Sahra Wagenknecht - gutes - ädchen,böses ädchen?
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Sahra Wagenknecht - gutes ~ädchen,böses~ädchen? Sahra Wagenknecht, Antisozialisti- sche Strategien im Zeitalter der Sy- stemauseinandersetzung, Pahl-Ru- genstein Verlag Nachf., Bonn 1995, 183 S., 19,80 DM. Mit ihrer Schrift hat die Autorin heftige Diskussionen ausgelöst. Zu Recht und zu Unrecht. Zu Recht, weil sie wesentliche Teile des Pro- blems ausgeklammert hat und nur andeutungsweise erkennbar wird, in welche Richtung ihre Gedanken zu diesen Problemkreisen gehen. Zu Unrecht, weil die Kritik an dem vorliegenden Teil in der Regel un- berechtigt ist und sich, wo sicher- lich berechtigt, auf die nichtbehan- delten Problemteile bezieht. Im Zusammenhang mit den antiso- zialistischen Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzung wä- ren meines Erachtens drei Fragen zu untersuchen. Erstens einmal die Entwicklung solcher Strategien selbst, ihre Hintergründe und die Bedingungen ihrer praktischen
Z- Nr. 23 September 1995 Buchbesprechungen 213 Umsetzung im eigenen Lager, die ins Gleis gesetzt, setzt ein solcher zung gefunden. Der Sozialismus Frage der antisozialistischen Moti- Kampf seine eigenen Gesetzmäs- hatte soziale Sicherheit gebracht vierung und gar Mobilisierung der sigkeiten, und es ist schwer, da wie- und mehr Gleichheit sowie ein be- Bevölkerung, und schließlich, drit- der herauszukommen. Erst in jüng- achtliches Gemeinschaftsgefühl tens, die Ursachen für den Erfolg ster Zeit zeigen sich Versuche - ich entwickelt. Solange die Menschen oder Mißerfolg dieser Strategien. denke da an Südafrika, auch Israel an die Reformierbarkeit des Sozia- Sahra Wagenknecht hat in erster -, auf friedlichem Wege Lösungen lismus glaubten, war die hegemo- Linie und fast ausschließlich den für solche durch unvereinbare In- niale Stellung dieser Parteien, bei ersten Fragenkomplex untersucht. teressen geprägte Gegensätze zu allen Mängeln des Sozialismus, nie Insoweit aber liefert sie die beste finden. In diesem Zusammenhang bedroht. Erst die Unfähigkeit der Analyse der antisozialistischen ist Sahra Wagenknechts Buch, führenden Parteien zur Entwick- Strategien der imperialistischen wenn auch notwendig und sogar lung reformerischer Ideen bzw. ihr Welt nach dem zweiten Weltkrieg, unverzichtbar, freilich wenig ängstlicher Widerstand bei den die mir bisher untergekommen ist. hilfreich. Auch die Schlußfolgerun- Versuchen der Umsetzung solcher Mehr noch: Diese Analyse war not- gen, die sie zieht oder die sie doch Ideen in die Praxis ließ die politi- wendig. Sahra Wagenknecht be- nahelegt, sind keineswegs überzeu- sche Basis der sozialistischen gründet die Vorlage ihrer Arbeit, gend. Macht abbröckeln. trotz des begrenzt-einseitigen Die Kehrseite der Medaille: Sahra In brillanter Weise zeigt Sahra Wa- Themenkreises, damit, daß die äu- Wagenknecht steuert anscheinend genknecht, wie sich die imperialisti- ßeren Bedingungen für die Ent- die Aussage an, der Zusammen- sche Politik gegenüber der Sow- wicklung des Sozialismus in der lin- bruch des Sozialismus sei darauf jetunion, abhängig von der jewei- ken DiskusSion unbedingt beachtet zurückzuführen, daß die Entspan- ligen objektiven Situation und ihrer werden müßen, bisher aber weitge- nungspolitik die tödliche Zielstel- Einschätzung durch die handelnden hend ausgeklammert wurden. Da- lung der antisozialistischen Strate- Politiker, wandelt. Aus dem Krieg mit hat sie völlig recht. Der Kalte gien verschleiert und so Raum für war die Sowjetunion angesichts ih- Krieg war eben kein zu vernachläs- die Ausbreitung opportunistischer rer Leistungen und Opfer als die sigender Faktor, sondern ein wirk- Einstellungen geschaffen hätte. Si- eigentliche Siegerio mit hohem licher Krieg, Gott sei Dank von cherlich hat das eine Rolle gespielt, Prestige hervorgegangen und der beiden Seiten immer unterhalb der die Ursache für den Zusammen- Einfluß des Sozialismus gewann in Schwelle militärischer Kämpfe ge- bruch des Sozialismus aber war es ganz Europa schnell an Boden. An- halten, aber doch immer am Rande gewiß nicht. Ich möchte sogar be- gesichts dessen wandte sich die der Gefahr, diese Schwelle zu über- haupten, daß die bewußte Erkennt- westliche Politik von der ohnehin schreiten. Er hat die Politik beider nis dieser Zielstellung und der dar- nur widerwillig eingegangenen Seiten wesentlich beeinflußt. Ob aus entspringenden Gefahren lange Kriegsallianz alsbald ab und der die jeweiligen Einschätzungen der Zeit ein wesentlicher Schutzschild Aufgabe zu, das Vordringen des Parteien immer zutrafen, sei hier für die politischen Führungen in Sozialismus einzudämmen. Wirt- dahingestellt, es ist aber Fakt, daß den sozialistischen Ländern war. schaftlich und militärisch waren die sich keiner der Gegner diesen Ein- Ohne die Berufung auf den mögli- USA aus dem Krieg gestärkt, die flüssen entziehen konnte. Fakt ist chen Verlust der Macht und die Sowjetunion geschwächt hervorge- auch, daß der Kampf unvermeidbar Gefährdung der sozialistischen gangen. Die wirtschaftliche Stärke war, weil er dur~h absolut gegen- Entwicklung hätte sich das Re- der USA wurde zur Basis für den sätzliche Interessenlagen der Geg- formbedürfnis der Massen schon Erfolg der Eindämmungspolitik, ner geprägt wurde. Vermeidbar viel früher Bahn gebrochen und ihre im Atomwaffenmonopol be- waren nur die Methoden, in denen auch innerhalb der Kommunisti- gründete militärische Überlegen- er ausgefochten wurde, aber einmal schen Parteien große Unterstüt- heit über die Sowjetunion veranlaß-
l 214 Z- Nr. 23 September 1995 Buchbesprechungen 215 te die Westinächte dann zum lieber Seite wirklich nach neuen men wurde, die ihn freilich ihren t~!· und ohne U?J-denken in der po- Übergang zur Politik des Zurück- Wegen in der Ostpolitik gesucht jeweiligen Interessen gemäß aus- litischen Strategte wäre der Westen drängens, des Roll Back. Der Poli- wurde, um das Spannungsverhältnis formten. In der Bundesrepublik schnell ins Hintertreffen geraten. tik der Stärke aber blieb der Erfolg Sozialismus-Kapitalismus zu ent- Deutschland entstand um Willy In den sechziger Jahren waren im versagt. Entgegen allen Progosen schärfen.-Es mag dabei freilich Brandt die neue Ostpolitik. Sie war Westen elementare emanzipato- vermochte es die Sowjetunion, in Brzezinski vorbehalten geblieben sicherlich nicht darauf ausgerichtet, rische Bewegungen in Gang ge- einer ungeheuren Kraftanstren- sein, sie von vornherein als offen- den realen Sozialismus auszuhe- kommen, die sich den Zwängen des gung, bis zum Ende der vierziger sive Politik zur Aushebdung des beln, wenn auch dort eine gegebene Kapitalismus nicht mehr unter- Jahre nicht nur die wirtschaftlichen Sozialismus ausgeformt zu haben. Gelegenheit sicherlich genutzt wor- werfen wollten. Sie suchten nach Kriegsschäden zu beseitigen, son- De Gaulle war zwar konservativ den wäre. Brzezinskis Auffassung neuen, teils sogar an die Idealvor- dern auch militärisch gleichzuzie- und sicherlich hätte er eine Gele- von der Aufgabenstellung einer stellungen vom Sozialismus an- hen und das Atomwaffenmonopol genheit zur Beseitigung des Sozia- neuen Ostpolitik konnte sich selbst gelehnte Formen gesellschaftlichen der Vereinigten Staaten zu bre- lismus ergriffen, wenn ihm die neue in reaktionärsten Kreisen zunächst Zusammenlebens, und es dauerte chen. Der Mißerfolg der Politik der Politik eine geboten hätte. Daran nur schwer durchsetzen. Erst die nicht lange, bis sie sich auch in al- Stärke und die Eskalation des Kal- war damals jedoch nicht zu denken. weitere Erosion der hegemonialen ternativen Parteien zu organisieren ten Krieges bis an den Rand des Daher ist es nicht abwegig, daß de Herrschaft des Imperialismus begannen. Der ideologische Zugriff heißen, das war die Lage, die im Gaulle als sehr klarsichtiger Politi- brachte ihm in dieser Hinsicht des Imperialismus auf die Men- westlichen Lager neue Uberlegun- ker seine Politik so einzurichten Fortschritte. schen begann schwammig zu wer- gen zur Gestaltung einer erfolgver- gedachte, daß sie in der gegebenen Von der Situation im Westen aus den. Noch war es nicht unbedingt sprechenden antisozialistischen Po- Lage das nach seiner Sicht beste für gesehen scheinen sich mir die Ver- der reale Sozialismus, der die Men- litik auslöste. Frankreich bewirken konnte. Sein änderungen in der Ostpolitik eher schen anzog, aber die Berührungs- Sahra Wagenknecht arbeitet her- Name steht auch im Zusammen- auf zweierlei Weise darzustellen. ängste schwanden, der Antikom- aus, daß es der französische Staats- hang mit der Kolonialpolitik für ein Einmal als defensive Reaktion der munismus verlor seine Wirkung. präsidenten Charles de Gaulle war, Umdenken. Aus Vietnam mußte imperialen Herrschaftselite auf Das alles waren Umstände, die der auf westlicher Seite erste Vor- der französische Imperialismus ideologisches Vordringen des So- auch vom Imperialismus neue poli- stellungen politischen Umdenkens noch vertrieben werden. De Gaulle zialismus. Auf der anderen Seite tische Konzeptionen erforderten. entwickelte, von der Roll-Back-Po- sah die Perspektivlosigkeit der Ko- aber drängten auch andere gesell- Die Entspannungspolitik begann im litk der ersten Phase des Kalten lonialkriege ein und brach mit der schaftliche Kräfte darauf, ein neues Kampf um die Herzen und den Krieges zu einem geregelten Ne- bisherigen französischen Kolonial- Verhältnis zu den sozialistischen Verstand der Menschen die ent- beneinander beider Blöcke. Mir ist politik, er ließ Algerien freiwillig Ländern herzustellen. Teils, weil sie scheidende Rolle zu spielen, und das neu. Ich bin bisher davon aus- räumen. Er zögerte auch nicht, sich selbst soziale Veränderungen in der sie wirkte sich, da sie mit dem Na- gegangen, daß der Koexistenzge- einem, keineswegs unpopulären, westlichen Welt anstrebten, teils men des sozialistischen China und danke, als auslösender Faktor für Putsch der Kolonial-Franzosen mit einfach, um die Spannungen abzu- der Empörung über den Krieg in die Entwicklung der neuen Politik, neofaschistischem Vorzeichen ent- bauen und so die Kriegsgefahr zu Vietnam verbunden war, sehr zu- von der Volksrepublik China aus- gegenzustellen und diese Kräfte mindern. gunsten des Sozialismus aus. Klas- ging: von Tschou En Lai ·auf der nachhaltig zu entmachten. Es ist senkampf ist eine abstrakte Kate- In diesem Umfeld konzipierte Bandung-Konferenz der Block- also zu vermuten, daß er auch im gorie. Hier haben wir ihn in seiner Brzezinski seine Auffassung von ei- freien Völker vorgebracht. Wie Ost-West-Verhältnis nach neuen konkreten Gestalt vor Augen, hier ner neuen Ostpolitik als Offen- dem auch se~ die Aussichtslosigkeit Wegen suchte, zumal eine Verstän- sehen wir, wie sich in der Praxis, sivwaffe zur Überwältigung des So- und Gefährlichkeit der Roll-Back- digung mit der Sowjetunion auch unter den gegebenen Bedingungen, zialismus auf indirekte Weise. Man Strategie legte es nahe, nach neuen die Stellung Frankreichs im Welt- die gesellschaftlichen Kräfte for- muß ihm zugestehen, daß er damit Wegen in der Politik zu suchen. Kräfteverhältnis gestärkt hätte. mieren, wie sich Bündnisse schlie- imperialistisch geformten Weitblick Der Kalte Krieg nervte allgemein. Das alles zeigt, daß der Entspan- ßen, auch wie Klassenbewußtsein bewies, denn der Koexistenz-Ge- Der Hinweis auf de Gaulle deutet nungsgedanke damals von den ver- danke gewann nach der Bandung- sich bildet. darauf hin, daß hier· auch auf west- schiedensten Kräften aufgenom- Konferenz schnell große Populari-
216 Z- Nr. 23 September 1995 Sahra Wagenknecht arbeitet diesen verteidigt. Daß aus reformerischem Kampf um die Neuformierung der Handeln auch Konflikte erwachsen antisozialistischen Politik auf der und von -gegnerischen Kräften zur durch die Stabilisierung des Sozia- Vernichtung des Sozialismus ge- lismus geprägten Grundlage wahr- nutzt werden können, ist eine an- haft spannend heraus. Leider um- dere Frage. Das Problem liegt faßt ihre Abhandlung nur das Teil- darin, daß diese Folge nur pro- stück der konservativen bis reaktio- grammiert gewesen war, weil Re- nären Kräfte in diesem Prozeß. formen zuvor jahrzehntelang ver- Denkt man sich die anderen gesell- säumt und nicht mal theoretische schaftlichen Kräfte und die beob- Vorstellungen für eine Reformpo- achteten Verschiebungen im hege- litik erarbeitet und diskutiert wor- monialen Kräftefeld der westlichen den waren. Schon 1956 und 1961 Welt hinzu, liest man das Buch also zeigten Warnsignale, daß Refor- kritisch, so kommt man freilich zu men notwendig, 1968 daß sie über- anderen Schlußfolgerungen als fällig waren. Es geschah nichts, Sahra Wagenknecht Sie zieht das Reformversuche waren früher ab- Fazit, der Sozialismus sei daran gebrochen worden, nun wurden sie zerbrochen, daß er dieser neuen . unterdrückt. Daraus ergaben sich Politik nicht mit der nötigen Kon- dann die Verschiebungen im inner- sequenz begegnet und der eigenen sozialistischen Kräftefeld zu Gun- Bevölkerung das ideologische sten einer televisiongeprägten Vor- Rückgrat entsprechend gestärkt ha- stellung von sozialer Marktwirt- be. Da ist natürlich etwas dran, schaft. Die Ursache seines Zusam- denn der Klassenantagonismus menbruchs läßt sich daraus zwar wurde wohl mehr ideologisch-theo- nicht erklären, aber doch die retisch gesehen und das Empfinden Schwäche des Sozialismus 1989; es für den realen Gehalt dieser Kate- gab keine ausreichenden gesell- gorie war wohl tatsächlich verloren schaftlichen Kräfte mehr, die in der gegangen. Daraus erklärt sich auch, Lage und willens gewesen wären, daß die Autorin den Vernichtungs- ihn zu verteidigen; die Hoffnung willen hinter jeder antisozialisti- auf seine Reformfähigkeit war ver- schen Politik immer wieder hervor- loren gegangen. Ohne Reformfä- hebt. higkeit aber war er gegenüber den Man kann indessen nicht an dem Hochtechnologie-Ländern des We- Fakt vorbeigehen, daß die Erosion stens nicht konkurrenzfähig. der gesellschaftlichen Kraft des So- Ausgangspunkt ihrer Arbeit war für zialismus nicht auf seinem äußeren, Sahra Wagenknecht die Frage, ob sondern auf seinem inneren Feld der Zusammenbruch des Sozialis- stattfand. Ebensowenig daran, daß mus systembedingt gewesen wäre. die politisch engagierten Kräfte im Eine wichtige Frage, weil von der inneren Bereich nicht die Vernich- Antwort die Orientierung für die tung des Sozialismus im Auge hat- zukünftige linke Arbeit abhängt. ten, sie wollten ihn verbessert se- Sahra Wagenknecht ist mit ihrer hen. Jahrzehntelang haben sie ihn Ableitung jedoch auf ein Ne-
bengleis geraten. Ideologische Klarheit kann einen hegemonialen Zerfallsprozeß, zu dem es auf Grund falscher Prämissen oder schlechter praktischer Umsetzung von Hegemonie gekommen ist, al- lenfalls aufhalten, aber nicht ver- hindern. Ein Fakt, der aus dem hi- storischen Geschehen, namentlich auch in der DDR, klar abzulesen ist. Wenn jetzt ein Kräftefeld auf- gebaut werden soll, das in der Lage ist, die gesellschaftlichen Verhält- nisse sozial umzugestalten, dann müssen diese Ursachen ohne Scheuklappen analysiert werden. Dazu gehört auch, daß alles in Frage gestellt und auf seine Rele- vanz und Brauchbarkeit geprüft wird. So richtig Sahra Wagenknecht den Antagonismus der Interessen zwischen Imperialismus und Sozia- lismus aufdeckt, so wenig analysiert sie die Ursachen des sozialistischen Zusammenbruchs und schon gar nicht die heutigen Bedingungen für die Bewegung dieses Gegensatzes. Schade. Dennoch ist es ein Buch, das kritische Aufmerksamkeit ver- dient. Robert Katzenstein
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