Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021
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Vier Häuser mit 94 Mietwohnungen bieten nachhaltigen Lebensraum für alle Generationen. Besitzerin ist die Gebäudeversicherung Bern, die Bewohnenden sind Mitglieder einer Betriebsgenossenschaft und gestalten gemeinsam ihren Lebensraum und das Siedlungsleben. Begleitdokumentation Juli 2019 bis Mai 2021 HÄUSLER + WEIDMANN SEPTEMBER 2021
Titelbild Abendstimmung auf dem «Dorfplatz» der GeWo-Siedlung. Impressum In Kürze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Herausgeberin Age-Stiftung, Zürich Idee und Planungsgeschichte Trägerschaft Zwei Genossenschaften, ein Totalunternehmen, Gebäudeversicherung Bern (GVB) eine Investorin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Autor Ruedi Weidmann, Häusler + Weidmann, im Auftrag der Age-Stiftung Architektur Fotografie Bauten, Räume, Aussenraum . . . . . . . . . . . . . . 12 Niklaus Spoerri Pläne Finanzen und Vermietung Walter Hunziker Kosten, Mieten, Nachfrage . . . . . . . . . . . . . . . 17 Gestaltung Anna-Lena Walther Bewohnerinnen und Bewohner Dieser Bericht dokumentiert ein Förderprojekt der Altersmix und soziale Durchmischung . . . . . . . 20 Age-Stiftung – weitere Informationen dazu unter www.age-stiftung.ch. Der Bericht ist integraler Bestandteil der Förderung. Die Age-Stiftung legt ihren Komplexe Organisation Fokus auf Wohnen und Älterwerden. Dafür fördert Betriebsgenossenschaft, Verwaltung, sie Wohn- und Betreuungsangebote in der deutsch Gemeinwesenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 sprachigen Schweiz mit finanziellen Beiträgen. Sie engagiert sich für inspirierende zukunftsfähige Lösungen und informiert über gute Beispiele. Gemeinschaft und Engagement Selbstorganisation, sozialräumliche Entwicklung, Kontakt Gemeinschaftsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Christina Stampfli Immobilien-Portfoliomanagement Würdigung und Lehren Gebäudeversicherung Bern Papiermühlestrasse 130 Konzept und Realität, Lernprozesse und 3063 Ittigen Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 031 925 16 39 cstampfli@gvb.ch www.gvb.ch Anmerkungen und Quellen . . . . . . . . . . . . . 46 September 2021 Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 3
Die vier Mehrfamilienhäuser der GeWo-Siedlung liegen an der Thunstrasse, die ruhige Quartierstrasse überquert den Wöschhüslibach. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 4
Vier grosse Häuser mit einem lung geregelt werden kann und soll. breiten Wohnungsmix stehen in Die Folge sind Lerneffekte. einem naturnahen Garten am südlichen Stadtrand von Burgdorf. Die Möglichkeit zur Mitwirkung im Hier sollen die Generationen zusam- Siedlungsleben hat hier nicht, wie menleben und das Siedlungsleben, sonst meistens, ein urbanes, gebilde- die Gemeinschaftsräume und den tes, linksgrünes Publikum, sondern Aussenraum gemeinsam gestalten. Menschen mit sehr vielfältigen Bio- Die GeWo-Siedlung hat eine un grafien, die aus einer ländlichen gewöhnliche Geschichte. Vieles ist Gegend oder aus fernen Ländern und nicht so herausgekommen wie oft aus einfachen Verhältnissen geplant. Umso mehr Lehren für stammen. Die meisten sind nicht aus a ndere Projekte hält sie bereit. ideellen Gründen hier eingezogen, sondern schlicht, weil sie eine Die Geschichte der Siedlung hat zu Wohnung in Burgdorf suchten. Das einer komplexen Organisation ge- macht die GeWo-Siedlung zu einem führt: Ein Investor mit einem Rendi- besonders wertvollen Ort. Denn sie teziel, eine Betriebsgenossenschaft zeigt, was es braucht, damit Selbst mit Mitwirkungsmöglichkeiten für organisation und die Förderung von die Bewohnenden, eine konventio- Kontakten durch Gemeinwesen nelle Immobilienverwaltungsfirma arbeit aus einer gesellschaftlichen und eine Moderation durch die Ge- Nische in den Mainstream des meinwesenarbeit von Pro Senectute Siedlungsbaus übertragen werden treffen im Siedlungsalltag aufeinan- können, wo ihre Effekte einen der – und damit ganz unterschiedli- breiten gesellschaftlichen und volks- che Auffassungen davon, wie das wirtschaftlichen Nutzen entfalten Zusammenleben in einer Wohnsied- könnten. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 5
Zwei Genossenschaften, ein Totalunternehmen, eine Investorin Eine engagierte Politikerin und Vorgeschichte mit Brüchen Die GeWo-Siedlung in Burgdorf hat eine lange Gleichgesinnte planen ein Mehrge- Vorgeschichte, die nicht frei von Brüchen ist. Sie nerationenprojekt und gründen eine zu erzählen ist nicht einfach, da die Versionen der Genossenschaft. Ein Generalunter- Beteiligten sich nicht immer decken. Am Anfang steht eine Gründerfigur: Verena Szentkuti-Bäch- nehmen soll Planung und Bau finan- told aus Muri bei Bern. Als Gemeindepolitikerin, zieren, ein Investor die Siedlung in diversen leitenden Funktionen von Pro Senec- kaufen und sie der Genossenschaft tute Bern und als deren Stiftungsrätin befasste sie sich jahrzehntelang mit Gesundheits-, Sozial- und vermieten. Doch Rekurse bremsen Alterspolitik. Sie hat sich allerdings, zusammen das Vorhaben und rundum wächst mit der ersten Trägerschaft, vom Projekt zurück- Konkurrenz. Die Siedlung wird gezogen, als die Siedlung schon im Bau war. Die heute 77-Jährige erzählt heute zwar wohlwollend, gebaut, aber anders als geplant – aber mit gemischten Gefühlen darüber. und ohne die Gründerin und die Gründer, denn das Risiko wird Die Tochter eines Ingenieurs und Nationalrats präsidierte in den 1990er-Jahren die Gesundheits- für sie zu gross. kommission der Gemeinde Muri. Eine Umfrage über die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung zeigte, wie verbreitet der Wunsch nach möglichst langem selbständigem Wohnen war und nach Wohnungs-, Versorgungs- und Gesundheitsange- boten, die das möglich machen. Im wohlhabenden Südwesten Berns gab es damals Pflegeheime und teure Altersresidenzen. Als Ergänzung wollte Szentkuti bezahlbaren Wohnraum schaffen, jedoch nicht als «Altersghetto», sondern in einem Projekt, das alle Generationen und auch Menschen mit Beeinträchtigungen einbezog. Es sollte im Ortszentrum liegen, in der Nähe der Läden und ÖV-Haltestellen, und mit Pflege- und Betreuungs- angeboten verbunden sein. «Allein sein dürfen, aber nicht einsam sein müssen» wurde zu Szent- kutis Leitsatz bei der Planung. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 6
Der Platz in der Mitte der Siedlung ist als Treffpunkt gestaltet. Die Be- wohnenden nennen ihn «Dorfplatz» und treffen sich hier bei Anlässen und Generationen mit hindernisfreien Wohnungen, nach Feierabend. Gemeinschaftsräumen und Angeboten für die Dorfbevölkerung. 2008 gründete Szentkuti die Mit den Architekten Urs Siegenthaler und Walter Genossenschaft «GenerationenWohnen» als Hunziker sowie weiteren Fachleuten mit Erfah- Trägerschaft. Für den Bau musste das Gelände rung und Engagement für das gemeinsame von der Grün- in die Wohnzone umgeteilt werden. Anliegen gründete sie eine Projektgruppe. Sie Doch die Gemeindebevölkerung lehnte 2009 die begannen eine Siedlung zu entwickeln und zogen entsprechende Gesamtortsplanungsrevision ab, für spezielle Fragen weitere Experten bei. Die Idee die noch viele andere Projekte umfasste. dahinter ist seither allgemein bekannt geworden: Ältere und jüngere Menschen, die unter einem Zweiter Anlauf in Burgdorf Dach leben, können sich gegenseitig unterstüt- Die Genossenschaft beschloss, ein anderes Areal zen. Die Älteren können mit ihrer Lebenserfah- zu suchen. Szentkuti nahm Kontakt zur Stadt rung berufstätige Eltern bei der Kinderbetreuung Burgdorf auf. Diese hatte am südlichen Stadtrand entlasten und dafür dank Nachbarschaftshilfe eine Parzelle als Zone mit Planungspflicht (ZPP) länger selbständig bleiben. Das wirkt der Einsam- für experimentelles Wohnen bestimmt. Wer hier keit und der Altersarmut entgegen und entlastet bauen wollte, musste «neue Wohn- und Baufor- Angehörige und das Gesundheitswesen. men wie z. B. Grosswohnungen für Wohngemein- schaften, flexible Grundrisse, Wohnen in Lofts, Die Gemeinde Muri stellte Gemeindeland rund Ausbau von Rohbauten durch die Bewohner usw.» um ein Bauernhaus im Toracher zur Verfügung. planen und zu einer nachhaltigen Quartierent- Es entstanden Pläne für fünf Häuser für alle wicklung beitragen.1 Die Überbauungsordnung Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 7
verlangte eine umweltschonende und hindernis- Patchwork – quasi ein Abbild unserer vielfältigen freie Bauweise, eine ressourcenschonende Ener- Gesellschaft – sollten hier wohnen: im Idealfall gieversorgung und Biodiversität im Aussenraum.2 bis zum Lebensende, mit Gelegenheiten, die Die Stadt war am Konzept aus Muri interessiert. eigenen Ressourcen einzubringen, aufgehoben Die Genossenschaft GenerationenWohnen konnte durch ein tragendes soziales Netz mit Nach eine Machbarkeitsstudie erstellen, am schweiz- barschaftshilfe und bei Bedarf unterstützt durch weit ausgeschriebenen Ideenwettbewerb teilneh- professionelle Dienstleistungen. men und erhielt schliesslich den Zuschlag. Einen Architekturwettbewerb verlangte die Stadt nicht, Nebst Klein- und Familienwohnungen wurden der städtische Fachausschuss für Bau- und Aus- WG-Wohnungen geplant, die dank einem Bad pro senraumgestaltung, ein Gremium aus unabhängi- Schlafzimmer eine erhöhte Privatsphäre boten, gen Gestaltungsfachpersonen, prüfte aber die ausserdem sogenannte «Stöckli»: 1 1/2-Zimmer- Qualität des Entwurfs in mehreren Kritikrunden. Wohnungen für ein Elternteil, die einer Familien- wohnung zugeordnet sind. Die Genossenschaft entwickelte zusammen mit dem Planerteam eine Überbauung, die in der Der Aussenraum sollte Nutzungsmöglichkeiten städtischen Überbauungsordnung festgelegt für alle Altersgruppen bieten: einen zentralen wurde. Sie umfasste vier vierstöckige Wohnge- Platz als Treffpunkt, einen Kinderspielplatz, bäude, jedes mit Gemeinschaftseinrichtungen, Ruhezonen, das naturnahe Ufer des Wöschhüsli- und ein eingeschossiges Gemeinschaftshaus m it bachs, eine öffentliche Spielwiese, einen Sinnes- Mehrzweckraum, gewerblicher Küche und Terras- garten für Menschen mit Einschränkungen, dazu se unter einem grossen Vordach. In Abstimmung Raum für die Mitgestaltung durch Bewohnende, mit der Stadt wurde ein breiter Wohnungsmix beispielsweise Nutzgärten. bestimmt. Innen- und Aussenräume sollten hindernisfrei, die Küchen und Bäder für Personen In jedem Haus sollte es einen Gemeinschaftsraum mit eingeschränkter Mobilität eingerichtet oder geben mit je eigener Funktion für die ganze Sied- zumindest anpassbar sein. Menschen vom Klein- lung. Ein Café mit Waschsalon und Siedlungsbüro kind bis ins hohe Alter, mit oder ohne Beeinträch- der Genossenschaft sollte als Info-Drehscheibe, tigungen, Singles, Wohngruppen und Familien zur Koordination der Nachbarschaftshilfe sowie von konventionell über alleinerziehend bis zu als Anlaufstelle bei Problemen dienen. Die Genossenschaft knüpfte Beziehungen zu Personen, die an einer Wohnung interessiert Planerteam waren, und zu lokalen Dienstleistern im Bereich Konzept: Projektteam GenerationenWohnen Alter, Gesundheit und Soziales, darunter das (bis 2018): Verena Szentkuti, Walter Hunziker, Regionalspital Burgdorf, die regionale Spitex und Urs Siegenthaler, Bächtold & Moor AG das Paraplegikerzentrum Nottwil, das Woh Architektur (Bauprojekt): nungen für Personen im Rollstuhl suchte. Diese Walter Hunziker und Urs Siegenthaler Dienstleister sollten im Erdgeschoss unterstüt- Architektur (Ausführung): zende Angebote eröffnen. Angedacht waren ein Walter Hunziker und Daniel Mani Architekten AG Spitexbüro, Therapieräume, eine Pflegewohnung Landschaftsarchitektur: Moeri & Partner AG oder Tagesstätte, eine Arztpraxis, eine Krippe und Totalunternehmung: Losinger Marazzi AG mehrere kleine Geschäfte. Die Mietpreise inklusi- Investorin: Gebäudeversicherung Bern ve einer Pauschale für die gemeinschaftlichen Betriebsgenossenschaft: Aufwendungen sollten sich im oberen Bereich des bis 2018: Genossenschaft GenerationenWohnen mittleren örtlichen Preissegments für Neubauten seit 2018: GeWo Burgdorf Genossenschaft bewegen, da die Siedlung mit all diesen Angebo- ten eine überdurchschnittliche Wohnqualität bot. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 8
Welchen allgemeinen Nutzen sich die Stadt erhoffte, zeigt folgende Passage aus der Über Daten Planungsprozess und Bau bauungsordnung Thunstrasse: Nullerjahre Planung Mehrgenerationensiedlung «Mit diesem Wohn- und Lebenskonzept kann auch Toracher in Muri BE dem stetig wachsenden Mangel an Pflege- und 2008 Gründung Genossenschaft Betreuungspersonen entgegengewirkt werden, GenerationenWohnen als Trägerschaft können Kosten gespart und kann vor allem ein 2009 Volks-Nein zur Gesamtortsplanungs Beitrag an die Gesundheitsförderung der Sied- revision Muri lungsbewohnenden geleistet werden. (…) Hinter- 2010 Ideenwettbewerb für Siedlung in Burgdorf grund für das Konzept sind die sich ändernden und in Zukunft noch verstärkt auftretenden Bedürfnis- 2011–13 Marktstudie, Landkauf, Projektentwick- lungsvereinbarung mit GU Losinger se und Wünsche unserer Gesellschaft: Möglichst 2013 Baueingabe, Einsprachen grosse Autonomie beim Wohnen, auch im höheren 2014 Ablehnung der Einsprachen gegen Alter oder bei Behinderungen; Verbleib in der Bauprojekt; Werkvertrag mit Losinger- gewohnten Wohnform und Wohnumgebung, auch Marazzi; Einsprachen gegen Über bei zunehmendem Bedarf an Unterstützung; bauungsordnung; Investorensuche, Stärkung des Kontaktes zwischen den Generatio- Generalmietvertrag mit GVB nen und gegenseitige Nutzung der Ressourcen auf 2016 Ablehnung aller Einsprachen freiwilliger Basis; Teil sein eines sozialen Netzes 2017 Baubeginn zur Vermeidung von Vereinsamung.»3 2018 Rücktritt der Genossenschaft Genera tionenWohnen vom Generalmietvertrag; Eine Investorin kauft die Siedlung GVB beauftragt Lubana AG mit Ver Zwei Drittel des Baulandes gehörten der Stadt, ein mietung und Verwaltung, GVB gründet Drittel zwei privaten Eigentümerinnen. Diesen GeWo Burgdorf Genossenschaft, GVB beauftragt Gemeinwesenarbeit von Teil konnte die Genossenschaft erst nach langen Pro Senectute Bern mit Aufbau und Preisverhandlungen und durch Vermittlung der Moderation einer Siedlungsorganisation Stadtbehörden zum übrigen Bauland hinzufügen. der Mietenden; Fertigstellung der Die Finanzierung der baulichen Projektentwick- Überbauung lung übernahm das Totalunternehmen Losinger Feb. 2019 Bezug der ersten Wohnungen, Start der (heute Losinger Marazzi). Die Genossenschaft Moderation durch Pro Senectute schloss mit ihr 2013 eine Projektentwicklungsver- einbarung ab. Diese definierte auch die Mietbe- dingungen und den Generalmietzins für die Siedlung, den die Genossenschaft dem künftigen Investor zu entrichten hatte. «Nachhaltige Quartiere» der Bundesämter für Die Planer der Genossenschaft und des General- Raumentwicklung und für Energie aufgenommen. unternehmens erarbeiteten gemeinsam die aufwendigen Nachweise für die Anforderungen Die Totalunternehmung suchte einen Investor, der Planungszone für «experimentelles Wohnen», der den Bau finanzieren und die Siedlung als darunter ein ökologisches Gesamtkonzept und Ganzes der Genossenschaft vermieten würde. Die ein Betriebskonzept. Es sah vor, dass die Mieterin- Wahl fiel auf die Gebäudeversicherung Bern nen und Mieter Mitglieder der Genossenschaft (GVB). Diese interessierte sich für die Siedlung, da würden. Diese sollte die Siedlung verwalten und die meisten ihrer Liegenschaften im Raum Bern die gemeinschaftliche Organisation des Sied- stehen und sie ihr Portfolio regional diversi lungslebens und der Gemeinschaftsräume koordi- fizieren möchte und weil sie bereits Erfahrungen nieren. Das Projekt wurde 2014 ins Programm mit Baugenossenschaften sammeln konnte. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 9
Rekurse, Ernüchterung und Rückzug der 150 neue Wohnungen von hoher Qualität. Der Gründergenossenschaft Leerwohnungsbestand stieg. Gleichzeitig fielen Trägerschaft und Stadt führten gemeinsam gut die Hypothekarzinsen. Beides führte zu sinken- besuchte öffentliche Info-Veranstaltungen durch. den Mieten für Neubauwohnungen. Trotzdem erhoben Nachbarn Einsprache gegen das Bauprojekt und die Überbauungsordnung, um Das brachte die Genossenschaft Generationen- die Wiese vor ihren Einfamilienhäusern mög- Wohnen in Bedrängnis. Ihre aus Finanzfachleu- lichst lange freizuhalten. Die Rekurse wurden ten zusammengesetzte Arbeitsgruppe «Kosten abgelehnt, verzögerten das Projekt aber um fast und Finanzierung», die auch nicht bauseitige zwei Jahre. In dieser Phase und während der Investitionen in die Gemeinschaftsräume, deren folgenden Bauzeit veränderte sich das gesamte Betriebskosten und die geplante Animationsstelle Preisgefüge: In Burgdorf zog nach langem Still- einkalkulierte, und Architekt Hunziker, der stand der Wohnungsbau an. Vor dem Boom hatte fortlaufend die Mietpreise berechnete, fürchte- die Baudirektion eine Ortsplanungsrevision ten, auf einem Teil der Wohnungen sitzen zu durchgeführt und im städtischen Baureglement bleiben, wenn die Mieten nicht an die neue Kon- auf Industriebrachen und Baulandreserven über kurrenz angepasst wurden. Doch der Spielraum dreissig Zonen mit Planungspflicht eingerichtet. war eng. Der für zwanzig Jahre abgeschlossene Sie erlaubten der Stadt eine Mitsprache bei Generalmietvertrag mit der GVB legte einen fixen der Planung und damit eine Qualitätskontrolle. In der Folge entstanden nun jedes Jahr 120 bis Gedeckte Vorzonen bei den Haus- eingängen fördern Begegnungen. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 10
Mietbetrag für die ganze Siedlung fest. Auf der Kostenseite liess sich zu diesem Zeitpunkt nicht GVB als Immobilien-Investorin mehr viel sparen – und die gewählte Bauweise Die 1807 gegründete Gebäudeversicherung war nicht besonders günstig. Bern (GVB) versichert die rund 400 000 Gebäude im Kanton gegen Feuer- und Elementarschäden. Um den Die Genossenschaft versuchte, mit der GVB eine Gebäudebesitzern auch in Jahren mit hohen Elemen- deutlich tiefere Gesamtmiete auszuhandeln. Laut tarschäden eine unbeschränkte Schadendeckung Verena Szentkuti wäre nach wie vor eine mass und günstige Prämien bieten zu können, legt sie das volle Rendite möglich gewesen. Doch der vorge- Versicherungskapital in Obligationen, Aktien und Immobilien an. Letztere spielen eine wichtige Rolle: schlagene Preisabschlag war der GVB zu hoch; es Bei Katastrophen mit hohen Schäden können rasch gelang nicht, sich auf einen Betrag zu einigen, Hypotheken auf die Liegenschaften aufgenommen den die Genossenschaft GenerationenWohnen als und damit versicherte Schäden gedeckt werden. zahlbar erachtete. Da sie über wenig Kapital Um die Belehnung in normalen Jahren tief halten zu verfügte und die Kosten von Leerständen für sie können, müssen die Liegenschaften eine massvolle nicht tragbar gewesen wären, sah sie sich ge- Rendite abwerfen. Als öffentlich-rechtliche Institution zwungen, im März 2018 vom Generalmietvertrag strebt die GVB jedoch nicht einen maximalen Profit, sondern Stabilität und langfristige Sicherheit an. mit der GVB zurückzutreten. Mit ihrer Klimastrategie 2020+ verpflichtet sich die GVB, den CO2-Verbrauch zu reduzieren. Die Überbauungsordnung erlaubte einen Anteil Für den Bereich Immobilien wurde das Ziel «keine Mietflächen für Dienstleistungen, die «Unter fossilen Brennstoffe bis 2035» definiert. Damit stützung und Hilfe für die Gesundheit und das stehen bei allen Gebäuden und insbesondere Wohlbefinden der Menschen in der Siedlung Neubauten ökologische Nachhaltigkeit und Umwelt- kriterien im Vordergrund. anbieten.»4 Allerdings hatte sich schon vor Bau- beginn gezeigt, dass infolge der grossen Verzöge- rung durch die Rekurse nur noch eine mässige Nachfrage nach solchen Gewerberäumen bestand. Eine Krippe war unterdessen im Spital gegenüber damit die Burgdorfer Immobilienverwaltung entstanden, die regionale Spitex befand sich in Lubana AG. Die Stadt Burgdorf bestand darauf, einer Sparrunde, und für den Ausbau und Betrieb dass die Überbauungsordnung umgesetzt wurde, der geplanten Demenz-Wohngruppe waren die denn diese war eine Bedingung gewesen für die Auflagen des Kantons so hoch, dass höhere Bewilligung des Projekts und den Verkauf des Kosten als geplant entstanden wären. So wurden städtischen Areals. Darin steht: die Erdgeschosse, abgesehen von den vier Ge- meinschaftsräumen, als Wohnungen ausgebaut, «Die Umsetzung der Ziele des Generationen und auf das einstöckige Gemeinschaftshaus Wohnens wird durch eine Betriebsorganisation mit wurde in der Baueingabe verzichtet. An seiner genossenschaftlichen Strukturen gewährleistet. Stelle bewilligte die Stadt eine zeitlich begrenzte (…) Im zukünftigen Betrieb wird grundsätzlich auf Nutzung als Parkplatz. Das Baufeld stünde aber die Ressourcen der Siedlungsbewohnenden zurück- nach wie vor für Gemeinschaftsnutzungen zur gegriffen, allenfalls mit Unterstützung durch Verfügung. externe Fachpersonen.»5 Neue Betriebsgenossenschaft als Die GVB klopfte bei bestehenden Baugenossen- Top-down-Gründung schaften an, doch diese zeigten sich nur an einem Mit dem Rückzug der Gründergenossenschaft Kauf der Siedlung interessiert. Da die GVB diese stand die Besitzerin GVB vor einer völlig neuen behalten wollte, musste sie nun selber eine Ge- Situation: Ein halbes Jahr vor der Fertigstellung nossenschaft gründen und die Mieterinnen und war ihre Generalmieterin weg, sie musste die Mieter dazu animieren, ein Gemeinschaftsleben 94 Wohnungen selber vermieten. Sie beauftragte zu organisieren. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 11
Bauten, Räume, Aussenraum Ein bunter Wohnungsmix, vier Wohnbauten mit Begegnungsräumen Gemeinschaftsräume, eine Gäste- Vier freistehende viergeschossige Gebäude stehen um einen zentralen Platz. Brüstungsbänder aus wohnung, grosszügige Treppen Holzlatten ziehen sich in den Obergeschossen um häuser, gedeckte Hauseingänge und die hell verputzten Würfel. In allen Häusern sind ein aussergewöhnlich vielfältiger Wohnungen unterschiedlicher Grösse und Form gemischt, damit auch innerhalb der Häuser ein und einladender Aussenraum för- Generationenmix entstehen kann, alle Häuser dern Begegnungen. Die Bauweise der sind rollstuhlgängig. Jedoch hat jedes seine Häuser und ihre Vorbereitung für Spezialität: Nr. 22 beherbergt Wohngemeinschaf- ten für Personen mit Beeinträchtigungen, Nr. 24 technische Wohnhilfen waren auf- enthält viele Kleinwohnungen, in den Nrn. 26 wändig, die Wohnungsgrundrisse und 28 finden sich mehr Familienwohnungen, in sind nicht überall gelungen. Nr. 28 liegen sie jeweils neben einer Kleinwoh- nung («Stöckli-Modell»). Die Bauweise mit Beton- decken, tragenden Aussenmauern aus Backstein und Zwischenwänden aus Betonschalen-Elemen- ten ist massiv. Die Gebäude im Minergie-Eco- Standard mit kontrollierter Lüftung werden vom Fernwärmenetz Burgdorf-Süd geheizt. Die schachbrettartige Anordnung der Bauten ermöglicht Fernblicke in die Landschaft und minimiert Einblicke in die Wohnungen von Gegenüber. Die kleineren Wohnungen haben französische Balkone – raumhohe Glastüren mit Geländer und einem kleinen Vorsprung aus der Fassade, auf dem Pflanzentöpfe Platz finden. Die grösseren Wohnungen haben an den Gebäude ecken Balkone, die auch als Kontaktstellen zwischen den Häusern gedacht sind. Die Balkone sind eher klein, dafür lockt der Aussenraum mit viel Aufenthaltsqualität, was Begegnungen fördert. Auch die Anordnung der Hauseingänge auf der Innenseite der Siedlung fördert Kontakte. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 12
Zentrale, von oben natürlich belichtete Treppen- der Möglichkeit zur Nachrüstung mit den am häuser mit umlaufenden Podesten auf den Etagen häufigsten benötigten Hilfseinrichtungen für und regengeschützte Hauszugänge dienen als ältere Bewohnende sowie für jüngere mit Beein- Begegnungszonen. Jedes Haus verfügt über einen trächtigungen. So weit wie möglich wurden sie Gemeinschaftsraum. Sie liegen von aussen gut auf bestehende Normen, Richtlinien und Empfeh- einsehbar neben dem Hauseingang, haben je eine lungen abgestützt. Alle Duschräume haben die eigene Funktion und dienen der ganzen Siedlung. Minimaldimensionen der «Norm SIA 500 Hinder- Das gilt auch für die Gästewohnung mit zwei nisfreie Bauten», basieren aber auf der in Alters- Zimmern und Küche. heimen üblichen Anordnung von WC und Lavabo in der Diagonale wegen der praktischeren Benut- Die Planenden betrieben viel Aufwand für roll- zung mit Rollatoren. Alle Nasszellen wurden mit stuhlgängige Bäder und Küchen und technische Ausholzungen in den Wänden für die Montage Hilfen, die das Wohnen bei eingeschränkter Mo- von Haltegriffen vorbereitet, damit sie bei Bedarf bilität erleichtern, wie etwa tief liegende Licht- gemäss SIA 500 nachgerüstet werden können. schalter oder extra starke Duschstangen, die als Von Anfang an wurde dies in den WG-Wohnun- Haltegriffe taugen. Das Planungsteam wollte gen im Haus Nr. 22 umgesetzt, hier sind die insbesondere die Nasszellen so planen, dass sie Nasszellen gemäss SIA 500 ausgerüstet und die ein breites Spektrum von speziellen Bedürfnissen Duschen bodeneben ausgeführt, die Montage von und auch die ästhetischen Ansprüche der «Nor- Klappgriffen ist vorbereitet. malverbraucher» in einem vernünftigen Kosten- rahmen abdecken konnten. Sie erarbeiteten eine Die versetzte Anordnung der Bau- differenziert abgestufte Nasszellentypologie mit ten öffnet lange Sichtachsen und teilt den Aussenraum in Nischen mit unterschiedlichem Charakter. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 13
Variantenreiche Grundrisse: – EG Haus Nr. 22 (oben) mit gedeck- ter Vorzone und Gemeinschafts- raum beim Hauseingang. – OG Haus Nr. 28 (unten links) mit Familien- neben Kleinwohnungen («Stöckli-Modell»). – OG Haus Nr. 22 (unten rechts) mit einer WG-Wohnung mit einem Bad pro Zimmer. An den Treppenhäusern liegen bis zu sieben Wohnungen pro Etage. Die Eckwohnungen weisen lange Flure auf. Erschliessung 1m 2m 4m Gemeinschaftsraum 1,5-Zimmer-Wohnung 2,5-Zimmer-Wohnung 3,5-Zimmer-Wohnung 4,5-Zimmer-Wohnung WG-Wohnung 0 1 2 4m 0 1 2 4m Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 14
Die so gewählte Basisausrüstung liegt zwar weit Bei den Grundrissen fallen die zahlreichen unter den Kosten einer Vollausrüstung, hat aber schmalen Flure in den Wohnungen auf, die wenig ihren Preis. Das gilt auch für die grosse Vielfalt Wohnwert bringen. Sie sind das Resultat einer der Wohnungstypen, die der Rationalisierung Sparrunde, das ursprüngliche Projekt hatte beim Bau enge Grenzen setzte. Um dies etwas zu grosszügigere Erschliessungen in den Wohnun- kompensieren, wurden fast alle Wohnungen mit gen vorgesehen. der gleichen Küchenzeile ausgestattet, wodurch nun Familien eher zu wenig Stauraum vorfinden. Blick in die Wohnungen; oben rechts der Koch-/Ess-/Wohnbereich einer Eckwohnung mit verglaster Loggia. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 15
Vielfältiger Aussenraum Um eine hohe Biodiversität zu erreichen, wurden Der Aussenraum bietet schöne Ecken für ver- die älteren Laubbäume und eine Wildhecke mit schiedene Bedürfnisse, er ist für Bewohnende einheimischen Hecken, Einzelsträuchern, Hoch- jeden Alters und mit eingeschränkter Mobilität stamm-Obstbäumen und artenreichen Wiesen barrierefrei zugänglich und offen gegen das ergänzt. Starke Niederschläge verwandeln begras- Quartier. Die Anordnung der Häuser unterteilt te Rückhaltesenken in Teiche, was den Wösch das Areal in mehrere Teile mit je eigenem Charak- hüslibach entlastet.6 Schon im ersten Jahr haben ter. In der Mitte der Siedlung ist ein Platz als Bewohnende mit der Anlage eines Nutzgartens Treffpunkt und für Veranstaltungen eingerichtet. begonnen. Eine Veloroute und die B uslinie zum Bäume und eine Pergola spenden Schatten, ein Bahnhof Burgdorf führen an der Siedlung vorbei, Brunnen plätschert, Mäuerchen und Stühle laden die Bahnstation Steinhof an der Emmental-Linie zum Sitzen ein, Tische zum Essen und Arbeiten liegt in Gehdistanz. Ein Mobility-Auto steht bereit, sind vorhanden. Auch an anderen Orten in der GeWo-Mitglieder bezahlen nur gefahrene Kilo Siedlung stehen Sitzbänke. Es gibt eine öffentli- meter, die Mitgliedergebühr übernimmt die GVB. che Spielwiese, einen Spielplatz, eine Feuerstelle, ruhige Ecken und ein Auenwäldchen am Situationsplan: Die GeWo-Siedlung zwischen Bahndamm und Wöschhüslibach. Wöschhüslibach. In der Mitte der Dorfplatz und die Garagen einfahrt, rot markiert die vier Gemeinschaftsräume (in Haus Nr. 28 das Café), bei Haus Nr. 22 der Parkplatz anstelle des geplanten Gemeinschaftspavillons und ein separater Garten für die nicht realisierte Pflegewohngruppe; Mst. 1 : 1000. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 16
Kosten, Mieten, Nachfrage Ein breiter Mietpreisfächer begüns- Kosten und Mietpreise Die GVB investierte rund 33 Mio. Franken in die tigt die angestrebte soziale Durch- Siedlung, ausschliesslich Eigenkapital. Auf der mischung. Günstige Kleinwohnun- Kostenseite stehen nebst Unterhalt, Heizung und gen sind ein Trumpf der Siedlung. Gebühren das Mandat der Lubana AG für die professionelle Vermietung, Verwaltung und Hingegen sind die Familienwohnun- Hauswartung, ein Mandat der Pro Senectute Bern gen nur schwer zu vermieten. Neben für die Moderation des Siedlungslebens sowie ihrem Preis spielen ihre eher knappe der Aufwand für den Aufbau der Betriebsgenos- senschaft und deren Aktivitäten. Drei Prozent Fläche, teilweise ungünstige Grund- der Wohnungsmieten fliessen ins Budget der risse und eine wenig überzeugende Genossenschaft. Einen Teil davon können die Be- Vermarktung eine Rolle. wohnenden für gemeinsame Anschaffungen oder Veranstaltungen einsetzen. Ein Beitrag der Age-Stiftung kann für die Förderung der Gemein- schaft verwendet werden.7 Die Mietpreise bewegen sich in einem breiten Fächer. Die 1 1/2- und die kleineren 2 1/2-Zimmer- Wohnungen sind günstig und auch für Personen bezahlbar, die Ergänzungsleistungen beziehen. Daneben gibt es einige grosse 2 1/2- und einen hohen Anteil an 3 1/2-Zimmer-Wohnungen, die nicht günstig sind. Für eine Mehrgenerationen- siedlung gibt es eher wenig Familienwohnungen, diejenigen mit 4 1/2-Zimmern sind mit 90 m² für heutige Verhältnisse klein. Die drei 6-Zimmer- Wohnungen sind teuer und haben für den Ge- brauch als herkömmliche Wohnung einen ungünstigen Grundriss. Sie wurden gezielt für Vierer-WGs geplant, mit je vier Nasszellen nach SIA 500, speziell auch geeignet für Menschen mit Beeinträchtigungen und für begleitetes Wohnen, und sind samt Sanitäranschlüssen für eine optionale Aufteilung in zwei unabhängige Wohnungen vorbereitet. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 17
Schwache Nachfrage und die Gründe die Rendite bei grösseren und teuren Wohnungen Im November 2018 begann die Vermietung der höher ist. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigt, Wohnungen. Zuständig dafür ist die Lubana AG. dass Personen und Ehepaare, die eine Wohnung Die 1 1/2- und die günstigeren der 2 1/2-Zimmer- für das hohe Alter suchen, die Wohnfläche Wohnungen waren gefragt, doch bei den übrigen reduzieren wollen. Sie legen dafür Wert auf eine Wohnungen lief die Vermietung schlecht. Inter zentrale Lage mit Infrastruktur und ÖV-An- esse zeigten vor allem Ein- und Zweipersonen- schluss. Die Nachfrage nach grossen Alterswoh- haushalte von 20 bis 70 Jahre, hingegen kaum nungen ist dagegen klein. Doch warum gelingt Familien. Nach einem Jahr war erst etwas mehr es der GeWo-Siedlung nicht, mehr Familien als die Hälfte der Wohnungen vermietet, nach anzuziehen? Mit ihrem vielfältigen Aussenraum, eineinhalb Jahren stand noch ein Drittel leer, den Gemeinschaftsräumen, der Möglichkeit zur nach zweieinhalb Jahren noch immer ein Fünftel, Mitsprache und mit ihrer Lage bietet sie für obwohl die GVB in der Zwischenzeit die Mieten Familien eigentlich gute Qualitäten. Ein Grund gesenkt hatte.8 Erste Mietende zogen wieder weg, ist wohl die Grösse der Wohnungen: Die 4 1/2- vor allem jüngere Paare, deren Lebenssituation Zimmer-Wohnungen sind mit 90 m² Fläche sich änderte. Der Versuch, die 6-Zimmer-Woh- kleiner als heute üblich. Das ist ein Beitrag an die nungen zimmerweise zu vermieten, verursachte heute nötige Beschränkung des Wohnflächen zu viel Aufwand. verbrauchs pro Kopf. Doch dass man weniger privaten Raum braucht, weil man Aktivitäten wie Gründe für die harzige Vermietung gibt es eine Fitness, Basteln oder private Feiern in den Ge- ganze Reihe: In der Region ist die Nachfrage nach meinschaftsräumen ausüben und Besuch in der Wohnraum im Vergleich zu den Agglomerationen Gästewohnung unterbringen kann, ist noch ein Bern oder Zürich generell schwach. Im gleichen ungewohnter Gedanke, der Mietinteressenten Jahr wie die mit zweijähriger Verspätung fertig- überzeugend erläutert werden müsste. gestellte GeWo-Siedlung wurden in Burgdorf zwei weitere Siedlungen fertig. Sie liegen direkt am Der Teufel steckt aber auch in den Details. Die Bahnhof Steinhof, bieten attraktive Architektur, Gruppe der Projekt-InitiantInnen bestand zum Gemeinschaftsleben, Mitwirkung und teilweise grossen Teil aus Personen im Pensionsalter. Sie günstigere Wohnungen. Sie stiessen auf grosse dominierten bei der Planung der Gebäude, beim Nachfrage, es gab sogar Wartelisten. Seither Erstellen des Betriebskonzepts und bei der Öffent- wurden in Burgdorf noch mehr Wohnsiedlungen lichkeitsarbeit. Entsprechend viel Aufmerksam- gebaut und weitere sind in Planung. keit erhielten Qualitäten für Personen im Alter und mit Beeinträchtigungen. Junge Familien Dass kleine, günstige, für das Wohnen im Alter waren in der Genossenschaft nicht aktiv, ihre geeignete Wohnungen gefragt sind, gilt in der Bedürfnisse sind zu wenig eingeflossen. Dadurch ganzen Schweiz. Der private Immobilienmarkt hat das Projekt eine Schlagseite hin zur Alters- deckt die Nachfrage in diesem Bereich nicht, da siedlung erhalten. Auffällig ist dies bei den 4 1/2- und den 6-Zimmer-Wohnungen. Ihre Grundrisse, Grösse und Ausstattung sind für Familien zu wenig praktisch und attraktiv. Es gilt aber auch Wohnungsspiegel mit Monatsmieten für das Image des Projekts. Bei seiner Lancierung inkl. Nebenkosten9 wurde vor allem seine Altersfreundlichkeit 13 × 1 1/2 Zimmer (31–42 m²) 830–990 Fr. betont, viel war von Hindernisfreiheit, techni- 26 × 2 1/2 Zimmer (46–74 m²) 1000–1860 Fr. schen Hilfen, unterstützenden Dienstleistungen 42 × 3 1/2 Zimmer (64–75 m²) 1350–1820 Fr. oder der Nähe zum Spital die Rede. Offenbar 10 × 4 1/2 Zimmer (89–90 m²) 1910–2090 Fr. wurden dadurch die Qualitäten, die das Projekt 3 × 6 Zimmer (147 m²) 3420–3480 Fr. für jüngere Generationen bietet, in der Öffentlich- keit zu wenig wahrgenommen. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 18
Das Planerteam der Projekt-InitiantInnen legte viel Gewicht auf eine alters- und behindertenge- rechte bauliche Ausstattung, auf Vielfalt der Wohnungsgrössen, gute Bauqualität und genü- gend Privatheit. Eine speziell günstige Bauweise stand nicht im Vordergrund. Diese Prioritätenset- zung führte zu Wohnungsmieten über denen von vergleichbaren Neubauwohnungen. Angesichts der sozialen Qualitäten und der geplanten unter- stützenden Dienstleistungen schien dies gerecht- fertigt. Doch Kinderkrippe, Arztpraxis, Spitex- zimmer und Pflegewohngruppe konnten mangels Nachfrage nicht realisiert werden und fehlen nun als zusätzlicher Anreiz. Bei den grösseren Wohnungen führte das zu einem ungünstigen Preis-Leistungs-Verhältnis. Zudem fehlt seit dem Ausstieg der Gründergenos- senschaft jemand, der die sozialen Qualitäten des Projekts mit Herzblut anpreist. Die Lubana AG, die Interessierten nicht nur eine Wohnung zeigen, sondern auch das Betriebskonzept und die Vorzü- ge der Mitwirkung erklären sollte, hat keine Erfahrung mit ähnlichen Projekten. Das Wording und die Agenturfotos auf der Website wirken unpersönlich, die Menschen hinter dem Projekt bleiben unsichtbar. So gelingt es nicht, beim Zielpublikum Vertrauen zu schaffen und eine Vision vom Zusammenleben der Generationen zu vermitteln. Neue Mieterinnen und Mieter Blick von einem Eckbalkon im kommen erst nach dem Einzug mit engagierten obersten Stock Richtung Emmental und der Sitzplatz einer Eckwohnung Bewohnenden in Kontakt. im Parterre. Auch wenn die GVB langfristig rechnet – die Leerstände drücken auf die Rendite, und die zweiten Kind einen Rabatt gewähren kann. So Siedlung wird dem Anspruch eines Mehrgenera- hofft sie, bald eine oder zwei Familien zu finden, tionenprojekts noch nicht voll gerecht. Christina die dann weitere nachziehen könnten. Ob eine Stampfli, Projektverantwortliche der GVB, verbesserte Vermarktung nützt, ob es einfach möchte darum nun gezielt Familien ansprechen. einen langen Atem braucht oder ob letztlich nur Sie hat die Mieten der leeren Wohnungen im eine Reduktion der Mieten zur Vollvermietung zweiten Jahr um rund 150 Franken pro Monat führen wird, ist zweieinhalb Jahre nach gesenkt, bei der Vermarktung möchte sie die Vermietungsbeginn offen. Familien- und Kinderfreundlichkeit mehr beto- nen und bei Besichtigungen gemeinsam mit engagierten Bewohnenden die Gemeinschafts- räume besuchen. Sie prüft, ob es Möglichkei- ten gibt, die Küchen der grösseren Wohnungen nachzurüsten und ob sie Familien ab dem Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 19
Altersmix und soziale Durchmischung Der Generationenmix ist gross, alle Altersverteilung Alter von 0 bis 89 Jahren sind vertre- Anfang April 2021 wohnten 101 Personen in der Siedlung, bei 94 war das Alter bekannt. Davon ten. Der Anteil von älteren Men- waren 10 Kinder und 38 Erwachsene unter 30 Jah- schen und von Familien ist aber re, 36 Personen waren zwischen 30 und 65 Jahre noch kleiner als geplant, junge Er- alt und 10 Personen älter als 65. Vom Kleinkind bis 89 sind alle Generationen vertreten. Die wachsene sind in der Mehrheit. Bewohnerschaft ist aber insgesamt jünger als Überdurchschnittlich breit ist der ursprünglich vorgesehen, nur ein Viertel ist über soziale Mix: Was Herkunft, Bil- 50. Auch Familien, Kinder und Jugendliche sind untervertreten. Es dominieren junge kinderlose dungsgrad, beruflichen Hintergrund Erwachsene, die allein, als Paar oder in WGs und Einkommen betrifft, bringt die wohnen. Bei ihnen ist die Siedlung beliebt, einige Siedlung die unterschiedlichsten haben Freunde nachgezogen. Menschen zusammen. Die Genossenschaft GenerationenWohnen hatte geplant, die Mieterinnen und Mieter sorgfältig auszuwählen. Sie hätte sie vorgängig genau über die Ziele, das Konzept und die Organisation der Siedlung und über die damit verbundenen Erwar- tungen informiert. Wegen der schwachen Nach- frage gibt es nun aber keine Triage der Interessier- Altersverteilung im April 2021 ten nach Alter oder anderen Kriterien. (Alter bei 94 von 101 Personen bekannt) Grosse soziale Vielfalt 0–19 Jahre 12 Personen Aussergewöhnlich gross ist die soziale Vielfalt. In 20–29 Jahre 36 Personen neuen Genossenschaftssiedlungen leben sonst oft 30–39 Jahre 19 Personen eher homogene Gruppen, häufig aus dem sozial- demokratischen und grünen Milieu mit bildungs- 40–49 Jahre 4 Personen bürgerlichem Hintergrund. In traditionellen 50–59 Jahre 9 Personen Baugenossenschaften dominieren oft bestimmte 60–69 Jahre 5 Personen Berufe wie Eisenbahner oder Angestellte der 5 Personen öffentlichen Hand. Weil bei der GeWo-Siedlung 70–79 Jahre die Gründergenossenschaft mit ihrer Klientel 80–89 Jahre 4 Personen abgesprungen ist, ziehen nun Personen ein, die Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 20
kein besonderes Interesse am gemeinschaftlichen Schweiz geflüchtet sind. Einige stehen am Anfang Konzept haben. Sie suchen schlicht eine Woh- ihrer Karriere, andere bringen einen Rucksack nung in Burgdorf. Die meisten kommen aus der voll mit schweren Erfahrungen, aber auch voller Region. Erfahrungswissen mit. Nur wenige sind hier, weil sie ein Mehrgenerationenprojekt eine gute Idee Wegen der Vielfalt der Wohnungen und der finden. Bei den meisten standen nicht Pull-, Mietpreise hat sich ein vielfältiger Mix ergeben, sondern diverse Push-Faktoren hinter dem Um- was berufliche Hintergründe, Bildungsgrad und zug. Die Wege, auf denen sie von der GeWo- Herkunft betrifft. Es mischen sich diverse Lebens- Siedlung erfahren haben, sind vielfältig. situationen, Kulturen und Wertvorstellungen. Etliche Personen mit Beeinträchtigungen haben hier ein Zuhause gefunden, daneben solche aus diversen Ländern, und dank einem Verein, der Wohnungen mietet, auch ein Student aus Syrien Die Treppenhäuser sind von und eine Familie aus Afghanistan, die in die oben natürlich belichtet. Bis zu sieben Wohnungen liegen auf einem Stockwerk. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 21
Betriebsgenossenschaft, Verwaltung, Gemeinwesenarbeit Da die städtische Überbauungs GeWo Burgdorf Genossenschaft – eine ordnung eine Genossenschaft der Top-down-Gründung Nach dem Ausstieg der Gründergenossenschaft Bewohnenden als Trägerin des drängte die Zeit. Die Siedlung war bald fertig, Gemeinschaftslebens festschreibt, doch fehlten der GVB die Mieterinnen und M ieter. musste die GVB nach dem Abgang Sie gründete die von der Stadt verlangte Betriebs- genossenschaft schliesslich selber.10 Für die neue der Gründerinnen und Gründer «GeWo Burgdorf Genossenschaft» (GeWo) stellte eine neue Genossenschaft ins Leben sie einen Gründungsvorstand zusammen mit rufen. Von professioneller Gemein- je einer Vertretung der GVB, der Stadtregierung, der Verwaltungsfirma Lubana, des Spitexvereins wesenarbeit unterstützt, fördert sie und der Localnet AG, die die Region Burgdorf freiwillige Aktivitäten und Kontakte. mit Strom, Gas, Wasser, Wärme und Telecom Die Arbeitsteilung mit der Immo versorgt. Sie achtete dabei auf Vernetzung in der Region, hingegen fehlte genossenschaftliche bilienverwaltung muss laufend im Erfahrung. Präsident wurde Christoph Wyss, Alltag geklärt werden, dabei treffen Verwaltungsrat der Lubana AG, Vizepräsident unterschiedliche Verwaltungs- Stefan Lucy, Leiter Immobilien der GVB. und Konfliktkulturen aufeinander. «Unser Ziel ist, dass die Genossenschaft selbst bestimmt handeln kann. Sie soll beispielsweise die Gemeinschaftsräume betreiben und sozio kulturelle Aktivitäten fördern», erklärt Stefan Lucy.11 Auch den Aussenraum sollen die Bewoh- nenden gemeinsam nach ihren Bedürfnissen gestalten. Das wichtigste Ziel ist der Aufbau eines generationenübergreifenden sozialen Netzes der Bewohnenden zur gegenseitigen Unterstützung und zur Erhaltung der Selbständigkeit im Alter. Für diese Aufgaben hat die Genossenschaft ein Budget, das aus maximal 3 % der Mieteinnahmen gespeist wird. Die GVB investierte als Anschub- finanzierung und für die Einrichtung des Aussen- raums und der Gemeinschaftsräume rund 120 000 Franken. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 22
Alle Mieterinnen und Mieter sind Genossen- schaftsmitglieder. Da sie nicht wegen der Gemein Was ist eine Baugenossenschaft? schaftsidee hier einziehen, wollten die GVB und Baugenossenschaften sind Selbsthilfeorganisationen der Vorstand die Schwelle möglichst niedrig zum gemeinsamen Bau von Wohnungen. Sie sind in halten. Die Mitgliedschaft ist gratis und es gibt der Regel gemeinnützig und steuerbefreit. Die keinerlei Verpflichtung zu Freiwilligenarbeit. Wohnungsmieten entsprechen dann der Kostenmiete, Die Mitglieder haben aber das Stimmrecht an der d. h. sie decken nur die Kosten, die durch Landkauf, Hypotheken, Bau, Unterhalt und Verwaltung entste- Generalversammlung. «Bei der GeWo muss sich hen, einen Profit erzielt niemand. Darum werden niemand engagieren», sagt Christina Stampfli von Genossenschaftswohnungen im Vergleich zu privaten der GVB. «Im Vordergrund stehen darum nicht Mietwohnungen jedes Jahr ein paar Prozente günsti- Leistungen wie Nachbarschaftshilfe, sondern das ger. Bei Mieter-Baugenossenschaften sind die gemeinschaftliche Zusammenleben: Begeg Mieterinnen und Mieter Genossenschaftsmitglieder nungen, Anlässe und Freizeitaktivitäten». Nach- und damit gemeinsame Besitzer aller Wohnungen und barschaftshilfe soll nicht in geführter Form Siedlungen. Beim Einzug kaufen sie Anteilscheine (ihren Anteil am Besitz), in der Regel für einen tiefen organisiert werden, sondern von selber wachsen fünfstelligen Betrag, den sie bei Austritt zurückerhal- zwischen Personen, die sich mögen. ten. Genossenschaften sind demokratisch organisiert, die Mitglieder wählen den Vorstand an der jährlichen Das sieht auch Christa Schönenberger so. Die Generalversammlung. Soziokulturelle Animatorin ist Projektleiterin Baugenossenschaften entstanden in der Schweiz in Gemeinwesenarbeit bei Pro Juventute Bern drei Wellen: Vor und nach dem Ersten Weltkrieg als und leitet in der GeWo-Siedlung die Moderation Selbsthilfe von Arbeitern gegen den Mangel an der Mietenden und den Aufbau einer Siedlungs- bezahlbaren Wohnungen vor allem in Deutschschwei- organisation. Nach ihrer Einschätzung hätte zer Städten. Dann 1942–1950, als Bund, Kantone und Städte aus Angst vor einer neuerlichen Wohnungsnot das ursprüngliche Betriebskonzept niemals den genossenschaftlichen Wohnungsbau subventio- funktioniert. Es habe zwar auch keine Verpflich- nierten. Die dritte Welle dauert seit den 1980er-Jah- tung zu einem Einsatz für die Gemeinschaft ren an und ist vor allem durch die Suche nach alterna- vorgesehen, aber viel zu hohe Erwartungen an tiven Wohnformen motiviert. Genossenschaften das freiwillige Engagement der Bewohnenden entstehen nun auch ausserhalb der Städte. Sie sind enthalten. vielfältig, innovativ und bleiben oft klein, manche bauen z. B. nur eine Alterssiedlung. Mit neuen Kombi- nationen von Nutzungen inspirieren sie die älteren Immobilienverwaltung Baugenossenschaften und animieren sie zum Bau von Aus der Geschichte der Siedlung hat sich eine neuen Siedlungen. komplexe Organisation für den Betrieb ergeben. Dass eine Siedlung in privatem Besitz eine Betriebs- Nach dem Wegfall der Gründergenossenschaft genossenschaft hat, die das Gemeinschaftsleben brauchte die GVB für Vermietung, Verwaltung organisiert wie die GeWo Burgdorf, ist ein Sonderfall. und Unterhalt der Siedlung eine Immobilienver- Die Rechtsform Genossenschaft ist für diesen Zweck waltungsfirma. Sie sollte in Burgdorf verwurzelt eigentlich zu aufwändig. Die Aufgabe in Burgdorf sein. Die Lubana AG ist eine erfahrene und lokal könnte auch ein Verein übernehmen, bei dem Grün- bestens vernetzte Immobiliendienstleisterin. Sie dung, Statuten, Organisation und Buchhaltung einfacher sind. Die genossenschaftliche Form wurde hatte aber keine Erfahrung mit Mehrgeneratio- hier gewählt, weil es in der Überbauungsordnung und nenprojekten, Selbstorganisation und Mitsprache in der Baubewilligung so festgelegt war. von Bewohnenden und war mit den Grundsätzen der heutigen Gemeinwesenarbeit nicht vertraut. Ihr Verwaltungsrat Christoph Wyss engagierte sich jedoch stark in der neu gegründeten GeWo Burgdorf Genossenschaft. Er schrieb ein Konzept- papier, übernahm das Präsidium und verfasste die Charta und weitere Grundlagenpapiere. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 23
Viele Akteure – unklare Schnittstellen Wegen der vielen Beteiligten war der Aufwand für Kommunikation und Koordination vor allem im ersten Jahr gross. Die GVB hat noch wenig Erfahrung mit genossenschaftlichen Strukturen und verfügt nicht über ein Modell, das bereits bewährt wäre, zur Organisation, Kommunikation und Arbeitsteilung zwischen ihr als Besitzerin, der Verwaltungsfirma, der Hauswartung und der Genossenschaft der Mietenden. Vielmehr muss sie laufend ausprobieren, was funktioniert und was nicht. Begegnung bei den Briefkästen Das Nebeneinander einer Verwaltung und einer in der gedeckten Vorzone vor dem Hauseingang. Siedlungskoordination durch soziokulturelle Animatorinnen war vor allem für die Bewohnen- den verwirrend. Was sollten sie selber machen, welche Anliegen mussten sie an die Verwaltung Die Lubana AG besorgt auch die Geschäftsfüh- richten und welche mit Christa Schönenberger rung der Genossenschaft. Mit der Hauswartung oder in einer Arbeitsgruppe besprechen? Was war beauftragte sie einen Liegenschaftsdienst. Sache der Hauswartung, was nicht? Wo ist die Grenze zwischen Unterhalt des Aussenraums und Gemeinwesenarbeit und Soziokultur seiner Gestaltung durch die Bewohnenden? Weil die Bewohnenden keine Erfahrung mit Im ersten halben Jahr wurde Schönenberger zur Selbstorganisation haben, hat die GVB die Ge- Ansprechperson für sämtliche Fragen der Be meinwesenarbeit der Pro Senectute Bern beauf- wohnenden, auch bei technischen Problemen. Sie tragt, sie beim Aufbau einer Siedlungsorganisa- engagierte sich stark, denn es half ihr beim tion und des Gemeinschaftslebens zu begleiten. Knüpfen von Kontakten. Es wurde dann aber zu Das Mandat umfasst soziokulturelle Animation, viel, fast täglich stand sie im Austausch mit der Unterstützung beim Aufbau von thematischen GVB und der Verwaltungsfirma. Arbeitsgruppen, Moderation der Kommunikation und Koordination aller Beteiligten. Projektleite- Die Kompetenzen konnten im Vorstand der rin Christa Schönenberger legte einen Ablauf für Genossenschaft klarer geregelt werden. Schönen- den Aufbau der Siedlungsorganisation fest. Sie berger entwarf ein Organigramm. Doch manche fungiert als Bindeglied zum Vorstand der Genos- Schnittstellen blieben problematisch, etwa die senschaft, erstellt eine Jahresplanung mit Budget zwischen Immobilienverwaltung und Gemeinwe- und einen Dreimonatsplan mit Veranstaltungen. senarbeit. Diese beiden Akteure unterscheiden Sie orientiert sich dabei an der Charta, den Statu- sich fundamental darin, wie sie mit Konflikten ten und am Betriebskonzept der GeWo Burgdorf umgehen. Wenn sich etwa Raucher beim Haus- Genossenschaft. Zu Beginn wurde sie von drei eingang treffen und Bewohnende im Stockwerk Kolleginnen unterstützt, heute noch von einer. darüber sich vom Rauch gestört fühlen und Sie waren im ersten Jahr an zwei Mittwochen und reklamieren, reagiert eine Hausverwaltung zwei Samstagen pro Monat in der Siedlung prä- normalerweise mit einer Weisung: Rauchen vor sent, ganz zu Beginn jeden Samstag. Das Mandat den Hauseingängen verboten! Sie will das Prob- startete mit einem Pensum von 600 Stunden pro lem so rasch wie möglich lösen und vertritt eine Jahr und war zunächst auf zwei bis drei Jahre erzieherische Haltung. Gemeinwesenarbeit angelegt, danach sollten die Bewohnenden die hingegen will den Konflikt nutzen und die Betei- Siedlungsorganisation übernehmen. ligten mit Geduld dazu befähigen, gemeinsam Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 24
eine eigene Lösung zu finden und sich dabei Mandat zuteilen, sondern betreffen oft beide. kennen- und schätzenzulernen, so dass die Dabei behindern sich die beiden Unternehmens- Gemeinschaft zu wachsen beginnt. Die Luba- kulturen in manchen Fällen, was den Prozess der na AG wie auch Pro Senectute Gemeinwesen- Gemeinschaftsbildung bremst. Diese Komplexi- arbeit führen beide ihre Aufträge aus, doch die tät haben vermutlich alle unterschätzt, die spe- Fragen, die im Alltag auftauchen, lassen sich zielle Konstellation war für alle neu, die Lernpro- selten eindeutig dem einen oder dem anderen zesse brauchen viel Zeit. Christoph Wyss, der als Organigramm der Siedlungsverwaltung Blaue Pfeile (Steuerung): Rote Pfeile (bezahlte Aufträge): Vertretung im Vorstand der GeWo 1 GVB an GeWo: Organisation des Siedlungslebens, Einrichten von Aussenraum und Gemeinschaftsräumen 2 GVB an Pro Senectute: Gemeinwesenarbeit zur Unterstützung der Selbstorganisation der Bewohnenden Graue Pfeile (Ausführung): 3 GVB an Lubana AG: Vermietung, Verwaltung, Inkasso, Unterhalt Lubana AG: Vermietung, Verwaltung, Inkasso 4 GeWo an Lubana AG: Geschäftsführung der Genossenschaft Gfeller AG: Hauswartung und Unterhalt 5 Lubana AG an Gfeller AG: Hauswartung und Unterhalt Pro Senectute: Gemeinwesenarbeit GVB Spitex- Verein Localnet AG Stadt GeWo Burgdorf Vorstand Chr. Wyss, VR Lubana AG GeWo Siedlungsversammlung Pro Lubana AG Senectute AG AG AG AG AG AG AG AG AG AG Siedlungsorganisation Gfeller Mieterinnen und Mieter GVB Siedlungsorganisation Pro Senectute Lubana AG Gebäudeversicherung Bern: Bewohnende, organisiert in Pro Senectute Gemeinwesen Vermietung, Bewirtschaftung, Besitzerin, Auftraggeberin, Arbeitsgruppen, koordiniert arbeit & Soziokultur: Siedlungs- Unterhalt der Siedlung (im Auftrag strategische Leitung. durch die Siedlungsversammlung: koordination, Moderation, sozio- der GVB); Geschäftsführung der Gestaltung, Nutzung und Pflege kulturelle Animation, Aufbau der Genossenschaft (im Auftrag der GeWo der Gemeinschaftsräume, des Siedlungsorganisation mit den GeWo Burgdorf Genossenschaft). GeWo Burgdorf Genossenschaft: Aussenraums und des Inventars, Bewohnenden (im Auftrag der Koordination der Beteiligten zur Organisation und Durchführung GeWo Burgdorf Genossenschaft, Gfeller Organisation des Siedlungsle- von gemeinsamen Aktivitäten. finanziert von der GVB). GF Gfeller Liegenschaftsdienst bens, Finanzierung gemeinschaft- GmbH: Hauswartung (im Auftrag licher Aktivitäten, Anschaffung der Lubana AG). von Inventar. Begleitdokumentation GeWo Burgdorf 25
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