Basel Süd Gundeldingen & Bruderholz - Europäischer Tag des Denkmals 2021 - Basel 11. September - Kanton Basel-Stadt
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2 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Inhalt 3 Herzlich willkommen zum 8 Gundeldingen 20 Das Bruderholz Europäischen Tag des Denkmals! Ein Spekulationsprojekt der Baukultur entdecken auf kleinen und Esther Keller, Regierungsrätin Gründerzeit kleinsten Wegen Vorsteherin des Bau- und Verkehrs Robert Labhardt Roger Ehret departements des Kantons Basel-Stadt Gundeldingen Bruderholz 4 Wichtig vorab! 17 Führungen 10 Führungen 5 Rahmenprogramm 11 Stadtentwicklung z wischen Spekulation 23 Gartenstadtidee und Reformarchi- und Krise // Fundort Gundeldingen – tektur // Bauliche Identität z wischen 6 Was ist wo? Plattengräber aus dem Frühmittelalter // Bestand und Veränderung Bebauungsentwicklung rund um die 24 Langsamfilteranlage und altes Wasser Margarethenstrasse reservoir // Differenziert modern – Bauten 12 Durch die Delsbergerallee // «Boulevard» von Hermann Baur Güterstrasse // Historisches Kleinod mit 25 Wohnen am Jakobsberg bewegter Geschichte 26 Farbe im modernen Raum // Kraftvolle 13 Gut versteckt – Ein barocker Landsitz in Nachkriegsmoderne in Beton – Die Titus der Stadt kirche 14 Genossenschaftliche Sanierung am Tell- 28 Die Wohnüberbauung Sesselacker platz // Neues Bauen für die Kirche 28 Rudolf Steiner Schule Basel – Revolu- 15 Die «Kunschti» // Das Gundeldinger Feld tionär seit bald 100 Jahren // «Ein solches 16 Wohnen im einstigen G ewerbebau // Haus mit solchen Menschen» Mehr Tiefe zum Wohnen // Gut wohnen an der Güterstrasse 17 Hausgeschichten zum A nfassen: Unser Bauteillager 18 Bahninfrastruktur trennt und verbindet – Zur G eschichte der Eisenbahnplanungen in Basel // SBB-Baukultur durch heraus ragende Architektur: Das Stellwerk an der Münchensteinerstrasse 30 Avantgarde auf dem «grünen Hügel» und aus der «steinernen Stadt» Mittagskonzert in der Tituskirche Und ausserdem Tramoldtimer – Hesch gseh? – Graffiti Culture Foto: Staatsarchiv Basel-Stadt, BALAIR 3697 34 Rundfahrten mit historischen Trams // Hesch gseh? – Fotoparcours für Kinder 35 Die Basler Graffiti-Line – Vom Untergrund- Aktivismus zum Kulturgut 35 Impressum
Herzlich willkommen! | 3 Herzlich willkommen zum Europäischen Tag des Denkmals! Vieles hat sich in den vergangenen Jahrzehn- nen. Und natürlich dank der vielen Fachleute, ten und Jahrhunderten verändert. Das Bru- die unsere Denkmalpflege bei den Führungen derholz war einst gemiedene Wildnis und das unterstützen. Besonders freut mich die Mit- Gundeli wiederum kühler Zufluchtsort für wirkung des Basler Kammerorchesters, das die Oberschicht an sommerlichen Hitzetagen. Werke von Komponisten erklingen lässt, die Wenn Sie mehr über die beiden Quartiere er- auf dem Bruderholz oder im Gundeli ein- und fahren möchten, kann ich Ihnen nur empfeh- ausgegangen sind. Ihnen herzlichen Dank Foto: BVD, Gerry Pacher len, an der einen oder anderen Führung oder und allen viel Vergnügen beim Entdecken von Veranstaltung am Europäischen Tag des Denk- Gemeinsamkeiten und Gegensätzen! mals teilzunehmen. Entdecken Sie, wie kom- fortabel man im ehemaligen Industriebau an der Reichensteinerstrasse wohnen kann. Oder lassen Sie sich vom Pioniergeist der vom da- Das Bruderholz und das Gundeldinger Quar- maligen Regierungsrat Fritz Hauser geförder- tier sind sich räumlich nah und doch sehr ge- ten Reformpädagogik auf dem Bruderholz gensätzlich: Auf der einen Seite das grüne überraschen. Esther Keller, Regierungsrätin Einfamilienhaus- und Villenquartier auf dem Vorsteherin des Bau- und Verkehrsdeparte- Hügel, auf der anderen Seite die dichte Dass wir Ihnen ein derart vielfältiges Ange- ments des Kantons Basel-Stadt Blockrandbebauung in der Ebene. Doch die bot von Besichtigungen bieten können, ist ungleichen Nachbarn kennen auch Gemein- nur dank bereitwilliger Hauseigentümer, Be- samkeiten: So gibt es die Genossenschafts- wohnerinnen und Institutionen möglich, die siedlungen auf dem Jakobsberg und vice sich dafür begeistern liessen, zum Europä versa die ehemaligen Weiherschlösser an ischen Tag des Denkmals ihre Liegenschaften der Gundeldingerstrasse. und Gärten für ein breites Publikum zu öff-
4 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Wichtig vorab! Samstag, 11. September 2021 Nur mit Anmeldung! Schutzmassnahmen Die Teilnahme bei allen Führungen Alle Veranstaltungen am Denkmaltag und Veranstaltungen am Denkmaltag werden unter Einhaltung der am ist kostenlos; die Teilnehmer*innen- 11. September aktuellen Schutzmass- zahl ist jedoch beschränkt. nahmen in Zusammenhang mit Covid-19 durchgeführt. Für alle Führungen und Veranstaltun- gen – mit Ausnahme der Kinder Grundsätzlich gilt: führung «Hesch gseh?» und den Rund- In allen Innenräumen ist das Tragen fahrten mit historischen Trams – ist einer Maske obligatorisch. eine Online-Anmeldung mit Im Aussenraum muss nur eine Print@Home-Tickets obligatorisch. Maske getragen werden, falls der Anmeldung: 4. September bis Mindestabstand von 1,5 m zu 10. September, 20 Uhr via anderen Personen nicht eingehalten www.denkmalpflege.bs.ch oder werden kann. direkt auf unserer Veranstaltungsseite www.basler-baukultur.ch. Es gibt 2 Ticket-Kategorien: Hin und zurück Die einen Tickets – mit QR-Code – müssen am Denkmaltag, 11. Septem- ber, am Infostand auf dem Meret Bitte berücksichtigen Sie die teilweise Oppenheim-Platz eingecheckt erheblichen Distanzen zwischen werden: Ab 8 Uhr bis spätestens den Führungs- und Veranstaltungs ½ Stunde vor Beginn der Führung. orten und planen Sie entsprechende Zeitressourcen ein. Mit den anderen Tickets kann man sich am Denkmaltag direkt zum Öffentliche Verkehrsmittel im Gebiet: Treffpunkt begeben. Tram Historische Trams (S. 34) Die Ticket-Kategorie ist jeweils Tram 15 und 16 verkehren aufgrund bei den Details zu den Führungen und der Bruderholz-Baustelle nur bis Veranstaltungen aufgeführt. Jakobsberg Tramersatz 15 (Bus): Bahnhof eingang Gundeldingen – Tellplatz – Heiliggeistkirche – Zwinglihaus – Wolfschlucht – Bruderholz und zurück Tramersatz 26 (Bus): Leimgruben- weg – Jakobsberg – Bruderholz – Änderungen Hechtliacker – Leimgrubenweg Bus 36, 47 Bitte informieren Sie sich auf unserer Website www.denkmalpflege.bs.ch Weitere Infos und Fahrpläne auf: über allfällige Programmänderungen www.bvb.ch, www.blt.ch und Anpassungen nach Druck- legung dieser Programmzeitung! Oder: Velo, E-Bike, (zügig) zu Fuss ...
Wichtig vorab! – Rahmenprogramm | 5 Rahmenprogramm Samstag, 11. September 2021 Offizielle Eröffnung Mittagskonzert in Denkmaltag-Ausklang Tag des Denkmals der Tituskirche in der «Kunschti» 9.30–10.30 Uhr 12.30–13.30 Uhr Ab 17 Uhr Ort: Zwinglihaus, Gundeldinger- Ort: Tituskirche, Im tiefen Ort: Kunsteisbahn Margarethen, strasse 370 Karte S. 7: 2 Boden 75 Karte S. 7: 3 Im Margarethenpark 10. – Zugang: Unterer Batterieweg, Grusswort: Avantgarde auf dem «grünen Zufahrtstor bei der Abzweigung Andreas Möri, Pfarrer Hügel» und aus der «steinernen des Eiswegleins Karte S. 7: 4 Eröffnung: Stadt» Esther Keller, Regierungsrätin Werke von Burkhard, Langlotz, Speis & Trank Kanton Basel-Stadt Blacher, Kelterborn und Bartók Einführung: Live-Jazz mit «Groove Yard» Daniel Schneller, Kantonaler Denk- Kammerorchester Basel Walter Jauslin – piano malpfleger Thomas Herzog, Leitung Giorgos Antoniu – bass Zu Gundeli und Bruderholz: Michael Wipf – drums Barbara Buser, Architektin Anschliessend Apéro Details: S. 30/31 Eintritt frei Eintritt frei Eintritt frei Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home-Ticket ab 4. Sept. über Print@Home-Ticket ab 4. Sept. über Print@Home-Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. direkt www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. direkt in www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. direkt ins Zwinglihaus! die Tituskirche! zur Kunsteisbahn! Informationsstand Unterwegs im der Kantonalen Denk- historischen Tram malpflege 8.45 –17.45 Uhr 8 –16.30 Uhr Strecke: MParc – Aeschen- Ort: Auf dem Meret Oppenheim- platz via Denkmal – Theater – Platz Karte S. 7: 1 Markthalle – Bahnhofeingang Gundeldingen – Tellplatz – Heiliggeistkirche – Zwinglihaus – Jakobsberg und zurück Ticket-Check-in, Informationen, Verkauf von Publikationen Details und Fahrplan: S. 34
6 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Was ist wo? In der Ebene, auf dem Hügel, hin und her 1 Meret Oppenheim-Platz 10 Ecke Gundeldingerstrasse / 19 Vor dem Restaurant «Stucki», Informationsstand der Bruderholzstrasse Bruderholzallee 42 Kantonalen Denkmalpflege Treffpunkt für Führung: Treffpunkt für Führung: Treffpunkt für Führungen: Historisches Kleinod mit beweg- Bauliche Identität und Verände- «Boulevard» Güterstrasse (S. 12) ter Geschichte (S. 12/13) rung (S. 23) Hesch gseh? (S. 34/35) 11 Gundeldingerstrasse, bei der 20 Reservoirstrasse 100, bei der 2 Zwinglihaus, Gundeldinger- Einmündung der Pfeffinger- Einfahrt auf das Areal strasse 370 strasse Führung: Offizielle Eröffnung Treffpunkt für Führung: Langsamfilteranlage und altes Führung: Gut versteckt – Ein barocker Wasserreservoir (S. 24) Neues Bauen für die Kirche (S. 14) Landsitz in der Stadt (S. 13) 21 Bruderholz-Schulhaus, 3 Tituskirche, Im tiefen Boden 75 12 Gundeldinger Feld, Dornacher- Fritz Hauser-Strasse 20, Haupt- Mittagskonzert (S. 30/31) strasse 192, im Hof eingang Führung: Treffpunkt für Führung: Treffpunkt für Führung: Kraftvolle Nachkriegsmoderne in Das Gundeldinger Feld (S. 15) Differenziert modern – Bauten Beton – Die Tituskirche (S. 26) 13 Reichensteinerstrasse 14 von Hermann Baur (S. 24) 4 Kunsteisbahn Margarethen Treffpunkt für Führung: 22 Auf dem ehem. «Dorfplatz» bei Im Margarethenpark 10 Wohnen im einstigen Gewerbe- der Bushaltestelle «Gempen- Denkmaltag-Ausklang in der bau (S. 16) fluh» «Kunschti» (S. 5) 14 Kleine Parkanlage vor dem Treffpunkt für Führung: Führung: Heizwerk Bahnhof der IWB, Wohnen am Jakobsberg (S. 25) Die «Kunschti» (S. 15) Solothurnerstrasse 18 23 Bushaltestelle «Spitzacker» 5 Rundfahrten mit historischen Treffpunkt für Führungen: Treffpunkt für Führung: Trams (S. 34) Mehr Tiefe zum Wohnen (S. 16) Farbe im modernen Raum (S. 26) Bahninfrastruktur trennt und ver- 24 Parkplatz vor dem Gebäude 6 Tellplatz bindet – Zur Geschichte der Eisen- Hauensteinstrasse 131 Treffpunkt für Führungen: bahnplanungen in Basel (S. 18) Führung: Stadtentwicklung zwischen 15 Güterstrasse 140, im Hof Die Wohnüberbauung Spekulation und Krise (S. 11) Führung: Sesselacker (S. 28) Genossenschaftliche Sanierung Gut wohnen an der Güterstrasse 25 Rudolf Steiner Schule Basel, am Tellplatz (S. 14) (S. 16/17) Jakobsbergerholzweg 54 7 Ecke Güterstrasse/Zwinger- 16 Jurastrasse 4, vor dem Eingang Führung: strasse zur Migros Klubschule Rudolf Steiner Schule Basel – Treffpunkt für Führung: Führung: Revolutionär seit bald 100 Jahren Fundort Gundeldingen – Hausgeschichten zum A nfassen: (S. 29) Plattengräber aus dem Frühmittel- Unser B auteillager (S. 17) 26 Einmündung der Rehhagstras- alter (S. 11) 17 Münchensteinerstrasse 115, se in den Gundeldingerrain 8 Rondell bei der Einmündung beim Zugang zum Stellwerk Treffpunkt für Führung: Dachsfelderstrasse, Pruntruter- Führung: «Ein solches Haus mit solchen strasse und Erdbeergraben SBB-Baukultur durch herausra- Menschen» (S. 29) Treffpunkt für Führung: gende Architektur: Das Stellwerk Bebauungsentwicklung rund um an der Münchensteinerstrasse 27 Tramhaltestelle «München- die Margarethenstrasse (S. 11) (S. 18) steinerstrasse» 9 Kreuzung Güterstrasse / Dels- Treffpunkt für Workshop: bergerallee 18 Bei der Strassengabelung Die Basler Graffiti-Line – Treffpunkt für Führung: Bruderholzallee / Lerchenstras- Vom Untergrund-Aktivismus zum Durch die Delsbergerallee (S. 12) se und Unterer Batterieweg Kulturgut (S. 35) Treffpunkt für Führung: Gartenstadtidee und Reform- architektur (S. 23)
Was ist wo? | 7 Führungen: 11, 14, 15.30 Uhr Dauer je 45 Minuten 8 Basel SBB Gü ter st r 1 ass e 14 13 15 7 6 17 Gu nde ldin 16 ger Tellplatz 27 st ra sse 9 Heiliggeistkirche 4 11 12 Kunsteisbahn Margarethen 10 ee 5 ra l l rge sbe Del 2 Zwinglihaus 18 Wolfschlucht 26 24 19 adrutt Plan: Grundbuch- und Vermessungsamts Basel-Stadt, Bearbeitung: Conradin B Bruderholzallee Jakobsberg 25 21 20 22 3 Tituskirche Wasserturm 23
8 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Gundeldingen Ein Spekulationsprojekt der Gründerzeit Robert Labhardt Das Gundeldinger Quartier entstand vor schäft. Die wirtschaftsliberale Gesinnung 150 Jahren. Die Süddeutsche Immo jener Zeit verbot einen staatlichen Kauf des biliengesellschaft mit Sitz in Mainz kaufte Gundeldinger Geländes. In zähen Verhand- dem Bürgerspital das gesamte Gundel lungen einigte man sich auf einen für den dinger Feld ab. Es war ein in seinen Kanton vorteilhaften Vertrag. Die SDIG über- Ausmassen in der damaligen Schweiz ein- nahm kostenlos die Planung und Erstellung zigartiges Spekulationsprojekt: Über des gesamten Strassennetzes samt Kanalisa- 700 000 m2 Landwirtschaftsland wurden tion und stellte dem Staat den gewünschten zu Bauland. Da die Stadt Basel 1859 öffentlichen Raum zur Verfügung, beispiels- den Abbruch der Stadtmauern und die weise für Schulhausbauten. Die Terrainge- Erweiterung der Stadt beschlossen hatte, sellschaft war an einem raschen Vertragsab- lockten hier in Bahnhofsnähe satte schluss interessiert, um ihre Parzellen an Gewinne. Ein modern geplantes, schönes Baumeister, private Bauherren und kleinere Aussenquartier mit Licht und Luft sollte Betriebe weiterverkaufen zu können. Innert einem wachsenden Mittelstand, zehn Jahren wollte sie das ganze Gundeldin- welcher der engen alten Stadt entfliehen ger Terrain veräussert haben. Es sollte ein wollte, als attraktiver Wohnraum in attraktives Quartier für den gehobenen Mit- Aussicht gestellt werden. Aus der Zeit der Erstbebauung des Quartiers: drei telstand entstehen, mit Mehrfamilienhäusern geschossige Mehrfamilienhäuser für Arbeiterfamilien in an schöner, gesunder Lage, Villen mit Um- der Jurastrasse, 1878. Die Kaufanfrage erreichte das Bürgerspital schwung, breiten Strassen und schattenspen- über einen Makler im Herbst 1872. Die Spital- denden Alleen. leitung reagierte hoch interessiert, denn seit Innert drei Monaten war man sich handels- Aber Attraktivität und Spekulation be- Jahren wuchsen die Betriebsdefizite. Das Be- einig: Für rund 3,5 Millionen Franken gewann finden sich in einem Spannungsverhältnis. völkerungswachstum und die Modernisie- das Konsortium der SDIG insgesamt 72 Hek- Unter den heute noch bestehenden Bauten rung der Medizin verlangten zunehmend taren freies Bauland, «also grade halb so viel aus den Anfängen des Quartiers belegen dies flüssiges Kapital für bauliche Investitionen, als ganz Gross-Basel innerhalb der ehemali- manch solide Mehrfamilienhäuser mit bald während die Landwirtschaft zur Versorgung gen Thore und Stadtmauern», wie der Regie- sparsamen, bald reicheren, ästhetisch aber mittelloser Patienten an Bedeutung verloren rungsrat bemerkte. Auch ihm passte das Ge- überdauernden Fassadengestaltungen. Sie hatte. Das Spital holte das Einverständnis der Stadtgemeinde und die Süddeutsche Immo- biliengesellschaft (SDIG) die rechtliche Bewilligung beim Kanton. Die Behörden verlangten eine verantwortliche Basler Betei- ligung am Unternehmen. Und eine solche stand schon bereit, denn die städtische Finanz elite, die sich 1872 erst gerade im Bankverein zusammengeschlossen hatte, pflegte zu den deutschen Investoren der SDIG gute, auch verwandtschaftliche Kontakte. Bankier Samuel Dreyfus hatte schon im Sommer 1872 in Frankfurt Pläne für ein «Gundoldinger» Quartier vorgelegt und die Mainzer angeregt, auf die Ebene zwischen Bahnhof und Bruder- holz, Margarethen- und Reinacherstrasse ein spekulatives Auge zu werfen. Die SDIG ge- hörte zu jenen deutschen Terraingesellschaf- ten, die ab 1872, nach dem Sieg des Deutschen Reichs über Frankreich, wie Pilze aus dem Boden schossen, um in Stadterweiterungspro- jekte zu investieren. Es bildete sich ein Kon- sortium von deutschen und Basler Teilhabern, die das Gundeldinger Projekt finanzierten Planmässig geometrisch: Bebauungsplan für das Gundeldinger Quartier von Johann Jakob Stehlin d. J., 1873. und vorantrieben. Staatsarchiv Basel-Stadt, Planarchiv B 1,21
Gundeldingen – Ein Spekulationsprojekt der Gründerzeit | 9 fallen besonders dort auf, wo sie sich in Nach- barschaft zu Bauten befinden, die seit der Zo- nenordnung von 1939 um ein bis zwei Ge- schosse erhöht wurden und die Einheitlichkeit der alten Strassenfluchten zerstört haben. Gleichzeitig verweisen solche Kontraste auf die für das Gundeli charakteristische so- ziale Durchmischung. Früh schon musste die Terraingesellschaft nämlich von ihrer Vision des gehobenen Wohnquartiers abrücken, da Konjunktureinbrüche, Baukrisen und die Im- missionen der Bahn den Geschäftserfolg be- einträchtigten. Der vollständige Verkauf des Gundeldinger Terrains beanspruchte dreissig statt der vorgesehenen zehn Jahre. Diese schleppende Überbauung erzeugte ein auch in seiner historischen Substanz architekto- nisch reichhaltiges Quartier. Im älteren West- teil herrscht eine einfachere Bauweise vor, etwa in der Jurastrasse mit seinen dreigeschos- sigen Mehrfamilienhäusern für Arbeiter familien (1878). Dagegen präsentiert sich die erst ab den 1890er Jahren entstandene Gegend östlich des Tellplatzes vornehmer mit man- chen grosszügig und vielfältig gestalteten Ensembles der Belle Époque, beispielsweise in der Delsbergerallee. Ins Auge fallen auch Fast schon ein Hauch von Grossstadt im Gundeli: in den 1890er Jahren einsetzende, repräsentative Gründerzeit- die von E. Vischer & Fueter 1891/92 für die Bebauung in der Delsbergerallee. Centralbahn errichteten «Eisenbahnerhäu- ser» am Tellplatz. Der zwischen Ecktürmen Oberrauch und Rudolf Christ errichtete An- te erhalten werden. Er setzte den Kauf für geschwungene Baukörper mit seinen rustikal lage zwischen Gundeldingerstrasse und Thier- 1 Million Franken durch und verhinderte so, ornamentierten Dachuntersichten und der steinerallee – über eine Parzelle, die deren dass die schöne Anlage zum Bruderholz hin rot-weiss gequaderten Fassade will vielleicht Eigentümer Gustav Christ-Ehinger der Spe- als weiteres Spekulationsareal überbaut wer- den «schweizerischen» Charakter des von kulation entziehen wollte, nachdem er gegen den konnte. meist zugezogenen «Bähnler»-Familien be- die SDIG über Jahre wegen einer Strassen Zweitens prägt der Sperrgürtel der Eisen- wohnten Komplexes zum Ausdruck bringen. korrektion auf seinem Grund und Boden pro- bahn das Quartierbewusstsein. In den Anfän- Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Woh- zessiert hatte. gen bestanden nur ebenerdige Niveauüber- nungsnachfrage enorm zunahm, entstanden Was das Gundeldinger Quartier in seiner gänge, auf denen Fussgänger, Kutschen und einige Genossenschaftsbauten. Am bedeu- Gesamtheit seit Anbeginn auszeichnet, ist Fuhrwerke die Schienen kreuzten. Je intensi- tendsten war die Wohngenossenschaft Gun- zweierlei. Erstens die geometrische Quartier- ver der Bahn- und Rangierverkehr wurde, des- deldingen mit ihren 133 Wohnungen. In struktur von 1873, entworfen vom damaligen to gefährlicher gestalteten sich diese Kreu- wuchtiger S-Form erstreckt sich die 1926/27 Basler «Stararchitekten» Johann Jakob Steh- zungen. 1875 mobilisierte der Gundeldinger nach Plänen von Hans Von der Mühll, Paul lin. Drei dominante Verkehrsachsen sind mit Quartierverein erstmals gegen die Zumutun- senkrecht dazu verlaufenden Wohnstrassen gen der Centralbahn. Ein zwölfjähriger Kna- so kombiniert, dass sie regelmässige Baupar- be, der seinem Vater die Mittagsverpflegung zellen umschliessen, städtebaulich modern bringen wollte, war von einer Lokomotive und ökonomisch effizient. Zwei Plätze setzen überfahren worden. Der Konflikt um eine auf Stehlins Quartierplan sparsame gestal taugliche Lösung dauerte Jahrzehnte. Die terische Akzente: Der ursprünglich rund Centralbahngesellschaft baute eine Unter- gedachte Tellplatz entwickelte sich relativ führung, die sich jedoch als unzumutbar er- spät – mit dem Tram ab 1900 – zum Verkehrs- wies. Der Quartierverein sicherte sich die knotenpunkt und mit dem Gundeldinger Ca- Solidarität der Stadt und ging bis vor den Bun- sino (1901) zu einem kulturellen Zentrum. desrat. Sein Ziel war eine Tieferlegung der Der rechteckige Winkelriedplatz dagegen Bahn zugunsten einer bequemen Über blieb als eher bescheidene Grünanlage wenig brückung der Gleise. Noch heute zeugt das belebt. Mehr Freizeitflächen waren im gan- «Pfäffiloch» von dieser Auseinandersetzung. zen Quartier nicht vorgesehen. Es war daher Eine Mauer unterbricht abrupt die Pfef ein Glück, dass 1896 das Margarethengut, das fingerstrasse, dahinter versteckt sich die Bahn, Genossenschaftliche Bastion zwischen Gundeldinger auf Baselbieter Boden steht, von der Besitzer- und nach beiden Seiten verzweigt sich die strasse und Thiersteinerallee: die 1926/27 nach Plänen von Hans Von der Mühll, Paul Oberrauch und familie dem Stadtkanton zum Kauf angebo- Strasse zur Peter Merian-Brücke hin. Die gute Rudolf Christ errichtete Wohnanlage mit 133 Wohnungen. ten wurde und Regierungsrat Paul Speiser Verbindung zwischen Quartier und Stadt ist Fotos: Kant. Denkmalpflege Basel-Stadt, Klaus Spechtenhauser schnell erkannte: Der Margarethenpark muss- bis heute ein unerledigtes Politikum.
Führungen Gundeldingen | 11 Stadtentwicklung zwischen Spekulation und Krise Gundeldingen war einst im Besitz des Bürger- spitals. Zwei Pachthöfe bewirtschafteten das fruchtbare Land zwischen Bahnhof und Bru- derholz. 1872 wurde es von einer deutschen Immobiliengesellschaft fast handstreichartig gekauft und als erstes Aussenquartier jenseits der Bahnlinien grossflächig als Bauland er- schlossen. Das Gundeli war einst als gehobe- nes Mittelstandsquartier gedacht, ein schweiz- weit damals einzigartiges Spekulationsprojekt. Aus diesen Strategien, aus Krisen und Kon- flikten entwickelte sich die heutige dichte und durchmischte ‹Stadt in der Stadt›. Beim Rundgang vom Tellplatz aus werden Geschich- te und Charakter des Quartiers erklärt und veranschaulicht. Führung: Robert Labhardt, Historiker Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) des Bruderholzes verlief. Archäologische Treffpunkt: Tellplatz, bei der Einmündung der Reste von frühmittelalterlichen Gebäuden Bebauungsentwicklung Bruderholzstrasse von Norden / beim «Tellplatz 3 – Spezereien & Frohkost» wurden dagegen bis jetzt nicht entdeckt. Die Bauweise aus Holz macht es schwierig, Spu- rund um die Margarethen- ren der Häuser im heute dicht besiedelten strasse Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! Gebiet zu erkennen. Einzig die gefundenen Plattengräber geben einen Hinweis darauf, Die anstelle eines Fahrwegs 1891 angelegte dass in der Nähe ein Dorf gelegen haben muss. Margarethenstrasse bildete lange die westli- Im Lager der Archäologischen Bodenfor- che Grenze des Quartiers, an der sich die Be- schung erfahren Sie mehr zu den Gräberfel- bauung bis um 1900 verdichtete. Das dama- dern aus dem Kanton und der Aufbewahrung lige Konzept zur Verbreiterung mit einem als der Skelette. Allee gestalteten Grünstreifen in der Mitte bestimmte die Bauflucht der westlichen Seite, Führung: Martin Allemann, Archäologische Boden deren Bebauung 1922 mit dem Verwaltungs- forschung gebäude des Basler Elektrizitätswerks (heute Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) IWB) einsetzte und sich bis zum Zweiten Treffpunkt: Ecke Güterstrasse / Zwingerstrasse, beim Weltkrieg gegen das Eisenbahnareal ausdehn- Interdiscount te. Verschiedene architekturgeschichtliche Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & «Jahrringe» und Haustypen prägen diesen Be- am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf reich in anschaulicher Weise: Der Blockrand- dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens bebauung der Ostseite mit modernen Wohn- ½ Stunde vor Führungsbeginn! blocks und verbliebenen Häusern der histo- ristischen Erstbebauung steht im Westen eine städtebaulich geschlossene, von Baumgart- Fundort Gundeldingen – nerhäusern bestimmte Architektur gegenüber. Plattengräber aus dem Führung: Thomas Lutz, Kantonale Denkmalpflege Frühmittelalter Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Rondell bei der Einmündung Dachsfelder- strasse, Pruntruterstrasse und Erdbeergraben Gundeldingen zählt nicht wirklich zu den Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Hotspots der Basler Archäologie. Allerdings: Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts werden bei 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! Bauarbeiten im Gundeli immer wieder Reste von Skeletten in Gräbern gefunden, die mit Steinplatten umfasst waren. Solche Gräber sind typisch für das 7./8. Jahrhundert n. Chr. Fotos: Archäologische Bodenforschung Basel-Stadt (Grabung); Die Plattengräber reihen sich entlang einer Staatsarchiv Basel-Stadt, BALAIR 5366 (Flugaufnahme); Kantonale alten römischen Fernstrasse auf, die am Fuss Denkmalpflege Basel-Stadt, Klaus Spechtenhauser
12 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Durch die Delsbergerallee Die Delsbergerallee gilt als eine der schönsten und architektonisch wertvollsten Strassen im Gundeldinger Quartier. Ihre Gebäude aus der Zeit von 1900–1930 sind mehrheitlich er- halten und präsentieren eine stilistische Ab- folge vom Historismus bis zum Art déco. Be- sondere Aufmerksamkeit verdienen das einheitliche Erscheinungsbild und die tiefen Vorgärten sowie die boulevardartige Anlage mit breiten Trottoirs und dicht gepflanzten Kastanienreihen. Die Führung bietet neben einem Einblick in die Quartiergeschichte auch Sie in 45 Minuten vom Meret Oppenheim- eine kritische denkmalpflegerische Beurtei- «Boulevard» Güterstrasse Platz bis zur Liesbergermatte und behandeln lung des Umgangs mit historischer Bausub an verschiedenen Stationen die kontroversen stanz im Spannungsfeld zwischen Bestand Seit Jahren setzen sich Quartierorganisatio- Themen Boulevard, öffentlicher Raum, Hin- und Wandel. nen im Gundeli für ihren «Boulevard» ein: terhöfe, Stadtmobiliar, Verkehr, Einzelhandel Führung: Führungen durch Christoph Lehmann und für Flanierqualität, massvollen Verkehr, at- und Gastronomie; und beleuchten auch ver- Meike Wolfschlag, Kantonale Denkmalpflege traktive Läden, Gebäude und Hinterhöfe, ein passte Gelegenheiten. Selbstverständlich im- Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Miteinander von Wohnen und Gewerbe. Was mer im Austausch mit den Teilnehmenden. Treffpunkt: Kreuzung Güterstrasse/Delsbergerallee erreicht und was noch zu tun ist, wo die Be- Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- hörden mitziehen und wo nicht, das zeigt ein Führung: Neutraler Quartierverein Gundeldingen Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am Spaziergang durch Basels längste Einkaufs- Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! Treffpunkt: Meret Oppenheim-Platz, beim Meret strasse. Ein Architekt und ein Geograf führen Oppenheim-Brunnen Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! Historisches Kleinod mit bewegter Geschichte Das Thomas Platter-Haus war einst Teil eines Weiherschlosses, das bereits im 14. Jahrhun- dert erwähnt wird. 1549 gelangte es in den Besitz des berühmten Humanisten Thomas Platter (1499–1582), der es in einen florieren- den Gutsbetrieb umwandelte. Neben seiner Aufgabe als Rektor des Gymnasiums auf Burg hatte Platter seine Freude an Gemüsezucht, Obstbau und Tierhaltung. Dies lassen die Brie- fe erkennen, die er seinem Sohn Felix schrieb, der zum Medizinstudium in Montpellier weil-
Führungen Gundeldingen | 13 Gut versteckt – Ein baro- cker Landsitz in der Stadt Der Landsitz Vorderes Gundeldingen liegt heute versteckt hinter hohen Bäumen. 1567 liess der Tuchhändler Hieronymus Iselin das Haus «von Grund auf neu aufbauen». Aus dieser Zeit stammen noch der Gewölbekeller und der rückseitige Treppenturm. 1710 kauf- te der Arzt Johann Rudolf Beck das Anwesen und errichtete es als sommerlichen Landsitz weitgehend neu. Dazu gehörten ein Barock- garten mit Weiher, Obstwiesen und eigene Quellen, auch ein Bauernhaus mit Scheune und Schopf sowie ein Gartenhäuschen am Hang des Bruderholzes. Erst 1925 hat man die weitläufige Liegenschaft parzelliert und be- baut. Erhalten blieb das zweigeschossige Haupthaus mit Doppelwalm, barocken Türen, Täfern und Stuckaturen samt Wendeltreppe. Führung: Frank Löbbecke, Kantonale Denkmalpflege Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Gundeldingerstrasse, bei der Einmündung der Pfeffingerstrasse Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens ½ Stunde vor Führungsbeginn! te. Den Charakter als Landhaus verdeutlichen die an die Wand gemalten Fruchtgirlanden im grossen Saal des Hauses, in dem Platter mit zahlreichen Tischgästen zu speisen pflegte. In den 1960er Jahren sollte der Bau abgerissen werden, konnte aber gerettet werden. Heute ist das eingetragene Denkmal eines der ältes- ten Bauzeugnisse im Quartier. Führung: Tina Ekener, Architektin und Martin Möhle, Kantonale Denkmalpflege Zeit: 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Ecke Gundeldingerstrasse / Bruderholz strasse Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens ½ Stunde vor Führungsbeginn! Fotos/Abb.: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Erik Schmidt, Klaus Spechtenhauser; František Matouš; Staatsarchiv Basel- Stadt, NEG A 1736 (Foto Vorderes Gundeldingen), BILD Falk. A 63 (Ansicht Vorderes Gundeldingen)
14 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Neues Bauen für die Kirche Das evangelisch-reformierte Kirchgemeinde- zentrum Zwinglihaus wurde 1931/32 von Willi Kehlstadt errichtet. Bereits 1917 hatte ein Wettbewerb für einen neuen Kirchenbau stattgefunden; das dem Neuklassizismus ver- pflichtete Siegerprojekt Hans Bernoullis wur- de jedoch aufgrund seiner zu grossen Dimen- sionen und aus Kostengründen abgelehnt. Der 1932 eingeweihte Bau von Kehlstadt war dann in vielerlei Hinsicht etwas ganz ande- res: ein in der Formensprache des Neuen Bau- ens gestaltetes, in seiner Nutzung multifunk- tional ausgerichtetes Gemeindezentrum mit Pfarrhaus. Beim Eingang war beispielsweise eine Billettkasse eingerichtet, denn im gros sen Saal wurden nicht nur Gottesdienste ab- gehalten, sondern auch Kinofilme gezeigt und Theater gespielt. Zudem gab es eine Bibliothek, Nähzimmer und andere Gemeinschaftsein- richtungen. Alles zu profan, zu kalt und zu wenig würdevoll? Mitnichten, denn der Ar- chitekt verlieh dem Zwinglihaus mit span- nungsvollen Raumfolgen, edlen Materialien Genossenschaftliche Sanierung am Tellplatz Das markante, 1891/92 von E. Vischer & Fue- ter für die Centralbahn errichtete Ensemble der «Eisenbahnerhäuser» prägt den Tellplatz seit 130 Jahren. Die Typologie der Häuser ist bestimmt durch Kleinwohnungen, die ur- sprünglich von «Bähnler»-Arbeiterfamilien bewohnt wurden. In den vergangenen Jahren wurden die Häuser von der heutigen Eigen- tümerin, der GEWONA NORD-WEST, in Zusammenarbeit mit Nussbaumer Trüssel Architekten umfassend saniert und hofseitig mit Balkonen erweitert. Die Mansarden im Dach wurden ausgebaut und um sechs neue Wohnstudios ergänzt. Damit konnte gemein- nütziger, preisgünstiger Wohnraum im Gun- deli erhalten werden. Die Sanierung geschah mit Respekt vor dem Denkmalcharakter des Gebäudeensembles, wodurch der baukultu- und sorgfältig gestalteten Details eine moder- relle Zeugniswert der Bauten auch für kom- ne sakrale Ausstrahlung. Die Führung bietet mende Generationen erlebbar bleibt. Spannendes zur Baugeschichte und Hinter- gründiges zur 2015 erfolgten Restaurierung Führung: Lukas Gruntz, Architekt und Vorstands des grossen Saals. mitglied GEWONA NORD-WEST sowie Thomas Nuss- baumer und Markus Trüssel, Architekten Führung: Werner Hartmann, Architekt Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Tellplatz, vor Nr. 10 Treffpunkt: Zwinglihaus, Gundeldingerstrasse 370 Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens ½ Stunde vor Führungsbeginn! ½ Stunde vor Führungsbeginn!
Führungen Gundeldingen | 15 Die «Kunschti» Die Sportbewegung der 1930er Jahre führte in Basel zur Vergrösserung und zum Neubau mehrerer Sportanlagen. So wurde 1933/34, zeitgleich mit dem Bau des Hallenbads Rialto, die Kunsteisbahn Margarethen von Alfred Widmer und Richard Calini – basierend auf Vorstudien von Hermann Baur und Suter & Burckhardt – errichtet. Die Anlage zeichnet sich durch ihre Reduktion aufs Wesentliche, die kluge Einbindung in die Topografie und die Eleganz des auskragenden Tribünendachs aus. Mit 6 000 m2 Eisfläche und bis zu 15 500 Zuschauerplätzen war sie grösser als die drei Jahre ältere Dolder-Eisbahn in Zürich und ge- hört noch heute zu den grössten Eisflächen der Schweiz. Von Beginn weg wurde hier in Sportvereinen Eiskunstlauf, Eisschnelllauf und natürlich Hockey praktiziert, ab 1941 auch Curling. 1939 und 1953 fanden hier Spie- le der Eishockey-Weltmeisterschaft statt. Doch auch für den Freizeitsport wurde die «Kunsch- ti» schnell zum wichtigen Anziehungspunkt für die Stadt- und Quartierbevölkerung. Die Führung berichtet über Geschichte, Gegen- Das Gundeldinger Feld wart und Zukunft der Eisbahnanlage. Seit 1890 Jahre wurden hier Maschinen, Pum- Führung: Conradin Badrutt, Kantonale Denkmalpflege und Sandro Macaluso, Eismeister pen und Kompressoren hergestellt, ehe die Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Maschinenfabrik Sulzer Burckhardt 1999 die Treffpunkt: Kunsteisbahn, Im Margarethenpark 10, Produktion in den Fabrikhallen südlich des Haupteingang Tellplatzes einstellte. Wie weiter mit dem Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Fabrikareal? Engagierte Akteure aus dem Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am Quartier erkannten die einmalige Chance, 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! hier den lang ersehnten Traum eines Quar- tierzentrums umzusetzen. Die Vision wurde zur Realität: Unter der Regie der Kanten- sprung AG wurden ab dem Jahr 2000 die Fa- brikhallen nach und nach angepasst, sanft umgebaut und mit neuen Nutzungen belegt. Wesentliche Leitplanken waren dabei Nach- haltigkeit, Durchmischung, Integration und Quartierrelevanz. Heute nach 20 Jahren ist der lebendige Gundeldinger Feld-Mix aus Kleingewerbe, Büros, gemeinnützigen Insti- tutionen, Kultur und Gastronomie zu einem fixen Bestandteil des Quartiers geworden und strahlt weit über dessen Grenzen aus. Führung: Barbara Buser, Architektin / Baubüro in situ und Anna Buser, Ethnologin / Stadtforscherin Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Gundeldinger Feld, Dornacherstrasse 192, im Hof Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! Fotos: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Peter Schulthess, Klaus Spechtenhauser; Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1013 3-2-10 1 (Kunsteisbahn, Foto: Hans Bertolf); Archiv Kantensprung AG (Maschinenfabrik Burckhardt)
16 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 aufgefrischt, mit viel Respekt vor dem Bestand. Wohnen im einstigen Energetische Optimierungsmassnahmen Gewerbebau komplettierten das gelungene Projekt, das mit sorgfältig überlegten Massnahmen ein histo- risches Wohnhaus zukunftstauglich gemacht Der L-förmige Gebäudekomplex, ein ehema- hat, ohne ihm seinen Charme zu nehmen. liger Gewerbebau aus der Zeit um 1900, ent- wickelt sich tief in die Parzelle bis zu einem Führung: Isabelle Rossi, Architektin / Baubüro in situ querstehenden Riegelbau mit Durchgang in Zeit: 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Kleine Parkanlage vor dem Heizwerk den Hof. Mit seiner zwölfachsigen Seitenfas- Bahnhof der IWB, Solothurnerstrasse 18 sade setzt er einen besonderen Akzent in ei- Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- nem Gebiet, das ansonsten von geschlossenen Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & Häuserzeilen geprägt ist. Durch einen Umbau am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf 2009/10, bei dem grosser Wert auf die Bewah- dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens rung des Bestands gelegt wurde, entstanden ½ Stunde vor Führungsbeginn! hier qualitätvolle Wohnungen unterschied- lichen Zuschnitts. Der stattliche Bau ist kein Solitär, sondern gehört zu einer Gruppe von drei ganz unterschiedlichen Gebäuden zwi- schen Reichensteinerstrasse und Margare- thenstrasse, in denen die Stiftung Habitat eine Vielfalt an Wohnungstypen zu leistbaren Mieten anbietet. Besonderes Augenmerk wur- de beim koordinierten Umbau der Liegen- schaften auch auf eine sorgfältige Aussen- Mehr Tiefe zum Wohnen raumgestaltung für das gemeinschaftliche Miteinander gelegt; so ist aus dem ehedem als Mehr Wohnraum unter weitgehendem Erhalt Parkplatz genutzten Innenhof ein Begeg- des Bestands? So geschehen an der Solothur- nungsort für alle geworden. nerstrasse bei einem eher unscheinbaren Wohnhaus von 1878, aus der Zeit der Erstbe- Führung: Men Kräuchi, Architekt bauung des Gundeldinger Quartiers. 2011 Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) wurde es gegen den hofseitigen Garten um Treffpunkt: Reichensteinerstrasse 14 Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- eine Raumschicht in Holzbauweise ergänzt, Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & wodurch jede der drei Wohnungen einen zu- am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf sätzlichen, gegen den ruhigen Garten hin dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens orientierten grossen Raum erhielt. Am Altbau ½ Stunde vor Führungsbeginn! wurde vor allem renoviert, ausgebessert und Gut wohnen an der Güterstrasse Das aus den 1950er Jahren stammende, gestal- terisch eher unspektakuläre Gebäude an der Güterstrasse 140 ist mit seiner gemischten Wohn- und Geschäftsnutzung typisch für den städtischen Bereich. Im Erdgeschoss ist neben der Durchfahrt in den Hinterhof ein Laden- lokal untergebracht, in den Obergeschossen
Führungen Gundeldingen | 17 befinden sich Wohnungen unterschiedlichen ben es ermöglicht, guten Wohnraum zu er- Zuschnitts. Als vor einigen Jahren die Sanie- schwinglichen Mieten zu erhalten. Die sym- Hausgeschichten rung des Gebäudes immer dringlicher wurde, pathische Patina des Hauses kann zudem konnte 2019 der Verkauf der Liegenschaft und weiterbestehen. zum Anfassen: Unser somit eine folgenreiche Aufwertung verhin- Führung: Ivo Balmer, denkstatt sàrl Bauteillager dert werden. Die nötigen Sanierungs- und Zeit: 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Erneuerungsarbeiten wurden in enger Zu- Während Jahrzehnten sammelte die Denk- Treffpunkt: Güterstrasse 140, im Hof sammenarbeit mit denkstatt sàrl durchge- Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- malpflege Bauteile aus historischen Gebäu- führt. Minimale bauliche Eingriffe und das Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & den, die abgebrochen wurden. Von Türen, Recycling von Bauteilen – z. B. aus einem Ab- am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf Fensterflügeln und Beschlägen über allerlei bruchprojekt transferierte und mit neuen dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens Bauplastik, Firstbekrönungen und Wasser- Elementen ergänzte Kücheneinbauten –, ha- ½ Stunde vor Führungsbeginn! speier bis hin zu prunkvollen Kachelöfen und kompletten barocken Treppenanlagen – all das ist im Untergrund des Gundeldinger Quar- tiers eingelagert; am Stück oder in Einzeltei- le zerlegt, aufgeschichtet, eingereiht oder pa- lettiert. Die Führung ermöglicht einen einmaligen Einblick in diese Arche Noah his- torischer Bauteile samt spannenden Geschich- ten zu ausgewählten Objekten. Führung: Till Seiberth, Kantonale Denkmalpflege Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Jurastrasse 4, vor dem Eingang zur Migros Klubschule Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens ½ Stunde vor Führungsbeginn! Fotos: Kantonale Denkmalpflege Basel-Stadt, Tom Bisig, Till Seiberth; Michael Fritschi, foto-werk.ch (Ansicht Reichensteiner- strasse); Marc Renaud (Solothurnerstrasse); Martin Zeller (Güterstrasse)
18 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Bahninfrastruktur trennt und verbindet – Zur Geschichte der Eisenbahn- planungen in Basel Eisenbahnlinien verbinden Städte und Dör- fer, aber sie trennen diese auch. Anhand der planerischen und politischen Diskussionen um die Lage und Art des Bahnhofs Basel SBB ab Mitte des 19. Jahrhunderts und die aufwen- dige Tieferlegung des gesamten Gleisfelds (Projekte ab 1873) zeigt sich die Ambivalenz der räumlichen Trennung von Quartieren durch Bahninfrastruktur: Einerseits war die Eisenbahn für Basel eine grosse Entwicklungs- chance, andererseits versuchten der Kanton und die Eisenbahngesellschaften die negati- ven räumlichen, gesellschaftlichen und wirt- schaftlichen Auswirkungen der Gleisanlagen und Infrastrukturen möglichst zu minimie- ren. Bei der Führung entlang des Gleisfelds werden die Planungsgeschichte und die damit SBB-Baukultur durch einhergehenden politischen Aushandlungs- prozesse im Kontext der städtebaulichen Ent- herausragende Architek- wicklung des 19. und 20. Jahrhunderts erläu- tur: Das Stellwerk tert. an der Münchensteiner- Führung: SBB Fachstelle Denkmalpflege und SBB Immobilien strasse Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Kleine Parkanlage vor dem Heizwerk Das von Herzog & de Meuron 1998/99 errich- Bahnhof der IWB, Solothurnerstrasse 18 tete Stellwerk bei der Münchensteinerbrücke Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- ist eines der Wahrzeichen Basels: Dominant Fotos: Kant. Denkmalpflege Basel-Stadt, Klaus Spechtenhauser; Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am Albert Bruckner, Wirtschaftsgeschichte Basel, Zürich 1947 (Bahnareal); und fremd mit einer verdrehten kubischen Archiv Kantensprung AG (Fabrikarbeiter Sulzer Burckhardt) 11. Sept. direkt zum Treffpunkt! Form, fensterlos und mit Kupferbändern ver- kleidet, ist sein Zweck kaum verständlich. Es steht mitten im Gleisfeld, das die Stadt hier durchschneidet, und neben der München- steinerbrücke, die deren Teile verbindet. Das Gebäude ist einer von verschiedenen Infra- strukturbauten, die das Büro in den 1990er Jahren für die SBB errichtete und deren archi- tektonisches Image prägen sollte. 1991–1995 entstanden auf dem Wolf das ebenfalls mit Kupferbändern verkleidete Stellwerk 4, Werk- stätten und ein Lokomotivdepot. Anlässlich der Führung werden diese Bauten vorgestellt, zudem ist ein Blick hinter die Kupferlamellen ins Innenleben des Zentralstellwerks möglich. Führung: SBB Fachstelle Denkmalpflege und Standort- leitung betriebliches Anlagenmanagement SBB Zeit: 11, 14 und 15.30 Uhr (Dauer 45 Min.) Treffpunkt: Münchensteinerstrasse 115, beim Zugang zum Stellwerk Teilnahme: Anmeldung obligatorisch mit Print@Home- Ticket ab 4. Sept. über www.denkmalpflege.bs.ch & am 11. Sept. Ticket-Check-in am Infostand auf dem Meret Oppenheim-Platz – ab 8 Uhr bis spätestens ½ Stunde vor Führungsbeginn!
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20 | Europäischer Tag des Denkmals 2021 Das Bruderholz Baukultur entdecken auf kleinen und kleinsten Wegen Roger Ehret Was für ein Kontrast: Unten das dicht Wolke. Damals gab es hier oben noch kein gebaut, ebenfalls nach dem Vorbild der eng- bebaute Stadtquartier Gundeldingen mit Primarschulhaus, kein Studio, keine Prome- lischen Reformarchitektur. Der Architekt des seinen drei markanten Längsachsen nade, keinen Konsumladen.» markanten Gebäudes mit seinen drei Wohn- und der Dominanz des rechten Winkels – Ein anderes Bauwerk, der von weither einheiten war Erwin Heman, der es noch vor auf dem angrenzenden Hügel gerun- sichtbare Wasserturm, war 1926 eingeweiht seinem Bebauungsplan für das Bruderholz dete, serpentinenartig angelegte Strassen, worden, zwei Jahre bevor Lore Berger im Alter entworfen hatte, damit aber bereits klare Zei- viel Grün und oft auch Weitblick. Be- von sieben Jahren am neuen Wohnort ankam. chen für die weitere Entwicklung des Stadt- baut wurde Basels südlichstes Quartier In ihrem berührenden literarischen Werk hügels setzte. Das Haus ist auch vielen Spa- fast ausnahmslos im 20. Jahrhundert und und auch am Ende ihres kurzen Lebens sollte ziergängerinnen und Spaziergängern bekannt, zunächst auch von weniger Eile ge- der oft als Wahrzeichen des Bruderholzes be- die den aussichtsreichen Gang über das grosse trieben als davor im bevölkerungsreichen zeichnete Turm eine wichtige und tragische Feld zwischen der Sternwarte und der Wil- Stadtteil in der Ebene. Wer sich auf Rolle spielen. Lore Berger nahm sich 1943, helm Denz-Strasse schätzen. Vor rund zehn die Spuren der Baugeschichte des Bruder- noch keine 22 Jahre alt, mit einem Sprung Jahren wurde der Hausteil Nummer 129 sorg- holzes macht, kann auf versteckten vom Wasserturm das Leben. fältig restauriert und im Innern moderat an Wegen spazieren. Und dabei erst noch ver- Das Domizil ihrer Familie am Thier- zeitgemässe Wohnbedürfnisse angepasst. blüffende Entdeckungen machen. steinerrain war keine freistehende Villa mit Umschwung, sondern ein Reihenhaus mit 1928 zog der Basler Lehrer Louis F. Berger mit eher bescheidenem Garten. Nach den Plänen seiner Ehefrau und zwei Kindern von der Grel- und Programmen, die der Ingenieur Eduard lingerstrasse im Gellert-Quartier hinauf an Riggenbach vom Stadtplanbureau und der den Thiersteinerrain. Fast eineinhalb Jahr- Architekt Erwin Heman zwischen 1900 und zehnte später erinnerte sich seine Tochter 1913 entwickelten, sollte hier oben auch kein Lore Berger an die Ankunft der Familie auf neues Villenquartier entstehen, sondern eine dem damals noch fast unbebauten Bruder- neuartige, von England her inspirierte Gar- holz – in ihrem mittlerweile berühmten Buch tenstadt mit niedrigen Wohnhäusern im Der barmherzige Hügel, das lange nahezu ver- Heimatstil. Zu den ersten baulichen Umset- gessen war: «Wir kamen aus einem dunklen, zungen gehörte das oberhalb des Margare- kühlen, abweisend-vornehmen Haus des thenparks gelegene «Vogelnest» an der Am- Stadtzentrums. Wir waren geblendet von der sel-, Drossel-, Lerchen- und Starenstrasse. Die Lichtfülle, die der Hügel über uns goss, ge- stattlichen Wohnhäuser dort wurden von Fast so bekannt wie der Wasserturm: Das 1908 von blendet von seinen Blumen, vernarrt in jeden 1910 an errichtet. Bereits 1908 wurde das Erwin Heman errichtete Wohnhaus Unterer Batterie blühenden Strauch, in jeden Maikäfer, in jede Wohnhaus am Unteren Batterieweg 125–129 weg 125–129. Das 1939 eröffnete Bruderholz-Schulhaus von Hermann Baur fand mit seiner Pavillonbauweise weltweit Beachtung. Foto: Aviatik beider Basel, gta Archiv, ETH Zürich
Das Bruderholz – Baukultur entdecken auf kleinen und kleinsten Wegen | 21 Wurster. Sie umfasst auf einem Areal von fünf Hektaren vier Hochhäuser, 71 Reihen-Ein familienhäuser, sieben kleinere Mehrfami lienhäuser, Autoeinstellhallen und auch ein Hallenschwimmbad. 2004 realisierte die Grundeigentümerin, die Christoph Merian Stiftung, eine umfassende Sanierung. Wer sich die Überbauung mit der höchst- gelegenen Wohnung Basels ansehen möchte, kann auf kleinen Wegen vom Fuss des Hügels zu ihr hoch finden. Überhaupt lässt sich die Baukultur des Bruderholzes sehr gut spazie- rend entdecken. Auf stillen und oft aussichts- reichen Wegen, die ihren Ursprung in der Zeit haben, als der Hügel noch nicht zusammen- hängend überbaut war und die Pioniere sich ihre eigenen Pfade über die Felder und Wie- sen bahnten. Wer sie in ihrer heutigen Form begehen will, sucht sie auf «tiefenscharfen» Stadtplänen oder auf eigene Faust. Sie führen Helle Pavillons und Leichtigkeit als Ausdruck neuer Erziehungsideale, vorbildhaft umgesetzt im Bruderholz-Schulhaus. durch mehr als 100 Jahre Baugeschichte: Zu alten und neuen Reservoiren oder zum ehe- maligen Restaurant Torre, dem früheren Café Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich seiner Kindheit an der Marignanostrasse ver- Keuerleber, dessen Schutzwürdigkeit die die Bebauung des Bruderholzes erstmals brachte. Im Roman Herr Adamson erinnerte Basler Regierung 2020 anerkannt und damit etwas schneller. 1915, mitten in der für die er sich an eine «Häuserinsel zwischen Wie- vor dem Abriss bewahrt hat; zum 1965 fertig- Grenzstadt Basel besonders schwierigen sen und Äckern voller Kirschbäume, hinter gestellten Wohnhochhaus Hechtliacker, das Kriegszeit, war die von Erwin Heman als re- denen, tief unten, die winzigen, fernen Häu- selbst heute noch für Diskussionen sorgt; zu präsentative Hauptstrasse geplante Bruder- ser der Stadt leuchteten.» neusten Entwicklungen, etwa auf dem Areal holzallee fertiggestellt worden. Gleichzeitig Noch während des Kriegs begann auf dem des ehemaligen Radiostudios; in Gebiete, in auch die neue Tramlinie, die zunächst ein- östlichen Bruderholz der Bau der ausgedehn- denen das Bruderholz aktuell Verdichtungen spurig war und ausschliesslich über den Ja- ten Siedlungen auf dem Jakobsberg, wo Wohn- erfährt, die viel zu reden geben – und an Orte, kobsberg auf den Hügel führte. Zur Rundlinie genossenschaften von 1943 an vielbeachtete an denen man ins Staunen kommt: Weil man wurde das Tram erst 1930, nach umfassenden Zeichen gegen Wohnungsnot und Spekula sich der unerwartet grossen Häuservielfalt Bauarbeiten in der Wolfschlucht. Für die Ent- tion setzten. Den raffinierten Bebauungsplan auf dem Stadthügel bewusst wird. Und auch wicklung des Bruderholzes zum beliebten lieferte Hermann Baur, der als bedeutendster auf Gebäude stösst, Reihenhäuser oder Wohn- Ausflugsziel reichte aber bereits das erste Teil- Architekt des Bruderholzes gilt. Von ihm stam- blöcke zum Beispiel, wie man sie eher von stück der Tramlinie. In der Folge entstanden men auch verschiedene konkrete Bauten der anderen Stadtteilen her kennt. auf der «Basler Rigi» mehrere Ausflugsrestau- drei Bauetappen auf dem Jakobsberg, darun- rants. So zum Beispiel das Restaurant Bruder- ter das «Schlussstück», der siebengeschossige holz (heute Stucki), das 1924 öffnete. Im sel- Wohnblock an der Anwilerstrasse, sowie das ben Jahr ging auf dem höchsten Punkt des Bruderholz-Schulhaus. Bei der 1939 eröffne- gesamten Bruderholzes, bei der nach einer im ten Primarschule mit Kindergarten wendete Jahr 1815 errichteten Geschützstellung be- Hermann Baur erstmals im Schweizer Schul- nannten Batterie, auch das alkoholfreie Café hausbau das Pavillonsystem in reiner Form Keuerleber der Schwestern Auguste und He- an und fand damit weltweit Interesse. 1961 lene Keuerleber in Betrieb. Der Boom, den die besorgte Baur eine Erweiterung der Schule neue Tramlinie und die gastronomischen An- um zwei Trakte; 2009/10 kam im Rahmen ei- gebote auf dem damals noch von der Land- ner Gesamtsanierung ein Neubau von Engler wirtschaft geprägten Bruderholz auslösten, Architekten dazu. führte dazu, dass die Verkehrsbetriebe in den Im Lauf der 1950er- und 1960er-Jahre er- warmen Monaten oft ungedeckte Sommeran- lebte das Bruderholz, das Wohnpioniere noch hänger einsetzten und in schneereichen Win- als «Kornkammer» der Stadt wahrgenommen tern den Ansturm von Stadtflüchtigen mit hatten, einen wahren Bauboom. In rascher Schlitten und Skiern zu bewältigen hatten. Folge entstanden zahlreiche Einzelobjekte, Die Landwirtschaft prägte das städtische Villen und schlichtere Wohnhäuser. Ausser- Bruderholz bis in die Zeit nach dem Zweiten dem 1959–1961 die katholische Bruder Klaus- Weltkrieg. Die wenigen Siedlungen lagen ver- Kirche und 1962–1964 die reformierte Titus- streut inmitten ausgedehnter Felder, wie man kirche. Ein Bauprojekt mit neuen, auf dem Höher als im Sesselacker kann man in Basel nirgends wohnen. Im Hintergrund eines der vier Wohnhochhäuser etwa in den autobiografischen Werken des Hügel ungewohnten Dimensionen, entstand der 1966–1971 von Walter Wurster umgesetzten Wohn- bekannten Basler Autors Urs Widmer lesen in den Jahren 1966 bis 1971: Die Wohnüber- überbauung. kann, der 1938 geboren wurde und einen Teil bauung Sesselacker, entworfen von Walter Fotos: Kant. Denkmalpflege Basel-Stadt, Klaus Spechtenhauser
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