Auf dem Weg zur Energiewende E - Konrad-Adenauer-Stiftung
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_3 Liebe leser, mit der Energiewende ist es ein bisschen wie mit dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: In der Debatte um Strompreise, Endlager und Brückentechnologien muss erst ein Kind kommen, um den Sinn des Ganzen auf den Punkt zu bringen. „Energie- wende“, sagte ein Hamburger Mädchen bei einer unserer Radio-Umfragen, „das heißt doch, schlechten Strom in guten Strom zu verwandeln.“ Ja, so kann man es sagen. Das Hauptziel ist damit klar, aber der Weg zum „guten Strom“ ist lang und holprig. Es gibt Weggabelungen und Sackgassen, Schnellstraßen und Trampelpfade – und wo die Reise genau endet, ist alles andere als klar. Fest steht nur: Der Weg zum „guten Strom“ ist spannend und herausfordernd. In Hamburg sind wir ihn ein Stück gelaufen und haben Menschen getroffen, die das Wirrwarr aus Begriffen ordnen und der Reise einen Sinn verleihen. Wir haben mit Männern wie Burkhard Jäckel gesprochen, für den die Energie- wende eine Menge Ärger bedeutet. Neben Jäckels Heimatstadt soll eine Stromauto- bahn gebaut werden: Das Unternehmen Tennet will hier eine Höchstspannungslei- tung errichten. Aber Jäckel wehrt sich dagegen (S. 4). Der Strom, den Jäckel nicht in seinem Vorgarten haben will, ist für Jens Wiechmann eine Chance. Wiechmann hilft, ihn in riesigen Windparks in der Nordsee zu produzieren. Dabei setzt er sich auch Gefahren aus (S. 18). Hana Tefrati hingegen reicht „guter Strom“ nicht aus. Sie hat sich eine Solarzelle auf den Wohnbus montiert und übt sich im Verzicht (S. 38). Energiewende bedeutet mehr als „guter Strom“, das haben auch wir bei der Recherche festgestellt. Wir haben gefragt, warum die größten Stromfresser der Republik subventioniert werden (S. 11), wieso der Specht von energetischer Gebäudesanierung profitiert (S. 24) und wie sich Mobilität in Zukunft verändern wird (S. 36). Viel Spaß beim Lesen wünscht die Redaktion Inhalt 04_ Gegen den Strom: Wende ja, aber bitte woanders 08_ Lebenslänglich: Wie ein Ehepaar sich gegen Kernkraft wehrt 11_ Die Befreiten: Unternehmen drücken sich vor der EEG-Umlage 14_ Interview: Umweltminister Peter Altmaier gibt Antworten 17_ Wortschatz: Begriffe der Energiewende 18_ Wiechmann muss springen: Überlebenstraining für Offshore-Arbeiter 22_ Wenn ich auf Ökostrom umsteige, ... Drei Irrtümer 24_ Gedämmte Freude: Warum es der Specht auf die Fassade abgesehen hat 28_ Wenn der Wind sich dreht: Die Wende, ganz persönlich betrachtet 30_ Grüne Wände: Alternative Energie aus dem Reagenzglas 34_ Blackout: Eine (gar nicht so abwegige) Fiktion 36_ Ein Chip für alles: Wie funktioniert umweltschonende Mobilität? 38_ Einfach raus: Hana ist Aussteigerin in einem Land, das aussteigt 42_ Unter Strom stehen: Die Autoren 43_ Impressum
4_ _5 „Wenn wir die Menschen zum Umdenken bewegen können, haben wir viel erreicht.“ Burkhard Jäckel, Vorsitzender der Bürgerinitiative „Quickborn gegen Riesenmasten“ B urkhard Jäckel hat ein Ziel: Zwanzigtausend Euro. „Mit Zwanzig- tausend könnten wir einen Anwalt bezahlen und klagen“, sagt er. Jäckel, 60, trägt einen grauen Bürstenschnitt mit leichten Rockerfransen im Nacken und spricht Norddeutsch. Tagsüber ist er Prokurist in einer Hafengesellschaft, abends spielt er Bassgitarre in seiner Rockband „Punch and Judy“. Nur am Montagabend nicht. Da lädt Jäckel „den harten GEGEN DEN STROM Kern“ der Bürgerinitiative „Quickborn gegen Riesenmasten“ zu sich ein. Bei Zigaretten und Rotwein hängen Jäckel und seine zwei Mit- Soll die Energiewende gelingen, müssen die Stromnetze streiter bis in die Morgenstunden über Flächennutzungsplänen und ausgebaut werden. Was aber, wenn die Trasse plötzlich an der Vereinsprotokollen. eigenen Stadt vorbeiführt? von Luisa Meisel Sie wollen den Ausbau einer Stromtrasse verhindern, die direkt an Quickborn vorbeiführt, einem Ort etwa 20 Kilometer nördlich von Hamburg. An solchen Abenden türmt sich das Papier auf dem hölzernen Schellacktisch des Wohnzimmers und verdeckt die mit „Es gab auch schon Rosen bemalten Platzdeckchen. „Die Deko ist Sache Momente, wo ich alles meiner Frau“, stellt Jäckel klar. Neben dem Wohnzim- hinwerfen wollte.“ mer hat Jäckel aber auch sein eigenes Kabuff – mit einem Bob-Dylan-Plakat an der Wand und Buddelschiffen im Regal. Von der Terrasse des Paares ist die Stromtrasse „Hamburg Nord- Dollern“ gut zu sehen. 35 Meter hoch ragen die Masten in den Himmel und spannen 220-Kilovolt-Leitungen wie Notenlinien in den Himmel über Quickborn. 220 Kilovolt – das sind tausend Mal mehr Volt, als aus einer Steckdose kommen. Bald sollen die Masten auf über 60 Meter wachsen und Leitungen mit einer Höchstspannung von 380 Kilovolt tragen. Denn der Trassenausbau in Quickborn ist Teil der Energiewende. Bis zum Jahr 2020 sollen mindestens 35 Prozent des Stroms aus erneuer- baren Energieträgern wie Wind und Sonne stammen. Der im Norden aus Windkrafträdern gewonnene Strom muss aber bis nach Süddeutsch- land transportiert werden, ansonsten kann es zu Engpässen in der Strom- versorgung kommen. Wenn bis zum Jahr 2022 alle Kernkraftwerke in >>
6_ _7 Was aussieht wie Notenlinien, sorgt Theorie auf dem für schrille Töne: Flächennutzungsplan Hochspannungs- und Realität am Stadt- leitungen am Himmel rand: Die Netze müssen über Qickborn ausgebaut werden Deutschland endgültig abgeschaltet sein macht Jäckel deshalb weiter. Für ihn steht mechanisch die Bilder von dem Abend für das Aufstellen der Strommasten, und um für Energiewende Schleswig- Jahre blockiert. „Dann war es doch nicht sollen, muss der Netzausbau also schnell fest: „Die Höchstspannungsleitungen auf seiner Homepage an. „Da muss ich die Quickborner Bürger kämpfen für Holstein den Verlauf und die Art der ganz umsonst.“ Wenigstens könne er sich gehen. Je weiter aber der Weg ist, den machen unsere Kinder krank.“ mir oft sagen, es kommt nicht auf die ihre eigenen Interessen. „Da wächst viel Höchstspannungsleitungen genehmigt. dann noch guten Gewissens in der der Strom zurücklegen soll, desto höher Ob elektromagnetische Strahlung zu Zahl an, sondern dass überhaupt jemand zusammen und bricht viel auseinander“, Voraussichtlich Mitte Januar soll er vor- Bäckerei blicken Sein Sohn habe muss er gespannt werden. 220-Kilo- Leukämie bei Kindern führen kann, ist kommt.“ Der übrig gebliebene Glühwein sagt Jäckel. Denn sachlich wird schon liegen. Dann läuft die Zeit gegen Jäckels lassen, denn er volt-Leitungen bis heute umstritten. Studien weisen zwar von damals stapelt sich in Kartons in lange nicht mehr debattiert, Argumente Bürgerinitiative. Dann bleiben dem habe sich wenigs- ihn einmal gefragt, reichen dann auf ein erhöhtes Risiko hin. Bestätigt wurde Jäckels Hausflur. werden wiederholt, ohne gehört zu wer- Verein nur noch vier Wochen, um eine tens gewehrt. warum er sich das „Ich muss etwas nicht mehr aus. das bisher aber nicht. Längst ist die Diskus- Die Stromautobahn an Quickborn den, Ansichten haben sich zementiert. Einwendung vor dem Bundesverwal- Sein Sohn habe alles antue. tun, bevor es zu Deshalb soll auch sion zu einer Glaubensfrage geworden. vorbei sei jedenfalls planerischer Wahn- Von außen betrachtet macht Quickborn tungsgericht zu erheben, „bevor die ihn einmal gefragt, warum er sich das spät ist.“ die Trasse in Jede Seite brüstet sich mit den Zahlen sinn, sagt Jäckel. Die Gesetze schreiben einen friedlichen Eindruck: Vorgärten Bagger und Bulldozer anrollen“, wie alles antue. „Weil es sonst keiner tut“, hat Quickborn mit und Studien, die für sie sprechen. keinen Abstand der Leitungen zu den mit gestutztem Rasen, Gardinen, Gera- Jäckel sagt. er ihm damals geantwortet. 380-Kilovolt-Höchstspannungsleitungen Jäckels Verein engagiert sich seit mehr Wohnsiedlungen vor. Eine Verordnung nien und ein bis zwei schicke Mittelklas- Die Voraussetzungen für eine solche Zwanzigtausend Euro. Fällt der ausgerüstet werden. als drei Jahren und will über die Gefahren legt nur Höchstwerte für die elektrische sewagen vor jedem Gartenzaun. Hinter Klage sind kompliziert, ohne Anwalt Beschluss tatsächlich Mitte Januar, hat Einer dieser Strommasten steht etwa elektromagnetischer Felder informieren. und magnetische Feldstärke fest. Wer den Zäunen und Gardinen ist die Quick- wird es nicht gehen. Und der kostet zirka Jäckel noch knapp drei Monate Zeit, neunzig Meter von einem Schulsport- Er druckt Flugblätter, malt Plakate, ver- wie die Bürgerinitiative von der schäd- borner Trasse aber längst zum politischen 20.000 Euro, schätzt Jäckel. Trotzdem bevor er das Geld für den Anwalt platz entfernt. Deswegen hat Jäckel die handelt mit Grundstückseigentümern lichen Wirkung einer Stromleitung Kampf geworden. In Quickborn spricht stehen die Chancen vor Gericht schlecht. beisammenhaben muss. Wenn er mit Bürgerinitiative gegründet. Deswegen über einen anderen Verlauf der Trasse. Er überzeugt ist, dem helfen Grenzwerte einer schlecht über den anderen. Denn das Ministerium hat ein sogenanntes einer Sammelbüchse durch Quickborn werden seine Montagabende lang und hat ausgerechnet, wie viele Stunden er natürlich nichts, der hält jede Erhöhung Dabei sind alle für die Energiewende. Planungsermessen: Kommt es zu dem läuft, werfen die Leute immer ein paar länger. „Es gab auch schon Momente, und seine Mitstreiter in den vergangenen für schädlich. Deshalb setzt sich Jäckels Jeder sieht ein, dass der Netzausbau Schluss, dass die Trasse in der geplanten Münzen rein. Das sei eine Anerkennung wo ich alles hinwerfen wollte“, sagt Jä- Jahren in ihr Projekt gesteckt haben: Bürgerinitiative dafür ein, den Verlauf notwendig ist. „Die Leitung ist sehr Weise hochgerüstet werden kann, kann für die ganze Arbeit, sagt Jäckel. Die ckel. „Die viele Zeit für das Projekt geht 3.300. An einige davon erinnert sich Jäckel der Trasse zu ändern. Dann müssten wichtig“, sagt zum Beispiel Martin Groll das Gericht diese Entscheidung nicht Menschen zückten ihr Portemonnaie, auf Kosten der Zeit mit meiner Familie.“ noch gut. Im Winter 2010 zum Beispiel. allerdings alle Grundstückseigentümer, vom Netzbetreiber Tennet. „Das ist überprüfen. Dann bliebe auch der Trassen- noch bevor er den Mund aufmachen Anfangs hatte sich Jäckel nur Sorgen ge- Alles war verschneit und die Wege waren die von der neuen Trassenführung die Verstärkung der einzig existenten verlauf in Quickborn unangetastet. könne, um für eine Spende zu bitten. macht, dass die großen Masten vor der vereist. Draußen war es schon dunkel. betroffen wären, zustimmen. „Unwahr- Elbkreuzung, die wir heute haben. Da Denkt Jäckel darüber nach, was passiert, „Schon fliegen ein paar Euromünzen in Haustür einmal den Wert seines Grund- Nachbarn und Bekannte bastelten aus scheinlich, dass sich da was tut“, sagt müssen wir schnell handeln, sonst kön- wenn seine Initiative das Geld nicht zu- die Sparbüchse. Das lässt einen auftanken.“ stücks mindern könnten. „Irgendwann alten Marmeladen- und Gurkengläsern Jäckel knapp. Der Frust aus den zähen nen wir für lange Zeit keinen Windstrom sammenbekommt, werden die Furchen Wenn er das sagt, scheint er für einen habe ich aber erfahren, dass die elektro- und Teelichtern Laternen und reihten sie Verhandlungen um alternative Trassen aus Schleswig-Holstein in den Süden auf seiner Stirn noch tiefer. „Da würden Moment die Frist im Januar zu vergessen. magnetischen Strahlungen bei Kindern entlang der Trasse auf. Eine Lichterkette hat sich in seine Stirn gefurcht. transportieren.“ wir uns erst einmal die Karten legen“, Auf der Homepage der Bürgerinitiative Krebs verursachen können und habe ge- im Schnee. Jäckel schenkte Glühwein Ein sogenannter Runder Tisch wurde Seit mehr als drei Jahren zieht sich das sagt Jäckel. In Norddeutschland sagt man blinkt ein roter Spendenzähler. 552 Euro dacht: Ich muss etwas tun, bevor es zu aus und grillte Würstchen. Nur 35 Men- ins Leben gerufen, der Kompromisse Verfahren hin. Jetzt steht als letzter das, wenn man nicht mehr weiterweiß. und 91 Cent hat Jäckel schon bei- spät ist“, sagt Jäckel und atmet Zigaretten- schen kamen. „Es ist schwer, Menschen zu hervorbringen soll. Stadtvertreter, der Schritt der so genannte Planfeststellungs- Immerhin, sagt Jäckel, hat die Bürger- sammen. Es fehlen noch 19.447 Euro rauch aus. Auch wenn es Kraft kostet, mobilisieren“, sagt Jäckel und klickt Netzbetreiber Tennet, verantwortlich beschluss bevor, mit dem das Ministeri- initiative dann aber den Ausbau um und neun Cent.
lebenslänglich Bettina und Gerhard Boll aus Geesthacht kämpfen seit mehr als dreißig Jahren 26. April 1986: In Tschernobyl kommt es zu Tschernobyl habe die Menschen in Deutschland gegen Atomkraftwerke, besonders gegen das sechs Kilometer entfernte Kraftwerk einer Kettenreaktion, der Reaktor explodiert. für die Risiken der Atomkraft sensibilisiert. „Die in Krümmel. Die Geschichte eines Widerstands von Philipp Offenberg Die Bolls sind gerade mit einer Kindergruppe Mehrheit der Bevölkerung hatte danach ein auf Ferienfreizeit im Wendland. Die Behörden schlechtes Bild von der Atomkraft. Außerdem raten, nicht nach draußen zu gehen. Die Bolls konnte die Industrie viele geplante Kraftwerke sind unsicher, was sie tun sollen. Sie wagen sich nicht mehr bauen“, sagt er. 28. Februar 1981: In der Wilstermarsch pro- seit 1982 ebenfalls gegen Atomkraft.„Wir sind trotzdem vor die Tür und duschen die Kinder testieren rund 100.000 Menschen gegen das immer mehr in die Proteste reingewachsen“, abends ab. „Es war ein Gefühl der Unheimlich- Bettina Boll jedenfalls fühlt sich nicht mehr sicher geplante Atomkraftwerk in Brokdorf. Die sagt sie. Die Bolls führen ein bescheidenes Le- keit, man konnte es weder sehen noch riechen, in Geesthacht: 1989 stellt sie einen Auswande- Demonstration geht als eine der größten in ben: Sie kaufen wenig, recyceln alles, was sie von doch man wusste, die Gefahr ist da“, sagt rungsantrag nach Neuseeland, der wird ange- die Geschichte der Bundesrepublik ein. den Nachbarn kriegen können, leben in einer Gerhard Boll. Während die Bauern im Wend- nommen. Sie gehen trotzdem nicht. „Neuseeland Gerhard Boll ist dabei. Mit Zehntausenden Doppelhaushälfte von 1918, die sie immer noch land auf der linken Elbseite den Warnungen ist zwar ein Land ohne Atomreaktoren und zieht er durch die Marsch Richtung Brokdorf. nicht fertig ausgebaut haben und sind in den der westdeutschen Behörden folgen und die atomare Mittelstreckenraketen, aber letztlich Als er am Ziel ankommt, steigt er auf einen letzten 30 Jahren nur zwei Mal geflogen. Tiere im Stall lassen, weiden die Kühe ist auch dort das nächste Atomtestgelände nicht Deich und sieht eine Hubschrauberstaffel der „Energiewende bedeutet nicht, dass man einfach der Landwirtschaftlichen Produktionsgenos- weit“, sagt sie. Ihre Angst vor der Atomenergie Polizei aus Richtung Hamburg auf ihn zukommen. mit erneuerbaren Energien weitermachen kann senschaft der DDR auf der rechten Elbseite, als kanalisieren die beiden in den Kampf dagegen. „Das sah aus wie ein Jagdgeschwader, das uns wie bisher. Man sollte die Energiewende zu sei nichts geschehen. gleich angreift“, sagt Gerhard Boll heute. Auf einer persönlichen Lebenswende nutzen“, sagt 27. Oktober 1998: In Berlin bildet sich die der Demonstration kommt es zu Ausschreitungen, Gerhard Boll. Die Bolls haben diese Lebens- Das Umdenken in der deutschen Bevölkerung, erste rot-grüne Bundesregierung. 128 Polizisten und 70 Demonstranten werden wende Anfang der 80er Jahre vollzogen. Da- das sich die Bolls nach der Katastrophe erhofften, Die Erwartungen der Bolls sind groß: Tatsäch- verletzt. Das Kraftwerk wird trotzdem 1986 mals haben sie nur wenige Mitstreiter in Geest- blieb aus ihrer Sicht aus. „Das Ganze wurde lich verabschiedet diese Regierung unter ande- fertiggestellt. „Damals habe ich mich wirklich hacht, denn viele Familien bestreiten ihren schnell als Katastrophe in einem ‚Russenreaktor‘ rem das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Doch gefragt, in welchem Staat ich da lebe“, erinnert Lebensunterhalt direkt oder indirekt durch Ar- abgetan, die bei uns nicht eintreten könne“, die Bolls sind mit vielem unzufrieden. Sie haben er sich. Heute ist Boll 66 und pensioniert, er beit im Kernkraftwerk. „Wollt ihr zurück in die sagt Bettina Boll. Professor Jürgen Scheffran das Gefühl, dass Gerhard Schröder und die wohnt zusammen mit seiner Frau Bettina in Steinzeit?“, bekommen die beiden oft zu hören. vom Klimacampus der Universität Hamburg SPD sich für den Atomausstieg nicht wirklich Geesthacht. Bettina Boll, heute 58, engagiert sich Und Bettina Boll entwickelt Fluchtgedanken. sieht das anders. Er glaubt, die Katastrophe in begeistern können. Auf einer Veranstaltung in >>
10 _ _ 11 Lüneburg gerät Bettina Boll mit Bundesum- Vorreiter. Die Kette ist an manchen Stellen weltminister Jürgen Trittin aneinander: „Ich dreifach besetzt, viele Menschen, von denen sie habe ihm gesagt, dass es Unsinn ist, an jedes es nie erwartet hätten, reihen sich ein. AKW ein Zwischenlager zu stellen und dass ich Die Befreiten dagegen klagen werde“, sagt sie. 28. Oktober 2010: Der Bundestag beschließt 2004 zieht sie tatsächlich gegen das Zwischen- die Laufzeitverlängerung für Atomkraft- Unternehmen und Verbraucher tragen die Energiewende, indem lager in Krümmel vor Gericht. Das Verfahren werke, darunter auch Krümmel. Das Kraft- sie mehr für den Strom bezahlen. Doch die großen Betriebe mit kostet 24.000 Euro, die sie über Spenden ein- werk wird aber nicht mehr hochgefahren. hohem Energiebedarf sind von diesem Aufschlag befreit. sammelt. Die Klage wird in der ersten Instanz Die Mittelständler fühlen sich übergangen von Ella C. MitTelbach abgewiesen. Für einen Einspruch reicht das 11. März 2011: Im japanischen Kernkraft- Geld nicht mehr. werk Fukushima kommt es zu einem folgenschweren Reaktorunfall. 28. Juni 2007: Beim Anfahren einer neuen Gerhard Boll erinnert sich noch genau an Turbine im Kernkraftwerk Krümmel den Tag: „Ich dachte mir gleich: Das ist keine kommt es zu einem Brand in einem einfache Geschichte, da ist eine Kernschmelze Trafo-Haus. Der Betreiber Vattenfall teilt im Gang.“ Die Bolls nehmen Kontakt zu mit, die Sicherheitssysteme hätten wie Strahlenopfern aus Fukushima auf: „Deren vorgesehen funktioniert, das Kraftwerk Schilderungen ähnelten dem, was die Menschen blackout sei automatisch heruntergefahren. aus Tschernobyl erzählen“, sagt Bettina Boll. „Vattenfall hat recht. Das Kraftwerk weiß, was Doch jetzt nach Fukushima verstehen die es zu tun hat, es schaltet sich von alleine aus. Menschen, dass Atomkatastrophen nicht nur in Es weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist“, sagt sowjetischen Altreaktoren stattfinden. Auch Bettina Boll. 2009 zieht sie für die Grünen in in hoch technisierten Ländern wie Japan kann die Geesthachter Ratsversammlung ein, ihr ein Atomkraftwerk zur Gefahr werden. Mann rückt 2010 nach. Im selben Jahr droht die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. 14. März 2011: Kanzlerin Angela Merkel Die Bolls gehen wieder auf die Straße. kündigt an, dass die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zurückgenommen wird. 24. April 2010: Rund 100.000 Demonstranten Auch Krümmel bleibt somit vom Netz. bilden eine Menschenkette zwischen den Die Bolls organisieren am Ostermontag eine Atomkraftwerken Krümmel und Bruns- Demonstration mit 15.000 Teilnehmern vor büttel. dem Kraftwerk Krümmel. Um Punkt 14 Uhr EEG umlage Die Bolls organisieren den drei Kilometer langen wenden sich die Demonstranten vom Kraft- Abschnitt zwischen Krümmel und Hamburg- werk ab und ziehen davon. „Bisher haben wir Bergedorf. Durch immer neue Zwischenfälle immer vor dem Zaun des Kraftwerks demons- im Kraftwerk Krümmel und das jahrelange triert, aber wir wollten bewusst einen Schluss- Engagement der Aktivisten ist die Stimmung in strich ziehen“, sagt Bettina Boll. Geesthacht gekippt, die Bolls sind plötzlich 30. Juni 2011: Der Bundestag beschließt mit den Stimmen von Union, FDP, SPD und Grünen, alle deutschen Atomkraft- werke bis 2022 abzuschalten. Gerhard und Bettina Boll fühlen sich trotz der EEG umlage Energiewende nicht als Gewinner. Sie haben zwar mehr als 30 Jahre für eine Sache gekämpft, die nun allgemeiner Konsens geworden ist. „Aber die Herausforderungen bleiben. Wir wissen nicht, wie wir mit dem Atommüll umgehen sollen. Das Problem hinterlassen wir noch Generationen“, sagt Gerhard Boll. Als nächstes wollen die beiden sich für den Rückbau des Atomkraftwerks Krümmel einsetzen.
12 _ _ 13 I laufen die Maschinen auf Hochtouren, selbst jeder größere Mittelständler dürfe befreit n Halle eins brennt es. Sprühende Funken in seine Produktion – so viel, wie eine Stadt nach Feierabend. Es riecht nach Schmieröl und werden, denn sonst erhöhe sich sukzessiv die und kochende Schlacke erhellen im Sekun- mit 500.000 Einwohnern benötigt. Marc Diesel. Überall stehen große, messingfarbene Umlage für die Bürger. „Die Betriebe profitieren dentakt die gesamte Werkshalle. Zwischen Ma- Hölling, Prozesstechniker von Arcelor Mittal, Schiffsschrauben herum. Vereinzelt lehnen an vom Standort Deutschland schon genug – wir schinen und Absperrungen leuchtet der riesige befürwortet grundsätzlich die Energiewende. den Wänden ein paar in transparente Folie ein- müssen nicht mit der Gießkanne alle Unter- Lichtbogenofen. Mit Hilfe von elektrischen Und doch kritisiert er die steigenden Strom- gepackte Ruderpropeller. Auch wegen des nehmen bewässern“, sagt er. Die Ankündigung Lichtbögen schmilzt er den Stahlschrott von kosten. „Selbst mit unserem energieeffizienten Patents an diesen Ruderpropellern etablierte der Konzerne ins Ausland zu gehen, wenn sie Arcelor Mittal. Aus dem geschmolzenen Metall Ofen benötigen die Prozesse natürlich sehr viel sich Jastram am weltweiten Schiffsmarkt. Das nicht von der Umlage befreit blieben, hält entstehen später Betonstahl und Walzdraht. Da- Strom“, sagt Hölling in den Lärm der Stahl- mittelständische Unternehmen sitzt mit seinen Schinerl für übertrieben. mit bedient Arcelor Mittal seit 40 Jahren den werkshalle hinein. 30 Mitarbeitern in Hamburg-Bergedorf. An- Ob die Befreiungsgrenzen neu gestaltet internationalen Markt. Allein in Hamburg sind Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefangen hat Jastram vor 120 Jahren mit dem werden sollen, kann auch Ökonom Maenning über 300 Mitarbeiter beschäftigt. Bisher will soll den Ausbau der regenerativen Energien Bau von Dieselmotoren. Seit den 50er Jahren nicht sagen. Er sieht die Verantwortung bei der der Konzern den Standort in der Hansestadt fördern. Verabschiedet wurde das Gesetz im konzentriert sich das Unternehmen auf Manöv- Politik. Aber bis zu den Wahlen werde wohl auch erhalten. Bisher. Denn der Stahlhersteller Jahr 2000. Darin wird auch geregelt, dass eine riertechnik von Schiffen. Mittlerweile expor- wenig an den Subventionen geändert werden. steckt über 800 Gigawattstunden Strom im Jahr Umlage auf den Stromverbrauch erhoben tiert der Betrieb 80 Prozent seiner Steuer und „Fernsehbilder von Werksschließungen machen wird. Mit den Einnahmen wird der höhere Ruder in die ganze Welt. Geschäftsführer sich vor der Bundestagswahl natürlich immer Preis für erneuerbare Energien bezahlt. An- Gerhard Erb investierte in den vergangenen schlecht.“ fangs lag die EEG-Umlage bei 0,41 Cent pro Jahren umfangreich in Energiesparmaßnahmen. Kilowattstunde. 2011 stieg sie bereits auf 3,6 „Jetzt werden wir von der höheren Umlage Cent. Im kommenden Jahr steigt die Umlage sehr belastet, doch die großen Konzerne sind auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Um die in- ausgenommen“, sagt Erb. Er habe durchaus ternationale Wettbewerbsfähigkeit von ener- Verständnis für die befreiten Unternehmen, gieintensiven Betrieben nicht zu gefährden, doch sorge er sich vor allem um seinen eigenen wurden vor allem Unternehmen der Metall-, Betrieb. Er fordert deshalb: „Die Befreiungs- Zement- und der chemischen Industrie von regeln und Ausnahmegrenzen für die EEG- der Umlage befreit. Anfangs lag die Grenze dafür Umlage müssen neu überdacht werden - bei einem Stromverbrauch von 100 Gigawatt- zugunsten der Exporteure.“ stunden. Sie wurde zunächst auf zehn und 2012 Marktwirtschaftlich betrachtet ist jeder Ein- auf eine Gigawattstunde gesenkt. Antragsbe- griff in den Wettbewerb eine Verzerrung. rechtigt sind allerdings nur Betriebe, bei denen „Schließlich subventioniert Deutschland auch das Verhältnis der Stromkosten zum Produkti- keine Orangenplantagen oder die Textilindustrie, onswert bei mindestens 14 Prozent liegt. um mit den Märkten in Italien und Bangla- Die EEG-Stromumlage entrichten alle Ver- desch mitzuhalten“, sagt Wolfgang Maennig, braucher. Doch energieintensive Konzerne be- Professor für Wirtschaftspolitik in Hamburg. zahlen deutlich weniger. Mit dieser Entlastung Für den Ökonomen ist die EEG-Umlage zwar möchte die Bundesregierung vermeiden, dass eine Subvention, aber auch eine Investition in Unternehmen wie Arcelor Mittal ihre Werke die Zukunft. „In absehbarer Zeit werden die ins stromgünstige Ausland verlegen und Arbeits- Techniken für die erneuerbaren Energien so plätze in Deutschland verloren gehen. Arcelor ausgereift sein, dass sie sich subventionsfrei auf Mittal hält weltweit zahlreiche Niederlassungen. dem Markt behaupten können“, sagt er. Allein an den 25 deutschen Standorten sind Sogar Verbände wie Greenpeace befürwor- über 8.000 Mitarbeiter beschäftigt. „Wären wir ten die Subvention der Großindustrie. „Klar, nicht von der Umlage befreit, würden die Aus- die Stahl-, Aluminium- und Papierhersteller gaben unsere Einnahmen übersteigen. Entweder mit ihrem hohen Stromanteil müssen wir un- es gibt die Befreiung, oder es gibt unser Ham- terstützten, weil sie sehr vom Weltmarktpreis burger Werk nicht mehr“, sagt Hölling. abhängig sind“, sagt Niklas Schinerl, Sprecher Ein anderer Betrieb, eine andere Produkti- von Greenpeace Hamburg. Allerdings sieht er onshalle. Bei den Hamburger Jastram-Werken schon zu viele Unternehmen befreit. Nicht
14 _ _ 15 Herr Altmaier, Ihr Vater war Berg- energiesparenden Gefrierschränken. Die destagswahlkampf 2013. Warum arbeiter, Ihre Mutter Kranken- alten Geräte habe ich dann erstmal in schaffen Sie es nicht, die Diskussion schwester. Wie hätten Ihre Eltern den Keller gestellt und da weiter laufen um die Strompreise zu beenden? reagiert, wenn sie plötzlich 60 Euro lassen. Jetzt erst ist mir klargeworden, Eine Energiewende macht man eben mehr im Jahr für Strom hätten was das für die Stromrechnung und den nicht mit links. Das ist wie eine Operati- zahlen müssen? Stromverbrauch bedeutet. Ich werde sie on am offenen Herzen einer Volkswirt- Der größte Posten im Budget war und bald abholen lassen. schaft. Aber wir haben in diesem einen ist die Heizkostenrechnung, also Heizöl Jahr bis zur Bundestagswahl die Chance oder Fernwärme. Gerade weil ich aus Sie lernen dazu. Ein wenig Stromer- zu beweisen, dass wir das besser können bescheidenen Verhältnissen komme, bin sparnis hat Ihre Berufung zum Um- als Rot-Grün. ich sehr unglücklich über die steigenden weltminister also schon gebracht. Strompreise. Wir wussten alle, dass die Jeder kann im Alltag schon mit Kleinig- Sie sind zwar als Autodidakt be- Energiewende nicht umsonst zu haben keiten etwas ändern. Ich habe zum Bei- kannt, aber auch erst relativ kurz im ist. Ich bin überzeugt, der Anstieg der spiel oft den Computer nachts laufen las- Amt. Blicken Sie bei der Informati- Preise in dieser Größenordnung hätte sen, damit ich ihn am nächsten Morgen onsfülle im Energiebereich immer verhindert werden können, wenn die Po- nicht hochfahren musste. Das sind alles voll durch? litik rechtzeitig die Weichen gestellt hätte. Dinge, zu denen niemand gezwungen Ja, ich habe mich da ganz gut eingearbei- werden soll, aber über die man reden tet und behalte den Überblick. Mein Ziel Nun wurde er aber nicht verhindert. kann. So kann man dem Strompreis ein ist es jetzt, den Bürgern diese riesige Sie empfehlen, sich einen Energie- Schnippchen schlagen. Fülle an Fakten so zu präsentieren, dass berater kommen zu lassen. Der soll sie sie verstehen. Ein Beispiel: Je schneller erklären, wie man Strom spart. War Aber kann man von den Bürgern wir die Energiewende forcieren, desto „Energiewende ist eine Operation er schon bei Ihnen? wirklich erwarten, dass sie die mehr Kosten werden in kürzerer Zeit am offenen Herzen“ Als Minister habe ich das Glück, ständig mit Menschen zusammenzukommen, Energiewende selbst in die Hand nehmen? anfallen. Dieser Grundsatz ist für jeden nachvollziehbar. die davon etwas verstehen. Ich habe Nein, das kann man nicht erwarten. Wir Bundesumweltminister Peter Altmaier über hohe Stromrechnungen, schon viel gelernt – zum Beispiel, dass müssen zusätzlich zur Beratung auch Rot-Grün ist nicht Ihr einziges die Kühlschränke in seinem Keller und seine eigene Energie die Heizungspumpe in meinem Haus ein konkrete Hilfe anbieten, insbesondere Problem. Als Umweltminister sitzen von Sebastian KempkenS und julian Kuper riesiger Stromfresser ist und dass ich dort für Menschen aus einkommensschwa- Sie in Sachen Energiewende oft ungefähr 80 Prozent der Energie einspa- chen Familien. Darüber diskutiere ich im zwischen den Stühlen: Politiker, ren könnte. Dafür müsste ich eben eine Augenblick mit den Verbänden der Lobbyisten, Bürger – alle wollen et- neue Heizungspumpe installieren. Ich Wohlfahrtspflege, den Stadtwerken und was von Ihnen. Wie schaffen Sie es, weiß inzwischen auch, dass mein alter vielen anderen. Wir müssen dafür sor- da einen klaren Gedanken zu fassen? Kühlschrank und meine alte Gefrier- gen, dass die Energiewende insgesamt zu Ich koche sehr gerne, das entspannt truhe sehr viel Strom verbrauchen. Beide geringeren Kosten stattfindet. Dazu ge- mich. Das lockert auch den politischen habe ich schon vor 20 Jahren gekauft. hört, dass wir den Ausbau der erneuerba- Alltag auf, ich lade gerne politische Außerdem fressen die Geräte noch mehr ren Energien so gestalten, wie er ur- Kollegen ein. Da geht es dann gar nicht Strom, wenn sie nicht regelmäßig abge- sprünglich vorgesehen war – also in darum, ob das Essen jetzt besonders raffi- taut werden. Das sind alles Binsenwahr- einem Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. niert oder großartig ist. Mir kommt es heiten, trotzdem habe ich darüber im Das wird dazu führen, dass die Kosten darauf an, dass man als Politiker manch- Alltag früher gar nicht nachgedacht. Das nicht alle auf einmal anfallen und der mal in einem entspannten, privaten Rah- ändert sich nun, seit ich Minister bin. Strompreis in erträglichen Größenord- men Dinge viel unvoreingenommener nungen bleibt. sieht als in irgendwelchen Hinterzim- Also entsorgen Sie die stromfressen- mern. Mit dieser Form der Geselligkeit den Kühlschränke jetzt? Es sieht so aus, als könnte die Ener- will ich einen kleinen Beitrag dazu leis- Naja, bei mir war es so: Ich habe mir vor giewende der CDU schon bald Pro- ten, dass Politik überschaubar und vier Jahren eine neue Küche gekauft, mit bleme bereiten – nämlich im Bun- menschlich bleibt. >>
16 _ _ 17 Biogas Netzbetreiber Ein kleines Lexikon zur Energiewende Wortschatz Biogas wird aus Energiepflanzen wie Raps und Mais, Tiermist Netzbetreiber, genauer gesagt die Übertragungsnetzbe- und anderen organischen Abfällen gewonnen. Die Stoffe treiber, sorgen dafür, dass der Strom quer durch Deutsch- werden in einer Biogasanlage ohne Licht und Sauerstoff von land vom Erzeuger bis in die großen Trassen fließt. Außer- Mikroorganismen vergoren. Dabei entsteht Methangas, das dem achten sie darauf, dass im deutschen Netz ständig dann in einem Gasmotor verbrannt werden kann. In vielen Strom verfügbar ist und das Netz stabil bleibt. In Deutsch- Blockheizkraftwerken werden so Strom und Wärme gewonnen. land gibt es vier Übertragungsnetzbetreiber im 380-Kilovolt- Haben Sie mal darüber nachge- nologischen Fortschritt von Deutschland Netz: „Amprion“, „Transnet BW“, „Tennet TSO“ und dacht, die verschiedenen Akteure für die Zukunft zu erhalten und auszu- EEG-Umlage „50Hertz Transmission“. der Energiewende der Reihe nach bauen. Die Umlage ist ein Aufschlag auf den Strompreis, der im Er- ins Haus Altmaier einzuladen? neuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt ist. Er dient dazu, Strom Es heißt, Sie könnten Mehrheiten Sicher ist: Ihnen stehen stressige die Kosten, die durch die Förderung erneuerbarer Energien Strom ist eine Bewegung von elektrisch geladenen Teil- zusammenkochen. Wochen bevor. Woher beziehen Sie entstehen, auf die privaten und gewerblichen Stromverbraucher chen, die in einem leitfähigen Medium – zum Beispiel Wenn ich Ihnen ein Geheimnis verra- Ihre Energie? umzulegen. Die Höhe der Umlage wird jährlich von den vier Wasser – zwischen den Atomen dieses Stoffes hin- und ten darf: Seit ich Umweltminister bin, Die Energie für meine politische Arbeit Stromnetzbetreibern in Deutschland festgelegt. Für 2013 haben sie herspringen. Die Atome fangen die Teilchen ein und geben habe ich noch für gar niemand kochen beziehe ich aus der Motivation, dass ich entschieden, die EEG-Umlage von 3,6 auf 5,3 Cent zu erhöhen. andere ab – eine Kettenreaktion entsteht. Ihre Bewe- können. Das liegt daran, dass ich sehr ein zwar sehr schwieriges, aber doch un- gungsenergie nutzen wir dann als Strom. viel arbeiten muss. Trotzdem hoffe ich, gemein spannendes Projekt bearbeiten Einspeisevergütung dass ich in den nächsten Monaten auch darf. Es gibt viele Ministerien, die viel Im Vergleich zu konventionellen Energien ist es im Moment Strombörse wieder die Muße finde, Menschen zu größer als das Umweltministerium sind noch relativ teuer, Strom aus erneuerbaren Energien zu produ- Strom kann im Unterschied zu Gold, Kohle oder Öl nicht mir nach Hause einzuladen. Mit der und die viel mehr Geld haben. Aber das zieren. Die Betreiber von Ökostromanlagen müssten für ihren gelagert werden und muss direkt verbraucht werden. Pro- Energiewende muss das aber nichts zu Umweltministerium hat nun einmal mit Strom daher eigentlich mehr verlangen. Weil sie dann aber duzieren Versorger mehr Strom, als sie benötigen, bieten tun haben. der Energiewende ein ganz entscheiden- nicht mehr wettbewerbsfähig wären, zahlt der Bund eine Ein- sie den Überschuss an der Strombörse in Leipzig an. Erzeu- des Projekt für Deutschland. Das spornt speisevergütung und gleicht so die Mehrkosten aus. gen sie zu wenig, kaufen sie dort Strom dazu. Die Börse soll Ein kurzer Rückblick: 1974 sind mich an. den Preis regulieren, indem sie Angebot und Nachfrage Sie in die Junge Union eingetreten. Energieeinsparverordnung zusammenbringt. Handeln dürfen Stromerzeuger und Damals lagen die Dinge in Energie- Diese Verordnung beschreibt, was Hausbesitzer mindestens -händler aus ganz Europa, der Handel erfolgt online am fragen noch anders. Was haben Sie machen müssen, damit ihre Wohnungen, Büros oder Betriebe Terminmarkt (bis zu sechs Jahre im Voraus) oder am Spot- als junger Mann über die Kernener- energieeffizient sind. Dabei geht es sowohl darum, Gebäude markt für den folgenden Tag. Für den Handel zugelassen gie gedacht? ausreichend zu dämmen, als auch die innen eingesetzte Technik sind nur Großhändler. Ich war damals wie heute weder ein wie Heizung oder Lüftungen zu modernisieren. Befürworter noch ein Gegner der Atom- Wirkungsgrad kraft. Für mich war es eine von mehre- Kaltreserve Jedes Kraftwerk hat einen Wirkungsgrad. Der gibt an, ren Energiearten. Ich war immer der Ausgerechnet im Winter, wenn die Leute viel heizen und der wie viel Prozent der Energie aus Kohle, Gas, Sonne oder Auffassung, dass es schwierig wäre, wenn Stromverbrauch besonders hoch ist, liefern Sonne und Wind Wind am Ende wirklich als Strom genutzt werden kann. Deutschland im Alleingang aus der oft nur wenig Energie. Im Februar 2012 mussten die Netzbetreiber Denn ein Teil geht während des Prozesses der Stromge- Atomenergie aussteigt. deshalb an zehn Tagen die Kaltreserve aktivieren. In Deutschland winnung unter anderem durch Wärme oder Reibung sind das fünf Kohlekraftwerke, die eigentlich stillgelegt sind, aber verloren. Je höher der Wirkungsgrad, desto effizienter Und dann haben Sie Ihre Meinung bei Bedarf relativ schnell hochgefahren werden können. nutzt das Kraftwerk die Primärenergie. nach der Katastrophe von Fukushi- ma geändert? Lastverteiler Seit der Katastrophe von Fukushima ist Lastverteiler sind Menschen, die bei den Netzbetreibern arbeiten bei mir dir Erkenntnis gereift, dass die und dafür sorgen, dass jede Region in Deutschland genug Strom Atomenergie keine Zukunft mehr haben bekommt. Weil sich Angebot und Nachfrage nach Strom im Netz kann, weil sie das strittigste gesellschafts- immer die Waage halten müssen, messen sie jede Viertelstunde, wo politische Thema überhaupt war. wie viel Strom verbraucht wird. Ist die Nachfrage größer als das Deshalb glaube ich heute ganz fest, Angebot, entscheiden die Lastenverteiler, welches Kraftwerk zuge- dass der Atomausstieg richtig war. Ich schaltet werden soll. Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien glaube auch, dass unsere Form der Ener- herstellen, müssen sie dabei bevorzugen. giewende die richtige ist – also nicht ein- fach den Atomstrom durch Kohle und Gas ersetzen, sondern durch erneuerbare Energien. Ich glaube, dass das die richtige Entscheidung war. Auch, um den tech-
_ 19 Arbeiten auf hoher See: Von einem Schiff aus verlegen Techniker die Kabel im Windpark Riffgat So ganz geheuer ist ihnen nicht: Zukünftige Offshore-Arbeiter vor dem Überlebenstraining W iechmann hätte nicht gedacht, dass es so schlimm kommen würde. Klar, er kannte die Geschichten seiner Männer und klar, er würde ordentlich Wasser schlucken. Ein Kollege war ja gar nicht erst mitgekommen, weil er nicht gut schwim- men kann. Wiechmann ist trotzdem hingefahren, er hat Lust auf Offshore, Lust auf Windenergie weit draußen auf dem Meer. Aber das hier, diesen Weltuntergang, hat er nicht erwartet. Jetzt steht er da in seinem roten Sicherheitsanzug, in dreieinhalb Metern Höhe. Eine Schwimmweste schnürt ihm den Atem ab, der Sturm schlägt Regentropfen in sein Gesicht, es ist finster, er sieht kaum etwas. Eine Sirene heult, heftige Donner- schläge rollen herab und immer wieder rattern die Rotorblätter eines Rettungshub- schraubers durch die Dunkelheit. Aber Hilfe ist noch nicht in Sicht. Es bleibt ihm nichts übrig, Wiechmann muss da jetzt allein durch. Als der nächste Blitz einschlägt und alles für einen Moment erhellt, springt er in die Tiefe. Jens Wiechmann, Bauleiter einer Montagefirma, 41 Jahre alt, verheiratet, zwei Söhne, landet in einem Pool in Bremerhaven. Der Ausnahmezustand ist eine Simu- lation, Teil eines Überlebenstrainings in einem Schulungszentrum für Offshore-Ar- beiter. Jeder, der auf einer Windanlage weit draußen in der deutschen Nord- oder Ostsee arbeiten will, muss so einen Kurs durchlaufen. Deshalb ist Wiechmann hier, gemeinsam mit neun anderen Männern lässt er sich von Andreas Carstens, dem Sicherheitstrainer, anbrüllen: „Los jetzt, alle in den Huddle.“ Carstens, ein breit- schultriger Mann mit mächtigen Händen, steht am Beckenrand. Mit einer Taschen- lampe wirft er Lichtkegel auf die Köpfe im Wasser. „Nur zusammen könnt ihr da draußen überleben!“, schreit er. Mühsam kämpft sich Wiechmann durch die Wellen ans andere Ende des Pools. Dort sammeln sich die Männer und bilden einen engen Wiechmann muss springen Kreis, den Huddle, bei dem sie sich gegenseitig unterhaken und im Wasser stabilisie- ren. Wenig später legt Carstens ein paar Schalter um. Licht an, Wellen aus, Wind aus, Vor den Küsten sollen Dutzende Windparks entstehen. Regen aus – und der Spuk ist erstmal vorbei. „Kaffeepause“, ruft er und zehn trief- Der Alltag auf den Offshore-Anlagen ist so gefährlich, nasse Gestalten ziehen sich aus einem Pool, der bei Licht betrachtet nicht größer als dass die Arbeiter das Überleben trainieren müssen ein Tennisfeld ist. von Sebastian Kempkens Hier, in der Trainingshalle für „Sea Survival“, vermittelt Carstens zukünftigen Offshore-Arbeitern die Grundlagen für Notfälle auf hoher See: Wie springe ich bei Bränden am besten ins Wasser? Wie schaffe ich es, einen Hubschrauberpiloten auf mich aufmerksam zu machen? Wie lasse ich mich dann von einem Helikopter aus dem Wasser ziehen? ©Miebach/Sven Niemeyer >>
20 _ _ 21 Im Trainingssturm: Die Männer erkämpfen sich eine Rettungsinsel Die Männer hier sind Taucher, Techniker und Ingenieure, die meisten von ihnen arbeiten wie Wiechmann in der Windindustrie. Das Geschäft mit Windenergie weit draußen auf dem Meer boomt. Wiechmann, der erschöpft auf die Erde starrt, keinen Kaffee trinkt, keinen Kuchen isst, weiß das. Auch seine Firma profitiert von der Ener- giewende. Das Unternehmen hat umgestellt, neben der Montage konventioneller Schaltanlagen setzt es jetzt auf Windenergie. Für den Windpark Riffgat, 15 Kilometer vor Borkum, haben Wiechmann und seine Männer die Transition Pieces gebaut – gelbe, 60 Meter hohe Röhren, auf die die Türme mit Rotorblättern montiert werden. Wer herausfinden will, wie gefährlich der Job auf See wirklich ist, muss von Wiechmann, der sich inzwischen den Sicherheitsanzug und die Schwimmweste Bremerhaven aus ins Unfallkrankenhaus Hamburg fahren. Dort sitzt Nils Weinrich aufgeknöpft hat, um besser Luft zu bekommen, ist gebürtiger Bremerhavener. Die im Labor für Biomechanik. Der 43-Jährige ist ein quirliger, freundlicher Mann, der Energiewende kommt ihm gerade recht. Er kann jetzt seinen Job mit dem verbinden, Besuchern Filterkaffee kocht und ihnen dann ausführliche Power-Point-Vorträge was er die „maritime Sache“ nennt. Er hat mehr Verantwortung als früher, kann mehr über seine Arbeit hält. Der Physiker koordiniert das Forschungsprojekt „Rettungs- gestalten. Der Kampf gegen die Wellen im Pool, der Sprung ins dunkle Nichts: Das kette Offshore Wind“. Sein Mitteilungsbedürfnis hat einen Grund: Gemeinsam mit ist für ihn eine Art Mutprobe, an der kein Weg vorbeiführt. Denn die Transition Biologen und Medizinern arbeitet er sich in ein vollkommen neues Thema ein. Für Pieces im Windpark vor Borkum sollen erst der Anfang sein. Wiechmann hofft, mit Havarien von Schiffen gibt es eingespielte Versorgeregelungen, der Offshore-Indus- seiner Mannschaft auch die Wartung übernehmen zu können. Der Betreiber des trie fehlt so etwas aber noch völlig. Das Problem liege vor allem darin, dass es zurzeit Parks stößt personell schon jetzt an seine Grenzen und Wiechmanns Mitarbeiter keine zentrale Leitstelle für Rettungsdienste gibt. „An Land wählt man in Notfällen kennen die Bauteile zwischen Windrad und Meeresgrund in- und auswendig. die 112 und ruft die Feuerwehr. Aber wer ist die Offshore-Feuerwehr?“, fragt er, Und auch nach dem ersten Auftrag könnte es weitergehen. Denn die Pläne der zieht erwartungsvoll die Augenbrauen hoch und gibt die Antwort schließlich selbst: Bundesregierung sehen vor, dass bis 2020 15 Prozent der Energie, die die Deutschen Es gibt keine. verbrauchen, in der Nord- und Ostsee produziert werden. Dafür errichten die Ener- In Bremerhaven wird deutlich, was das bedeutet. Wieder ist es dunkel und die giekonzerne draußen im Meer eine Parallelwelt aus Stahl und Elektronik. Neben Sturmturbinen dröhnen durch die Halle. Das Szenario kennen die Männer inzwi- Riffgat werden knapp 30 weitere Windparks gebaut, jeder hat die Fläche einer deut- schen und Wiechmann wirkt dieses Mal schon routinierter. Nach und nach sollen schen Kleinstadt. In den nächsten Jahren könnten in der Branche zehntausende sich die Männer auf eine schwimmende Insel retten, doch plötzlich pfeift es draußen Arbeitsplätze entstehen, allein auf den Anlagen sollen 1.000 Menschen arbeiten. in den Wellen. Ein Trainer simuliert einen Verletzten, der durchs Wasser treibt und Kurz: Die Euphorie ist riesig, selbst bei zurückhaltenden Männern wie Wiechmann. verzweifelt auf sich aufmerksam macht. Für Seemänner gehört es zum Jobprofil, mit Aber das Windenergie-Geschäft auf hoher See ist auch gefährlich. Die meisten der solchen Situationen umgehen zu können. Aber die Offshore-Arbeiter brauchen lan- Anlagen werden in mindestens 30 Kilometern Entfernung zur Küste gebaut, damit sie ge, um die Situation zu verstehen. Auf hoher See wäre der Verletzte wohl längst den Schiffsverkehr nicht behindern und die Aussicht für Küstenbewohner und Tou- unerreichbar. risten nicht verschandeln. Wenn ein Arbeiter auf einer der Anlagen verunglückt oder Wiechmann und seine Männer werden in der Nord- und Ostsee Gewalten ausge- ins Wasser fällt, kann es bis zu eineinhalb Stunden dauern, bis Hilfe da ist. Die Männer setzt sein, die sie bis dahin nur aus Filmen kannten. Schon der Anflug per Helikopter und Frauen sind also deutlich länger auf sich allein gestellt als bei vergleichbaren Un- sei „etwas James-Bond-mäßig“, sagt Wiechmann. Was passiert, wenn ein Helikopter fällen an Land. Und schon das Besteigen der Plattform ist risikoreich. Das betonen abstürzt? So etwas macht ihm Angst. Beim „Helicopter-Escape“ werden die Männer alle, die man fragt. Auch Wiechmann hat „Respekt“ vor diesem Moment. Bei rauer in einer Hubschrauber-Attrape in den Pool geschmissen. Obwohl neben Wiech- See schaukelt das Boot extrem, manchmal mehrere Meter hoch und runter. Einmal mann und jedem anderen Teilnehmer ein Trainer sitzt, Sauerstoffflaschen griffbereit gerieten Mitarbeiter von Wiechmann in einen Sturm, der so stark war, dass der Ka- sind und alles vorher detailliert durchgesprochen wurde, sagt er: „Da bekommt man pitän die Landungsplattform viermal anfahren musste. Letztendlich haben sie dann Panik, richtig Panik, man hat das Gefühl: Ich bin jetzt ganz allein.“ abgebrochen, aber das geht nur im Ausnahmefall. Denn die Kosten im Offshore- Als er den Trainingstag schließlich überstanden hat, steht Wiechmann vor der Bereich sind enorm und ein bisschen Wellengang gibt es immer. „Sich dem zu stellen, Halle, seine Haut ist gerötet und die Haare im Nacken sind noch nass. Immerhin, sagt ist schon eine ganz schöne Herausforderung“, bekennt Wiechmann. „Man muss sich er, ist er jetzt vorbereitet. Nächste Woche soll es losgehen. Da steht seine erste Be- da immer wieder sagen: Du machst das jetzt!“ sprechung auf der Windanlage vor Borkum an.
22 _ _ 23 … kommt aus meiner Steckdose ausschlieSSl� lich Strom aus erneu- erbaren Energien. Nein. Aus der Steckdose kommt das Gleiche wie vorher: Strom, der sich, physikalisch betrachtet, den kürzesten Weg gesucht hat, z.B. auch den aus dem … fördere ich damit nahe gelegenen Atomkraftwerk. Man den Ausbau erneuerbarer … wird der für mich in kann sich unser Stromnetz auch wie einen Energien. Deutschland produziert. großen See vorstellen: Jedes Kraftwerk leitet seinen Strom dort hinein, egal ob Nicht unbedingt. Zwar gibt es einige Im Moment nicht. Denn die Öko- dieser mit Kernkraft-, Kohle- oder Wasser- Anbieter, die ausschließlich Ökostrom stromanbieter in Deutschland kaufen den kraft produziert wurde. Und selbst wenn verkaufen und ihre Gewinne in den Aus- Großteil ihres Ökostroms im Ausland – niemand einen Ökostromtarif wählen bau erneuerbarer Energien stecken. Aber vor allem von Wasserkraftwerken in würde, wird auch Strom aus erneuerbaren die meisten Anbieter in Deutschland ver- Norwegen. Auf dem deutschen Markt Energieträgern anteilig in den Stromsee kaufen neben Ökostrom auch noch sind erneuerbare Energien derzeit viel eingespeist, denn das ist im Erneuerbare- Kohle- und Atomstrom, den sie in ihren teurer als im Ausland. Das liegt daran, Energien-Gesetz (EEG) so festgelegt. eigenen Kraftwerken produzieren. Die dass die Bundesregierung den deutschen Aber: Wer Ökostrom kauft, kann dafür Gelder der Ökostromkunden kommen Ökostrom über das Erneuerbare-Energien- sorgen, dass der Anteil der erneuerbaren bei ihnen also auch Kohle- und Atom- Gesetz (EEG) fördert und wir ihn alle Energien im Stromsee schneller wächst. strom zugute. Wer ganz sicher gehen über die EEG-Umlage bezahlen. Denn er trägt seinem Stromanbieter auf, will, wählt einen Tarif, bei dem ein Cent Bei jedem Stromtarif, egal ob öko Wenn ich auf Ökostrom umsteige, … für ihn Ökostrom einzukaufen. Dass er pro Kilowattstunde in einen eigenen oder nicht, stammen mittlerweile 25 das auch wirklich tut, kann man als Kunde Fonds fließt. Aus dem werden dann neue Prozent des Stroms aus den EEG-geför- Jeder fünfte Haushalt kauft seinen Strom mittlerweile bei einem aber bislang nicht überprüfen. Deswegen Ökokraftanlagen finanziert. Auch Tarife derten erneuerbaren Energien. Möchte ein Ökostromanbieter. Was genau Ökostrom eigentlich bedeutet, wird gerade ein europaweites Ökostrom- mit dem sogenannten Händlermodell Stromanbieter Tarife mit 100 Prozent Öko- register erstellt, in dem jede in Europa fördern den Ausbau der erneuerbaren strom anbieten, muss er die restlichen 75 wissen nur wenige. Drei Irrtümer von Mareike zeck produzierte Kilowattstunde Ökostrom Energien: Der Stromanbieter verspricht, Prozent zum nicht subventionierten aufgeführt ist. In dem Register soll man dass er ein Drittel seines Ökostroms von Preis beim Ökostromproduzenten ein- sehen können, wo sie produziert wurde Anlagen kauft, die jünger als sechs Jahre kaufen. Das ist aber so teuer, dass kaum und an wen sie verkauft wurde. So soll sind. So lohnt es sich für die Anlagen- ein Kunde solche Tarife bucht und die sichergestellt werden, dass niemand Geld besitzer, immer neue Ökokraftwerke zu Stromanbieter ihren Ökostrom lieber für etwas nimmt, das er nicht liefert. bauen. günstig in Norwegen einkaufen.
24 _ _ 25 gedämmte freude Um ihre Klimaziele zu erreichen, hat die Bundesregierung Hausbesitzern nahegelegt, den Energieverbrauch ihrer Immobilien zu senken. Die meisten dämmen ihre Fassade deshalb mit Platten aus Styropor. Doch der Specht hat es darauf abgesehen von Julian Kuper „Er klopft nur, wenn ich im Haus bin.“ Helga Zemke, Mieterin B enjamin Seider sorgt dafür, dass Helga Zemke wieder ruhig schlafen kann. Der Fassadenkletterer lehnt seine Leiter an die Hauswand, schnappt sich den grünen Material- sack mit Dämmwolle und klettert bis zur Dach- rinne des Hauses. Kurz darunter klafft ein 20 Zentimeter großes Loch, so fein rund ausge- pickt, als hätte jemand einen Zirkel benutzt. Schon zum zweiten Mal hat der Specht ein Loch in diese Fassade gehackt. Und er kehrt regelmäßig zurück, um an seinem Werk weiter- zumachen. Mieterin Helga Zemke bereitet er damit schlaflose Nächte. „Ich hab immer wie- der ein Klopfen gehört, aber als ich zur Tür gegangen bin, war niemand zu sehen“, sagt Zemke. Erst nach Tagen voller nervender Klopfgeräusche habe sie draußen den Specht sitzen sehen. >>
26 _ _ 27 Fassadenkletterer Benjamin Seider schneidet den Dämmblock zu, verfugt die Ritze – und das Spechtloch ist wieder dicht.Versicherungen übernehmen die Reparaturen allerdings nicht Der Specht hatte es leicht in ihrem Miets- Mittlerweile hat Nitzsches Firma rund 150 Allerdings geraten die Styropor-Platten zu- Fassadenkletterer Benjamin Seider vertraut haus im Erpmannstieg, denn vor der Hauswand bis 200 Spechtloch-Einsätze im Jahr, Tendenz nehmend in die Kritik. Zwar sind sie günstig lieber auf sein Augenmaß. Er greift zur kleinen pappt ein Wärmedämmverbundsystem aus steigend. Denn die Nachfrage nach Wärme- und haben eine gute Wärmedämmung. Doch Säge und schneidet das Spechtloch an der Fas- Styropor. Dieses Dämmverfahren wird in dämmung ist in Hamburg hoch. Ein Grund wenn die Mieter falsch lüften, macht sich sade von Helga Lemkes Wohnhaus eckig aus. Deutschland am häufigsten genutzt, denn es ist dafür sind die vielen alten Häuser. „Gerade der Schimmel breit. Zudem können sich an der Weiße Styropor-Flocken rieseln auf den Bo- am günstigsten. Hausbesitzer investieren in die große Altbaubestand der Nachkriegszeit ist in Fassade Algen bilden. Im Prinzip müssten die den. Aus seinem Materialsack befüllt er das Platten aus Dämmstoff, Mörtel, Befestigungs- einem schlechten energetischen Zustand“, sagt Mieter ihr Lüftungsverhalten radikal ändern verlassene Loch mit Mineralwolle, um die elementen und Putz, um weniger Wärme Edgar Badenius, Experte für Wärmeschutz bei oder einen stromintensiven Wärmetauscher Dämmwirkung wiederherzustellen und ver- durch die Hauswände zu verlieren und so der Stadt Hamburg. In der Hansestadt gibt es installieren. schließt das Loch mit einem Stück vorgefertig- Energie zu sparen. Doch gerade diese Platten rund 900.000 Altbauwohnungen. Davon sind Und das ist nicht das einzige Problem. Sty- tem Dämmblock. Zehn Minuten später ist die sind ein gefundenes Fressen für den Specht. Sie nur rund ein Drittel mittel bis gut wärmege- ropor ist zwar schwer entflammbar, aber wenn Wand wieder dicht. Ob das so bleibt, ist aller- klingen ähnlich hohl wie das tote Holz, in das dämmt. Der Rest ist energetisch entweder es brennt, dann brennt es kräftig. „Ich gehe da- dings ungewiss. Der Specht ist ein guter Beob- er normalerweise seine Bruthöhlen schlägt schlecht oder gar nicht gedämmt. von aus, dass es deswegen später auch mal Tote achter – und ein intelligenter noch dazu. oder in dem er nach Insekten sucht. Dass der Die Saga, Hamburgs größte Wohnungsge- geben wird“, sagt Heinrich Stüven, Vorsitzen- „Standortfest“ nennt Ropeworx-Chef Tors- Specht nun Jagd auf Dämmsysteme macht, sellschaft, hat bereits an knapp 60 Prozent ihrer der des Grundeigentümer-Verbandes in Ham- ten Nitzsche das. Denn hat der Specht sich erst liegt auch daran, dass sein Lebensraum ver- insgesamt 130.000 Wohnungen die Gebäude- burg. Die eingebauten Brandriegel, die den einmal eine Umgebung gesucht, bleibt er da schwindet. „Die Stadt macht alle Grünflächen hüllen mit Wärmedämmverbundsystemen aus Brand begrenzen sollen, hält er für nicht ausrei- auch. Und gedämmte Fassaden hat er nun mal hübsch. Morsche oder abgestorbene Gehölzer Styropor oder Mineralwolle ausgerüstet. Zwi- chend. Skeptisch ist Stüven auch, ob die Mate- zum Hacken gern. werden sofort entfernt“, sagt Torsten Nitzsche, schen 1990 und 2009 sei dadurch der Energie- rialien wirklich zwischen 20 und 30 Jahre der Chef von Ropeworx. Manchmal finden er verbrauch für die Heizungsversorgung um 39 halten, so wie es die Hersteller versprechen. Ist und seine Fassadenkletterer Löcher, die so groß Prozent gesunken. „Die Fassadendämmung ist die Wärmedämmung kaputt, bleibt die Frage: sind, dass ein ganzer Arm bis zum Ellenbogen eine einfache Möglichkeit, den Altbestand Wohin damit? Styropor ist Sondermüll – und darin verschwinden könnte. energetisch zu sanieren“, sagt auch der städti- die Entsorgung damit problematisch. Denn die Die Löcher sind für die Dämmung eine sche Wärmeschutz-Experte Badenius. Eine ef- einzelnen Bestandteile des Verbundsystems ernstzunehmende Gefahr. Entweder ziehen fiziente Wärmedämmung gehört zu den Kern- müssen erst getrennt werden. „Klar ist, wir Tiere wie Eichhörnchen oder Amseln ein oder punkten des 2010 aufgestellten Energiekonzepts brauchen eine gute Wärmedämmung der das Loch bleibt leer und läuft mit Regenwasser der Bundesregierung. Die Kreditanstalt für Häuser, aber zum jetzigen Zeitpunkt sind die voll. Die Folge: Die Fassade oder der Putz wer- Wiederaufbau fördert Investitionen in die Systeme noch völlig unausgereift“, sagt Hein- den innen nass. Wenn es dann friert, kann die energetische Sanierung durch Zuschüsse und rich Stüven. Er hofft, dass die Forschung in Fassade die Feuchtigkeit nicht mehr loswerden zinsgünstige Kredite. Das gilt auch für Projekte einigen Jahren die Dämmsysteme deutlich und unter Umständen brechen. wie die Wärmedämmung von Außenwänden. weiterentwickelt haben wird.
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