Aus Politik und Zeitgeschichte - 38/2007 17. September 2007 - BPB

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APuZ
Aus Politik und Zeitgeschichte
                          38/2007 ´ 17. September 2007

                                     Frankreich
                                            Adolf Kimmel
               Die franzæsischen Wahlen vom Frçhjahr 2007

                            Gisela Mçller-Brandeck-Bocquet
      Frankreich: zurçck in Europa, aber mit welchem Kurs?

                                          Stephan Martens
           Franzæsische Auûenpolitik unter Nicolas Sarkozy

                                              Wolfram Hilz
Perspektiven der ¹neuenª deutsch-franzæsischen Beziehungen

                                             Frank Eckardt
               Frankreichs Schwierigkeiten mit den Banlieue

                                             Sabine Riedel
  Einwanderung: das Ende der Politik der Chancengleichheit

          Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial
   Der neue franzæsische Staatspråsident Nicolas Sarkozy hat auf
der internationalen politischen Bçhne einen furiosen Start hinge-
legt. Dem wortgewandten und schier omnipråsenten Staatschef
ist es in kurzer Zeit gelungen, Frankreich wieder zum Akteur der
Weltpolitik zu machen. Die Jahre der politischen Låhmung der
¹Grande Nationª unter Jacques Chirac, insbesondere seit dem
¹Nonª der Franzosen zum EU-Verfassungsvertrag, scheinen
vergessen.

  Sarkozy hat als Innenminister auch mit provokanten Aussagen
zur Kriminalitåt und zur Migrationspolitik von sich reden ge-
macht. Als Pråsident will er Frankreich innenpolitisch reformie-
ren und modernisieren; auûenpolitisch soll es eine aktivere Rolle
spielen. Vor dem Diplomatischen Korps in Paris bekråftigte der
Staatspråsident seinen Willen zur Einmischung in die zahlreichen
internationalen Konflikte, denn einen Staatsmann zeichne sein
Wille aus, ¹den Lauf der Dinge zu veråndernª.

  Das gilt auch fçr Frankreichs Rolle in Europa. Sarkozy konnte
erste Erfolge auf dem Brçsseler Gipfeltreffen erzielen. Auch am
erfolgreichen Verlauf des von Bundeskanzlerin Angela Merkel
geleiteten G8-Gipfels in Heiligendamm hatte Sarkozy seinen
Anteil. Ganz oben auf Sarkozys politischer Agenda steht die
Færderung der Interessen Frankreichs, insbesondere gegençber
den EU-Instanzen.

  Der auf die Person zugeschnittene Politikstil Sarkozys wurde
schnell mit Vokabeln wie ¹Hyperpråsidentª, ¹Super Sarkoª oder
¹Monsieur 1000 Voltª charakterisiert. Daneben gab es aber auch
Kritik: Sein Aktionismus schwåche die Verfassungsinstitutionen
und habe die Nationalversammlung ihrer Kontrollfunktion be-
raubt; Sarkozy wolle Staat, Regierung und Úffentlichkeit zu-
gleich verkærpern.

                                                 Ludwig Watzal
Adolf Kimmel            Keine andere Pråsidentenwahl war von der
                                                            vorangehenden noch so beeinflusst wie diese

Die franzæsischen                                           Wahl. Das Ergebnis von 2002, namentlich das
                                                            Ausscheiden des sozialistischen Kandidaten
                                                            im ersten Wahlgang, hatte auf das Wahlver-

     Wahlen vom                                             halten einen erheblichen Einfluss.

   Frçhjahr 2007
                                                              Die einzig aussichtsreichen Kandidaten ±
                                                            neben Sarkozy und Royal konnte auch der
                                                            zentristische Kandidat Franœois Bayrou da-
                                                            zugezåhlt werden ± verkærperten einen weit-
                                                            hin fçr notwendig gehaltenen Generations-
                                                            wechsel, denn sie waren erst zwischen 50 und
                                                            55 Jahre alt. Schon im Wahlkampf hatten die

        S      chon seit långerem war die franzæsische
               Innenpolitik auf die Pråsidentschaftswah-
          len am 22. April und 6. Mai sowie die Wahlen
                                                            Vertreter dieser neuen Generation erklårt,
                                                            dass sie das Pråsidentenamt nicht als ein
                                                            Schiedsrichteramt wahrnehmen wçrden, son-
          zur Nationalversammlung am 10. und 17.            dern dass sie noch stårker als ihre Vorgån-
          Juni 2007 ausgerichtet. Die Erfolge der Sozia-    ger die Politik aktiv mitgestalten wollten.
          listen bei den Kantonal-, Regional- und Eu-       Schlieûlich håtte mit der sozialistischen Kan-
          ropawahlen des Jahres 2004 lieûen einen           didatin erstmals eine Frau Pråsidentin werden
                                   Machtwechsel       als   kænnen.
                    Adolf Kimmel   mæglich    erscheinen.
 Dr. phil., geb. 1938; Professor Nach dem negativen                             Die Kandidatennominierung
 (i. R.) für Politikwissenschaft, Ausgang des Referen-
zuletzt an der Universität Trier. dums vom 29. Mai          Im Vergleich zur Nominierung der Spitzen-
     Adolf.Kimmel@t-online.de 2005 çber den euro-           kandidaten bei Parlamentswahlen in den
                                   påischen Verfassungs-    westeuropåischen Demokratien, die in aller
                                   vertrag, das einen       Regel durch die Parteien erfolgt, dominierte
          empfindlichen Rçckschlag fçr Pråsident Chi-       in Frankreich bei den Pråsidentenwahlen bis-
          rac bedeutete, galt seine abermalige Kandida-     her eine Selbstnominierung quasi-monarchi-
          tur als unwahrscheinlich, so dass es im Ely-      schen Typs, die ± wenn çberhaupt ± von den
          se-Palast auf jeden Fall zu einem Macht-         Parteien der jeweiligen Kandidaten nachtråg-
          wechsel kommen wçrde.                             lich nur noch ratifiziert wurden. Das gilt ins-
                                                            besondere fçr die Rechte, eingeschrånkt auch
           Die Wahl des Pråsidenten fand in mehrfa-         fçr die Linke. Dieses Verfahren entsprach
        cher Hinsicht in einer ganz besonderen Kon-         dem gaullistischen Mythos, wonach es sich
        stellation statt. Zum ersten Mal çberhaupt          bei dieser Wahl um ¹die Begegnung eines
        trat kein ehemaliger Pråsident oder Premier-        Mannes/einer Frau mit dem franzæsischen
        minister an und ± mit Ausnahme der Wahl             Volkª handelte, welche die Parteien nicht stæ-
        von 1995 ± trafen erstmals seit 1974 nicht der      ren dçrften. Wåhrend die Parteidisziplin bei
        Amtsinhaber und sein wichtigster Herausfor-         den Sozialisten Mehrfachkandidaturen ver-
        derer aufeinander. Die Kandidaten der beiden        hinderte, gab es aus den Reihen der Gaullis-
        wichtigsten Parteien, der Sozialisten und der       ten mehrmals mehrere Kandidaten, ohne dass
        (Neo-)Gaullisten bewarben sich erstmals um          deswegen aber Parteiausschlussverfahren ein-
        dieses Amt, und sie konnten nur auf eine rela-      geleitet worden wåren. Erst seit 1995, nach
        tiv begrenzte Regierungserfahrung verwei-           dem Ausscheiden ihres ¹Ûbervatersª Mitter-
        sen. 1 Damit gewann die Frage, ob die Kandi-
        daten das fçr dieses wichtige Amt nætige             1 Zwar war 1969 auch Georges Pompidou als Kandi-

        ¹Formatª, die nætige ¹Staturª besitzen, eine        dat ein Neuling, aber er konnte auf eine sechsjåhrige
        besondere Bedeutung. Vor allem hinsichtlich         Erfahrung als Premierminister verweisen. Valry Gis-
        Sgol ne Royal stellte man sich diese Frage,        card d'Estaing hatte vor seiner ersten Kandidatur 1974
                                                            acht Jahre das wichtige Ressort des Wirtschafts- und
        wåhrend Nicolas Sarkozy seit 2002 schon             Finanzministers innegehabt. Vergleichbar wåre allen-
        wichtige Ressorts innegehabt hatte (das             falls noch Lionel Jospin 1995. Er war vorher ¹nurª
        Innen- sowie Wirtschafts- und Finanzminis-          Bildungs- und Erziehungsminister, aber auch mehrere
        terium).                                            Jahre Parteichef.

                                                                                                 APuZ 38/2007        3
rand praktizierten die Sozialisten ein færm-              rent Fabius durch. 5 Wie ist dieses çberra-
    liches innerparteiliches Nominierungsver-                 schende Ergebnis zu erklåren? Zugespitzt
    fahren, bei dem die Parteimitglieder ent-                 lieûe sich sagen, dass die Partei nur ratifiziert
    scheiden. 2                                               hat, was Umfragen und Medien bereits vor-
                                                              entschieden hatten. Die Verfahren der inner-
       Die Nominierung Sarkozys bedeutete                     parteilichen Demokratie waren durch die
    einen Bruch mit dem Mythos und der Tradi-                 Medien- und Stimmungsdemokratie çber-
    tion des Gaullismus, denn er verdankt sie aus-            spielt worden. Die Frage bleibt, warum
    schlieûlich der Partei. Der entscheidende Tag             Royal zur ¹Madonna der Umfragenª, warum
    war bereits der 28. November 2004, als Sar-               sie die Favoritin der Medien wurde. Eine ent-
    kozy ± gegen den Willen von Pråsident Chi-                scheidende Voraussetzung lag sicher darin,
    rac, auf dessen Betreiben hin 2002 die UMP                dass es in der PS keinen unumstrittenen Kan-
    (Union pour la majorit prsidentielle) ge-               didaten gab. Obwohl schon seit långerem
    grçndet worden war ± Vorsitzender dieser                  aktiv ± wenn auch nicht in vorderster Reihe ±,
    Partei wurde. Damit war er schon so etwas                 war sie doch im Vergleich zu den ¹Parteiele-
    wie der natçrliche Kandidat geworden, aber                fantenª in der PS ein neues Gesicht, das viel-
    es wåre mæglicherweise zu einem Konflikt                  fach gewçnscht wurde. Sie war keine Partei-
    zwischen dem Parteiwillen und dem gaullisti-              soldatin. Es kam ihr wohl auch zugute, dass
    schen Dogma gekommen, wenn nicht Chi-                     sie eine Frau war, noch dazu eine sehr gut
    racs Favorit, Premierminister Dominique de                aussehende, und Mutter von vier Kindern.
    Villepin, seine Chancen im Frçhjahr 2006                  Ausschlaggebend war sicher, dass nach den
    durch seine Politik, vor allem um den geplan-             Umfragen nur sie in der Lage schien, den
    ten Erstanstellungsvertrag fçr Jugendliche                UMP-Kandidaten zu schlagen. Nicht wenige
    (CPE), verspielt håtte. Die triumphale Kçr                PS-Mitglieder dçrften also, auch wenn sie ge-
    Sarkozys durch die UMP-Mitglieder (98 %                   wisse Bedenken oder Vorbehalte hatten, vor
    bei einer Beteiligung von 69 %) am 14. Januar             allem aus diesem Grund fçr sie gestimmt
    2007 entsprach dann den Erwartungen. Fçr                  haben. Schon bei den Regionalwahlen 2004
    die Erfolgsaussichten Sarkozys war also                   hatte Royal zudem bewiesen, dass sie selbst
    wichtig, dass sich die in der UMP geeinte                 in einer schwierigen Konstellation gewinnen
    gaullistische und die liberale Rechte erstmals            konnte. 6
    seit 1969 auf nur einen Kandidaten einigen
    konnten.                                                    Der Wahlkampf: Personen und Themen
       Bei der Parti Socialiste (PS) folgte die No-           Da es bei der Pråsidentschaftswahl um die
    minierung dem Muster des Jahres 1995. Aller-              Wahl einer Person in ein Amt geht, spielen
    dings handelte es sich bei Sgol ne Royal um              die Persænlichkeiten der Kandidatinnen und
    eine Ûberraschungskandidatin, mit der nur                 Kandidaten eine zentrale Rolle. Ihre politi-
    wenige gerechnet hatten. 3 Weder gehærte sie              schen Konzepte kænnen zwar nicht von
    zum engeren Kreis der Parteifçhrung noch                  ihnen getrennt werden aber sie treten mitun-
    hatte sie ein Regierungsamt innegehabt, das               ter in den Hintergrund. Fçr die Sympathisan-
    sich an Wichtigkeit mit dem ihrer Konkur-                 ten der Rechtsparteien ist der personelle Fak-
    renten vergleichen lieû. 4 Dennoch setzte sie             tor wichtiger als fçr die Sympathisanten der
    sich gegen ihre beiden verbliebenen Mitbe-                Linken. Insofern werden die Sozialisten, bei
    werber Dominique Strauss-Kahn und Lau-                    denen das auf Verånderung des Status quo
                                                              zielende Programm eine wichtigere Rolle
     2 1995 wurde auf diese Weise Jospin nominiert. Mit       spielt, durch den Modus der Pråsidentenwahl
    Henri Emmanuelli hatte er auch einen Gegen-               strukturell benachteiligt. 7
    kandidaten.
     3 Der bekannte Publizist Alain Duhamel z. B. hatte sie    5 In der Abstimmung am 16. 11. 2006 stimmten 60,7 %

    in seinem im Januar 2006 erschienenen Buch (Les pr-      der Parteimitglieder bei einer Beteiligung von 82 % fçr
    tendants 2007, Paris 2006) unter den 15 von ihm por-      sie.
    tråtierten mæglichen Kandidaten nicht aufgefçhrt.          6 Sie wurde in der konservativen Region Poitou-Cha-
     4 Diese beiden Kriterien hatten Alain Duhamel ver-       rente, der politischen Heimat des damaligen Pre-
    anlasst, sie nicht zu berçcksichtigen. Royal war 1992/    mierministers Jean-Pierre Raffarin, mit absoluter
    93 Ministerin fçr Umweltfragen und 2000/02 bei-           Mehrheit zur Regionalpråsidentin gewåhlt.
    geordnete Ministerin fçr Schulen bzw. Familie, Jugend      7 Vgl. Philippe Marli re, Le PS et sa candidate en

    und Behinderte.                                           porte-™-faux, in: Le Monde vom 16. 3. 2007. Der Autor

4    APuZ 38/2007
Das Persænlichkeitsprofil der beiden in die             auch erfolgreich als Wahlkampfthema einge-
Stichwahl gelangten Kandidaten zeigt scharfe               setzt. 11
Kontraste. 8 Insgesamt schreiben Sarkozy
deutlich mehr Wåhler die Statur eines kçnfti-                 Im Unterschied zum Wahlkampf 2002, als
gen Pråsidenten zu: 9 In den Punkten Re-                   die innere Sicherheit das alles beherrschende
formwilligkeit, Entscheidungsfreude, Dyna-                 Thema war, fehlte diesmal ein åhnlich domi-
mik, Durchsetzungsstårke, Fåhigkeit in inter-              nierendes Thema. Sarkozy gelang es am bes-
nationalen Krisen zu bestehen und                          ten, dem Wahlkampf thematisch seinen Stem-
franzæsische Interessen zu vertreten, politi-              pel aufzudrçcken. Er stellte traditionelle
sche Erfahrung und Kenntnis der Dossiers                   Werte in den Mittelpunkt, die nicht nur von
sowie Fåhigkeit der staatlichen Autoritåt Re-              den Sympathisanten der Rechten geteilt wer-
spekt zu verschaffen, wird er deutlich besser              den, sondern die darçber hinaus Zustimmung
bewertet als seine Konkurrentin. Schlechter                finden: Autoritåt und (innere) Sicherheit,
als die sozialistische Kandidatin schneidet er             Disziplin und Respekt, Leistung, die aner-
ab, wenn es darum geht, den Bçrgern zuzu-                  kannt, und Arbeit, die sich wieder stårker
hæren und ihre Sorgen zu verstehen, Einver-                lohnen mçsse, 12 Steuersenkungen, die aller-
nehmen herzustellen und die Einheit der Ge-                dings vor allem Wohlhabenden und Unter-
sellschaft mæglichst zu bewahren, ruhiger,                 nehmern zugute kåmen, 13 aber auch Entlas-
ausgeglichener zu entscheiden und zu regie-                tungen mæglichst vieler Bçrger, um die Kauf-
ren. Royal wirkt sympathischer, liebenswçr-                kraft zu stårken. 14 Vor allem insistierte er im
diger (plus sduisante), aber weniger kompe-               Zusammenhang mit der Immigrationsfrage
tent und eben weniger geeignet fçr das ange-               auf dem Problem der nationalen Identitåt
strebte Amt. Sarkozy werden zwar die                       und schlug recht nationale Tæne an.
erforderlichen Fåhigkeiten zugeschrieben,
um den Anforderungen gewachsen zu sein,                       Royal stellte soziale Fragen wie Kampf
aber gleichzeitig wirkt seine autoritåre, kom-             gegen die Arbeitslosigkeit, Stårkung der
promisslos-harte Persænlichkeit, die er vor                Kaufkraft durch Erhæhung des Mindestlohns
allem durch seine law-and-order-Politik als                und der Kleinrenten oder Kampf gegen die
Innenminister erworben hat, polarisierend                  Jugendarbeitslosigkeit durch staatlich finan-
und auf viele Bçrger beunruhigend; es wird                 zierte Beschåftigung und die Ausweitung der
befçrchtet, dass er die Gegensåtze in der fran-            35-Stunden-Woche in den Mittelpunkt ihres
zæsischen Gesellschaft weiter vertiefen                    Wahlkampfes. Allerdings gelang es ihr nicht,
kænnte, dass seine Worte und Taten sie weiter              ihr Konzept einer ¹gerechten Ordnungª, das
zu spalten drohen. Er gilt als machthungrig                den Kampf gegen Ungleichheiten und Armut
und unberechenbar, als jemand, der leicht die              wie auch Verbesserungen im Schulsystem be-
Beherrschung verliert. Sarkozys umstrittene                inhaltete, hinreichend zu konkretisieren.
Persænlichkeit 10 wurde von seiner sozialisti-             Nicht nur bei den Themen Einwanderung,
schen Konkurrentin gezielt und teilweise                   innere Sicherheit und Kampf gegen Krimina-
                                                           litåt konnte Sarkozy erwartungsgemåû punk-
                                                           ten, sondern auch bei den sozialen Fragen
                                                           schnitt er besser ab als die sozialistische Kan-
weist darauf hin, dass der bisher einzig erfolgreiche
Kandidat der Linken, Mitterrand, ein eher ¹ rechtesª       didatin. 15 Royal blieb vor allem eine çber-
Profil gehabt habe. Nach einer Umfrage (www. ip-
sos.fr/CanalIpsos/poll/8427.asp) war fçr 52 % der           11 Nach J. Jaffr (Anm. 9) hat insgesamt einer von fçnf

Royal-Wåhler ihre Parteizugehærigkeit das Wahlmotiv,       Wåhlern als ein Motiv angegeben, den Sieg des politi-
aber nur fçr 17 % der Sarkozy-Wåhler (26. 4. 2007).        schen Gegners zu verhindern. Unter den Royal-Wåh-
 8 Vgl. Pascal Perrineau, L'image de Nicolas Sarkozy,      lern betrug der Anteil 76 %.
in: Olivier Duhamel/Brice Teinturier (Hrsg.), L'tat de     12 Weshalb er fçr eine weitere Flexibilisierung der 35-

l'opinion, Paris 2007, S. 75± 94, bes. Tabelle S. 84±86.   Stunden-Woche eintrat: wer wolle, solle Ûberstunden
 9 60 % gegençber 40 % fçr Royal. Zahlen bei JrÖme        machen dçrfen ± befreit von Steuern und Abgaben.
Jaffr, L'indiscutable dfaite de Sgol ne Royal, in: Le    13 Er will die gesamte steuerliche Spitzenbelastung

Monde vom 8. 6. 2007. Wåhrend 57 % der Sarkozy-            von 60 auf 50 % senken und die Erbschaftssteuer
Wåhler als Motiv angeben, er habe die Statur eines         weitgehend abschaffen.
Pråsidenten, sind es bei Royal nur 16 %. Vgl. Nach-         14 Neben der Steuerbefreiung fçr die Ûberstunden ist

wahlumfrage (Anm. 7).                                      in diesem Zusammenhang die steuerliche Absetzbar-
 10 Selbst seine Wåhler haben offenbar gewisse Be-         keit von Krediten fçr den Erwerb von Wohneigentum
denken, denn nur 22 % geben sie als Wahlmotiv an.          zu erwåhnen.
Vgl. Nachwahlumfrage (Anm. 7).                              15 Vgl. die Zahlen bei J. Jaffr (Anm. 9).

                                                                                                 APuZ 38/2007         5
zeugende Antwort auf die Frage schuldig,               servoir fçr die Stichwahl. Auch von der Wåh-
       wie ihre groûzçgigen sozialpolitischen Ver-            lerschaft des rechtsextremen Jean-Marie Le
       sprechen finanziert werden sollten, ohne die           Pen konnte er noch auf weiteren Zulauf hof-
       Staatsverschuldung weiter zu erhæhen. Aller-           fen.
       dings wurde auch Sarkozy von Experten vor-
       gehalten, dass die Kosten seines Programms                Die sozialistische Kandidatin kam auf
       zu niedrig angesetzt seien und auch seine Vor-         25,9 % und gewann im Vergleich zu Jospin
       haben nicht die Sanierung der Staatsfinanzen           2002 9,7 Prozentpunkte hinzu. 17 Sie erreichte
       als wichtiges Ziel anstrebten.                         damit genau das Ergebnis wie Mitterrand
                                                              1981, als dieser dann in der anschlieûenden
          Wåhrend Sarkozy nach allgemeiner Ein-               Stichwahl Giscard d'Estaing schlug. Darin
       schåtzung den professionelleren Wahlkampf              brauchte aber noch kein gutes Vorzeichen ge-
       fçhrte, wobei ihm seine rhetorischen Fåhig-            sehen werden, denn zum einen war der Ab-
       keiten, sein Auftreten im Fernsehen und die            stand zu Sarkozy recht groû, zum anderen
       Unterstçtzung seiner Partei zugute kamen,              waren Royals Reserven fçr die Stichwahl viel
       wies Royals Wahlkampf Defizite hinsichtlich            kleiner.
       Professionalitåt und Effizienz auf. Ihr Bemç-
       hen um Bçrgernåhe mit dem Konzept einer                   Bayrous Ergebnis (6,8 %) galt als sensatio-
       ¹partizipativen Demokratieª wurde ihr als              nell, bedeutete es doch fast eine Verdreifa-
       Fçhrungsschwåche angekreidet, und es gelang            chung gegençber 2002. Im Vergleich zu den
       ihr nicht, ihre Partei åhnlich geschlossen hin-        Ergebnissen der Kandidaten der (rechten)
       ter sich zu bringen wie Sarkozy seine UMP.             Mitte bei frçheren Wahlen liegt das Ergebnis
                                                              im ¹normalenª Bereich, doch muss berçck-
         Bemerkenswert ist das Internet als ein               sichtigt werden, dass sich ein Teil seiner UDF
       neues und intensiv genutztes Element im                (Union pour la dmocratie franœaise) der
       Wahlkampf. Dabei tat sich die PS-Kandidatin            2002 gegrçndeten UMP angeschlossen hatte.
       besonders hervor. Auch wenn die Bedeutung
       des neuen Mediums insgesamt nicht çber-                  Le Pen kam ¹nurª noch auf 10,4 %, gegen-
       schåtzt werden darf (nur 5 % der Befragten             çber 16,9 % 2002. Erstmals seit 1988 ist sein
       erklårten, es sei fçr sie das wichtigste Medium        Ergebnis rçcklåufig, und zwar massiv.
       politischer Information), dçrfte es fçr die
       Wahlentscheidung vor allem der jçngeren                   Die linksextremen Kandidaten ± Trotzkis-
       Wåhler, die in weit græûerem Maû das Inter-            ten, Globalisierungsgegner, Kommunisten ±
       net auch politisch nutzen, eine erhebliche             erlebten einen åhnlichen Absturz: von 19,1
       Rolle gespielt haben.                                  auf 10,2 %. 18 Hervorzuheben ist dabei das
                                                              nahezu vællige Verschwinden der kommunis-
                                                              tischen KPF (1,9 %), die in den 1970er Jahren
Das Wahlergebnis                                              noch Ergebnisse von çber 20 % erzielte (bei
                                                              Wahlen zur Nationalversammlung). Auch die
       Mit 83,8 % im ersten und 84 % im zweiten               Grçnen schnitten mit ihrer Kandidatin sehr
       Wahlgang lag die Wahlbeteiligung deutlich              schlecht ab (1,6 %).
       hæher als 2002. Hinsichtlich der ersten beiden
       Plåtze brachte der erste Wahlgang das von                Wie ist das Ergebnis zu erklåren? Le Pen
       den Umfragen vorhergesagte Ergebnis. Sar-              verdankt seinen Rçckschlag dem Image und
       kozy, seit seiner Nominierung am 14. Januar            dem Wahlkampf Sarkoys. Mit seiner harten
       konstant an der Spitze der Umfragen, erzielte          Politik als Innenminister, seinen ¹markigenª
       mit 31,2 % ein sehr gutes Ergebnis und çber-           Sprçchen 19 und seinen Wahlkampfthemen
       traf Chirac um mehr als 11 Prozentpunkte. 16           gelang es ihm, einen beachtlichen Teil der Le
       Damit hatte er das Potenzial der republika-
       nisch-parlamentarischen Rechten aber noch               17 Wird berçcksichtigt, dass Jean-Pierre Chev nement
       keineswegs ausgeschæpft. Vor allem der Stim-           und Christiane Taubira 2002 kandidiert und Jospin
       menanteil Franœois Bayrous bot noch ein Re-            Stimmen weggenommen hatten, diesmal aber Royal
                                                              unterstçtzten, dann schrumpft der Zuwachs auf 3,1 %.
        16 Von den Kandidaten der bçrgerlichen Parteien wa-    18 Die Grçnen sind hier eingeschlossen, obwohl sie

       ren nur General de Gaulle 1965 und Pompidou 1969       nicht als linksextrem bezeichnet werden kænnen.
       deutlich, Giscard d'Estaing 1974 nur unwesentlich       19 Erinnert sei nur an racaille (Gesindel), das ± auf die

       besser.                                                revoltierenden Jugendlichen in der Pariser Banlieue

   6    APuZ 38/2007
Pen-Wåhler zu sich herçberzuziehen. Offen-                 tigten damit, dass die (liberale, christdemo-
bar hat sich bei einem erheblichen Teil von                kratische) Mitte der Rechten nåher steht als
ihnen der Realismus insofern durchgesetzt,                 den Sozialisten.
als sie eingesehen haben, dass Le Pen selbst
nie in eine Position kommen wçrde, um Poli-                   Der im Hinblick auf die Stichwahl wichtig-
tik zu gestalten. Folglich haben sie sich schon            ste Aspekt war das historisch niedrige Niveau
im ersten Wahlgang fçr den ± ungleich aus-                 der Linken insgesamt. Mit 36 % war es das
sichtsreicheren ± Kandidaten entschieden, der              schlechteste Ergebnis seit 1969, als nach dem
ihren Auffassungen am nåchsten steht.                      Mai 1968 viele Wåhler ins konservativ-bçr-
                                                           gerliche Lager gewechselt waren und als sich
   Wie die Ergebnisse Sarkozys und Le Pens ±               die sozialistische Partei mitten im Umbruch
zumindest teilweise ± zusammenhången, so                   befand. Die wichtigste Ursache fçr das Er-
sind auch die von Royal und der extremen                   gebnis 2007 liegt in einem Rechtsruck der
Linken gegenseitig bedingt. Das Nachwirken                 franzæsischen Wåhler und ihres Wertesys-
des Schocks von 2002 und die feste Absicht,                tems. Kampf gegen Kriminalitåt; Ablehnung
es nicht noch einmal zu einem åhnlichen De-                weiterer Zuwanderung, die als eine Haupt-
bakel (Ausscheiden des PS-Kandidaten im                    quelle der Kriminalitåt gesehen wird, Durch-
ersten Wahlgang) kommen zu lassen, dçrfte                  setzung der staatlichen Autoritåt, Achtung
die plausibelste Erklårung sein. Um sicher zu              von Disziplin und Arbeit und Kampf gegen
gehen, dass die Sozialistin in die Stichwahl               ¹Sozialschmarotzerª, 22 Stolz auf Frankreich
kommt, haben linksextreme Sympathisanten                   ± diese Werte werden offenbar von vielen
schon im ersten Wahlgang ¹das kleinere                     Bçrgern, gerade auch in den Unterschichten,
Ûbelª gewåhlt. 20                                          geteilt, wåhrend sie von der Linken, auch den
                                                           Sozialisten hintangestellt oder sogar abge-
  Bayrou verdankt sein Ergebnis vor allem                  lehnt werden. 23 Da Royals Reserven auf der
den Schwåchen der beiden ¹groûenª Kandi-                   åuûersten Linken gering waren und ihr Flirt
daten: der nicht alle Sarkozy-Gegner çber-                 mit Bayrou sich an der Wahlurne nur be-
zeugenden Statur Royals fçr das Amt wie                    grenzt auszahlte, war, trotz des vergleichba-
auch ihrem Programm einerseits, der umstrit-               ren Stimmenniveaus des ersten Wahlgangs,
tenen Persænlichkeit Sarkozys andererseits.                eine Wiederholung des Wahlsieges Mitterands
Hinzu kommt, dass Bayrous Kritik an der                    von 1981 unmæglich.
Links-Rechts-Polarisierung der franzæsischen
Politik Anklang fand.                                         Die Sozialisten haben ± zum dritten Mal
                                                           hintereinander ± die Pråsidentschaftswahl
   Auch die Stichwahl brachte das erwartete                verloren, obwohl die Konstellation fçr sie
Ergebnis. Sarkozy gewann recht deutlich mit                diesmal gçnstig war. Umfragen wie heftige
53,1 %. 21 Seinen Stimmenzuwachs verdankt                  Proteste und die Zwischenwahlen 2004 beleg-
er zum einen wieder den Le Pen-Wåhlern.                    ten, wie rasch die Regierung nach dem Sieg
Obwohl Le Pen sie aufgerufen hatte, sich                   Chiracs und der UMP 2002 unpopulår ge-
¹massivª zu enthalten, wurde sein ¹Befehlª                 worden war. Ihre Bilanz wurde weithin als
nur von einem Viertel befolgt. Fast drei Fçnf-             unbefriedigend empfunden. Warum hat den-
tel gaben Sarkozy ihre Stimme. Zum anderen                 noch Sarkozy gesiegt, der Vorsitzender der
gewann er fast die Hålfte der Bayrou-Wåhler,               UMP und in der gesamten Legislaturperiode
obwohl Bayrou selbst erklårt hatte, er werde               seit 2002 Minister war? Zunåchst einmal ge-
Sarkozy nicht wåhlen. Die Wåhler folgten                   lang ihm das Kunststçck, trotzdem als Kandi-
dem Aufruf der meisten UDF-Abgeordneten,                   dat des Wandels, ja des ¹Bruchsª mit der bis-
den UMP-Kandidaten zu wåhlen. Sie bestå-                   herigen Politik aufzutreten und gleichzeitig

bezogen ± mit dem Kårcher (Hochdruckreiniger) be-           22 Sarkozy ¹bedienteª diese Einstellung, wenn er ¹das

seitigt werden mçsse.                                      Frankreich, das frçh aufstehtª, den faulen Lang-
 20 56 % der Royal-Wåhler erklåren, die Kandidatin sei     schlåfern, die auf Staatskosten leben, gegençberstellte.
zwar nicht ihre Pråferenz, aber sie wollten sicher sein,    23 So erklårten in der Sofres-Umfrage (Anm. 20) 57 %,

dass sie in die Stichwahl kommt. Vgl. www.tns-sof-         sie wçnschten eine Gesellschaft mit mehr Ordnung
res.com (22. 4. 2007).                                     und Autoritåt, wåhrend nur 37 % mehr individuelle
 21 Bei einem Links-Rechts-Duell in der Pråsidenten-       Freiheiten wçnschten. 83 % der Sarkozy-Wåhler
wahl hatte nur General de Gaulle 1965 mit 55,2 %           wçnschen mehr Autoritåt, nur 16 % mehr individuelle
besser abgeschnitten.                                      Freiheiten; fçr Royal sind es respektive 27 bzw. 66 %.

                                                                                                 APuZ 38/2007         7
das Regierungslager hinter sich zu bringen.                Erwartungsgemåû behauptete die Partei
       Er ging in vielen Fragen auf Distanz zu Pråsi-          des Pråsidenten die absolute Mandatsmehr-
       dent Chirac wie zum Premierminister Domi-               heit. Die niedrige Wahlbeteiligung (60,4 %
       nique de Villepin, lange Zeit sein innerpartei-         im ersten, 60 % im zweiten Wahlgang) erklårt
       licher Rivale fçr das Pråsidentenamt, wahrte            sich zu einem erheblichen Teil aus der ver-
       aber insgesamt die Loyalitåt zur Regierung.             breiteten Ûberzeugung, die mit der Pråsiden-
       Seine Popularitåt wie seine herausragende po-           tenwahl getroffene Entscheidung werde oh-
       litische Begabung sicherten ihm gegen alle              nehin nicht mehr korrigiert. Allerdings
       Widerstånde (Chirac selbst wollte ihn verhin-           brachte der zweite Wahlgang nicht den nach
       dern) die einhellige Nominierung durch die              dem ersten Wahlgang mit dem Rekordergeb-
       UMP-Mitglieder. Er gewann die Wahl, weil                nis von 45,5 % fçr die UMP und ihre Ver-
       er im Vergleich zur sozialistischen Kandidatin          bçndeten prognostizierten Ausbau ihrer
       der çberzeugendere Kandidat mit dem çber-               Mehrheit, sondern sogar einen empfindlichen
       zeugenderen Programm war, weil er den bes-              Verlust von 46 Mandaten. Die Sozialisten
       seren Wahlkampf fçhrte und weil er von sei-             (mit Verbçndeten) gewannen 63 Mandate
       ner Partei geschlossener unterstçtzt wurde.             hinzu und vermieden so ein vælliges Debakel.
       Dass Royal noch so achtbar abschnitt, ver-              Davon bleibt der entscheidende Aspekt des
       dankt sie einmal der Loyalitåt der PS-Sympa-            Ergebnisses unberçhrt: Die UMP behauptete
       thisanten, 24 zum anderen der festen Absicht            die absolute Mehrheit, womit Pråsident Sar-
       vieler ihrer Wåhler, Sarkozy zu verhindern. 25          kozy çber die erforderliche parlamentarische
                                                               Mehrheit verfçgt, um sein Programm umzu-
                                                               setzen.
Die Wahlen zur Nationalversammlung
                                                                 Die Ûberraschung des zweiten Wahlgangs
       Die nach der Verkçrzung der Amtszeit des                erklårt sich zum einen aus der im Unterschied
       Pråsidenten auf fçnf Jahre (Verfassungsånde-            zu den Sozialisten schwachen Mobilisierung
       rung vom 2. 10. 2000) beschlossene Festle-              der UMP, fçr die alles gelaufen schien. Noch
       gung der zeitlichen Abfolge der Wahlen fçhrt            wichtiger war, dass sich in einer ganzen Reihe
       dazu, dass die Wahlen zur Nationalversamm-              von Wahlkreisen die Wåhler von Bayrous
       lung nur wenige Wochen nach der Pråsident-              neuer     Partei    Mouvement       Dmocrate
       schaftswahl stattfinden. Auch diesmal hat               (MoDem) fçr die Sozialisten entschieden,
       sich ± wie schon 2002 und bereits 1981 und              nachdem ihre eigenen Kandidaten nicht mehr
       1988 ± gezeigt, dass die Parlamentswahlen als           antreten konnten. Zum anderen hat das zwi-
       Beståtigung der vorangegangenen Pråsiden-               schen den beiden Wahlgången bekannt ge-
       tenwahl verstanden werden. Obwohl der Prå-              wordene und von der Mehrheit der Franzo-
       sident ohne parlamentarische Mehrheit auf               sen abgelehnte Vorhaben der Regierung, die
       dem gesamten Feld der Innen-, Wirtschafts-,             Mehrwertsteuer zu erhæhen, die UMP meh-
       Finanz- und Sozialpolitik nur wenig bewir-              rere Sitze gekostet.
       ken kann, da ihm entscheidende Kompeten-
       zen bei der Gesetzgebung fehlen (vor allem                 Die Verlierer der Wahl war Bayrous
       besitzt er kein Vetorecht) und, auf der                 MoDem, die mit 7,8 % der Stimmen nicht
       Grundlage des Verfassungstextes, insofern die           einmal die Hålfte seines Ergebnisses bei der
       Parlamentswahl die tatsåchliche ¹Kænigs-                Pråsidentschaftswahl retten konnte und sich
       wahlª auch in der V. Republik ist, 26 ist               mit vier Mandaten begnçgen muss. Damit be-
       spåtestens seit 2000 unbestreitbar, dass dieser         ståtigte sich, dass ein erheblicher Teil seiner
       Titel faktisch der Pråsidentenwahl zukommt.             Wåhler sich gemåû der UDF-Tradition fçr
       Diese çbernimmt nun eine Art Leitfunktion               den bisherigen Koalitionspartner UMP ent-
       und determiniert weitgehend die nachfolgen-             schieden hat. Zwar ist die Partei nach dem
       den Parlamentswahlen. 27                                Stimmenanteil die drittgræûte Partei, aber
                                                               Bayrou spçrt in besonderer Schårfe die Me-
        24 Fçr 52 % ihrer Wåhler das wichtigste Motiv. Um-
                                                               chanismen des franzæsischen Mehrheitswahl-
       frage CanalIpsos (Anm. 7).                              systems: Eine kleine Partei, die nicht bçnd-
        25 Vgl. Le Monde vom 29. 4. 2007.
        26 Edouard Balladur, Ne nous trompons pas d'lection
                                                               nisfåhig oder -willig ist, erringt kaum Man-
       reine, in: Le Monde vom 12. 1. 2000.
        27 Nur eine ¹Stærungª des Wahlkalenders durch          verfçgte Auflæsung der Nationalversammlung kænnte
       Rçcktritt oder Tod des Pråsidenten oder eine von ihm    diese Synchronisierung wieder aufheben.

   8    APuZ 38/2007
date und ist auf parlamentarischer Ebene zur         kozy unter den Wåhlern çber 50 Jahren. 29 In
     Wirkungslosigkeit verurteilt. Die Zukunft            diesen Altergruppen, insbesondere bei den
     sieht fçr die neue Partei ziemlich dçster aus.       çber 75-Jåhrigen, sind die Frauen deutlich
                                                          zahlreicher als die Månner. Gerade bei den ål-
        Der andere Verlierer ist Le Pens Front Na-        teren Wåhlern und vor allem Wåhlerinnen
     tional, der auf 4,7 % absackte und nur eine          dçrften die Sarkozy-Themen Autoritåt und
     Kandidatin in den zweiten Wahlgang brachte           Disziplin, innere Sicherheit, Kampf gegen
     (nicht gewåhlt). Es mag noch verfrçht sein, der      Kriminalitåt, restriktivere Einwanderung viel
     Partei das Totenglæckchen zu låuten, aber sie        Zustimmung gefunden haben.
     dçrfte auf absehbare Zeit in der franzæsischen
     Politik keine Rolle mehr spielen. Sarkozy ist es       Wie eben angedeutet, finden sich die græû-
     gelungen, ihr mit seiner Politik als Innenminis-     ten und fçr den Ausgang der Wahl entschei-
     ter und mit seinem Wahlprogramm das Gros             denden Unterschiede in der Alterstruktur.
     der Wåhler abzuwerben, ohne dass er ihre             Wåhrend Royal bei den 18- bis 24-Jåhrigen
     Ideologie und ihre ¹Læsungenª (prfrence na-        auf 61 % kam und auch bei den 30- bis 40-
     tionale) çbernimmt, wenn er auch ihrer Wåh-          Jåhrigen deutlich besser abschnitt als Sarkozy,
     lerschaft ein Stçck weit entgegenkommt.              brachte diesem das massive Votum der çber
                                                          50-Jåhrigen, die zahlreicher und wahlfreudi-
        Die Kommunisten und die Grçnen verbes-            ger als die Jungwåhler waren, den Sieg.
     sern zwar ihre sehr schlechten Ergebnisse der        Wçrde das Wahlrecht mit dem Erreichen des
     Pråsidentschaftswahl und kommen auf 4,6              Rentenalters (65) erlæschen, so wåre Royal
     bzw. 3,3 %, aber diese immer noch dçrftigen          Pråsidentin. 30
     Zahlen beståtigen den anhaltenden Nieder-
     gang der Kommunisten und die ebenfalls seit             Hinsichtlich der Berufsstruktur gibt es ei-
     ihrer Grçndung anhaltenden Entwicklungs-             nige bemerkenswerte Aspekte. Fçr Royal
     schwierigkeiten der Grçnen. Obwohl die bei-          stimmen, dem soziologischen Spagat der PS
     den Parteien vieles trennt ± insbesondere die        entsprechend, 53 % der Arbeiter wie der lei-
     Einstellung zur Kernkraft ±, bilden sie eine         tenden Angestellten und freien Berufe. Nicht
     Fraktion, um in der Nationalversammlung              verwunderlich, dass 63 % der Lohnabhångi-
     wirksamer agieren zu kænnen (und mehr                gen im æffentlichen Dienst sie gewåhlt haben,
     staatliche Mittel zu erhalten).                      aber nur 45 % aus dem Privatsektor. Allge-
                                                          mein werden weder sie noch Sarkozy eindeu-
Wahlsoziologische Anmerkungen                             tig von einer bestimmten Berufsgruppe be-
                                                          vorzugt oder abgelehnt. 31 Auffallend ist der
     Haben bestimmte soziale Gruppen eine aus-            zunehmende Stimmenanteil Royals mit stei-
     geprågte Pråferenz fçr bestimmte Kandida-            gendem Bildungsniveau. Das stådtische, ins-
     ten? 28 Gibt es gar ein Votum ¹Klasse gegen          besondere akademisch gebildete intellektuelle
     Klasseª, also die unteren Schichten fçr die          Bçrgertum, aber auch Jugendliche, nicht zu-
     Sozialistin, die oberen fçr den bçrgerlich-          letzt jene arabischer und afrikanischer Her-
     konservativen Kandidaten?                            kunft in den Vorstådten, standen mehrheitlich
                                                          hinter der Sozialistin, 32 der vorwiegend auf
        Zunåchst lieûe sich vermuten, dass die            dem Land und in Kleinstådten lebende Fran-
     Frauen die Frau deutlich bevorzugt håtten.           œais moyen ohne Abitur hinter Sarkozy.
     Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Royal hat
     bei den Månnern gegençber den Frauen einen
     Vorsprung von 6 %; bei Sarkozy ist es genau
     umgekehrt. Wird der Faktor Geschlecht mit             29 43 zu 57 % bei den 50- bis 74-Jåhrigen, sogar 37 zu

     anderen sozialen Merkmalen kombiniert, so            63 % bei den çber 75-Jåhrigen.
                                                           30 So J. Jaffr (Anm. 9).
     findet sich eine Erklårung fçr diesen auf den         31 Bemerkenswert ist der hohe Anteil der Arbeiter, die
     ersten Blick erstaunlichen Befund. Den græû-         im ersten Wahlgang fçr Le Pen stimmen. Mit 23 %
     ten Vorsprung gegençber Royal erzielte Sar-          liegt er vor Sarkozy und Royal (beide 21 %). Offenbar
                                                          sind ihm die vermutlich gering qualifizierten und in
      28 Den folgenden Angaben liegen die in den An-      ihrem Sozialstatus bedrohten Modernisierungsver-
     merkungen 7 und 20 zitierten Umfragen zur Pråsi-     lierer ziemlich treu geblieben.
     dentschaftswahl (erster Wahlgang) zugrunde. Ferner    32 Symptomatisch: 94 % der Muslime haben Royal,

     folgende Umfrage zur Stichwahl: www.csa-fr.com/da-   aber 77 % der praktizierenden Katholiken haben Sar-
     taset/data2007/opi20070506, (20. 5. 2007).           kozy gewåhlt. Zahlen nach J. Jaffr (Anm. 9).

                                                                                               APuZ 38/2007         9
Die Zukunft der                                              kein åhnliches Gegengewicht wie die deut-
                                                             schen Bundeslånder. Die Machtkonzentration
¹republikanischen Monarchieª                                 ist stårker als je zuvor, vor allem wenn die
                                                             guten Beziehungen Sarkozys zu einflussrei-
        Schon wåhrend des Wahlkampfes hat der neu            chen Verlegern im Mediensektor berçcksich-
        gewåhlte Pråsident erklårt, er wolle ein Pråsi-      tigt werden. Montesquieus Forderung, Macht
        dent sein, der regiert. Seit seinem Amtsantritt      mçsse im Interesse der Freiheitssicherung
        setzt er diese Absicht in die Tat um. Die abso-      durch Gegenmacht ausbalanciert werden,
        lute Mehrheit, çber die die UMP in der Na-           wird auf der institutionellen Ebene nicht be-
        tionalversammlung verfçgt, ist die nætige            achtet. Die kontrollierenden Gegengewalten
        Voraussetzung. Zwar haben alle Pråsidenten           der Zivilgesellschaft (Interessengruppen, be-
        der V. Republik die Entscheidungen, die sie          sonders die Gewerkschaften, ¹die Wirt-
        fçr wichtig hielten, selbst getroffen ± und          schaftª, trotz Sarkozys Beziehungen auch die
        nicht nur auf dem Feld der Auûen- und Si-            Medien), die franzæsische politische Kultur,
        cherheitspolitik ±, aber keiner hat das in die-      zu der rasch und nachdrçcklich protestieren-
        sem Umfang getan und in dieser Offenheit             de Bçrger gehæren, auch die EU mit ihren die
        die ¹Richtlinien der Politikª bestimmt wie           nationale Politik einschrånkenden Mæglich-
        Sarkozy seit seinem Amtsantritt. Eine ge-            keiten verhindern, dass der Pråsident ¹durch-
        wisse Zweideutigkeit, die das Pråsidentenamt         regierenª, dass er seine Vorstellungen ohne
        bisher umgab, ist damit jedenfalls beendet.          Rçcksichtnahme auf die betroffenen Interes-
        Der Pråsident agiert nicht als der çberpartei-       sen durchsetzen kann, dass es gar zu einer au-
        lich-neutrale Schiedsrichter gemåû Artikel 5         toritår-diktatorischen Entwicklung kommen
        der Verfassung, sondern ± åhnlich wie der            kænnte, selbst wenn der Pråsident das wollte.
        amerikanische Pråsident ± gleichzeitig als
        Staats- und Regierungschef. Die Artikel 20              In seiner Rede zu Grundfragen der Verfas-
        und 21, wonach die Regierung die Politik der         sungsordnung der V. Republik und ihrer Ent-
        Nation ¹bestimmt und leitetª und der Pre-            wicklung, die der Pråsident am 12. Juli 2007
        mierminister die Tåtigkeit der Regierung lei-        in Epinal gehalten hat, 34 hat Sarkozy darge-
        tet, sind faktisch auûer Kraft gesetzt. Der          legt, in welchen Punkten er die Verfassung
        Premierminister setzt die vom Pråsidenten            und die politische Praxis åndern will, ohne an
        beschlossenen Richtlinien um, sorgt, gemein-         die Grundstruktur der V. Republik zu rçhren.
        sam mit dem UMP-Fraktionsvorsitzenden,               Die ¹Herrschaftª des mit groûer Machtfçlle
        fçr die parlamentarische Mehrheit und koor-          ausgestatteten Pråsidenten soll auf zwei
        diniert lediglich die Tåtigkeit der Regierung.       Amtszeiten beschrånkt werden, und er soll
        Die schon bisher stark auf den Pråsidenten           einmal jåhrlich çber seine Politik Rechen-
        zugeschnittene Verfassungspraxis wird also           schaft vor dem Parlament ablegen, was an
        nicht nur fortgesetzt, sondern deutlich ver-         den ¹Bericht zur Lage der Nationª des ameri-
        stårkt.                                              kanischen Pråsidenten erinnert. Ob der Pråsi-
                                                             dent die politische Verantwortung fçr eine
           Der Pråsident ist nicht nur der unumstrit-        Wahlniederlage nach vorgezogenen Wahlen
        tene Chef der Regierung, in der der Einfluss         zur Nationalversammlung oder einem verlo-
        des kleinen Koalitionspartners, der rein rech-       renen Referendum çbernehmen wird, lieû er
        nerisch gar nicht gebraucht wird, nur als ge-        offen. Es ist weder daran gedacht, den Pråsi-
        ring einzuschåtzen ist, sondern er ist auch als      denten parlamentarisch verantwortlich zu
        (faktischer, wenn auch nicht mehr nominel-           machen, noch ihm sein Auflæsungsrecht zu
        ler) Parteichef unangefochten. Neben der             nehmen. Sarkozy spricht sich sowohl gegen
        Mehrheit in der Nationalversammlung kann             das pråsidentielle Regierungssystem ™ la USA
        sich der Pråsident mit seiner Regierung auch
        auf eine Senatsmehrheit stçtzen. Zudem geht
                                                             diesem politischen ¹Lagerª mit vollem Stimmrecht in
        die Ernennung von acht der neuen Mitglieder          diesem Gremium.
        des Verfassungsrates auf Politiker der Rech-          34 Die Wahl des Ortes wurde bewusst gewåhlt, um an
        ten zurçck. 33 Die Regionen, die die Sozialis-       eine Rede zu erinnern, die General de Gaulle am
        ten 2004 fast alle gewonnen haben, bilden            29. 9. 1946 am gleichen Ort zur gleichen Thematik ge-
                                                             halten hat. Sarkozy hat in seiner Rede ein nachdrçck-
                                                             liches Bekenntnis zu de Gaulle, dessen Rolle in der
        33 Noch dazu sitzen mit den ehemaligen Pråsidenten   franzæsischen Geschichte und zur V. Republik abge-
        Giscard d'Estaing und Chirac weitere Vertreter aus   legt. Vgl. Le Monde vom 12. 7. 2007.

   10    APuZ 38/2007
aus wie auch gegen die Rçckkehr zum ¹rei-                Gisela Mçller-Brandeck-Bocquet
nen Parlamentarismusª. Die franzæsische
Verfassung bleibt also ein ¹Bastardª.

   Inwieweit das Parlament gestårkt wird
                                                         Frankreich:
(Sarkozy erwåhnt unter anderem græûeren
Einfluss auf seine Tagesordnung, mehr stån-
dige Ausschçsse, Beteiligung am pråsidentiel-
                                                         zurçck in
len Ernennungsrecht fçr wichtige Posten in
Politik, Verwaltung und Wirtschaft) und in-
wieweit die Opposition bessere Kontroll-
                                                         Europa, aber mit
mæglichkeiten erhålt, 35 ist noch nicht erkenn-
bar. Sicher ist, dass die Regierung die wich-
tigsten Instrumente des ¹rationalisierten
                                                         welchem Kurs?
Parlamentarismusª behalten soll, um die Zu-
stimmung eines eventuell widerstrebenden
Parlaments zu ihrer Politik auch erzwingen
zu kænnen. 36 Eine Kommission soll bis zum
                                                         Û      ber zwei Jahre lang war Frankreich,
                                                                wichtiger Grçnderstaat der EWG/EG/
                                                         EU und traditioneller Ideengeber und (Mit-)
1. November 2007 konkrete Vorschlåge erar-
                                                         Initiator aller integrationspolitischer Fort-
beiten. Die Diskussion çber das Mehrheits-
                                                         schritte, in Europa kaum wahrzunehmen.
wahlrecht, das zu erheblichen Verzerrungen
                                                         Denn am 29. Mai
in der Repråsentation fçhrt, dçrfte zur Beifç-
                                                         2005, als 54,8 Prozent
gung einer eher schwachen ¹Dosisª Verhålt-
                                                         der Franzosen (bei Gisela Mçller-Brandeck-
niswahl fçhren, wobei der mehrheitsbildende
                                                         nahezu      siebzigpro- Bocquet
Effekt des Wahlsystems aber gewåhrleistet
                                                         zentiger Wahlbeteili- Dr. rer. pol.; geb. 1956; Profes-
bleiben wird. Dadurch låsst sich der Fortbe-
                                                         gung) den ¹Vertrag sorin für Internationale Bezie-
stand des bipolar strukturierten Parteiensys-
                                                         çber eine Verfassung hungen und Europaforschung
tems mit je einer dominierenden Partei auf
                                                         fçr Europaª (VVE) an der Universität Würzburg,
der Rechten (UMP) wie auf der Linken (PS)
                                                         per Referendum ab- Wittelsbacherplatz 1,
zwar nicht garantieren, aber die Bipolaritåt
                                                         lehnten, wurde das 97074 Würzburg.
wird durch das Institutionengefçge und das
                                                         Land in eine europa- mbb@mail.uni-wuerzburg.de
Wahlsystem weiterhin entscheidend begçns-
                                                         politische     Schreck-
tigt. Voraussetzung fçr einen demokratisch
                                                         starre und Låhmung katapultiert, die bis zur
wçnschenswerten Machtwechsel nach einer
                                                         Pråsidentschaftswahl 2007 anhielt. Das Fatale
långeren Regierungszeit einer Partei (2012
                                                         an der Situation war, dass Frankreich nur
wåre die UMP zehn Jahre an der Macht) ist
                                                         wenig zur Ûberwindung der tiefen EU-Krise,
eine Erneuerung der PS, vor allem in pro-
                                                         fçr die es maûgeblich verantwortlich zeich-
grammatischer Hinsicht.
                                                         nete, beitragen konnte, solange keine Ant-
                                                         wort auf die Frage gefunden war, wie das
  Welche der angedachten Verfassungsånde-
                                                         Nein des Souveråns zu respektieren und
rungen schlieûlich auch realisiert werden ± es
                                                         gleichzeitig die angestammte und hoch not-
wird keine neue, keine VI. Republik geben.
                                                         wendige Rolle des Promotors des europå-
                                                         ischen Einigungsprozesses auszuçben sei.

                                                            Nachdem mit den Gipfelbeschlçssen vom
 35 Ein Anfang ist, auf Drången Sarkozys, die Ûber-      21. bis 23. Juni 2007 dieser gordisch-franzæsi-
lassung des Vorsitzes im wichtigen Finanzausschuss in    sche Knoten durchschlagen werden konnte,
der Nationalversammlung an einen PS-Abgeordneten.        ist der sich abzeichnende europapolitische
 36 So hat Sarkozy erklårt, den berçchtigten Art. 49,
                                                         Kurs des neuen Staatspråsidenten Nicolas Sar-
Abs. 3 beibehalten zu wollen. Danach kann der Pre-       kozy einer kritischen Betrachtung zu unter-
mierminister jederzeit die Vertrauensfrage mit einer
                                                         ziehen. Auch wenn Frankreich nun wieder
Gesetzesvorlage verbinden. Abgestimmt wird dann
çber einen Misstrauensantrag, sofern einer eingebracht   nach Europa zurçckgekehrt ist, 1 lassen man-
wird, oder gar nicht. Von dieser Mæglichkeit wurde
                                                         1 ¹Ce soir, la France est de retour en Europeª, so der
bisher 81 Mal, fçr 47 Vorlagen, Gebrauch gemacht.
                                                         neue Staatspråsident am Abend des 6. 5. 2007, in: Le
                                                         Monde vom 8. 5. 2007.

                                                                                              APuZ 38/2007        11
che Positionen des ungewæhnlich energisch,                ropapolitische Spaltung Frankreichs zu çber-
        zupackend und temporeich auftretenden                     winden, die mit der Maastricht-Debatte aus-
        ¹speedy Sarkoª ± wie der schnell erworbene                gelæst worden war und die angesichts des
        Spitzname des neuen Hausherrn im Elyse-                  Endes des Ost-West-Konflikts und der neuen
        Palast lautet ± doch Zweifel daran aufkom-                weltpolitischen Lage, angesichts von Globali-
        men, ob Frankreich unter seiner Fçhrung wie-              sierung und Entgrenzung, angesichts der ver-
        der eine konstruktive europapolitische Rolle              ånderten Bedeutung des Nationalstaates und
        spielen und sich positiv in die Gegebenheiten             seiner Gestaltungsmæglichkeiten vielschichti-
        einer EU-27 einfinden kann. Sarkozy scheint               ger Ausdruck der abgrundtiefen franzæsi-
        vor çberbordenden Fçhrungsansprçchen und                  schen Verunsicherung çber die eigene Rolle
        Nationalegoismen nicht gefeit, so dass die                und Bedeutung im kçnftigen Europa war. 4
        Sorge umgeht, er kænne ein ¹unbequemer
        Partner in Europaª werden. 2 Im Besonderen                   Dieses Versåumnis lag zum einen an Chi-
        steht zu befçrchten, dass er Europa (wieder)              racs persænlichem Zugang zum europåischen
                                                                  Integrationsprozess, zum anderen daran, dass
        als bloûen Verstårker franzæsischer Interessen
                                                                  er seine Europapolitik oft der Innenpolitik
        instrumentalisiert bzw. missbraucht.
                                                                  unterordnete, sie also in die Geiselhaft håufig
                                                                  wechselnder innen- und parteipolitischer
           Um Sarkozys bisherigen Kurs bewerten zu
                                                                  Konstellationen nahm. Hinzu kam seine ¹pre-
        kænnen, muss zunåchst eine europapolitische
                                                                  dilection for rapid policy and identity chan-
        Bilanz seines Amtsvorgångers Jacques Chirac               gesª, 5 die Edouard Balladur zu dem Bonmot
        gewagt werden: Hat der langjåhrige Staatsprå-             veranlasste: ¹Jacques ist wie der Beaujolais.
        sident verlåssliche Fundamente hinterlassen,              Jedes Jahr wird uns ein neuer verkauftª. 6 An-
        auf die Sarkozy bauen kann und muss? Oder                 dere meinten: ¹Wenn ihm auch Ûberzeugun-
        besteht das Chirac'sche Erbe nicht vielmehr in            gen fehlen, so hat er doch Instinktª. 7
        der Unfåhigkeit, im Frankreich der Post-
        Maastricht-Øra einen neuen, soliden und par-                 So prågten denn auch weniger Prinzipien
        teiçbergreifenden Konsens zu stiften, der                 und Grundçberzeugungen als vielmehr poli-
        Frankreich wieder unverbrçchlich in der inte-             tischer Instinkt seine Europapolitik, die er
        grationspolitischen Avantgarde verankert?                 auûerdem abrupten Politik- und Kurswech-
                                                                  seln aussetzte. Wåhrend Chirac im so ge-
                                                                  nannten Appell von Cochin (1978) deutlich
Jacques Chiracs Hinterlassenschaft                                antieuropåische Tæne angeschlagen hatte,
                                                                  reihte er sich in den dramatischen innerfran-
        Vergleicht man Frankreichs Europapolitik                  zæsischen Auseinandersetzungen um den
        wåhrend der Amtszeiten Jacques Chiracs                    Maastrichter Vertrag recht unvermittelt ins
        (1995 bis 2007) mit jener seines Vorgångers,              Lager der Europabefçrworter ein. Seit diesem
        Franœois Mitterrand (1981 bis 1995), so fållt             Positionswechsel galt Chirac mehr als Euro-
        zunåchst ihr schlingernder Kurs, ihre Unste-              påer aus Kalkçl bzw. aus Vernunft denn aus
        tig- und Wechselhaftigkeit auf. Wåhrend Mit-              Ûberzeugung. 8 So sah der Staatspråsident
        terrand sich mit ungeheurer Hartnåckigkeit                sich selbst: ¹Ich war nie ein militanter Euro-
        und unter dem Motto: ¹Soviel Integration                  pabefçrworter, ich bin ein Euro-Pragmatiker;
        wie nætig, soviel einzelstaatliche Souveråni-             ich stelle fest, dass Europa unvermeidlich ist,
        tåtswahrung wie mæglichª fçr die Vertiefung               aber ich theoretisiere nicht çber Europaª. 9
        der Integration einsetzte und somit erreichte,
        dass die 1980er Jahre und frçhen 1990er Jahre              4 Vgl. Gisela Mçller-Brandeck-Bocquet, Frankreichs

        zum ¹goldenen Zeitalter des Aufbaus Euro-                 Europapolitik, Wiesbaden 2004, S. 123 ff u. S. 164 ff.
                                                                   5 George Ross, Chirac's first steps and the 1995
        pas und der franzæsischen Europapolitikª
                                                                  French Presidency of the European Union, in: French
        avancierten, 3 lieû Chirac ein vergleichbar
                                                                  Politics & Society, (1995) 3, S. 26.
        verlåssliches Engagement von Anfang an ver-                6 Le Monde vom 23./24. 6. 2002 (alle franzæsischen
        missen. Insbesondere versåumte er es, die eu-             Zitate im Text sind eigene Ûbersetzungen).
                                                                   7 Albert Du Roy, Domaine rserv. Les coulisses de la
         2 Vgl. Joachim Schild, Sarkozys Europapolitik. Das       diplomatie franœaise, Paris 2000, S. 109.
        zunehmende Gewicht der Innenpolitik, in: Integration,      8 Wichard    Woyke, Deutsch-franzæsische Bezie-
        (2007) 3, S. 221.                                         hungen seit der Wiedervereinigung. Das Tandem fasst
         3 Laurent Cohen-Tanugi, La Politique europenne de       wieder Tritt, Wiesbaden 2004, S. 61.
        la France ™ l'heure des choix, in: Politique trang re,    9 Chirac   zit. in: G. Mçller-Brandeck-Bocquet
        (1995/96) 60, S. 857.                                     (Anm. 4), S. 167.

   12    APuZ 38/2007
Nimmt man Chiracs Amtszeiten in der ge-              endgçltige (europa-)politische Bedeutungslo-
botenen Kçrze und Distanz in den Blick, so              sigkeit. ¹Am 29. Mai 2005 ist Chirac politisch
fållt ein wahres Paradoxon auf: Obwohl Chi-             gestorben, und diesmal fçr immerª. 12
rac wenig europapolitische Erfolge aufzuwei-
sen hat, war Europa dennoch insofern sein
Schicksal, als seine beiden markanten politi-                      Chiracs geringe Erfolge in Europa
schen Fehler einen direkten Europa-Bezug
hatten. Hier ist zum einen seine Entscheidung           Wenn das europåische Paradox zur ¹Nieder-
vom 21. April 1997 zu nennen, als er im Vor-            lage eines Vernunfteuropåersª gefçhrt hat, 13
feld der Euro-Einfçhrung vorgezogene Neu-               so ist doch zu fragen, inwieweit der Staats-
wahlen zur Nationalversammlung ankçn-                   pråsident seinerseits die Entwicklung der EU
digte. Die Euro-Einfçhrung erzwinge einen               zu prågen vermochte. In der kurzen Zeit-
strikten Sparkurs der æffentlichen Haushalte            spanne der neogaullistischen Alleinherrschaft
und dafçr strebe man ein erneutes Mandat                seiner ersten Amtszeit, also 1995 bis 1997, 14
des Souveråns an. 10 In Wahrheit aber ver-              entwickelten Chirac und seine Getreuen eine
folgte Chirac mit dem Neuwahlbeschluss das              Blaupause fçr das Institutionengefçge der
Ziel, die seit dem Maastricht-Referendum in             EU, die einerseits den angesichts der bevor-
der neogaullistischen RPR gårende innerpar-             stehenden Osterweiterung nætigen Reform-
teiliche Opposition um Charles Pasqua zu                bedarfen der Union gerecht werden, anderer-
beenden. Diese Fehlentscheidung brachte                 seits aber auch franzæsische Interessen wah-
Chirac den Verlust der Parlamentsmehrheit               ren sollte. So entstand eine Chirac'sche
und die langwåhrende, ungeliebte Kohabitati-            Europa-Orthodoxie, der er bis zum Kon-
on mit dem Sozialisten Lionel Jospin ein.               ventsprozess treu blieb. Diese Orthodoxie
                                                        bestand in dem Ansinnen, das intergouverne-
   Auch Chiracs Entscheidung vom 14. Juli               mentale Element des Europåischen Rats auf-
2004, den VVE nicht ± wie ursprçnglich ge-              zuwerten bis hin zur Wahl eines Pråsidenten
plant ± auf parlamentarischem, sondern ple-             dieser Versammlung, der die EU nach auûen
biszitårem Wege ratifizieren zu lassen, hatte           vertreten sollte. Den Ministerrat betreffend
letztlich vorrangig innen- und parteipoliti-            verfolgte Chirac ± wie zuvor schon Mitter-
sche Grçnde. Im Vorfeld des Wahljahrs 2007              rand ± eine åuûerst pragmatische Position:
und angesichts erneut aufkommender inner-               Um die EU handlungsfåhiger und effizienter
parteilicher Opposition, diesmal zum EU-                zu machen, unterstçtzte er die Ausweitung
Beitritt der Tçrkei und angefçhrt von Alain             des qualifizierten Mehrheitsentscheids im
Jupp und Nicolas Sarkozy, wollte Chirac                Rat. Da die Osterweiterung in Kombination
sich seine Legitimation im eigenen Lager er-            mit dem mittlere und kleine Mitgliedstaaten
neut beståtigen lassen und zugleich den sozia-          begçnstigenden      Stimmverteilungsschlçssel
listischen Gegner substanziell schwåchen.               aber das relative Gewicht Frankreichs emp-
Letzteres gelang ihm perfekt, denn in der Tat           findlich schmålern wçrde, verlangte er nach
spaltete sich die Parti socialiste (PS) bald nach       einer Neuwågung der Ratsstimmen ± ohne je-
der Referendumsankçndigung in ein Lager                 doch die deutsch-franzæsische Stimmenpari-
der Nein-Sager zum VVE um Laurent Fabius                tåt aufgeben zu wollen. Den Einfluss des
und in eines der Verfassungsbefçrworter und             Europåischen Parlaments suchte er durch
belastete damit ihre Erfolgsaussichten fçr die          eine Aufwertung der nationalen Parlamente
Wahlen 2007. Doch der Preis war extrem                  zu begrenzen. 15 Nachdem Chirac sich mit
hoch fçr Chirac: Das ¹Nonª vom 29. Mai                  diesen Positionen in Amsterdam nicht durch-
2005 setzte nicht nur seinen oft ventilierten            12 So die Quintessenz von Franz-Olivier Giesbert, La
Ambitionen, ein drittes Mandat anzustreben,
                                                        Tragdie du Prsident, Paris 2006.
faktisch ein Ende. 11 Es markierte auch seine            13 Vgl. Henri de Bresson und Arnaud Leparmentier in:

                                                        Le Monde vom 13. 3. 2007.
 10 Vgl. Marie-Bndicte Allaire/Philippe Goulliaud,     14 Wåhrend seiner 12 Amtsjahre hat Chirac nur von

L'incroyable Septennat. Jacques Chirac ™ l'Elyse       1995 bis 1997 und erneut von 2002 bis 2007, also 7
1995± 2002, Paris 2002, S. 226 ff.                      Jahre lang, çber die geballte Machtfçlle eines Staats-
 11 Dennoch hielt sich Chirac die Option einer weite-   pråsidenten der V. Franzæsischen Republik verfçgt.
ren Pråsidentschaftskandidatur bis in den Mårz 2007     Folgt man F.-O. Giesbert (Anm. 12), dann waren es
hinein offen; dies diente vor allem dem Ziel, Sarkozy   lediglich 5 Jahre.
nicht allzu frçh als alleinigem konservativen Amtsan-    15 Vgl.   G. Mçller-Brandeck-Bocquet (Anm. 4),
wårter die Bçhne zu çberlassen.                         S. 170 ff.

                                                                                             APuZ 38/2007        13
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