Aus Politik und Zeitgeschichte - 38/2007 17. September 2007 - BPB
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APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 38/2007 ´ 17. September 2007 Frankreich Adolf Kimmel Die franzæsischen Wahlen vom Frçhjahr 2007 Gisela Mçller-Brandeck-Bocquet Frankreich: zurçck in Europa, aber mit welchem Kurs? Stephan Martens Franzæsische Auûenpolitik unter Nicolas Sarkozy Wolfram Hilz Perspektiven der ¹neuenª deutsch-franzæsischen Beziehungen Frank Eckardt Frankreichs Schwierigkeiten mit den Banlieue Sabine Riedel Einwanderung: das Ende der Politik der Chancengleichheit Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial Der neue franzæsische Staatspråsident Nicolas Sarkozy hat auf der internationalen politischen Bçhne einen furiosen Start hinge- legt. Dem wortgewandten und schier omnipråsenten Staatschef ist es in kurzer Zeit gelungen, Frankreich wieder zum Akteur der Weltpolitik zu machen. Die Jahre der politischen Låhmung der ¹Grande Nationª unter Jacques Chirac, insbesondere seit dem ¹Nonª der Franzosen zum EU-Verfassungsvertrag, scheinen vergessen. Sarkozy hat als Innenminister auch mit provokanten Aussagen zur Kriminalitåt und zur Migrationspolitik von sich reden ge- macht. Als Pråsident will er Frankreich innenpolitisch reformie- ren und modernisieren; auûenpolitisch soll es eine aktivere Rolle spielen. Vor dem Diplomatischen Korps in Paris bekråftigte der Staatspråsident seinen Willen zur Einmischung in die zahlreichen internationalen Konflikte, denn einen Staatsmann zeichne sein Wille aus, ¹den Lauf der Dinge zu veråndernª. Das gilt auch fçr Frankreichs Rolle in Europa. Sarkozy konnte erste Erfolge auf dem Brçsseler Gipfeltreffen erzielen. Auch am erfolgreichen Verlauf des von Bundeskanzlerin Angela Merkel geleiteten G8-Gipfels in Heiligendamm hatte Sarkozy seinen Anteil. Ganz oben auf Sarkozys politischer Agenda steht die Færderung der Interessen Frankreichs, insbesondere gegençber den EU-Instanzen. Der auf die Person zugeschnittene Politikstil Sarkozys wurde schnell mit Vokabeln wie ¹Hyperpråsidentª, ¹Super Sarkoª oder ¹Monsieur 1000 Voltª charakterisiert. Daneben gab es aber auch Kritik: Sein Aktionismus schwåche die Verfassungsinstitutionen und habe die Nationalversammlung ihrer Kontrollfunktion be- raubt; Sarkozy wolle Staat, Regierung und Úffentlichkeit zu- gleich verkærpern. Ludwig Watzal
Adolf Kimmel Keine andere Pråsidentenwahl war von der vorangehenden noch so beeinflusst wie diese Die franzæsischen Wahl. Das Ergebnis von 2002, namentlich das Ausscheiden des sozialistischen Kandidaten im ersten Wahlgang, hatte auf das Wahlver- Wahlen vom halten einen erheblichen Einfluss. Frçhjahr 2007 Die einzig aussichtsreichen Kandidaten ± neben Sarkozy und Royal konnte auch der zentristische Kandidat Franois Bayrou da- zugezåhlt werden ± verkærperten einen weit- hin fçr notwendig gehaltenen Generations- wechsel, denn sie waren erst zwischen 50 und 55 Jahre alt. Schon im Wahlkampf hatten die S chon seit långerem war die franzæsische Innenpolitik auf die Pråsidentschaftswah- len am 22. April und 6. Mai sowie die Wahlen Vertreter dieser neuen Generation erklårt, dass sie das Pråsidentenamt nicht als ein Schiedsrichteramt wahrnehmen wçrden, son- zur Nationalversammlung am 10. und 17. dern dass sie noch stårker als ihre Vorgån- Juni 2007 ausgerichtet. Die Erfolge der Sozia- ger die Politik aktiv mitgestalten wollten. listen bei den Kantonal-, Regional- und Eu- Schlieûlich håtte mit der sozialistischen Kan- ropawahlen des Jahres 2004 lieûen einen didatin erstmals eine Frau Pråsidentin werden Machtwechsel als kænnen. Adolf Kimmel mæglich erscheinen. Dr. phil., geb. 1938; Professor Nach dem negativen Die Kandidatennominierung (i. R.) für Politikwissenschaft, Ausgang des Referen- zuletzt an der Universität Trier. dums vom 29. Mai Im Vergleich zur Nominierung der Spitzen- Adolf.Kimmel@t-online.de 2005 çber den euro- kandidaten bei Parlamentswahlen in den påischen Verfassungs- westeuropåischen Demokratien, die in aller vertrag, das einen Regel durch die Parteien erfolgt, dominierte empfindlichen Rçckschlag fçr Pråsident Chi- in Frankreich bei den Pråsidentenwahlen bis- rac bedeutete, galt seine abermalige Kandida- her eine Selbstnominierung quasi-monarchi- tur als unwahrscheinlich, so dass es im Ely- schen Typs, die ± wenn çberhaupt ± von den se-Palast auf jeden Fall zu einem Macht- Parteien der jeweiligen Kandidaten nachtråg- wechsel kommen wçrde. lich nur noch ratifiziert wurden. Das gilt ins- besondere fçr die Rechte, eingeschrånkt auch Die Wahl des Pråsidenten fand in mehrfa- fçr die Linke. Dieses Verfahren entsprach cher Hinsicht in einer ganz besonderen Kon- dem gaullistischen Mythos, wonach es sich stellation statt. Zum ersten Mal çberhaupt bei dieser Wahl um ¹die Begegnung eines trat kein ehemaliger Pråsident oder Premier- Mannes/einer Frau mit dem franzæsischen minister an und ± mit Ausnahme der Wahl Volkª handelte, welche die Parteien nicht stæ- von 1995 ± trafen erstmals seit 1974 nicht der ren dçrften. Wåhrend die Parteidisziplin bei Amtsinhaber und sein wichtigster Herausfor- den Sozialisten Mehrfachkandidaturen ver- derer aufeinander. Die Kandidaten der beiden hinderte, gab es aus den Reihen der Gaullis- wichtigsten Parteien, der Sozialisten und der ten mehrmals mehrere Kandidaten, ohne dass (Neo-)Gaullisten bewarben sich erstmals um deswegen aber Parteiausschlussverfahren ein- dieses Amt, und sie konnten nur auf eine rela- geleitet worden wåren. Erst seit 1995, nach tiv begrenzte Regierungserfahrung verwei- dem Ausscheiden ihres ¹Ûbervatersª Mitter- sen. 1 Damit gewann die Frage, ob die Kandi- daten das fçr dieses wichtige Amt nætige 1 Zwar war 1969 auch Georges Pompidou als Kandi- ¹Formatª, die nætige ¹Staturª besitzen, eine dat ein Neuling, aber er konnte auf eine sechsjåhrige besondere Bedeutung. Vor allem hinsichtlich Erfahrung als Premierminister verweisen. Valry Gis- Sgol ne Royal stellte man sich diese Frage, card d'Estaing hatte vor seiner ersten Kandidatur 1974 acht Jahre das wichtige Ressort des Wirtschafts- und wåhrend Nicolas Sarkozy seit 2002 schon Finanzministers innegehabt. Vergleichbar wåre allen- wichtige Ressorts innegehabt hatte (das falls noch Lionel Jospin 1995. Er war vorher ¹nurª Innen- sowie Wirtschafts- und Finanzminis- Bildungs- und Erziehungsminister, aber auch mehrere terium). Jahre Parteichef. APuZ 38/2007 3
rand praktizierten die Sozialisten ein færm- rent Fabius durch. 5 Wie ist dieses çberra- liches innerparteiliches Nominierungsver- schende Ergebnis zu erklåren? Zugespitzt fahren, bei dem die Parteimitglieder ent- lieûe sich sagen, dass die Partei nur ratifiziert scheiden. 2 hat, was Umfragen und Medien bereits vor- entschieden hatten. Die Verfahren der inner- Die Nominierung Sarkozys bedeutete parteilichen Demokratie waren durch die einen Bruch mit dem Mythos und der Tradi- Medien- und Stimmungsdemokratie çber- tion des Gaullismus, denn er verdankt sie aus- spielt worden. Die Frage bleibt, warum schlieûlich der Partei. Der entscheidende Tag Royal zur ¹Madonna der Umfragenª, warum war bereits der 28. November 2004, als Sar- sie die Favoritin der Medien wurde. Eine ent- kozy ± gegen den Willen von Pråsident Chi- scheidende Voraussetzung lag sicher darin, rac, auf dessen Betreiben hin 2002 die UMP dass es in der PS keinen unumstrittenen Kan- (Union pour la majorit prsidentielle) ge- didaten gab. Obwohl schon seit långerem grçndet worden war ± Vorsitzender dieser aktiv ± wenn auch nicht in vorderster Reihe ±, Partei wurde. Damit war er schon so etwas war sie doch im Vergleich zu den ¹Parteiele- wie der natçrliche Kandidat geworden, aber fantenª in der PS ein neues Gesicht, das viel- es wåre mæglicherweise zu einem Konflikt fach gewçnscht wurde. Sie war keine Partei- zwischen dem Parteiwillen und dem gaullisti- soldatin. Es kam ihr wohl auch zugute, dass schen Dogma gekommen, wenn nicht Chi- sie eine Frau war, noch dazu eine sehr gut racs Favorit, Premierminister Dominique de aussehende, und Mutter von vier Kindern. Villepin, seine Chancen im Frçhjahr 2006 Ausschlaggebend war sicher, dass nach den durch seine Politik, vor allem um den geplan- Umfragen nur sie in der Lage schien, den ten Erstanstellungsvertrag fçr Jugendliche UMP-Kandidaten zu schlagen. Nicht wenige (CPE), verspielt håtte. Die triumphale Kçr PS-Mitglieder dçrften also, auch wenn sie ge- Sarkozys durch die UMP-Mitglieder (98 % wisse Bedenken oder Vorbehalte hatten, vor bei einer Beteiligung von 69 %) am 14. Januar allem aus diesem Grund fçr sie gestimmt 2007 entsprach dann den Erwartungen. Fçr haben. Schon bei den Regionalwahlen 2004 die Erfolgsaussichten Sarkozys war also hatte Royal zudem bewiesen, dass sie selbst wichtig, dass sich die in der UMP geeinte in einer schwierigen Konstellation gewinnen gaullistische und die liberale Rechte erstmals konnte. 6 seit 1969 auf nur einen Kandidaten einigen konnten. Der Wahlkampf: Personen und Themen Bei der Parti Socialiste (PS) folgte die No- Da es bei der Pråsidentschaftswahl um die minierung dem Muster des Jahres 1995. Aller- Wahl einer Person in ein Amt geht, spielen dings handelte es sich bei Sgol ne Royal um die Persænlichkeiten der Kandidatinnen und eine Ûberraschungskandidatin, mit der nur Kandidaten eine zentrale Rolle. Ihre politi- wenige gerechnet hatten. 3 Weder gehærte sie schen Konzepte kænnen zwar nicht von zum engeren Kreis der Parteifçhrung noch ihnen getrennt werden aber sie treten mitun- hatte sie ein Regierungsamt innegehabt, das ter in den Hintergrund. Fçr die Sympathisan- sich an Wichtigkeit mit dem ihrer Konkur- ten der Rechtsparteien ist der personelle Fak- renten vergleichen lieû. 4 Dennoch setzte sie tor wichtiger als fçr die Sympathisanten der sich gegen ihre beiden verbliebenen Mitbe- Linken. Insofern werden die Sozialisten, bei werber Dominique Strauss-Kahn und Lau- denen das auf Verånderung des Status quo zielende Programm eine wichtigere Rolle 2 1995 wurde auf diese Weise Jospin nominiert. Mit spielt, durch den Modus der Pråsidentenwahl Henri Emmanuelli hatte er auch einen Gegen- strukturell benachteiligt. 7 kandidaten. 3 Der bekannte Publizist Alain Duhamel z. B. hatte sie 5 In der Abstimmung am 16. 11. 2006 stimmten 60,7 % in seinem im Januar 2006 erschienenen Buch (Les pr- der Parteimitglieder bei einer Beteiligung von 82 % fçr tendants 2007, Paris 2006) unter den 15 von ihm por- sie. tråtierten mæglichen Kandidaten nicht aufgefçhrt. 6 Sie wurde in der konservativen Region Poitou-Cha- 4 Diese beiden Kriterien hatten Alain Duhamel ver- rente, der politischen Heimat des damaligen Pre- anlasst, sie nicht zu berçcksichtigen. Royal war 1992/ mierministers Jean-Pierre Raffarin, mit absoluter 93 Ministerin fçr Umweltfragen und 2000/02 bei- Mehrheit zur Regionalpråsidentin gewåhlt. geordnete Ministerin fçr Schulen bzw. Familie, Jugend 7 Vgl. Philippe Marli re, Le PS et sa candidate en und Behinderte. porte--faux, in: Le Monde vom 16. 3. 2007. Der Autor 4 APuZ 38/2007
Das Persænlichkeitsprofil der beiden in die auch erfolgreich als Wahlkampfthema einge- Stichwahl gelangten Kandidaten zeigt scharfe setzt. 11 Kontraste. 8 Insgesamt schreiben Sarkozy deutlich mehr Wåhler die Statur eines kçnfti- Im Unterschied zum Wahlkampf 2002, als gen Pråsidenten zu: 9 In den Punkten Re- die innere Sicherheit das alles beherrschende formwilligkeit, Entscheidungsfreude, Dyna- Thema war, fehlte diesmal ein åhnlich domi- mik, Durchsetzungsstårke, Fåhigkeit in inter- nierendes Thema. Sarkozy gelang es am bes- nationalen Krisen zu bestehen und ten, dem Wahlkampf thematisch seinen Stem- franzæsische Interessen zu vertreten, politi- pel aufzudrçcken. Er stellte traditionelle sche Erfahrung und Kenntnis der Dossiers Werte in den Mittelpunkt, die nicht nur von sowie Fåhigkeit der staatlichen Autoritåt Re- den Sympathisanten der Rechten geteilt wer- spekt zu verschaffen, wird er deutlich besser den, sondern die darçber hinaus Zustimmung bewertet als seine Konkurrentin. Schlechter finden: Autoritåt und (innere) Sicherheit, als die sozialistische Kandidatin schneidet er Disziplin und Respekt, Leistung, die aner- ab, wenn es darum geht, den Bçrgern zuzu- kannt, und Arbeit, die sich wieder stårker hæren und ihre Sorgen zu verstehen, Einver- lohnen mçsse, 12 Steuersenkungen, die aller- nehmen herzustellen und die Einheit der Ge- dings vor allem Wohlhabenden und Unter- sellschaft mæglichst zu bewahren, ruhiger, nehmern zugute kåmen, 13 aber auch Entlas- ausgeglichener zu entscheiden und zu regie- tungen mæglichst vieler Bçrger, um die Kauf- ren. Royal wirkt sympathischer, liebenswçr- kraft zu stårken. 14 Vor allem insistierte er im diger (plus sduisante), aber weniger kompe- Zusammenhang mit der Immigrationsfrage tent und eben weniger geeignet fçr das ange- auf dem Problem der nationalen Identitåt strebte Amt. Sarkozy werden zwar die und schlug recht nationale Tæne an. erforderlichen Fåhigkeiten zugeschrieben, um den Anforderungen gewachsen zu sein, Royal stellte soziale Fragen wie Kampf aber gleichzeitig wirkt seine autoritåre, kom- gegen die Arbeitslosigkeit, Stårkung der promisslos-harte Persænlichkeit, die er vor Kaufkraft durch Erhæhung des Mindestlohns allem durch seine law-and-order-Politik als und der Kleinrenten oder Kampf gegen die Innenminister erworben hat, polarisierend Jugendarbeitslosigkeit durch staatlich finan- und auf viele Bçrger beunruhigend; es wird zierte Beschåftigung und die Ausweitung der befçrchtet, dass er die Gegensåtze in der fran- 35-Stunden-Woche in den Mittelpunkt ihres zæsischen Gesellschaft weiter vertiefen Wahlkampfes. Allerdings gelang es ihr nicht, kænnte, dass seine Worte und Taten sie weiter ihr Konzept einer ¹gerechten Ordnungª, das zu spalten drohen. Er gilt als machthungrig den Kampf gegen Ungleichheiten und Armut und unberechenbar, als jemand, der leicht die wie auch Verbesserungen im Schulsystem be- Beherrschung verliert. Sarkozys umstrittene inhaltete, hinreichend zu konkretisieren. Persænlichkeit 10 wurde von seiner sozialisti- Nicht nur bei den Themen Einwanderung, schen Konkurrentin gezielt und teilweise innere Sicherheit und Kampf gegen Krimina- litåt konnte Sarkozy erwartungsgemåû punk- ten, sondern auch bei den sozialen Fragen schnitt er besser ab als die sozialistische Kan- weist darauf hin, dass der bisher einzig erfolgreiche Kandidat der Linken, Mitterrand, ein eher ¹ rechtesª didatin. 15 Royal blieb vor allem eine çber- Profil gehabt habe. Nach einer Umfrage (www. ip- sos.fr/CanalIpsos/poll/8427.asp) war fçr 52 % der 11 Nach J. Jaffr (Anm. 9) hat insgesamt einer von fçnf Royal-Wåhler ihre Parteizugehærigkeit das Wahlmotiv, Wåhlern als ein Motiv angegeben, den Sieg des politi- aber nur fçr 17 % der Sarkozy-Wåhler (26. 4. 2007). schen Gegners zu verhindern. Unter den Royal-Wåh- 8 Vgl. Pascal Perrineau, L'image de Nicolas Sarkozy, lern betrug der Anteil 76 %. in: Olivier Duhamel/Brice Teinturier (Hrsg.), L'tat de 12 Weshalb er fçr eine weitere Flexibilisierung der 35- l'opinion, Paris 2007, S. 75± 94, bes. Tabelle S. 84±86. Stunden-Woche eintrat: wer wolle, solle Ûberstunden 9 60 % gegençber 40 % fçr Royal. Zahlen bei JrÖme machen dçrfen ± befreit von Steuern und Abgaben. Jaffr, L'indiscutable dfaite de Sgol ne Royal, in: Le 13 Er will die gesamte steuerliche Spitzenbelastung Monde vom 8. 6. 2007. Wåhrend 57 % der Sarkozy- von 60 auf 50 % senken und die Erbschaftssteuer Wåhler als Motiv angeben, er habe die Statur eines weitgehend abschaffen. Pråsidenten, sind es bei Royal nur 16 %. Vgl. Nach- 14 Neben der Steuerbefreiung fçr die Ûberstunden ist wahlumfrage (Anm. 7). in diesem Zusammenhang die steuerliche Absetzbar- 10 Selbst seine Wåhler haben offenbar gewisse Be- keit von Krediten fçr den Erwerb von Wohneigentum denken, denn nur 22 % geben sie als Wahlmotiv an. zu erwåhnen. Vgl. Nachwahlumfrage (Anm. 7). 15 Vgl. die Zahlen bei J. Jaffr (Anm. 9). APuZ 38/2007 5
zeugende Antwort auf die Frage schuldig, servoir fçr die Stichwahl. Auch von der Wåh- wie ihre groûzçgigen sozialpolitischen Ver- lerschaft des rechtsextremen Jean-Marie Le sprechen finanziert werden sollten, ohne die Pen konnte er noch auf weiteren Zulauf hof- Staatsverschuldung weiter zu erhæhen. Aller- fen. dings wurde auch Sarkozy von Experten vor- gehalten, dass die Kosten seines Programms Die sozialistische Kandidatin kam auf zu niedrig angesetzt seien und auch seine Vor- 25,9 % und gewann im Vergleich zu Jospin haben nicht die Sanierung der Staatsfinanzen 2002 9,7 Prozentpunkte hinzu. 17 Sie erreichte als wichtiges Ziel anstrebten. damit genau das Ergebnis wie Mitterrand 1981, als dieser dann in der anschlieûenden Wåhrend Sarkozy nach allgemeiner Ein- Stichwahl Giscard d'Estaing schlug. Darin schåtzung den professionelleren Wahlkampf brauchte aber noch kein gutes Vorzeichen ge- fçhrte, wobei ihm seine rhetorischen Fåhig- sehen werden, denn zum einen war der Ab- keiten, sein Auftreten im Fernsehen und die stand zu Sarkozy recht groû, zum anderen Unterstçtzung seiner Partei zugute kamen, waren Royals Reserven fçr die Stichwahl viel wies Royals Wahlkampf Defizite hinsichtlich kleiner. Professionalitåt und Effizienz auf. Ihr Bemç- hen um Bçrgernåhe mit dem Konzept einer Bayrous Ergebnis (6,8 %) galt als sensatio- ¹partizipativen Demokratieª wurde ihr als nell, bedeutete es doch fast eine Verdreifa- Fçhrungsschwåche angekreidet, und es gelang chung gegençber 2002. Im Vergleich zu den ihr nicht, ihre Partei åhnlich geschlossen hin- Ergebnissen der Kandidaten der (rechten) ter sich zu bringen wie Sarkozy seine UMP. Mitte bei frçheren Wahlen liegt das Ergebnis im ¹normalenª Bereich, doch muss berçck- Bemerkenswert ist das Internet als ein sichtigt werden, dass sich ein Teil seiner UDF neues und intensiv genutztes Element im (Union pour la dmocratie franaise) der Wahlkampf. Dabei tat sich die PS-Kandidatin 2002 gegrçndeten UMP angeschlossen hatte. besonders hervor. Auch wenn die Bedeutung des neuen Mediums insgesamt nicht çber- Le Pen kam ¹nurª noch auf 10,4 %, gegen- schåtzt werden darf (nur 5 % der Befragten çber 16,9 % 2002. Erstmals seit 1988 ist sein erklårten, es sei fçr sie das wichtigste Medium Ergebnis rçcklåufig, und zwar massiv. politischer Information), dçrfte es fçr die Wahlentscheidung vor allem der jçngeren Die linksextremen Kandidaten ± Trotzkis- Wåhler, die in weit græûerem Maû das Inter- ten, Globalisierungsgegner, Kommunisten ± net auch politisch nutzen, eine erhebliche erlebten einen åhnlichen Absturz: von 19,1 Rolle gespielt haben. auf 10,2 %. 18 Hervorzuheben ist dabei das nahezu vællige Verschwinden der kommunis- tischen KPF (1,9 %), die in den 1970er Jahren Das Wahlergebnis noch Ergebnisse von çber 20 % erzielte (bei Wahlen zur Nationalversammlung). Auch die Mit 83,8 % im ersten und 84 % im zweiten Grçnen schnitten mit ihrer Kandidatin sehr Wahlgang lag die Wahlbeteiligung deutlich schlecht ab (1,6 %). hæher als 2002. Hinsichtlich der ersten beiden Plåtze brachte der erste Wahlgang das von Wie ist das Ergebnis zu erklåren? Le Pen den Umfragen vorhergesagte Ergebnis. Sar- verdankt seinen Rçckschlag dem Image und kozy, seit seiner Nominierung am 14. Januar dem Wahlkampf Sarkoys. Mit seiner harten konstant an der Spitze der Umfragen, erzielte Politik als Innenminister, seinen ¹markigenª mit 31,2 % ein sehr gutes Ergebnis und çber- Sprçchen 19 und seinen Wahlkampfthemen traf Chirac um mehr als 11 Prozentpunkte. 16 gelang es ihm, einen beachtlichen Teil der Le Damit hatte er das Potenzial der republika- nisch-parlamentarischen Rechten aber noch 17 Wird berçcksichtigt, dass Jean-Pierre Chev nement keineswegs ausgeschæpft. Vor allem der Stim- und Christiane Taubira 2002 kandidiert und Jospin menanteil Franois Bayrous bot noch ein Re- Stimmen weggenommen hatten, diesmal aber Royal unterstçtzten, dann schrumpft der Zuwachs auf 3,1 %. 16 Von den Kandidaten der bçrgerlichen Parteien wa- 18 Die Grçnen sind hier eingeschlossen, obwohl sie ren nur General de Gaulle 1965 und Pompidou 1969 nicht als linksextrem bezeichnet werden kænnen. deutlich, Giscard d'Estaing 1974 nur unwesentlich 19 Erinnert sei nur an racaille (Gesindel), das ± auf die besser. revoltierenden Jugendlichen in der Pariser Banlieue 6 APuZ 38/2007
Pen-Wåhler zu sich herçberzuziehen. Offen- tigten damit, dass die (liberale, christdemo- bar hat sich bei einem erheblichen Teil von kratische) Mitte der Rechten nåher steht als ihnen der Realismus insofern durchgesetzt, den Sozialisten. als sie eingesehen haben, dass Le Pen selbst nie in eine Position kommen wçrde, um Poli- Der im Hinblick auf die Stichwahl wichtig- tik zu gestalten. Folglich haben sie sich schon ste Aspekt war das historisch niedrige Niveau im ersten Wahlgang fçr den ± ungleich aus- der Linken insgesamt. Mit 36 % war es das sichtsreicheren ± Kandidaten entschieden, der schlechteste Ergebnis seit 1969, als nach dem ihren Auffassungen am nåchsten steht. Mai 1968 viele Wåhler ins konservativ-bçr- gerliche Lager gewechselt waren und als sich Wie die Ergebnisse Sarkozys und Le Pens ± die sozialistische Partei mitten im Umbruch zumindest teilweise ± zusammenhången, so befand. Die wichtigste Ursache fçr das Er- sind auch die von Royal und der extremen gebnis 2007 liegt in einem Rechtsruck der Linken gegenseitig bedingt. Das Nachwirken franzæsischen Wåhler und ihres Wertesys- des Schocks von 2002 und die feste Absicht, tems. Kampf gegen Kriminalitåt; Ablehnung es nicht noch einmal zu einem åhnlichen De- weiterer Zuwanderung, die als eine Haupt- bakel (Ausscheiden des PS-Kandidaten im quelle der Kriminalitåt gesehen wird, Durch- ersten Wahlgang) kommen zu lassen, dçrfte setzung der staatlichen Autoritåt, Achtung die plausibelste Erklårung sein. Um sicher zu von Disziplin und Arbeit und Kampf gegen gehen, dass die Sozialistin in die Stichwahl ¹Sozialschmarotzerª, 22 Stolz auf Frankreich kommt, haben linksextreme Sympathisanten ± diese Werte werden offenbar von vielen schon im ersten Wahlgang ¹das kleinere Bçrgern, gerade auch in den Unterschichten, Ûbelª gewåhlt. 20 geteilt, wåhrend sie von der Linken, auch den Sozialisten hintangestellt oder sogar abge- Bayrou verdankt sein Ergebnis vor allem lehnt werden. 23 Da Royals Reserven auf der den Schwåchen der beiden ¹groûenª Kandi- åuûersten Linken gering waren und ihr Flirt daten: der nicht alle Sarkozy-Gegner çber- mit Bayrou sich an der Wahlurne nur be- zeugenden Statur Royals fçr das Amt wie grenzt auszahlte, war, trotz des vergleichba- auch ihrem Programm einerseits, der umstrit- ren Stimmenniveaus des ersten Wahlgangs, tenen Persænlichkeit Sarkozys andererseits. eine Wiederholung des Wahlsieges Mitterands Hinzu kommt, dass Bayrous Kritik an der von 1981 unmæglich. Links-Rechts-Polarisierung der franzæsischen Politik Anklang fand. Die Sozialisten haben ± zum dritten Mal hintereinander ± die Pråsidentschaftswahl Auch die Stichwahl brachte das erwartete verloren, obwohl die Konstellation fçr sie Ergebnis. Sarkozy gewann recht deutlich mit diesmal gçnstig war. Umfragen wie heftige 53,1 %. 21 Seinen Stimmenzuwachs verdankt Proteste und die Zwischenwahlen 2004 beleg- er zum einen wieder den Le Pen-Wåhlern. ten, wie rasch die Regierung nach dem Sieg Obwohl Le Pen sie aufgerufen hatte, sich Chiracs und der UMP 2002 unpopulår ge- ¹massivª zu enthalten, wurde sein ¹Befehlª worden war. Ihre Bilanz wurde weithin als nur von einem Viertel befolgt. Fast drei Fçnf- unbefriedigend empfunden. Warum hat den- tel gaben Sarkozy ihre Stimme. Zum anderen noch Sarkozy gesiegt, der Vorsitzender der gewann er fast die Hålfte der Bayrou-Wåhler, UMP und in der gesamten Legislaturperiode obwohl Bayrou selbst erklårt hatte, er werde seit 2002 Minister war? Zunåchst einmal ge- Sarkozy nicht wåhlen. Die Wåhler folgten lang ihm das Kunststçck, trotzdem als Kandi- dem Aufruf der meisten UDF-Abgeordneten, dat des Wandels, ja des ¹Bruchsª mit der bis- den UMP-Kandidaten zu wåhlen. Sie bestå- herigen Politik aufzutreten und gleichzeitig bezogen ± mit dem Kårcher (Hochdruckreiniger) be- 22 Sarkozy ¹bedienteª diese Einstellung, wenn er ¹das seitigt werden mçsse. Frankreich, das frçh aufstehtª, den faulen Lang- 20 56 % der Royal-Wåhler erklåren, die Kandidatin sei schlåfern, die auf Staatskosten leben, gegençberstellte. zwar nicht ihre Pråferenz, aber sie wollten sicher sein, 23 So erklårten in der Sofres-Umfrage (Anm. 20) 57 %, dass sie in die Stichwahl kommt. Vgl. www.tns-sof- sie wçnschten eine Gesellschaft mit mehr Ordnung res.com (22. 4. 2007). und Autoritåt, wåhrend nur 37 % mehr individuelle 21 Bei einem Links-Rechts-Duell in der Pråsidenten- Freiheiten wçnschten. 83 % der Sarkozy-Wåhler wahl hatte nur General de Gaulle 1965 mit 55,2 % wçnschen mehr Autoritåt, nur 16 % mehr individuelle besser abgeschnitten. Freiheiten; fçr Royal sind es respektive 27 bzw. 66 %. APuZ 38/2007 7
das Regierungslager hinter sich zu bringen. Erwartungsgemåû behauptete die Partei Er ging in vielen Fragen auf Distanz zu Pråsi- des Pråsidenten die absolute Mandatsmehr- dent Chirac wie zum Premierminister Domi- heit. Die niedrige Wahlbeteiligung (60,4 % nique de Villepin, lange Zeit sein innerpartei- im ersten, 60 % im zweiten Wahlgang) erklårt licher Rivale fçr das Pråsidentenamt, wahrte sich zu einem erheblichen Teil aus der ver- aber insgesamt die Loyalitåt zur Regierung. breiteten Ûberzeugung, die mit der Pråsiden- Seine Popularitåt wie seine herausragende po- tenwahl getroffene Entscheidung werde oh- litische Begabung sicherten ihm gegen alle nehin nicht mehr korrigiert. Allerdings Widerstånde (Chirac selbst wollte ihn verhin- brachte der zweite Wahlgang nicht den nach dern) die einhellige Nominierung durch die dem ersten Wahlgang mit dem Rekordergeb- UMP-Mitglieder. Er gewann die Wahl, weil nis von 45,5 % fçr die UMP und ihre Ver- er im Vergleich zur sozialistischen Kandidatin bçndeten prognostizierten Ausbau ihrer der çberzeugendere Kandidat mit dem çber- Mehrheit, sondern sogar einen empfindlichen zeugenderen Programm war, weil er den bes- Verlust von 46 Mandaten. Die Sozialisten seren Wahlkampf fçhrte und weil er von sei- (mit Verbçndeten) gewannen 63 Mandate ner Partei geschlossener unterstçtzt wurde. hinzu und vermieden so ein vælliges Debakel. Dass Royal noch so achtbar abschnitt, ver- Davon bleibt der entscheidende Aspekt des dankt sie einmal der Loyalitåt der PS-Sympa- Ergebnisses unberçhrt: Die UMP behauptete thisanten, 24 zum anderen der festen Absicht die absolute Mehrheit, womit Pråsident Sar- vieler ihrer Wåhler, Sarkozy zu verhindern. 25 kozy çber die erforderliche parlamentarische Mehrheit verfçgt, um sein Programm umzu- setzen. Die Wahlen zur Nationalversammlung Die Ûberraschung des zweiten Wahlgangs Die nach der Verkçrzung der Amtszeit des erklårt sich zum einen aus der im Unterschied Pråsidenten auf fçnf Jahre (Verfassungsånde- zu den Sozialisten schwachen Mobilisierung rung vom 2. 10. 2000) beschlossene Festle- der UMP, fçr die alles gelaufen schien. Noch gung der zeitlichen Abfolge der Wahlen fçhrt wichtiger war, dass sich in einer ganzen Reihe dazu, dass die Wahlen zur Nationalversamm- von Wahlkreisen die Wåhler von Bayrous lung nur wenige Wochen nach der Pråsident- neuer Partei Mouvement Dmocrate schaftswahl stattfinden. Auch diesmal hat (MoDem) fçr die Sozialisten entschieden, sich ± wie schon 2002 und bereits 1981 und nachdem ihre eigenen Kandidaten nicht mehr 1988 ± gezeigt, dass die Parlamentswahlen als antreten konnten. Zum anderen hat das zwi- Beståtigung der vorangegangenen Pråsiden- schen den beiden Wahlgången bekannt ge- tenwahl verstanden werden. Obwohl der Prå- wordene und von der Mehrheit der Franzo- sident ohne parlamentarische Mehrheit auf sen abgelehnte Vorhaben der Regierung, die dem gesamten Feld der Innen-, Wirtschafts-, Mehrwertsteuer zu erhæhen, die UMP meh- Finanz- und Sozialpolitik nur wenig bewir- rere Sitze gekostet. ken kann, da ihm entscheidende Kompeten- zen bei der Gesetzgebung fehlen (vor allem Die Verlierer der Wahl war Bayrous besitzt er kein Vetorecht) und, auf der MoDem, die mit 7,8 % der Stimmen nicht Grundlage des Verfassungstextes, insofern die einmal die Hålfte seines Ergebnisses bei der Parlamentswahl die tatsåchliche ¹Kænigs- Pråsidentschaftswahl retten konnte und sich wahlª auch in der V. Republik ist, 26 ist mit vier Mandaten begnçgen muss. Damit be- spåtestens seit 2000 unbestreitbar, dass dieser ståtigte sich, dass ein erheblicher Teil seiner Titel faktisch der Pråsidentenwahl zukommt. Wåhler sich gemåû der UDF-Tradition fçr Diese çbernimmt nun eine Art Leitfunktion den bisherigen Koalitionspartner UMP ent- und determiniert weitgehend die nachfolgen- schieden hat. Zwar ist die Partei nach dem den Parlamentswahlen. 27 Stimmenanteil die drittgræûte Partei, aber Bayrou spçrt in besonderer Schårfe die Me- 24 Fçr 52 % ihrer Wåhler das wichtigste Motiv. Um- chanismen des franzæsischen Mehrheitswahl- frage CanalIpsos (Anm. 7). systems: Eine kleine Partei, die nicht bçnd- 25 Vgl. Le Monde vom 29. 4. 2007. 26 Edouard Balladur, Ne nous trompons pas d'lection nisfåhig oder -willig ist, erringt kaum Man- reine, in: Le Monde vom 12. 1. 2000. 27 Nur eine ¹Stærungª des Wahlkalenders durch verfçgte Auflæsung der Nationalversammlung kænnte Rçcktritt oder Tod des Pråsidenten oder eine von ihm diese Synchronisierung wieder aufheben. 8 APuZ 38/2007
date und ist auf parlamentarischer Ebene zur kozy unter den Wåhlern çber 50 Jahren. 29 In Wirkungslosigkeit verurteilt. Die Zukunft diesen Altergruppen, insbesondere bei den sieht fçr die neue Partei ziemlich dçster aus. çber 75-Jåhrigen, sind die Frauen deutlich zahlreicher als die Månner. Gerade bei den ål- Der andere Verlierer ist Le Pens Front Na- teren Wåhlern und vor allem Wåhlerinnen tional, der auf 4,7 % absackte und nur eine dçrften die Sarkozy-Themen Autoritåt und Kandidatin in den zweiten Wahlgang brachte Disziplin, innere Sicherheit, Kampf gegen (nicht gewåhlt). Es mag noch verfrçht sein, der Kriminalitåt, restriktivere Einwanderung viel Partei das Totenglæckchen zu låuten, aber sie Zustimmung gefunden haben. dçrfte auf absehbare Zeit in der franzæsischen Politik keine Rolle mehr spielen. Sarkozy ist es Wie eben angedeutet, finden sich die græû- gelungen, ihr mit seiner Politik als Innenminis- ten und fçr den Ausgang der Wahl entschei- ter und mit seinem Wahlprogramm das Gros denden Unterschiede in der Alterstruktur. der Wåhler abzuwerben, ohne dass er ihre Wåhrend Royal bei den 18- bis 24-Jåhrigen Ideologie und ihre ¹Læsungenª (prfrence na- auf 61 % kam und auch bei den 30- bis 40- tionale) çbernimmt, wenn er auch ihrer Wåh- Jåhrigen deutlich besser abschnitt als Sarkozy, lerschaft ein Stçck weit entgegenkommt. brachte diesem das massive Votum der çber 50-Jåhrigen, die zahlreicher und wahlfreudi- Die Kommunisten und die Grçnen verbes- ger als die Jungwåhler waren, den Sieg. sern zwar ihre sehr schlechten Ergebnisse der Wçrde das Wahlrecht mit dem Erreichen des Pråsidentschaftswahl und kommen auf 4,6 Rentenalters (65) erlæschen, so wåre Royal bzw. 3,3 %, aber diese immer noch dçrftigen Pråsidentin. 30 Zahlen beståtigen den anhaltenden Nieder- gang der Kommunisten und die ebenfalls seit Hinsichtlich der Berufsstruktur gibt es ei- ihrer Grçndung anhaltenden Entwicklungs- nige bemerkenswerte Aspekte. Fçr Royal schwierigkeiten der Grçnen. Obwohl die bei- stimmen, dem soziologischen Spagat der PS den Parteien vieles trennt ± insbesondere die entsprechend, 53 % der Arbeiter wie der lei- Einstellung zur Kernkraft ±, bilden sie eine tenden Angestellten und freien Berufe. Nicht Fraktion, um in der Nationalversammlung verwunderlich, dass 63 % der Lohnabhångi- wirksamer agieren zu kænnen (und mehr gen im æffentlichen Dienst sie gewåhlt haben, staatliche Mittel zu erhalten). aber nur 45 % aus dem Privatsektor. Allge- mein werden weder sie noch Sarkozy eindeu- Wahlsoziologische Anmerkungen tig von einer bestimmten Berufsgruppe be- vorzugt oder abgelehnt. 31 Auffallend ist der Haben bestimmte soziale Gruppen eine aus- zunehmende Stimmenanteil Royals mit stei- geprågte Pråferenz fçr bestimmte Kandida- gendem Bildungsniveau. Das stådtische, ins- ten? 28 Gibt es gar ein Votum ¹Klasse gegen besondere akademisch gebildete intellektuelle Klasseª, also die unteren Schichten fçr die Bçrgertum, aber auch Jugendliche, nicht zu- Sozialistin, die oberen fçr den bçrgerlich- letzt jene arabischer und afrikanischer Her- konservativen Kandidaten? kunft in den Vorstådten, standen mehrheitlich hinter der Sozialistin, 32 der vorwiegend auf Zunåchst lieûe sich vermuten, dass die dem Land und in Kleinstådten lebende Fran- Frauen die Frau deutlich bevorzugt håtten. ais moyen ohne Abitur hinter Sarkozy. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Royal hat bei den Månnern gegençber den Frauen einen Vorsprung von 6 %; bei Sarkozy ist es genau umgekehrt. Wird der Faktor Geschlecht mit 29 43 zu 57 % bei den 50- bis 74-Jåhrigen, sogar 37 zu anderen sozialen Merkmalen kombiniert, so 63 % bei den çber 75-Jåhrigen. 30 So J. Jaffr (Anm. 9). findet sich eine Erklårung fçr diesen auf den 31 Bemerkenswert ist der hohe Anteil der Arbeiter, die ersten Blick erstaunlichen Befund. Den græû- im ersten Wahlgang fçr Le Pen stimmen. Mit 23 % ten Vorsprung gegençber Royal erzielte Sar- liegt er vor Sarkozy und Royal (beide 21 %). Offenbar sind ihm die vermutlich gering qualifizierten und in 28 Den folgenden Angaben liegen die in den An- ihrem Sozialstatus bedrohten Modernisierungsver- merkungen 7 und 20 zitierten Umfragen zur Pråsi- lierer ziemlich treu geblieben. dentschaftswahl (erster Wahlgang) zugrunde. Ferner 32 Symptomatisch: 94 % der Muslime haben Royal, folgende Umfrage zur Stichwahl: www.csa-fr.com/da- aber 77 % der praktizierenden Katholiken haben Sar- taset/data2007/opi20070506, (20. 5. 2007). kozy gewåhlt. Zahlen nach J. Jaffr (Anm. 9). APuZ 38/2007 9
Die Zukunft der kein åhnliches Gegengewicht wie die deut- schen Bundeslånder. Die Machtkonzentration ¹republikanischen Monarchieª ist stårker als je zuvor, vor allem wenn die guten Beziehungen Sarkozys zu einflussrei- Schon wåhrend des Wahlkampfes hat der neu chen Verlegern im Mediensektor berçcksich- gewåhlte Pråsident erklårt, er wolle ein Pråsi- tigt werden. Montesquieus Forderung, Macht dent sein, der regiert. Seit seinem Amtsantritt mçsse im Interesse der Freiheitssicherung setzt er diese Absicht in die Tat um. Die abso- durch Gegenmacht ausbalanciert werden, lute Mehrheit, çber die die UMP in der Na- wird auf der institutionellen Ebene nicht be- tionalversammlung verfçgt, ist die nætige achtet. Die kontrollierenden Gegengewalten Voraussetzung. Zwar haben alle Pråsidenten der Zivilgesellschaft (Interessengruppen, be- der V. Republik die Entscheidungen, die sie sonders die Gewerkschaften, ¹die Wirt- fçr wichtig hielten, selbst getroffen ± und schaftª, trotz Sarkozys Beziehungen auch die nicht nur auf dem Feld der Auûen- und Si- Medien), die franzæsische politische Kultur, cherheitspolitik ±, aber keiner hat das in die- zu der rasch und nachdrçcklich protestieren- sem Umfang getan und in dieser Offenheit de Bçrger gehæren, auch die EU mit ihren die die ¹Richtlinien der Politikª bestimmt wie nationale Politik einschrånkenden Mæglich- Sarkozy seit seinem Amtsantritt. Eine ge- keiten verhindern, dass der Pråsident ¹durch- wisse Zweideutigkeit, die das Pråsidentenamt regierenª, dass er seine Vorstellungen ohne bisher umgab, ist damit jedenfalls beendet. Rçcksichtnahme auf die betroffenen Interes- Der Pråsident agiert nicht als der çberpartei- sen durchsetzen kann, dass es gar zu einer au- lich-neutrale Schiedsrichter gemåû Artikel 5 toritår-diktatorischen Entwicklung kommen der Verfassung, sondern ± åhnlich wie der kænnte, selbst wenn der Pråsident das wollte. amerikanische Pråsident ± gleichzeitig als Staats- und Regierungschef. Die Artikel 20 In seiner Rede zu Grundfragen der Verfas- und 21, wonach die Regierung die Politik der sungsordnung der V. Republik und ihrer Ent- Nation ¹bestimmt und leitetª und der Pre- wicklung, die der Pråsident am 12. Juli 2007 mierminister die Tåtigkeit der Regierung lei- in Epinal gehalten hat, 34 hat Sarkozy darge- tet, sind faktisch auûer Kraft gesetzt. Der legt, in welchen Punkten er die Verfassung Premierminister setzt die vom Pråsidenten und die politische Praxis åndern will, ohne an beschlossenen Richtlinien um, sorgt, gemein- die Grundstruktur der V. Republik zu rçhren. sam mit dem UMP-Fraktionsvorsitzenden, Die ¹Herrschaftª des mit groûer Machtfçlle fçr die parlamentarische Mehrheit und koor- ausgestatteten Pråsidenten soll auf zwei diniert lediglich die Tåtigkeit der Regierung. Amtszeiten beschrånkt werden, und er soll Die schon bisher stark auf den Pråsidenten einmal jåhrlich çber seine Politik Rechen- zugeschnittene Verfassungspraxis wird also schaft vor dem Parlament ablegen, was an nicht nur fortgesetzt, sondern deutlich ver- den ¹Bericht zur Lage der Nationª des ameri- stårkt. kanischen Pråsidenten erinnert. Ob der Pråsi- dent die politische Verantwortung fçr eine Der Pråsident ist nicht nur der unumstrit- Wahlniederlage nach vorgezogenen Wahlen tene Chef der Regierung, in der der Einfluss zur Nationalversammlung oder einem verlo- des kleinen Koalitionspartners, der rein rech- renen Referendum çbernehmen wird, lieû er nerisch gar nicht gebraucht wird, nur als ge- offen. Es ist weder daran gedacht, den Pråsi- ring einzuschåtzen ist, sondern er ist auch als denten parlamentarisch verantwortlich zu (faktischer, wenn auch nicht mehr nominel- machen, noch ihm sein Auflæsungsrecht zu ler) Parteichef unangefochten. Neben der nehmen. Sarkozy spricht sich sowohl gegen Mehrheit in der Nationalversammlung kann das pråsidentielle Regierungssystem la USA sich der Pråsident mit seiner Regierung auch auf eine Senatsmehrheit stçtzen. Zudem geht diesem politischen ¹Lagerª mit vollem Stimmrecht in die Ernennung von acht der neuen Mitglieder diesem Gremium. des Verfassungsrates auf Politiker der Rech- 34 Die Wahl des Ortes wurde bewusst gewåhlt, um an ten zurçck. 33 Die Regionen, die die Sozialis- eine Rede zu erinnern, die General de Gaulle am ten 2004 fast alle gewonnen haben, bilden 29. 9. 1946 am gleichen Ort zur gleichen Thematik ge- halten hat. Sarkozy hat in seiner Rede ein nachdrçck- liches Bekenntnis zu de Gaulle, dessen Rolle in der 33 Noch dazu sitzen mit den ehemaligen Pråsidenten franzæsischen Geschichte und zur V. Republik abge- Giscard d'Estaing und Chirac weitere Vertreter aus legt. Vgl. Le Monde vom 12. 7. 2007. 10 APuZ 38/2007
aus wie auch gegen die Rçckkehr zum ¹rei- Gisela Mçller-Brandeck-Bocquet nen Parlamentarismusª. Die franzæsische Verfassung bleibt also ein ¹Bastardª. Inwieweit das Parlament gestårkt wird Frankreich: (Sarkozy erwåhnt unter anderem græûeren Einfluss auf seine Tagesordnung, mehr stån- dige Ausschçsse, Beteiligung am pråsidentiel- zurçck in len Ernennungsrecht fçr wichtige Posten in Politik, Verwaltung und Wirtschaft) und in- wieweit die Opposition bessere Kontroll- Europa, aber mit mæglichkeiten erhålt, 35 ist noch nicht erkenn- bar. Sicher ist, dass die Regierung die wich- tigsten Instrumente des ¹rationalisierten welchem Kurs? Parlamentarismusª behalten soll, um die Zu- stimmung eines eventuell widerstrebenden Parlaments zu ihrer Politik auch erzwingen zu kænnen. 36 Eine Kommission soll bis zum Û ber zwei Jahre lang war Frankreich, wichtiger Grçnderstaat der EWG/EG/ EU und traditioneller Ideengeber und (Mit-) 1. November 2007 konkrete Vorschlåge erar- Initiator aller integrationspolitischer Fort- beiten. Die Diskussion çber das Mehrheits- schritte, in Europa kaum wahrzunehmen. wahlrecht, das zu erheblichen Verzerrungen Denn am 29. Mai in der Repråsentation fçhrt, dçrfte zur Beifç- 2005, als 54,8 Prozent gung einer eher schwachen ¹Dosisª Verhålt- der Franzosen (bei Gisela Mçller-Brandeck- niswahl fçhren, wobei der mehrheitsbildende nahezu siebzigpro- Bocquet Effekt des Wahlsystems aber gewåhrleistet zentiger Wahlbeteili- Dr. rer. pol.; geb. 1956; Profes- bleiben wird. Dadurch låsst sich der Fortbe- gung) den ¹Vertrag sorin für Internationale Bezie- stand des bipolar strukturierten Parteiensys- çber eine Verfassung hungen und Europaforschung tems mit je einer dominierenden Partei auf fçr Europaª (VVE) an der Universität Würzburg, der Rechten (UMP) wie auf der Linken (PS) per Referendum ab- Wittelsbacherplatz 1, zwar nicht garantieren, aber die Bipolaritåt lehnten, wurde das 97074 Würzburg. wird durch das Institutionengefçge und das Land in eine europa- mbb@mail.uni-wuerzburg.de Wahlsystem weiterhin entscheidend begçns- politische Schreck- tigt. Voraussetzung fçr einen demokratisch starre und Låhmung katapultiert, die bis zur wçnschenswerten Machtwechsel nach einer Pråsidentschaftswahl 2007 anhielt. Das Fatale långeren Regierungszeit einer Partei (2012 an der Situation war, dass Frankreich nur wåre die UMP zehn Jahre an der Macht) ist wenig zur Ûberwindung der tiefen EU-Krise, eine Erneuerung der PS, vor allem in pro- fçr die es maûgeblich verantwortlich zeich- grammatischer Hinsicht. nete, beitragen konnte, solange keine Ant- wort auf die Frage gefunden war, wie das Welche der angedachten Verfassungsånde- Nein des Souveråns zu respektieren und rungen schlieûlich auch realisiert werden ± es gleichzeitig die angestammte und hoch not- wird keine neue, keine VI. Republik geben. wendige Rolle des Promotors des europå- ischen Einigungsprozesses auszuçben sei. Nachdem mit den Gipfelbeschlçssen vom 35 Ein Anfang ist, auf Drången Sarkozys, die Ûber- 21. bis 23. Juni 2007 dieser gordisch-franzæsi- lassung des Vorsitzes im wichtigen Finanzausschuss in sche Knoten durchschlagen werden konnte, der Nationalversammlung an einen PS-Abgeordneten. ist der sich abzeichnende europapolitische 36 So hat Sarkozy erklårt, den berçchtigten Art. 49, Kurs des neuen Staatspråsidenten Nicolas Sar- Abs. 3 beibehalten zu wollen. Danach kann der Pre- kozy einer kritischen Betrachtung zu unter- mierminister jederzeit die Vertrauensfrage mit einer ziehen. Auch wenn Frankreich nun wieder Gesetzesvorlage verbinden. Abgestimmt wird dann çber einen Misstrauensantrag, sofern einer eingebracht nach Europa zurçckgekehrt ist, 1 lassen man- wird, oder gar nicht. Von dieser Mæglichkeit wurde 1 ¹Ce soir, la France est de retour en Europeª, so der bisher 81 Mal, fçr 47 Vorlagen, Gebrauch gemacht. neue Staatspråsident am Abend des 6. 5. 2007, in: Le Monde vom 8. 5. 2007. APuZ 38/2007 11
che Positionen des ungewæhnlich energisch, ropapolitische Spaltung Frankreichs zu çber- zupackend und temporeich auftretenden winden, die mit der Maastricht-Debatte aus- ¹speedy Sarkoª ± wie der schnell erworbene gelæst worden war und die angesichts des Spitzname des neuen Hausherrn im Elyse- Endes des Ost-West-Konflikts und der neuen Palast lautet ± doch Zweifel daran aufkom- weltpolitischen Lage, angesichts von Globali- men, ob Frankreich unter seiner Fçhrung wie- sierung und Entgrenzung, angesichts der ver- der eine konstruktive europapolitische Rolle ånderten Bedeutung des Nationalstaates und spielen und sich positiv in die Gegebenheiten seiner Gestaltungsmæglichkeiten vielschichti- einer EU-27 einfinden kann. Sarkozy scheint ger Ausdruck der abgrundtiefen franzæsi- vor çberbordenden Fçhrungsansprçchen und schen Verunsicherung çber die eigene Rolle Nationalegoismen nicht gefeit, so dass die und Bedeutung im kçnftigen Europa war. 4 Sorge umgeht, er kænne ein ¹unbequemer Partner in Europaª werden. 2 Im Besonderen Dieses Versåumnis lag zum einen an Chi- steht zu befçrchten, dass er Europa (wieder) racs persænlichem Zugang zum europåischen Integrationsprozess, zum anderen daran, dass als bloûen Verstårker franzæsischer Interessen er seine Europapolitik oft der Innenpolitik instrumentalisiert bzw. missbraucht. unterordnete, sie also in die Geiselhaft håufig wechselnder innen- und parteipolitischer Um Sarkozys bisherigen Kurs bewerten zu Konstellationen nahm. Hinzu kam seine ¹pre- kænnen, muss zunåchst eine europapolitische dilection for rapid policy and identity chan- Bilanz seines Amtsvorgångers Jacques Chirac gesª, 5 die Edouard Balladur zu dem Bonmot gewagt werden: Hat der langjåhrige Staatsprå- veranlasste: ¹Jacques ist wie der Beaujolais. sident verlåssliche Fundamente hinterlassen, Jedes Jahr wird uns ein neuer verkauftª. 6 An- auf die Sarkozy bauen kann und muss? Oder dere meinten: ¹Wenn ihm auch Ûberzeugun- besteht das Chirac'sche Erbe nicht vielmehr in gen fehlen, so hat er doch Instinktª. 7 der Unfåhigkeit, im Frankreich der Post- Maastricht-Øra einen neuen, soliden und par- So prågten denn auch weniger Prinzipien teiçbergreifenden Konsens zu stiften, der und Grundçberzeugungen als vielmehr poli- Frankreich wieder unverbrçchlich in der inte- tischer Instinkt seine Europapolitik, die er grationspolitischen Avantgarde verankert? auûerdem abrupten Politik- und Kurswech- seln aussetzte. Wåhrend Chirac im so ge- nannten Appell von Cochin (1978) deutlich Jacques Chiracs Hinterlassenschaft antieuropåische Tæne angeschlagen hatte, reihte er sich in den dramatischen innerfran- Vergleicht man Frankreichs Europapolitik zæsischen Auseinandersetzungen um den wåhrend der Amtszeiten Jacques Chiracs Maastrichter Vertrag recht unvermittelt ins (1995 bis 2007) mit jener seines Vorgångers, Lager der Europabefçrworter ein. Seit diesem Franois Mitterrand (1981 bis 1995), so fållt Positionswechsel galt Chirac mehr als Euro- zunåchst ihr schlingernder Kurs, ihre Unste- påer aus Kalkçl bzw. aus Vernunft denn aus tig- und Wechselhaftigkeit auf. Wåhrend Mit- Ûberzeugung. 8 So sah der Staatspråsident terrand sich mit ungeheurer Hartnåckigkeit sich selbst: ¹Ich war nie ein militanter Euro- und unter dem Motto: ¹Soviel Integration pabefçrworter, ich bin ein Euro-Pragmatiker; wie nætig, soviel einzelstaatliche Souveråni- ich stelle fest, dass Europa unvermeidlich ist, tåtswahrung wie mæglichª fçr die Vertiefung aber ich theoretisiere nicht çber Europaª. 9 der Integration einsetzte und somit erreichte, dass die 1980er Jahre und frçhen 1990er Jahre 4 Vgl. Gisela Mçller-Brandeck-Bocquet, Frankreichs zum ¹goldenen Zeitalter des Aufbaus Euro- Europapolitik, Wiesbaden 2004, S. 123 ff u. S. 164 ff. 5 George Ross, Chirac's first steps and the 1995 pas und der franzæsischen Europapolitikª French Presidency of the European Union, in: French avancierten, 3 lieû Chirac ein vergleichbar Politics & Society, (1995) 3, S. 26. verlåssliches Engagement von Anfang an ver- 6 Le Monde vom 23./24. 6. 2002 (alle franzæsischen missen. Insbesondere versåumte er es, die eu- Zitate im Text sind eigene Ûbersetzungen). 7 Albert Du Roy, Domaine rserv. Les coulisses de la 2 Vgl. Joachim Schild, Sarkozys Europapolitik. Das diplomatie franaise, Paris 2000, S. 109. zunehmende Gewicht der Innenpolitik, in: Integration, 8 Wichard Woyke, Deutsch-franzæsische Bezie- (2007) 3, S. 221. hungen seit der Wiedervereinigung. Das Tandem fasst 3 Laurent Cohen-Tanugi, La Politique europenne de wieder Tritt, Wiesbaden 2004, S. 61. la France l'heure des choix, in: Politique trang re, 9 Chirac zit. in: G. Mçller-Brandeck-Bocquet (1995/96) 60, S. 857. (Anm. 4), S. 167. 12 APuZ 38/2007
Nimmt man Chiracs Amtszeiten in der ge- endgçltige (europa-)politische Bedeutungslo- botenen Kçrze und Distanz in den Blick, so sigkeit. ¹Am 29. Mai 2005 ist Chirac politisch fållt ein wahres Paradoxon auf: Obwohl Chi- gestorben, und diesmal fçr immerª. 12 rac wenig europapolitische Erfolge aufzuwei- sen hat, war Europa dennoch insofern sein Schicksal, als seine beiden markanten politi- Chiracs geringe Erfolge in Europa schen Fehler einen direkten Europa-Bezug hatten. Hier ist zum einen seine Entscheidung Wenn das europåische Paradox zur ¹Nieder- vom 21. April 1997 zu nennen, als er im Vor- lage eines Vernunfteuropåersª gefçhrt hat, 13 feld der Euro-Einfçhrung vorgezogene Neu- so ist doch zu fragen, inwieweit der Staats- wahlen zur Nationalversammlung ankçn- pråsident seinerseits die Entwicklung der EU digte. Die Euro-Einfçhrung erzwinge einen zu prågen vermochte. In der kurzen Zeit- strikten Sparkurs der æffentlichen Haushalte spanne der neogaullistischen Alleinherrschaft und dafçr strebe man ein erneutes Mandat seiner ersten Amtszeit, also 1995 bis 1997, 14 des Souveråns an. 10 In Wahrheit aber ver- entwickelten Chirac und seine Getreuen eine folgte Chirac mit dem Neuwahlbeschluss das Blaupause fçr das Institutionengefçge der Ziel, die seit dem Maastricht-Referendum in EU, die einerseits den angesichts der bevor- der neogaullistischen RPR gårende innerpar- stehenden Osterweiterung nætigen Reform- teiliche Opposition um Charles Pasqua zu bedarfen der Union gerecht werden, anderer- beenden. Diese Fehlentscheidung brachte seits aber auch franzæsische Interessen wah- Chirac den Verlust der Parlamentsmehrheit ren sollte. So entstand eine Chirac'sche und die langwåhrende, ungeliebte Kohabitati- Europa-Orthodoxie, der er bis zum Kon- on mit dem Sozialisten Lionel Jospin ein. ventsprozess treu blieb. Diese Orthodoxie bestand in dem Ansinnen, das intergouverne- Auch Chiracs Entscheidung vom 14. Juli mentale Element des Europåischen Rats auf- 2004, den VVE nicht ± wie ursprçnglich ge- zuwerten bis hin zur Wahl eines Pråsidenten plant ± auf parlamentarischem, sondern ple- dieser Versammlung, der die EU nach auûen biszitårem Wege ratifizieren zu lassen, hatte vertreten sollte. Den Ministerrat betreffend letztlich vorrangig innen- und parteipoliti- verfolgte Chirac ± wie zuvor schon Mitter- sche Grçnde. Im Vorfeld des Wahljahrs 2007 rand ± eine åuûerst pragmatische Position: und angesichts erneut aufkommender inner- Um die EU handlungsfåhiger und effizienter parteilicher Opposition, diesmal zum EU- zu machen, unterstçtzte er die Ausweitung Beitritt der Tçrkei und angefçhrt von Alain des qualifizierten Mehrheitsentscheids im Jupp und Nicolas Sarkozy, wollte Chirac Rat. Da die Osterweiterung in Kombination sich seine Legitimation im eigenen Lager er- mit dem mittlere und kleine Mitgliedstaaten neut beståtigen lassen und zugleich den sozia- begçnstigenden Stimmverteilungsschlçssel listischen Gegner substanziell schwåchen. aber das relative Gewicht Frankreichs emp- Letzteres gelang ihm perfekt, denn in der Tat findlich schmålern wçrde, verlangte er nach spaltete sich die Parti socialiste (PS) bald nach einer Neuwågung der Ratsstimmen ± ohne je- der Referendumsankçndigung in ein Lager doch die deutsch-franzæsische Stimmenpari- der Nein-Sager zum VVE um Laurent Fabius tåt aufgeben zu wollen. Den Einfluss des und in eines der Verfassungsbefçrworter und Europåischen Parlaments suchte er durch belastete damit ihre Erfolgsaussichten fçr die eine Aufwertung der nationalen Parlamente Wahlen 2007. Doch der Preis war extrem zu begrenzen. 15 Nachdem Chirac sich mit hoch fçr Chirac: Das ¹Nonª vom 29. Mai diesen Positionen in Amsterdam nicht durch- 2005 setzte nicht nur seinen oft ventilierten 12 So die Quintessenz von Franz-Olivier Giesbert, La Ambitionen, ein drittes Mandat anzustreben, Tragdie du Prsident, Paris 2006. faktisch ein Ende. 11 Es markierte auch seine 13 Vgl. Henri de Bresson und Arnaud Leparmentier in: Le Monde vom 13. 3. 2007. 10 Vgl. Marie-Bndicte Allaire/Philippe Goulliaud, 14 Wåhrend seiner 12 Amtsjahre hat Chirac nur von L'incroyable Septennat. Jacques Chirac l'Elyse 1995 bis 1997 und erneut von 2002 bis 2007, also 7 1995± 2002, Paris 2002, S. 226 ff. Jahre lang, çber die geballte Machtfçlle eines Staats- 11 Dennoch hielt sich Chirac die Option einer weite- pråsidenten der V. Franzæsischen Republik verfçgt. ren Pråsidentschaftskandidatur bis in den Mårz 2007 Folgt man F.-O. Giesbert (Anm. 12), dann waren es hinein offen; dies diente vor allem dem Ziel, Sarkozy lediglich 5 Jahre. nicht allzu frçh als alleinigem konservativen Amtsan- 15 Vgl. G. Mçller-Brandeck-Bocquet (Anm. 4), wårter die Bçhne zu çberlassen. S. 170 ff. APuZ 38/2007 13
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