AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche

 
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AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
D A S M A G A Z I N D E R E VA N G .- L U T H . I N N E N S TA D T G E M E I N D E N S T. E G I D I E N , S T. J A K O B , S T. L O R E N Z & S T. S E B A L D

                                                                                                                                                  89.
                                                                                                                                                  AUSGABE

                                                                         AUGUST & SEPTEMBER 2021

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AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
Themenübersicht

                                                                                                                                                                                                  Annette Lichtenfeld
                                                                                                              EDITORIAL

                                                                                                              Liebe Leserin, lieber Leser,

                                                                                                              Shalom titelt diese neue Ausgabe Ihrer Citykir-   Auch in und um Nürnberg gibt es eine lange        schem Glauben und Leben zusammengestellt
                                                                                                              che. Shalom ist eines der bekanntesten hebrä-     und reiche Tradition und vielfältige Gegenwart    und ebenso einen Hinweis auf versteckten An-
                                                                                                              ischen Wörter überhaupt. Es bedeutet Frieden,     jüdischen Lebens. Wir haben versucht, einige      tisemitismus in der Alltagssprache. Denn un-
                                                                                                              Unversehrtheit und Heil. Mehr noch: auch Ge-      Schlaglichter darauf zu werfen – ohne jegli-      ser Ziel und unsere Aufgabe liegt darin, dass
                                                                                                              sundheit, Sicherheit und Ruhe ist damit ge-       chen Anspruch auf Vollständigkeit. Jüdinnen       wir in unserer Stadt friedlich und ohne Angst
                                                                                                              meint. Shalom wünschen wir vom Redakti-           und Juden aus Nürnberg und Umgebung kom-          und Anfeindungen zusammenleben können,
Nürnberger jüdische Geschichte(n)      „Judentum ist keine vergangene          Sie kümmert sich um Leib und
                                                                                                              onsteam Ihnen und der ganzen Welt. „Träumt        men zu Wort. Einer unserer Autoren, Jo-Achim      egal woher jemand kommt, wie und wann und
Seite 4                                Religion“                               Seele                          weiter …!?“ denken Sie nun vielleicht?            Hamburger, meint zu recht: „Man weiß also we-     wo jemand betet oder was jemand glaubt oder
                                       Seite 18                                Seite 22                                                                         nig über das Judentum. Dies soll sich ändern.“    eben nicht.
                                                                                                              In Israel ist Shalom eine der verbreitetsten
                                                                                                              Grußformeln. Und nicht nur dort, sondern          Spuren jüdischen Lebens finden sich auch          Darum: Wir wünschen Ihnen Shalom für die
                                                                                                              überall in der jüdischen Gemeinschaft welt-       in Stein gemeißelt im Stadtbild Nürnbergs.        bevorstehende Ferienzeit und Gottes Schutz
          Leitthema: „Shalom“                           Gottesdienste, Führungen,                             weit grüßt man sich mit Shalom.                   Beschämende Berühmtheit haben die soge-           und Segen auf allen Wegen. Schön, wenn wir
                                                                                                                                                                nannten antijüdischen Schmähbilder an un-         uns in unseren Kirchen, Gottesdiensten, Kon-
          3   Editorial                                 Gruppen, Kreise & Termine
                                                                                                              Seit mindestens 1.700 Jahren prägen Jüdinnen      seren großen Kirchen erlangt. Mit diesem          zerten und bei den Veranstaltungen begegnen.
          4   Nürnberger jüdische Geschichte(n)         32 Innenstadtgottesdienste und Führungen              und Juden die Geschichte und Kultur in dem        Erbe richtig umzugehen erfordert noch viel
                                                           im Überblick                                       Gebiet, das heute Deutschland ist, entschei-      Arbeit und Gespür von uns Christ*innen –          Herzliche Grüße im Namen des Redaktions-
          8   Der Schocken                                                                                    dend mit. Diese lange deutsch-jüdische Tradi-     und dafür ist es wichtig, dass wir auf Men-       teams
                                                        34 Gruppen und Kreise im Überblick                    tion wird heuer mit einem Festjahr gewürdigt.     schen aus der jüdischen Gemeinschaft hören.
          10 Von A bis Z
                                                        36 Kirchenmusik                                       Damit sollen der Reichtum und die aktuelle
          12 Ziel: Ein lebendiges Miteinander                                                                 Vielfalt jüdischer Kultur in Deutschland ins      Aber auch Villen, Kaufhäuser und unverhofft       Ihre
                                                        37 Ökumenische Veranstaltungen                        öffentliche Bewusstsein rücken, denn das Ju-      wiederentdeckte Grabsteine und Inschriften
          14 Auf die Wortwahl kommt es an
                                                        38 Termine im August und September                    dentum ist keine vergangene Religion. Und         zeugen vom bedeutenden Einfluss jüdischer
          16 „Weiter tragen, was bisher Zeitzeugen                                                            gleichzeitig setzen viele Menschen durch ihr      Kultur auf die Geschichte Nürnbergs.
             erzählten“                                                                                       Engagement im Festjahr Zeichen gegen den
                                                        Aktuelles aus den Gemeinden                           wieder erschreckend wachsenden Antisemi-          Zur Auffrischung oder zum Neu-Entdecken
          18 „Judentum ist keine vergangene Religion“
                                                                                                              tismus.                                           haben wir für Sie ein paar Schlagworte zu jüdi-   Pfarrerin St. Egidien & St. Sebald
                                                        54 Neues aus St. Jakob
          21 Gemeinsame biblische Wurzel
                                                        56 Neues aus St. Lorenz
          22 Sie kümmert sich um Leib und Seele
                                                        58 Neues aus St. Egidien & St. Sebald
          24 Stein & Tür
                                                        62 Ansprechpartner, Adressen & Impressum
          26 Herr Klee und Herr Feld
                                                        67 Freunde der Citykirche
          28 Hier und Jetzt

          Nachrichten aus der Innenstadt                                                                                             Bratwurst                                                            B e h r i n g e r ´s O r i g i n a l
                                                                                                                                                                                                         Nürnberger Spezialitäten
          29 Rechne mit dem Ungewöhnlichen
                                                                                                                                 Glöcklein
          30 50 Jahre Verein für Kirchenmusik                                                                                                                                                                 Manufaktur
             in St. Lorenz
                                                                                                                            Am Königstor, Handwerkerhof
                                                                                                                                                                                                                                                                  te   n
                                                                                                                               Telefon 0911 22 76 25                                                              Bestellungen unter
                                                                                                                                                                                                                                                           li t ä
                                                                                                                                                                                                                                                      ia
                                                        Titelbild: iStockphoto.com
                                                                                                                             www.bratwurstgloecklein.de                                                       info@bratwurstgloecklein.de
                                                                                                                                                                                                                                                  e z
                                                                                                                                                                                                                                           n   sp
                                                        2                                                                                                                         3
                                                                                                                                                         Reservierungen unter der Faxnummer 0911 22 76 45                           o se
                                                                                                                                                                                                                                  D
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
NÜRNBERGER JÜDISCHE GESCHICHTE(N)                                                                                                                                                                           NÜRNBERGER JÜDISCHE GESCHICHTE(N)

                               Nürnberger jüdische
                               Geschichte(n)

                                                                                                                                                   Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz
                                                                                                                                                   (1874–1938)

                                                                                                                                                   Er stammt aus dem 15. Jahrhundert, und man         Die jüdische Geschichte Nürnbergs geht bis
                                                                                                                                                   kann gut die gotischen Verzierungen entde-         in das 12. Jahrhundert zurück. Im Mittelalter
                                                                                                                                                   cken, die damals überall zur Architektur ge-       gehörte die jüdische Gemeinde zeitweise zu
                                                                                                                                                   hörten. Die hebräische Schrift auf dem dun-        den größten und bedeutendsten im Heiligen
                                                                                                                                                   kelblauen Hintergrund – keter tora (Krone der      Römischen Reich Deutscher Nationen. In der
                               Seite aus dem Nürnberger Machsor                                                                                    Tora) – zeigt, dass der Stein ursprünglich aus     Reichsstadt an der Pegnitz entfaltete sich eine
                                                                                                                                                   der Synagoge stammte.                              blühende jüdische Kultur und Gelehrsamkeit.
                                                                                                                                                                                                      Juden und Christen lebten Haus an Haus, man
                                                                                                                                                   Einst bildete er den Aufsatz für den Schrein, in   begegnete sich, spielte Karten oder machte
                               Im Zusammenhang mit jüdischer Geschichte löst der Name „Nürn-                                                       dem die Torarollen aufbewahrt wurden. Nach         Geschäfte miteinander. Zugleich sah sich die
                                                                                                                                                   der Vertreibung im Jahr 1499 wurde der Stein       jüdische Minderheit immer wieder abgrund-
                               berg“ ausgesprochen zwiespältige Gedanken aus. Wohl vielen fallen
                                                                                                                                                   zweckentfremdet und man mauerte ihn als            tiefem Hass und brutaler Gewalt ausgesetzt.
                               zuerst die nationalsozialistischen „Nürnberger Gesetze“ ein, mit de-                                                sichtbares Zeichen für dieses Ereignis später      Rund 1.200 Männer, Frauen und Kinder hat
                               nen das NS-Regime den antisemitischen Terror zur Rechtsordnung         „Judenstain“ in der Synagoge in der          in ein Nachbarhaus ein. 1909 erwarb die Kul-       ein Mob christlich getaufter Menschen in den
                                                                                                      Arno-Hamburger-Straße
                               des Staates machte.                                                                                                 tusgemeinde den „Judenstain“ und brachte           beiden furchtbaren Verfolgungswellen von
                                                                                                                                                   ihn über einer Gedenktafel in der Hauptsy-         1298 und 1349 ermordet. Ihr Schicksal und
                                                                                                                                                   nagoge an.                                         das der Menschen aus den anderen jüdischen
                               Trotz allem heute leben in Nürnberg wieder Jüdinnen und Juden und      Auf einzigartige Weise verdichtet sich die   Nach dem Abbruch der Synagoge im August            Gemeinschaften des Mittelalters hält ein ganz
                               sie bilden die zweitgrößte jüdische Gemeinde Bayerns.                  wechselvolle Geschichte Nürnberger Jüdin-    1938 im Keller des Polizeipräsidiums einge-        besonderes Buch für das Totengedenken fest,
                                                                                                      nen und Juden in einem Stein, der mit zwei   lagert, überdauerte er den Zweiten Weltkrieg       das „Nürnberger Memorbuch“. Es ist eine ein-
                                                                                                      Gedenktafeln heute in der Südwand der Sy-    und fand 1983 wieder einen angemessenen            zigartige Quelle für die Martyrien jüdischer
                                                                                                      nagoge in der Arno-Hamburger-Straße ein-     Platz in der neuen Synagoge des jüdischen          Menschen, aber auch für jüdisches Leben im
                                                                                                      gemauert ist.                                Gemeindezentrums.                                  mittelalterlichen „Deutschland“.

                                                                  4                                                                                                     5
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
NÜRNBERGER JÜDISCHE GESCHICHTE(N)                                                                                                                                                            70. MUSIKFEST ION

                                                                                                                                                     „So wird das
                                                                                                                                                     jüdisch-christliche Verhältnis
                                                                                                                                                     in Leben und Lehre
                                                                                                                                                     nur für den Besonnenen
                                                                                                                                                     einigermaßen lösbar,
                                                                                                                                                     der [...] bereit ist anzuerkennen,
                                                                                                                                                     daß auf Gottes Rosensträuchern
Weltberühmtes Metallspielzeug der Gebrüder Bing – wie beispielsweise hier die Bing-Bahn.
                                                                                                                                                     mehr als eine einzige Blüte
Den Namen der Stadt tragen auch kostbare         in allen Bereichen zur Modernisierung Nürn-        ein weiteres Produkt, dessen Markenname
Handschriften von einzigartigem kulturellem
und religiösem Wert: Unter ihnen ragt der der
                                                 bergs leisteten. Die Gebrüder Adolf (1842–
                                                 1915) und Ignaz Bing (1840–1918) bauten im
                                                                                                    ähnlich wie „Tempo“ lange Zeit als Inbegriff
                                                                                                    für Hygienebinden galt.
                                                                                                                                                     ein legitimes Wachstum
                                                                                                                                                     haben mag.“
„Nürnberger Machsor“ heraus, ein kostbar         späten 19. Jahrhundert eine Fabrik auf, die
ausgestattetes und reich verziertes mittelal-    weltberühmt für ihr Metallspielzeug war und        Die Brüder mussten 1933 vor der nationalso-
terliches Buch aus dem 14. Jahrhundert. Darin    die Nürnbergs Ruf als Spielzeugstadt unter-        zialistischen Herrschaft nach England fliehen.
sind zahlreiche Gebete, liturgische Dichtun-     strichen. Heinrich Berolzheimer (1836–1906)        Umgehend erzwangen die neuen Machthaber
gen, Festrollen und Prophetenlesungen für das    brachte die von seinem Vater mit einem Ge-         den Verkauf ihrer Firma, von der besonders
ganze jüdische Jahr gesammelt. Als Meister-      schäftspartner gegründete Bleistiftfabrik zur      der Quellegründer Gustav Schickedanz pro-        Zitiert nach Christian Wiese,
werk des mitteleuropäischen Judentums ist        Blüte und stiftete einen großen Teil seines        fitierte. 2010 drohte der 1923 erbauten statt-   Zwiespalt und Verantwortung der Nähe,
der Machsor heute im „Schrein des Buches“        Vermögens für wohltätige Zwecke. Dafür ist         lichen Villa der Brüder Rosenfelder der Abriss
                                                                                                                                                     in: Kalonymos 7
des Israelmuseums in Jerusalem ausgestellt.      er bis heute der einzige Mensch, den sowohl        zugunsten neuer Luxuswohnungen. Doch en-
                                                 Fürth als auch Nürnberg mit der Ehrenbür-          gagierte Bürgerinnen und Bürger retteten das     (2003/2004, Heft 3/4), S. 7.
Im späten 15. Jahrhundert war die jüdische       gerwürde ehrten.                                   Anwesen in der Virchowstraße nördlich des        Artikelfoto: iStockphoto.com
Minderheit wie in vielen anderen Orten und                                                          Stadtparks. Es wurde unter Denkmalschutz
Regionen auch den politisch Verantwortlichen     Die Freundinnen und Nachbarinnen Elise             gestellt und in den folgenden Jahren saniert.
in Nürnberg lästig geworden. 1498 erhielt der    Hopf (1865–1936) und Else Dormitzer (1877–
Rat der Stadt schließlich vom Kaiser die Er-     1958) zählten zu den bedeutendsten frühen          Nach der Schoah bildete sich wieder eine jü-
laubnis, die Juden auszuweisen. Im Februar       Frauenrechtlerinnen Bayerns. Elise Hopf grün-      dische Gemeinde. Sie zählt heute rund 2.200
und März 1499 mussten sie dann die Stadt         dete unter anderem die Nürnberger Ortsgrup-        Mitglieder, von denen die meisten aus den
verlassen. Erst seit 1850 durften sich Juden     pe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins         Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion
wieder dauerhaft in Nürnberg niederlassen.       mit und leitete später den Paritätischen Wohl-     eingewandert sind. Es gibt zwei Synagogen,
Die jüdische Gemeinde wuchs schnell und          fahrtsverband, Else Dormitzer arbeitete als        ein Seniorenheim, den Sportverein „TSV Mac-
weihte 1874 eine prächtige Synagoge am           Schriftstellerin und Journalistin. Sie war nicht   cabi Nürnberg e.V.“, Gemeinde- und Jugend-
Hans-Sachs-Platz ein. 1902 folgte das Bet-       nur Mitglied in der Gemeindevertretung der         gruppen, einen Chor und vieles mehr. Jüdin-
haus des orthodoxen Vereins Adas Israel in der   Nürnberger Kultusgemeinde, sondern auch            nen und Juden gestalten das öffentliche Leben
Essenweinstraße. Mit ihrer hoch aufragenden      die erste Frau im „Central-Verein deutscher        in der Stadt in Vereinen, im Stadtrat oder in
Kuppel prägte die Hauptsynagoge ebenso wie       Staatsbürger jüdischen Glaubens“.                  anderen Bereichen aktiv mit.
die Burg oder die Innenstadtkirchen das Bild
der Nürnberger Altstadt mit, bis Julius Strei-   Die Papiertaschentücher haben die Brüder Os-
                                                                                                                         Text:
cher im August 1938 ihren Abbruch verfügte.      kar und Emil Rosenfelder erfunden und 1929
                                                                                                                         Axel Töllner
                                                 unter der Marke „Tempo“ patentieren lassen.                             Artikelfotos:
So sichtbar wie die Hauptsynagoge, so ent-       Aus ihren „Vereinigten Papierwerken Nürn-                               André Freud und
                                                                                                                         Wikipedia
scheidend war auch der Beitrag, den Juden        berg“ stammt mit der „Camelia“-Damenbinde

                                                                          6                                                                                                          7
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
DER SCHOCKEN

                                                                                                                                                     Die Eröffnung des Kaufhauses Schocken             man Schocken beauftragte den bekannten           zu jüdischem Glauben und Kultur zusammen.
                                                                                                                                                     am 11. Oktober 1926 führte zu einem wahren        Architekten jüdischen Glaubens Erich Men-        Um den Juden in Deutschland Selbstbewusst-
                                                                                                                                                     Volksauflauf am Aufseßplatz in der Nürnber-       delsohn, ließ eine Postkarte von der Eröffnung   sein zu geben, gab er die „Bücherei des Scho-
                                                                                                                                                     ger Südstadt. Zwar wurde das Gebäude im           drucken und einen Film zur Eröffnung drehen,     cken-Verlags“ zu Themen jüdischer Kultur he-
                                                                                                                                                     Zweiten Weltkrieg zerstört, die Nürnberger        der den Nürnbergern das neue Gebäude vor-        raus. Sein größter Schatz ist das Nürnberger
                                                                                                                                                     und Nürnbergerinnen nannten aber auch den         stellen sollte. Das Kaufhaus mit seinen langen   Machsor, eine prächtig ausgestattete Gebets-
                                                                                                                                                     Neubau der Nachkriegszeit „den Schocken“ –        Fensterbändern, der nüchternen Klinkerfas-       sammlung des 14. Jahrhunderts aus Nürnberg
                                                                                                                                                     obwohl das Kaufhaus nach 1945 erst „Kauf-         sade und dem flach zum Aufseßplatz vor-          – zu sehen heute im „Shrine of the Book“ des
                                                                                                                                                     stätte Merkur“ hieß und dann zu anderen           springenden Eingangsbereich war in Nürn-         Israel-Museums in Jerusalem.
                                                                                                                                                     Kaufhausketten gehörte. Auch das jetzt dort       berg nichts weniger als das erste Gebäude
                                                                                                                                                     neu entstehende Gebäude mit Läden und             mit moderner Architektur.
                                                                                                                                                                                                                                                                          Zusammenstellung:
                                                                                                                                                     Wohnungen („Schocken-Carré“) wird bei vie-
                                                                                                                                                                                                                                                                          Dr. Alexander Schmidt,
                                                                                                                                                     len weiterhin „der Schocken“ heißen, auch         Dies gefiel nicht allen: Schon zur Eröffnung                       Historiker und Stadt-
                                                                                                                                                     wenn bei Weitem nicht alle wissen dürften,        startete Julius Streichers antisemitisches                         bilderklärer
                                                                                                                                                                                                                                                                          Artikelfoto:
                                                                                                                                                     was hinter diesem Namen steckt.                   Hetzblatt „Der Stürmer“ eine Kampagne ge-
                                                                                                                                                                                                                                                                          Sammlung Alexander
                                                                                                                                                                                                       gen Schocken. Ein Kaufhaus eines jüdischen                         Schmidt
                                                                                                                                                     Salman Schocken war Unternehmer, Verle-           Besitzers war ein rotes Tuch für die Natio-
                                                                                                                                                     ger und jüdischer Intellektueller. Nach einigen   nalsozialisten, die ab 1933 Boykotte vor dem
                                                                                                                                                     kleineren Warenhäusern in Sachsen war der         Haus veranstalteten und Schocken im Rah-
                                                                                                                                                     Nürnberger Schocken sein erstes Kaufhaus          men der „Arisierung“ enteigneten.
                                                                                                                                                     in einer Großstadt. Mit entsprechend großem       Salman Schocken lebte zu dieser Zeit bereits
                                                                                                                                                     Aufwand wurde das Projekt begonnen: Sal-          in Jerusalem und trug eine riesige Bibliothek

Postkarte zur Kaufhauseröffnung 1926, verschickt von einer Angestellten mit dem Text „umstehendes Bild zeigt ihnen, wie toll die Leute hier sind“.                                                                                              Tempo, Tempo
                                                                                                                                                                                                                                                Bayern in den 1920ern
                                                                                                                                                                                                                                                Ausstellung bis 10. Oktober 2021

Der Schocken
                                                                                                                                                                                                                                                Äußere Sulzbacher Straße 62
                                                                                                                                                                                                                                                Di–Fr 9–17 Uhr · Sa, So 10–18 Uhr
                                                                                                                                                                                                                                                museum-industriekultur.de

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   2021-07 www.udo-bernstein.de
Ein Stück jüdische Kultur mitten in Nürnberg

                                                                          8                                                                                                                                                9
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
VON A BIS Z                                                                                                                                                                                                                                           VON A BIS Z

                                                                                                               Klagemauer ist der Rest des 2. Jerusalemer         Rabbiner haben die Aufgabe, die -> Tora zu       Tempel in Jerusalem ist das Zentrum des
                                                                                                               -> Tempels und die wichtigste heilige Stätte       lehren. Die Kurzform „Rabbi“ steht für einen     jüdischen Glaubens. Der erste Tempel aus
                                                                                                               des Judentums.                                     Gelehrten der jüdischen Religion.                der Zeit des Königs Salomo wurde um 586
                                                                                                                                                                                                                   v. Chr. von den Neubabyloniern zerstört. Vom
                                                                                                               Koschere Speisen entsprechen den jüdischen         Schabbat (in der Lutherbibel: Sabbat) ist im     Tempelneubau (ab dem 6. Jahrhundert v. Chr.,
                                                                                                               Speisegesetzen der -> Tora. Demnach wer-           Judentum der siebte Wochentag, an dem kei-       später mehrfach renoviert, zerstört von den
                                                                                                               den die Lebensmittel eingeteilt in solche, die     ne Arbeit verrichtet werden soll. Seine Ein-     Römern 70 n. Chr.), existiert nur noch die ->
                                                                                                               erlaubt („koscher“) sind und solche, die nicht     haltung ist eines der -> Zehn Gebote. Er be-     Klagemauer.
                                                                                                               erlaubt sind („treife“). Sehr vereinfacht gelten   ginnt mit dem Sonnenuntergang am Freitag
                                                                                                               Landtiere, die Paarhufer und Wiederkäuer sind      und dauert bis zum Eintritt der Dunkelheit am    Tora (mit Betonung auf dem a) ist der wich-
                                                                                                               (z. B. Ziegen, Rinder) [beide Kriterien müs-       darauffolgenden Samstag. Das Christentum         tigste Teil der hebräischen Bibel, die „Tanach“
                                                                                                               sen erfüllt sein] oder Fische mit Flossen und      hat im Lauf der Zeit Elemente des jüdischen      genannt wird. Die Tora besteht aus den fünf
                                                                                                               Schuppen als koscher (z. B. ist Aal nicht er-      Schabbats für die Feier des Sonntags, dem        Büchern Mose. Zu dieser „schriftlichen“ Tora
                                                                                                               laubt). Außerdem dürfen Milchprodukte nicht        Tag der Auferstehung Jesu, übernommen.           gehört noch die ursprünglich „mündliche“
                                                                                                               mit Fleisch gemischt werden. Deshalb gibt                                                           Tora. Sie erklärt ähnlich wie das Neue Tes-
                                                                                                               es in der koscheren Küche unterschiedliches        Schma Jisrael (deutsch: „Höre Israel“) ist das   tament, wie man die oft kurzen und mehr-
                                                                                                               (Koch-)Geschirr.                                   wichtigste Gebet des Judentums, benannt          deutigen Gebote aus der Bibel verstehen soll.
                                                                                                                                                                  nach den Anfangsworten aus 5. Mose 6,4-9.        Die Grundlage der mündlichen Tora bilden die
                                                                                                               Laubhüttenfest (hebräisch: Sukkot) wird im         Es ist das Bekenntnis zur Einzigartigkeit Got-   Mischna und der Talmud.
                                                                                                               Herbst gefeiert, fünf Tage nach -> Jom Kippur.     tes und zum Gebot der Gottesliebe und wird
                                                                                                               Es erinnert an den Auszug aus Ägypten, als         täglich mehrfach gesprochen.                     Zehn Gebote sind eine direkte Rede Gottes

              Von A bis Z                                                                                      die Israeliten bei der Wüstenwanderung nur                                                          an sein Volk, die Israeliten. Sie fassen Gottes
                                                                                                               in provisorischen Behausungen und unter frei-      Synagoge ist ein Gebäude für die Versamm-        Willen für das Verhalten der Menschen ge-
                                                                                                               em Himmel übernachteten. Das Fest dauert           lung der jüdischen Gemeinde und zum Feiern       genüber ihm (1.–4. Gebot) und den Mitmen-
              Jüdische Religionsbegriffe                                                                       sieben Tage und geht in das „Torafreudenfest“      des gemeinsamen Gottesdienstes. Die christ-      schen (5.–10. Gebot) zusammen. Sie haben
                                                                                                               über, das besonders bei Familien mit Kindern       lichen Gottesdienste sind davon maßgeblich       im Judentum und im Christentum zentrale
                                                                                                               beliebt ist.                                       beeinflusst worden.                              Bedeutung.

              Aron ha-Kadesch (deutsch: Toraschrein): Hier    Eretz Israel ist die traditionelle, hebräische   Matze (deutsch: ungesäuertes Brot) ist ein                                                                             Zusammenstellung:
              werden die Torarollen in der Synagoge auf-      Bezeichnung für das Gelobte Land, das in der     dünner Brotfladen, der während -> Pessach                                                                              Paul Schremser
                                                                                                                                                                                                                                      Artikelfoto:
              bewahrt.                                        Bibel „Kanaan“ genannt wird und in dem die       gegessen und aus Wasser mit einer der fünf
                                                                                                                                                                                                                                      iStockphoto.com
                                                              Israeliten sesshaft wurden.                      Getreidearten Weizen, Roggen, Gerste, Hafer
              Beschneidung ist die Entfernung der Vorhaut                                                      oder Dinkel ohne Treibmittel hergestellt wird.
              des männlichen Gliedes acht Tage nach der       Gebetsriemen (hebräisch: Tefillin) sind ein      Er erinnert daran, dass die Israeliten beim Auf-
              Geburt. Zentrales Zeichen für den Bund Got-     Paar schwarze, mit Lederriemen versehene,        bruch aus Ägypten keine Zeit hatten, den Teig
              tes mit dem Volk Israel nach 1. Mose 17. Auch   kleine lederne Gebetskapseln. Das Anlegen        für die Brote säuern zu lassen.
              Jesus wurde acht Tage nach seiner Geburt be-    zum Morgengebet an Werktagen dient als Mah-
              schnitten (Lukas 2,21).                         nung Gottes, die Gebote der -> Tora zu halten.   Menora, der siebenarmige Leuchter des 2. Je-
                                                                                                               rusalemer -> Tempels, ist das Symbol des Ju-
              Chanukka (deutsch: Lichterfest) ist ein acht    Ivrit ist das moderne Hebräisch und eine der     dentums.
              Tage dauerndes Fest zur Erinnerung an die       Amtssprachen in Israel.
              Wiedereinweihung des -> Tempels im Jahr 164                                                      Omer-Zählen bezeichnet das rituelle Zählen
              v. Chr. (3597 nach jüdischer Zeitrechnung).     Jom Kippur (deutsch: Versöhnungstag) ist         der 49 Tage zwischen den Festen -> Pessach
              Das Fest wird Ende November/Anfang De-          der höchste jüdische Feiertag, ein strenger      und Schawout. Dieses Fest erinnert an den
              zember gefeiert. Jeden Tag wird am Chanuk-      Ruhe- und Fastentag. Weil der jüdische Ka-       Empfang der -> Tora am Berg Sinai.
              ka-Leuchter eine weitere Kerze angezündet,      lender sich nach dem Mond richtet, verändern
              bis alle acht Kerzen brennen.                   sich alle jüdischen Feste gegenüber dem Gre-     Pessach (in der Lutherbibel: Passa) erinnert
                                                              gorianischen Kalender. Jom Kippur wird im        an die Befreiung der Israeliten aus der Sklave-
              Davidstern, benannt nach König David, ist       September/Oktober gefeiert.                      rei in Ägypten. Es ist ein Familienfest im Früh-
              ein Hexagramm-Symbol, das als Symbol des                                                         ling mit verschiedenen Riten, unter anderem
              Volkes Israel gilt.                             Kippa ist eine vor allem in der Ausübung         dem Verzehr von -> Matze. Die Evangelien
                                                              der Religion gebräuchliche Kopfbedeckung         deuten das Abendmahl, das Jesus im Kreis
                                                              männlicher Juden.                                seiner Jünger gefeiert hat, als Pessachmahl.

                                     10                                                                                                                                              11
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
ZIEL: EIN LEBENDIGES MITEINANDER                                                                                                                                                                                                                    ZIEL: EIN LEBENDIGES MITEINANDER

                                                                                                                                    Dabei hat sich mir natürlich die Frage aufge-     Beabsichtigt ist die Einrichtung eines Fach-        halten: welche Persönlichkeiten jüdischen
                                                                                                                                    drängt, für wen sind denn die „1700 Jahre“ so     gremiums, das – mit Fachleuten der verschie-        Glaubens haben hier vor der Nazidiktatur
                                                                                                                                    wichtig? Und warum gerade jetzt? Die Be-          denen infrage kommenden Disziplinen besetzt         gelebt, was haben sie gemacht und was ist
                                                                                                                                    antwortung dieser Frage überlasse ich den         und natürlich mit mehreren starken jüdischen        für immer verloren gegangen? Die Lern-
                                                                                                                                    geneigten Lesern.                                 Stimmen – das Projekt formt und das Konzept         inhalte werden zusammen erarbeitet.
                                                                                                                                                                                      erstellt. Ihm zur Seite stellen wir einen Beirat.   Dazu Ruheorte zum Entspannen, Rückblicken,
                                                                                                                                    Bei meiner Rede zur „Nacht der Schande“ im        In diesem Beirat sollen alle politischen Ebenen     Innehalten, zum Lesen. Ein Café, ein Restau-
                                                                                                                                    November 2020 habe ich dann zum ersten            vertreten sein, damit das Projekt von Anfang        rant sind angedacht. Wie schmeckt koscheres
                                                                                                                                    Mal auf das Fehlen jeglicher zentraler Orte       an mit der unbedingt notwendigen politischen        Essen und wie bereitet man es zu? Warum ist
                                                                                                                                    des Erinnerns an einen wichtigen Teil des         Unterstützung konkret wird. Am 24. März be-         bei den Juden die Beschneidung der männli-
                                                                                                                                    reichen und blühenden Lebens in Nürnberg          schloss der Stadtrat einstimmig eine Resolu-        chen Nachkommen so wichtig? Öffnung für
                                                                                                                                    hingewiesen.                                      tion, die unter anderem beinhaltet, dass eine       alle, Jung und Alt, offen für alle Ethnien und
                                                                                                                                                                                      Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben wird          Religionen – mit Diskussionen, Workshops
                                                                                                                                    Was haben die Politiker Max Süßheim und           für eine Begegnungsstätte. Dieses Projekt ist       und Seminaren.
                                                                                                                                    David Morgenstern, die Frauenrechtlerinnen        jetzt an der Stadtspitze angesiedelt, mit Ober-
                                                                                                                                    Elise Hopf und Else Dormitzer, die Industriel-    bürgermeister Marcus König an der Spitze.           Ein Begegnungsort dieser Ausrichtung wäre

Ziel: Ein lebendiges Miteinander                                                                                                    len und Mäzene Carl Marschütz und Heinrich
                                                                                                                                    Berolzheimer und der Erfinder des Tempo-Ta-
                                                                                                                                    schentuchs Oskar Rosenfelder, der Hopfen-
                                                                                                                                                                                      Ein Aktionsplan besteht bereits.

                                                                                                                                                                                      Inzwischen hat sich ein Gemeinderat in der
                                                                                                                                                                                                                                          einmalig in Deutschland und stünde unserer
                                                                                                                                                                                                                                          Stadt gut zu Gesicht. Eine breite Zustimmung
                                                                                                                                                                                                                                          zu erfahren für diese Idee, von allen Parteien
                                                                                                                                    händler Ludwig Freiherr von Gerngross, der        Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg              des politischen Spektrums und vielen Mitbür-
                                                                                                                                    Physiker und Mathematiker Professor Lud-          (IKGN) gebildet und über Inhalte diskutiert.        ger*innen, war sehr beeindruckend und hat
                                                                                                                                    wig Hopf gemeinsam? Ja, sie waren Juden           Im Sommer sehen wir uns noch einmal. Da-            uns mit Dank und Freude erfüllt.
Am Anfang stand eine Idee, die im Laufe der Zeit eine Metamor-                                                                      und Nürnberger und alle stolz, Nürnberg in        nach kommt es zu einem Treffen mit den Ver-
phose, eine Wandlung durchgemacht hat, wie viele Ideen. Wie ist                                                                     der ganzen Welt berühmt gemacht zu haben.         antwortlichen der Stadt Nürnberg.                   Zunächst folgt also eine Machbarkeitsstudie.
die Idee entstanden und um welche Idee handelt es sich? Manchmal                                                                    Und dies sind nur einige wenige Persönlich-
                                                                                                                                    keiten, ohne die Nürnberg nicht Nürnberg ge-      In der ersten Sitzung hat das Gremium die           Ich möchte es nicht versäumen, dem Ober-
ist Enttäuschung ein guter Motivator.
                                                                                                                                    worden wäre.                                      folgenden Inhaltsschwerpunkte erarbeitet:           bürgermeister Marcus König, der Kulturrefe-
                                                                                                                                                                                      Kein weiteres Museum in Nürnberg, sondern           rentin Julia Lehner und den Fraktionsvorsit-
                                   Die Stadt Nürnberg hat sich im Jahr 2020        meinten, Experten zu sein. Fast immer ohne       Die vorher erwähnte Idee war, es sollte ein       eine lebendige Stätte des Miteinanders. Dem         zenden der demokratischen Parteien für ihre
                                   bekanntlich um den Titel der europäischen       diejenigen, die es betrifft. Gönnerhaft unter-   zentraler Ort in unserer Stadt entstehen und      Antisemitismus entgegentreten mit Offenheit         Solidarität und ihre Unterstützung für das
                                   Kulturhauptstadt beworben. Im Zuge dieser       breitete man dann die Ergebnisse und erwar-      zwar mitten in der Stadt, ein Ort der Erinne-     und Aufklärung. Die meisten unserer Mitbür-         Projekt besonders zu danken. Dank auch an
                                   Bewerbung wurden wir als Israelitische Kul-     tete stehenden Applaus von den Betroffenen.      rung, der Aufklärung und des Nachdenkens.         ger*innen haben noch nie einen Juden gese-          alle Menschen, die uns geschrieben und die
                                   tusgemeinde im Sommer 2020 ins Kulturrat-       Man ist anwesend, wird aber nicht zur Kennt-     Wir wussten auch damals schon, dass es be-        hen. Kein Wunder, denn bei der Anzahl der in        uns ermuntert haben. Wir hoffen, dass sie uns
                                   haus eingeladen. Die Juden der Stadt sollten    nis genommen. Fremdbestimmt. Das soge-           reits viele Aktivisten in Nürnberg gab, unter     Deutschland lebenden Juden (rund 120.000),          weiter begleiten werden.
                                   in der Bewerbungsschrift auch erwähnt wer-      nannte „blühende jüdische Leben“ in unserem      denen sich zum Beispiel Studierende der Ar-       ist es wahrscheinlicher im Lotto zu gewinnen,
                                   den. Die vorgestellten Konzepte und Inhalte     Land, die jungen Juden, der Neuaufbau, die       chitektur befanden, die gerade zu dieser Zeit,    als einen Juden zu treffen. Es gibt ein Bild vom    Möge das Begegnungszentrum bald entste-
                                   wurden ohne Rücksprache mit der jüdischen       neuen Aufgaben, Integration und das echte        (oder endlich, 75 Jahre nach Kriegsende) unter    Juden, das geprägt ist von jahrtausendealten        hen.
                                   Gemeinde Nürnbergs entwickelt. Unserer          Leben, spielten eine untergeordnete oder kei-    der Leitung ihres Professors Michael Stöß-        Vorurteilen. Aber „echte" Jüdinnen und Juden,
                                   Meinung nach waren die Ideen weder relevant     ne Rolle. Ich will aber auch nicht verschwei-    lein, einen Ort der Sichtbarkeit jüdischen Le-    selbstbestimmte Menschen, die sich hier in
                                   für Nürnberg, noch nahmen sie das jüdische      gen, dass es auch einige wenige Initiatoren      bens als Bachalorarbeit planten: Ein Gebäu-       Deutschland zu Hause fühlen, die hier ihre          Text: Jo-Achim Hamburger
                                   Hier und Jetzt zur Kenntnis.                    gab, die durchaus mit Weitblick und Trenn-       de, eingebunden in die Topografie der Stadt.      Bräuche und Traditionen pflegen, darüber
                                   Ein Projekt, das die Beteiligten nicht mit-     schärfe die richtigen Leute an Bord genom-       Während dieser Rede bat ich also den Ober-        hat man sich bis jetzt zu wenig Gedanken
                                   nimmt, ist zum Scheitern verurteilt.            men haben.                                       bürgermeister, ein solches Projekt auf die Pri-   gemacht. Man weiß also wenig über das Ju-
                                                                                   Bei einem Gedenkjahr, das 1700 Jahre um-         oritätenliste zu setzen.                          dentum. Dies soll sich ändern.
                                   Am Horizont zeichneten sich schon die man-      fassen soll, besteht natürlich auch immer die
                                   nigfaltigen Vorbereitungen anlässlich des Ju-   Gefahr einer Verklärung der Vergangenheit.       Aus dieser Gemengelage haben wir diese Vi-        Mit Darstellung zeitgenössischen jüdischen
                                   biläumsjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in    Pogrome, Morde, Verfolgung und Leid der Ju-      sion dann gemeinsam mit der Stadt Nürnberg        Lebens, jüdischer Literatur, Theater, Kino,
                                   Deutschland“ in Nürnberg ab. Die Befürch-       den spielten aber während dieser 1700 Jah-       nach und nach modifiziert. Der Spannungs-         Tanz und Malerei, Wechselausstellungen,
                                   tung war groß, dass wiederum Themen wie         re eine große Rolle, wenn nicht eine traurige    bogen soll in das Hier und Jetzt führen. Ge-      Einführungen in die jüdische Religion und
                                   Friedhöfe, alte, renovierte Synagogen, in de-   Hauptrolle.                                      meinsam Judentum erleben, Spaß und Freude         Vorträgen zu dem, was uns verbindet oder
                                   nen keiner mehr betet, Ritualgegenstände und    Nüchtern betrachtet bleiben vielleicht 80 Jah-   vermitteln und immer wieder Begegnungen.          trennt und wie wir zusammenkommen. Was
                                   die Schoah im Mittelpunkt der Feierlichkeiten   re, von denen man sagen kann, dass es ein        Klar ist, dass unsere kleine Gemeinde zwar        sind die Charakteristika der jüdischen Reli-
                                   stehen würden.                                  gleichberechtigtes und glückliches Neben-        den Anstoß geben kann. Den Stab überneh-          gion, deren Ethik, und warum verstehen sich
                                   Und so kam es auch. Menschen, gutmeinende       einander zwischen deutschen Juden und der        men und das Gesamtkonzept erstellen sollten       die Juden als „Schicksalsgemeinschaft“ und
                                   Menschen, haben sich der Sache angenom-         Mehrheitsbevölkerung gegeben hat.                dann aber andere.                                 die Beziehung zum jüdischen Staat. Und
                                   men. Experten allesamt oder auch solche, die                                                                                                       immer wieder braucht es Inseln zum Inne-

                                                          12                                                                                                                                               13
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
ANTISEMITISMUS IN DER SPR ACHE                                                                                                                                                                        ANTISEMITISMUS IN DER SPR ACHE

                                                                         Worte haben immer einen Klang. Auch und           Es kommt vom jiddischen Sachern. Sachern                 Wie aber verhält es sich mit den Begriffen
                                                                         gerade der Antisemitismus hat in unserer          bedeutet im Jiddischen ganz einfach Handel               semitisch, mosaisch oder israelitisch, die das
                                                                         Sprache viele Spuren hinterlassen. Den meis-      treiben, ohne jeden abwertenden Unterton.                Wort jüdisch umschreiben? Sie sind für Stein-
                                                                         ten ist das gar nicht bewusst. Aber derzeit       Abwertend wird es erst im deutschen Ge-                  ke „Synonyme zum Davonlaufen“.
                                                                         schärfen immer mehr Menschen ihre Acht-           brauch als Lehnwort. Nicht der lexikalische

Auf die Wortwahl kommt es an
                                                                         samkeit dafür, dass und wie allein die Wahl       Inhalt, sondern allein die jiddische Herkunft            Warum das so ist?
                                                                         unserer Worte politisch ist. Viele Bereiche des   sorgt für eine negative Deutung dieses an-               Lesen Sie selbst.
                                                                         gesellschaftlichen Lebens sind von offenem        sonsten wertneutralen Wortes. Die deutsche               Acht Euro, die sich lohnen.

– mehr denn je!                                                          oder subtilem Antisemitismus durchzogen.
                                                                         Oft tritt er uns versteckt auch in der Alltags-
                                                                         sprache entgegen.
                                                                                                                           Sprache macht daraus ‚handeln wie ein Jude‘.“

                                                                                                                           Ein drittes Beispiel: Das Wort Mauscheln.
                                                                                                                                                                                                              Text:
                                                                                                                                                                                                              Annette Lichtenfeld
                                                                                                                           „Mauschelei bei der Bankenfusion“ oder                                             Artikelfoto:
Antisemitismus in der Sprache                                            Ronen Steinke ist Journalist bei der Süddeut-     „Mauschelei im Gemeinderat“ lesen wir in                                           imagoimages

                                                                         schen Zeitung und hat 2020 das Büchlein „An-      den Schlagzeilen der Zeitungen. Der jüdische
                                                                         tisemitismus in der Sprache | Warum es auf die    Vorname Moses oder Mosche – im deutschen
                                                                         Wortwahl ankommt“ verfasst.                       Sprachraum Mauschel –, wurde als pars pro
                                                                                                                           toto, als (Spott-)Name für alle Juden verwen-                INFOS ZUM BUCH
Wie leicht oder wie schwer fällt es Ihnen, das Wort Jude auszuspre-      Jiddische Wörter wie Mischpoke, mauscheln,        det. Der Mauschel war also der Jude. Mau-
chen? Es ist so negativ belastet, dass die meisten Menschen es un-       schachern sind Teil der deutschen Alltags-        scheln drückt damit aus: Jemand redet wie                    Antisemitismus in der Sprache:
                                                                         sprache geworden. Doch ihre Bedeutung ist         ein Jude – und zwar negativ.
willkürlich vermeiden. Darum reden wir – wenn überhaupt – lieber von                                                                                                                    Warum es auf die Wortwahl ankommt
                                                                         oft negativ besetzt. Steinke erklärt, wie ur-                                                                  (Duden-​Sachbuch) Ronen Steinke
Menschen jüdischen Glaubens. „Bleiben wir doch lieber bei Juden“, so     sprünglich neutrale Bezeichnungen juden-          „Man mag es vielleicht mit der Intention ver-                Duden, 2020
Michael Wuliger, Kolumnist der „Jüdischen Allgemeinen“. Er schreibt:     feindlich geworden sind, und wirbt für sprach-    wenden, die vollkommen unschuldig ist, dass
„Das sind wir. So heißen wir. Geben wir dem Wort seinen alten, stolzen   liche Sensibilität im Alltag.                     man ausdrücken möchte, hier werden irgend-                   Ronen Steinke (* 1983 in Erlangen) ist pro-
                                                                                                                           wie korrupte Dinge besprochen, hinter vor-
Klang zurück!“                                                                                                                                                                          movierter Jurist, Journalist und Buchautor.
                                                                         Das Wort Mischpoke bedeutete in der Jiddi-        gehaltener Hand im Gemeinderat oder wie
                                                                         schen Sprache, die vor 100 Jahren noch von        auch immer. Aber man greift damit ein altes                  ISBN: 978-3411743759
                                                                         ca. 10 Millionen Menschen weltweit gespro-        antisemitisches Klischee auf und verbreitet                  Taschenbuch
                                                                         chen wurde, einfach Familie – mischpoche.         es weiter“, so Steinke. Und diese Sprechwei-                 Preis: 8 Euro
                                                                         Es hatte weder einen positiven noch nega-         se ist toxisch.
                                                                         tiven Klang.
                                                                                                                           Mit seinem Buch will Ronen Steinke ganz si-
                                                                         Eingedeutscht aber hat es einen anrüchigen        cher nicht Wörter verbieten. Aber es geht ihm
                                                                         Beiklang erhalten, etwa im Sinne einer ver-       um dringend gebotene Aufklärung und Un-
                                                                         schworenen Gemeinschaft. Steinke schreibt:        terscheidung. Denn manche eingedeutsch-
                                                                         „Es ist also ein Bedeutungswandel. Wenn man       ten jiddischen Begriffe wie Tacheles (Klartext),
                                                                         heute von Mischpoke spricht im Deutschen,         Schlamassel (Unglück) oder meschugge (ver-
                                                                         hat es immer etwas Sinistres, Dubioses, ent-      rückt) haben im Deutschen denselben Sinnge-
                                                                         weder ein korrupter Zusammenhang oder ir-         halt wie im Original ihrer Herkunft und damit
                                                                         gendwie eine dunkle Seilschaft. Und dieser        keine negative Konnotation.
                                                                         Bedeutungswandel ist nur dadurch zu erklä-
                                                                         ren, dass ein gewisses Bild von Jüdinnen und
                                                                         Juden abgefärbt hat auf dieses Wort. Dieser
                                                                         Bedeutungswandel ist etwas, was antisemi-
                                                                         tisch ist. Deswegen von dem Wort Misch-                                          Bestattungs- und Überführungsinstitut
                                                                         poke in der Verwendung als irgendwie Ne-
                                                                         gativ-Wort sollte man Abstand nehmen, um
                                                                                                                                                                                                       Rummel
                                                                                                                                                                                                        BESTATTERMEISTER
                                                                         nicht dieses antisemitische Bild, dieses Ste-                                                                                  Jederzeit erreichbar
                                                                         reotyp zu nähren und zu affirmieren.“                                                                                          Alle mit einem Sterbefall
                                                                                                                                                                                                        verbundenen Angelegenheiten
                                                                                                                                                                                                        erledigen wir zuverlässig und
                                                                                                                                                                                                        vertrauensvoll aus einer Hand.
                                                                         Ebenso eingedeutscht ist das Wort Scha-                                               Mitglied des                                    Text:
                                                                                                                                                                                                              Axel Töllner
                                                                         chern. Dazu Steinke:                                                              “Landesfachverbandes
                                                                                                                                                      Bestattungsgewerbe Bayern e.V.”
                                                                                                                                                                                                              Tel.:0911 / 83 17 87
                                                                                                                                                                                                              Artikelfotos:
                                                                                                                                                                                                              Fax: 0911 / 83 25 270
                                                                         „Geschacher um Ministerposten, so liest man                                                                                          xxx
                                                                                                                                                      Burgschmietstraße
                                                                                                                                                      Oedenbergerstr. 4941– 43                          Fischbacher Hauptstraße 185
                                                                         manchmal. Gemeint ist übles, feilschendes                                    90491 Nürnberg
                                                                                                                                                      90419 Nürnberg                                              90475 Nürnberg
                                                                         Geschäftemachen.                                                             www.bestattungen-rummel.de                          Email: rummel@maxi-dsl.de
                                                                                                                                                               T H A N AT O P R A K T I K E R   VOM   HANDWEWRK GEPRÜFT

                                                      14                                                                                       15
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
INTERVIEW                                                                                                                                                                                                                                     INTERVIEW

                                                                                                     Seit über 70 Jahren versuchen die Gesellschaf-      her erzählen konnten. Jetzt kommt es darauf        Zur Person
                                                                                                     ten für christlich-jüdische Zusammenarbeit –        an, die jüngere Generation neu anzusprechen.
                                                                                                     mit vielen Partnern – die alten Vorbehalte und                                                         Geboren und aufgewachsen ist Ruth
                                                                                                     tief verwurzelten Haltungen der Abwehr und          Wie soll und kann das gelingen?                    Ceslanski in Ansbach. Ihr Vater hatte das
                                                                                                     Abwertung zu überwinden. Trotzdem erleben           Ich glaube, der Etz-Chaim-Pokal unserer Ge-        KZ überlebt, starb aber, als sie gerade mal
                                                                                                     wir wieder eine erschreckende Welle von üb-         sellschaft ist ein guter Ansatz. Er wandert seit   zwei Jahre alt war. Ihr deutlich älterer Halb-
                                                                                                     len Beschimpfungen und roher Gewalt gegen           ein paar Jahren von einer Schule zur nächs-        bruder Rudi hatte das Glück, mit einem Kin-
                                                                                                     jüdisches Leben in Deutschland. Waren alle          ten und ist jeweils Anstoß und Verpflichtung,      dertransport nach England der sonst siche-
                                                                                                     Bemühungen vergeblich?                              sich auf kreative Weise mit Ausgrenzung und        ren Vernichtung zu entgehen.
                                                                                                     Ruth Ceslanski: So pessimistisch bin ich            der Überwindung von menschenverachten-
                                                                                                     nicht. Ich glaube, wir haben durchaus eini-         den Einstellungen auseinanderzusetzen. Jede        Selbstverständlich seien in ihrer Familie, er-
                                                                                                     ges erreicht – und mit „wir“ meine ich natür-       Schule ist aufgerufen, sich etwas einfallen zu     innert sie sich, Schabbat und die Feste ge-
                                                                                                     lich nicht nur unsere Gesellschaft und alle,        lassen und möglichst viele Schülerinnen und        feiert worden. Aber ein Rabbiner kam nur ab
                                                                                                     die uns unterstützen oder begleiten. Zugleich       Schüler zu beteiligen. Die bisherigen Ergeb-       und zu aus Nürnberg in die Markgrafenstadt.
                                                                                                     erschüttert es mit mir sicher viele Menschen,       nisse sind beachtlich – wir freuen uns, dass
                                                                                                     diese offenbar tief sitzenden Stereotypen und       das Projekt selbst in Corona-Zeiten nicht ganz     Die offene, unorthodoxe Mutter empfahl der
                                                                                                     Vorurteile zu erleben, mehr noch: diese Ab-         auf Eis gelegt war.                                Tochter, sich den katholischen und den evan-
                                                                                                     neigungen und Aggressionen. Dabei gehö-                                                                gelischen Religionsunterricht „einfach mal
                                                                                                     ren wir doch alle zu einer Gattung, so unter-       Oft werden Jüdinnen und Juden in Deutsch-          anzuhören“. Doch da sei sie sich im Inners-
                                                                                                     schiedlich das Aussehen sein mag, aber unter        land auf politische Positionen und Probleme        ten ihrer Identität bereits gewiss gewesen.
                                                                                                     dieser dünnen Schicht sind alle gleich. Das         von und in Israel angesprochen. Ärgert Sie das
                                                                                                     zu begreifen, kann eigentlich nicht so schwer       oder empfinden Sie das als verletzend?                              Interview:
                                                                                                                                                                                                                             Wolfgang Heilig-Achneck
                                                                                                     sein. Wie da rassistische Einstellungen über-       Nein, es ist nur einfach vollkommen abwe-
                                                                                                                                                                                                                             Artikelfoto:
                                                                                                     haupt möglich sind, kann ich irgendwie nicht        gig und unpassend. Für mich ist Israel gewiss                       privat
                                                                                                     nachvollziehen.                                     ein besonderes Land, dem ich mich verbun-
                                                                                                                                                         den fühle. Aber ich
                                                                                                     Hilft es vielleicht, sich darüber zu wundern,       bin in Deutschland
                                                                                                     dass sich manche durch Abwertung anderer            geboren und aufge-
                                                                                                     besser fühlen – und das offenbar für ihr Ego        wachsen und lebe
                                                                                                     benötigen?                                          hier gerne – und bin
                                                                                                     Wir müssen an die Wurzeln ran, wie Rassis-          keine Staatsbürgerin
                                                                                                     mus entsteht, das bedeutet ja keineswegs,           von Israel. Wir Juden
                                                                                                     dass wir uns alle lieben müssten. Respekt soll-     in Deutschland ha-
                                                                                                     te allerdings das Mindeste sein. Aber ich bin       ben weder Einfluss
                                                                                                     keine Psychologin – und ich bezweifle, dass         noch Verantwortung

„Weiter tragen, was bisher
                                                                                                     wir allein mit Psychologie weiterkommen. Ich        für das, was dort ge-
                                                                                                     glaube: Da sind letztlich alle gefordert, von der   schieht – so sehr es
                                                                                                     Politik über die Wirtschaft bis zur Kultur – und    uns berühren mag.

 Zeitzeugen erzählten“                                                                               jeder einzelne in seinem Bereich.

                                                                                                     Seit sieben Jahren vertreten Sie Ihre Religion
                                                                                                                                                         Und es wird auch
                                                                                                                                                         unter uns manchen
                                                                                                                                                         geben, der das po-
                                                                                                     im Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdi-   litische Geschehen
Interview mit Ruth Ceslanski, der jüdischen Vorsitzenden der
                                                                                                                                                                                       Zu Hause in
                                                                                                     sche Zusammenarbeit. Und jeder, der Sie trifft,     und die Regierung
                                                                                                     spürt: Sie sind mit einer großen Portion Herz-      kritisch     beurteilt.
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
                                                                                                     blut dabei. Wie kam es dazu?                        Aber das Land und
                                                                                                     Ich gehöre ja schon zu einer Generation, die
                                                                                                     erst nach der Schoah geboren wurde. Ich kann
                                                                                                     nicht aus eigener Erfahrung von Verfolgung
                                                                                                                                                         der Staat selbst ha-
                                                                                                                                                         ben auch für Jüdin-
                                                                                                                                                         nen und Juden eine
                                                                                                                                                                                       guten Händen
                                                                                                     und Erniedrigung im Alltag der NS-Zeit und          Bedeutung, die ihn            Unterwegs in:        Ambulanter Pflegedienst
Begegnung, Dialog und Überwindung von Vorurteilen und Vorbehalten: Dafür steht, wie wenige                                                                                                 Innenstadt       Diakonie Team Noris
                                                                                                     all den Gräueln in den Konzentrations- und          nicht als ihre Heimat
andere in der Stadt, Ruth Ceslanski. Im Hauptberuf Übersetzerin, lebt sie privat eher zurückge-                                                                                           Gebersdorf        Bertha-von-Suttner-Str. 45
                                                                                                     Vernichtungslagern berichten. Aber natürlich        sehen.
zogen, aber als jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit                                                                                                Großreuth       90439 Nürnberg
                                                                                                     war ich in meiner Familie ganz unmittelbar mit
in Franken ist sie vielen Bürgern bekannt – erst recht allen, die sich ebenfalls für Verständigung                                                                                       Röthenbach         T. (0911) 660 910 80
                                                                                                     dem Verlust von Angehörigen und Berichten
und vor allem die Überwindung des Antisemitismus engagieren. Der Citykirche stand sie für                                                                                                 Schweinau         info@diakonie-team-noris.de
                                                                                                     von Überlebenden konfrontiert. Nur: Bald sind
ein paar Fragen Rede und Antwort.                                                                                                                                                       St. Leonhard
                                                                                                     keine Zeitzeugen mehr unter uns. Deshalb will
                                                                                                                                                                                        Sündersbühl         www.diakonie-team-noris.de
                                                                                                     ich dazu beitragen, sozusagen ein Fenster auf-                                       Hasenbuck
                                                                                                     zumachen, um weiterzutragen, was diese bis-

                                                                           16                                                                                                 17
AUGUST & SEPTEMBER 2021 - Citykirche
JUDENT UM IST KEINE VERGANGENE RELIGION                                                                                  JUDENT UM IST KEINE VERGANGENE RELIGION

                                                                     Wer mit offenen Augen die beiden größten           Juden haben bedeutende Dinge ermöglicht
                                                                     Kirchen der Stadt besucht, kann auf Bildern

„Judentum ist keine
                                                                     und Skulpturen erkennen, auf welche Weise          Diese Bilder müssten erklärt werden und
                                                                     Menschen jüdischen Glaubens seit Jahrhun-          „wir müssen uns davon distanzieren“, sagt
                                                                     derten denunziert und geschmäht werden.            der evangelische Pfarrer Töllner. Auch wegen

vergangene Religion“                                                 „Solange sie nicht als Schandmal deutlich
                                                                     gemacht werden, haben sie keine Existenz-
                                                                     berechtigung mehr“, ärgert sich der Internist
                                                                                                                        der Erfahrung von Grabowski wünscht er sich
                                                                                                                        „eine gründliche Ausbildung möglichst vieler
                                                                                                                        Ehrenamtlicher“, die in den Kirchen Präsenz-
                                                                     und Lungenarzt Grabowski. Er ist Vorsitzen-        dienste und Führungen übernehmen. „Wir
                                                                     der des „Forums für jüdische Geschichte und        müssen das dort immer wieder zum Thema
                                                                     Kultur“ in Nürnberg und Mitglied der Israeli-      machen“, auch wenn manche Berührungs-
Was verbindet und was trennt die beiden Religionsgemeinschaften
                                                                     tischen Kultusgemeinde.                            ängste mit dem Thema haben.
der Juden und der Christen? Wie sollen wir heute mit den Schmäh-
darstellungen der Juden in den beiden Bürgerkirchen St. Lorenz und   Bei seinen kürzlichen Besuchen der Lorenz-         Den Umgang mit dem jüdischen Grabstein,
St. Sebald umgehen?                                                  und der Sebalduskirche sei er entsetzt über        der bei der Renovierung des Sebalder Pfarr-
                                                                     die großen Wissenslücken der ehrenamtli-           hofes wiederentdeckt und freigelegt wurde,
                                                                     chen Kirchenführer*innen gewesen. Teilwei-         nennt der Theologe „ein positives Zeichen“.
Dazu hat die Citykirche Gabriel Grabowski und Axel Töllner zum       se wussten sie nicht, dass es judenfeindliche      Das kleine Museum, das dort geplant ist, trage
Redaktionsgespräch eingeladen.                                       Darstellungen in den beiden Kirchen gebe.          dazu bei, das Verhältnis zwischen Juden und
                                                                     Explizit spricht Grabowski den Lorenzer            Christen neu zu bedenken. „Die Juden haben
                                                                     „Drei-Königs-Altar“ und das „Judensau“-Mo-         in Nürnberg bedeutende Dinge ermöglicht“,
                                                                     tiv am Ostchor der Sebalduskirche an. „Die         erinnert der 52-Jährige. „Bei der Industrialisie-
                                                                     Bilder von Juden, die wir dort sehen, zeigen die   rung im 19. Jahrhundert haben sie eine wich-
                                                                     Situation des 13. Jahrhunderts.“ Damals habe       tige Rolle gespielt.“
                                                                     der Papst verordnet, was die Juden anzuziehen
                                                                     haben, wie etwa den „Judenhut“.

                                                   18                                    19
JUDENT UM IST KEINE VERGANGENE RELIGION

                                                                                                                                                    Gemeinsame
                                                                                                                                                    biblische
                                                                                                                                                    Wurzel
                                                                                                                                                    Nürnberger Erklärung zum Verhältnis
                                                                                                                                                    von Christen und Juden

Gabriel Grabowski (links) und Axel Töllner (rechts) im Interview.

Allerdings sei das Judentum von heute nicht      gewesen sei, stimmt Töllner zu. Er erinnert       INFO                                                             „Die Frage nach dem Verhältnis von Christen       Religionen unterscheide: „Jüdischer Glaube
mit damals vergleichbar, betont Grabowski.       an die „zerrüttete Geschichte“ von Juden und                                                                       und Juden führt uns in die Mitte des christli-    und christlicher Glaube leben aus einer ge-
Denn die gut 2.200 Mitglieder der Israeliti-     Christen: „1.500 Jahre waren geprägt von der      Das Faltblatt „Unheilsspuren – Führung zu                        chen Glaubens“, heißt es in der „Nürnberger       meinsamen biblischen Wurzel.“
schen Kultusgemeinde seien vor allem gegen       Verachtung der Juden.“ Seit dem Ende von          antijüdischen Darstellungen an Nürnberger                        Erklärung“ der evangelischen Landessynode
Ende des letzten Jahrhunderts aus der frühe-     Nazideutschland und der Schoah des jüdi-          Altstadtkirchen“ liegt seit Kurzem in den                        von 1998. Zum ersten Mal nach dem Holocaust       Die im „Historischen Rathaussaal“ veröffent-
ren Sowjetunion in die Noris gekommen.           schen Volkes seien dagegen erst knapp 70          Kirchen aus. Dort sind Fotos einiger dieser                      haben die Leitungsgremien der Landeskirche        lichte Erklärung geht auch auf die Vergan-
                                                 Jahre vergangen. „In bürgerlichen Kreisen“,       Darstellungen veröffentlicht. Den Text in                        damals den Neuanfang im Verhältnis zum Ju-        genheit ein. Darin heißt es, dass Christen die
In Angst und Aufruhr                             vermutet er, „sind antijüdische Vorstellun-       deutscher und englischer Sprache hat Pfar-                       dentum gesucht. Maßgeblich ging die Initi-        Gemeinsamkeiten „über Jahrhunderte hinweg
                                                 gen immer noch vorhanden.“ Demnach seien          rer Axel Töllner geschrieben. Herausgeber                        ative von Landesbischof Johannes Friedrich        vergessen und verleugnet, missgedeutet und
Die junge Generation der Kinder und Ju-          Christen angeblich etwas Besseres als Juden.      ist das „Forum für jüdische Geschichte und                       aus, dem ehemaligen Studentenpfarrer an St.       uminterpretiert“ haben. „Auch deshalb konn-
gendlichen von heute lebe seit dem jüngs-        Deshalb hängen sowohl Axel Töllner als auch       Kultur e.V.“ in Nürnberg. Eine Online-Ver-                       Egidien, der später Propst in Jerusalem und       te es zu den schrecklichen Verfolgungen und
ten Gaza-Krieg „in Angst und Aufruhr“, weiß      Gabriel Grabowski ihre Erwartungen an das         sion gibt’s zum Download unter norum.de                          Nürnberger Stadtdekan wurde.                      Ermordungen von jüdischen Menschen kom-
der 58-jährige Facharzt. „Sie fühlen sich in     Jubiläumsjahr niedrig. „Im Prinzip kam noch                                                                                                                          men, an denen Christen beteiligt waren, die
der Schule ausgeschlossen und werden be-         nicht viel“, bedauert Grabowski. Vielmehr soll-                                                                    „Der Glaube an den Gott Abrahams, Isaaks          von Christen ausgingen oder von Christen
                                                                                                                               Text:
schimpft, weil sie Juden sind.“ Beteiligt sei-   te erlebbar werden: „Das Judentum ist keine                                                                        und Jakobs (…) verbindet Christen und Juden“,     geduldet wurden.“
                                                                                                                               Brigitte Wellhöfer
en extrem islamistische Gruppierungen. Aber      vergangene Religion.“ Töllner stellt aufgrund                                 & Paul Schremser                     heißt es in dem mit nur einer Enthaltung be-
auch rechtsextreme Parteien hätten antijüdi-     zahlreicher Anfragen an ihn fest, dass sich                                   Artikelfotos:                        schlossenen Text des Kirchenparlaments. Je-                          Text:
                                                                                                                               Madame Privé                                                                                              Paul Schremser
sche Diskriminierung in Deutschland wieder       Kirchengemeinden derzeit vermehrt mit dem                                                                          sus von Nazareth habe dem jüdischen Volk
                                                                                                                                                                                                                                         Artikelfoto:
„gesellschaftsfähig gemacht“.                    Thema beschäftigen. Er wünsche sich vom                                                                            angehört und sei in dessen religiösen Tradi-                         iStockphoto.com
                                                 Jubiläumsjahr, dass viele erkennen, „was für                                                                       tionen verwurzelt gewesen. Dadurch hätten
„Die haben etwas sichtbar gemacht, das im-       eine reiche jüdische Kultur wir haben und wie                                                                      Christen zu den Juden und ihrem Glauben „ein
mer vorhanden war, aber bisher tabuisiert“       viel davon kaputtgegangen ist.“                                                                                    einzigartiges Verhältnis“, das sich von anderen

                                                                         20                                                                                                                         21
SIE KÜMMER T SICH UM LEIB UND SEELE                                                                                                                   SIE KÜMMER T SICH UM LEIB UND SEELE

                                           Sie kümmert sich um
                                           Leib und Seele
                                           Die gebürtige Nürnbergerin Antje Yael Deusel ist nicht nur Ärztin,
                                           sondern auch Rabbinerin.

                                           Allzu oft wird „das“ Judentum als einheitlicher    einer Einheitsgemeinde mit meist traditionel-    Bedürfnis nach Erklärungen auch sei. „Aber
                                           Block wahrgenommen – auch von gläubigen            ler Prägung. Jedoch sind gerade in den letzten   ich habe eine Frage, nicht an den Ewigen, son-
                                           und engagierten Christen, die damit eigent-        zwei Jahrzehnten daneben zunehmend auch          dern an die Menschen: Wo hätte der Mensch
                                           lich besser vertraut sein sollten. Zumal es sich   jüdische Gemeinden entstanden, die sich als      sich anders verhalten müssen? Was hätte er
                                           nicht nur in Israel oder den Vereinigten Staa-     ausschließlich liberal verstehen.                tun können, um das Entstehen der Pandemie
                                           ten, sondern auch in Deutschland durch eine        Unterschiede gibt es in der Liturgie und im      zu verhindern?“
                                           bemerkenswerte Vielfalt auszeichnet. Längst        Text von Gebetbüchern – und in liberalen Ge-
                                           gehört dazu, dass auch Frauen Zugang zum           meinden sind Musikinstrumente im Gottes-                            Text:
                                           geistlichen Amt haben. Die erste Rabbinerin        dienst erlaubt.                                                     Wolfgang Heilig-Achneck
                                                                                                                                                                  Artikelfoto:
                                           in Deutschland war – lange vergessen und
                                                                                                                                                                  imagoimages
                                           verdrängt – die Berlinerin Regina Jonas. In den    Parallel zu ihrem Engagement als Medizine-
                                           1930er-Jahren und bis in den Zweiten Welt-         rin und Rabbinerin ist die 61-Jährige auch als
                                           krieg hinein predigte sie in verschiedenen Syn-    Dozentin tätig, so an der Universität Bamberg
                                           agogen, ehe sie deportiert und 1944 in Ausch-      im Fach Judaistik. Auch an der Evangelischen
                                           witz ermordet wurde.                               Hochschule Nürn-
                                                                                              berg hat sie jeweils
                                           Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Rab-       im Sommersemes-
                                           binerinnen. Einige von ihnen stellen Antje         ter einen Lehrauf-
                                           Yael Deusel und Rocco Thiede in ihrem Buch         trag. Zu den großen
                                           „Reginas Erbinnen“ vor, das zu Jahresbeginn        Herausforderungen
                                           erschienen ist. Deusel, eine gebürtige Nürn-       des geistlichen Am-
                                           bergerin, gibt damit zugleich ihren eigenen        tes gehört da, nicht
                                           Vorgängerinnen und Kolleginnen eine Stim-          anders als im Chris-
                                           me. Sie ist selbst die erste deutsche Rabbi-       tentum, die Frage
                                           nerin, die nach der Schoah in Deutschland          nach dem Leid in
                                           ausgebildet und ordiniert wurde.                   der Welt, wie gerade
                                           Im November 2011 wurde sie zusammen mit            jetzt in der Zeit der
                                           vier männlichen Kollegen in der Bamberger          Corona-Pandemie
                                           Synagoge ordiniert. Bis 2015 war sie an-           – und wie Gott das
                                           schließend als Rabbinerin in der Israelitischen    zulassen kann. Oder
                                           Kultusgemeinde Bamberg tätig, für die sie be-      gehört es gar zu sei-       Die Nürnberger
                                           reits vor ihrem Rabbinatsstudium lange Jahre       nem Plan?
                                           in der Vorstandschaft engagiert gewesen war.
                                                                                                                          Hopfenhändler- und
                                           Seit fünf Jahren ist Deusel die Rabbinerin der     Einfache Antworten          Bankiersfamilie Hopf
                                           damals neu gegründeten Liberalen Jüdischen         könne es nicht ge-
                                                                                                                          Kunstvilla 16 03 21 — 13 03 22
                                           Gemeinde Mischkan ha-Tfila („Wohnung des           ben – falls es in der
                                           Gebets“) in Bamberg, die zur Union progres-        Olam ha-se, also in
                                           siver Juden in Deutschland gehört.                 unserer diesseitigen
                                                                                              Welt, überhaupt eine
                                           Das liberale Judentum bildet eine der unter-       Antwort geben kön-

                                                                                                                                                                                         Stadtarchiv Nürnberg E10/99 Nr. 12
                                           schiedlichen Strömungen innerhalb des Ju-          ne, gab Deusel dazu
                                           dentums, neben orthodox und konservativ-tra-       vor gut einem Jahr in
                                           ditionell. Vielerorts sind in Deutschland nach     einem Interview mit
                                           1945 allerdings mehrere jüdische Strömungen        ntv.de zu bedenken,
                                           in einer Gemeinde zusammengefasst, im Sinn         so verständlich das

                                      22                                                                         23
STEIN UND T ÜR                                                                                                                                                                                                                                         STEIN UND T ÜR

                                                                                                                                                                                                                       „An dieses Tor soll kein Kummer kommen“
                                                                                                                                                                                                                       lautet die Inschrift, die im Juli 2020 auf der
                                                                                                                                                                                                                       Holztür von 1500 unterhalb des Grabsteins
                                                                                                                                                                                                                       entdeckt wurde.

                                                                                                                                                                                                                       Der Spruch ist einer von insgesamt drei Unheil
                                                                               Im Mai 2018 trat bei Putzarbeiten                                                                                                       abwehrenden Schutzsprüchen, die mittel- und
                                                                               in der Eingangshalle des Sebalder                                                                                                       osteuropäische Juden seit dem Mittelalter an
                                                                               Pfarrhofes ein jüdischer Grabstein                                                                                                      Tore und Türen ihrer Privathäuser, aber auch ih-
                                                                               mit hebräischen Schriftzeichen                                                                                                          rer öffentlichen Gebäude schrieben. Wie, wann
                                                                               oberhalb einer Tür zutage.                                                                                                              und durch wen er auf die Holztür geschrieben
                                                                               Auf ihm wird der Frau Gutlin,                                                                                                           wurde und wie lange er sichtbar war, ist völlig
                                                                               Tochter des Rab (Vater, Herr)                                                                                                           ungeklärt.
                                                                               Simson gedacht, die am 29. des
                                                                               (jüdischen) Monats Tewet im Jahr
                                                                               5095 nach jüdischer Zeitrechnung
                                                                               (=1334) beerdigt wurde.

                                                                               Die Inschrift lautet:

                                                                               Ein Zeuge sei dieser Grabstein
                                                                               (für) Frau Gutlin
                                                                               Tochter des R` Simson
                                                                               Sie wurde beerdigt 29.
                                                                               Tewet, einem Montag
                                                                               [fehlt durch Abbruch:
                                                                               Tanzabah. A(men). S(elah)]           „Als kleine Jungen spielten wir gerne ‚Detek-      goge damals noch stand und weitere Spuren       Sebalder Pfarrhof wieder ein Identifikations-
                                                                                                                    tive‘, um das Historische und die Geheim-          ihrer jüdischen Geschichte entdeckbar waren.    punkt für die jüdischen Glaubensgeschwis-
                                                                                                                    nisse des alten Nürnberg zu entdecken. Als         Zum anderen erfahren wir durch den Brief,       ter im Herzen der Nürnberger Altstadt wird:
                                                                                                                    wir uns unseres Judenseins bewusst wurden,         dass der im Sommer 2019 wiederentdeck-          Ein lebendiger Ort der Begegnung, um mit-
                                                                                                                    zeigten wir natürlich besonderes Interesse         te jüdische Grabstein von Frau Gutlin (1334     einander ins Gespräch zu kommen über das,
                                                                                                                    für die jüdische Vergangenheit der Stadt.          verstorben) nach 1938 verputzt worden sein      was uns bewegt und gemeinsam dafür Sor-
                                                                                                                    Wir entdeckten z. B. die kleinen Löcher an         muss. Feuchtwanger sucht ihn bei seiner Rei-    ge zu tragen, dass „kein Kummer an unsere
                                                                                                                    den Türpfosten der alten Judenhäuser, die die      se nach Nürnberg im Jahr 1954 (auch das ist     Tore kommt“.
                                                                                                                    ‚Mesusah‘ enthielten [Anm.: eine Schriftkap-       bemerkenswert), kann ihn aber nur noch erah-
                                                                                                                    sel für das wichtigste jüdische Gebet, dem         nen. Eine Generation später war der Grabstein
                                                                                                                                                                                                                         INFO
                                                                                                                    Schma Jisrael (5. Mose 6,4-9)]. Auch fanden        vergessen. Bis 2019. Und noch einmal ein Jahr
                                                                                                                    wir einen jüdischen Grabstein, der als Wand        später, im Juli 2020, die erneute Sensation:
                                                                                                                                                                                                                         Mehr zum Grabstein und zur Holztür er-
                                                                                                                    in der Eingangshalle des Sebalder Pfarr-           Bei der Restaurierung der historischen Holz-
                                                                                                                                                                                                                         fahren Sie hier:
                                                                                                                    hauses verwendet wurde. Obwohl die gan-            tür, die unmittelbar unterhalb des Grabsteins
           Jüdische Spuren im Sebalder Pfarrhof, die dem Frieden dienen                                             ze Wand mit Stucco beworfen war, war der           hängt, traten erneut hebräische Schriftzei-
                                                                                                                                                                                                                         sebalduskirche.de/erbe-und-auftrag
                                                                                                                    Stein freigehalten worden, wohl aus Respekt        chen mit dem Unheil abwehrenden Spruch
                                                                                                                    der Kirche für den Plünderer der jüdischen         „An dieses Tor soll kein Kummer kommen“

           Stein & Tür                                                                                              Friedhöfe. Als ich 1954 in Nürnberg war, war
                                                                                                                    auch der Stein mit Zement beworfen, aber
                                                                                                                    wegen der verschiedenen Verfärbung des Be-
                                                                                                                                                                       (basä hascha'ar lo javo za'ar) zutage.

                                                                                                                                                                       Stein und Tür waren Anlass für umfassende
                                                                                                                                                                                                                         Wenn Sie uns bei den Projekten im Sebal-
                                                                                                                                                                                                                         der Pfarrhof unterstützen wollen, freuen wir
                                                                                                                                                                                                                         uns, wenn Sie spenden:
                                                                                                                    tons war der Platz deutlich zu erkennen.Wie        Konzeptänderungen in der Fertigstellungs-
                                                                                                                    viel der Vergangenheit der deutschen Juden –       phase der denkmalgerechten Instandsetzung
                                                                                                                                                                                                                         sebalduskirche.de/spenden
                                                                                                                    ihr Blut und ihre Tränen, liegen in den Mauern     des Sebalder Pfarrhofes in Absprache mit der
           Jakob Feuchtwanger, einem Nürnberger jüdischen Glaubens, war
                                                                                                                    und unter den Stufen Alt-Nürnbergs!“               Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und
           die Flucht vor der Schoah nach Amerika gelungen. Er erinnert sich                                                                                           den Museen der Stadt Nürnberg.
           1967 in einem Brief:                                                                                     Zwei Punkte aus dem Brief Feuchtwangers
                                                                                                                    sind besonders bemerkenswert: Zum einen,           Bis zum Herbst wird der hinter der Tür lie-
                                                                                                                    dass der Sebalder Pfarrhof durch den Grab-         gende Raum in der Eingangshalle des Pfarr-
                                                                                                                    stein ein spielerischer Identifikationspunkt bei   hofes als Ausstellungsraum eingerichtet, in                         Text und Artikelfotos:
                                                                                                                    der religiösen Entwicklung jüdischer Bürger        dem sich jede/r frei zugänglich über die Ge-                        Martin Brons

                                                                                                                    war; eine sichtbare Verortung der langen und       schichte von Stein und Tür und das jüdische
                                                                                                                    facettenreichen Geschichte der Nürnberger          Leben der Stadt Nürnberg informieren kann.
                                                                                                                    Juden mitten in der Altstadt, in der die Syna-     Besonders groß ist der Wunsch, dass der

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