Aus Politik und Zeitgeschichte - 39/2008 22. September 2008 - Bundeszentrale für politische Bildung
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APuZ Aus Politik und Zeitgeschichte 39/2008 ´ 22. September 2008 Neue Medien ± Internet ± Kommunikation Christian Stegbauer Raumzeitliche Struktur im Internet Andreas Hepp Globalisierung der Medien und transkulturelle Kommunikation Miriam Meckel Wie Web 2.0 unsere Kommunikation veråndert Rainer Winter Perspektiven eines alternativen Internet Kathrin Kissau Internetnutzung von Migranten ± ein Weg zur Integration? Uwe Buermann Kinder und Jugendliche zwischen Virtualitåt und Realitåt Nicola Dæring Psychische Folgen der Internetnutzung Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament
Editorial 1,3 Milliarden Menschen ± ein Fçnftel der Weltbevælkerung ± nutzen das World Wide Web; allein Deutschland werden mehr als 42 Millionen Internetnutzer und -nutzerinnen gezåhlt. Das Internet, das es als Massenmedium erst seit 15 Jahren gibt, und andere ¹neueª Medien erleichtern und befærdern die weltweite Ausdehnung von Kommunikationsbeziehungen: die transkultu- relle Kommunikation. Wissenschaftler sprechen von einer ¹Glo- balisierung der Medienkommunikationª. Diese erfolgt im Ver- bund mit traditionellen Medien; es handelt sich dabei weniger um ¹Weltkommunikationª als um Kommunikation in regionalen Groûråumen, etwa im ¹Kommunikationsraum Europaª. Das Internet, internetbasierte Medien, neue Fernsehformate, die Mobiltelefonie und vernetzte Computerarbeitsplåtze haben zu einer weitreichenden Informatisierung der Arbeitswelt und des Alltags gefçhrt: mit positiven wie negativen Auswirkungen. Insbesondere Kinder und Heranwachsende laufen Gefahr, sich in der virtuellen (Erwachsenen-)Welt des Netzes zu verlieren. Kritischen Nutzerinnen und Nutzern bietet das Internet (¹Web 2.0ª) hingegen enorm viele Informationen und Chancen ± auch die der politischen Einmischung und Teilhabe. Tatsåchlich kann sich jeder ± unabhångig von Hierarchien, na- tionalen Begrenzungen oder institutionellen Anbindungen ± an globalen Kommunikationsprozessen beteiligen: vorausgesetzt er hat Zugang zum Internet. Diese Einschrånkung trçbt die Hoff- nung, das Internet werde die Demokratisierung im Sinne einer transnationalen Úffentlichkeit rasch vorantreiben. Beteiligungs- oder Sprachbarrieren versperren nach wie vor einem groûen Teil der (Welt-)Bevælkerung den Zutritt zur ¹Netzwerkgesellschaftª. Katharina Belwe
Christian Stegbauer Neuseeland besuchen sollte. Wir fanden die Listen mit den Lehrerinnen und Lehrern und Raumzeitliche deren Fotos. Wir haben uns die Schule im Sa- tellitenbild angesehen und auch das Haus der Struktur Gasteltern. Aus dem Weltall konnten wir den Schulweg unseres Sohnes betrachten und den Badestrand, an dem er sich verletzte. Man im Internet kann schon sagen, dass durch das Internet die Informationsdichte und die Verbreitungsmæg- lichkeiten auf eine neue Stufe gestellt werden. Es hat tatsåchlich den Anschein, als wåren alle Informationen zu jeder Zeit und von jedem Ort aus zugånglich. Wie der Raum medial çberwunden wird, Dass europåische oder amerikanische Un- das konnten wir kçrzlich erfahren, als unser ternehmen in Indien Belege erfassen lassen Sohn fçr ein halbes Jahr in Neuseeland zur oder dorthin ihre Softwareproduktion ausge- Schule ging. Sonntags frçhstçckten wir lagert haben, ist mittlerweile weithin bekannt. immer zusammen: Wir stellten das Notebook Es ist aber auch mæglich, mit Hilfe von per- auf den Frçhstçckstisch und damit war die sænlichen Online-Assistenten tågliche Besor- Familie wieder komplett. Woche fçr Woche gungen von Indien aus erledigen zu lassen. 1 konnten wir çber Der Assistent sitzt in einem Bçro in Bangalo- Christian Stegbauer Skype und eine Web- re und erledigt Dinge, zu denen gestresste Dr. phil., geb. 1960; Privatdo- cam beobachten, wie Menschen in den USA oder Europa nicht zent an der Universität Frankfurt die Haare des Sohnes kommen. Von Indien aus organisieren diese am Main, Institut für Gesell- långer wurden. Wir neuen outgesourcten Mitarbeiter Partys in schafts- und Politikanalyse, bekamen die Knie- New York, verschicken Blumen an die Gat- Robert-Mayer-Str. 5, wunde nach einem tin, besorgen Schuhe, die sie im Internet be- 60054 Frankfurt am Main. Sturz gezeigt und stellen, oder lesen den Kindern Gute-Nacht stegbauer@soz.uni-frankfurt.de haben uns auf diese Geschichten vor. Weise so intensiv mit unserem 17-jåhrigen Jungen unterhalten, wie Dieser kleine Ausschnitt an Mæglichkeiten lange nicht, als er noch zu Hause war. macht deutlich, dass es sich nicht nur um Phantasien handelt; es wird aber auch plas- Wir meinten es zu erleben, wir konnten tisch, dass ein anderer Prozess damit verwo- Raum und Zeit fçr den Moment vergessen, ben ist: die Globalisierung. Dieser Prozess aber waren sie wirklich nicht mehr da? Wåh- låuft sicherlich bereits seit dem Zeitalter vor rend wir in den Tag starteten, war es in Neu- dem Internet. Eigentlich ist er wegen seiner seeland durch die Zeitverschiebung bereits weltweit verteilten Produktion das Projekt spåter Abend. Das einzige Zeitfenster in der der Moderne. Woche, an dem wir auf diese Weise mit unse- rem Sohn zusammen sein konnten, war der In den vergangenen zwei Dekaden hat sich Sonntagmorgen. Insofern blieben wir zumin- dieser Prozess beschleunigt. Ein Indikator dest von der Zeit abhångig. dafçr sind die ¹verlångerten Werkbånkeª in Låndern mit niedrigerem Lohnniveau. Man Das Verschwinden von Raum und Zeit kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als habe das Internet dem bereits laufenden Phantasien darçber, dass mit der Zugånglich- Trend einen wesentlichen Schub verliehen. keit von Daten und durch interpersonale Zu einfach wåre es, diesen auf die Technolo- Kommunikation çber das Internet Raum und gie zurçckzufçhren. Mindestens ebenso Zeit verschwinden wçrden, gab oder gibt es wichtig oder wichtiger ist der politische Um- zuhauf. Das verwundert auch gar nicht, denn bruch, der in der Zeit stattgefunden hat, wo- technisch scheint dies ja auch beinahe mæglich durch diese Regionen erst voll in das Welt- zu sein. Wir kænnen Informationen vom Ende wirtschaftssystem integriert wurden. der Welt abrufen. So lasen wir die Evaluati- onsberichte çber die Schule, die unser Sohn in 1 Vgl. www.getfriday.com (24. 6. 2008). APuZ 39/2008 3
Durch das Internet wird aber nicht nur der tatsåchlich keine Rolle mehr spielen. In diesem Zusam- wirtschaftlichen Entwicklung, der Erleichte- menhang kænnen wir uns fragen, was am Raum und rung von Warenstræmen, der Dienstleistun- der damit verbundenen zeitlichen Relationen so be- gen und einer Vermehrung der familiåren deutsam ist. Wir leben an einem Ort, arbeiten dort, Kontakte auch ins Ausland Vorschub geleis- haben unsere sozialen Beziehungen, erledigen hier un- tet. Es heiût, dass auch der Kontakt zwischen sere Einkåufe und treffen uns mit Freunden. Dieser einander fremden Menschen unterschiedli- Raum ist physisch vorhanden, wir erleben ihn, wenn cher Lånder und Kulturen auf ein neues Ni- wir unsere Besorgungen machen, wenn wir ihn çber- veau gehoben werde. Virtuelle Gemeinschaf- winden, um zur Arbeit zu gelangen. Georg Simmel ten çberlagerten geographische und politische sprach vom ¹einzigen allgemeinen Raum, von dem alle Grenzziehungen, argumentiert einer der pu- einzelnen Råume nur Stçcke sindª. 5 Dieser aus- blizistischen Vorreiter. 2 Auf diese Weise seien schlieûliche Raum ist politisch, also sozial strukturiert: politische Aktionen unabhångig vom Ort Er ist in Stçcke aufgeteilt, die als Einheiten gelten und mæglich. Tatsåchlich wird immer wieder auf von Grenzen umrahmt werden. Råumliche Grenzen die Bedeutung des Internet zur Organisation sind zu dieser Zeit zu weiten Teilen auch soziale Gren- von politischer Einmischung hingewiesen. zen. Auch in der Soziologie finden sich zahlrei- Diese Unterscheidung zwischen Raum und Sozialitåt che Autoren, die dieser Rhetorik folgen. So nimmt Leopold von Wiese explizit in seinen Hauptka- schreibt Rudolf Stichweh von der ¹Ortsunab- tegorien der Soziologie (neben sozialem Prozess und hångigkeit von Adressenª. 3 Die Situation sei Abstand) auf. 6 Er nennt dies den sozialen Raum (oder durch Gleichzeitigkeit und Globalitåt ge- ± im gleichen Sinne ± die soziale Sphåre). Dort spielen prågt. Die Bewegung, das Surfen im Internet sich die sozialen Prozesse ab, die fçr die Konstitution sei vom Ort, an dem die Daten aufbewahrt von Beziehungen und im Sinne des Autors der Ab- werden, vollkommen unabhångig. Das Glei- standsverhåltnisse entscheidend sind. Von Wiese ten im technischen Netzwerk folge eher As- schreibt, der soziale Raum sei vom ¹physischen soziationen und angebotenen Links, als dass Raume zu unterscheidenª. Zwar sei auch der physische es etwas mit Geographie zu tun habe. Die In- Raum fçr das gesellschaftliche Leben von Bedeutung, formation aus Asien, Amerika oder Europa aber dies sei kein Gegenstand der soziologischen For- lågen alle auf derselben Ebene, es gebe keine schung. Die sozialen Prozesse spielen sich demnach im physische Verortung bzw. diese sei vællig un- sozialen Raum ab, explizit nennt von Wiese ¹Verbin- erheblich, heiût es. 4 Stimmt diese Einschåt- dungen, Trennungen, Bindungen, Læsungen, Brechun- zung tatsåchlich çber die Beobachtung des gen, Verteilungen, Gesellungenª. 7 Diese seien in so- technischen Ablaufs hinaus? Dieser Frage zialråumlicher Hinsicht von Bedeutung, wobei der So- soll im Verlauf des Textes nachgegangen wer- zialraum, so seine Idee, durch die Entfernungen den. Zunåchst folgen aber ein paar Betrach- zwischen den Personen, beispielsweise nahestehenden tungen zur Bedeutung von Raum und Zeit und entfernten Bekannten in åhnlicher Weise wie der fçr die Erstellung von sozialen Beziehungen. physische Raum konstituiert wçrde. Allerdings sei das ¹Metermaûª dabei nicht anwendbar. Was bedeuten Raum und Zeit? Fassen wir, was von Wiese als Sozialraum ansieht, Diese Ûberlegungen legen die Vermutung weit, dann zåhlen die im Internet verfçgbaren Infor- nahe, dass Raum und Zeit im Internetzeitalter mationen dazu, ebenso die Anwendungen, die explizit dazu konstruiert wurden, um einen Austausch, mithin 2 Vgl. Howard Rheingold, Virtuelle Gemeinschaft. Beziehungen darin entstehen zu lassen. Man kann in Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers einem gewissen Sinne auch schematisierte bzw. auto- (amerik.1993), Bonn u. a. 1994. matisierte Verbindungen dazu rechnen: Um diese han- 3 Vgl. Rudolf Stichweh, Adresse und Lokalisierung in delt es sich, wenn beispielsweise Bestellungen abgear- einem globalen Kommunikationssystem, in: ders. (Hrsg.), Die Weltgesellschaft. Soziologische Analysen, Frankfurt/M. 2000, S. 220 ± 244. 5 Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen çber die Formen 4 Vgl. Daniela Ahrens, Internet, Nicht-Orte und die der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe Band 11, Frankfurt/M. Mikrophysik des Ortes, in: Alexandra Budke/Detlef 1992 (zuerst 1908), S. 690. Kanwischer/Andreas Pott (Hrsg.), Internetgeogra- 6 Leopold von Wiese, System der Allgemeinen Soziologie als phien. Beobachtungen zum Verhåltnis von Internet, Lehre von den sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungs- Raum und Gesellschaft, Stuttgart 2004, S. 163 ± 177, lehre), Berlin 19684, (Original von 1924), S. 110. hier: S. 163. 7 Ebd., S. 111. 4 APuZ 39/2008
beitet werden oder Bankgeschåfte getåtigt werden. In- Grillen erlaubt ist, wird man am Wochenende formationen werden fçr Adressaten nach auûen und fast nur tçrkische Familien finden; in der innen ins Internet gestellt. Versand und Handel sind Mitte des Pferderennplatzes wurde ein auf rechtliche Rahmenbedingungen angewiesen, deren Ûbungsgelånde fçr Golfer eingerichtet. Man Entstehung und Durchsetzung als soziale Prozesse be- kann sich vorstellen, dass es nur wenige griffen werden kænnen. Auch sie kommen nicht ohne Schnittflåchen zwischen den beiden Bevælke- Menschen aus, welche die Bestellungen bearbeiten und rungsgruppen gibt, die beide ihre Freizeit an an den Pforten und Haustçren abliefern. Freilich ge- der frischen Luft verbringen. Da Begegnun- schieht das In-Kontakt-Treten in einigen der geschil- gen zwischen den geschilderten Gruppen derten Fålle auf einer solchen Vermittlungsstufe, dass kaum stattfinden, kommt es nur sehr selten man nur mit Mçhe von ¹sozialen Beziehungenª spre- zu Freundschaften, werden keine Ehen unter- chen kann. Gleichwohl unterliegen diesen auch soziale einander geschlossen. Man lebt nebeneinan- Prozesse, nåmlich bei der Herstellung der Infrastruk- der her, durchquert zwar denselben physi- tur fçr solchen Handel oder solche Produktionspro- schen Raum, kommt aber nicht in Kontakt, zesse. In anderen Fållen tritt klarer zutage, dass soziale da man es nicht zur selben Zeit tut. Beziehungen aufgebaut werden. Die geschilderten Beispiele zeigen, dass Das Internet låsst sich also als sozialer Raum verste- sich eine Struktur von auûen aufdrångt. Es hen, in dem auf ganz unterschiedlichen Ebenen soziale gibt aber auch eine ¹innere Strukturª, die Prozesse ablaufen. Aber bleiben wir noch ein wenig ebenfalls im Zusammenhang mit Zeit und bei der Bedeutung des Raumes. Ort steht. Raumzeitliche Verortungen spielen eine Rolle als Strukturierungselemente auch Der britische Soziologe Anthony Giddens hat eine in einer lebensgeschichtlichen Dimension Strukturierungstheorie vorgelegt. 8 Darin wird der Zeit eines jeden Einzelnen. Der Discobesuch bei- und dem Raum eine besondere Bedeutung zugeschrie- spielsweise ist weitgehend auf die Phase der ben. Insbesondere geht es um die Kopråsenz als Vor- Partnerfindung begrenzt. Øltere sind auf ¹Û- aussetzung fçr die Herausbildung sozialer Beziehun- Partysª angewiesen, die den Tanztee der Ver- gen. Die gleichzeitige Anwesenheit an einem Ort ist gangenheit weitgehend abgelæst haben. Die nicht zufållig und genau darum kann man sie als Mæg- ¹Seniorenwohnanlageª mag fçr die gebrech- lichkeitsrahmen fçr die Herausbildung von Bezie- lich Werdenden eine Wohnalternative sein; hungsstrukturen ansehen. junge Menschen hingegen wird man dort nur als Pfleger oder Besucher finden. Das begegnet uns çberall in der Gesellschaft: Arbei- Bis hierhin wurde die Kopråsenz, also die tende in der Produktion beginnen ihren Arbeitstag Mæglichkeit zu gleicher Zeit am gleichen Ort meist recht frçh oder arbeiten sogar in Schichten. Die zu sein, als begrenzendes Strukturierungs- Bankangestellten dagegen betreten erst viel spåter das merkmal, Beziehungen einzugehen, einge- Bçro. Diese Kategorie von Beschåftigten ist allerdings fçhrt. Der physische Raum ist von Bedeu- immer noch im Bçro, wenn sich die Arbeiter bereits tung, weil an ihn die ¹Begegnungsorteª ge- auf dem Nachhauseweg befinden, und manche Studie- knçpft sind. Dabei wurde aber auch deutlich, rende sind zu Veranstaltungsbeginn um 10 Uhr noch dass der physische Raum durch die zeitliche nicht ausgeschlafen. Alle drei der hier genannten Strukturierung bereits gebrochen wird und Gruppen haben nur wenige Mæglichkeiten im norma- kaum als eine fçr alle Bevælkerungsschichten len Tagesablauf miteinander in Kontakt zu kommen. gleichermaûen zugångliche Einheit angesehen Die æffentlichen Verkehrsmittel transportieren an werden kann. einem Morgen zwischen Betriebsbeginn und Mittag je nach Uhrzeit ganz unterschiedliche Berufsgruppen Der physische Raum geråt, wenn wir ge- und Bevælkerungsschichten. Die Strukturierung der danklich bei der Notwendigkeit von Koprå- Gesellschaft nach der Zeit setzt sich aber auch in der senz bleiben, durch die Verkehrsmittel noch Freizeit fort: Die Aktivitåten unterscheiden sich nach weiter durcheinander. Kann man sagen, dass Bevælkerungsgruppen gewaltig. In einem etwas auûer- sich die Entfernungen beim Durchschreiten halb von Frankfurt am Main liegenden Park, in dem eines Raumes zu Fuû (abgesehen von natçrli- chen Hindernissen) in einer einigermaûen 8 Vgl. Anthony Giddens, Die Konsequenzen der Moderne, gleichen Zeit abbilden lassen, wird dies durch Frankfurt/M. 1995. (zuerst: The Consequences of Modernity, die moderne Verkehrsinfrastruktur neu ge- Cambridge 1990). ordnet: Autobahnen lassen Regionen ¹nåher APuZ 39/2008 5
zusammenrçckenª, Schnellbahntrassen er- An welchen Stellen wird der Raum bedeut- mæglichen es, tåglich zwischen Orten zu pen- sam? Geographen entwickeln Karten des In- deln, die in frçheren Zeiten mehrere Tagesrei- ternets, in denen Routerverbindungen aufge- sen auseinander lagen. Die Verschiebungen zeigt werden. Solche Karten (s. Abbildung) der ¹Geographieª durch die Schnelligkeit der kænnen als Indikatoren fçr die Beteiligungs- Verbindung zeigen sich im Verhåltnis der mæglichkeiten angesehen werden. Sie sind Fernverbindung zum Nahbereich. Plastisch keineswegs unabhångig vom Raum, was auf gemacht bedeutet das, dass fçr die 23 Kilome- den ersten Blick erkennbar ist. Die Erste, ter zwischen den Stadtteilen von Frankfurt- Zweite und Dritte Welt werden deutlich Fechenheim und Frankfurt-Zeilsheim eine sichtbar und mit ihnen die Partizipations- Stunde und zwanzig Minuten im stådtischen chancen der Bevælkerung. Diese sind nicht Nahverkehr einzukalkulieren sind. Von unabhångig vom Raum und den damit zu- Kæln-Deutz zum Frankfurter Hauptbahnhof sammenhångenden sozialen, politischen und benætigt man zwanzig Minuten weniger. Eine wirtschaftlichen Verhåltnissen. Sie sind sogar Betrachtung der Wegezeit zeigt, dass die Re- sehr abhångig davon. Die Dritte Welt ist nach lation der Stådte Kæln und Frankfurt am wie vor abgehångt; die Beteiligungsmæglich- Main vergleichbar ist mit den Verbindungen keiten sind einer kleinen Elite vorbehalten. zwischen den beiden genannten Stadtteilen. Nur wenige haben Zugang zur Technik, und Mit der Art des Verkehrsweges åndern sich kaum jemand besitzt einen Computer mit In- auch die Bedingungen der Mæglichkeit, mit- ternetanschluss. 9 Ferner stellen Sprach- und einander in Kontakt zu kommen. Bildungsdefizite in den Låndern eine Beteili- gungsbarriere dar. Wozu diese Ûberlegungen zu Raum und Zeit? Nun, wir sehen, dass es durch den Ein- Die Elite der Drittweltlånder mit Zugang satz moderner Verkehrsmittel zu Raumver- zum Internet hat dagegen håufig Kontakte in schiebungen kommt; damit zeigt sich, dass die Erstweltlånder, sei es, dass Familienange- der physische Raum durch Verkehrstechnolo- hærige dort studieren oder arbeiten, sie selbst gien gebrochen wird und dass sich dies auf fçr auslåndische Unternehmen arbeiten oder den Sozialraum auswirkt. Der soziale Raum çber Handelskontakte verfçgen. Was aber, wird in sehr viele kleine, sich çberlagernde wenn die Sprach- und Bildungsdefizite çber- Cluster zerlegt, die nur an manchen Stellen wunden wåren? Das wçrde noch nicht viel miteinander in Verbindung stehen. Nehmen bringen, denn es kommt noch schlimmer: wir dieses Bild mit in den nåchsten Abschnitt. Diejenigen, die ins Internet kænnen, haben Dort geht es um die Repråsentation der den Nachteil, dass dortige Angebote kaum an Raumzeit im Internet. ihre Bedçrfnisse angepasst sind. Warum? Weil das WeltWeiteWeb einen Raum und Zeit im Internet Groûteil seines Nutzens in Verbindung mit und auûerhalb dem sozial definierten Raum auûerhalb und der dort vorhandenen Infrastruktur entfaltet. Im Internet stellen Zeit und Raum praktisch Warum sollte man das Kino-Programm nach- keine Barrieren dar. Orte, die schwerer er- schauen, wenn es kein Kino gibt? Auch reichbar wåren, wie periphere Stadtviertel, Onlinebankgeschåfte sind ohne Bankkonto oder gut erreichbar, wie die Zentren der Groû- sinnlos. Navigationsdienste im Internet brin- stådte, liegen technisch auf einer Ebene. Ohne gen nichts, wenn man kein Auto besitzt und die Betrachtung von sozialen Beziehungsre- die Informationen çber das Hotelangebot sind geln kænnte man annehmen, dass diese Unter- unbrauchbar, wenn man nicht verreist oder es scheidung keinerlei Bedeutung mehr besitzt. keine Hotels gibt, die çber eine Repråsentanz Das Internet stellt sich zwar stellenweise als im Internet verfçgen. eine eigene Welt dar, in der es mæglich ist, sich zu verlieren, sei es als Spieler oder Teilnehmer in einer Netzwerkcommunity. Man ist aber trotzdem nicht vællig losgelæst vom ¹norma- 9 Vgl. Uwe Afemann, Die Dritte Welt und das Inter- lenª Leben. Gerade die Verbindung mit den net (Beitrag fçr e.velop) 2004. http://www.home.uni- Strukturen auûerhalb des Internet machen die osnabrueck.de/uafemann/Internet_Und_Dritte_Welt/ meisten Anwendungen so wertvoll. Bundespresseamt.pdf (25. 6. 2008) 6 APuZ 39/2008
Abbildung: Internetgeographie: Routerverbindun- Anwendungen, die sich stårker an diese sozialstruktu- gen in der Welt relle Gruppe richten, beispielsweise im Gesundheitsbe- reich. Dort sind es aber auch eher die Gebildeten, wel- che die Mæglichkeiten nutzen kænnen. Sprachbarrieren sind ebenfalls vorhanden, da der Groûteil des Internet auf dem Englischen beruht. Die Zugånglichkeit des In- ternet als Raum ist also keineswegs gleichmåûig çber die Bevælkerung verteilt, und Ausschlçsse entstehen an åhnlichen Grenzen wie im Raum auûerhalb des techni- schen Netzes auch. Das bedeutet, dass diese sich an- hand der bekannten sozialstrukturellen Kategorien re- konstruieren lassen. Nicht alle Råume kænnen von der Bevælkerung gleichermaûen genutzt werden, und so Quelle: Die Daten stammen von 2007: verhålt es sich auch mit dem Internet. www.chrisharrison.net/projects/InternetMap/medium/ worldWhite.jpg (11. 7. 2008). Betrachten wir interpersonale Kontakte im Internet, so zeigt sich, dass ein Groûteil der Kommunikation Allerdings ist es keineswegs so, dass in den Låndern, die den vorgångig konstituierten Anschlçssen folgt bzw. eine Vielzahl von Verbindungen aufweisen, die Beteili- diese den Anlass dazu liefern, bestimmte Anwendun- gung gleichverteilt wåre. Und so, wie der geographische gen zu installieren und zu benutzen. Dies gilt fçr die Raum in soziale Cluster zerfållt, fehlen auch hier we- Messaging-Dienste (Skype, MSN oder ICQ) ebenso sentliche Teile, deren Vorhandensein das Internet noch wie fçr E-Mail und die Netzwerkcommunities. Diese wertvoller machen wçrde. Zu einem solchen sozialen werden in der Regel in soziale Beziehungen inte- Cluster zu gehæren, das çber wenige Zugånge verfçgt, griert. 13 Es sind Vereinbarungen notwendig, bei denen etwa das der ålteren Frauen, ist in der Ersten Welt ausgehandelt oder mitgeteilt wird, welcher Dienst bei schlimmer als in der Dritten Welt, denn der Nutzen in wem installiert ist, welche Erfahrungen damit gemacht der Ersten Welt ist weit græûer. Da bei der çberwiegen- wurden, wer im Bekanntenkreis auûerdem noch dar- den Mehrheit der Menschen im Konsumentenalter ein çber verfçgt etc. Auf diese Weise werden Kommunika- Computer mit Internetanschluss zu Hause oder am Ar- tionswege festgelegt, die in einem Zusammenhang zur beitsplatz steht, 10 und vieles sich durch eine Schnittstel- raumzeitlich verankerten Beziehungsstruktur auûer- le zum Computer produktiver gestalten låsst, wird es halb des Netzes stehen. Die relativ neuen Netzwerk- zunehmend schwieriger, ohne Internet auszukom- Communities setzen genau an bereits vorhandenen Be- men. 11 ziehungen an. Meldet man sich beispielsweise bei dem Dienst Facebook an, so wird man gefragt, ob man sein Die Nichtnutzung des Internet steht in einem Ver- E-Mail-Adressbuch nach ebenfalls teilnehmenden Be- håltnis zum sozialen Raum, in dem sich die Nichtbetei- kannten abgleichen lassen mæchte. Um Kommilitonen ligten bewegen. Dies sind eher Frauen, Øltere und Bil- oder Ehemalige zu finden, wird man nach der Schule dungsferne. Ein Groûteil der populåren Anwendungen, oder Universitåt sowie dem Abschlussjahrgang ge- seien es interaktive Spiele oder die bekannten Vernet- fragt. Hierdurch wird an das Beziehungs- und Freund- zungssites, zielt auf ein wesentlich jçngeres Publi- schaftsnetz angeknçpft, welches sich an einem speziel- kum. 12 Die Verteilbærsen fçr das Herunterladen von len Ort konstituierte. Musik und Videos, welche bei Jugendlichen so beliebt sind, dçrften kaum ein Angebot haben, welches auf den Das heiût keineswegs, dass im Internet nicht auch Geschmack der Ølteren trifft. Allerdings gibt es auch Beziehungen entstehen wçrden. Dies findet sogar håu- fig statt. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen dar- 10 Vgl. (N)onliner-Atlas, Eine Topographie des digitalen Grabens çber. So werden Hinweise darauf gefunden, dass die durch Deutschland, 2008, http://www.initiatived21. de/fileadmin/ åuûere Mæglichkeitsstruktur durch die notwendige files/08_ NOA/NONLINER2008.pdf (25. 06. 2008). 11 Ein kçrzlich erlebtes Beispiel: Mæchte man eine Prepaidkarte Raum- und Zeitgleichzeitigkeit, wenn nicht auûer fçr ein Mobiltelefon aktivieren, so ist das çbers Internet, Fax oder Kraft gesetzt, so doch zumindest ein Stçck weit ver- per Brief mæglich. Verfçgt man çber die erste Mæglichkeit, kann schoben wird. Gustavo S. Mesch und Ilan Talmud das Telefon in wenigen Stunden genutzt werden; steht nur der haben beispielsweise herausgefunden, dass çber das In- Postweg zur Verfçgung, dauert dies mehrere Tage, und an einem ternet gewonnene Freunde in Israel hinsichtlich ihres Wochenende ist die Aktivierung çberhaupt nicht mæglich. 12 Vgl. Gerd Paul/Christian Stegbauer, Is the digital divide be- tween young and elderly people increasing? First Monday, Okto- 13 Vgl. Christian Stegbauer, E-Mail und Organisation: Partizipa- ber 2005. www.uic.edu/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index. php/fm/ar- tion, Mikropolitik und soziale Integration von Kommunika- ticle/view/1286 (26. 6. 2008). tionsmedien, Gættingen 1995. APuZ 39/2008 7
Alters, des Geschlechts und der Herkunft schaften sind an die Lokalitåt gebunden, also etwas inhomogener sind, als die im Jugendal- die Infrastruktur, auf die ¹Vor-Ortª zurçck- ter çblichen Peer-to-Peer Freundschaften. 14 gegriffen wird. Dort sind die sozialen Gebil- Dies spricht dafçr, dass sich die durch die de, in die man hineinwåchst und in denen gleichzeitige Anwesenheit an einem Ort rela- sich der Symbolvorrat, also die Mæglichkei- tiv starren Beziehungsvoraussetzungen lo- ten fçr Interpretation herausbilden. Diesen ckern. Allerdings bleibt die dort festgestellte wird von Alois Hahn und Herbert Willems Variation in einem geringen Rahmen. Je die funktionale Differenzierung gegençber nåher die online gewonnenen Freunde råum- gestellt. Sie ermæglichten Wahlverbindungen. lich und sozialstrukturell (Alter, Geschlecht) Man muss sich nicht mit den lokal vorhande- waren, umso enger war die Beziehung. Auf- nen Beziehungen begnçgen, sondern kann, gehoben ist die Homogenitåt, die in der klas- gerade dann, wenn man in hoch qualifizierten sischen Soziologie als konstitutiv fçr Freund- Berufen tåtig ist, Kontakte rund um die Welt schaften gilt, also keinesfalls. 15 Dies kann als aufbauen. Allerdings sind diese ebenfalls Zeichen dafçr gedeutet werden, dass die nicht beliebig, sondern sehr stark von der Po- meisten Anwendungen sich ihr Publikum su- sition der Menschen abhångig. chen und dieses Publikum dann in verschie- denerlei Hinsicht homogen sein wird. Die Fçr die meisten Menschen spielen die lo- Studie zeigt auch, dass råumliche Bezçge kalen Zusammenhånge eine Rolle, auch wenn nicht unwichtig sind. in Modernisierungstheorien 17 immer wieder von ¹Entbettungª die Rede ist und hierfçr Durch die Begrenzungen des Raums wer- Argumente angefçhrt werden kænnen, etwa den politische, kulturelle und soziale Klam- immer stårker werdende berufliche Mobili- mern erzeugt. Was im Stadtgebiet passiert, tåtserwartungen und eine Ausdifferenzierung wird in der Lokalpresse aufgegriffen und von der Berufe. Man kænnte auch sagen, dass ge- den Bçrgern diskutiert. Die Fuûballmann- rade mobile Menschen auf das Internet ange- schaften treffen in den lokalen Ligen aufein- wiesen sind, um ihre Herkunftszusammen- ander, alle Stadtteile umfassende Feste, der hånge nicht zu verlieren. Hinweise darauf Karneval, Tage der offenen Tçr der Stadt, das finden sich in Untersuchungen zur Aufrecht- kulturelle Angebot, die Schwimmbåder, re- erhaltung der Kontakte zum Herkunftsort gionale Essensspezialitåten etc. ± all dies trågt per Internet bei Migranten. 18 dazu bei, dass der Raum als eine Identifikati- onseinheit ihrer Bewohner aufgefasst wird. Es sind nicht nur die sozialen Beziehungen Die Ereignisse liefern Gespråchsthemen, und zum Herkunftsland, die fçr eine Begrenzung durch die lokalen Bezçge wird ein Stçck des der Fiktion einer Auflæsung von raumzeitli- Bewusstseins der Menschen geformt. Eine chen Zusammenhången entgegenstehen: Die grenzenlose Kommunikation enthebt die Interpretation medial vermittelter Inhalte ist dort verwurzelten Akteure ihres Kontextes abhångig vom Wissen, den vorgångig vermit- und damit auch eines græûeren Teils der The- telten Normen und Werten und den Erfah- men, çber die kommuniziert werden kann. rungen, die die Menschen gemacht haben. Diese Art der Verwurzelung erinnert an un- Am Export von Fernsehsendungen konnte moderne Gesellschaftsformen mit segmen- gezeigt werden, dass diese lokal vermittelten tierter Differenzierung. 16 Segmentåre Gesell- Bezçge die Interpretation von Inhalten we- sentlich beeinflussen. 19 Auch hier sind Ver- 14 Vgl. Gustavo S. Mesch/Ilan Talmud, Similarity and the Quality of Online and Offline Social Relationships Among Adolescents in Israel, in: Journal of Research on Adolescence, 17 (2007) 4, S. 813±817. 17 Vgl. A. Giddens (Anm. 8). 15 Vgl. Robert K. Merton, Patterns of Influence: Local 18 Vgl. Harry Hiller/Tara M. Franz, New ties, old ties and Cosmopolitan Influentials, in: ders., Social Theory and lost ties: the use of the internet in diaspora, in: New and Social Structure, New York 1968, S. 441±474; Paul Media & Society, 6 (2004) 6, S. 731 ±752; Christopher F. Lazarsfeld/Robert K. Merton, Friendship as Social Helland, Diaspora on the Electronic Frontier: Develo- Process: A Substantive and Methodological Analyis, ping Virtual Connections with Sacred Homelands, in: reprinted in: P. L. Kendall, The varied Sociology of Journal of Computer-Mediated Communication, 12 Paul F. Lazarsfeld, New York 1954/1982; S. 298 ± 348. (2007) 3, S. 956 ± 976. 16 Vgl. Alois Hahn/Herbert Willems, Modernitåt und 19 Vgl. Tamara Liebes/Elihu Katz, The Export of Identitåt, in: Sociologia Internationalis, 34 (1996) 2, S. Meaning. Cross-Cultural Readings of Dallas, New 199 ± 226. York 1990. 8 APuZ 39/2008
bindungen in den Raum vorhanden, die nicht hinter- Andreas Hepp gangen werden kænnen. Man kænnte jetzt auf die Idee kommen, dass sich das Internet in der eher rationalen Geschåftswelt von Globalisierung der råumlichen Bezçgen unabhångig machen kann. Unter- suchungen zeigen jedoch, dass auch virtuelle Unter- nehmen nicht ohne konkrete Treffen auskommen und Medien und damit im Raum gefangen sind. 20 Durch den persænli- chen Kontakt wird Vertrauen geschaffen, ist doch der transkulturelle Kommunikation Umgang mit komplexen Anforderungen nur schwer durch Medien vermittelbar. Erst wenn man gelegent- lich einen Wein zusammen trinkt, låsst es sich auch per E-Mail gut miteinander kommunizieren. Das Vertrau- ensproblem ist bedeutend, es behindert die Geschåfte çber das Internet. Dessen ungeachtet sind erhebliche Wachstumsraten zu verzeichnen. Vor Bestellungen im Internet, so wird geraten, schaue man sich die Webprå- I m Jahr 1977 veræffentlichte der britische Soziologe Jeremy Tunstall das Buch ¹The Media are Americanª. Wåhrend in Europa senz des Versenders an. Findet sich eine Abbildung viele technische und kulturelle Innovationen eines physisch vorhandenen Ladens, eines Lagers oder im Bereich der Massenmedien stattfanden, der verantwortlichen Personen, so ist man eher ge- wurden diese in den USA erfolgreich ,indus- neigt, auf das Angebot einzugehen. trialisiert` ± war das Hauptargument des Au- tors. Rund 30 Jahre Die Zahl der Beispiele, auf die dies zutrifft, ist Le- spåter, nåmlich 2008, gion: So zeichnet sich die Online-Enzyklopådie Wiki- erschien nun Tunstalls Andreas Hepp pedia dadurch aus, dass unterschiedliche Autoren ganz Buch ¹The Media were Dr. phil., geb. 1970; Professor unabhångig vom Ort, an dem sie sich befinden, an Ar- Americanª. Die Kern- für Kommunikationswissen- tikeln arbeiten kænnen. In einem Forschungsprojekt these dieses Buchs lau- schaft am Institut für Medien, zur Kooperation in Wikipedia konnten wir jedoch zei- tet, dass sich seit den Kommunikation und Information gen, dass der Besuch von Stammtischen und anderen 1980er Jahren so viel (IMKI), Universität Bremen, Treffen ganz wesentlich dazu beitrågt, in eine Fçh- im Hinblick auf Me- Enrique-Schmidt-Straûe 7, rungsrolle in der Organisation Wikipedia zu gelangen. dien in ihrem globalen 28359 Bremen. Ohne dass die Kandidaten einmal gesehen wurden, ist Kontext geåndert hat, Andreas.Hepp@uni-bremen.de es fast nicht mæglich, dort Administrator zu werden. dass das Argument, die www.imki.uni-bremen.de ¹Prominentª werden auch nur solche Teilnehmer, die Medien seien amerika- nicht nur einmal auf einem lokalen Treffen waren. nisch, nicht mehr aufrecht erhalten werden Dies setzt eine ausgiebige Reisetåtigkeit voraus. kann. So hat man eine Zunahme kulturçber- greifender Kommunikation ± kurz: transkul- Ein Leben im Internet, welches unabhångig von Raum tureller Kommunikation 1 ±, jedoch wird und Zeit wåre, ist weder empirisch auffind- noch vor- diese nicht einfach von den USA aus domi- stellbar. Wir bleiben also, trotz stark gewachsener niert, sondern es bestehen hier wesentlich Mæglichkeiten des Datenzugriffs und der weltweiten komplexere Kommunikationsbeziehungen. Arbeitsteilung, an Orte gebunden. Diese Orte, ebenso In der Fernsehserienproduktion haben bei- wie das Internet selbst, mçssen heute freilich als står- spielsweise Lateinamerika (durch die dortigen ker differenziert und fragmentiert angesehen werden, Telenovelas) oder Europa (mit seinen Fern- als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Un- sehformaten wie Big Brother oder Who wants sere raumzeitliche Verortung bleibt eine wesentliche to be a Millionaire) bzw. Indien (mit seiner Konstante, die uns, auch ohne dass wir es unbedingt Filmproduktion) gegenwårtig international wollen, Orientierung bietet und aus der unser Hand- einen græûeren Stellenwert als amerikanische lungsrahmen und unsere Beziehungen auch weiterhin Produkte in diesen Låndern. Eine besondere im Wesentlichen erwachsen werden. Rolle spricht Jeremy Tunstall allerdings digi- 20 Vgl. Gerhard Fuchs, Die Steuerung virtueller Projektnetzwerke: 1 Zur weiterfçhrenden Lektçre empfohlen: Andreas e-mail und schlæzen, in: Christian Stegbauer (Hrsg.), Netzwerk- Hepp, Transkulturelle Kommunikation. Konstanz analyse und Netzwerktheorie, Wiesbaden 2008, S. 541 ± 554. 2006 (UVK /UTB). Informationen zu den erwåhnten Projekten unter: http://www.imki.uni-bremen.de APuZ 39/2008 9
talen Medien (WWW, E-Mail, Mobiltelefon Prozess einer fortschreitenden Zunahme etc.) zu, wenn er formuliert: ¹Telecommuni- weltweiter Kommunikationsbeziehungen. 3 cations (not mass media) has the most global Vielschichtig ist der Prozess insofern, als wir potential ± since the Internet, consumer cre- ihn nicht auf ein Medium oder eine Gruppe dit, and plain old phone calls use telecommu- von Medien ± beispielsweise die digitalen Me- nications networks.ª 2 dien ± reduzieren kænnen. Die Globalisierung der Medienkommunikation im oben skizzier- ten Sinne wird von Internet und Mobilkom- Globalisierung der munikation ebenso ,getragen` wie von (Satel- Medienkommunikation liten)Fernsehen und Film. Vielschichtig ist der Prozess aber auch, weil wir beispielsweise In diesem Beitrag mæchte ich die bemerkens- aus der Dominanz einzelner Konzerne auf werte Entwicklung, auf die Tunstall hier der Ebene der Produktion keine Schlussfolge- Bezug nimmt, zum Ausgangspunkt nehmen, rungen in Bezug auf die Medienprodukte um auf Herausforderungen der Globalisie- oder deren alltågliche Aneignung ziehen kæn- rung der Medienkommunikation und der nen. Allerdings bleibt die Globalisierung der transkulturellen Kommunikation einzugehen. Medienkommunikation ± wie die Diskussion Die einleitenden Bemerkungen machen dabei um den Digital Divide gezeigt hat 4 ± auch deutlich, dass ich ,neue Medien` und ,Inter- ein in sich hoch ungleicher Prozess. net` nicht isoliert betrachten mæchte, sondern im Ensemble mit den ,traditionellen` Medien. Bei einer Betrachtung von transkultureller Dahinter steht der Gedanke, dass sich unsere Kommunikation geht es nun um eine Ausein- alltågliche Aneignung von Medien nicht auf andersetzung mit kulturçbergreifenden Kom- Einzelmedien bezieht, sondern dass wir bei- munikationsbeziehungen in diesem zuneh- spielsweise im Internet die Webseiten zu Big mend globalen Kommunikationsnetzwerk. Brother in Bezug auf die gleichnamige Fern- Dass hierbei nicht einfach von interkulturel- sehsendung nutzen oder wir uns per E-Mail ler oder internationaler Kommunikation ge- oder am (Mobil)Telefon sowohl çber unseren sprochen wird, verweist darauf, dass mit der Alltag als auch çber die Inhalte einer letzten Globalisierung der Medienkommunikation Soap Opera oder Nachrichtensendung aus- verschiedene Kommunikationsråume ent- tauschen. Wir kænnen also die digitalen Me- standen sind, die sich gerade nicht auf Staaten dien weder losgelæst von unserem weiteren oder Nationalkulturen herunterbrechen las- Handeln noch von weiteren traditionellen sen. Exemplarisch kann man hier an den elektronischen Medien sehen. Dies trifft ge- Kommunikationsraum Europa denken ± der, rade dann zu, wenn wir uns fçr soziale Bezie- sofern man in ihm eine transnationale euro- hungen interessieren, fçr die Medienkommu- påische Úffentlichkeit ausmacht, zentral fçr nikation ja nur ein Aspekt ist. die Legitimation der EU bei den Bçrgerinnen und Bçrgern ist. Oder man kann an den Doch was kænnen wir uns genau unter Kommunikationsraum von Diaspora-Ge- ,Globalisierung der Medien` und ,transkultu- meinschaften denken, also von Migrantinnen relle Kommunikation` vorstellen? Wenn wir und Migranten, die çber verschiedene Lånder mit dem Ausdruck Globalisierung der Me- hinweg verstreut leben und eine eigenstån- dien(kommunikation) beginnen, so helfen die dige Vergemeinschaftung (¹Deutschtçrkenª, zitierten Ûberlegungen von Jeremy Tunstall ¹britische Asiatenª usw.) bilden. ,Transkultu- bereits weiter. Fasst man seine Argumente im rell` hebt an dieser Stelle also darauf ab, dass Kern zusammen, so bedeutet Globalisierung kulturelle Kommunikationsråume ,jenseits` mit Bezug auf Medien nicht, dass hier ein- traditioneller Nationalkulturen betrachtet zelne (beispielsweise amerikanische) Me- werden, die transnational sein kænnen (bei- dien(konzerne) ,die Welt kontrollieren`. Eher spielsweise den Kommunikationsraum Euro- geht es um ,Vernetzung` oder ,Konnektivitåt` durch Medienkommunikation. Entsprechend 3 Vgl. fçr eine solche Definition Andreas Hepp, kænnen wir Globalisierung der Medienkom- Transkulturelle Kommunikation, Konstanz 2006, munikation verstehen als den vielschichtigen S. 67. 4 Vgl. Pippa Norris, Digital Divide. Civic Engage- 2 Vgl. Jeremy Tunstall, The Media Were American: ment, Information Poverty and the Internet World- U.S. Mass Media in Decline, New York 2007. wide, Cambridge 2001. 10 APuZ 39/2008
pas), aber auch von Nationen abkoppelnde schaftungen ,translokal` ± also çber den eigenen loka- kulturelle Phånomene (Diasporagemeinschaf- len Lebenskontext hinaus ± aufrechtzuhalten. Dadurch, ten). dass medienvermittelte translokale Kommunikations- råume durch die nationalen Sendegebiete des Rund- Wie zentral eine Beschåftigung mit solchen funks und nationalen Verbreitungsgebiete von Zei- Fragen der transkulturellen Kommunikation tungen bis in die 1970er Jahre hinein insbesondere ist, verdeutlichen die genannten Beispiele: In national-territorial waren, galt und gilt fçr viele Men- der Politik wie auch in der Úkonomie haben schen die Nation bis heute als die zentrale translokale, wir seit vier Jahrzehnten eine fortschreitende unter anderem durch Medien vermittelte Vergemein- Europåisierung. Gleichzeitig wird der Ent- schaftungsform. Mit der Globalisierung der Medien- wicklung einer europåischen Úffentlichkeit kommunikation ist diese Situation allerdings wesent- aber eine deutliche Trågheit unterstellt. 5 Es lich komplexer geworden. Dies låsst sich anhand von zeigt sich, wie relevant es ist, danach zu fra- Abbildung 1 veranschaulichen: gen, was transkulturelle Kommunikation fçr die Konstitution einer europåischen Úffent- lichkeit leisten kann. Eine åhnliche Relevanz Abbildung 1: Territoriale und deterritoriale Verge- der Beschåftigung mit transkultureller Kom- meinschaftungen munikation wird deutlich, wenn man sich das Beispiel der Diasporagemeinschaften nåher anschaut: Geht man von den Daten der ¹In- Translokale ternational Organization for Migrationª aus, Vergemeinschaftung so ist jede 35. Person auf der Welt ein Migrant oder eine Migrantin. Ungefåhr 192 Millionen territorialisiert deterritorialisiert Menschen leben jenseits ihres Geburtslands Region Diasporas (sind also Migranten 1. Generation), wobei ethnische/thematische/politische/ ethnische Aspekte deterritoriale kulturelle religiöse Aspekte territoriale kulturelle sich die weltweiten Migrationszahlen seit den Verdichtung Verdichtung 1960er Jahren um ca. 2,9 Prozent pro Jahr Nation ethnische/thematische/politische/ Populärkulturelle Gemeinschaften steigern. 6 Auch hier rçckt die Frage in den religiöse Aspekte thematische Aspekte Vordergrund, welchen Beitrag Medienkom- Nationenbund Soziale Bewegungen munikation fçr den kulturellen Zusammen- ethnische/thematische/politische/ religiöse Aspekte politische Aspekte halt von Diasporagemeinschaften, aber auch fçr deren Einbezug in die aufnehmenden Religiöse Vergemeinschaftungen Lånder leisten kann. Fragen transkultureller religiöse Aspekte Kommunikation sind damit kein Randphåno- men, sondern betreffen die zentralen Heraus- Quelle: Eigene Darstellung. forderungen der Gegenwart. Und bei solchen Problemlagen ist der Gebrauch digitaler Me- dien fest mit dem traditioneller Medien ver- Abbildung 1 verdeutlich, dass zwar auch in Zeiten der woben. Globalisierung von Medienkommunikation die Nati- on eine entscheidende Bezugsgræûe bleibt. Das be- Doch wie will man solche komplexen Zu- trifft insbesondere den Bereich der politischen Kom- sammenhånge systematisch betrachten? Eine munikation, in dem territoriale Nationalstaaten ein Mæglichkeit ist, bei den Vergemeinschaftun- nach wie vor zentraler Referenzpunkt fçr politische gen als dauerhafte soziale Beziehungen selbst Entscheidung sind. Daneben haben aber auch andere anzusetzen ± Nationalgemeinschaften, Mi- Formen der translokalen Vergemeinschaftung an Rele- grationsgemeinschaften etc. ±, denen wir uns vanz gewonnen. Hierunter finden sich auch die be- zugehærig fçhlen. Durch Medien ist es allge- reits angefçhrten Beispiele, nåmlich zum einen die mein einfacher geworden, solche Vergemein- EU als Nationenbund und der ihr entsprechende Kommunikationsraum, zum anderen die Migrations- 5 Vgl. Jçrgen Gerhards, Europåisierung von Úko- gemeinschaften der Diaspora: Gruppen, die trotz nomie und Politik und die Trågheit der Entstehung ei- ihrer Verstreuung çber verschiedene Territorien eine ner europåischen Úffentlichkeit, in: Maurizio Bach (nicht selten medial vermittelte) gemeinsame ethni- (Hrsg.), Die Europåisierung nationaler Gesellschaften, sche Identitåt wahren. Um einen tieferen Einblick in Opladen 2000, S. 277 ±305. 6 Vgl. fçr diese und weitere Informationen zu Migra- Fragen der transkulturellen Kommunikation zu erhal- tion http://www.iom.int/jahia/Jahia/lang/en/pid/3 ten, sollen im Weiteren beide Beispiele nåher betrach- (30. 5. 2008). tet werden. APuZ 39/2008 11
Transkulturelle Groûregion: gionen? Will man diese Frage beantworten, so wird es notwendig, einzelne Groûregionen Europåische Úffentlichkeit als Beispiel im Detail anzuschauen. Dies mæchte ich im Weiteren in Bezug auf den Kommunikations- Kontextualisiert man das Beispiel Europas raum Europa tun und dies weiter konkretisie- weiter im Hinblick auf Fragen der Globalisie- ren, nåmlich im Hinblick auf die æffentliche rung von Medienkommunikation, so wird ± europåische politische Kommunikation ± jenseits aller bestehenden Besonderheiten Eu- kurz: im Hinblick auf die Etablierung einer ropas ± ein Muster deutlich: Mit der Globa- transnationalen europåischen Úffentlichkeit. lisierung geht weniger die Etablierung einer Die Ergebnisse der empirische Forschung, ,Weltkommunikation` oder ,Weltæffentlich- auf die ich mich dabei stçtze, werden im Rah- keit` einher, wie es manche Theoretiker men des Forschungsprojekts ¹Die Transna- vermuten, 7 sondern vielmehr die Etab- tionalisierung von Úffentlichkeit am Beispiel lierung groûregionaler Kommunikations- der EUª erhoben, das Teil des Bremer Son- råume. Immer wieder genannte Beispiele fçr derforschungsbereichs ¹Staatlichkeit im Wan- solche groûregionalen Kommunikationsråume delª ist. 11 sind Lateinamerika, der Raum von Nordame- rika und Australien, der chinesische Groû- Insgesamt weisen unsere Forschungsergeb- raum sowie ± wie ich hier argumentieren nisse auf den widersprçchlichen Befund einer mæchte ± der ¹Kommunikationsraum Euro- segmentierten europåischen Úffentlichkeit paª. 8 Fçr solche transkulturellen Groûråume hin. Konkret wird diese in einer standardi- wurden verschiedene Namen geprågt, ange- sierten inhaltsanalytischen Auswertung der fangen von ± bei einer Betonung auf Sprache ± Meinungsbeitråge (Leitartikel, Kommentare, ¹geolinguistischen Regionenª 9 bis hin zu ± in Kolumnen, Gastbeitråge, Interviews und son- Kritik eines solchen Sprachfokus' und mit stige Beitråge mit meinungsbezogenem In- einer ækonomischen Betonung ± ¹geokulturel- halt) fçhrender Qualitåtszeitungen aus den len Mårktenª. 10 Ûber Einzeldifferenzen hin- Låndern Deutschland (FAZ), Groûbritannien weg kann man als konstitutives Element sol- (The Times), Frankreich (Le Monde), Úster- cher transkulturellen Groûregionen festhalten, reich (Die Presse) und Dånemark (Politiken). dass bei ihnen die innere kommunikative Ver- Die Inhaltsanalyse umfasst den Zeitraum von netzung mittels verschiedener Medien dichter 1982 bis 2003, wobei in Siebenjahresinterval- ist, wie auch die innere kulturelle Nåhe græûer len je zwei kçnstliche Wochen der Berichter- ist als die jeweils auûerhalb vorfindbare. Trans- stattung ausgewertet wurden. Die Kodierung kulturelle Groûregionen bleiben also intern erfolgte im Hinblick auf (a) die Thematisie- kulturell gebrochen (beispielsweise durch Na- rung nationaler, europåischer und darçber tionen), grenzen sich jedoch gleichwohl extern hinausgehender inter-/supranationaler Insti- gegençber anderen Regionen ab. tutionen bzw. die Aufmerksamkeit, die diese genieûen; (b) die wechselseitige Beobachtung Doch wie konkretisiert sich transkulturelle der Untersuchungslånder; (c) die Herkunft Kommunikation innerhalb solcher Groûre- der Sprecher sowie (d) die Wir-Bezçge als In- dikatoren von geteilter kollektiver Identitåt. 7 Vgl. beispielsweise Norbert Bolz, Weltkommunika- tion, Mçnchen 2001; Miriam Meckel, Kommunikative Identitåt und Weltæffentlichkeit, in: Publizistik, 43 (1998), S. 362±375. Anmerkung der Redaktion: Siehe 11 An dem Projekt sind ± neben mir ± folgende Perso- auch den Beitrag von M. Meckel in dieser Ausgabe. nen beteiligt: Michael Brçggemann, Katharina Klei- 8 Vgl. Hans J. Kleinsteuber/Thorsten Rossmann nen-von Kænigslæw, Swantje Lingenberg, Johanna (Hrsg.), Europa als Kommunikationsraum. Akteure, Mæller und Hartmut Wessler. Zu den im Weiteren Strukturen und Konfliktpotenziale in der europåischen umrissenen Forschungsergebnissen vgl. Michael Brçg- Medienpolitik. Unter Mitarbeit von Arnold C. Kul- gemann/Stefanie Sifft/Katharina Kleinen von Kænigs- batzki und Barbara Thomaû, Opladen 1994; und die læw/Bernhard Peters/Andreas Wimmel, Segmentierte Beitråge in Lutz Erbring (Hrsg.), Kommunikations- Europåisierung. Trends und Muster der Trans- raum Europa, Konstanz 1995. nationalisierung von Úffentlichkeiten in Europa, in: B. 9 Vgl. John Sinclair/Elizabeth Jacka/Stuart Cunning- Peters (Hrsg.), Der Sinn von Úffentichkeit. Frankfurt/ ham, Peripheral Vision, in: dies. (Hrsg.), News Pat- M. 2007, S. 298 ±321, sowie Hartmut Wessler/Bern- terns in Global Television, Oxford 1996, S. 1 ±32. hard Peters/Michael Brçggemann/Katharina Kleinen 10 David Hesmondhalgh, The Cultural Industries, von Kænigslæw/Stefanie Sifft, Transnationalization of London ± Thousand Oaks ± New Delhi 2002, S. 180 f. Public Spheres, Basingstoke 2008. 12 APuZ 39/2008
Abbildung 2: Segmentierte europåische Úffentlich- der Segmentierung europåischer Úffentlich- keit keit hergeleitet: Wåhrend der ¹Blick nach Brçsselª zunimmt, stagniert der ,Austausch untereinander`. Br Brüssel beobachten 3. Mit Europa identifizieren: Eine Analyse der Repråsentation von Identitåt in der Mei- Grenzüberschreitend nungspresse mittels standardisierter inhalts- diskutieren analytischer Verfahren ist methodisch nicht unproblematisch. Eine mægliche Operationa- lisierung besteht in der Auswertung von Wir- Mit Europa identifizieren Bezçgen im Hinblick einerseits auf die eigene Nation, andererseits auf Europa, das heiût die 1980 heute Selbstpositionierung der Sprecher entweder als Angehærige einer Nation oder als Europå- Quelle: Eigene Darstellung. er. Hier lassen sich im Untersuchungszeit- raum geringfçgige Verånderungen einer leich- Im Kern fasst die Formulierung ¹segmentierte europå- ten Abnahme nationaler Wir-Bezçge (von ca. ische Úffentlichkeitª den Befund, dass sich zwar eine 43 auf 37 Prozent) bei einer gleichzeitigen transnationale europåische Úffentlichkeit konstituiert, leichten Zunahme europåischer Wir-Bezçge diese aber gleichwohl çber die hæheren kommunikativen (von unter einem auf ca. 5 Prozent) ausma- Verdichtungen nationaler Úffentlichkeiten stark seg- chen. Die Tendenz der Entwicklung einer mentiert bleibt. Die Befunde im Einzelnen werden im europåischen Identitåt ist ± zumindest im Folgenden in Stichpunkten formuliert (Abbildung 2): Hinblick auf die Wir-Bezçge in der unter- suchten Meinungsberichterstattung ± also nur 1. Brçssel beobachten: Fçr den Untersuchungszeit- gering ausgeprågt. raum låsst sich zeigen, dass sich die æffentliche Auf- merksamkeit fçr EU-Politik çber alle Untersuchungs- Der bereits angefçhrten fortschreitenden lånder hinweg von 2 auf 9 Prozent der meinungshalti- Europåisierung von Wirtschaft und Politik gen Artikel verdreifacht hat. Gleichzeitig bleibt der geht folglich nicht in gleichem Maûe mit der Fokus auf nationale Politik bei rund 35 Prozent kon- Entstehung einer transnationalen europåi- stant, der Fokus auf weitergehende internationale Poli- schen Úffentlichkeit einher. Um das in der tik sinkt leicht von 15 auf gut 10 Prozent. Wenn man Segmentierung europåischer Úffentlichkeit weitere Befunde wie die steigende Thematisierung von aufscheinende Beharrungsvermægen nationa- EU-Politiken als Nebenthema einbezieht, so låsst sich ler Úffentlichkeiten im Bereich politischer argumentieren, dass sich durch einen ,geteilten Blick` Kommunikation zu erklåren, wird in der For- nach Brçssel eine transnationale Úffentlichkeit konsti- schung auf soziokulturelle Differenz verwie- tuiert. Im Vergleich dazu fållt allerdings auch auf, dass sen, oder wie es Bernhard Peters formuliert: der nationale Selbstbezug einen deutlich hæheren und ¹Úffentlichkeiten haben einen sozialen und auch konstanten Stellenwert hat. Die Transnationali- kulturellen Unterbau, der nicht allein aus Me- sierung von Úffentlichkeit fçhrt also nicht zu einem dienmårkten und Medienorganisationen be- ¹Abbauª nationaler Úffentlichkeit. steht.ª 12 Die unterschiedlichen nationalen politischen Diskurskulturen innerhalb Euro- 2. Grenzçberschreitend diskutieren: Ein anderer Be- pas scheinen also zentral fçr die Erklårung fund ergibt sich, wenn man in den Vordergrund rçckt, der Segmentierung europåischer Úffentlich- wie sich die wechselseitige Beobachtung der nationalen keit zu sein. Gleichzeitig lassen sich umge- Úffentlichkeiten in den verschiedenen Zeitungen arti- kehrt Ansåtze der Etablierung einer europå- kuliert. Hier zeigt sich in der Inhaltsanalyse, dass bis ischen politischen Diskurskultur ausmachen. 2003 keine Zunahme der Diskussion çber andere euro- Doch was kennzeichnet die verschiedenen påische Lånder in den meinungshaltigen Artikeln zu nationalen politischen Diskurskulturen? Und verzeichnen war (ca. 20 Prozent gegençber ca. 50 Pro- im Hinblick auf welche Aspekte entwickelt zent Berichterstattung çber das eigene Land). Øhnliche sich eine europåische politische Diskurskul- Aussagen (auch im Hinblick auf Prozentanteile) kæn- tur? Diese Fragen untersuchen wir aktuell nen fçr den Bezug auf Meinungen und Positionen von Sprechern aus anderen europåischen Staaten gemacht 12 Bernhard Peters, Der Sinn von Úffentlichkeit. werden. Letztlich ist çber diesen Befund das Konzept Frankfurt /M. 2007, S. 363. APuZ 39/2008 13
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