Beispiel: Deutsche Bahn - Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern - Reader zum Workshop am Samstag

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Beispiel: Deutsche Bahn - Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern - Reader zum Workshop am Samstag
Betriebe der Daseinsvorsorge
    demokratisch steuern
Beispiel: Deutsche Bahn

 Reader zum Workshop am Samstag,
  26. April 2014, 13.30 – 15.00 Uhr

           Carl Waßmuth
Beispiel: Deutsche Bahn - Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern - Reader zum Workshop am Samstag
2                          Reader zum GiB-Workshop * „Kopf machen“ in der Bahnpolitik, Stuttgart, 25.-27.4.14

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                                                           Betriebe der Daseinsvorsorge
                                                                 demokratisch steuern –
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                                                                                     Konferenz
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                                              Reader zum Workshop am Samstag,
                                                   26. April 2014, 13.30 – 15.00 Uhr

                                                                                  Carl Waßmuth
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4                                                 Reader zum GiB-Workshop * „Kopf machen“ in der Bahnpolitik, Stuttgart, 25.-27.4.14

INHALT

BAHN ................................................................................................................................................................. 6

Was passiert, wenn öffentliche Kontrolle verschwindet .................................................................................................. 7

Warum wir mitbestimmen wollen ..................................................................................................................................... 8

Wo wir mitbestimmen wollen ............................................................................................................................................ 9

Transparenz: Worüber wir werden informiert wollen ................................................................................................. 12

Verkauf unter Wert, Bezahlung über Preis, Zerstörung zugunsten Dritter ............................................................... 16

Bahncharta ........................................................................................................................................................................ 18

Das „Bahn-der-Zukunft“-Projekt von Bahn für Alle .................................................................................................... 20

Wer bestimmt derzeit über die Bahn .............................................................................................................................. 21

Diskussionen zur Bahnstruktur 2008 – 2014 .................................................................................................................. 28

DEMOKRATISCHE KONTROLLE UND STEUERUNG ......................................................................... 29

Was verstehen wir unter demokratische Kontrolle ....................................................................................................... 30

Volks- und Bürgerentscheide zur Bahn .......................................................................................................................... 33

Bundesweiter Volksentscheid .......................................................................................................................................... 44

Die Schweiz – ein unterschätztes Vorbild ....................................................................................................................... 45

Rückgewinnung vom Bahnsystemen nach Privatisierungen ........................................................................................ 47

Das Beispiel Berliner Wasser ........................................................................................................................................... 51

INTERESSANTE DISKUSSIONEN, DIE INNERHALB DIESES WORKSHOPS NICHT
BEHANDELT WERDEN KÖNNEN............................................................................................................ 57

Trennung bzw. keine Trennung von Netz- und Betrieb ................................................................................................ 58

Genossenschaftsmodell ..................................................................................................................................................... 59

ANHANG ........................................................................................................................................................ 64

Dokumentation des Projekts „Bahn-der-Zukunft“ von Bahn für Alle 2008 ............................................................... 65

Dokumentation weiterer Fachdiskussionen .................................................................................................................... 73
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Bahn
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Was passiert, wenn öffentliche Kontrolle verschwindet
Vor 20 Jahren wurde die Bahn reformiert. Vor allem wurde sie formell privatisiert und durch die
Änderung des Grundgesetzes auf den Börsengang vorbereitet. Der Börsengang scheiterte vorerst,
durch einen Vorratsbeschluss steht er allerdings weiter auf der politischen Agenda. Die formell
private DB AG hat aber die 20 Jahre genutzt, um jenseits jeglicher demokratischen Kontrolle
Milliarden Euro aus Staatshaushalt und Schienenverkehr herauszutransferieren – zu Lasten von
Steuerzahlenden, Bahnkunden und Umwelt.
Alle Bundesregierungen der vergangenen 20 Jahren haben stets fast nur Manager für Bahnvorstand
und -Aufsichtsrat bestellt, deren Interessen dem Bahnverkehr entgegenstehen: Böcke als Gärtner,
mehrheitlich aus der Auto- und Luftfahrtindustrie. Diese Manager durften aus der Bahn eine
steuerfinanzierte Melkkuh zum Nutzen Dritter machen. Wenn Parlament oder Bürgerinnen und
Bürger eine demokratische Steuerung der Bahn forderten, verwies die Bundesregierung stereotyp
aufs Aktienrecht: Steuerung leider nicht möglich, da privatrechtlich organisiert.
Dabei ist die DB AG nur privat, wenn es ums Geldausgeben geht, nicht bei den Einnahmen: Fürs
laufende Geschäft bekam die DB AG direkt und indirekt jedes Jahr über sechs Prozent des
Bundeshaushalts, in 20 Jahren stolze 375 Milliarden Euro, vom Staat. Und schon zuvor, 1994 wurde
die junge DB AG für den Börsengang reichlich bestückt: geschätzt 100 bis 200 Milliarden Euro hat
der Bund der DB AG allein an Grundstücken übertragen – zum Buchwert von Null Euro.
Innerstädtische Filetstücke und ganze Firmen wurden anschließend weit unter Wert an Dritte
weitergereicht. Zudem wurden unnütze Großprojekte brachial durchgesetzt und die Kosten der
öffentlichen Hand aufgehalst. Vor der Bahnreform hatte der Staat Altschulden aus über 40 Jahren
Bundesbahn übernommen. Die DB AG häufte einen neuen Schuldenberg von heute 17 Milliarden
Euro an. Über 10 Milliarden Euro an Zinsen bekamen Banken, die mit Bundesanleihen nicht einmal
die Hälfte davon verdient hätten.
Ohne öffentliche Kontrolle war es auch möglich, dass die DB AG Politiker ebenso kaufen konnte
wie Gewerkschafter und sogar deutsche Verkehrswissenschaftler. Als einer der größten
Anzeigenkunden in Deutschland beeinflusste die DB AG auch die Berichterstattung und wenn das
nicht ausreichte, fingierte sie Leserbriefe und ließ scheinbar neutrale Studien in ihrem Sinne erstellen
– zuletzt zur Bahnreform selbst.
Statt den Schienenverkehr in Deutschland zu stärken wurde das Steuergeld dazu verwendet, aus der
Bahn einen international tätigen Logistikkonzern zu formen, der Flugzeuge fliegen und Schiffe und
Lkws fahren lässt. Weit über hunderttausend Stellen im Bahnbereich wurden abgebaut, Investitionen
massiv zurückgefahren. In der Folge verrotten Brücken, Schienen und Tunnel, brechen ICE-Achsen,
die S-Bahn Berlin fährt bereits im fünften „Chaos-Jahr“. Nur die Fahrpreise steigen jährlich. Das
alles war möglich, weil sich die Akteure hinter dem Aktienrecht und im komplexen Geflecht der
zahlreichen Tochterfirmen verstecken konnten.
Im Workshop geht es um folgende Fragen:
Welche neuen Instrumente der Kontrolle und Steuerung können gefunden werden?
Welche Wege führen zu diesen Instrumenten? Welche Bahn soll damit erreicht werden?
Der vorliegende Reader soll Texte und Anregungen liefern, die bei der Vor- und Nachbereitung
hilfreich sein können.
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Warum wir mitbestimmen wollen
Kontrolle und Mitbestimmung sind keine Werte. Sind wir Kontroll-Freaks, wollen wir alles steuern?
Und selbst wenn – wer kann das eigentlich überhaupt leisten, alles zu kontrollieren und zu steuern,
überall mitzubestimmen?
Wenn eine Einrichtung gut funktioniert, müssen nicht alle mitreden. Die Bahn funktioniert aber
schlecht, und noch schlimmer: Durch die schlechte Bahn wird die Verkehrswende verspielt.
Die CO2-Emissionen des wachsenden Verkehrs machen in Europa alle CO2-Einsparungen von
Haushalten und Industrie zunichte. Weltweit gehört der stark anwachsende Verkehr in seiner
aktuellen Ausformung zu den größten Klimakillern überhaupt. China und Indien kopieren unser
Verkehrssystem – und in der Folge wächst dort die Zahl der Opfer des Autos rasant, sterben
Millionen Menschen. Und auch in Deutschland sterben trotz angeblich höchster technischer
Standards jedes Jahr immer noch weitaus mehr Menschen durch Autounfälle als bei den Anschlägen
auf das World Trade Center ums Leben kamen. Und Feinstaub, der maßgeblich durch Auto- und
Lkws verursacht wird, lässt in Deutschland sogar 70.000 Menschen früher sterben – pro Jahr.

Es geht um unsere Daseinsvorsorge

Können wir es dann nicht einfach bleiben lassen? Müssen wir so viel herumfahren und uns und
unsere Kinder gefährden und unsere Umwelt zerstören? Können wir nicht zu Hause bleiben?
Sicher kann man auf die eine oder andere Flugreise verzichten, und auch auf das Fliegen insgesamt.
Aber zur Arbeit müssen wir weiterhin kommen können, wir müssen einkaufen, wollen am
kulturellen Leben teilhaben und benötigen Erholung von Arbeit und Einkaufen – also Urlaub.
Für alles müssen wir Wege zurücklegen. Die Anzahl dieser Wege pro Jahr ist zwar seit sechzig
Jahren etwa gleich geblieben. Die zugehörige Wegstrecke allerdings hat sich verzwölffacht 1. Wir
leben in modernen Massengesellschaften, die hochgradig arbeitsteilig sind. Dem können wir uns
nicht auf die Schnelle und in großer Zahl entziehen. Um unser Leben in diesen modernen
Gesellschaften in Würde führen zu können, müssen wir fahren - am liebsten mit dem Fahrrad oder
der Straßenbahn, aber von Zeit zu Zeit auch mit dem Zug. Bahnverkehr gehört somit zu den für uns
unverzichtbaren Dienstleistungen der Daseinsvorsorge.

Kann der Markt nicht die Daseinsvorsorge bereitstellen?

Angefangen von Adam Smith über Friedrich Hayek bis Milton Friedman erkennen alle Neoliberalen
an, dass es Bereiche öffentlicher Aufgaben und öffentlicher Daseinsvorsorge gibt, die der Markt
niemals erfassen und regeln wird, die aber gleichwohl für das Funktionieren von Handel und
Gesellschaft unabdingbar sind. Bei Hayek liest sich das so:
      "Sie [die wünschenswerten Dienstleistungen, die von wettbewerblichen Unternehmen nicht
      bereit gestellt werden] schließen auch diejenigen Betätigungen ein, die Adam Smith
      beschrieben hat als >>öffentlichen Anstalten und Unternehmungen [...] die, so vorteilhaft sie
      für ein ganzes Volk sein mögen, doch niemals einem einzelnen oder einer kleinen Zahl von
      Personen die Kosten ersetzen.
Beispiel: Deutsche Bahn - Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern - Reader zum Workshop am Samstag
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn           9

Die Bahn „rechnet sich“ nicht, so wie sich kein Bahnsystem der Welt „rechnet“. Die erforderlichen
enormen Infrastrukturinvestitionen können nur von der Allgemeinheit aufgebracht werden.
Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe, und sie entfaltet ihren Nutzen auch vorwiegend im
Gemeinwohl – also öffentlich. Deswegen muss Daseinsvorsorge auch von der Allgemeinheit
gestaltet werden. Bezogen auf die Bahn heißt das: Die Bevölkerung braucht die Bahn (die Auto-,
Luftfahrt- und Mineralölkonzerne könnten darauf auch verzichten). Und die Bevölkerung bezahlt die
Bahn auch. Nun brauchen und bezahlen wir die Bahn – aber wir bekommen die benötigten und
bezahlten Leistungen nicht oder zumindest nur in sehr unbefriedigendem Maße. Deswegen ist es
erforderlich – und eigentlich auch selbstverständlich – dass wir die Steuerung der Bahn endlich
selbst übernehmen.

Wo wir mitbestimmen wollen
Mitbestimmung erschöpft sich nicht in dem Kreuzchen, das wir alle vier Jahre machen dürfen.
Mitbestimmung ist genauer, sie ist unmittelbarer. Zur Mitbestimmung gehört auch der Prozess der
Auseinandersetzung mit Gruppen, die ähnliche, aber nicht identische Interessen haben. Nachfolgend
wurde ein erster Versuch unternommen, Bereiche aufzuführen, die der Mitbestimmung bedürfen.
Dabei sind teilweise nur Listen zusammengestellt, zu einzelnen Punkten werden aber auch
ausführlichere Motivationen angeführt.

Mitbestimmen auf Bundesebene

       Bei großen Infrastrukturentscheidungen
       Bei der Besetzung der Bahnführung
       Beim Preis- und Tarifsystem
       Beim Taktsystem (welche Städte werden wie vom Fernverkehr angefahren)
       Beim Erhalt und Ausbau der Infrastruktur
       Bei der Bestellung von Zügen
       Bei der Ausstattung mit Personal
       Hinsichtlich der Garantie von Tariflöhnen
       Bei der strategischen Ausrichtung der Bahn
       Bei der Verfassung der bahn (Rechtsform, Satzung, Ziele)

Mitbestimmen auf regionaler Ebene

Wie sieht unser Bahnhof aus? Was kann man dort bekommen, wie sicher fühlen wir uns dort, ist es
dort warm im Winter und kühl und schattig im Sommer?
Kommen wir barrierefrei zum Zug, ist der Bahnhof gut zu erreichen und mit Bus und Straßenbahn
gut angebunden? Können wir unsere Fahrräder am Bahnhof sicher abstellen? Wann fahren welche
Züge? Wie sind unsere Verkehre vertaktet?
Wer einen Bahnhof betritt, verlässt gleichzeitig das sonst in Deutschland übliche Preisniveau. Das
zeitliche Monopol der Bahn besteht darin, dass sich die Reisenden für eine Stunde oder länger
nirgendwo sonst mit Getränken oder sonstigem Reisebedarf versorgen kann. Die DB AG hat das zu
einer eigenen Einnahmequelle ausgebaut: Wer vergisst, sich mit Wasser oder Proviant zu versorgen,
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wird Opfer preislicher Wegelagerei. Daher ist also auch zu fragen: Wer bestimmt das Preisniveau,
wer macht unsere Bahnhöfe zu „Einkaufsbahnhöfen“ – oder eben nicht?

Mitbestimmen über den Service in den Zügen

Bahn fahren bedeuten, sich auszuliefern. Man steuert nicht mehr selbst, jemand, den man zumeist
nicht zu Gesicht bekommt, steuert stattdessen. Man begibt sich in einen Zug, die Türen schließen
sich hinter einem, den Zeitpunkt, wann sie sich wieder öffnen, kann man nicht bestimmen. Man
begibt sich in enge Gemeinschaft mit unbekannten Menschen, wird Schulter an Schulter neben ihnen
sitzen, Gerüche und Gespräche mitbekommen, wird eine Toilette mit ihnen teilen. Manches davon ist
für eine Bahnfahrt unvermeidbar. Auch im Flugzeug kann man nicht einfach unterwegs aussteigen,
niemand wird sich deswegen beschweren. Aber es ist eine urmenschliche Erfahrung, dass die
Möglichkeit der Einflussnahme die Bereitschaft ungemein erhöht, auch als widrig empfundene
Umstände willig zu ertragen. Eine Studie über geöffnete bzw. geschlossene Fenster in Büroräumen
hat gezeigt: Viele wollen die Fenster oft öffnen, und viele andere wollen sie wann immer möglich
geschlossen halten. Im Grunde sind diese Interessen unvereinbar. Dennoch wird stets eine Lösung
ausgehandelt. Diese Lösung führt dann zu einer durchschnittlich hohen Zufriedenheit in beiden
Gruppen, wenn alle an den Absprachen beteiligt wurden und danach die Absprachen auch
eingehalten werden. Die Zufriedenheit in beiden Gruppen sinkt hingegen drastisch, wenn eine
sogenannte Klimafassade die Lüftung automatisch übernimmt - auch wenn das Lüftungsergebnis
nach objektiven Kriterien dabei besser ist.
Bahnreisenden ist klar, dass sie nicht alleine fahren werden, wenn sie einen Zug besteigen. Aber sie
wollen innerhalb der unvermeidlichen Zwänge Auswahlmöglichkeiten haben, welchen Zwängen sie
sich eher aussetzen als anderen. Manche Zwänge lassen sich auch mildern. Mit Unbekannten eine
Toilette teilen zu müssen wird eher akzeptiert, wenn es ausreichend viele Toiletten gibt und wenn
diese oft gereinigt werden. Dass das so wird, darauf wollen wir Einfluss nehmen.
Zu den Zwängen, die gemildert werden können, gehört, dass es derzeit gleichgültig ist, ob man es
lieber leise hat, oder ob man sich lieber unterhält oder telefoniert – im Zug ist es überall laut. Kinder
wollen sich bewegen, und Kinder rufen laut, weinen laut und lachen laut. Bewegen ist in Zügen im
Gegensatz zum Auto gut möglich. Laut sein ist auch möglich, beides stört aber womöglich andere.
Gibt es nur ein Kinderabteil für die sechshundert Reisenden eines Zugs, wird der Bewegungs- und
Mitteilungsdrang der zugfahrenden Kinder mit dem Wunsch anderer Reisender nach Ruhe in
Konflikt geraten. Umgekehrt wird man Mühe haben, ein Kind zum Einschlafen zu bringen, solange
man Nachbarn hat, die sich laut am Telefon mitteilen müssen. Die Bereitschaft der Reisenden,
Störungen willig zu ertragen, wächst enorm, wenn sie die Wahl haben - stören mich Kinder mehr als
Telefonate? Diese Wahl gibt es bisher nur theoretisch. Praktisch habe ich jedoch die Wahl, den Zug
fahren zu lassen und das Auto zu nehmen. Und genau das tut der ganz überwiegende Teil der
Reisenden – zu Lasten der Umwelt und der Steuerkasse. Und deswegen wollen wir auch über den
Service in den Zügen mitbestimmen, wollen über die Anzahl der Ruheabteile sprechen und was sonst
alles noch möglich und wünschenswert ist, um vielen Menschen – auch mit unterschiedlichen
Reisebedürfnissen – das Zugfahren angenehm zu machen.
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn           11

Die Beschäftigten wollen mitbestimmen

In Frankreich und Italien gibt es eine Reihe von Basisgewerkschaften, die den Versuch unternehmen,
Kundeninteressen mit den Interessen der Beschäftigten zu verbinden. Dazu gehört auch ein
basisdemokratisches Verständnis innerhalb der Gewerkschaft. Im Bahnbereich etablierte sich z.B.
die französische SUD Rail bei den letzten Wahlen zu den PersonalvertreterInnen im Aufsichtsrat der
SNCF mit knapp 19 Prozent als zweitstärkste Kraft. Es soll hier nicht tiefergehend bewertet werden,
ob und inwieweit dieser Basisgewerkschaftsansatz erfolgreich sein kann.
Im Falle der Bahn in Deutschland ist der Ansatz jedoch insofern interessant, als hier in den
vergangenen zwanzig Jahren die widerstreitenden Interessen von Kunden und Beschäftigten
besonders stark gegeneinander ausgespielt wurden - mit dem Ergebnis, dass beide Gruppen nahezu
vollständig unmündig gehalten werden konnten. Dabei gibt es gemeinsame Interessen von enormer
Größenordnung. Pressewirksam bekannt wurde das spätestens, als der Hauptbahnhof Mainz für
Wochen vom Fernverkehr abgekoppelt wurde. Hintergrund war der gigantische Personalabbau seit
der Bahnreform 1994. Über zweihunderttausend Arbeitsplätze waren vernichtet worden. Der DB AG
war es gestattet worden, sich in über fünfhundert Tochtergesellschaften aufzuspalten. Viele der
verbliebenen Angestellten arbeiten schon lange bei der Bahn, müssen aber formal alle paar Jahre von
einer dieser vielen Bahntöchter zur nächsten wechseln, und auf diesem Weg hatten sie noch nie einen
unbefristeten Arbeitsvertrag. Auch die Datenschutz-Affäre der DB AG richtete sich maßgeblich
gegen die eigenen Mitarbeiter. Kurzum: Die DB AG ist für viele ein grauenvoller Arbeitgeber.
Das zu verändern, ist deswegen das Anliegen vieler Beschäftigter der Bahn.

Einrichtungen, die machtlos sind bzw. Feigenblätter darstellen

Typisch für Einrichtungen, in denen eine Mitbestimmung nicht möglich ist, sind eigens geschaffene
Gremien, die eine Mitbestimmung oder Mitsprache vortäuschen. Dazu gehören im Falle der DB AG:
       Kundenbeirat
       „BahnBeirat“
       Datenschutzbeirat
       Wettbewerbsbericht
       Beschwerdemanagement
       Telefonrückrufe durch den Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube
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Transparenz: Worüber wir werden informiert wollen
Transparenz ist ein Schlüssel zur Mitbestimmung. Derzeit ist allerdings alles geheim: Die
Eigentümerversammlung der DB AG, die Aufsichtsratssitzungen, die Vorstandssitzungen. Alle
Aufsichtsrats,- Vorstands- und Gesellschaftersitzungen der über fünfhundert Tochtergesellschaften.
Selbst der Verkehrsausschuss des Bundestags tagt oft nichtöffentlich. Keines der zugehörigen
Protokolle ist öffentlich, und wenn eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gestellt
wird, so lässt diese in ihrer Antwort all das unbeantwortet, was sich auf eine dieser vielen
Gremiensitzungen bezieht – und dabei beruft sie sich aufs Aktienrecht. Was wir nicht kennen,
können wir nicht beeinflussen. Dabei geht es hier ja zunächst um das Wissen um bereits gefällte
Entscheidungen. Aber auch von diesen erfahren wir nur insoweit, wie es den Entscheidern selbst
beliebt, uns mitzuteilen. Wir kennen auch keine der vielen Gewinnabführungs- und
Beherrschungsverträge3. Die DB AG ist denkbar intransparent. Es ist kaum nachzuvollziehen, was
sie macht, wie sie strukturiert ist, wohin welche Gelder fließen. Die Intransparenz steht in direktem
Widerspruch zu dem Daseinsvorsorgeauftrag. Einige weitere bekannte Belege für die nahezu
beispiellose Intransparenz der DB AG:
         Negativpreis "verschlossene Auster" (Journalistenpreis)
         Undurchschaubarer Infrastrukturzustandsbericht
         Undurchschaubarer LUFV-Leistungsbericht
         Undurchschaubares Firmenkonglomerat, gebildet aus über 500 Einzelunternehmen
         Platzierung von verdecken Beiträge in verschiedenen Medien für 1,3 Mio. Euro,
          (Aufdeckung durch lobbycontrol 2009)
         zahlreiche Wechsel von Politikern zur DB, ohne dass klar ist, welche vorweg erbrachte
          Gegenleistungen es gegeben hatte
Es ist darüber hinaus interessant, das ausgerechnet die derart intransparente DB AG gleichzeitig eine
der aggressivsten Akteure in der Verletzung der Datenschutzrechte anderer ist. Wissen ist Macht,
und das wiederum weiß offenbar auch die DB AG. Wer viel über andere weiß und selbst nichts
preisgeben muss, der kann sich dadurch Vorteile verschaffen. Eine weitere Liste:
         Negativpreis für Verletzung des Datenstutzes "Big Brother Award" (zweimal)
         versteckter Chip in der BahnCard 100
         Massenhafte Überwachung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, später ausgeweitet zum
          „Datensammel-Skandal 2009“, der unter anderem zum vorzeitigen Rücktritt von Hartmut
          Mehdorn führte
         In der Folge die höchste Strafzahlung für die Verletzung des Datenschutzes seit Bestehen des
          zugehörigen Datenschutzgesetzes: 1,1 Millionen Euro
Es geht bei der Transparenz um zwei Dinge: Zum einen wollen wir jetzt, bezogen auf die aktuell
existierende DB AG mit all ihren Konstrukten, die sie steuern und die von ihr gesteuert werden,
wissen, wer wann was wie entscheidet. Wir wollen das wissen, um die skandalösen Ergebnisse

3
    Monika Lege, verkehrspolitische Referentin bei von Robin Wood, wies darauf hin, dass „Beherrschungsvertrag“ ein
    sehr bezeichnendes Wort ist: Zum einen ist „Beherrschung“ ein sehr deutliches sprachliches Bild, wie es in unserer
    geglätteten Sprache nur noch selten so ehrlich zu finden ist. Zum anderen aber wird der Widerspruch offenbar, der in
    dem Konstrukt steckt. Verträgen geht gemeinhin eine Verhandlung voraus, und am Ende willigen beide ein. Wer aber
    willigt darin ein, dauerhaft beherrscht zu werden?
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn           13

dieser Entscheidungen auf die zurückzuführen, die die Entscheidungen getroffen haben. Nur so
können wir einen politischen Druck erzeugen, der ausreicht, zunächst die Akteure zu ersetzen und
dann auch die Strukturen zu verändern. Dauerhaft ist es nicht unser Ziel, die Protokolle von
wahrhaftig tausenden Sitzungen pro Jahr zu lesen und auszuwerten. Aber um zu zeigen, dass genau
dort im hier und jetzt, Monat für Monat wieder, die Weichen falsch gestellt werden, wollen wir das
wer-was-wann-wie offengelegt bekommen.
In einem zweiten, mehr visionären Schritt geht es dann darum, eine in der Zukunft erreichte bessere
Bahn auch dauerhaft zu behalten. Auch dazu benötigen wir Kontrolle, und Kontrolle erfordert
Transparenz. Es ist von daher unsere Aufgabe, von vornherein Strukturen zu finden, in denen es
leicht ist, Transparenz zu erzeugen.

Wer entscheidet wann was wie

       in der Eigentümerversammlung der DB AG,
       in den Aufsichtsratssitzungen der DB AG und der DB ML AG,
       in den Vorstandssitzungen der DB AG und der DB ML AG
       in allen Aufsichtsrats,- Vorstands- und Gesellschaftersitzungen der über fünfhundert
        Tochtergesellschaften der DB AG
       im Verkehrsausschuss des Bundestags, wenn dort über die Bahn gesprochen wird

Was steht in …

       den Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen
       den Grundbüchern der DB AG
       der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung
       in den Infrasturkturzustandsberichten

Was passiert mit welchen Geldern

       3,8 Milliarden Euro jährlich für den Ausbau der Infrastruktur
       4,2 Milliarden Euro jährlich an Regionalisierungsmitteln an die DB Regio AG
       5,5 Milliarden Euro jährlich für das „Bundeseisenbahnvermögen (BEV)“

Über die Entwicklung der Fahrpreise

Wir wollen auch wissen, wie sich die Preise entwickelt haben. Die Statistiken der Deutschen Bahn
über die jährlichen Preiserhöhungen sind sehr unvollständig. Angegeben wird ein Durchschnittswert,
der nicht im Detail nachvollziehbar ist. Besondere Leistungen wie Reservierungen oder etwa die
BahnCard werden gar nicht aufgeführt. Das Bündnis „Bahn für Alle“, Kundenverbände sowie
Verbraucherschützer bemühen sich, die Preisentwicklung nachzuverfolgen, können aber nicht alles
erfassen. Wir wollen das wissen, weil wir Preise besser akzeptieren können, wenn wir sie verstehen.
Und weil wir solche Preise, die nicht nachvollziehbar sind, verändern wollen.
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Wie entwickeln sich die Zugverbindungen

Aus einem sehr ähnlichen Grund wollen wir wissen, wie sich die Verbindungen verändern. Es ist
eine langjährige Praxis der DB AG, Wartung und Instandhaltung von Strecken, Brücken und
Tunneln zu verzögern. In der Folge werden Langsamfahrstellen erforderlich, die dann beim nächsten
Fahrplanwechsel zum Dauerzustand, d.h. zur dauerhaften Geschwindigkeitsreduktion erhoben
werden. Viele Jahrzehnte gab es das Kursbuch der Bahn als Dokumentation von Abfahrtszeiten und
Zugverbindungen. Das gedruckte Kursbuch wurde ersetzt durch das elektronische Kursbuch.
Mitlerweile gibt es nicht einmal mehr das. Die DB AG löscht hinter sich ihre Spuren. Warum? Wenn
die Bahn immer schneller wird, muss das nicht versteckt werden. Wenn die Bahn immer langsamer
wird, muss das verändert werden. Dazu benötigt es Öffentlichkeit, weil nur damit der erforderliche
öffentliche Druck erzeugt werden kann.

Wann ist welcher Service verfügbar

Uns interessieren auch die Gründe für jede Einschränkung des Services wie falsche Wagenreihung,
verlorengegangene Platzreservierung oder geschlossenes Zugrestaurant. Wenn ein Aufzug, ein
Fahrkartenautomat, eine Rolltreppe defekt ist, wollen wir wissen: Wann wird der Schaden behoben?
Wie oft und wie lange war diese Einrichtung in den letzten Jahren defekt? Und auch für den Fall der
Fälle: wer ist konkret dafür zuständig? Der Berliner Nahverkehrsbetreiber BVG gibt zum Beispiel
genau dazu vierteljährlich Verfügbarkeitsquoten an.

Über den Grund jeder Verspätung

Eine Verspätung ist ein Zwang, dem man nur dann entkommen kann, wenn man künftig nicht mehr
Zug fährt. Man wird sich erneut dem Risiko des Zwangs aussetzen, wenn man von der
Unvermeidlichkeit überzeugt ist. Oder wenn man sich angemessen für den Verlust an Lebenszeit und
sonstiger Unannehmlichkeit entschädigt fühlt. Um zu beurteilen, ob etwas angemessen ist, muss man
gewisse Informationen bekommen. Unter "Störungen im Betriebsablauf" können sich die Wenigsten
etwas vorstellen.
Wir wollen nicht nur im Einzelfall über den Grund unserer aktuellen Verspätung informiert werden.
Wir wollen auch wissen, wie oft welche Verspätung auftritt, wie viele Minuten der Zug zu spät kam,
und ob sich diese Verspätungen häufen oder ob sie abnehmen. Eine der ersten Maßnahmen von
"Bahnchef" Hartmut Mehdorn war es, die Verspätungsstatistiken auf den Bahnhöfen wieder
abzuschaffen, die Johannes Ludewig eingeführt hatte. Warum wollen wir so viel wissen über die
Verspätungen? Weil wir die Ursachen verstehen wollen, und weil wir uns daran beteiligen wollen,
diese Ursachen abzustellen.
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn                                15

Bundeseisenbahnvermögen: Wo sind unsere Grundstücke geblieben?

Die DB AG hat in insbesondere in den ersten Jahren nach der Bahnreform Grundstücke von
gewaltigem Wert verschoben. Eigentlich war es vorgesehen, dass nur die betriebsnotwendigen
Grundstücke bei der DB AG bleiben und die anderen an den Bund gehen, und dort insbesondere an
die Einrichtung namens "Bundeseisenbahnvermögen (BEV)". Das hat aber so nicht stattgefunden.
Stattdessen hat das BEV nach einigen zarten Streitereien und nachdem ein Großteil der Grundstücke
verkauft und die (viel zu geringen) Erlöse bei der DB AG als Sondereinnahmen verbucht waren
einem Kompromiss zugestimmt, der sehr nachteilig für das Vermögen des BEV war. Das Ganze war
allerdings hochgradig undurchsichtig, und so ging selbst die SPD 2006 noch davon aus, dass es zu
den Grundstücksgeschäften der DB AG einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben
wird – und dass bis zu dessen Abschluss kein Börsengang der DB AG möglich sein wird.4
Es kam nicht zum Untersuchungsausschuss, und dennoch nicht zum Börsengang. Wohin welche
Grundstücke wann und zu welchem Preis gegangen sind, ist weiterhin unklar. Es ist ja noch nicht
einmal per Grundbuchauskunft zu erfahren, welcher der vielen DB-Gesellschaften einzelne
Grundstücke gehören, also ob sie z.B. der DB Station und Service AG oder der DB Netz AG
zugeordnet sind.5 Es geht dabei um viele Milliarden Euro, Gelder, die von den Steuerzahlenden
aufgebracht wurden, um den Bahnverkehr in Deutschland zu ermöglichen. Es ist lückenlos
aufzuklären, was wann wohin gegangen ist. Und wenn sich daraus ergibt, dass Geschäfte illegitim
oder ohne hinreichende Rechtsbasis erfolgten, dann kann daraus die Forderung abgeleitet
werden,dass sie rückabzuwickeln sind.

Regionalisierungsmittel: Was haben die Länder damit gemacht

Es wird stets wiederholt, dass die Erhöhung der Gelder für die Regionalverkehre, die sogenannten
Regionalisierungsmittel, zu einem der großen Erfolge der Bahnreform geführt hat. Über diesen
vermeintlichen oder tatsächlichen Erfolg wird leicht vergessen, dass es keineswegs gesichert ist, ob
diese in der tat beträchtlichen Gelder auch wirklich im Schienenverkehr angekommen sind. Der
Bund verweist in einer Regierungsantwort auf eine parlamentarische Anfrage zu den
Regionalisierungsmittel auf die Verantwortung der Länder. Dort ist es aber auch nicht ohne weiteres
erkennbar, was mit den Geldern passiert ist. Um einfach darauf zu vertrauen "wird schon stimmen"
geht es einfach um viel zu viel Geld. Es besteht in mehreren Fällen der begründete Verdacht, dass
Bundesländer mit Hilfe der Regionalisierungsmittel ihre Landeshaushalte querfinanziert haben. Wir
wollen genau wissen, wohin wann welche Gelder geflossen sind. Dazu muss eine eigene,
transparente Rechnung aufgestellt werden, die ohne Mühe nachprüfbar ist. Nur so kann verhindert
werden, dass der ohnehin schon schmale Schienenverkehrshaushalt nicht auch noch den Straßenbau
kofinanziert.

4
    Dr. Jens-Otto Spiller, MdB, im Gespräch mit Bahn für Alle 2006
5
    So konnte im Fall der Blumenhändlerin Marina Godehard, die einen kleinen Blumenladen vor einem S-Bahnhof in
     Berlin hatte und die durch fortlaufende Rechtsstreitigkeiten on der DB AG in die Insolvenz getrieben worden war,
     nicht geklärt werden, ob die Klägerin DB AG tatsächlich Eigentümerin des strittigen Grundstückes war.
16                                 Reader zum GiB-Workshop * „Kopf machen“ in der Bahnpolitik, Stuttgart, 25.-27.4.14

Verkauf unter Wert, Bezahlung über Preis, Zerstörung
zugunsten Dritter
Mithilfe der DB AG ist es dazu gekommen, dass mit Steuergeldern geschaffenes Vermögen unter
Wert verkauft wurde: insbesondere Grundstücke, Firmen und Marken. Und es ist dazu gekommen,
dass von Steuergeldern über Wert eingekauft wurde: Schienen6, Kredite, Firmen (im Falle von
Schenker gab es einen Verkauf und später einen Rückkauf), Manager, Berater. Es wurden sogar mit
Steuergeldern geschaffene Werte, ganze Strukturen zerstört – völlig intakt, zum Vorteil Dritter, die
Einfluss auf die Bahn gewinnen konnten. Zerstört wurde das System Interregio, zerstört wurden
später auch die Interregio-Wagen, die im Wortsinn verschrottet wurden, angeblich damit nicht
„Wettbewerber“ darauf Zugriff bekommen können. Zerstört durch herausreißen wurden
Ausweichstrecken, Weichen und Gleisanschlüsse. Um die zugrundeliegenden Prozesse und Gremien
künftig in Strukturen umzuwandeln, die eine gemeinwohlorientierte Steuerung erlauben und die
geschilderten Fehlentwicklungen künftig verhindern, ist womöglich erforderlich, die bestehenden,
schädlichen Strukturen zu untersuchen. Nachfolgend eine erste Liste:

Welche Rechtsformen, Satzungen und Gesetze wurden gewählt

-     Welche Strukturen wurden geschaffen?
-     Welche Strukturen wurden explizit/implizit NICHT geschaffen?
-     Wie wurde das Grundgesetzt geändert?
-     Welche Struktur bekam die deutsche Bahn?
-     Welche Rolle spielte das dort neu eingeführte, aber nie verabschiedete Fernverkehrsgesetz?
-     Wie und wo wurden die Milliardenwerte versteckt?
-     Wo wurde festgelegt (oder nicht festgelegt), welche Leistungen der Daseinsvorsorge die DB AG
      zu erbringen hat?

Was wurde unter Wert verkauft

-     Immobilien: "nicht betriebsnotwendige Grundstücke", Aurelis, Bahnhöfen im Tausender-Paket,
-     Unternehmensanteile an der Deutschen Fährgesellschaft Ostsee mbH (DFO, später Scandlines),
      an Schenker, der Deutschen Eisenbahn-Reklame GmbH (DERG),an der Deutschen Touring
      GmbH (DTG)
-     Großprojekte wie Stuttgart 21, Hauptbahnhof Berlin, Schnellfahrstrecke Nürnberg-Erfurt

Wer wurde über Preis bezahlt

-     Schienenkartell „Freunde der Schiene“
-     zahlreiche Vorstandsposten,

6
    Siehe auch Knierim, Wolf: Bitte umsteigen! 20 Jahre Bahnreform, S. 146 ff. Dort wird detailliert dargestellt, wie das
    Kartell mit dem zynischen Namen „Freunde der Schiene“ jahrelang viel zu viel für ihre Lieferungen an die DB AG
    verlangen konnte. Es wird auch deutlich, dass vieles dafür spricht, dass die Führung der DB AG dieses Kartell kannte
    und tolerierte – von gemeinsamen Bordellbesuchen über Personalidentitäten bis hin zur simplen Marktanalyse, nach
    der in einer globalisierten Welt Schienen für ein Land nicht mehr als ein Drittel teurer sein können für alle anderen
    Länder der Welt.
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn             17

-   Banken, bei denen teure Kredite aufgenommen wurden, obwohl der Bundsicj zu viel geringerem
    Zins hätte verschulden können,
-   Beraterfirmen und -Kanzleien durch teuere Beraterverträge
-   viele freigestellten Betriebsräte (die DB AG stellte eine größeren Zahl an Betriebsräten frei, als
    es gesetzlich erforderlich war – und machte sich dadurch womöglich manchen gefügig, dessen
    Freistellung nun nicht mehr von Wahlen, sondern von Gnaden der DB AG abhängig war)
-   Investoren, denen Firmen abgekauft wurden (Schenker, Arriva)
-   die DB AG als Subventionsempfängerin selbst, mit 70 Milliarden Euro an im Wortsinn
    geschenkten Geldern in 20 Jahren, die nirgendwo bilanziert werden

Was wurde zerstört (und zu wessen Gunsten)

-   Infrastruktur durch massive Unterinvestition, Abbau von Gleisen, Gleisanschlüssen, Weichen
    und Überholstrecken, Stillegung von Strecken,
-   Wagenmaterial, das vorzeitig verschrottet wurde
-   die stark nachgefragte Zuggattung Interregio
-   Volkswirtschaftlich zerstörerisch: die Reduktion der Anzahl der Beschäftigten um über 200.000.
-   die unabhängige Verkehrs - und Eisenbahnforschung
-   die nutzerorientierte Bahnproduktion (sog. Systempartnerschaft, Entwicklung , Erprobung und
    Bau von Zügen in Kooperation von Bahnindustrie, Forschungsministerium und Bundesbahn)
18                          Reader zum GiB-Workshop * „Kopf machen“ in der Bahnpolitik, Stuttgart, 25.-27.4.14

Bahncharta
Um zu wissen, wo es hingeht, müssen langfristige Ziele und geltende Werte festgelegt werden. Die
derzeitige Satzung der DB AG gibt nichts her, was verwendbar wäre, um den
Daseinsvorsorgeauftrag zu erreichen und zu halten. Der Berliner Wassertisch hat für seine
Auseinandersetzung für eine umfassende Demokratisierung der Daseinsvorsorgeeinrichtung Berliner
Wasserbetriebe (BWB) eine "Berliner Wassercharta" aufgesetzt. Eine Charta kann in der Tat als ein
sehr hilfreiches Mittel sein, Gemeinwohlinteressen zu formulieren und zu diskutieren. Man entgeht
damit der "rechnet-es-sich"-Falle derer, die Daseinsvorsorge nur auf den kurzfristigen ökonomisch-
betriebswirtschaftlichen Effizienz reduzieren wollen. Tatsächlich geht es auch um Werterhalt, um
Nachhaltigkeit generell, aber auch um soziale Ziele und Werte. Nachfolgend eine erste Liste der
Bedürfnisse und Anforderungen der Menschen und der Umwelt an die Bahn, natürlich ohne
Anspruch auf Vollständigkeit oder gar abschließende Gültigkeit:

Das wünschen sich die Menschen von der Bahn

        saubere, sichere, Bahnhöfe.
        saubere, sichere, pünktliche Züge, die die Reisenden in angemessener Zeit von A nach B
         bringen.
        Preise fürs Bahnfahren, die sich jeder leisten kann.
        ein einfaches, transparentes Preissystem.
        dichte Takte, gute Verbindungen.
        freundliches Personal.
        gute Dienstleistungen, die einem angenehmen Reisen dienen.
        weniger Autos und Lkws auf den Straßen und in den Städten.
        weniger Flüge über Europa.
        weniger CO2 infolge von Verkehr in der Luft.
        weniger Feinstaub infolge von Verkehr in der Luft.

So soll die Bahn sein

        ein öffentliches Unternehmen mit Gemeinwohlauftrag
        transparent
        demokratisch gesteuert: so zentral wie nötig, so dezentral wie möglich
        demokratisch kontrolliert
        ein guter Arbeitgeber
        eine sorgfältige Treuhänderin der Bahn-Infrastruktur, der Züge und der Gelder aus
         Steuermitteln und Fahrkartenverkauf
        ein innovatives Unternehmen, das sich weiterentwickeln lässt im Sinne der Ansprüche von
         Steuerzahlenden, Reisenden, Beschäftigten und Betroffenen (z.B. von Lärm oder anderen
         Emissionen)
        ein verlässlicher und kooperativer Partner von Bund, Ländern und Gemeinden.
        konsequent ökologisch
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn           19

Das soll die Bahn machen

       die Infrastruktur entwickeln anhand des Netzbedarfs
       Baukultur und Denkmalschutz achten und pflegen
       Bestandsschutz höher werten als Neubau
       Strecken und Bahnhöfe für langfristige Entwicklungen vorsehen und entwickeln
       das Netz so weit als irgend möglich elektrifizieren
       Bahnstrom zu 100% aus regenerativen Energien beziehen

Das soll die Bahn nicht machen

       Flugzeuge fliegen, Lkws und Schiffe fahren
       nicht-regenerativen Strom verbrauchen
       die Infrastruktur verfallen lassen
       Anteile im Verkehrsmarkt verlieren
       Mitarbeiter, Kundinnen oder sonst jemanden ausspähen
       Konzerne und Unternehmen im Ausland kaufen oder führen
       Einfluss nehmen auf Medien und Politik
       Hochgeschwindigkeitsverkehre zu Lasten der Verkehre in der Fläche
       singuläre, zerstörerische Großprojekte gegen den lokalen Widerstand durchsetzen
       Bahnhöfe zu Einkaufszentren umbauen oder als solche betreiben
       weitere Strecken entwidmen lassen
       weitere Überholstrecken und Weichen abbauen
20                          Reader zum GiB-Workshop * „Kopf machen“ in der Bahnpolitik, Stuttgart, 25.-27.4.14

Das „Bahn-der-Zukunft“-Projekt von Bahn für Alle
In der Auseinandersetzung gegen die drohende Bahnprivatisierung mobilisierte das Bündnis „Bahn
für Alle“ lange und letztlich erfolgreich gegen den drohenden Börsengang. Die Entwicklung von
Alternativen kam dabei allerdings oft zu kurz. Dabei war den Bündnisorganisationen bewußt: Ohne
eigene Alternativen ist ein Akteur wenig glaubhaft. Gleichzeitig kam jedoch der Antrieb vieler
Mitstreitenden gerade von Vorstellungen und auch Erfahrungen einer besseren Bahn. Das
nachfolgend dargestellte Projekt „Bahn-der-Zukunft“ wurde deswegen 2008 in diesem Sinne als
Wiki begonnen, allerdings nie befriedigend ausformuliert und auch nicht von einem Gremium des
Bündnisses verabschiedet. Nichts desto trotz waren und sind darin bereits einige ermutigende Ideen
und Ansätze enthalten, so dass eine Dokumentation des Projekts für die Frage der demokratischen
Kontrolle und Steuerung eine wichtige Quelle ist. Zur demokratischen Steuerung heißt es dort:
        Demokratische Steuerung der Bahn: Die Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeiten für eine
         gute Schienenverkehrspolitik und mehr Qualität in Netz und Bahnhöfen müssen verbessert
         werden.
        Unternehmensstruktur: Die Unternehmensstruktur bedarf der Anpassung an die Erfordernisse
         der Erfüllung der Daseinsvorsorge und der Mischung aus bundesweiten und regionalen
         Aufgaben. Die Form der Aktiengesellschaft hat sich als ungeeignet erwiesen.
        Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung: Zur Qualitätssicherung und für eine solide und
         transparente Schnittstelle zwischen Politik und Bahnunternehmen ist eine umfassende
         Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bahn und den öffentlichen Eigentümern
         zu schließen.
        Demokratische Mitbestimmung: Eine dezentrale und demokratische Mitbestimmung an den
         Zielen und der Kontrolle der Umsetzung des Bahnverkehrs ist einzuführen. Kommunen und
         Fahrgäste müssen dabei besonders berücksichtigt werden. Regionale und überregionale
         Bürgerbahn-Beauftragte (unter der Berücksichtigung auch weiblicher Fahrgäste) sind
         einzusetzen. Eine weitere Möglichkeit ist die Überführung der Bahn in Alternative
         Gesellschaftsformen.
        Dezentrales öffentliches Eigentum: Eigentumsanteile an den Bahnhöfen und den regionalen
         Netzen sind an die Länder respektive Kommunen zu übertragen.
Diese Vorschläge sind noch nicht besonders weitgehend. Wesentlich weitergehend sind die Ideen zur
weiteren positiven Ausgestaltung. Unter anderenm werden folgende Punkte behandelt:
Kundenfreundliche Bahn für Alle, Aktive Schienenverkehrspolitik, Investitionen, Bahnhof der
Zukunft, Gesellschaftliche Bedeutung einer Bahn für Alle, Integraler Taktverkehr sowie „ Gute
Arbeit“.
Eine detaillierte Dokumentation des Projekts „Bahn-der-Zukunft“ von Bahn für Alle ist im Anhang
beigefügt.
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn                             21

Wer bestimmt derzeit über die Bahn
Die Bahn in Deutschland ist bestimmt von zahlreichen Festlegungen und Gremien. So wird der
Bahnverkehr bestimmt vom Grundgesetz, einem Regionalisierungsgesetz samt zugehöriger Gesetze
und    Haushalte    der    Länder,    der    Einrichtung  „Bundeseisenbahnvermögen“,      der
Eigentümerversammlung DB AG, dem Aufsichtsrat DB AG, dem Vorstand DB AG, den Manager
der über 500 DB-Tochtergesellschaften der DB AG, der EU-Kommission, dem Europäischer
Gerichtshof, der Bundesnetzagentur, dem Eisenbahnbundesamt sowie durch einen Vertrag mit dem
Namen „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV)“. Dazu kommen der Bundeshaushalt
sowie der Bundesverkehrswegeplan.
Einzelne dieser Regelungen wie das Grundgesetz, Verkehrsgesetze oder die Haushalte sind noch
über Parlamente legitimiert. Andere Einrichtungen unterstehen nur der Exekutive oder nicht einmal
dieser. Alle Regelungen zusammen ergeben ein undurchdringliches Konglomerat, das sich sowohl
der Einflussnahme als auch der Kontrolle nahezu vollständig entzieht: Die formell private Deutsche
Bahn AG, wie wir sie kennen.

Quango: Quasi-autonomous-non-Government-Organisations

Albrecht Müller hat auf den Nachdenkseiten den hilfreichen Begriff “Quango” neu eingeführt7:
      Will Hutton hat in „The State we’re in“. den treffenden Begriff „Quango“ auf die
      Privatisierungspolitik von Frau Thatcher angewandt: Quasi-autonomous-non-Government-
      Organisations. In solchen hat Frau Thatcher im Privatisierungsprozess ihre politischen
      „Unteroffiziere“ untergebracht bzw. diese mit solchen Organisationen bedacht und so
      ökonomisch fundierte Seilschaften gebildet.8
Der zunächst etwas sperrige Begriff Quango beschreibt bei näherem Hinsehen genau das, was
entsteht, wenn demokratische Kontrolle und Steuerung fehlen, aber sehr viele öffentliche Mittel in
die Einrichtung fließen.

Grundgesetz legt den Daseinsvorsorgeauftrag fest

Das Grundgesetz schreibt die Daseinsvorsorgeaufgabe der Bahn fest: Dem Wohl der Allgemeinheit,
insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, ist beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der
Eisenbahnen sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz Rechnung zu tragen. Das
legt das Grundgesetz nur für den Bund fest, in den Landesverfassungen steht jedoch bezogen auf den
Personennahverkehr vergleichbares.
      (1) Die Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes wird in bundeseigener
      Verwaltung      geführt.    Durch      Bundesgesetz      können       Aufgaben      der
      Eisenbahnverkehrsverwaltung den Ländern als eigene Angelegenheit übertragen werden.

7
    Albrecht Müller, Quango in Berlin: Die Debatte um die Fristen von Pofallas Wechselspiel lenkt ab vom Kern des
    Skandals, http://www.nachdenkseiten.de/?p=19844
8
    Auszug aus Will Hutton, „The State we’re in“ auf den nachdenkseiten:
    http://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/140107_will_hutton_quangos.jpg
22                                 Reader zum GiB-Workshop * „Kopf machen“ in der Bahnpolitik, Stuttgart, 25.-27.4.14

      (2) Der Bund nimmt die über den Bereich der Eisenbahnen des Bundes hinausgehenden
      Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung wahr, die ihm durch Bundesgesetz übertragen
      werden.

Grundgesetz schreibt privat-rechtliche Unternehmesform vor

Weniger schön ist: Die formelle Privatisierung ist nicht nur einfach so da, sie ist grundgesetzlich
verankert.
      (3) Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form
      geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des
      Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen
      umfaßt. Die Veräußerung von Anteilen des Bundes an den Unternehmen nach Satz 2 erfolgt
      auf Grund eines Gesetzes; die Mehrheit der Anteile an diesen Unternehmen verbleibt beim
      Bund. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.
      (4) Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den
      Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahnen des
      Bundes sowie bei deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den
      Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rechnung getragen wird. Das Nähere wird durch
      Bundesgesetz geregelt.
      (5) Gesetze auf Grund der Absätze 1 bis 4 bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Der
      Zustimmung des Bundesrates bedürfen ferner Gesetze, die die Auflösung, die Verschmelzung
      und die Aufspaltung von Eisenbahnunternehmen des Bundes, die Übertragung von
      Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes an Dritte sowie die Stillegung von
      Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes regeln oder Auswirkungen auf den
      Schienenpersonennahverkehr haben.9
Das bedeutet: Für eine Überführung ins öffentliche Recht ist eine Grundgesetzänderung erforderlich.
Diesen Umstand haben die Dozenten Prof. Klaus Grupp von Universität des Saarlandes) und Prof.
Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) haben darauzs eine
Prüfungsaufgabe gemacht:
      Manfred Mähstachel, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, hatte gehofft, die
      Popularität des Bahnfahrens durch ein neues Preissystem zu steigern. Tatsächlich führte dies
      jedoch zu einem Umsatzrückgang von bis zu 10%, weil dieses Preissystem den Bahnkunden
      als zu wenig flexibel erschien und weil es aufgrund seiner Kompliziertheit (und der
      Reduktion des Personals) an den wenigen Fahrkartenschaltern der wenigen verbliebenen
      Bahnhöfe zu Wartezeiten von bis zu einer Stunde kam. Da darüber hinaus auch die
      Pünktlichkeit der Bahn zunehmend zu wünschen übrig ließ, machte sich eine allgemeine
      Missstimmung gegenüber der Bahn bemerkbar. Die Bundesregierung befürchtete daher die
      völlige Abwendung der deutschen Bevölkerung vom Zugfahren. Die Führung der Deutschen
      Bahn AG könne dem nichts entgegensetzen, da sie ausschließlich in privatwirtschaftlichen
      Kategorien denke - so sei zur Überraschung der Bundesregierung auch tatsächlich bereits in
      der Vorstandsetage erwogen worden, die Deutsche Bahn AG aus dem eigentlichen
      Bahngeschäft zurückzuziehen, um sich auf lukrativere Geschäftsfelder zu begeben.

9
    GG Artikel 87e, http://dejure.org/gesetze/GG/87e.html
Betriebe der Daseinsvorsorge demokratisch steuern – das Beispiel: Deutsche Bahn                         23

       So kommt es, dass die Bundesregierung ordnungsgemäß eine Gesetzgebungsvorlage für ein
       "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn AG" in den Bundestag einbringt. Die
       Deutsche Bahn AG soll durch dieses Gesetz aufgelöst werden. Ihr Rechtsnachfolger soll die
       "Deutsche Bundesbahn" werden, eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts,
       auf die das gesamte Vermögen und die gesamten Schulden der Deutschen Bahn AG
       übergehen sollen und die unter Aufsicht des Bundesministeriums für Verkehr und digitale
       Infrastruktur stehen soll. Nach heftigen politischen Auseinandersetzungen wird dieses Gesetz
       auch tatsächlich vom Bundestag beschlossen. Der Bundesrat stimmt ebenfalls zu.10

Grundgesetz: Regelungen zum Nahverkehr

Die Regelungen zum Nahverkehr und seiner Finanzierung sind sehr kompliziert:
       Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben liegt die Verantwortung und Zuständigkeit für den
       öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bei den Ländern, dies betrifft Planung,
       Organisation und Finanzierung. Gemäß 106a des Grundgesetzes (GG) steht den Ländern ein
       Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes für den ÖPNV zu. Dieser Anspruch ist zeitlich
       nicht befristet. Artikel 106a GG wurde im Zuge der Bahnreform 1994 im Zusammenhang mit
       der Regelung der Verantwortung für den ÖPNV, die bei den Ländern liegt, verabschiedet. 11

Fernverkehrsgesetz des Bundes

Abweichend von den Regelungen des GG, Abs 87e, (4) gibt es leider seit 20 Jahren kein
Bundesgesetz, dass „das Nähere regelt“. Und keine Bürgerinitiative konnte bisher die Einrichtung
eines solchen Gesetzes als einen Verstoß gegen den Gedanken der Verfassung einklagen. Solange
die Parteien im Bundestag sich weigern, den Fernverkehr zu regeln, bleibt der entsprechende Passus
im Grundgesetz Makulatur.

Regionalisierungsgesetz

In einer Regierungsantwort auf eine kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ im Bundestag wird die
Struktur der der Organisation und Finanzierung des ÖPNV beschrieben:
       Einzelheiten [der Organisation und Finanzierung des ÖPNV] sind im
       Regionalisierungsgesetz (RegG) geregelt, welches am 1. Januar 1996 in Kraft trat. Über das
       RegG werden den Ländern umfassende Finanzmittel aus dem Steueraufkommen des Bundes
       zweckgebunden für den ÖPNV zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur
       Finanzierung der Verkehrsleistungen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV), aber auch
       investiv zur Verbesserung des ÖPNV einsetzen können. Die Bundesregierung ist nicht an der
       Erstellung der Leistungen im ÖPNV beteiligt und hat weder Möglichkeiten, die betrieblichen
       Abläufe der öffentlichen Verkehrsmittel in der Region zu gestalten noch in Fragen der
       Ausschreibung und Vergabe von Verkehrsleistungen einzugreifen. Gemäß § 1 Absatz 2 RegG
       wird diese Aufgabe von den Stellen wahrgenommen, die von den Ländern dafür bestimmt
       werden. Der Bund hat darauf keinen Einfluss. Artikel 106a GG begründet eine

10
     http://www.saarheim.de/Faelle/bahnreform-fall.htm
11
     Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, 17.02.2014, „Verwendung der
     Regionalisierungsmittel durch die Bundesländer“ http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/005/1800537.pdf
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