Weiße Biotechnologie Chancen für eine biobasierte Wirtschaft - BMBF
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Leitbild eines innovativen Deutschlands Es sind die guten Ideen, aus denen in Deutschland neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden. Sie sind weltweit gefragt und sichern unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität. Auf viele drängende Fragen und Herausforderungen der Zukunft wurden bereits innovative Lösungen gefunden. In anderen Be- reichen muss weiter geforscht und experimentiert werden. Hier setzt die neue Hightech-Strategie an: Sie betrachtet systematisch den ganzen Innovationsprozess – von der kreativen Idee bis zur Umsetzung in neue Produkte und Dienstleistungen. Die neue Hightech-Strategie konzentriert sich auf Forschungsthemen, die von besonderer Relevanz für die Gesellschaft sowie für Wachstum und Wohlstand sind: • Informations- und Kommunikationstechnologien prägen nahezu alle unsere Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Doch wie wollen wir in einer digitalen Welt leben, lernen und arbeiten? • Wie gestalten wir Produktion und Konsum ressourcenschonender, umweltfreundlicher, sozialverträglicher und damit nachhaltiger? • Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? • Wie können wir Fortschritte für Gesundheit und Wohlbefinden erzielen? • Wie verhindern wir Störungen oder Engpässse bei Energieversorgung, IT-Kommunikation, Mobilität oder Logistik? Die neue Hightech-Strategie bringt alle Akteure des Innovationsgeschehens zusammen, um Kräfte zu bündeln und den Weg von der Idee in die Anwendung zu verbessern. Sie sorgt auch dafür, dass die Bedin- gungen in Deutschland innovationsfreudig bleiben. Dafür sind qualifizierte Fachkräfte ebenso notwendig wie eine bessere Finanzierung von Innovationen oder ein froschungsfreundliches Urheberrecht. Mehr erfahren Sie auch unter www.hightech-strategie.de Hightech-Strategie_Anzeige-Nachbau.indd 1 12.06.2015 11:46:54 Uhr
1 Inhaltsverzeichnis Weiße Biotechnologie im Überblick 4 Haushalt: Wie die Wäsche sauber wird 12 Medizin: Arzneimittel aus der Zellfabrik 16 Ernährung: Von Käse und Vitaminen 20 Enzyme als Multifunktionstalente 21 Kosmetik: Natürliche Schönheitspflege 26 Textilien: Biologische Helfer für Jeans und Leder 28 Industrie: Bioplastik im Trend 30 Energie: Biokraftstoffe im Visier 34 Bioraffinerien: Pflanzliche Rohstoffe effizient nutzen 38 Wirtschaftliche Bedeutung 42
2 Technologie: Der Weg zur Biofabrik 50 Ausblick: Biotechnologie der nächsten Generation 54 Weiterführende Literatur 60 Glossar 61
Weiße Biotechnologie im Überblick Ob im Waschmittel oder in der Hautcreme – in einer Was versteht man unter Weißer Biotechnologie? Vielzahl von industriellen Produkten steckt Biotechno- Die Weiße Biotechnologie – auch industrielle Bio- logie. Der Griff in die Werkzeugkiste der Natur hilft der technologie genannt – ist ein Teil der Biotechnologie. Industrie, ressourcenschonender und umweltfreund- Darunter wird die Anwendung von Naturwissen- licher zu arbeiten. Aus nachwachsenden Rohstoffen schaft und Technologie an lebenden Organismen, lassen sich mithilfe von Enzymen und Mikroorganis- deren Teilen sowie Produkten von ihnen verstanden. men wertveredelte Chemieprodukte herstellen – ein So lautet die offizielle Definition der Organisation für Schlüssel auf dem Weg zur biobasierten Wirtschaft. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). In diesem Sinn ist die Biotechnologie gar Biotechnologie gewinnt für das tägliche Leben zuneh- nichts Neues. mend an Bedeutung, auch wenn dies oft nicht unmit- telbar zu erkennen ist. In vielen Haushaltsprodukten, Erste Anwendungen lassen sich bereits 6.000 v. Chr. Nahrungsmitteln, Medikamenten und Chemikalien finden, als die Sumerer in Mesopotamien aus ge- steckt Biotechnologie. Dazu zählen etliche Lebens- keimter Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches mittel, bei deren Herstellung der Mensch schon seit Getränk gebraut haben. Auch bei der Herstellung von Jahrhunderten auf die Kraft von lebenden Mikroor- Wein, Sauerteigbrot oder Käse kamen von Anfang ganismen setzt – wie Brot, Käse, Bier und Wein. Aber an lebende Mikroorganismen zum Einsatz – nur hat auch bei der Herstellung hochwertiger Chemikalien, das damals keiner gewusst. Die moderne Biotechno- Arzneimittel, Vitamine, Wasch- und Reinigungsmit- logie hingegen zeichnet sich vor allem dadurch aus, tel, bei der Veredelung von Textilien, Leder und Papier dass sie die Methoden der Molekularbiologie gezielt sowie bei der Herstellung vieler anderer Alltagsgegen- nutzt. Die Grundlagen hierfür wurden erst mit der stände sind Methoden der Weißen Biotechnologie zu Genomforschung und neuen Erkenntnissen in der einem festen Bestandteil der Produktionsverfahren Mikrobiologie geschaffen. Die daraus entwickelte geworden. Gentechnik ist heute ein wichtiger Bestandteil der
Weisse Biotechnologie im ÜBerBlick 5 Biotechnologie: Der entschlüsselte molekulare Bau- Weitere Impulse für die Entwicklung dieses For- plan von Organismen liefert den Biotechnologen das schungszweiges kamen aus der Medizin. So erkannte nötige Handwerkszeug für ihre Arbeiten. Während Robert Koch (1843–1910) als einer der ersten Wis- unter gentechnischen Verfahren die Analyse und senschaftler die Bedeutung der Mikroorganismen gezielte Veränderung des Erbguts von Organismen als Krankheitserreger. Im Jahr 1876 gelang Koch die und Zellen verstanden wird, gehen biotechnologische Entdeckung des Milzbrand-Bakteriums und 1882 Verfahren darüber hinaus – und verknüpfen Zell- und die Identifizierung des Tuberkulose-Erregers. Zuvor Molekularbiologie mit technischen Komponenten, galten nicht Mikroorganismen, sondern so genann- etwa in der Bioverfahrenstechnik. In der industriellen te Miasmen – die Luft verunreinigende Gifte – als Biotechnologie werden demnach Organismen oder Krankheitsursachen. einzelne Biomoleküle als Grundlagen für die indust- rielle Produktion verwendet. Dies grenzt sie von der Einen weiteren Puzzlestein im Gesamtverständnis der Roten Biotechnologie (medizinisch-pharmazeutische Mikrobiologie lieferten schließlich im selben Zeit- Biotechnologie) und der Grünen Biotechnologie raum die Chemiker. So beobachteten Forscher im 18. (landwirtschaftlich-pflanzliche Biotechnologie) ab. Jahrhundert, dass der Abbau eines Stoffes manchmal durch die Zugabe einer weiteren Substanz beschleu- Geschichte der Weißen Biotechnologie nigt werden konnte, die dabei offenbar aber nicht Der Griff in die Werkzeugkiste der Natur hat schon verbraucht wurde. Als sich derartige Beobachtungen eine lange Tradition. In zahlreichen Kulturen waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts häuften, beschäftigten Methoden der Vergärung zuckerhaltiger Nahrungs- sich die Wissenschaftler genauer damit. Der schwedi- mittel zu Alkohol mithilfe von Hefen, Milchsäuregä- sche Wissenschaftler Jöns Jakob Berzelius (1779–1848), rung unter Verwendung von Lactobacillus-Stämmen der als Begründer der modernen Chemie gilt, schrieb oder die Essigherstellung mithilfe spezieller Acetobac- im Jahre 1836 hierüber eine Abhandlung und schlug ter-Spezies lange vor der Entdeckung von Mikroorga- den Namen „Katalyse“ für die Erscheinung vor. Dieser nismen oder dem Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse bekannt. Die Entdeckung der Mikroorganis- men und der biochemischen Grundlagen fermentati- ver Prozesse erfolgte erst im Verlauf der vergangenen drei Jahrhunderte. Antonie van Leeuwenhoek (1632–1723) beobachtete erstmals Mikroorganismen mithilfe eines einlinsigen Mikroskops und fand in einer Bierprobe gelbe Hefe- kügelchen. Der französische Forscher Louis Pasteur (1822–1895) entdeckte 1856 in verunreinigten Wein- fässern Mikroorganismen, die er nach ihrer Form mit dem griechischen Wort für Stäbchen Bacterion benannte. Darüber hinaus fand er heraus, wie die Gärung abläuft: Während Milchsäurebakterien aus Zucker Milchsäure produzieren, vergären Hefepilze in den Weinfässern den Zucker zu Alkohol. Pasteur legte mit seinen Experimenten die Grundlage für das Verständnis der Fermentation und begründete die moderne Mikrobiologie. Mit seiner Erkenntnis, dass „die Rolle des unendlich Kleinen in der Natur unend- lich groß“ ist, war der Weg für die moderne Biotech- nologie bereitet.
6 Weisse Biotechnologie Forschungslandschaft industrielle Biotechnologie in Deutschland Mit der industriellen Biotechnologie beschäftigen sich in Deutschland diverse Wissenschaftsgebiete, angefangen bei der Bioverfahrenstechnik oder Pro- zesstechnik über die mikrobielle Genomforschung bis hin zur Lebensmitteltechnologie. Die auf diesem Gebiet tätigen Forschungseinrichtungen lassen sich daher nur schwer systematisch erfassen. Im Kern umfassen sie Institute an 48 Universitäten und 27 Fachhochschulen. Hinzukommen 36 außeruniver- sitäre Einrichtungen der Forschungsgesellschaften (Max-Planck, Helmholtz, Leibniz, Fraunhofer) und sechs Ressortforschungseinrichtungen, die sich mit Fragestellungen der industriellen Biotechnologie beschäftigen. Auf dem Gebiet der mikrobiellen Genomforschung haben sich an den Standorten Bie- lefeld, Göttingen, Greifswald, Marburg und Braun- schweig Zentren etabliert. Bioverfahrenstechnik- Schwerpunkte gibt es in Aachen, Berlin, Hamburg München, Stuttgart, Kaiserslautern und Saarbrü- Forschungslandschaft: Universitäten (dunkles Quadrat), Fachhoch- cken. In Weihenstephan, Gießen und Hohenheim schulen (helles Q.), außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wird zur Lebensmittelbiotechnologie geforscht. (dunkles Dreieck) und Ressortforschung (helles D.) . Begriff ist aus dem Griechischen abgeleitet und be- Gewebe waren. Offenbar, so die Erkenntnis, ermög- deutet so viel wie „Abbau“. Beobachtungen ergaben, lichen sie im Organismus Reaktionen, die Chemiker dass chemische Prozesse in lebendem Gewebe nur nicht zuwege bringen. Weitere Details klärte der deshalb unter sehr milden Bedingungen ablaufen, deutsche Chemiker Eduard Buchner (1860–1917) auf. weil dort gewisse Katalysatoren vorhanden sind, die in Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fand er heraus, dass der unbelebten Natur fehlen. Fermente nicht-lebende Substanzen sind, die man aus Zellen gewinnen kann und die ihre Arbeit auch im Von Fermenten und Enzymen Reagenzglas verrichten. Zu diesem Zeitpunkt wurde Bald konnten Stoffe aus Pflanzen und tierischen der Name „Enzyme“ (aus dem Griechischen „in der Geweben extrahiert werden, die mit den beobachteten Hefe“) für die Biokatalysatoren geprägt. Er wurde von Reaktionen in Verbindung gebracht und „Fermente“ nun an auf alle Fermente angewandt. genannt wurden. Eines der ersten beschriebenen Fermente war das von dem deutschen Physiologen Heute wird ein Enzym als ein Eiweißmolekül (Prote- Theodor Schwann (1810–1882) im Jahr 1835 aus dem in) definiert, das eine chemische Reaktion katalysie- Magensaft extrahierte „Pepsin“, benannt nach dem ren kann. Enzyme sind essenziell für den Stoffwechsel griechischen Wort „pepsis“, das „verdauen“ bedeutet. aller lebenden Organismen. Der überwiegende Teil biochemischer Reaktionen, von der Verdauung über Mit der Entdeckung weiterer Fermente wurde in der den Energiestoffwechsel der Zellen, die Bewegung zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer deutlicher, oder die Informationsübertragung bis hin zum Kopie- dass diese Fermente die Katalysatoren der lebenden ren der Erbinformation, wird von Enzymen gesteuert.
Weisse Biotechnologie im ÜBerBlick 7 Biotechnologie in der Industrie Rohstoffe trug zu einem Umdenken bei und setzte die Ein Beispiel für biotechnologische Anwendungen in Suche nach Alternativen verstärkt in Gang. der industriellen Produktion liefert die Ledergerbung: Das heute in dieser Form nicht mehr existierende Un- So bieten biotechnologische gegenüber chemischen ternehmen Röhm & Haas aus Darmstadt produzierte Verfahren den Vorteil, dass Prozesse oftmals unter bereits 1909 das erste industriell verwendete Enzym- milden, umweltschonenderen Bedingungen stattfin- produkt namens Oropon. Es bestand aus Enzymen, den können: Mikroorganismen bewerkstelligen kom- die Proteine abbauen, den sogenannten Proteasen, plexe Stoffumwandlungen mit hoher Ausbeute bei und verbesserte die Ledergerbung entscheidend: Bis Zimmertemperatur und Normaldruck, für die chemi- dahin waren zur Behandlung der Felle und Häute sche Verfahren hohe Temperaturen und Drücke brau- Beizen aus Hundekot und Taubenmist verwendet chen. An die industrielle Biotechnologie sind deshalb worden, die nun durch das wesentlich umweltfreund- immer auch ökologische Erwartungen geknüpft, die lichere und sauberere Produkt ersetzt werden konn- in vielen Bereichen – etwa der Waschmittel- oder der ten. Mit der Entdeckung des ersten Antibiotikums Textilherstellung – bereits erfüllt wurden (vgl. Kapitel Penicillin in Schimmelpilzen im Jahr 1928 spielten Haushalt und Industrie). In vielen anderen Anwen- Mikroorganismen zudem erstmals als Produzenten dungsgebieten haben die Entwicklungen allerdings für medizinische Wirkstoffe eine Rolle (vgl. Kapitel erst begonnen, vor allem bei der Herstellung von Medizin). Biokunststoffen oder der Gewinnung von Energie aus nachwachsenden Rohstoffen (vgl. Kapitel Energie und Die eigentliche wissenschaftliche Revolution begann Bioraffinerien). Hier müssen künftige Forschungsar- mit den Entdeckungen der Molekularbiologie und beiten den Grundstein für eine tatsächlich effiziente Genetik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Produktionsweise legen – und die Biotechnologie Sie trieb die dynamische Entwicklung der moder- kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten. nen Biotechnologie voran. Dies gilt vor allem für die Entdeckung der DNA als Erbmolekül und die Mög- Ein Grund, warum das Potenzial so groß ist, liegt lichkeiten, Erbanlagen (Gene) gezielt zu verändern. nicht zuletzt auch darin, dass die unendliche Viel- Dieses Wissen legte die Fundamente dafür, dass sich falt der Natur erst ansatzweise entziffert ist. Zwar die evolutionär geschaffene biosynthetische Vielfalt liegen bereits hunderte entschlüsselte Genome von der belebten Natur gezielt für industrielle Prozesse Mikroorganismen vor, doch angesichts Tausender nutzen lässt. Erst der Fortschritt in der Genomfor- beschriebener – und noch viel mehr unbekannter schung ermöglichte eine systematische Erschließung Mikroorganismen – sind die Möglichkeiten bisher der produktiven Fähigkeiten von Mikroorganismen nur ansatzweise ausgeschöpft. So werden beispiels- und Zellen sowie die Analyse ihrer einzelnen Bestand- teile auf genetischer Ebene. So kann die Wissenschaft nachvollziehen, wie die Natur ihre Vielfalt zustande bringt und wie sich diese Vielfalt für industrielle Pro- duktionsprozesse nutzen lässt. Mit der Forderung einer nachhaltigen Wirtschafts- weise sind seit den 1980er und 90er Jahren die in der Natur vorhandenen Ressourcen immer mehr in den gesellschaftlichen Blickpunkt gerückt. Damit ver- band sich für Politik und Wirtschaft die Erkenntnis, dass die Sicherung der natürlichen Ressourcen für künftige Generationen mit bestehenden industriel- len Verfahren langfristig nicht zu gewährleisten ist: Corynebacterium glutamicum gehört in der Biotechnologie zu den Leis- Vor allem die Endlichkeit fossiler Energieträger und tungsträgern, etwa bei der industriellen Produktion von Aminosäuren.
8 Weisse Biotechnologie Herausforderung. Auch in der Industrie hat das Um- denken eingesetzt: Die bislang vornehmlich auf fossile Rohstoffe ausgelegte Produktion braucht einen Struk- turwandel hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften, das auf eine ressourceneffiziente Produktionsweise ausgerichtet ist, um Nahrungsmittel, Industriepro- dukte und Energieträger aus Biomasse herzustellen. Das nachhaltige Wirtschaften auf der Basis biologi- scher Ressourcen wird unter dem Konzept Bioökono- mie zusammengefasst und die industrielle Biotech- nologie ist hierbei ein wichtiger Pfeiler (vgl. Kapitel Wirtschaftliche Bedeutung). Strukturwandel hin zur Bioökonomie Das Konzept der Bioökonomie fasst in Europa und in Nordamerika immer stärker Fuß und ist bereits auf Enzyme sind Eiweißmoleküle, die als Biokatalysatoren wirken. Hier den forschungs- und wirtschaftspolitischen Agenden eine 3D-Illustration eines Invertase-Enzyms. gelandet. So hat die Europäische Kommission 2012 die Strategie „Innovating for Sustainable Growth: A Bioeconomy for Europe“ beschlossen. Im Jahr 2013 weise derzeit gerade einmal rund 250 Enzyme indust- wurde eine Public-Private-Partnership (PPP) namens riell genutzt. Das bedeutet: Für die Wirtschaft hat die „Biobased-Industries“ (BBI) mit einem Budget von 3,7 Entwicklung erst begonnen. Weiteres Potenzial liegt Mrd. Euro auf den Weg gebracht, das von der EU- vor allem darin: Kommission und zahlreichen Vertretern europäischer Firmen getragen wird. Beteiligt sind rund 140 Part- einfachere, umweltfreundlichere und sauberere ner aus ganz Europa, darunter Konzerne, kleine und Produktionsverfahren zu etablieren, mittlere Unternehmen sowie Cluster und Verbände aus Deutschland. die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu reduzieren, Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland bei der Bioökonomie eine Spitzenstellung ein. Als die Investitionskosten zu verringern, eines der ersten Länder hat Deutschland Ende 2010 eine auf sechs Jahre angelegte, ressortübergreifende die Energie- und Entsorgungskosten zu „Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ reduzieren, veröffentlicht und damit konkrete Weichen für einen biobasierten Wandel von Industrie und Gesellschaft neue Produkte und Systemlösungen mit hohem gestellt. Die Strategie wurde unter Federführung des Wertschöpfungspotenzial zu entwickeln, Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit sechs weiteren Ministerien → die Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Industrie- erarbeitet (siehe Kasten rechts). Mit der im Sommer zweige zu steigern und damit neue Märkte zu 2013 vom Bundeskabinett beschlossenen „Nationalen erschließen. Politikstrategie Bioökonomie“ hat die Bundesregie- rung einen weiteren Meilenstein für eine biobasierte, Vor dem Hintergrund der weltweiten Bevölkerungs- nachhaltige Wirtschaft gesetzt. Die unter Federfüh- zunahme, der zur Neige gehenden Erdölreserven rung des Bundesministeriums für Ernährung und und des Klimawandels ist der maßvolle Umgang mit Landwirtschaft (BMEL) erstellte, ressortübergreifend natürlichen Ressourcen eine große gesellschaftliche wirksame Strategie hat sich zum Ziel gesetzt, eine
Weisse Biotechnologie im ÜBerBlick 9 Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030 Die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- 2030 wurde unter Federführung des Bundesmi- lung (BMZ). Ein weiterer wichtiger Baustein nisteriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb der Nationalen Forschungsstrategie gemeinsam mit sechs weiteren Ministerien im Jahr ist die Unterstützung von Forschungs- und 2010 aufgelegt. Bis 2016 stehen insgesamt 2,4 Mrd. Entwicklungsanstrengungen der Wirtschaft, ins- Euro für Forschung und Entwicklung (F&E) zur besondere von kleinen und mittleren Unterneh- Verfügung. Fünf zentrale Handlungsfelder sind in men. Zu den ersten Maßnahmen der Forschungs- der Strategie formuliert: : strategie zählten zudem die Innovationsallianzen der industriellen Biotechnologie. Neue Koopera- 1) Weltweite Ernährung sichern tionen in der Industrie sowie zwischen Wissen- 2) Gesunde und sichere Lebensmittel produzieren schaft und Wirtschaft sollen dazu beitragen, dass 3) Agrarproduktion nachhaltig gestalten nachwachsende Rohstoffe sowie ressourcenef- 4) Nachwachsende Rohstoffe industriell nutzen fiziente Konzepte in industriellen Produktions- 5) Energieträger auf Basis von Biomasse ausbauen prozessen stärker berücksichtigt werden (siehe Kasten S. 11). Zugleich wurden wichtige Leitprinzipien aufgestellt – zum Beispiel: Die Ernährungssicherung genießt Die Aktivitäten des BMBF ergänzen sich mit stets Vorrang vor anderen Nutzungen von Biomasse. Förderprogrammen des Bundesministeriums für Durch intelligente Verknüpfung von Wertschöp- Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), das die fungsketten sollen Konkurrenzen der verschiede- Weiterentwicklung neuer Ansätze zur industriel- nen Biomasse-Nutzungswege entschärft werden, len Nutzung von Biomasse ebenfalls mit meh- z. B. durch Koppel- und Kaskadennutzung. Eine res- reren Förderinitiativen unterstützt. Entlang der sourcen-, natur- und klimaschonende, tiergerechte gesamten Wertschöpfungskette geht es aber auch sowie ethisch akzeptable Produktion muss auch für um Innovationen in der Kaskadennutzung. So die Bioökonomie der Bewertungsmaßstab sein. werden unter anderem neue Modelle zu Mehr- fachnutzungen landwirtschaftlicher Biomasse Bei der Halbzeitkonferenz Bioökonomie, die im Juni gefördert. 2014 stattfand, wurde ein positives Fazit der ersten drei Jahre der Forschungsstrategie gezogen. Wesent- Ein weiterer Aspekt der Innovationsförderung liche Bemühungen des BMBF richten sich insbe- unter dem Dach der Bioökonomie ist der Aus- sondere darauf, neue Forschungsimpulse für mehr bau von Bioenergie-Strategien. Die Förderung Nachhaltigkeit im Agrarsektor zu setzen. Einen von Forschungsprojekten zur energetischen weiteren Förderschwerpunkt bildet die Nutzung Biomassenutzung wird seit 2014 vom Bundes- nachwachsender Rohstoffe in der Industrie, wobei ministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) die industrielle Biotechnologie eine wesentliche wahrgenommen. Ergänzt werden diese Aktivitä- Rolle spielt. Diese wird sowohl auf nationaler als ten durch Fördermaßnahmen des BMEL, die eine auch auf internationaler Ebene gefördert. Optimierung von Prozessen und Verfahren zur Erzeugung von Strom, Wärme und Kraftstoffen Zudem ist durch das BMBF der Aspekt der globalen aus Biomasse zum Ziel haben. Verantwortung stärker adressiert und gezielt in Forschungskooperationen mit Entwicklungs- und Schwellenländern vorangetrieben worden. Dies ergänzt Aktivitäten des Bundesministeriums für www.biooekonomie.de
10 Weisse Biotechnologie mittelständische Biotech-Firmen bei Forschungs- und Entwicklungsprojekten, die sie allein oder in Kooperationen mit anderen durchführen. Dies lief zunächst als Fördermaßnahme „BioChance“ und wurde von 2004 bis 2007 als „BioChancePlus“ fortgeführt. Insgesamt wurden dabei etwa 150 Mio. Euro für rund 300 biotechnologische Projekte zur Verfügung gestellt, um das Investitionsrisiko für die Unternehmen zu mindern und innovative Ideen voranzutreiben. Im Jahr 2007 wurde schließlich die Initiative „KMU-innovativ“ ins Leben gerufen, wobei die Biotechnologie eines von acht Technologiefeldern ist, die im Förderfokus stehen. Firmen der industriel- len Biotechnologie haben im Rahmen dieser Förde- rung ebenfalls profitiert – wie das Beispiel der Firma Jennewein Biotechnologie im Bereich Lebensmittel zeigt (vgl. Kapitel Ernährung). Um kommerziell inter- essante Forschungsergebnisse aus dem akademischen Umfeld der Biowissenschaften verstärkt in den Markt einzubringen, wurde zudem im Jahr 2005 die „Grün- Die Mikroalge Emiliana huxleyi produziert Kalkpartikel mit interessan- dungs-Offensive Biotechnologie“ (GO-Bio) ins Leben ten Materialeigenschaften. gerufen. Unter den bisher geförderten Projekten gibt es einige Teams aus der industriellen Biotechnologie kohärente Politikgestaltung zu ermöglichen. Entspre- – etwa mit Blick auf eine schnellere Stammentwick- chende Regierungsaktivitäten werden im Rahmen lung bei Mikroorganismen oder die Entwicklung einer seit 2013 aufgebauten, interministeriellen Ar- neuer Verfahren, um Cellulose als Rohstoff für die beitsgruppe Bioökonomie abgestimmt und vorange- biobasierte Wirtschaft zu etablieren. trieben. Bei der konkreten Ausgestaltung der Natio- nalen Forschungsstrategie sowie der Politikstrategie Allianzen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wurde die Bundesregierung durch den Bioökonomie- Außerdem wurde 2011 die „Innovationsinitiative rat beraten. Das im Jahr 2009 eingesetzte Gremium industrielle Biotechnologie“ angestoßen, um neue befindet sich derzeit in seiner zweiten Arbeitsperiode strategische Allianzen innerhalb der Industrie sowie und ist mit Experten aus diversen Fachdisziplinen in zwischen Wissenschaft und Wirtschaft entlang der Wissenschaft und Wirtschaft besetzt. Der Rat erarbei- gesamten Wertschöpfungskette zu bilden. Diese tet Empfehlungen zur Weiterentwicklung künftiger arbeiten nun mit öffentlicher Förderung daran, dass Forschungsschwerpunkte und setzt sich für den zivil- nachwachsende Rohstoffe sowie ressourceneffiziente gesellschaftlichen Dialog mit allen gesellschaftlichen Konzepte stärker im Kontext verschiedener industri- Akteursgruppen ein. eller Produktionsprozesse Berücksichtigung finden. Bislang wurden fünf strategische Allianzen für eine Um biotechnologische Ansätze in möglichst vielen Förderung ausgewählt, von denen drei durch ein KMU industriellen Sektoren zur Anwendung zu brin- koordiniert werden (siehe Kasten rechts). gen, unterstützt die Bundesregierung gezielt For- schungs- und Entwicklungsanstrengungen in der Neben der Bundesregierung gibt es aber auch wei- Wirtschaft. Ein besonderer Fokus liegt bei kleinen tere Akteure, die sich die Förderung der industriel- und mittleren Unternehmen (KMU), da diese zu len Biotechnologie in Deutschland auf die Fahnen den innovativen Wachstumstreibern der deutschen geschrieben haben. Dies gilt zum Beispiel für die Wirtschaft gehören. Seit 1999 unterstützt das BMBF Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU). Wie aus dem
Weisse Biotechnologie im ÜBerBlick 11 Jahresbericht 2013 hervorgeht, hat die Stiftung seit Mitteldeutschland hat die Fraunhofer-Gesellschaft 1996 insgesamt 245 Förderprojekte aus dem Bereich mit finanzieller Unterstützung des Bundes das der industriellen Biotechnologie mit rund 72 Mio. Bioraffinerie-Forschungszentrum „Chemisch-Bio- Euro unterstützt. Im Jahr 2013 legte die Stiftung einen technologische Prozesse“ (CBP) etabliert, das im Jahr Förderschwerpunkt auf das Thema Wasser. So wurde 2012 eingeweiht wurde (vgl. Kapitel Bioraffinerien). unter anderem die Entwicklung neuer Ansätze für die Seit 2012 erhält die Region zudem über die Förderung Behandlung von Klärschlämmen, Gärsubstraten und des Spitzenclusters BioEconomy weitere Mittel, die Gülle sowie Filtersysteme für Kläranlagen unterstützt. teilweise auch in Projekte der industriellen Biotech- nologie fließen. Bundesländer fördern Biotechnologie Auf der Ebene der Bundesländer wird die Entwick- Projekte zu Bioraffinerien fördert auch die Landes- lung der industriellen Biotechnologie vielfach unter regierung Bayern unter dem Dach eines regionalen dem Dach der Bioökonomie gefördert. Entsprechende Chemie-Clusters. Hessen wiederum setzt im Rahmen Initiativen gibt es zum Beispiel unter dem Dach des der Landesoffensive zur Entwicklung Wissenschaft- „Bioeconomy Science Centers“ in Nordrhein-Westfa- lich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) unter anderem len sowie der landeseigenen Bioökonomie-Strategie auf die Förderung der Synthetischen Mikrobiologie und im „Forschungsprogramm Bioökonomie Baden- und Insektenbiotechnologie. Darüber hinaus gibt es Württemberg“. Einen Schwerpunkt auf die marine Förderschwerpunkte der Landesregierung in Biotech- Biotechnologie setzt das Land Schleswig-Holstein. In nologie und Umwelttechnologie. Innovationsinitiative industrielle Biotechnologie Im Rahmen der 2011 angestoßenen „Innovations- engagieren. Innerhalb einer strategischen Alli- initiative industrielle Biotechnologie“ unterstützt anz sollen modulartig aufeinander aufbauende das BMBF Akteure aus Wirtschaft und Wissen- F&E-Projekte realisiert werden. Von besonderem schaft, damit sie strategische Allianzen entlang Interesse sind industrielle Anwendungen, die mit- von Wertschöpfungsketten bilden. Es war die erste telfristig durch biotechnologische Verfahren oder Fördermaßnahme der „Nationalen Forschungsstra- Produkte ersetzt werden können. Neben Branchen tegie BioÖkonomie 2030“. Insgesamt stehen für die wie der Nahrungsmittel-, Chemie-, Papier- und Initiative bis zu 100 Mio. Euro über fünf bis zehn Pharmaindustrie, in denen biologische Prozesse Jahre bereit. bereits eingesetzt werden, steht die Förderung grundsätzlich allen Industriezweigen offen. Mit der Fördermaßnahme wird das Ziel verfolgt, die Nutzung nachwachsender Rohstoffe in der Industrie Seit 2012 werden fünf Allianzen gefördert (vgl. auch in Sektoren zu tragen, die dies bisher noch nicht Kapitel Wirtschaftliche Bedeutung). Zuletzt wur- in dem Umfang getan haben. So soll die Biologi- de im Juni 2014 die strategische Allianz Wissens- sierung der Industrie vorangetrieben werden. Die basierte Prozessintelligenz auf der Halbzeitkonfe- strategischen Allianzen stehen unter der Führung renz Bioökonomie prämiert (vgl. S. 19). Die ersten eines Unternehmens. Die längerfristig angelegte drei Allianzen – NatLifE 2020 (vgl. S. 22), FuPol Förderung soll den beteiligten Unternehmen helfen, (vgl. S. 13) und ZeroCarbFP (vgl. S. 32) – wur- den notwendigen langen Atem für die erforderli- den 2012 auf der ACHEMA gekürt. Die Allianz chen Schritte in Forschung und Entwicklung (F&E) TeFuProt (vgl. S.31) wurde bei den „Deutschen aufzubringen. Im Gegenzug wird erwartet, dass sich Biotechnologietagen 2013“ der Öffentlichkeit die Unternehmen mit substantiellen Eigenbeiträgen vorgestellt.
Haushalt: Wie die Wäsche sauber wird Ob Soßen-, Ketchup- oder Kakaoreste, um solche In Waschmitteln eingesetzt, können die kleinen Helfer Flecken aus Textilien zu beseitigen, nutzen moderne dafür sorgen, dass größere Mengen anderer waschakti- Waschmittel natürliche Helfer: Enzyme. Diese Molekü- ver Substanzen eingespart werden können. Durch die le können nicht nur Stärke, Fette und Eiweiße abbauen, Verwendung von Enzymen lässt sich aber nicht nur sondern arbeiten auch viel effizienter als chemische das Waschergebnis verbessern, sondern auch Kosten Mittel. Das senkt Waschtemperaturen und schont die und Energieverbrauch lassen sich senken. Weil Enzyme Umwelt. bereits bei geringen Temperaturen aktiv sind, ließ sich in den vergangenen Jahren die Waschtemperatur, aber Die Deutschen sind nicht gerade sparsam, wenn es um auch der Waschmittel- und Wasserverbrauch beim das Reinigen von Textilien geht. Rund 600.000 Tonnen Waschen beständig senken. So geht aus dem Nachhal- Waschmittel verbrauchen alle Haushalte im Durch- tigkeitsbericht des Industrieverbandes Körperpflege schnitt pro Jahr. Das macht etwas mehr als sieben und Waschmittel e. V. hervor, dass der Anteil von Kilogramm pro Kopf. Damit die Wäsche richtig sauber Wäschestücken, die bei Waschprogrammen von 60 °C wird, greifen Waschmittelhersteller schon seit dem und höher gewaschen werden, seit dem Jahr 1972 von frühen 20. Jahrhundert in die biologische Trickkiste. 62 % auf 34 % im Jahr 2012 stark gesunken ist. Nach Schließlich sind Essenreste nichts anderes als Stär- Angaben des Verbandes der Chemischen Industrie hat ke-, Fett- oder Eiweißansammlungen. Und für den sich zudem die Waschmittelmenge in den vergangenen Abbau solcher biologischer Substanzen hält die Natur 25 Jahren deutlich reduziert. Für eine Wäsche von 5 bestimmte Eiweißmoleküle – die Enzyme – parat, die Kilogramm werden heute nur noch 75 Gramm Wasch- diese Arbeit sehr effizient und effektiv übernehmen. pulver benötigt, früher waren es noch 220 Gramm. Enzyme sind Biokatalysatoren, die biochemische Reaktionen beschleunigen können und bereits in Enzyme als Helfer kleinsten Mengen hochwirksam sind. Außerdem sind Enzyme haben an dieser Entwicklung einen großen Enzyme biologisch vollständig abbaubar. Anteil. Sie sind aus Wasch- und Reinigungsmitteln
H nicht mehr wegzudenken. In wirtschaftlicher Hin- enthalten. Diese Enzyme können Eiweiße spalten sicht ist der Bereich Wasch- und Reinigungsmittel und kommen bei Flecken wie Blut, Kakao oder Ei deshalb für Enzymhersteller sehr attraktiv. Er macht zum Einsatz. Da sie bei der Eiweißspaltung auch nicht den größten Marktanteil industrieller Enzyme aus. verbraucht werden, lassen sich selbst kleinste Mengen Nach Angaben des Vereins der Deutschen Ingenieure sehr wirkungsvoll gebrauchen. Bei ausreichend langer (VDI) werden 40 % aller Enzyme in der Industrie dafür Einwirkungszeit kann theoretisch eine sehr kleine verwendet. Sie landen dabei aber nicht nur in Wasch- Menge Proteasen eine nahezu unbegrenzte Menge mitteln. Auch in Reinigungsmitteln für Geschirrspül- Eiweiß abbauen. Zu den am häufigsten genutzten Pro- maschinen oder in der Reinigungsflüssigkeit von Kon- teasen gehören sogenannte Subtilisine. Sie stammen taktlinsen sind Enzyme heutzutage unverzichtbare aus Bakterien der Art Bacillus subtilis und können ihre Bestandteile. Jede Enzymklasse ist dabei auf bestimm- Wirkung sehr gut im Waschwasser entfalten. te Eigenschaften spezialisiert und dementsprechend werden die Enzyme auch in der Industrie genutzt: Soßenreste lassen sich am besten mit Amylasen aus der Kleidung waschen, weil sie gezielt Stärke abbauen → Proteasen für den Abbau von Eiweißen können. Cellulasen wiederum wirken auf die Gewebe der Textilien und sind in erster Linie nicht für den Amylasen für den Abbau von Stärke Schmutzabbau zuständig. Stattdessen entfernen Cel- lulasen auf Baumwollgeweben die winzigen Knötchen Cellulasen für den Abbau von Cellulose (Pilling), die das Gewebe rau machen, oder bauen abstehende Mikrofibrillen ab, die den Farbeindruck Lipasen für den Fettabbau schwächen. Darüber hinaus sind sie für die Entfer- nung von Pigmentflecken verantwortlich. Lipasen Proteasen gehören zu den am häufigsten eingesetz- hingegen sind Enzyme, die mit Fettflecken aller Art ten Enzymen, sie sind in etwa 80% aller Waschmittel umgehen können. Sie spalten Fettmoleküle in leichter Kleidung aus synthetischen Fasern farblich frisch halten Baumwollfasern bilden nach mehrfachem Wa- schen winzige Knötchen aus und die Textilien vergrauen. Enzyme wie Cellulasen im Waschmittel wirken dem entgegen. Das Biotechnologie-Unter- nehmen Evocatal GmbH aus Monheim will dieses Potenzial auch für synthetische PET-Fasern er- schließen. In der Allianz „Funktionalisierung von Polymeren (FuPol)“ werden Enzyme gesucht, die die Knötchenbildung bei PET-Fasern verhindern helfen. Die Allianz zählt vier Partner aus der akade- mischen Forschung und fünf aus der Industrie. So entwickelt der Hersteller von Textilgarnen Coats Funktionstextilien, wie sie etwa zur Abdichtung von Nähten im Outdoor-Bereich benötigt werden. Die Allianz will in den nächsten fünf Jahren rund 8 Mio. Euro in Forschungsprojekte investieren. Die Hälfte dieser Mittel stammt aus der „Innovations- initiative industrielle Biotechnologie“ des BMBF.
14 Weisse Biotechnologie lösliche Bestandteile auf (Fettsäuren und Glycerin), erwähnten Subtilisine sehr gut dafür geeignet, bei die mit dem Waschwasser ausgespült werden. Mithilfe niedrigem pH-Wert zu arbeiten. von Lipasen ist es beispielsweise möglich, Lippen- stiftreste oder Kragenschmutz auch bei niedrigen Hohe Anforderungen an Enzyme Waschtemperaturen zu entfernen. Egal ob Proteasen, Die große Kunst der Waschmittelhersteller liegt nun Amylasen oder Lipasen – alle Enzyme haben ein darin, alle vorhandenen Enzyme so zu kombinieren sogenanntes Temperaturoptimum. Das bedeutet, dass bzw. zu optimieren, dass sie ihre Eigenschaften op- sie grundsätzlich nur in einem begrenzten Tempera- timal entfalten können. Mitbedacht werden müssen turbereich wirksam sind, der meist zwischen 20 °C aber auch andere Bestandteile des Waschmittels. und 65 °C liegt. Eine Protease beispielsweise, deren Bei Enzymen handelt es sich schließlich um biologi- Wirkungsoptimum bei etwa 60 °C liegt, hat bei 30 °C sche Moleküle, die leicht abbaubar sind. Auf andere nur noch 5 % bis 10 % ihrer optimalen Wirkung. Da Waschmittelbestandteile, beispielsweise oxidieren- Waschprozesse aber bei unterschiedlichen Tempe- de Bleichmittel, aber auch Tenside und Enthärter, raturen ablaufen, müssen Enzyme auch tempera- reagieren sie sehr empfindlich. Die Wasch- und turabhängig verwendet werden. Ein Parameter, der Reinigungsmittelhersteller haben demnach immer ebenfalls berücksichtigt werden muss, ist der pH- mehrere Ziele im Blick. Zu den wichtigsten gehört Wert des Wassers. Auch dieser hat einen Einfluss auf jedoch, den Energieverbrauch beim Reinigen zu die Enzymaktivität. So sind zum Beispiel die bereits senken. Das erfordert letztlich eine gute Waschleis- Waschmittel-Enzyme aus exotischen Bausteinen Die Natur verwendet 20 Aminosäuren als Bau- steine für Eiweißmolekülketten. Doch mithilfe molekularer Tricks können Biotechnologen deut- lich mehr Aminosäuren kreieren – sie werden nicht-kanonische Aminosäuren genannt. Möglich macht das der genetische Code, der sich theoretisch wie auch praktisch erweitern lässt. Forscher eines Verbundprojekts im Rahmen des Biotechnologie- Clusters Biokatalyse 2021 versuchen auf diesem Weg, die Eigenschaften von speziellen Enzymen so zu beeinflussen, dass sie sich für den Einsatz in der Biotechnologen können die Eigenschaften von Enzymen durch den Einbau künstlicher Bausteine verändern. Industrie eignen. Ein Beispiel ist das Enzym Lipase aus Thermoanaerobacter thermohydrosulfuricus. Dieses Bakterium fühlt sich in extremen Lebens- re in die Proteinstruktur einzubauen. Tatsächlich räumen wie dem Meeresgrund am wohlsten. Das bewirkte dieser Schritt, dass die Lipase nun schon für die Waschmittelindustrie interessante Lipase- bei Raumtemperatur aktiv wird. In ihren Arbeiten Enzym der Mikrobe muss aber auf 90 °C erhitzt kombinieren die Forscher Methoden des Protein- werden, damit es überhaupt erst aktiv wird. Mithilfe designs mit dem jungen Gebiet der Synthetischen von strukturbiologischen Verfahren haben Forscher Biologie oder Xenobiologie. Hier beschäftigen sich vom EMBL in Heidelberg zunächst die molekulare Biotechnologen mit dem Einbau nicht-natürlicher Struktur des Lipase-Enzyms untersucht. Forscher Bausteine in Biopolymere oder sie arbeiten am um Nediljko Budisa von der Technischen Univer- Aufbau alternativer genetischer Codes. sität in Berlin haben es in einem weiteren Schritt geschafft, gezielt eine nicht-kanonische Aminosäu- www.biokatalyse2021.de
H tung bei geringem Waschmitteleinsatz und niedrigen Waschtemperaturen. Denn das Erhitzen von Wasser für die Wäsche erfordert sehr viel Energie. Bleibt der Heizstab aus, kann das die Ökobilanz der Waschma- schine deutlich verbessern: Ein Waschgang bei 20 °C statt bei 40 °C spart über die Hälfte der Energie und des ausgestoßenen Kohlenstoffdioxids. Biotechno- logen konnten hier bereits ein gutes Stück weiter- helfen: Sie haben zum Beispiel Bodenproben nach kälteliebenden Mikroben durchforstet und dabei Protease-Enzyme aufgespürt, die schon bei 20 °C in der Waschmaschine wirksam sind. Produktion der Waschmittelenzyme Die Eigenschaften der Enzyme sind allerdings nur ein Aspekt, mit dem sich Waschmittelhersteller be- schäftigen. Ein anderer ist ihre Herstellung. Anfang Mithilfe von Mikroorganismen suchen Waschmittelhersteller nach geeigneten Enzymen – wie hier etwa nach Proteasen. des 20. Jahrhunderts waren die Bauchspeicheldrü- sen von jungen Schlachttieren die am einfachsten zugängliche Quelle für biologisch aktive Moleküle nologie CLIB 2021 verfolgte das Ziel, aus nachwach- wie Enzyme. Gerade im Laufe der zwei Weltkriege senden Rohstoffen sogenannte Tenside herzustellen. kam es in Europa häufiger zu Engpässen. Um diese zu Tensidmolekülen ist gemeinsam, dass sie sich sowohl umgehen, wurden Verfahren entwickelt, um Enzy- aus wasser- als auch aus fettlöslichen Bestandteilen me aus Schimmelpilzen zu gewinnen. Diese wurden zusammensetzen. Damit eignen sie sich sehr gut für schließlich durch andere lebende Mikroorganismen Reinigungsmittel, weil Verschmutzungen sich an wie Bakterien ersetzt. die hydrophoben (fettlöslichen) Teile des Moleküls binden, während die hydrophilen (wasserlöslichen) Seit den 1960er Jahren haben sich solche mikrobiel- Bestandteile dafür sorgen, dass die Tenside im Wasser len Herstellungsverfahren von Enzymen als Standard gelöst bleiben und mitsamt der Verschmutzung durchgesetzt. Mussten anfangs noch die Enzyme weggespült werden können. Als Rohstoffbasis dienen genutzt werden, die das jeweilige Bakterium auch den Forschern Fette und Öle aus Palmenkernen oder natürlicherweise herstellt, so hat die moderne Bio- Kokospflanzen. technologie hier ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Dank fortschreitender Kenntnisse in der Genomfor- Die Idee der Biotechnologen ist es, pflanzliche Lipid- schung können Mikroorganismen heute ganz gezielt moleküle sowie Zucker- und Proteinmoleküle intel- so programmiert werden, dass sie die gewünschten ligent zu verknüpfen, um so zu neuen „Biotensiden“ Enzyme in hoher Ausbeute produzieren (vgl. Kapitel zu gelangen. Mikroorganismen können diese bioche- Technologie). Als Biofabriken werden die Mikroben mische Meisterleistung vollbringen. In dem Projekt in geschlossenen Stahltanks kultiviert, den Fermen- „Polymere Tenside“, das vom Chemiekonzern BASF tern. Biotechnologen müssen dafür sorgen, dass ihre koordiniert wurde, haben Forscher nach besonders winzigen Leistungsträger konstant und mit gleich- leistungsfähigen Mikroben gesucht. Des Weiteren bleibender Qualität ihre Produkte abliefern. tüfteln sie daran, produktionstaugliche Methoden zu entwickeln. Nicht nur die Herstellung der Biotenside Tenside aus nachwachsenden Rohstoffen soll ressourcenschonend gestaltet werden. Die wasch- Neben den Enzymen lassen sich auch andere wasch- aktiven Substanzen sollen auch biologisch abbaubar aktive Substanzen biotechnologisch gewinnen. Ein und umweltverträglich sein. Forscherverbund im Cluster Industrielle Biotech-
Medizin: Arzneimittel aus der Zellfabrik Von Natur aus sind Mikroorganismen eine schier uner- darauf spezialisiert, durch Entzifferung und Analyse schöpfliche Quelle für Substanzen, die sich als pharma- mikrobieller Genome einen Überblick über die riesige zeutische Wirkstoffe nutzen lassen. Mit zusätzlichen Vielfalt zu erhalten. Bei rund 2.000 Bakterien-Arten Genen ausgestattet, können lebende Zellen in leis- wurde bereits das komplette Erbgut entziffert. Eine tungsfähige Arzneimittelfabriken verwandelt werden. weitere wichtige Herangehensweise zur Vermes- So entstehen Biopharmazeutika, zu denen biologische sung der Artenvielfalt ist die Metagenomik: Forscher Medikamente wie Antikörper, Enzyme oder Impfstoffe entnehmen Materialproben aus einem bestimmten zählen. Sie sind bei der Behandlung von Volkskrankhei- Lebensraum und entziffern sämtliche genetische In- ten wie Krebs, Rheuma und Diabetes heute nicht mehr formationen darin. Mit der Hilfe von Computern kön- wegzudenken. nen Genetiker die gefundenen Erbgut-Stücke dann einzelnen Organismen zuordnen. In diesen Daten Mikroorganismen haben aus medizinischer Sicht eine fahnden Mikrobiologen auch nach neuen Naturstof- große Bedeutung – beispielsweise als Quelle für neue fen – damit verbinden sie die Hoffnung, neue Quellen Arzneimittel. Fast die Hälfte aller derzeit verfügbaren für medizinische Wirkstoffe zu erschließen. Medikamente beruht auf Naturstoffen oder naturstof- fähnlichen Verbindungen. Um passende Wirkstoff- Penicillin – das erste Antibiotikum kandidaten zu finden, durchforsten Wissenschaftler Das erste Antibiotikum – das Penicillin – ist ebenfalls alle erdenklichen Lebensräume: Böden auf der ganzen ein Naturstoff. Es war auch eines der ersten biotech- Welt, Wasser und Sedimente in der Tiefsee bis zum nologisch hergestellten medizinischen Produkte. Der Wüstensand. Grob geschätzte hundert Millionen – Brite Alexander Fleming hatte im Jahr 1928 entdeckt, Experten schätzen die Zahl eher höher – verschiedene dass ein Stoff aus dem Schimmelpilz Penicillium Mikroorganismen existieren auf der Welt. Gerade notatum offenbar geeignet war, krankheitserregen- einmal 1 % davon können Mikrobiologen derzeit de Bakterien abzutöten. Zunächst interessierte sich auseinanderhalten. Einige Wissenschaftler haben sich jedoch niemand für dieses Penicillin, wie die Substanz
M später genannt wurde. Die Wissenschaftler Howard erwies sich als sehr ergiebig und anspruchslos, was Florey und Ernst Chain fanden Jahre später einen das Nährmedium anging. In Amerika wurde der Pilz Weg, das antibakterielle Molekül aus der Nährflüs- lediglich in mit Wasser eingeweichtem Mais kulti- sigkeit zu isolieren. Damit war ein Verfahren gefun- viert, gedieh prächtig und stellte auf diese Weise den den, wie sich die Mikroorganismen als Biofabrik zur Nachschub für Penicillin sicher. Der deutsche Mikro- Herstellung von Penicillin nutzen ließen. Durch den biologe Hans Knöll realisierte im Jahr 1942 in Jena die Zweiten Weltkrieg stieg der Bedarf an antibakteriel- erste labortechnische Penicillin-Produktion Europas. len Wirkstoffen für die Soldaten – so kam zusätzlich Aus dem Bakteriologischen Labor entstand nach Ende Schwung in die Forschung. Im Jahr 1941 konnte des Krieges das Unternehmen VEB Jenapharm (heute schließlich der erste Patient mit einer Infektion Teil der Bayer Healthcare AG), dessen erster Direktor erfolgreich mit Penicillin behandelt werden. Da die Hans Knöll wurde. Im Jahr 1953 nahm das von Knöll Dosen jedoch schnell aufgebraucht waren, startete ein initiierte und geleitete „Institut für Mikrobiologie und britisch-amerikanisches Großprojekt die Suche nach Experimentelle Therapie“ (IMET) den Forschungsbe- einem Pilzstamm, der mehr von der Arznei herstellen trieb auf, heute ist dort das zur Leibniz-Gemeinschaft konnte. Damals hatten die Forscher noch nicht die gehörende Hans-Knöll-Institut angesiedelt. Es führt Möglichkeit, die Genome verschiedener Stämme nach die alte Tradition der Mikrobiologie mit modernen geeigneten Kandidaten zu durchforsten – so wie das Methoden weiter. Zu äußerst vielseitigen Mikroben heute passieren würde. Beim Penicillin kam am Ende mit einem enormen Fundus an interessanten Wirk- der Zufall zu Hilfe. Auf einer verschimmelten Melone stoffen für die Medizin zählen auch die Myxobakte- wurden die Forscher fündig: Penicillium chrysogenum rien. Die Mikroorganismen produzieren komplexe Mikroorganismen produzieren schlagkräftige Arzneien gegen multiresistente Keime Immer mehr Menschen sterben an bakteriellen Die Substanz kann gefährlichen Krankenhauskei- Infektionen, weil gängige Antibiotika-Präparate men wie Acinetobacter baumanii oder Pseudomonas keine Wirkung mehr zeigen. Multiresistente Keime aeruginosa den Garaus machen. Das BMBF för- gelten als eines der größten Probleme der moder- dert mit dem Forschungsverbund „InfectControl nen Medizin. Nachdem die Entwicklung neuer 2020“ ein Netzwerk aus Forschungsinstituten und Antibiotika über viele Jahre von der Pharmain- Wirtschaftsunternehmen. Auch hier geht es um dustrie vernachlässigt wurde, wird die Suche nach hochinnovative Strategien zur Erkennung, Ein- schlagkräftigen Wirkstoffen gegen Krankheits- dämmung und erfolgreichen Bekämpfung von erreger inzwischen wieder deutlich forciert. Die Infektionskrankheiten und resistenten Erregern. Bundesregierung hat hierzu die Deutsche Antibio- tikaresistenzstrategie (DART) initiiert. Das BMBF fördert dazu etwa Projekte im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). DZIF-Forscher sind dem Bodenbakterium Elefhtheria terrae auf die Spur gekommen. Dank eines Kultivierungstricks produziert die Mikrobe den Wirkstoff Teixobac- tin, der sich in Experimenten als schlagkräftiges Breitbandantibiotikum erwiesen hat. Forscher vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung im Saarland haben wiederum aus dem Myxobakterium Cystobacter sp. einen potenziellen Wirkstoff einer völlig neuen Stoffklasse aufgespürt.
18 Weisse Biotechnologie Stoffwechselprodukte, die gegen Pilze und Bakterien tiple Sklerose, Hormone wie Insulin zur Behandlung wirken oder Zellgifte sind. Braunschweiger Mikrobio- von Diabetes oder Enzyme zur Therapie bestimmter logen haben vor Jahrzehnten aus einer Bodenprobe Stoffwechselkrankheiten. Für ihre Herstellung bedient das Myxobakterium Sorangium cellulosum isoliert, das man sich der Methoden der Gentechnik: Dazu wird sich als Fundgrube erwies. Der Wirkstoff Epothilon der genetische Bauplan für ein Eiweißmolekül in wird inzwischen als Krebsmedikament eingesetzt. lebende Zellen eingeschleust. Die so umprogrammier- 2007 erhielt es die Zulassung für den US-Markt. ten Zellen beginnen dann, das Protein herzustellen. Die maßgeschneiderten Biofabriken lassen sich noch Zellen als Arzneiproduzenten weiter für den Einsatz in der Industrie optimieren. In der heutigen Produktion von Medikamenten Unter möglichst optimalen Bedingungen wachsen sie sind biotechnologische Verfahren längst nicht mehr in Nährmedien in großen Stahlbehältern heran – den wegzudenken. Gerade mit Blick auf die Herstellung Bioreaktoren oder Fermentern. Eines der leistungsfä- von Arzneimitteln greifen Pharmafirmen zuneh- higsten „Arbeitstiere“ der Biopharma-Herstellung ist mend auf biologisches Wissen zurück. Zwar haben das Bakterium Escherichia coli. Seine genetische Aus- chemisch hergestellte Wirkstoffe nach wie vor den stattung ist gut bekannt, Veränderungen im Genom größten Anteil im deutschen Arzneimittelmarkt, aber lassen sich leicht durchführen und es ist relativ einfach die Biopharmazeutika rücken zunehmend auf. Mit 6,5 in großen Mengen zu kultivieren. Das erste gentech- Mrd. Euro liegt ihr Anteil derzeit bei 21 % – Tendenz nisch hergestellte Medikament war das menschliche steigend. Diese Medikamente sind Biomoleküle, die so Insulin: In den 1980er Jahren gelang es, E. coli-Bakte- groß und komplex sind, dass sie chemisch nicht oder rien so umzuprogrammieren, dass sie fortan Human- nur sehr aufwendig herzustellen wären: Antikörper Insulin herstellen konnten. Auf diese Weise können gegen Krebs oder Autoimmunkrankheiten wie Mul- hochreine und gut verträgliche Insulin-Präparate für Effiziente Produktreinigung im Fokus Bei der Herstellung von Biopharmazeutika un- terscheiden Experten zwischen dem Up-Stream und dem Down-Stream. Beim Up-Stream-Prozess werden maßgeschneiderte Produktionsorganismen oder Zellen entwickelt und kultiviert, damit sie die gewünschten Eiweiße herstellen. Dieser Prozess muss zudem so gestaltet sein, dass er im industri- ellen Maßstab in Fermentern mit einem Fassungs- vermögen von mehreren tausend Litern erfolgen kann. Beim Down-Stream-Prozess hingegen werden die Wirkstoffe aus dem Fermentationsan- satz geerntet. Die Produkte müssen so angereichert und gereinigt werden, dass sie für einen thera- peutischen Einsatz in Frage kommen. Schließlich entsteht im Bioreaktor zunächst eine Art Brühe, in der neben den gewünschten Substanzen auch eine Vielzahl anderer Beiprodukte zu finden sind. Mit- tels mechanischer und thermischer Techniken wie Zentrifugation und Filtration müssen die Proteine möglichst schnell und sauber gereinigt werden.
M Millionen von Patienten gewonnen werden, die an der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) leiden. Vor dem Wissensbasierte Prozessintelligenz Gentechnik-Zeitalter wurden die Patienten mit Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen behan- delt. Weil Bakterien als Arzneihersteller jedoch an biochemische Grenzen stoßen, zum Beispiel wenn die Bildung bestimmter Zuckerketten gefragt ist, kommen immer häufiger entweder einzellige Pilze (z. B. Hefen) oder tierische Zellen wie Hamsterzellen als Wirkstoff- produzenten zum Einsatz. Gerade bei der Produktion von Antikörpern als therapeutische Eiweiße sind solche Zellkultursysteme gefragt. Doch auch Pflanzen sind als Produzenten für innovative Wirkstoffe ins Blickfeld gerückt. So haben Forscher der Hallenser Firma Icon Genetics Tabakpflanzen der Art Nicotiana benthamiana zu ergiebigen Proteinfabriken umfunk- tioniert. Die Gewächse können nun darauf getrimmt werden, Antikörpermoleküle in großen Mengen herzustellen. Das alles findet im Gewächshaus unter kontrollierten Bedingungen statt. Freiburger Biotech- Damit industrielle Produktionsprozesse im Biore- nologen der Firma Greenovation wiederum nutzen das aktor optimal gesteuert werden können, kommt Kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella patens, um modernste Verfahrens- und Prozesstechnik zum im Moos-Bioreaktor Medikamente herzustellen. Einsatz. Derzeit werden Chargen in der Regel erst nach der Produktion qualitätsgeprüft – was Produktionsstandort Deutschland aufwendig und oft mit kostspieligen Verlusten Nach anfänglichen Bedenken werden heute gen- verbunden ist. Biotechnologen wünschen sich, technisch hergestellte Medikamente für Menschen schon während der Produktion die Qualität und Tiere allgemein akzeptiert. Inzwischen werden der Bioproduktion sichern und beeinflussen mehr als 200 in Deutschland verfügbare Arzneimittel zu können. Unter Federführung der Sartorius auf diesem Wege produziert. Deutschland ist nach Lab Instruments GmbH & Co. KG in Göttingen den USA das zweitwichtigste Produktionsland für haben sich 20 Partner zusammengetan, um eine Biopharmazeutika. Neben dem bedeutenden Insulin- Sensor- und Software-Plattform aufzubauen, die Produktionsstandort in Frankfurt/Main, der zum neuartige Messprinzipien mit moderner Daten- französischen Unternehmen Sanofi gehört, hat auch auswertung kombiniert. Durch die kontinuier- der Schweizer Pharmakonzern Roche im bayeri- liche Beobachtung der Produktion versprechen schen Penzberg umfassende Produktionskapazitäten sich die Partner eine höhere Prozesssicherheit und aufgebaut. Hinzu kommen mit Bayer in Leverkusen, gleichbleibende Produktqualität. Die strategische Merck in Darmstadt sowie Boehringer Ingelheim in Allianz „Wissensbasierte Prozessintelligenz“ wird Biberach deutsche Unternehmen mit signifikanten sich dabei auf Modellprozesse aus der Lebensmit- Produktionsanlagen. Mehrere kleinere und mittlere telbiotechnologie und der Biopharmaproduk- Biotechnologie-Unternehmen haben sich zudem tion konzentrieren. Das aufgebaute Know-how darauf spezialisiert, als Dienstleister die Produktion werden dann Anwender aus der Industrie auf ihre zu übernehmen. Auch Impfstoffe werden in der Regel Prozesse übertragen. Das BMBF unterstützt die auf biotechnologischem Wege hergestellt. Pharmaun- 2014 gestartete Allianz für bis zu sechs Jahre im ternehmen produzieren hierzulande in ihren Werken Rahmen der „Innovationsinitiative industrielle Impfstoffe gegen Grippe, FSME, Diphterie, Keuchhus- Biotechnologie“ mit bis zu 9 Mio. Euro. ten und Tollwut.
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