regionale Roh-        ternehmen wolle jedoch nur einen Teil
kreieren, dessen Anbau sich lohnt. Mit-              stoff qualitativ mit der tropischen Vari-       seines Bedarfs aus Löwenzahn decken.
hilfe von Kreuzungen versucht Eickmeyer              ante mithalten kann. Das Unternehmen            Da der Russische Löwenzahn neu in Euro-
unter anderem, den Ertrag zu erhöhen.                arbeitete seitdem weiter daran, das Ma-         pa ist, prüfen die Forscherinnen und For-

Löwenzahn in Reih und Glied ist aktuell noch ein seltener Anblick:
Am Julius Kühn-Institut testen Forscherinnen und Forscher, ob er sich als Industriepflanze eignet.

                                                                                                                                                   Foto: Eickmeyer/ESKUSA/ Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR)
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             Zähe Angelegenheit: Wurzeln des Russischen Löwenzahns sind Lieferanten von wertvollem Naturkautschuk.
             Der gummiartige Stoff wird aus dem Milchsaft der Pflanze gewonnen.

scher auch, welche Auswirkungen er auf          nah am Boden, was für die Ernte schwierig         An der Wurzel des Russischen Löwenzahns
die heimische Pflanzenwelt hat. „Die Ar-        ist. Der Züchter und das JKI arbeiten des-        ist nicht nur der hohe Anteil an festem
tenvielfalt auf dem Acker erweitert er na-      halb an einer Kreuzung mit dem Gewöhn-            Kautschuk interessant. Auch die Latex ge-

                                                                                                                                                Fotos: Christian Schulze Gronover/Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Oekologie IME
türlich“, sagt Katja Thiele. Außerhalb der      lichen Löwenzahn, dessen Blätter aufrech-         nannte, flüssige Form des Kautschuks und
Felder werde man ihn wohl kaum antref-          ter stehen und maschinell besser erfasst          den hohen Gehalt an Inulin könnte man
fen. Dass sich die Pflanze auf dem Nach-        werden können. Die Ernte könne man sich           nutzen. Flüssiger Latex ließe sich für ge-
barfeld ausbreitet, sei nicht zu erwarten.      etwa so vorstellen wie bei der Zuckerrübe,        tauchte Produkte wie Handschuhe und
„Er ist in den Ökosystemen, die wir hier        erklärt Ruge-Wehling. Die Blätter werden          Kondome oder für geschäumte Produkte
haben, nicht konkurrenzfähig.“ Versuche         zunächst oben abgeschnitten und erst              wie Matratzen nutzen. Inulin ist ein lös­
haben gezeigt, dass der Russische Löwen-        dann das Objekt des Interesses aus der Erde       licher Ballaststoff, der für die Lebensmit­
zahn unter einheimischen Kräutern – trotz       geholt. „Es kommt bei dem Löwenzahn               tel­industrie interessant wäre. Momentan
seiner Genügsamkeit – nicht überleben           immer nur auf die Wurzel an“, sagt sie.           aber liegt die Priorität auf der Gewinnung
würde. Denn er ist sehr empfindlich ge-         Die Kreuzung hat allerdings auch Nach-            von Kautschuk.
genüber Raum- und Lichtkonkurrenz, er-          teile. Denn der Gewöhnliche Löwenzahn             Als Salat würde Brigitte Ruge-Wehling die
klärt Katja Thiele. Das könnte mit seiner       ist anfällig für Mehltau. „Das ist ein Pilz,      Pflanze übrigens nicht empfehlen. Denn
Herkunft zu tun haben: In den kargen Tä-        der bei feuchtwarmem Wetter innerhalb             so gut er sich auch für die Reifenproduk-
lern des Tian-Shan-Gebirges gibt es kaum        kürzester Zeit einen Bestand komplett be-         tion eignet – mit seinen harten und flei-
Pflanzen, die wie er mit den extremen kli-      fallen kann“, erklärt Ruge-Wehling. Das           schigen, von einer Wachsschicht und
matischen Bedingungen zurechtkommen.            Problem wollen die Forscherinnen und              kleinen Härchen überzogenen Blättern
Um die Pflanze effizient säen und ernten        Forscher in den Griff bekommen, indem             lädt der Russische Löwenzahn nicht gera-
zu können, fehlen noch die entsprechen-         sie Resistenzen und Toleranzen identifi­          de zum Reinbeißen ein.
den Techniken und Maschinen. Beim Rus-          zieren und durch Kreuzung auf andere
sischen Löwenzahn wachsen die Blätter           Pflanzen übertragen.                              Von Inga Dreyer
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Erträge steigern, Holz gewinnen und auf den gleichen Flächen Artenschutz
fördern? Klingt schwierig. Doch Landwirtinnen und Landwirte können
bedrohten Tierarten Lebensräume bieten – wenn sie Bäume auf ihre Äcker
setzen. Genau das geschieht in den sogenannten Agroforstsystemen, die
am Julius Kühn-Institut erforscht werden.

Am Rande eines Versuchsfelds mit Som-       steinbank. Besonders interessant ist die     stoffwerte analysieren. Sie erwartet rela-
mergerste steht Dr. Anita Swieter in ei-    Mitte mit rötlichen Rostflecken und          tiv hohe Werte, da die Bäume CO2 aus der
nem Loch, das sie mit ausgehoben hat. Es    hellgrauen Bleichzonen. Dieser schwere       Luft filtern und als Kohlenstoff in ihrer
ist mehr als einen Meter tief und weist     Tonboden ist von den Pappeln durchwur-       Biomasse und im Boden einlagern. Das
dort, wo ein Baumstreifen mit Pappeln       zelt – und wird somit gut durchlüftet.       schützt das Klima und erhöht obendrein
angrenzt, eine Steilwand auf. Ganz deut-    Die Wissenschaftlerin geht in die Hocke,     die Bodenfruchtbarkeit.
lich sind hier drei verschiedene Boden-     schaufelt ein wenig Erde aus der Steil-      Anita Swieter erforscht solche Agroforst-
schichten zu sehen: Die obere ist gleich-   wand und füllt sie in eine Plastiktüte. Im   systeme: streifenförmig angelegte Äcker,
mäßig braun, die untere ist eine Kalk­      Labor wird die Forscherin die Kohlen-        auf denen Getreidefelder oder Grünland
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mit Gehölzflächen abwechseln. Auf Letz-      ihren Versuchsflächen auch schon öfter     Außerdem mindert Agroforstwirtschaft
teren gedeihen zum Beispiel schnell          Rehe und Feldhasen beobachtet. Das ab-     den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
wachsende Pappeln. Im Laufe von sechs        gefallene Laub der Bäume reichert zudem    „In den Baumstreifen müssen Landwir-
Jahren erreichen sie eine Größe von zehn     den Boden mit fruchtbarem Humus an.        tinnen und Landwirte diese Mittel nicht
Metern und werden meist energetisch                                                     einsetzen, weil Holzgewächse auch so
genutzt. Doch auch Walnuss- oder Obst-                                                  gedeihen“, erklärt die Geoökologin. „Auf
bäume eignen sich für diese Form des                                                    den Getreideflächen gebrauchen wir sie
Anbaus. Agroforstsysteme schonen nicht         Noch vor 100 Jahren                      jedoch weiterhin.“
nur Böden, sondern auch Natur und                                                       Aktuell stehen in Deutschland nur weni-
                                               wuchsen unter Obstbäu-
Artenvielfalt.                                                                          ge Bäume auf den Feldern. Dabei war die
Das konnten Fachleute des Julius Kühn-
                                               men Getreide, Kartoffeln                 Verbindung von Forst- und Landwirt-
Instituts, der Universität Göttingen und       und Karotten.                            schaft früher die Regel. Noch vor 100 Jah-
der Brandenburgischen Technischen Uni-                                                  ren wurden in Deutschland unter Eichen
versität im Rahmen des Projekts „SIGNAL“                                                Schweine gemästet. Unter Apfel- und
sowie anderen Forschungsvorhaben zei-                                                   Birnbäumen wuchsen Getreide, Kartoffeln
gen. Die Expertinnen und Experten wis-       Obendrein schützen die Gehölze vor         und Karotten. „Im Zuge der Industrialisie-
                                                                                                                                     Foto: Anita Swieter/JKI

sen, dass sich die Gehölze positiv auf die   Wind und wirken somit der Bodenerosi-      rung der Landwirtschaft sind die Gehöl-
Artenvielfalt auswirken. Denn sie sind       on entgegen. Das tut not, denn weltweit    ze von den Äckern verschwunden“, erläu-
Kinderstube für Insekten und Vögel. Ani-     gehen jedes Jahr viele Hektar fruchtbare   tert Anita Swieter, „die ausgeräumten
ta Swieter hat zwischen den Pappeln auf      Erde verloren – auch in Deutschland.       Landschaften ließen sich nun einfacher
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mit den großen Landmaschinen befah­          Gehölzstreifen keine Rolle, Hauptsache,
                           ren.“ Doch das bedeutet nicht, dass          die Maschine passt gut durch die Baum-
                           keine Bäume wachsen dürfen, wo Trak-         reihen durch.
                           toren unterwegs sind. Denn in modernen
                           Agroforstsystemen befinden sich die Ge-      Windschutz auf kargem Land
                           hölze nicht mitten auf dem Feld, so wie
                           einst üblich, sondern daneben. Außerdem      Obwohl Weizen, Raps und Co. nicht di-
                           ist die Größe der Flächen, auf denen Swie-   rekt unter den Bäumen sprießen, sondern
                           ter forscht, an die Maße der Mähdrescher     neben ihnen, kommt es zu den wün-
                                                                        schenswerten Wechselwirkungen. Auf
                                                                        Versuchsflächen im Umland von Braun-
Schon bei einem zehn Meter breiten Baumstreifen                         schweig haben Anita Swieter und ihr
                                                                        Team nachgewiesen, dass die Bäume am
machen sich die positiven Auswirkungen bemerkbar.
                                                                        Feldrand besonders gut gedeihen, weil sie
                                                                        dort mehr Licht und Nährstoffe bekom-
                                                                        men. Allerdings gilt das nicht für Getrei-
                           angepasst. Ein Getreidefeld ist deswe-       de oder Gras: An der Grenze zu den Bäu-
                           gen entweder 48 oder 96 Meter breit. Die     men schrumpfen die Erträge. „Wenn man
                           Baumstreifen sind in der Regel viel          das ganze Agroforstsystem betrachtet,
                           schmaler: Erstens, weil sich die positiven   steigen die Biomasseerträge zwar, weil die
                           Auswirkungen der Bäume meist schon bei       Gehölzstreifen produktiver sind als ein
                           einem zehn Meter breiten Streifen be-        Weizenfeld oder eine Weide. Aber bei den
                           merkbar machen, und zweitens, weil die       Weizen-, Raps- und Graserträgen erge-
                           Bäuerinnen und Bauern ein größeres           ben sich geringe Einbußen“, sagt Swieter.
                           Interesse daran haben, Getreide anzu­        „Dieses Ergebnis war ein Wermutstrop-
                           bauen. Die Maße des Feldhäckslers für die    fen.“ Ausgerechnet auf dem kargen Land
                           Holzernte spielen für die Breite der         in Brandenburg machten die Kollegin-
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                                                                                         gen, beteiligt sich Swieter an der Grün-
                                                                                         dung des Deutschen Fachverbands für
                                                                                         Agroforstwirtschaft, die Ende Juni statt-
                                                                                         finden soll. Mit diesem Verband wollen
                                                                                         die Fachleute in die Politik hineinwir-
                                                                                         ken. Ihr Ziel ist unter anderem die An­
                                                                                         erkennung von Agroforstwirtschaft als
                                                                                         Agrarumwelt- und Klimamaßnahme.
                                                                                         Denn dadurch hätten Landwirtinnen und
                                                                                         Landwirte Anrecht auf mehr gesetzliche
                                                                                         Förderung. „Wenn wir finanzielle Anreize
                                                                                         schaffen, werden die Landwirte Bäume
                                                                                         auf ihre Felder setzen“, ist sich Anita
                                                                                         Swieter sicher.

                                                                                         Holz vom Feldrand
                                                                                           Der Verband soll den Menschen auf den
                                                                                           Höfen auch bei der Vermarktung der
                                                                                           Produkte helfen, die Agroforstsysteme
                                                                                           abwerfen – damit es sich noch mehr
                                                                                           rechnet, Bäume zu pflanzen. Eine gute
                                                                                           Klimabilanz des gewonnenen Holzes er-
Wie es um die Böden, Bäume und Äcker auf den Versuchsflächen für Agroforstsysteme          gibt sich vor allen Dingen dann, wenn es
steht, wird das ganze Jahr über beobachtet und präzise dokumentiert.                       nicht energetisch, sondern stofflich ge-
                                                                                           nutzt wird: als Material zum Bauen von
                                                                                           Häusern, Möbeln oder Instrumenten.
                                                                                           Darüber hinaus taugt der Flaum von
nen und Kollegen jedoch andere Erfah- Neben veränderten Düngeregelungen Pappeln als Füllmaterial von Kissen und
rungen. „Dort fördern Bäume in der können Agroforstsysteme eine Lösung Decken. Agroforstsysteme fördern Viel-
Nachbarschaft das Wachstum des Wei- sein. Sie schützen die Gewässer, da die falt, auch im Angebot der Betriebe.
zens, weil sie die Windgeschwindig- Bäume überschüssige Nährstoffe auf­ Die Fachleute experimentieren mit un-
keit reduzieren und den Boden so vor nehmen. Anita Swieter und andere Fach- terschiedlichen Abständen zwischen den
dem Austrocknen schützen“, erklärt die leute ermitteln nun, ob das auch in Baumstreifen, um die optimale Bepflan-
Wissenschaftlerin. Das zeigt: Agroforst­ Vechta funktioniert. Sie sind dabei, Ge- zung zu ermitteln. Außerdem setzen sie
systeme eignen sich insbesondere auf hölzstreifen anzulegen. Wenn die Bäume verschiedene Sommer- und Winterkul-
erosionsgefährdeten und trockenen Bö- größer sind, werden die Forscherinnen turen auf die Felder. Sie möchten da­
den. Dort macht sich ihre stabilisierende und Forscher in regelmäßigen Abstän­ hinterkommen, welche Ackerfrüchte in
Wirkung am besten bemerkbar.                         den Bodenproben nehmen und sie mit Kombination mit den Bäumen besonders
Bäume auf den Feldern können zum Ge- den Werten einer Ackerfläche ohne Bäu- gut gedeihen. „Wir stehen da noch ganz
wässerschutz beitragen. Anita Swieter und me vergleichen. „Mit dem Landwirt aus am Anfang“, sagt Anita Swieter, „doch so-
andere Fachleute ermitteln gerade, ob Vechta haben wir nun auch einen Praxis- bald wir Ergebnisse haben, geben wir sie
das auch auf einem Hof in Vechta in Nie- partner an Bord”, sagt die Wissenschaft- an die Bäuerinnen und Bauern weiter.“
dersachsen funktioniert. In dem Land- lerin. „Das freut uns sehr.“                         Und Anita Swieter hat noch einiges vor:
kreis wird sehr viel Vieh gehalten, weshalb Alle zwei Jahre treffen sich Anita Swieter Sie plant, auf den Versuchsflächen bei
große nährstoffhaltige Güllemengen auf und andere Fachleute im Rahmen eines Braunschweig Fasernessel anzubauen.
den Feldern landen. Die Pflanzen können Agroforstforums mit Landwirtinnen und Brennnesselgewächse gedeihen bestens
den Nährstoff nicht vollständig aufneh- Landwirten: „Die meisten schrecken da- in der Nähe von Bäumen. Die Wissen-
men, stattdessen sickert er ins Grund­ vor zurück, Bäume auf ihre Felder zu set- schaftlerin will versuchen, daraus einen
wasser und reichert sich dort in Form zen“, sagt sie, „denn anders als bei Weizen Torfersatzstoff herzustellen. Um Garten-
von Nitrat an. In Deutschland weisen oder Raps müssen sie sich bei Bäumen für und Blumenerde zu gewinnen, müsste
                                                                                                                                      Foto: Anita Swieter/JKI

27 Prozent der 1.200 Grundwasserkör- viele Jahre festlegen und anfänglich mehr dann kein Torf mehr aus Moorland­
per zu hohe Nitratwerte auf – das Wasser Zeit und Geld investieren.“ Um die Men- schaften entnommen werden.
muss aufwendig gereinigt werden, damit schen aus der Praxis zu unterstützen und
es trinkbar ist.                                     Agroforst in Deutschland voranzubrin- Von Stephanie Eichler
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