Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021

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Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Vier Häuser mit 94 Mietwohnungen bieten nachhaltigen Lebensraum
für alle Generationen. Besitzerin ist die Gebäudeversicherung Bern,
die Bewohnenden sind Mitglieder einer Betriebsgenossenschaft und
gestalten gemeinsam ihren Lebensraum und das Siedlungsleben.

Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021

HÄUSLER + WEIDMANN
SEPTEMBER 2021
Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Titelbild
Abendstimmung auf dem «Dorfplatz»
der GeWo-Siedlung.

Impressum                                                              In Kürze .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5
Herausgeberin
Age-Stiftung, Zürich                                                   Idee und Planungsgeschichte
Trägerschaft
                                                                       Zwei Genossenschaften, ein Totalunternehmen,
Gebäudeversicherung Bern (GVB)
                                                                       eine Investorin .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 6
Autor
Ruedi Weidmann, Häusler + Weidmann,
im Auftrag der Age-Stiftung                                            Architektur
Fotografie                                                             Bauten, Räume, Aussenraum .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 12
Niklaus Spoerri
Pläne                                                                  Finanzen und Vermietung
Walter Hunziker
                                                                       Kosten, Mieten, Nachfrage  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 17
Gestaltung
Anna-Lena Walther
                                                                       Bewohnerinnen und Bewohner
Dieser Bericht dokumentiert ein Förderprojekt der                      Altersmix und soziale Durchmischung .  .  .  .  .  .  . 20
Age-Stiftung – weitere Informationen dazu unter
www.age-stiftung.ch. Der Bericht ist integraler
Bestandteil der Förderung. Die Age-Stiftung legt ihren
                                                                       Komplexe Organisation
Fokus auf Wohnen und Älterwerden. Dafür fördert                        Betriebsgenossenschaft, Verwaltung,
sie Wohn- und Betreuungsangebote in der deutsch­
                                                                       Gemeinwesenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
sprachigen Schweiz mit finanziellen Beiträgen.
Sie engagiert sich für inspirierende zukunftsfähige
Lösungen und informiert über gute Beispiele.                           Gemeinschaft und Engagement
                                                                       Selbstorganisation, sozialräumliche Entwicklung,
Kontakt
                                                                       Gemeinschaftsleben  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 27
Christina Stampfli
Immobilien-Portfoliomanagement
                                                                       Würdigung und Lehren
Gebäudeversicherung Bern
Papiermühlestrasse 130                                                 Konzept und Realität, Lernprozesse und
3063 Ittigen                                                           Empfehlungen .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 37
031 925 16 39
cstampfli@gvb.ch
www.gvb.ch
                                                                       Anmerkungen und Quellen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 46

September 2021

                                                         Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Die vier Mehrfamilienhäuser der
GeWo-Siedlung liegen an der Thunstrasse,
die ruhige Quartierstrasse überquert den
Wöschhüslibach.

                                           Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Vier grosse Häuser mit einem                       lung geregelt werden kann und soll.
breiten Wohnungsmix stehen in                      Die Folge sind Lerneffekte.
­einem naturnahen Garten am
 südlichen Stadtrand von Burgdorf.                 Die Möglichkeit zur Mitwirkung im
 Hier sollen die Generationen zusam-               Siedlungsleben hat hier nicht, wie
 menleben und das Siedlungsleben,                  sonst meistens, ein urbanes, gebilde-
 die Gemeinschaftsräume und den                    tes, linksgrünes Publikum, sondern
 Aussenraum gemeinsam gestalten.                   Menschen mit sehr vielfältigen Bio-
 Die GeWo-Siedlung hat eine un­                    grafien, die aus einer ländlichen
 gewöhnliche Geschichte. Vieles ist                ­Gegend oder aus fernen Ländern und
 nicht so herausgekommen wie                        oft aus einfachen Verhältnissen
 ­geplant. Umso mehr Lehren für                     stammen. Die meisten sind nicht aus
  ­a ndere Projekte hält sie bereit.                ideellen Gründen hier eingezogen,
                                                    sondern schlicht, weil sie eine
Die Geschichte der Siedlung hat zu                  ­Wohnung in Burgdorf suchten. Das
einer komplexen Organisation ge-                     macht die GeWo-Siedlung zu einem
führt: Ein Investor mit einem Rendi-                 besonders wertvollen Ort. Denn sie
teziel, eine Betriebsgenossenschaft                  zeigt, was es braucht, damit Selbst­
mit Mitwirkungsmöglichkeiten für                     organisation und die Förderung von
die Bewohnenden, eine konventio-                     Kontakten durch Gemeinwesen­
nelle Immobilienverwaltungsfirma                     arbeit aus einer gesellschaftlichen
und eine Moderation durch die Ge-                    Nische in den Mainstream des
meinwesenarbeit von Pro Senectute                    ­Siedlungsbaus übertragen werden
treffen im Siedlungsalltag aufeinan-                  können, wo ihre Effekte einen
der – und damit ganz unterschiedli-                   ­breiten gesellschaftlichen und volks-
che Auffassungen davon, wie das                        wirtschaftlichen Nutzen entfalten
Zusammenleben in einer Wohnsied-                       könnten.

                               Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Zwei Genossenschaften, ein Totalunternehmen,
eine Investorin

Eine engagierte Politikerin und                    Vorgeschichte mit Brüchen
                                                   Die GeWo-Siedlung in Burgdorf hat eine lange
Gleichgesinnte planen ein Mehrge-
                                                   Vorgeschichte, die nicht frei von Brüchen ist. Sie
nerationenprojekt und gründen eine                 zu erzählen ist nicht einfach, da die Versionen der
Genossenschaft. Ein Generalunter-                  Beteiligten sich nicht immer decken. Am Anfang
                                                   steht eine Gründerfigur: Verena Szentkuti-Bäch-
nehmen soll Planung und Bau finan-
                                                   told aus Muri bei Bern. Als Gemeindepolitikerin,
zieren, ein Investor die Siedlung                  in diversen leitenden Funktionen von Pro Senec-
kaufen und sie der Genossenschaft                  tute Bern und als deren Stiftungsrätin befasste sie
                                                   sich jahrzehntelang mit Gesundheits-, Sozial- und
vermieten. Doch Rekurse bremsen
                                                   Alterspolitik. Sie hat sich allerdings, zusammen
das Vorhaben und rundum wächst                     mit der ersten Trägerschaft, vom Projekt zurück-
Konkurrenz. Die Siedlung wird                      gezogen, als die Siedlung schon im Bau war. Die
                                                   heute 77-Jährige erzählt heute zwar wohlwollend,
gebaut, aber anders als geplant –
                                                   aber mit gemischten Gefühlen darüber.
und ohne die Gründerin und die
Gründer, denn das Risiko wird                      Die Tochter eines Ingenieurs und Nationalrats
                                                   präsidierte in den 1990er-Jahren die Gesundheits-
für sie zu gross.
                                                   kommission der Gemeinde Muri. Eine Umfrage
                                                   über die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung
                                                   zeigte, wie verbreitet der Wunsch nach möglichst
                                                   langem selbständigem Wohnen war und nach
                                                   Wohnungs-, Versorgungs- und Gesundheitsange-
                                                   boten, die das möglich machen. Im wohlhabenden
                                                   Südwesten Berns gab es damals Pflegeheime und
                                                   teure Altersresidenzen. Als Ergänzung wollte
                                                   Szentkuti bezahlbaren Wohnraum schaffen,
                                                   jedoch nicht als «Altersghetto», sondern in einem
                                                   Projekt, das alle Generationen und auch Menschen
                                                   mit Beeinträchtigungen einbezog. Es sollte im
                                                   Ortszentrum liegen, in der Nähe der Läden und
                                                   ÖV-Haltestellen, und mit Pflege- und Betreuungs-
                                                   angeboten verbunden sein. «Allein sein dürfen,
                                                   aber nicht einsam sein müssen» wurde zu Szent-
                                                   kutis Leitsatz bei der Planung.

                               Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Der Platz in der Mitte der Siedlung
ist als Treffpunkt gestaltet. Die Be-
wohnenden nennen ihn «Dorfplatz»
und treffen sich hier bei Anlässen und                        Generationen mit hindernisfreien Wohnungen,
nach Feierabend.
                                                              Gemeinschaftsräumen und Angeboten für die
                                                              Dorfbevölkerung. 2008 gründete Szentkuti die
Mit den Architekten Urs Siegenthaler und Walter               Genossenschaft «GenerationenWohnen» als
Hunziker sowie weiteren Fachleuten mit Erfah-                 Trägerschaft. Für den Bau musste das Gelände
rung und Engagement für das gemeinsame                        von der Grün- in die Wohnzone umgeteilt werden.
Anliegen gründete sie eine Projektgruppe. Sie                 Doch die Gemeindebevölkerung lehnte 2009 die
begannen eine Siedlung zu entwickeln und zogen                entsprechende Gesamtortsplanungsrevision ab,
für spezielle Fragen weitere Experten bei. Die Idee           die noch viele andere Projekte umfasste.
dahinter ist seither allgemein bekannt geworden:
Ältere und jüngere Menschen, die unter einem                  Zweiter Anlauf in Burgdorf
Dach leben, können sich gegenseitig unterstüt-                Die Genossenschaft beschloss, ein anderes Areal
zen. Die Älteren können mit ihrer Lebenserfah-                zu suchen. Szentkuti nahm Kontakt zur Stadt
rung berufstätige Eltern bei der Kinderbetreuung              Burgdorf auf. Diese hatte am südlichen Stadtrand
entlasten und dafür dank Nachbarschaftshilfe                  eine Parzelle als Zone mit Planungspflicht (ZPP)
länger selbständig bleiben. Das wirkt der Einsam-             für experimentelles Wohnen bestimmt. Wer hier
keit und der Altersarmut entgegen und entlastet               bauen wollte, musste «neue Wohn- und Baufor-
Angehörige und das Gesundheitswesen.                          men wie z. B. Grosswohnungen für Wohngemein-
                                                              schaften, flexible Grundrisse, Wohnen in Lofts,
Die Gemeinde Muri stellte Gemeindeland rund                   Ausbau von Rohbauten durch die Bewohner usw.»
um ein Bauernhaus im Toracher zur Verfügung.                  planen und zu einer nachhaltigen Quartierent-
Es entstanden Pläne für fünf Häuser für alle                  wicklung beitragen.1 Die Überbauungsordnung

                                          Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
verlangte eine umweltschonende und hindernis-                         Patchwork – quasi ein Abbild unserer vielfältigen
freie Bauweise, eine ressourcenschonende Ener-                        Gesellschaft – sollten hier wohnen: im Idealfall
gieversorgung und Biodiversität im Aussenraum.2                       bis zum Lebensende, mit Gelegenheiten, die
Die Stadt war am Konzept aus Muri interessiert.                       eigenen Ressourcen einzubringen, aufgehoben
Die Genossenschaft GenerationenWohnen konnte                          durch ein tragendes soziales Netz mit Nach­
eine Machbarkeitsstudie erstellen, am schweiz-                        barschaftshilfe und bei Bedarf unterstützt durch
weit ausgeschriebenen Ideenwettbewerb teilneh-                        professionelle Dienstleistungen.
men und erhielt schliesslich den Zuschlag. Einen
Architekturwettbewerb verlangte die Stadt nicht,                      Nebst Klein- und Familienwohnungen wurden
der städtische Fachausschuss für Bau- und Aus-                        WG-Wohnungen geplant, die dank einem Bad pro
senraumgestaltung, ein Gremium aus unabhängi-                         Schlafzimmer eine erhöhte Privatsphäre boten,
gen Gestaltungsfachpersonen, prüfte aber die                          ausserdem sogenannte «Stöckli»: 1 1/2-Zimmer-
Qualität des Entwurfs in mehreren Kritikrunden.                       Wohnungen für ein Elternteil, die einer Familien-
                                                                      wohnung zugeordnet sind.
Die Genossenschaft entwickelte zusammen mit
dem Planerteam eine Überbauung, die in der                            Der Aussenraum sollte Nutzungsmöglichkeiten
städtischen Überbauungsordnung festgelegt                             für alle Altersgruppen bieten: einen zentralen
wurde. Sie umfasste vier vierstöckige Wohnge-                         Platz als Treffpunkt, einen Kinderspielplatz,
bäude, jedes mit Gemeinschaftseinrichtungen,                          Ruhezonen, das naturnahe Ufer des Wöschhüsli-
und ein eingeschossiges Gemeinschaftshaus m  ­ it                     bachs, eine öffentliche Spielwiese, einen Sinnes-
Mehrzweckraum, gewerblicher Küche und Terras-                         garten für Menschen mit Einschränkungen, dazu
se unter einem grossen Vordach. In Abstimmung                         Raum für die Mitgestaltung durch Bewohnende,
mit der Stadt wurde ein breiter Wohnungsmix                           beispielsweise Nutzgärten.
bestimmt. Innen- und Aussenräume sollten
hindernisfrei, die Küchen und Bäder für Personen                      In jedem Haus sollte es einen Gemeinschaftsraum
mit eingeschränkter Mobilität eingerichtet oder                       geben mit je eigener Funktion für die ganze Sied-
zumindest anpassbar sein. Menschen vom Klein-                         lung. Ein Café mit Waschsalon und Siedlungsbüro
kind bis ins hohe Alter, mit oder ohne Beeinträch-                    der Genossenschaft sollte als Info-Drehscheibe,
tigungen, Singles, Wohngruppen und Familien                           zur Koordination der Nachbarschaftshilfe sowie
von konventionell über alleinerziehend bis zu                         als Anlaufstelle bei Problemen dienen.

                                                                      Die Genossenschaft knüpfte Beziehungen zu
                                                                      Personen, die an einer Wohnung interessiert
 Planerteam                                                           waren, und zu lokalen Dienstleistern im Bereich
 Konzept: Projektteam GenerationenWohnen                              Alter, Gesundheit und Soziales, darunter das
 (bis 2018): Verena Szentkuti, Walter Hunziker,                       Regionalspital Burgdorf, die regionale Spitex und
 Urs Siegenthaler, Bächtold & Moor AG                                 das Paraplegikerzentrum Nottwil, das Woh­
 Architektur (Bauprojekt):                                            nungen für Personen im Rollstuhl suchte. Diese
 Walter Hunziker und Urs Siegenthaler                                 Dienstleister sollten im Erdgeschoss unterstüt-
 Architektur (Ausführung):                                            zende Angebote eröffnen. Angedacht waren ein
 Walter Hunziker und Daniel Mani Architekten AG                       Spitexbüro, Therapieräume, eine Pflegewohnung
 Landschaftsarchitektur: Moeri & Partner AG                           oder Tagesstätte, eine Arztpraxis, eine Krippe und
 Totalunternehmung: Losinger Marazzi AG                               mehrere kleine Geschäfte. Die Mietpreise inklusi-
 Investorin: Gebäudeversicherung Bern                                 ve einer Pauschale für die gemeinschaftlichen
 Betriebsgenossenschaft:                                              Aufwendungen sollten sich im oberen Bereich des
 bis 2018: Genossenschaft GenerationenWohnen                          mittleren örtlichen Preissegments für Neubauten
 seit 2018: GeWo Burgdorf Genossenschaft                              bewegen, da die Siedlung mit all diesen Angebo-
                                                                      ten eine überdurchschnittliche Wohnqualität bot.

                                                  Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                                  8
Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Welchen allgemeinen Nutzen sich die Stadt
erhoffte, zeigt folgende Passage aus der Über­
                                                                 Daten Planungsprozess und Bau
bauungsordnung Thunstrasse:
                                                                 Nullerjahre Planung Mehrgenerationensiedlung
  «Mit diesem Wohn- und Lebenskonzept kann auch                              Toracher in Muri BE
  dem stetig wachsenden Mangel an Pflege- und                    2008		Gründung Genossenschaft
  Betreuungspersonen entgegengewirkt werden,                           Generationen­Wohnen als Trägerschaft
  können Kosten gespart und kann vor allem ein                   2009		Volks-Nein zur Gesamtortsplanungs­
  Beitrag an die Gesundheitsförderung der Sied-                        revision Muri
  lungsbewohnenden geleistet werden. (…) Hinter-                 2010		Ideenwettbewerb für Siedlung in
                                                                       Burgdorf
  grund für das Konzept sind die sich ändernden und
  in Zukunft noch verstärkt auftretenden Bedürfnis-              2011–13		 Marktstudie, Landkauf, Projektentwick-
                                                                           lungsvereinbarung mit GU Losinger
  se und Wünsche unserer Gesellschaft: Möglichst
                                                                 2013		         Baueingabe, Einsprachen
  grosse Autonomie beim Wohnen, auch im höheren
                                                                 2014		         Ablehnung der Einsprachen gegen
  Alter oder bei Behinderungen; Verbleib in der
                                                                                Bauprojekt; Werkvertrag mit Losinger-
  gewohnten Wohnform und Wohnumgebung, auch
                                                                                Marazzi; Einsprachen gegen Über­
  bei zunehmendem Bedarf an Unterstützung;                                      bauungsordnung; Investorensuche,
  Stärkung des Kontaktes zwischen den Generatio-                                Generalmietvertrag mit GVB
  nen und gegenseitige Nutzung der Ressourcen auf                2016		         Ablehnung aller Einsprachen
  freiwilliger Basis; Teil sein eines sozialen Netzes            2017		Baubeginn
  zur Vermeidung von Vereinsamung.»3                             2018		         Rücktritt der Genossenschaft Genera­
                                                                                tionenWohnen vom Generalmietvertrag;
Eine Investorin kauft die Siedlung                                              GVB beauftragt Lubana AG mit Ver­
Zwei Drittel des Baulandes gehörten der Stadt, ein                              mietung und Verwaltung, GVB gründet
Drittel zwei privaten Eigentümerinnen. Diesen                                   GeWo Burgdorf Genossenschaft,
                                                                                GVB beauftragt Gemeinwesenarbeit von
Teil konnte die Genossenschaft erst nach langen
                                                                                Pro Senectute Bern mit Aufbau und
Preisverhandlungen und durch Vermittlung der                                    Moderation einer Siedlungsorganisation
Stadtbehörden zum übrigen Bauland hinzufügen.                                   der Mietenden; Fertigstellung der
Die Finanzierung der baulichen Projektentwick-                                  Überbauung
lung übernahm das Totalunternehmen Losinger                      Feb. 2019      Bezug der ersten Wohnungen, Start der
(heute Losinger Marazzi). Die Genossenschaft                                    Moderation durch Pro Senectute
schloss mit ihr 2013 eine Projektentwicklungsver-
einbarung ab. Diese definierte auch die Mietbe-
dingungen und den Generalmietzins für die
Siedlung, den die Genossenschaft dem künftigen
Investor zu entrichten hatte.
                                                               «Nachhaltige Quartiere» der Bundesämter für
Die Planer der Genossenschaft und des General-                 Raumentwicklung und für Energie aufgenommen.
unternehmens erarbeiteten gemeinsam die
aufwendigen Nachweise für die Anforderungen                    Die Totalunternehmung suchte einen Investor,
der Planungszone für «experimentelles Wohnen»,                 der den Bau finanzieren und die Siedlung als
darunter ein ökologisches Gesamtkonzept und                    Ganzes der Genossenschaft vermieten würde. Die
ein Betriebskonzept. Es sah vor, dass die Mieterin-            Wahl fiel auf die Gebäudeversicherung Bern
nen und Mieter Mitglieder der Genossenschaft                   (GVB). Diese interessierte sich für die Siedlung, da
würden. Diese sollte die Siedlung verwalten und                die meisten ihrer Liegenschaften im Raum Bern
die gemeinschaftliche Organisation des Sied-                   stehen und sie ihr Portfolio regional diversi­
lungslebens und der Gemeinschaftsräume koordi-                 fizieren möchte und weil sie bereits Erfahrungen
nieren. Das Projekt wurde 2014 ins Programm                    mit Baugenossenschaften sammeln konnte.

                                           Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                           9
Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
Rekurse, Ernüchterung und Rückzug der                      150 neue Wohnungen von hoher Qualität. Der
Gründergenossenschaft                                      Leerwohnungsbestand stieg. Gleichzeitig fielen
Trägerschaft und Stadt führten gemeinsam gut               die Hypothekarzinsen. Beides führte zu sinken-
besuchte öffentliche Info-Veranstaltungen durch.           den Mieten für Neubauwohnungen.
Trotzdem erhoben Nachbarn Einsprache gegen
das Bauprojekt und die Überbauungsordnung, um              Das brachte die Genossenschaft Generationen-
die Wiese vor ihren Einfamilienhäusern mög-                Wohnen in Bedrängnis. Ihre aus Finanzfachleu-
lichst lange freizuhalten. Die Rekurse wurden              ten zusammengesetzte Arbeitsgruppe «Kosten
abgelehnt, verzögerten das Projekt aber um fast            und Finanzierung», die auch nicht bauseitige
zwei Jahre. In dieser Phase und während der                Investitionen in die Gemeinschaftsräume, deren
folgenden Bauzeit veränderte sich das gesamte              Betriebskosten und die geplante Animationsstelle
Preisgefüge: In Burgdorf zog nach langem Still-            einkalkulierte, und Architekt Hunziker, der
stand der Wohnungsbau an. Vor dem Boom hatte               fortlaufend die Mietpreise berechnete, fürchte-
die Baudirektion eine Ortsplanungsrevision                 ten, auf einem Teil der Wohnungen sitzen zu
durchgeführt und im städtischen Baureglement               bleiben, wenn die Mieten nicht an die neue Kon-
auf Industriebrachen und Baulandreserven über              kurrenz angepasst wurden. Doch der Spielraum
dreissig Zonen mit Planungspflicht eingerichtet.           war eng. Der für zwanzig Jahre abgeschlossene
Sie erlaubten der Stadt eine Mitsprache bei                Generalmietvertrag mit der GVB legte einen fixen
der Planung und damit eine Qualitätskontrolle.
In der Folge entstanden nun jedes Jahr 120 bis
                                                                                   Gedeckte Vorzonen bei den Haus-
                                                                                   eingängen fördern Begegnungen.

                                       Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                      10
Mietbetrag für die ganze Siedlung fest. Auf der
Kostenseite liess sich zu diesem Zeitpunkt nicht
                                                               GVB als Immobilien-Investorin
mehr viel sparen – und die gewählte Bauweise
                                                               Die 1807 gegründete Gebäudeversicherung
war nicht besonders günstig.
                                                               Bern (GVB) versichert die rund 400 000 Gebäude im
                                                               Kanton gegen Feuer- und Elementarschäden. Um den
Die Genossenschaft versuchte, mit der GVB eine                 Gebäudebesitzern auch in Jahren mit hohen Elemen-
deutlich tiefere Gesamtmiete auszuhandeln. Laut                tarschäden eine unbeschränkte Schadendeckung
Verena Szentkuti wäre nach wie vor eine mass­                  und günstige Prämien bieten zu können, legt sie das
volle Rendite möglich gewesen. Doch der vorge-                 Versicherungskapital in Obligationen, Aktien und
                                                               Immobilien an. Letztere spielen eine wichtige Rolle:
schlagene Preisabschlag war der GVB zu hoch; es
                                                               Bei Katastrophen mit hohen Schäden können rasch
gelang nicht, sich auf einen Betrag zu einigen,
                                                               Hypotheken auf die Liegenschaften aufgenommen
den die Genossenschaft GenerationenWohnen als                  und damit versicherte Schäden gedeckt werden.
zahlbar erachtete. Da sie über wenig Kapital                   Um die Belehnung in normalen Jahren tief halten zu
verfügte und die Kosten von Leerständen für sie                können, müssen die Liegenschaften eine mass­volle
nicht tragbar gewesen wären, sah sie sich ge-                  Rendite abwerfen. Als öffentlich-rechtliche Insti­tution
zwungen, im März 2018 vom Generalmietvertrag                   strebt die GVB jedoch nicht einen maximalen Profit,
                                                               sondern Stabilität und langfristige Sicherheit an.
mit der GVB zurückzutreten.
                                                               Mit ihrer Klimastrategie 2020+ verpflichtet sich die
                                                               GVB, den CO2-Verbrauch zu reduzieren.
Die Überbauungsordnung erlaubte einen Anteil                   Für den Bereich Immobilien wurde das Ziel «keine
Mietflächen für Dienstleistungen, die «Unter­                  fossilen Brennstoffe bis 2035» definiert. Damit
stützung und Hilfe für die Gesundheit und das                  stehen bei allen Gebäuden und insbesondere
Wohlbefinden der Menschen in der Siedlung                      Neubauten ökologische Nachhaltigkeit und Umwelt-
                                                               kriterien im Vordergrund.
anbieten.»4 Allerdings hatte sich schon vor Bau-
beginn gezeigt, dass infolge der grossen Verzöge-
rung durch die Rekurse nur noch eine mässige
Nachfrage nach solchen Gewerberäumen bestand.
Eine Krippe war unterdessen im Spital gegenüber              damit die Burgdorfer Immobilienverwaltung
entstanden, die regionale Spitex befand sich in              Lubana AG. Die Stadt Burgdorf bestand darauf,
einer Sparrunde, und für den Ausbau und Betrieb              dass die Überbauungsordnung umgesetzt wurde,
der geplanten Demenz-Wohngruppe waren die                    denn diese war eine Bedingung gewesen für die
Auflagen des Kantons so hoch, dass höhere                    Bewilligung des Projekts und den Verkauf des
Kosten als geplant entstanden wären. So wurden               städtischen Areals. Darin steht:
die Erdgeschosse, abgesehen von den vier Ge-
meinschaftsräumen, als Wohnungen ausgebaut,                     «Die Umsetzung der Ziele des Generationen­
und auf das einstöckige Gemeinschaftshaus                       Wohnens wird durch eine Betriebsorganisation mit
wurde in der Baueingabe verzichtet. An seiner                   genossenschaftlichen Strukturen gewährleistet.
Stelle bewilligte die Stadt eine zeitlich begrenzte             (…) Im zukünftigen Betrieb wird grundsätzlich auf
Nutzung als Parkplatz. Das Baufeld stünde aber                  die Ressourcen der Siedlungsbewohnenden zurück-
nach wie vor für Gemeinschaftsnutzungen zur                     gegriffen, allenfalls mit Unterstützung durch
Verfügung.                                                      externe Fachpersonen.»5

Neue Betriebsgenossenschaft als                              Die GVB klopfte bei bestehenden Baugenossen-
Top-down-Gründung                                            schaften an, doch diese zeigten sich nur an einem
Mit dem Rückzug der Gründergenossenschaft                    Kauf der Siedlung interessiert. Da die GVB diese
stand die Besitzerin GVB vor einer völlig neuen              behalten wollte, musste sie nun selber eine Ge-
Situation: Ein halbes Jahr vor der Fertigstellung            nossenschaft gründen und die Mieterinnen und
war ihre Generalmieterin weg, sie musste die                 Mieter dazu animieren, ein Gemeinschaftsleben
94 Wohnungen selber vermieten. Sie beauftragte               zu organisieren.

                                         Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                        11
Bauten, Räume, Aussenraum

Ein bunter Wohnungsmix, vier                     Wohnbauten mit Begegnungsräumen
Gemeinschaftsräume, eine Gäste-                  Vier freistehende viergeschossige Gebäude stehen
                                                 um einen zentralen Platz. Brüstungsbänder aus
wohnung, grosszügige Treppen­                    Holzlatten ziehen sich in den Obergeschossen um
häuser, gedeckte Hauseingänge und                die hell verputzten Würfel. In allen Häusern sind
ein aussergewöhnlich vielfältiger                Wohnungen unterschiedlicher Grösse und Form
                                                 gemischt, damit auch innerhalb der Häuser ein
und einladender Aussenraum för-                  Generationenmix entstehen kann, alle Häuser
dern Begegnungen. Die Bauweise der               sind rollstuhlgängig. Jedoch hat jedes seine
Häuser und ihre Vorbereitung für                 Spezialität: Nr. 22 beherbergt Wohngemeinschaf-
                                                 ten für Personen mit Beeinträchtigungen, Nr. 24
technische Wohnhilfen waren auf-                 enthält viele Kleinwohnungen, in den Nrn. 26
wändig, die Wohnungsgrundrisse                   und 28 finden sich mehr Familienwohnungen, in
sind nicht überall gelungen.                     Nr. 28 liegen sie jeweils neben einer Kleinwoh-
                                                 nung («Stöckli-Modell»). Die Bauweise mit Beton-
                                                 decken, tragenden Aussenmauern aus Backstein
                                                 und Zwischenwänden aus Betonschalen-Elemen-
                                                 ten ist massiv. Die Gebäude im Minergie-Eco-
                                                 Standard mit kontrollierter Lüftung werden vom
                                                 Fernwärmenetz Burgdorf-Süd geheizt.

                                                 Die schachbrettartige Anordnung der Bauten
                                                 ermöglicht Fernblicke in die Landschaft und
                                                 minimiert Einblicke in die Wohnungen von
                                                 Gegenüber. Die kleineren Wohnungen haben
                                                 französische Balkone – raumhohe Glastüren mit
                                                 Geländer und einem kleinen Vorsprung aus
                                                 der Fassade, auf dem Pflanzentöpfe Platz finden.
                                                 Die grösseren Wohnungen haben an den Gebäude­
                                                 ecken Balkone, die auch als Kontaktstellen
                                                 zwischen den Häusern gedacht sind. Die Balkone
                                                 sind eher klein, dafür lockt der Aussenraum mit
                                                 viel Aufenthaltsqualität, was Begegnungen
                                                 fördert. Auch die Anordnung der Hauseingänge
                                                 auf der Innenseite der Siedlung fördert Kontakte.

                             Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                            12
Zentrale, von oben natürlich belichtete Treppen-             der Möglichkeit zur Nachrüstung mit den am
häuser mit umlaufenden Podesten auf den Etagen               häufigsten benötigten Hilfseinrichtungen für
und regengeschützte Hauszugänge dienen als                   ältere Bewohnende sowie für jüngere mit Beein-
Begegnungszonen. Jedes Haus verfügt über einen               trächtigungen. So weit wie möglich wurden sie
Gemeinschaftsraum. Sie liegen von aussen gut                 auf bestehende Normen, Richtlinien und Empfeh-
einsehbar neben dem Hauseingang, haben je eine               lungen abgestützt. Alle Duschräume haben die
eigene Funktion und dienen der ganzen Siedlung.              Minimaldimensionen der «Norm SIA 500 Hinder-
Das gilt auch für die Gästewohnung mit zwei                  nisfreie Bauten», basieren aber auf der in Alters-
Zimmern und Küche.                                           heimen üblichen Anordnung von WC und Lavabo
                                                             in der Diagonale wegen der praktischeren Benut-
Die Planenden betrieben viel Aufwand für roll-               zung mit Rollatoren. Alle Nasszellen wurden mit
stuhlgängige Bäder und Küchen und technische                 Ausholzungen in den Wänden für die Montage
Hilfen, die das Wohnen bei eingeschränkter Mo-               von Haltegriffen vorbereitet, damit sie bei Bedarf
bilität erleichtern, wie etwa tief liegende Licht-           gemäss SIA 500 nachgerüstet werden können.
schalter oder extra starke Duschstangen, die als             Von Anfang an wurde dies in den WG-Wohnun-
Haltegriffe taugen. Das Planungsteam wollte                  gen im Haus Nr. 22 umgesetzt, hier sind die
insbesondere die Nasszellen so planen, dass sie              Nasszellen gemäss SIA 500 ausgerüstet und die
ein breites Spektrum von speziellen Bedürfnissen             Duschen bodeneben ausgeführt, die Montage von
und auch die ästhetischen Ansprüche der «Nor-                Klappgriffen ist vorbereitet.
malverbraucher» in einem vernünftigen Kosten-
rahmen abdecken konnten. Sie erarbeiteten eine
                                                                                      Die versetzte Anordnung der Bau-
differenziert abgestufte Nasszellentypologie mit                                      ten öffnet lange Sichtachsen und
                                                                                      teilt den Aussenraum in Nischen mit
                                                                                      unterschiedlichem Charakter.

                                         Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                        13
Variantenreiche Grundrisse:
                                                                     – EG Haus Nr. 22 (oben) mit gedeck-
                                                                        ter Vorzone und Gemeinschafts-
                                                                        raum beim Hauseingang.
                                                                     – OG Haus Nr. 28 (unten links) mit
                                                                        Familien- neben Kleinwohnungen
                                                                        («Stöckli-Modell»).
                                                                     – OG Haus Nr. 22 (unten rechts)
                                                                        mit einer WG-Wohnung mit einem
                                                                        Bad pro Zimmer.

                                                                     An den Treppenhäusern liegen bis
                                                                     zu sieben Wohnungen pro Etage.
                                                                     Die Eckwohnungen weisen lange
                                                                     Flure auf.

                                                                       Erschliessung
    1m           2m        4m
                                                                       Gemeinschaftsraum
                                                                       1,5-Zimmer-Wohnung
                                                                       2,5-Zimmer-Wohnung
                                                                       3,5-Zimmer-Wohnung
                                                                       4,5-Zimmer-Wohnung
                                                                       WG-Wohnung

                                                                                        0   1   2   4m

0        1   2        4m

                                Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                               14
Die so gewählte Basisausrüstung liegt zwar weit              Bei den Grundrissen fallen die zahlreichen
unter den Kosten einer Vollausrüstung, hat aber              schmalen Flure in den Wohnungen auf, die wenig
ihren Preis. Das gilt auch für die grosse Vielfalt           Wohnwert bringen. Sie sind das Resultat einer
der Wohnungstypen, die der Rationalisierung                  Sparrunde, das ursprüngliche Projekt hatte
beim Bau enge Grenzen setzte. Um dies etwas zu               grosszügigere Erschliessungen in den Wohnun-
kompensieren, wurden fast alle Wohnungen mit                 gen vorgesehen.
der gleichen Küchenzeile ausgestattet, wodurch
nun Familien eher zu wenig Stauraum vorfinden.

                                                                                    Blick in die Wohnungen; oben rechts
                                                                                    der Koch-/Ess-/Wohnbereich einer
                                                                                    Eckwohnung mit verglaster Loggia.

                                         Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                        15
Vielfältiger Aussenraum                                       Um eine hohe Biodiversität zu erreichen, wurden
Der Aussenraum bietet schöne Ecken für ver-                   die älteren Laubbäume und eine Wildhecke mit
schiedene Bedürfnisse, er ist für Bewohnende                  einheimischen Hecken, Einzelsträuchern, Hoch-
jeden Alters und mit eingeschränkter Mobilität                stamm-Obstbäumen und artenreichen Wiesen
barrierefrei zugänglich und offen gegen das                   ergänzt. Starke Niederschläge verwandeln begras-
Quartier. Die Anordnung der Häuser unterteilt                 te Rückhaltesenken in Teiche, was den Wösch­
das Areal in mehrere Teile mit je eigenem Charak-             hüslibach entlastet.6 Schon im ersten Jahr haben
ter. In der Mitte der Siedlung ist ein Platz als              Bewohnende mit der Anlage eines Nutzgartens
Treffpunkt und für Veranstaltungen eingerichtet.              begonnen. Eine Veloroute und die B ­ uslinie zum
Bäume und eine Pergola spenden Schatten, ein                  Bahnhof Burgdorf führen an der Siedlung vorbei,
Brunnen plätschert, Mäuerchen und Stühle laden                die Bahnstation Steinhof an der Emmental-Linie
zum Sitzen ein, Tische zum Essen und Arbeiten                 liegt in Gehdistanz. Ein Mobility-Auto steht bereit,
sind vorhanden. Auch an anderen Orten in der                  GeWo-Mitglieder bezahlen nur gefahrene Kilo­
Siedlung stehen Sitzbänke. Es gibt eine öffentli-             meter, die Mitgliedergebühr übernimmt die GVB.
che Spielwiese, einen Spielplatz, eine Feuerstelle,
ruhige Ecken und ein Auenwäldchen am
                                                              Situationsplan: Die GeWo-Siedlung zwischen Bahndamm und
Wöschhüslibach.                                               Wöschhüslibach. In der Mitte der Dorfplatz und die Garagen­
                                                              einfahrt, rot markiert die vier Gemeinschaftsräume (in Haus
                                                              Nr. 28 das Café), bei Haus Nr. 22 der Parkplatz anstelle des
                                                              geplanten Gemeinschaftspavillons und ein separater Garten
                                                              für die nicht realisierte Pflegewohngruppe; Mst. 1 : 1000.

                                          Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                         16
Kosten, Mieten, Nachfrage

Ein breiter Mietpreisfächer begüns-                Kosten und Mietpreise
                                                   Die GVB investierte rund 33 Mio. Franken in die
tigt die angestrebte soziale Durch-
                                                   Siedlung, ausschliesslich Eigenkapital. Auf der
mischung. Günstige Kleinwohnun-                    Kostenseite stehen nebst Unterhalt, Heizung und
gen sind ein Trumpf der Siedlung.                  Gebühren das Mandat der Lubana AG für die
                                                   professionelle Vermietung, Verwaltung und
Hingegen sind die Familienwohnun-
                                                   Hauswartung, ein Mandat der Pro Senectute Bern
gen nur schwer zu vermieten. Neben                 für die Moderation des Siedlungslebens sowie
ihrem Preis spielen ihre eher knappe               der Aufwand für den Aufbau der Betriebsgenos-
                                                   senschaft und deren Aktivitäten. Drei Prozent
Fläche, teilweise ungünstige Grund-
                                                   der Wohnungsmieten fliessen ins Budget der
risse und eine wenig überzeugende                  Genossenschaft. Einen Teil davon können die Be-
Vermarktung eine Rolle.                            wohnenden für gemeinsame Anschaffungen
                                                   oder Veranstaltungen einsetzen. Ein Beitrag der
                                                   Age-Stiftung kann für die Förderung der Gemein-
                                                   schaft verwendet werden.7

                                                   Die Mietpreise bewegen sich in einem breiten
                                                   Fächer. Die 1 1/2- und die kleineren 2 1/2-Zimmer-
                                                   Wohnungen sind günstig und auch für Personen
                                                   bezahlbar, die Ergänzungsleistungen beziehen.
                                                   Daneben gibt es einige grosse 2 1/2- und einen
                                                   hohen Anteil an 3 1/2-Zimmer-Wohnungen, die
                                                   nicht günstig sind. Für eine Mehrgenerationen-
                                                   siedlung gibt es eher wenig Familienwohnungen,
                                                   diejenigen mit 4 1/2-Zimmern sind mit 90 m²
                                                   für heutige Verhältnisse klein. Die drei 6-Zimmer-
                                                   Wohnungen sind teuer und haben für den Ge-
                                                   brauch als herkömmliche Wohnung einen
                                                   ungünstigen Grundriss. Sie wurden gezielt für
                                                   Vierer-WGs geplant, mit je vier Nasszellen nach
                                                   SIA 500, speziell auch geeignet für Menschen
                                                   mit Beeinträchtigungen und für begleitetes
                                                   Wohnen, und sind samt Sanitäranschlüssen für
                                                   eine optionale Aufteilung in zwei unabhängige
                                                   Wohnungen vorbereitet.

                               Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                              17
Schwache Nachfrage und die Gründe                             die Rendite bei grösseren und teuren Wohnungen
Im November 2018 begann die Vermietung der                    höher ist. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigt,
Wohnungen. Zuständig dafür ist die Lubana AG.                 dass Personen und Ehepaare, die eine Wohnung
Die 1 1/2- und die günstigeren der 2 1/2-Zimmer-              für das hohe Alter suchen, die Wohnfläche
Wohnungen waren gefragt, doch bei den übrigen                 reduzieren wollen. Sie legen dafür Wert auf eine
Wohnungen lief die Vermietung schlecht. Inter­                zentrale Lage mit Infrastruktur und ÖV-An-
esse zeigten vor allem Ein- und Zweipersonen-                 schluss. Die Nachfrage nach grossen Alterswoh-
haushalte von 20 bis 70 Jahre, hingegen kaum                  nungen ist dagegen klein. Doch warum gelingt
Familien. Nach einem Jahr war erst etwas mehr                 es der GeWo-Siedlung nicht, mehr Familien
als die Hälfte der Wohnungen vermietet, nach                  anzu­ziehen? Mit ihrem vielfältigen Aussenraum,
eineinhalb Jahren stand noch ein Drittel leer,                den Gemeinschaftsräumen, der Möglichkeit zur
nach zweieinhalb Jahren noch immer ein Fünftel,               Mitsprache und mit ihrer Lage bietet sie für
obwohl die GVB in der Zwischenzeit die Mieten                 Familien eigentlich gute Qualitäten. Ein Grund
gesenkt hatte.8 Erste Mietende zogen wieder weg,              ist wohl die Grösse der Wohnungen: Die 4 1/2-
vor allem jüngere Paare, deren Lebenssituation                Zimmer-Wohnungen sind mit 90 m² Fläche
sich änderte. Der Versuch, die 6-Zimmer-Woh-                  kleiner als heute üblich. Das ist ein Beitrag an die
nungen zimmerweise zu vermieten, verursachte                  heute nötige Beschränkung des Wohnflächen­
zu viel Aufwand.                                              verbrauchs pro Kopf. Doch dass man weniger
                                                              privaten Raum braucht, weil man Aktivitäten wie
Gründe für die harzige Vermietung gibt es eine                Fitness, Basteln oder private Feiern in den Ge-
ganze Reihe: In der Region ist die Nachfrage nach             meinschaftsräumen ausüben und Besuch in der
Wohnraum im Vergleich zu den Agglomerationen                  Gästewohnung unterbringen kann, ist noch ein
Bern oder Zürich generell schwach. Im gleichen                ungewohnter Gedanke, der Mietinteressenten
Jahr wie die mit zweijähriger Verspätung fertig-              überzeugend erläutert werden müsste.
gestellte GeWo-Siedlung wurden in Burgdorf zwei
weitere Siedlungen fertig. Sie liegen direkt am               Der Teufel steckt aber auch in den Details. Die
Bahnhof Steinhof, bieten attraktive Architektur,              Gruppe der Projekt-InitiantInnen bestand zum
Gemeinschaftsleben, Mitwirkung und teilweise                  grossen Teil aus Personen im Pensionsalter. Sie
günstigere Wohnungen. Sie stiessen auf grosse                 dominierten bei der Planung der Gebäude, beim
Nachfrage, es gab sogar Wartelisten. Seither                  Erstellen des Betriebskonzepts und bei der Öffent-
wurden in Burgdorf noch mehr Wohnsiedlungen                   lichkeitsarbeit. Entsprechend viel Aufmerksam-
gebaut und weitere sind in Planung.                           keit erhielten Qualitäten für Personen im Alter
                                                              und mit Beeinträchtigungen. Junge Familien
Dass kleine, günstige, für das Wohnen im Alter                waren in der Genossenschaft nicht aktiv, ihre
geeignete Wohnungen gefragt sind, gilt in der                 Bedürfnisse sind zu wenig eingeflossen. Dadurch
ganzen Schweiz. Der private Immobilienmarkt                   hat das Projekt eine Schlagseite hin zur Alters-
deckt die Nachfrage in diesem Bereich nicht, da               siedlung erhalten. Auffällig ist dies bei den 4  1/2-
                                                              und den 6-Zimmer-Wohnungen. Ihre Grundrisse,
                                                              Grösse und Ausstattung sind für Familien zu
                                                              wenig praktisch und attraktiv. Es gilt aber auch
 Wohnungsspiegel mit Monatsmieten                             für das Image des Projekts. Bei seiner Lancierung
 inkl. Nebenkosten9                                           wurde vor allem seine Altersfreundlichkeit
 13 × 1 1/2 Zimmer (31–42 m²)     830–990 Fr.                 betont, viel war von Hindernisfreiheit, techni-
 26 × 2 1/2 Zimmer (46–74 m²)   1000–1860 Fr.                 schen Hilfen, unterstützenden Dienstleistungen
 42 × 3 1/2 Zimmer (64–75 m²)   1350–1820 Fr.                 oder der Nähe zum Spital die Rede. Offenbar
 10 × 4 1/2 Zimmer (89–90 m²)   1910–2090 Fr.                 wurden dadurch die Qualitäten, die das Projekt
  3 × 6 Zimmer (147 m²)         3420–3480 Fr.                 für jüngere Generationen bietet, in der Öffentlich-
                                                              keit zu wenig wahrgenommen.

                                          Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Das Planerteam der Projekt-InitiantInnen legte
viel Gewicht auf eine alters- und behindertenge-
rechte bauliche Ausstattung, auf Vielfalt der
Wohnungsgrössen, gute Bauqualität und genü-
gend Privatheit. Eine speziell günstige Bauweise
stand nicht im Vordergrund. Diese Prioritätenset-
zung führte zu Wohnungsmieten über denen von
vergleichbaren Neubauwohnungen. Angesichts
der sozialen Qualitäten und der geplanten unter-
stützenden Dienstleistungen schien dies gerecht-
fertigt. Doch Kinderkrippe, Arztpraxis, Spitex-
zimmer und Pflegewohngruppe konnten mangels
Nachfrage nicht realisiert werden und fehlen
nun als zusätzlicher Anreiz. Bei den grösseren
Wohnungen führte das zu einem ungünstigen
Preis-Leistungs-Verhältnis.

Zudem fehlt seit dem Ausstieg der Gründergenos-
senschaft jemand, der die sozialen Qualitäten des
Projekts mit Herzblut anpreist. Die Lubana AG,
die Interessierten nicht nur eine Wohnung zeigen,
sondern auch das Betriebskonzept und die Vorzü-
ge der Mitwirkung erklären sollte, hat keine
Erfahrung mit ähnlichen Projekten. Das Wording
und die Agenturfotos auf der Website wirken
unpersönlich, die Menschen hinter dem Projekt
bleiben unsichtbar. So gelingt es nicht, beim
Zielpublikum Vertrauen zu schaffen und eine
Vision vom Zusammenleben der Generationen zu
vermitteln. Neue Mieterinnen und Mieter                      Blick von einem Eckbalkon im
­kommen erst nach dem Einzug mit engagierten                 obersten Stock Richtung Emmental
                                                             und der Sitzplatz einer Eckwohnung
 Bewohnenden in Kontakt.                                     im Parterre.

Auch wenn die GVB langfristig rechnet – die
Leerstände drücken auf die Rendite, und die                  zweiten Kind einen Rabatt gewähren kann. So
Siedlung wird dem Anspruch eines Mehrgenera-                 hofft sie, bald eine oder zwei Familien zu finden,
tionenprojekts noch nicht voll gerecht. Christina            die dann weitere nachziehen könnten. Ob eine
Stampfli, Projektverantwortliche der GVB,                    verbesserte Vermarktung nützt, ob es einfach
­möchte darum nun gezielt Familien ansprechen.               einen langen Atem braucht oder ob letztlich nur
 Sie hat die Mieten der leeren Wohnungen im                  eine Reduktion der Mieten zur Vollvermietung
 zweiten Jahr um rund 150 Franken pro Monat                  führen wird, ist zweieinhalb Jahre nach
 gesenkt, bei der Vermarktung möchte sie die                 Vermietungs­beginn offen.
 Familien- und Kinderfreundlichkeit mehr beto-
 nen und bei Besichtigungen gemeinsam mit
 engagierten Bewohnenden die Gemeinschafts-
 räume besuchen. Sie prüft, ob es Möglichkei-
 ten gibt, die Küchen der grösseren Wohnungen
 nachzurüsten und ob sie Familien ab dem

                                         Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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Altersmix und soziale Durchmischung

Der Generationenmix ist gross, alle                           Altersverteilung
Alter von 0 bis 89 Jahren sind vertre-                        Anfang April 2021 wohnten 101 Personen in der
                                                              Siedlung, bei 94 war das Alter bekannt. Davon
ten. Der Anteil von älteren Men-                              waren 10 Kinder und 38 Erwachsene unter 30 Jah-
schen und von Familien ist aber                               re, 36 Personen waren zwischen 30 und 65 Jahre
noch kleiner als geplant, junge Er-                           alt und 10 Personen älter als 65. Vom Kleinkind
                                                              bis 89 sind alle Generationen vertreten. Die
wachsene sind in der Mehrheit.                                Bewohnerschaft ist aber insgesamt jünger als
Überdurchschnittlich breit ist der                            ursprünglich vorgesehen, nur ein Viertel ist über
soziale Mix: Was Herkunft, Bil-                               50. Auch Familien, Kinder und Jugendliche sind
                                                              untervertreten. Es dominieren junge kinderlose
dungsgrad, beruflichen Hintergrund                            Erwachsene, die allein, als Paar oder in WGs
und Einkommen betrifft, bringt die                            wohnen. Bei ihnen ist die Siedlung beliebt, einige
Siedlung die unterschiedlichsten                              haben Freunde nachgezogen.

Menschen zusammen.                                            Die Genossenschaft GenerationenWohnen hatte
                                                              geplant, die Mieterinnen und Mieter sorgfältig
                                                              auszuwählen. Sie hätte sie vorgängig genau über
                                                              die Ziele, das Konzept und die Organisation der
                                                              Siedlung und über die damit verbundenen Erwar-
                                                              tungen informiert. Wegen der schwachen Nach-
                                                              frage gibt es nun aber keine Triage der Interessier-
Altersverteilung im April 2021                                ten nach Alter oder anderen Kriterien.
(Alter bei 94 von 101 Personen bekannt)

                                                              Grosse soziale Vielfalt
 0–19 Jahre                                12 Personen
                                                              Aussergewöhnlich gross ist die soziale Vielfalt. In
20–29 Jahre                               36 Personen         neuen Genossenschaftssiedlungen leben sonst oft
30–39 Jahre                                19 Personen
                                                              eher homogene Gruppen, häufig aus dem sozial-
                                                              demokratischen und grünen Milieu mit bildungs-
40–49 Jahre                                 4 Personen
                                                              bürgerlichem Hintergrund. In traditionellen
50–59 Jahre                                 9 Personen        Baugenossenschaften dominieren oft bestimmte
60–69 Jahre                                 5 Personen        Berufe wie Eisenbahner oder Angestellte der
                                            5 Personen
                                                              öffentlichen Hand. Weil bei der GeWo-Siedlung
70–79 Jahre
                                                              die Gründergenossenschaft mit ihrer Klientel
80–89 Jahre                                 4 Personen
                                                              abgesprungen ist, ziehen nun Personen ein, die

                                          Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                         20
kein besonderes Interesse am gemeinschaftlichen              Schweiz geflüchtet sind. Einige stehen am Anfang
Konzept haben. Sie suchen schlicht eine Woh-                 ihrer Karriere, andere bringen einen Rucksack
nung in Burgdorf. Die meisten kommen aus der                 voll mit schweren Erfahrungen, aber auch voller
Region.                                                      Erfahrungswissen mit. Nur wenige sind hier, weil
                                                             sie ein Mehrgenerationenprojekt eine gute Idee
Wegen der Vielfalt der Wohnungen und der                     finden. Bei den meisten standen nicht Pull-,
Mietpreise hat sich ein vielfältiger Mix ergeben,            sondern diverse Push-Faktoren hinter dem Um-
was berufliche Hintergründe, Bildungsgrad und                zug. Die Wege, auf denen sie von der GeWo-
Herkunft betrifft. Es mischen sich diverse Lebens-           Siedlung erfahren haben, sind vielfältig.
situationen, Kulturen und Wertvorstellungen.
Etliche Personen mit Beeinträchtigungen haben
hier ein Zuhause gefunden, daneben solche aus
diversen Ländern, und dank einem Verein, der
Wohnungen mietet, auch ein Student aus Syrien
                                                                                     Die Treppenhäuser sind von
und eine Familie aus Afghanistan, die in die                                         oben natürlich belichtet.
                                                                                     Bis zu sieben Wohnungen liegen
                                                                                     auf einem Stockwerk.

                                         Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                        21
Betriebsgenossenschaft, Verwaltung,
Gemeinwesenarbeit

Da die städtische Überbauungs­                      GeWo Burgdorf Genossenschaft – eine
ordnung eine Genossenschaft der                     Top-down-Gründung
                                                    Nach dem Ausstieg der Gründergenossenschaft
Bewohnenden als Trägerin des                        drängte die Zeit. Die Siedlung war bald fertig,
Gemeinschaftslebens festschreibt,                   doch fehlten der GVB die Mieterinnen und M   ­ ieter.
musste die GVB nach dem Abgang                      Sie gründete die von der Stadt verlangte Betriebs-
                                                    genossenschaft schliesslich selber.10 Für die neue
der Gründerinnen und Gründer                        «GeWo Burgdorf Genossenschaft» (GeWo) stellte
eine neue Genossenschaft ins Leben                  sie einen Gründungsvorstand zusammen mit
rufen. Von professioneller Gemein-                  je einer Vertretung der GVB, der Stadtregierung,
                                                    der Verwaltungsfirma Lubana, des Spitexvereins
wesenarbeit unterstützt, fördert sie                und der Localnet AG, die die Region Burgdorf
freiwillige Aktivitäten und Kontakte.               mit Strom, Gas, Wasser, Wärme und Telecom
Die Arbeitsteilung mit der Immo­                    versorgt. Sie achtete dabei auf Vernetzung in der
                                                    Region, hingegen fehlte genossenschaftliche
bilienverwaltung muss laufend im                    Erfahrung. Präsident wurde Christoph Wyss,
Alltag geklärt werden, dabei treffen                Verwaltungsrat der Lubana AG, Vizepräsident
unterschiedliche Verwaltungs-                       Stefan Lucy, Leiter Immobilien der GVB.

und ­Konfliktkulturen aufeinander.                  «Unser Ziel ist, dass die Genossenschaft selbst­
                                                    bestimmt handeln kann. Sie soll beispielsweise
                                                    die Gemeinschaftsräume betreiben und sozio­
                                                    kulturelle Aktivitäten fördern», erklärt Stefan
                                                    Lucy.11 Auch den Aussenraum sollen die Bewoh-
                                                    nenden gemeinsam nach ihren Bedürfnissen
                                                    gestalten. Das wichtigste Ziel ist der Aufbau eines
                                                    generationenübergreifenden sozialen Netzes der
                                                    Bewohnenden zur gegenseitigen Unterstützung
                                                    und zur Erhaltung der Selbständigkeit im Alter.
                                                    Für diese Aufgaben hat die Genossenschaft ein
                                                    Budget, das aus maximal 3 % der Mieteinnahmen
                                                    gespeist wird. Die GVB investierte als Anschub-
                                                    finanzierung und für die Einrichtung des Aussen-
                                                    raums und der Gemeinschaftsräume rund
                                                    120 000 Franken.

                                Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                               22
Alle Mieterinnen und Mieter sind Genossen-
schaftsmitglieder. Da sie nicht wegen der Gemein­             Was ist eine Baugenossenschaft?
schaftsidee hier einziehen, wollten die GVB und               Baugenossenschaften sind Selbsthilfeorganisationen
der Vorstand die Schwelle möglichst niedrig                   zum gemeinsamen Bau von Wohnungen. Sie sind in
halten. Die Mitgliedschaft ist gratis und es gibt             der Regel gemeinnützig und steuerbefreit. Die
keinerlei Verpflichtung zu Freiwilligenarbeit.                Wohnungsmieten entsprechen dann der Kostenmiete,
Die Mitglieder haben aber das Stimmrecht an der               d. h. sie decken nur die Kosten, die durch Landkauf,
                                                              Hypotheken, Bau, Unterhalt und Verwaltung entste-
Generalversammlung. «Bei der GeWo muss sich
                                                              hen, einen Profit erzielt niemand. Darum werden
niemand engagieren», sagt Christina Stampfli von
                                                              Genossenschaftswohnungen im Vergleich zu privaten
der GVB. «Im Vordergrund stehen darum nicht                   Mietwohnungen jedes Jahr ein paar Prozente günsti-
Leistungen wie Nachbarschaftshilfe, sondern das               ger. Bei Mieter-Baugenossenschaften sind die
gemeinschaftliche Zusammenleben: Begeg­                       Mieterinnen und Mieter Genossenschaftsmit­glieder
nungen, Anlässe und Freizeitaktivitäten». Nach-               und damit gemeinsame Besitzer aller Wohnungen und
barschaftshilfe soll nicht in geführter Form                  Siedlungen. Beim Einzug kaufen sie Anteilscheine
                                                              (ihren Anteil am Besitz), in der Regel für einen tiefen
organisiert werden, sondern von selber wachsen
                                                              fünfstelligen Betrag, den sie bei Austritt zurückerhal-
zwischen Personen, die sich mögen.                            ten. Genossenschaften sind demokratisch organisiert,
                                                              die Mitglieder wählen den Vorstand an der jährlichen
Das sieht auch Christa Schönenberger so. Die                  Generalversammlung.
Soziokulturelle Animatorin ist Projektleiterin                Baugenossenschaften entstanden in der Schweiz in
Gemeinwesenarbeit bei Pro Juventute Bern                      drei Wellen: Vor und nach dem Ersten Weltkrieg als
und leitet in der GeWo-Siedlung die Moderation                Selbsthilfe von Arbeitern gegen den Mangel an
der Mietenden und den Aufbau einer Siedlungs-                 bezahlbaren Wohnungen vor allem in Deutschschwei-
organisation. Nach ihrer Einschätzung hätte                   zer Städten. Dann 1942–1950, als Bund, Kantone und
                                                              Städte aus Angst vor einer neuerlichen Wohnungsnot
das ursprüngliche Betriebskonzept niemals
                                                              den genossenschaftlichen Wohnungsbau subventio-
funktioniert. Es habe zwar auch keine Verpflich-              nierten. Die dritte Welle dauert seit den 1980er-Jah-
tung zu einem Einsatz für die Gemeinschaft                    ren an und ist vor allem durch die Suche nach alterna-
vorgesehen, aber viel zu hohe Erwartungen an                  tiven Wohnformen motiviert. Genossenschaften
das freiwillige Engagement der Bewohnenden                    entstehen nun auch ausserhalb der Städte. Sie sind
enthalten.                                                    viel­fältig, innovativ und bleiben oft klein, manche
                                                              bauen z. B. nur eine Alterssiedlung. Mit neuen Kombi-
                                                              nationen von Nutzungen inspirieren sie die älteren
Immobilienverwaltung
                                                              Baugenossenschaften und animieren sie zum Bau von
Aus der Geschichte der Siedlung hat sich eine                 neuen Siedlungen.
komplexe Organisation für den Betrieb ergeben.
                                                              Dass eine Siedlung in privatem Besitz eine Betriebs-
Nach dem Wegfall der Gründergenossenschaft
                                                              genossenschaft hat, die das Gemeinschaftsleben
brauchte die GVB für Vermietung, Verwaltung                   organisiert wie die GeWo Burgdorf, ist ein Sonderfall.
und Unterhalt der Siedlung eine Immobilienver-                Die Rechtsform Genossenschaft ist für diesen Zweck
waltungsfirma. Sie sollte in Burgdorf verwurzelt              eigentlich zu aufwändig. Die Auf­gabe in Burgdorf
sein. Die Lubana AG ist eine erfahrene und lokal              könnte auch ein Verein übernehmen, bei dem Grün-
bestens vernetzte Immobiliendienstleisterin. Sie              dung, Statuten, Organisation und Buchhaltung
                                                              einfacher sind. Die genossenschaftliche Form wurde
hatte aber keine Erfahrung mit Mehrgeneratio-
                                                              hier gewählt, weil es in der Überbauungsordnung und
nenprojekten, Selbstorganisation und Mitsprache               in der Baubewilligung so festgelegt war.
von Bewohnenden und war mit den Grundsätzen
der heutigen Gemeinwesenarbeit nicht vertraut.
Ihr Verwaltungsrat Christoph Wyss engagierte
sich jedoch stark in der neu gegründeten GeWo
Burgdorf Genossenschaft. Er schrieb ein Konzept-
papier, übernahm das Präsidium und verfasste
die Charta und weitere Grundlagenpapiere.

                                        Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                       23
Viele Akteure – unklare Schnittstellen
                                                              Wegen der vielen Beteiligten war der Aufwand
                                                              für Kommunikation und Koordination vor allem
                                                              im ersten Jahr gross. Die GVB hat noch wenig
                                                              Erfahrung mit genossenschaftlichen Strukturen
                                                              und verfügt nicht über ein Modell, das bereits
                                                              bewährt wäre, zur Organisation, Kommunikation
                                                              und Arbeitsteilung zwischen ihr als Besitzerin,
                                                              der Verwaltungsfirma, der Hauswartung und der
                                                              Genossenschaft der Mietenden. Vielmehr muss
                                                              sie laufend ausprobieren, was funktioniert und
                                                              was nicht.

Begegnung bei den Briefkästen                                 Das Nebeneinander einer Verwaltung und einer
in der gedeckten Vorzone vor dem
Hauseingang.                                                  Siedlungskoordination durch soziokulturelle
                                                              Animatorinnen war vor allem für die Bewohnen-
                                                              den verwirrend. Was sollten sie selber machen,
                                                              welche Anliegen mussten sie an die Verwaltung
Die Lubana AG besorgt auch die Geschäftsfüh-                  richten und welche mit Christa Schönenberger
rung der Genossenschaft. Mit der Hauswartung                  oder in einer Arbeitsgruppe besprechen? Was war
beauftragte sie einen Liegenschaftsdienst.                    Sache der Hauswartung, was nicht? Wo ist die
                                                              Grenze zwischen Unterhalt des Aussenraums und
Gemeinwesenarbeit und Soziokultur                             seiner Gestaltung durch die Bewohnenden?
Weil die Bewohnenden keine Erfahrung mit                      Im ersten halben Jahr wurde Schönenberger zur
Selbstorganisation haben, hat die GVB die Ge-                 Ansprechperson für sämtliche Fragen der Be­
meinwesenarbeit der Pro Senectute Bern beauf-                 wohnenden, auch bei technischen Problemen. Sie
tragt, sie beim Aufbau einer Siedlungsorganisa-               engagierte sich stark, denn es half ihr beim
tion und des Gemeinschaftslebens zu begleiten.                Knüpfen von Kontakten. Es wurde dann aber zu
Das Mandat umfasst soziokulturelle Animation,                 viel, fast täglich stand sie im Austausch mit der
Unterstützung beim Aufbau von thematischen                    GVB und der Verwaltungsfirma.
Arbeitsgruppen, Moderation der Kommunikation
und Koordination aller Beteiligten. Projektleite-             Die Kompetenzen konnten im Vorstand der
rin Christa Schönenberger legte einen Ablauf für              Genossenschaft klarer geregelt werden. Schönen-
den Aufbau der Siedlungsorganisation fest. Sie                berger entwarf ein Organigramm. Doch manche
fungiert als Bindeglied zum Vorstand der Genos-               Schnittstellen blieben problematisch, etwa die
senschaft, erstellt eine Jahresplanung mit Budget             zwischen Immobilienverwaltung und Gemeinwe-
und einen Dreimonatsplan mit Veranstaltungen.                 senarbeit. Diese beiden Akteure unterscheiden
Sie orientiert sich dabei an der Charta, den Statu-           sich fundamental darin, wie sie mit Konflikten
ten und am Betriebskonzept der GeWo Burgdorf                  umgehen. Wenn sich etwa Raucher beim Haus-
Genossenschaft. Zu Beginn wurde sie von drei                  eingang treffen und Bewohnende im Stockwerk
Kolleginnen unterstützt, heute noch von einer.                darüber sich vom Rauch gestört fühlen und
Sie waren im ersten Jahr an zwei Mittwochen und               reklamieren, reagiert eine Hausverwaltung
zwei Samstagen pro Monat in der Siedlung prä-                 normalerweise mit einer Weisung: Rauchen vor
sent, ganz zu Beginn jeden Samstag. Das Mandat                den Hauseingängen verboten! Sie will das Prob-
startete mit einem Pensum von 600 Stunden pro                 lem so rasch wie möglich lösen und vertritt eine
Jahr und war zunächst auf zwei bis drei Jahre                 erzieherische Haltung. Gemeinwesenarbeit
angelegt, danach sollten die Bewohnenden die                  hingegen will den Konflikt nutzen und die Betei-
Siedlungsorganisation übernehmen.                             ligten mit Geduld dazu befähigen, gemeinsam

                                          Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

                                                         24
eine eigene Lösung zu finden und sich dabei                                 Mandat zuteilen, sondern betreffen oft beide.
kennen- und schätzenzulernen, so dass die                                   Dabei behindern sich die beiden Unternehmens-
Gemeinschaft zu wachsen beginnt. Die Luba-                                  kulturen in manchen Fällen, was den Prozess der
na AG wie auch Pro Senectute Gemeinwesen-                                   Gemeinschaftsbildung bremst. Diese Komplexi-
arbeit führen beide ihre Aufträge aus, doch die                             tät haben vermutlich alle unterschätzt, die spe-
Fragen, die im Alltag auftauchen, lassen sich                               zielle Konstellation war für alle neu, die Lernpro-
selten eindeutig dem einen oder dem anderen                                 zesse brauchen viel Zeit. Christoph Wyss, der als

Organigramm der Siedlungsverwaltung

Blaue Pfeile (Steuerung):                    Rote Pfeile (bezahlte Aufträge):
Vertretung im Vorstand der GeWo              1 GVB an GeWo: Organisation des Siedlungslebens, Einrichten von Aussenraum und Gemeinschaftsräumen
                                             2 GVB an Pro Senectute: Gemeinwesenarbeit zur Unterstützung der Selbstorganisation der Bewohnenden
Graue Pfeile (Ausführung):                   3 GVB an Lubana AG: Vermietung, Verwaltung, Inkasso, Unterhalt
Lubana AG: Vermietung, Verwaltung, Inkasso   4 GeWo an Lubana AG: Geschäftsführung der Genossenschaft
Gfeller AG: Hauswartung und Unterhalt        5 Lubana AG an Gfeller AG: Hauswartung und Unterhalt
Pro Senectute: Gemeinwesenarbeit

                                                                     GVB

                                                                                                  Spitex-
                                                                                                  Verein
                                                                                                               Localnet
                                                                                                                 AG

                                                                                                                           Stadt
                                                                   GeWo                                                   Burgdorf
                                                                  Vorstand

   Chr. Wyss,
       VR
   Lubana AG
                                                                 GeWo
                                                         Siedlungsversammlung
                                                                                                                              Pro
       Lubana AG                                                                                                           Senectute
                                                             AG AG AG AG
                                                       AG                           AG
                                                            AG AG AG AG

                                                         Siedlungsorganisation

                       Gfeller
                                                              Mieterinnen
                                                              und Mieter

GVB                                  Siedlungsorganisation                  Pro Senectute                      Lubana AG
Gebäudeversicherung Bern:            Bewohnende, organisiert in             Pro Senectute Gemeinwesen­         Vermietung, Bewirtschaftung,
Besitzerin, Auftraggeberin,          Arbeitsgruppen, koordiniert            arbeit & Soziokultur: Siedlungs-   Unterhalt der Siedlung (im Auftrag
strategische Leitung.                durch die Siedlungsversammlung:        koordination, Moderation, sozio-   der GVB); Geschäftsführung der
                                     Gestaltung, Nutzung und Pflege         kulturelle Animation, Aufbau der   Genossenschaft (im Auftrag der
GeWo                                 der Gemeinschaftsräume, des            Siedlungsorganisation mit den      GeWo Burgdorf Genossenschaft).
GeWo Burgdorf Genossen­schaft:       Aussenraums und des Inventars,         Bewohnenden (im Auftrag der
Koordination der Beteiligten zur     Organisation und Durchführung          GeWo Burgdorf Genossenschaft,      Gfeller
Organisation des Siedlungsle-        von gemeinsamen Aktivitäten.           finanziert von der GVB).           GF Gfeller Liegenschaftsdienst
bens, Finanzierung gemeinschaft-                                                                               GmbH: Hauswartung (im Auftrag
licher Aktivitäten, Anschaffung                                                                                der Lubana AG).
von Inventar.
                                                        Begleitdokumentation GeWo Burgdorf

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