Berührt - Samariteranstalten Fürstenwalde
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t e r we g s Un A LT E N ITER ANST ER S AMAR CHR IFT D DIE ZEITS Berührt werden 02 2021 Gastkommentar Charlotte Zach: „Der Weg zur gelebten Sexualität” Titelthema Berührungen ein Leben lang: die Bedeutung von Körperkontakt Unterwegs mit... ...Reinhard Weiß: „Das gemeinsame Leben war schön”
INHALT Einblick 4 Gastkommentar von Charlotte Zach 5 Leichte Sprache: 4 Berühren ist wichtig für unser Leben 6 Berührungen ein Leben lang: die Bedeutung von Körperkontakt 8 Gänsehautgefühl: 6 Gute Berührungen in der Pflege 10 Gedanken aus dem Förder- und 10 Beschäftigungsbereich 11 Verständnis aufbringen 8 12 Mittendrin – Die Bewohner*innen- Seiten der Samariteranstalten 17 Berührungen in der Senioren- Tagesgestaltung 18 Auf der Suche nach dem Eisvogel 12 19 Mit Alvaro Soler tanzen 20 20 Bindung als Beginn der Sexualität 21 Abschied für immer 23 Berühren, was gefällt 24 Moses Wunsch 26 Kinder brauchen Körperkontakt, 26 denn Berührung macht glücklich 28 Guten Tag, ich bin Katja! 30 Unterwegs mit Reinhard Weiß, 24 Leiter des Katharina von Bora-Hauses 30 28 2 UNTERWEGS 2/2021
DIE SEITE DREI Liebe Leserinnen und Leser, wieder waren wir uns im Redaktionskreis nicht? Genauso tiert. In den Samarit- schnell einig: Berührung soll das Thema wichtig ist es, sich in eranstalten wurde der neuen „Unterwegs“ sein. Berührun- andere hineinzuverset- Sexualität als Lebens- gen haben uns seit März 2020 schmerz- zen: Was löst meine thema von Menschen lich gefehlt. Berührungen erobern wir Berührung beim anderen auch mit geistigen Behin- uns langsam wieder, obwohl weiterhin aus, wie empfindet die an- derungen bereits seit 1984 im äußerlicher Abstand dazugehört, um den dere meine Berührung? Denn es Seminar für Psychiatriediakonie neuen Corona-Varianten keine Chance gibt auch Berührungen, die wehtun und eingebracht. Prof. Dr. Hans-Christian zu geben. Wir haben uns redlich bemüht, Grenzen überschreiten. Das Titelfoto aus Petzold setzte seine Bemühungen, dafür uns das Handgeben zur Begrüßung der Wichern-Schule in Forst fängt zu sensibilisieren, an der Korczak-Schule abzugewöhnen. Aber das geht immer einiges davon ein: berührt Muslim die fort. Davon profitieren wir bis heute. noch nicht automatisch. Und ich bin froh Haare von Marie und freut sich an dem Auch das zeigen Artikel dieser „Unter- über jeden Händedruck, den der gemein- guten Gefühl, die Haare vorsichtig durch wegs“, die von Ehemaligen der Korczak- same Impfschutz jetzt hin und wieder er- seine Hand gleiten zu lassen, und Marie Schule stammen, die in leitende möglicht. Hände geben mehr Wärme als genießt die Berührung auch? Oder ist Stellungen bei uns hineingewachsen Ellenbogen, auch wenn mir das Lächeln Muslim dabei, an dem Zopf zu ziehen, sind. beim Zuwinken und Zunicken ebenfalls und Marie wirft vorsorglich – dem immer gut tut. Schmerz ausweichend – den Kopf nach Für all die berührend persönlichen hinten? Beiträge in diesem Heft danke ich herz- Berührung ist lebenswichtig. Ohne lich. Sie spiegeln: Wir haben Vertrauen Berührungen verkümmern Menschen Schnell kamen wir im Redaktionskreis zueinander in den Samariteranstalten. und werden krank. Das beschreiben auf das Thema Sexualität als intensiver Das macht mich sehr froh. Und ich weiß einige Artikel in diesem Heft auf wis- Form von Berührung. Auch Menschen dieses sensible Heft bei Ihnen in guten senschaftlicher Basis unmittelbar ein- mit Behinderung entwickeln und haben Händen. leuchtend und verständlich. Und ich bin ihre eigene Sexualität. Das beschäftigt sehr froh, dass es den Beitrag zum uns gerade in verschiedenen Bereichen. Bleiben Sie behütet! Titelthema dieses Mal auch in leichter Der Gastkommentar plädiert für einen Sprache zu lesen gibt. offenen Umgang mit dem Thema Sexu- Herzlich grüßt – auch von Vorstands- alität allgemein und im Besonderen mit kollegin Frau Badenius, Berührt werden geschieht auf vielfältige der Sexualität von Menschen mit Behin- Weise, körperlich und emotional, auch in derung. Er wirbt für ein neues Verständ- Ihre den Samariteranstalten jeden Tag. Dabei nis des eigenen Körpers, das sich nicht ist es wichtig, sich bewusst zu machen: an den Defiziten, sondern an den Welche Berührungen mag ich, welche Möglichkeiten und Bedürfnissen orien- Pfarrerin Ulrike Menzel Foto: Samariteranstalten UNTERWEGS 2/2021 3
GASTKOMMENTAR Der Weg zur gelebten Sexualiät Charlotte Zach plädiert für einen offenen Umgang mit Sexualität bei Menschen mit Behinderung. Foto: Charlotte Zach Welche Herausforderungen es dabei gibt, schreibt sie im Gastkommentar. W ir leben in einer Gesellschaft, in der das Thema Sexualität über Jahrhunderte stark tabuisiert wurde. Erst Diese beiden Status-Symbole werden Menschen mit Behinderung aus meiner Sicht häufig verwehrt oder sie müssen sie Körper wahrgenommen wird. Und vielleicht schaffen wir einen Raum für eine alternative Wahrnehmung unseres in den letzten 60 Jahren wird offener über sich schwer erkämpfen. Ich finde Men- Körpers. gelebte Sexualität gesprochen. Wir sind schen mit Behinderungen werden oft aber von einer offenen Kommunikation nicht als Erwachsene wahrgenommen. Menschen mit Behinderungen machen über sexuelle Aktivitäten und Vielfalt Wir werden leider oft „verkindlicht“. im medizinisch-therapeutischen Kontext weit entfernt. Indem wir darüber die Erfahrung, Dinge über sich ergehen Dazu kommt, dass Der eigene Körper wird sprechen, dass wir un- sere Sexualität aus- lassen zu müssen – auch wenn es ihnen unangenehm ist: Das Gefühl, dass einem wir in einer schon in der Kindheit leben und ausleben der eigene Körper in vielen Situationen Gesellschaft leben, in der das Thema Behin- defizitorientiert wahr- wollen, erkämpfen wir uns den Raum nicht gehört. Auch über diese Erfahrung müssen wir sprechen. Darüber, was es derung über Jahrhun- genommen. eines vollwertigen mit einem Kind macht, immer wieder derte mindestens Mitglieds in der gegen den eigenen Willen oder auf unan- genauso stark tabuisiert wurde. Men- Gesellschaft, welches als erwachsen und genehme Weise angefasst zu werden und schen mit Behinderungen waren im öf- mündig wahrgenommen wird. gesagt zu bekommen: Das sei richtig so. fentlichen Leben nicht sichtbar, sie Diese Erfahrung kann im Laufe des wurden in ihren Häusern versteckt und Die Auseinandersetzung mit dem Thema Lebens zu Schwierigkeiten führen, Situ- lebten in Sondereinrichtungen an den Sexualität und Behinderung beginnt ationen richtig einzuschätzen und die Rändern der Stadt. Wenn nun diese bei- meiner Meinung nach schon mit dem eigenen Grenzen zu ziehen bzw. zu den Themen Sexualität und Behinderung eigenen Körperbild. Der eigene Körper wahren. Welche Berührungen sind er- aufeinandertreffen, kommt es zur dop- wird bereits in der Kindheit defizitorien- laubt und welche nicht? Was finde ich pelten Tabuisierung. Darunter leidet man tiert wahrgenommen. Die vielen Termine gut und was nicht? Und da sind wir als Mensch mit Behinderung, weil einem bei Therapeuten und Ärzten haben uns wieder beim Thema Sexualität. oft die Sexualität als Teil des Mensch- häufig gezeigt, was der Körper nicht Charlotte Zach Seins und des Erwachsen-Seins abge- kann. Was der Körper können soll, ist sprochen wird oder Sexualität zu wenig wiederum Teil der sogenannten gesun- ZUR PERSON Beachtung findet. den Norm. Charlotte Zach ist Psychologiestudentin im In unserer Gesellschaft gibt es zwei Di- Statt den eigenen Körper als Werkzeug Master in Hildesheim, arbeitet in der er- mensionen, die über viele Jahrhunderte wahrzunehmen, ihn zu entdecken und zu gänzenden unabhängigen Teilhabebera- den Wert eines Menschen definiert spüren, waren unsere Aktivitäten oft tung, hat gerade ihre Peer-Counseling- haben. Die Dimension der Produktivität davon geprägt, in endlosen Therapien ein Ausbildung begonnen und organisiert als im Sinne der Versorgung. Also ob je- kleines bisschen weniger krank zu sein, Rollstuhlfahrerin ihren Alltag selbstständig mand einen Beitrag zur Gesellschaft in ein kleines bisschen näher an die Norm mit Assistenz. Frau Zach sucht immer wie- Form von Arbeit beitragen kann. Die an- zu rücken. Therapien bei körperbehin- der die Balance zwischen Aktivismus für die dere Dimension ist die Reproduktions- derten Kindern und Jugendlichen sind eigene Betroffenheit und dem Anspruch, fähigkeit. Also ob jemand eine Familie sinnvoll, hilfreich und häufig sich dabei nicht selbst auf gründen kann und damit verbunden als unerlässlich. Trotzdem soll- die Behinderung zu reduzie- sexuell aktiv und attraktiv wirkt – eine ten wir mehr darüber ren. In ihrem Newsletter Art Status-Symbol. sprechen, wie der eigene „Berührungspunkte” schreibt sie regelmäßig rund um Körper, Sexualität und Behinderung. Über den QR-Code geht’s zur Anmel- 4 UNTERWEGS 2/2021 dung des Newsletters.
LEICHTE SPRACHE Berührungen bedeuten, dass wir merken, wenn wir angefasst werden. Man kann ganz verschieden berühren. Zum Beispiel: streicheln, anfassen, drücken. Berühren ist wichtig Wir spüren jeden Tag ganz viel über die Haut. für unser Leben Die Haut ist das größte Sinnes-Organ beim Menschen. Oft spüren wir etwas, ohne dass wir darüber nachdenken. von Mario Stein Zum Beispiel spüren wir nicht, wenn wir eine Hose an haben. Erst wenn wir daran denken, spüren wir unsere Hose. Dass wir etwas spüren, ist sehr wichtig. Wenn wir etwas spüren können, können wir uns entwickeln und wachsen. Schon Babys im Bauch können was spüren. Sie spüren zum Beispiel, wenn sie sich selbst anfassen. Sie spüren zum Beispiel, wenn die Mama ihren Bauch streichelt. Das ist für das Baby ganz wichtig. Wenn das Baby im Bauch spürt, dass es gestreichelt wird, fühlt es sich wohl. Auch wenn das Baby geboren wird, sind Berührungen wichtig. Deswegen wird das Baby nach der Geburt auf den Bauch der Mama gelegt. Das Kuscheln mit der Mama ist für das Gehirn des Babys sehr wichtig. Und durch das Kuscheln verstehen sich das Baby und die Mama immer besser. Wenn das Kind noch klein ist, sind Berührungen auch wichtig. Das kleine Kind lernt viel über Berührungen. Das kleine Kind lernt dann seinen eigenen Körper kennen. Das kleine Kind merkt, wenn es angefasst wird. Das kleine Kind lernt sich besser kennen. Das kleine Kind lernt auch die Umwelt besser kennen. Berührungen sind auch wichtig für Gefühle. Zum Beispiel wird das kleine Kind gedrückt, wenn es traurig ist. Wenn die Kinder älter werden, kuscheln sie nicht mehr so viel mit den Eltern. Das ist auch nicht schlimm. Aber die Kinder brauchen trotzdem Berührungen. Zum Beispiel toben die Kinder in der Schule. ls.com Dabei berühren sie sich auch. Foto: www.pexe Das ist wichtig für die Entwicklung. Dabei lernen die Kinder das zu machen, was sie wollen. Dabei lernen die Kinder selbst zu bestimmen: Das lernen die Kinder, weil sie Berührungen spüren. Wenn die Kinder erwachsen sind, möchten sie auch noch etwas spüren. Auch bei Erwachsenen sind Berührungen wichtig. Dafür haben die meisten Erwachsenen einen Freund oder eine Freundin. Dann können sie mit diesem Freund oder dieser Freundin kuscheln. Das finden die Erwachsenen schön. Ältere Erwachsene sind oft allein. Dann können sie wenig kuscheln. Dann sind die älteren Erwachsenen oft traurig. Denn sie möchten auch Berührungen spüren. Manchmal werden ältere Menschen auch krank, wenn sie keine Berührungen spüren. Berührungen sind für das ganze Leben wichtig. Wenn man schöne Berührungen bekommt, freut man sich. Dann fühlt man sich wohl. Wenn man schöne Berührungen bekommt, kann man sich entspannen. Dann bleibt man lange gesund. UNTERWEGS 2/2021 5
TITELTHEMA Foto: www.pexels.com Berührungen ein Leben lang Die wichtigste Wahrnehmung unseres Körpers ist wahrscheinlich die Berührung. Wie bedeutsam sie für uns ist, darüber schreibt Mario Stein. 6 UNTERWEGS 2/2021
TITELTHEMA B erührungen spielen im Alltag eine wesentliche Rolle. Oft denken wir gar nicht darüber nach, aber die Haut (mit der wir Berührung wahrnehmen) ist das größte Sinnesorgan des Menschen. Durch Stimulation des taktilen Systems auf unterschiedliche Art und Weise entsteht ein Dialog zwischen Individuum und Umwelt. Dieser Dialog ist die Grundlage für die soziale Entwicklung. Die Art des Dialoges unterscheidet sich Das Fehlen von Berührungen kann je nach (Entwicklungs-) Alter und hat jeweils einen besonderen Entwick- zu Einsamkeit und Hilflosigkeit lungsschwerpunkt. führen. Schon im Mutterleib spüren Babys Berührungen. Diese Berührungen sind Je älter wir werden, umso mehr verändert Man erkennt also recht schnell, dass beruhigend und vermitteln das Gefühl sich unser Bedürfnis nach Nähe und Berührungen im gesamten Leben sehr der Sicherheit und Geborgenheit. Em- Zuneigung sowie die damit verbundenen wichtig sind. Die Bedeutungen von bryonale Zwillingsstudien haben gezeigt, Berührungen. Berührungen, die durch Berührungen unterscheiden sich aber je dass diese sich schon im Mutterleib die Mutter, den Vater und die Familie nach Kultur, sozialer Klasse und der in- gegenseitig streicheln. Sie unterscheiden stattfanden, werden im Schulalter durch dividuellen Familie. dabei zwischen eigenen Berührungen z.B. Rangeleien oder Neckereien mit und den Berührungen des Geschwis- Mitschülern und Freunden kompensiert. Im gesamten Leben gestalten sich Kon- terzwillings oder des Mutterleibs. Diese Abnabelung ist für die Entwick- takt und Kommunikation über Kör- Auch während der Geburt wird weniger lung ein wichtiger Prozess, hier lernen perkontakt. Der US-Psychologe M. gesprochen als gefühlt. Säuglinge wer- wir Autonomie und Selbstbehauptung. Hertenstein hat beispielsweise in einem den unmittelbar nach der Geburt auf den Experiment herausgefunden, dass sich Bauch der Mutter gelegt. Leboyer bezei- Im Erwachsenenalter hat das Bedürfnis bestimmte Berührungen ganz bes- chnet das als „Sprache der Liebe“. Die nach Nähe und Zuneigung immer noch timmten Emotionen wie Ärger, Furcht Berührungen zwischen Mutter und Baby einen hohen Stellenwert. Dieses Bedürf- oder Dankbarkeit zuordnen lassen. Ohne, sind entscheidend für dessen Hirnent- nis erfüllen wir uns oft in Beziehungen, dass die Probanden die gegenüber- wicklung und die Ausbildung einer guten da wir im Erwachsenenalter Berührun- sitzende Person sehen, konnten sie acht Mutter-Kind-Bindung. gen oft ungerechtfertigt mit Sexualität in verschiedene Emotionen des Gegenüber Verbindung bringen. „erfühlen”. Während der frühkindlichen Entwick- lung nehmen Berührungen eine sehr Auch im hohen Alter spielen Berührun- Körperkontakt zu bekommen bedeutet, große und wichtige Rolle ein. Durch gen eine wichtige Rolle. Je älter wir wer- mehr positive Erfahrungen, positive Berührungen wird es dem Kind nach und den, desto weniger Berührungen erfahren Gefühlszustände und Gesundheit. Durch nach möglich, zwischen Innen und wir. Das führt zu Berührungsangst. Die Körperkontakt wird im allgemeinen Außen des eigenen Körpers zu unter- Berührungsarmut geht mit Gefühlen des Stress reduziert und das wirkt sich somit scheiden. Das Kennenlernen des eigenen Alleinseins, der Einsamkeit und Hil- positiv auf die Gesundheit aus. Körpers und der Umwelt geschieht durch flosigkeit einher. Forscher schreiben Mario Stein Berührungen. In diesem Alter ist die dieser Berührungsarmut eine nicht un- Wohnbereichsleiter Berührungsempfindung eine wichtige wesentliche Verantwortung für körper- Christoffelhaus Quelle der emotionalen Befriedigung. liche und psychische Probleme zu. UNTERWEGS 2/2021 7
KATHARINA VON BORA-HAUS Gänsehautgefühl Berührungen in der Pflege. Gedanken einer fiktiven Person. 8 UNTERWEGS 2/2021
KATHARINA VON BORA-HAUS Foto: www.pexels.com W ieder eine schlaflose Nacht. Es ist dunkel. Viel mehr als Nachdenken bleibt mir nicht. Ich, die sich so gerne be- Heute ist Mittwoch. Da kommt mein Sohn und fährt mich spazieren. Also mit dem Lifter raus aus dem Bett in den Roll- wegt hat und nun vollkommen auf Hilfe stuhl. Auch wenn mir manchmal etwas angewiesen ist. Ich habe so gerne gele- schwindlig wird, den Transfer mit dem sen und nun kann ich kaum noch etwas Lifter mag ich. Ich fühle mich wie auf sehen. den Arm genommen. So wie mich damals mein Mann nach der Hochzeit Doch, es bleibt mir noch mehr: Ich kann über die Schwelle getragen hat. Wie ich noch hören, noch schmecken, noch rie- ihn vermisse, seine Umarmungen, seine chen und fühlen. Küsse… 3 Uhr. Gleich wird die Schwester vom Vorher werde ich geduscht. Dabei freue Nachtdienst kommen und mich lagern. ich mich am meisten aufs Haare Gut, dass ich wach bin, dann erschrecke waschen. Das sanfte Einmassieren des ich nicht so. Besonders bei Schwester Shampoos und die Dusche sind wunder- Steffi, die mich mit ihren Fingern immer bar. Das könnte gerne richtig lange dau- so kurz auf den Arm klopft oder mich im ern. Gesicht mit der Außenfläche ihrer Hand tätschelt. Noch schlimmer ist es bei Im Radio habe ich gehört, dass es schon Peter, der gleich mit dem Umlagern Pflegeroboter geben soll. Gibt es denn loslegt und meist nicht ein Wort vorher keine andere Lösung für den Personal- sagt. Und dann wundert er sich auch mangel in der Pflege? Ich stelle mir das noch, wenn ich so steif bin. schrecklich vor, von einer Maschine ge- pflegt, von künstlichen Händen berührt Ich bin froh, dass sie mich nicht mehr zu zu werden. Wir brauchen doch bestimmt zweit lagern. Die vielen Hände sind echt alle echte menschliche Berührungen. irritierend. Schon das Berühren mit Schutzhand- schuhen in der Coronazeit war furchtbar. Die Lagerung von Schwester Steffi war Wenn mich ein Roboter pflegen sollte, in Ordnung, nicht so hektisch wie möchte ich lieber sterben. gestern. Mal sehen, wer nachher zum Frühdienst kommt. Hoffentlich Hoffentlich sterbe ich einmal nicht al- Schwester Klara. Die kann wirklich pfle- leine. Hoffentlich hält mir jemand die gen. Wenn Schwester Klara mich mit Hand. Mein Sohn? Klara? Die Pastorin? fließenden langsamen Bewegungen ihrer Dann hätte ich bestimmt weniger Angst. warmen Handflächen eincremt, kriege Als ich nach dem Tod meines Mannes so ich jedes Mal eine Gänsehaut. Nie habe verzweifelt war, konnten mir keine noch ich bei ihr das Gefühl, dass ich wie ein so gut gemeinten Worte helfen. Doch Objekt versorgt werde. Schwester Klara wenn mich meine Schwester, mein Sohn zeigt mir durch ihre Hände Fürsorge, oder andere liebe Menschen umarmt Wertschätzung und, so bilde ich es mir haben, das tat gut. ein: Zuneigung. An solchen Tagen brauche ich auch keine Schmerztablette. „Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Heinemann!“ Der Frühdienst Vielleicht kommt ja auch der neue kommt. Es ist Schwester Klara. Azubi. Als er mich vorgestern zum ersten Mal gewaschen hat, habe ich mich er- Reinhard Weiß schreckt und auch etwas geschämt. Hausleitung Katharina von Bora Er hat das gleich gemerkt und mich nicht im Intimbereich gewaschen. Dafür war ich ihm dankbar. UNTERWEGS 2/2021 9
CHRISTOPHORUS-WERKSTÄTTEN doch, dass auch sie berührt wer- heit zu sorgen.Und es berührt mich, Foto: Saskia Winter den wollen, berühren wollen und wenn Mitarbeiter neue Herausforderung- mental berührt werden. en suchen und auch finden, Kollegen sich verabschieden und neue hinzukommen. Die Menschen im FBB unter- Neuerung berührt mich. scheiden sich in ihren Fähigkeiten, in ihren Wünschen Momentan befindet sich der FBB in einer und ihren Erfahrungen, so wie konzeptionellen Neugestaltung. Alte jeder von uns. Ich frage mich oft, Gewohnheiten sollen hier zum Teil was unsere Klienten berührt, was neuen, auch ungewohnten Dingen wei- sie bewegt bzw. beschäftigt, was chen. Das Bild vom Klienten neu gedacht sie unter Berührung verstehen. und Bedürfnisorientierung größer Die Antwort hierauf ist nicht geschrieben werden. Die SIVUS-Me- Was mich berührt immer leicht zu finden, nicht immer eindeutig und doch thode soll künftig Anwendung finden. Kernziel ist es, die Interessen und Wün- möglich. sche der Klienten besser zu berücksichti- Gedanken aus dem Förder- Wie jedes Jahr, aber in diesem gen, Arbeitsgruppen nach Gemeinsam- keiten zu gründen und so die allgemeine und Beschäftigungsbereich vielleicht im Besonderen, sind Lebensqualität und das Selbstwertgefühl Dinge passiert, haben wir Dinge von Saskia Winter erlebt und getan, die uns oder an- zu verbessern. Wen könnte das nicht berühren? Wer würde da nicht mitgehen dere berührt haben. Mich wollen? Das Engagement meines Teams, B erührt werden, jemanden spüren, an- fassen, festhalten. Berührt werden, von einem Ereignis, einer Geste, vom ge- berührte zum Beispiel die Abwesenheit der Beschäftigten aus den Wohnberei- chen in der Werkstatt, die schwierige besonders auch der gegründeten Arbeits- gruppe, hat mich sehr bewegt. Ich halte es nicht für selbstverständlich, unsere sprochenem Wort. Berührt werden kann Lage der Bewohner während der Zeit freien Wochenenden mit Weiterbildun- man auf so viele Arten, und doch haben ohne Besuche – besonders die lange Zeit gen zu verbringen, digitale Teamsitzun- sie alle gemeinsam, dass sie etwas in uns der Quarantäne im Wilhelminenhof. gen abzuhalten und gemeinsam daran zu auslösen: ein Gefühl, eine Stimmung, Mich berührte aber auch die Bereitschaft arbeiten, etwas zu verändern. eine Reaktion. Für Menschen mit sehr der Mitarbeiter auszuhelfen bzw. einzu- hohem Unterstützungsbedarf, so wie wir springen, Arbeiten zu verrichten, die Das berührt mich. sie im Förder- und Beschäftigungsbe- nicht ihren gewohnten Abläufen reich (FBB) betreuen, bedeutet berührt entsprachen. Mich berührte die Bereit- Saskia Winter werden nichts anderes. Die Art des Erle- schaft, Solidarität zu zeigen, indem man bens, die Reaktion oder auch das bloße sich testen bzw. impfen ließ, Vorgaben Bedürfnis kann ein anderes sein, nicht je- beachtete und so versuchte, für Sicher- Foto: Samariteranstalten Was sagen eigentlich unsere Klienten aus dem FBB zum Thema „Berührt werden”? N icht immer ist es einfach zu verstehen, was unsere Teilnehmer, in der Regel nonverbal, mitteilen. Vieles ist ab- hängig von Deutung und Interpretation. Hier ein Versuch in Einzelgesprächen und Dokumentation von Ge- sprochenem, Gezeigtem (Gestik) und mittels Talker Geäußertem: „Wenn einer Zeit für mich hat und Radio hören“ (M.K.) „Meine Mutter und Tanzen bei der Disco“ (R.G.) „Ein schöner Film und Musik hören, die ich mag“ (L.B.) „Dass wir eine neue Leitung im Wohnbereich haben, oder wenn es Überraschungen gibt, zum Beispiel Babys in der Familie. Oder einfach, wenn alle gute Laune haben. Das ist schön. Küsse sind auch Berührung“ (J.H.) „Hände festhalten/streicheln“ (P.S.) „Wenn meine Mutti mich besucht“ (C.J.) „Meine liebsten Mitarbeiter“ (E.V.) 10 UNTERWEGS 2/2021
MITARBEITERVERTRETUNG Foto: Markus Kutzker Verständnis aufbringen Wir als MitarbeiterInnen der Mitarbeitervertretung lassen uns berühren. B erührt werden“ oder „Was geht mich fremdes Elend an?“ – ein sensibles Thema, bei dem es sehr kontrovers zuge- zum „Berührt werden“, kann ein Zustand der Entspannung und des Glücks, des Gerührtseins entstehen, der sensibler Themen, die in einer Beratungssituation vorgetragen werden, sind MAV-rele- vante Sachverhalte. Die Frage ist also: hen kann und das man immer von zwei werden läßt für das Verstehen anderer Lassen sich die Kollegen der MAV Seiten betrachten kann. Meist geht es Menschen, anderer Situationen. Unange- berühren von den Themen und Anliegen, dabei weniger um physischen Kontakt, nehme Gefühle entstehen, wenn jemand die ihnen vorgetragen werden? Es ist eine sondern um das Berühren emotionaler mit Berührung nicht einverstanden ist. Frage der Einstellung, mit der die Mitar- Zustände, Ideen oder anderer abstrakter Wenn Berührung denjenigen überrum- beiterInnen der MAV den MitarbeiterIn- Dinge. Es braucht jemanden oder etwas, nen der Samariteranstalten das berührt – haptisch oder emotional. begegnen. Aus Momenten Das kann ein Mensch sein, ein Lied, „Manchmal kann es geschehen, des Berührt Werdens, Musik, ein Text, ein Bild, eine Geste, Berührt Seins kann Verständ- eine Nachricht, ein Erlebnis, kurz gesagt, dass einem ein Ereignis gerade- nis entstehen. Gemeinsam alles, was die Sinne und Gefühle an- wegs ins Herz trifft.” mit den ratsuchenden Mitar- spricht. Und es braucht einen Empfänger, beiterInnen eine Lö- eine Person, die sich emotional berühren, sungsmöglichkeit für ihre anrühren lässt. pelt. Das kann zu Überforderung führen. Angelegenheiten zu finden, geschieht Foto: Samariteranstalten Manchmal kann es geschehen, dass einen dabei aus dem Verständnis für die Situa- In Märchen wie zum Beispiel „Das kalte ein Ereignis geradewegs ins Herz trifft, tion heraus. Indem ich mich darauf ein- Herz“, „Sterntaler“ oder „Das Mädchen der- oder diejenige im tiefsten Inneren lasse, knüpfe ich eine Verbindung zum mit dem Schwefelhölzchen“, kommt die- gerührt und ergriffen ist. Gänsehautmo- Gegenüber. Für diesen Moment sind ses Thema gut zum Ausdruck. Filme ent- mente können entstehen. Wer sich an- MAV-MitarbeiterInnen und Ratsuchende falten ihre Wirkung erst richtig, wenn die rühren lässt, ist schwingungsfähig, öffnet verbunden. Wichtig ist, in der Sachebene ZuschauerInnen sich berühren lassen. seine Seele, sein Herz. handlungsfähig zu werden und zu Als Beispiele könnten die Filme „About bleiben. a Boy oder: Der Tag der toten Ente“, Was bedeutet das Thema für die Mitar- „Ziemlich beste Freunde“ oder „Jesus beitervertretung (MAV)? MitarbeiterIn- Wir als MitarbeiterInnen der MAV las- liebt mich“ stehen. nen der MAV sind oft „Kummerkasten“ sen uns berühren, um mit dem nötigen für Probleme, die im Dienstalltag entste- Einfühlungsvermögen für die Mitarbei- Man kann angenehm oder unangenehm hen. Selten kommt jemand, der sagt: terInnen der Samariteranstalten zu han- berührt sein. Besteht ein Einverständnis „Gut gemacht, weiter so…“ Nicht alle deln. Gerd Gesche Der Sozial-O-Mat der Diakonie bietet allen Interessierten eine informative Übersicht zu ausgewählten, sozialpolitischen Positionen der Parteien für die Bundestagswahl am 26. September. UNTERWEGS 2/2021 11
rin mittend Gedanken der letzten Monate Nächster Redaktionskreis „mittendrin“? musste ausfallen… langes Warten und zu Hause bleiben… manchmal auch Sorgen und Ängste… zu Hause malen und schreiben für die „mittendrin“… Dann endlich, am 08.07.2021, ein Wiedersehen im Festsaal… immer noch vorsichtig sein… aber wir können uns wieder treffen! Wir können von dem erzählen, was inzwischen passierte… Die Freude des Wiedersehens war zu sehen und zu spüren… Alle waren berührt vom Wiedersehen… Ich bin berührt von den Gedanken und Beiträgen, die entstanden sind und möchte Sie alle teilhaben lassen. Viel Spaß beim Betrachten und Lesen, wünschen alle „mittendrin“-Redakteure und Heike Bůžek. Für Wolfgang Flegel ist es besonders schön, im warmen Wasser mit ganz viel Schaum zu baden. 12 UNTERWEGS 2/2021
mittend rin Die Tagesgestaltung im Lindenhof hat sich mit dem Thema Gisela Stelse „Hände“ beschäftigt. Die Hände oben und folgende mag Katze Kalli. Gedanken sind dabei entstanden: Man berührt sich, wenn man sich die Hand gibt. Mit dem Ellenbogen kann man sich auch berühren. Mit der Hand ist es schöner als mit dem Ellenbogen. Die Hand ist meist wärmer als ein Ellenbogen. Die Hand kann mehr fühlen als ein Ellenbogen. Henry Thadewaldt Hallo liebe Leser der Unterwegs 2021! Was ist Berührung???? Berührung ist die IMPFUNG gegen Corona! Das war für mich eine emotionale Berührung. Ich habe vor Freude geweint, in der Hoffnung, dass Corona schnell vorbei ist!!!! Der Vorteil ist, dass für Geimpfte wieder alles möglich ist. Ich werde am 02.08.2021 bis zum 05.08.2021 mit Herrn Wolter in den Urlaub fliegen. Es geht vom neuen Flughafen BER über Amsterdam nach Hamburg. 4 Tage und dann von Hamburg über Amsterdam zum Flughafen BER. Keine Angst – ich komme wieder! Ich hoffe, meine Bilder gefallen euch. Übrigens: Ich bin am 07.06.2021 vom Lindenhof ins Haus Emmaus in Fürstenwalde gezogen. Es ist schön, dass ich jetzt in der Stadt wohne, wo mehr los ist. Der Arbeitsweg ist jetzt kürzer. Alles Gute und liebe Grüße von Herrn Hopf. UNTERWEGS 2/2021 13
rin mittend Klaus-Dieter Schwalbe: „Berührt werden hat etwas mit dem Herzen zu tun.” Alexander Liebe: „Berührungen werden vermisst in der Coronazeit. Auf Arbeit habe ich einen Blinden an der Hand geführt. Das hat uns Beiden Spaß gemacht. Berührung vermisst – Ich mag es, meine Hand zu streicheln. Hände halten ist mehr als nur eine Berührung.” Phillipp Graf: „Die Sonne berührt die Welt und die Natur. Thomas Kitzrow Durch Corona fehlen mir die Berührungen meiner Oma. Ich kann sie nicht besuchen.” 14 UNTERWEGS 2/2021
mittend rin Martina Lupitz Holger Köbsch Christina Gläser Margarete Rammelfanger „Wir halte Günther nu den Händ ns an Kaufman en fest n und stärk en uns.” UNTERWEGS 2/2021 15
rin mittend Ilse Prüfer Alexander Teske In der Corona-Zeit fanden kaum Fußball-Spiele statt. Es durften keine Zuschauer ins Stadion. Ich bin großer Fußball-Fan. Mein Lieblings-Verein ist Borussia Dortmund. Ich habe keine Lieblings-Spieler. Jetzt findet die Fußball-EM statt. Darüber freue ich mich sehr. Das Deutschland-Spiel habe ich mit anderen Bewohnern im Fernsehen geguckt. Matts Hummels hat ein Eigen-Tor geschossen. Der tat mir dann sehr leid. Alles andere Foto: Samariteranstalten war gut. Jürgen Baltzer Heike Stark 16 UNTERWEGS 2/2021
AUS DEN BEREICHEN Wie wichtig sind Berührungen Welche Rolle aber spielen Berührungen in unserem Arbeitsalltag? sonst in unserem Arbeitsalltag? Viele un- serer Besucherinnen benötigen zusätzlich zur verbalen Begleitung andere Reize, die sehr häufig mit körperlichen Berüh- Praktische Erfahrungen rungen verbunden sind. Im Folgenden eine Auswahl: aus der Senioren-Tagesgestaltung • Stütze beim Aufstehen oder Gehen (einhaken, Hände reichen, Hilfe beim Halten des Gleichgewichts) V or Corona war es selbstverständlich, sich beim morgendlichen Ankom- men in der Tagesgestaltung mit freund- • Unterstützung bei pflegerischen Tä- tigkeiten (Hautpflege, prophylakti- sche Einreibungen) lichen Worten, verbunden mit einem • Zuwendung durch Körperkontakt (in ritualisierten Händedruck, zu begrüßen. den Arm nehmen…) Unter Pandemiebedingungen mussten • Schutz vor Gefahren (Festhalten im wir, wie alle, immer wieder Alternativen Straßenverkehr oder z.B. am heißen finden und ausprobieren: vom „Ellenbo- Herd) gengruß“ über eine leichte Verbeugung • aktives und passives Wahrnehmen bis hin zum Zuwinken. Alles ist grund- von Reizen (taktil, haptisch, Tempe- sätzlich machbar, aber auch nach vielen ratur, Körperspannung) Monaten des beständigen Übens sind • Vertrautheit und Geborgenheit diese neuen und damit noch nicht rituali- durch Berührung in Angstsituatio- sierten Berührungen für unsere Besuche- nen (besonders bei demenziell er- rinnen sehr ungewohnt und oft nicht krankten Menschen) verinnerlicht. Die Normen und Rituale • Erlernte Rituale zur Begrüßung, vieler Jahrzehnte sind tief verwurzelt und Verabschiedung, Gratulation (s.o.) können nur schwer verändert werden. • Unterstützung in der Kommunika- tion (standardisierte Berührungen zum Thema Körperschema oder zur räumlichen und zeitlichen Orientie- rung) • Begleitung und Trost in Krankheits- situationen oder im Sterbeprozess (Hand halten, streicheln) Natürlich muss auf Signale geachtet wer- den, wenn jemand eine Berührung nicht oder gerade in diesem Moment nicht möchte. Die Grenzen meines Gegen- übers (und meine eigenen) sollten also stets gewahrt bleiben. Dann können Al- Foto: Markus Kutzker ternativen mit mehr Distanz oder ein an- derer Zeitpunkt gewählt werden. Physische Berührungen sind jedoch in unserem Arbeitsalltag mit ihren vielfälti- Kuchen backen in der Tagesgestaltung gen Funktionen allgegenwärtig und sehr wichtig, teilweise sogar unersetzlich. Und viele Besucherinnen freuen sich da- rauf, wieder ohne schlechtes Gewissen dem anderen „höflich“ die Hand zu geben. A. Zucker, Chr. Haase UNTERWEGS 2/2021 17
AUS DEN BEREICHEN Foto: Samariteranstalten Auf der Suche nach dem Eisvogel Seit 15 Jahren machen Bewohner*innen und Mitarbeitende des Lindenhofs einen Ausflug auf dem Wasser. Das Hausboot ist das Fahrzeug der Wahl. Für die Beteiligten ein ganz be- sonderes Erlebnis. Martin Pohl war mit an Bord und berichtet uns, wie es war. Einen Wunsch für die Zukunft hat er auch. G leich vor unserer Haustür, nach nur etwa 5km Wegstrecke, tauchen wir ein in die faszinierende Naturlandschaft men. Über die Jahre hat sich als beson- dere Tradition das Ausschauhalten nach dem Eisvogel entwickelt. Auf den ersten Die Fahrten auf dem Hausboot sind des- halb seit Jahren fester Bestandteil der Angebote des Lindenhofs, während der der Spree. Im Hafen von Beeskow stei- Fahrten haben wir das kleine schillernde Schließzeit der Christophorus-Werkstät- gen wir auf ein Hausboot und befinden Geschöpf vielleicht gar nicht wahrge- ten. Sie entwickelten sich zu einem Ren- uns schon nach einigen Minuten Fahrt in nommen. Inzwischen sehen wir ihn re- ner in der Urlaubsbörse der einer komplett anderen Welt. Eine Welt, gelmäßig und konnten auch Brutplätze Samariteranstalten. die den Alltag schnell in den Hintergrund entdecken. treten lässt: kein Fernsehen, kein Shop- Wir möchten dieses tolle Erlebnis gern ping, kein Wohnkomfort – dafür Natur Zu essen gibt es meist vom Grill. Manch- vielen Menschen nahe bringen. Leider ist pur. Die Umgebung ist in tiefes Grün ge- mal auch Fische, die wir selbst geangelt so ein Hausboot jedoch alles andere als taucht. haben. Oder Lachsbrötchen. Kaffee aus barrierefrei: Schon der erste Schritt aufs der French Press. Wir schlafen auf Prit- Boot gelingt vielen nicht. Innen ist es eng Das Lied des Schilfrohrsängers begleitet schen und Doppelstockbetten. Einer und verwinkelt. Das Schlafen auf Dop- uns. Sonne und Wind lassen Haut und muss in den „Keller“ – eine Schlafmög- pelstockbetten ist vielen nicht möglich. Augen schnell Farbe bekommen. Manch- lichkeit etwa 50cm hoch. Wir haben Mi- Wollen wir außerhalb von Steganlagen mal kämpfen wir mit Mücken und Brem- nibecken zum Waschen, eine kleine an Land gehen, müssen wir eine Leiter sen oder mit den Naturgewalten. Wir Toilette mit einem gewissen Eigenleben zu Hilfe nehmen. Zahlreiche Passagiere sehen die Sonne am Abend rot unterge- (Sie macht, was sie will, manchmal auch aus vergangenen Zeiten können heute hen, am Morgen weckt sie uns mit ihren gar nichts und benötigt viel Aufmerk- dieses Angebot aus Altersgründen leider Strahlen. Von unserem Schlafplatz aus samkeit) und sogar eine Dusche. Aber nicht mehr wahrnehmen. können wir fast die Hand ins Wasser hal- Wasser gibt es auch ganz viel um uns ten. Auf der spiegelglatten Wasserober- herum. Für viele andere, besonders Rollstuhl- fläche schwebt ein Nebelschleier. Und fahrende, konnte so eine Fahrt nie ein wir können beobachten, wie eine Ringel- Gelegentlich treffen wir andere Men- Thema sein. Deshalb haben wir einen natter einen Frosch verschlingt oder wie schen auf Booten oder beim Landgang. Traum: Ein Hausboot mit viel Bewe- sie elegant über das Wasser gleitet. Da ist Ja, Hausboot tut gut. Alles geht etwas gungsfreiheit, niedrigem Einstieg, einer der Biber, der frühmorgens zur Arbeit langsamer. Man entschleunigt, wie man Terrasse für Rollstühle, ordentlichen schwimmt und am Abend wieder nach so schön sagt. Wir kommen zur Ruhe. Schlafmöglichkeiten und einer barriere- Hause zurückkehrt. Wir sehen Fischad- Das ist schön. Das berührt mich. Ich habe freien Toilette. ler beim Beutefang, Reiher, Kormorane Zeit zum Nachdenken und man relati- und Bisamratten. viert seine eigene Wichtigkeit in der gro- ßen weiten Welt. Es sind Gedanken, wie: Martin Pohl Alles bewegt sich: Sei es im Wasser, auf Da spielt sich ganz viel Leben auch au- Teamkoordinator dem Wasser, daneben oder über den Bäu- ßerhalb meines Wirkungskreises ab. Lindenhof 18 UNTERWEGS 2/2021
AUS DEN BEREICHEN Mit Alvaro Soler tanzen INFOS ZUM HAUS LYDIA Im Haus Lydia wohnen 18 erwachsene Herr Thadewaldt wohnt im Haus Lydia in Lindenberg Menschen mit geistiger Behinderung bei Beeskow. Er beschreibt uns, was er fühlt und was und Autismus-Spektrum-Störung. Die Bewohner*innen des Hauses teilen sich ihm gefällt. in vier Wohngruppen auf. Alle Bewohner*innen haben großzügige Einzelzimmer und weitere Rückzugs- D ie im Folgenden beschriebenen Be- obachtungen und Wahrnehmungen resultieren aus Gesprächen zwischen Henry Thadewaldt: Manchmal reagiere ich auf bestimmte Reize überempfindlich. Erkennen die möglichkeiten. Unter anderem stehen ihnen ein Therapieraum und unter- schiedliche Entspannungsräume zur Herrn Thadewaldt und der Mitarbeiterin Mitarbeiter*innen nicht meine Bedürf- Verfügung. Außerdem gibt es einen lie- Frau Lehmann. Herr Thadewaldt ant- nisse, schreie ich laut und werfe Gegen- bevoll gestalteten Außenbereich. wortet auf Fragen in seiner ganz eigenen stände umher. Art. Er versteht viele Dinge und Situa- Teamkoordinatorin: tionen trotz seiner Sprachbeeinträchti- Wenn ich dann von den Monique Rogoll gung und wir erzielen mit etwas Geduld Mitarbeiter*innen an den Unterarmen kompetente Resultate. oder am Rücken gestreichelt werde, ent- Erwachsenenwohnbereich spannt mich das. Haus Lydia Manchmal kann die Sprache nicht gezielt Ich habe auch Bedürfnisse! Schulstraße 4 eingesetzt werden, um etwas Bestimmtes 15848 Gemeinde Tauche/OT Lindenberg auszudrücken oder zu bekommen. Daher Musik, die ich gerne habe, kann ich nicht sind solche intensiven Gespräche, die wir laut genug hören. Ich bin Feuer und miteinander führen, ebenso wie genaue Flamme, wenn ich Lieder von Alvaro Beobachtungen sehr wichtig und dienen Soler laut hören kann. dem besseren Verständnis zwischen Be- wohner*innen und Mitarbeiter*innen. Mit einer Mitarbeiterin habe ich einen bestimmten Tanz eingeübt. Wir halten uns fest an den Armen und tanzen unse- Foto: Samariteranstalten Foto: Samariteranstalten ren Tanz zu der Musik von Alvaro Soler. Auch das gegenseitige Drücken der Hände, Zuwendung, ruhiges Zureden entspannt mich. Ich entscheide dann, wie lange ich diese Berührungen möchte. Das Arbeiten mit dem Werkstoff Ton finde ich toll. Der riecht so gut. Durch die lange Corona-Zeit, in der ich nicht nach Hause fahren konnte, habe ich meine Mama sehr vermisst. Sie drückt und streichelt mich. Das finde ich gut. Wenn ich zur Nachtruhe gehe, lege ich mich ganz lang und gerade in mein Bett und warte darauf, dass mich jemand zu- deckt und mich über das Gesicht oder den Kopf streichelt. Dann kann ich zu- frieden und glücklich schlafen. Herr Thadewaldt mit Frau Lehmann beim Tanz UNTERWEGS 2/2021 19
AUS DEN BEREICHEN Foto: Samariteranstalten Bindung als Beginn der Sexualität Foto: Annika Hochhuth Sexuelle Entfaltung, Liebe und Bindung sind genauso werden manchmal sogar übergriffig. Sie bedeutsam für Menschen mit Behinderung wie für sind wütend auf die ganze Welt, über die Menschen, die ihnen kein zu Hause nichtbehinderte Menschen. Unsere Aufgabe ist dies an- gaben. Und das zu Recht. zuerkennen und ernst zu nehmen. Sexuelle Fähigkeiten Unsere Aufgabe ist es, den Blick zu wan- entstehen nicht etwa mit dem Erwachsensein. Sie ent- deln, den Jugendlichen als Experten wickeln sich von Geburt an. seiner selbst zu erkennen, nicht zu wis- sen, was für ihn gut ist, sondern sich Die Bindung, die ein Säugling zu sei- ner Mutter spürt, lässt ihn Urver- trauen fühlen. Die Pflege und Fürsorge gemeinsam mit ihm auf die Suche zu machen. Diesen Jugendlichen ein liebevolles Zuhause zu schenken, eines Babys sind allumfassend und las- Beziehungen aufzubauen, wo vorher sen es gesund heranwachsen. Nicht alle keine waren und zeigen, dass sie bei uns Kinder haben dieses Glück. Jeden Tag in Geborgenheit erfahren kön- meiner beruflichen Tätigkeit arbeite ich Geborgenheit nen und angekommen sind. mit Jugendlichen, die schon im ersten Ein Zuhause gefunden erfahren Teil ihres Lebens Bindungsbrüche erle- haben. Immer wieder ben mussten, nicht die Geborgen- heit erfahren durften, die eigentlich Warum schreibe ich darüber? Bindungsbrüche jedem Kind zustehen. Ein Leben Dies ist existenziell wichtig für den von einem Wohnheim in eine Auffang- späteren Beziehungsaufbau und der station, immer neue Erzieher, eine neue zukünftig gelebten Sexualität mit ihrer Umgebung, neue Mitmenschen. Immer Vielfalt und dem Facettenreichtum. Zu wieder Bindungsbrüche. hinterfragen, warum Bewohner etwas nicht wollen, widersprechen und manch- Ab einem bestimmten Alter, beschrieben mal Dinge tun, die uns erschrecken. Der als bindungsgestört und Systemsprenger, Weg sollte nie sein, den Menschen ziehen manche dieser Kinder ins Haus wegzuschicken, ihn aufzugeben oder Bethesda. Aber sind sie das? System- seine Macht als Mitarbeiter zu miss- sprenger? Oder hat unser System sie brauchen. Unsere Aufgabe ist es, den dazu gemacht, weil niemand da war, um Menschen, die uns anvertraut wurden, sie aufzufangen? Solche Kinder kommen das zuzugestehen, was jeder von uns hat ins Haus Bethesda und versuchen zu be- und braucht: Liebe, Glück, Geborgenheit weisen, dass auch wir sie wieder weg- und eine gelebte Sexualität. schicken, wie all die anderen Stellen es taten. Sie schreien, kennen jedes Annika Hochhuth Schimpfwort, das der Duden hergibt, Wohnbereichsleitung Bethesda 20 UNTERWEGS 2/2021
AUS DEN BEREICHEN Aufwühlender Abschied Umzug aus dem Wichernheim: Madlen Lehmann berichtet aus dem Kinder-Wohnbereich in Forst. Es war einmal ein 8-jähriger polnischer benötigte. Man merkte täglich, dass er digt sein Ämterplan, liebt es duschen und Junge mit Down-Syndrom, der im Herbst sich bei uns wohl fühlte und dass das baden zu gehen. etc., um nur einiges zu 2017 in unsere Einrichtung kam. Ich Wichernheim im Laufe der Zeit zu erwähnen, was wir innerhalb der vier kann mich noch sehr gut an die erste Zeit seinem Zuhause geworden war. Jahre gemeinsam erreicht haben. mit ihm erinnern, die wir mit ihm päda- gogisch begleiteten. Damals war er Ich sitze am Schreibtisch und blicke nun Im Laufe der Lebenszeit „steigen" immer inkontinent und ein gezieltes Toiletten- auf die gemeinsamen vier Jahre zurück, wieder Menschen in den „Zug des training kannte er nicht. Die Kommu- die wir im Team mit ihm erlebt haben. Lebens" ein und wir alle haben die nikation war anfangs schwierig, da er Auch wenn unsere gemeinsame Zeit am Möglichkeit das Beste daraus zu machen. vorher in einer polnischen Einrichtung Anfang sehr schwierig war, so macht es Wir möchten wertvolle Zeit mit lieben untergebracht war. uns alle sehr traurig, dass er unsere Ein- Menschen verbringen und die richtung verlassen musste. Seine Eltern Möglichkeit haben, sie mit allen Stärken Sein eingerichtetes Zimmer „gestaltete" wollten es so. und Schwächen so anzunehmen, wie sie er innerhalb kürzester Zeit auf seine sind. eigene Weise: Heizkörper wurden abge- Seitdem wir mit den uns anvertrauten rissen, Gardinenstangen mit gezielten Kindern über den bevorstehenden Hätten wir einen einzigen Wunsch frei, Würfen mit Kuscheltieren heruntergeris- Auszug sprachen, konnte man spüren, dann würden wir uns M. zurück in unsere sen, Tapete von den Wänden entfernt, wie traurig und schockiert die Kinder und Einrichtung wünschen, um seine positive Schränke verschoben... alle Betreuerinnen bzw. Betreuer über Entwicklung weiterhin mitzuerleben und diesen Entschluss seiner Eltern waren weiter zu fördern. Wir wären gern mit Nichts, was wir für ihn eingerichtet hat- und noch immer sind. Es fällt uns allen ihm im „Zug des Lebens" weiterge- ten, wollte er akzeptieren. Aufgrund sehr schwer, uns an den Gedanken zu fahren, aber unsere gemeinsame Reise ist seines Verhaltens musste alles besonders gewöhnen, dass seit Juli unser gemein- leider zu Ende. Es vergeht kein Tag, an gesichert werden, damit er sich nicht ver- samer Lebensabschnitt vorbei ist. dem wir nicht an ihn denken. Wir ver- letzen konnte. missen ihn alle sehr und hoffen, dass wir Mittlerweile ist M. nicht mehr inkonti- ihn irgendwann wieder sehen und in den Er hatte große Schwierigkeiten, sich an nent, spricht ein paar Wörter, akzeptiert Arm nehmen können. seine neue Umgebung zu gewöhnen. Die seine Zimmergestaltung, spielt gern mit Körperpflege unter der Dusche war mit seinen Mitbewohnern, erledigt seine Madlen Lehmann ihm jeden Tag eine große Heraus- Beschäftigungsstation selbständig, erle- forderung, da er sich massiv dagegen wehrte. Sobald man das Wasser auf- drehte, fing er lautstark an zu schreien, warf sich auf den Boden und schlug nach den Betreuern… Mit seinem auffälligen Verhalten zeigte er uns, dass er negative Erfahrungen in früheren Kindesjahren er- lebt hatte. Unterstützt durch unsere liebevolle Be- Foto: Madlen Lehmann treuung und durch einen strukturierten Tagesablauf mit gezielten Förderungen für ihn, machte er große Fortschritte in seiner Entwicklung. Er wurde von allen Mitbewohnern und Betreuern geliebt und war in seiner Wohngruppe voll integriert. Seine Mit- Das Wichernheim in Forst mit dem Zug des Lebens bewohner halfen ihm gern, wenn er Hilfe UNTERWEGS 2/2021 21
BURGDORF-SCHULE Foto: Herr Götz 22 UNTERWEGS 2/2021
BURGDORF-SCHULE Berühren, was gefällt Berührung ist ein körperliches Ereignis. Auf Berührung sind wir Menschen sensibilisiert – von der ersten Minute unseres Lebens an. Lehrerin Anke Lüth berich- tet aus dem Burgdorf-Schulalltag. IMPRESSUM „Unterwegs“ Die Zeitschrift der Samariteranstalten I ch sprach mit meinen Schülern über das Thema Berührung. Und merkte dabei, wie ungewohnt es für sie ist, über schließlich gemeinsam geschafft hatten, durfte sich jeder noch einen Partner aus- suchen, der die als angenehm beschrie- Herausgeberin: Samariteranstalten diese ureigenen Gefühle zu sprechen. bene Stelle streicheln durfte. Dies zeugte August-Bebel-Str. 1-4 Deshalb bat ich meinen Kollegen, Herrn von großem Vertrauen. Deshalb war es 15517 Fürstenwalde Götz, einen Menschen zu zeichnen. Herr zunächst auch sehr ruhig in der Klasse. Götz kann das wirklich sehr gut. Und nun Später zog eine große Freude und Fröh- Geschäftsstelle: forderte ich die Kinder auf zu überlegen, lichkeit ein. Langewahler Straße 70 wo es sich für sie gut anfühlt, berührt zu 15517 Fürstenwalde werden. Bei den sechs sprechenden Wir reden nicht oft über unsere Gefühle Schülern war dies leicht. Sie verstanden und Empfindungen, kam es mir im An- Redaktionskreis: die Aufgabe und es kamen ganz unter- schluss an diese Stunde vor. Im Alltag, Ulrike Menzel, Markus Kutzker, schiedliche Vorlieben heraus. Von Alex gerade bei uns in der Schule, wird viel Mario Stein, Anke Lüth, Reinhard wussten wir, dass er es mag, am Rücken kommentiert. Wir reagieren auf Situatio- Weiß, Nora Küchler, Frank-Michael gestreichelt zu werden. Fathy mag das nen oder Verhaltensweisen. Wir sollten Würdisch, Gerd Gesche, Martin Kron- sanfte Anfassen am Fuß. Mike hingegen achtsamer miteinander sein, wo und berg, Andreas Dittkrist, Heike Bůžek, liebt es, wenn ihm sanft über die Wange wann immer es möglich ist. Wir sollten Redaktionskreis „mittendrin“ mit gestrichen wird. die Kinder ermutigen, über Gefühle, die den Bewohner*innen der Samis solche Berührungen bewirken, zu reden. Schwieriger war es für Ola und Deniz. Dazu gehört auch, sie zu ermuntern, in Layout: Markus Kutzker Diese Jungen sprechen nicht oder nur Momenten, wo sie nicht berührt werden Tel.: 03361/567-198 wenig. So versuchten wir uns daran zu möchten, laut und deutlich Nein zu m.kutzker@samariteranstalten.de erinnern, an welcher Stelle ihres Körpers sagen. Wir sollten die Kinder in ihrem sie eine Berührung zulassen. Wo würden Recht bestärken, über den eigenen Kör- Foto Deckblatt: Markus Kutzker sie diesen Kontakt genießen? per zu bestimmen. Foto Rückseite: www.pexels.com Anke Lüth Jedes Kind wurde nun darum gebeten, Druck: Druckzuck + Spreedruck GmbH die Stelle aufzumalen, mit seinem Papier: Eural EcoPro (100% recycelt) Namen zu markieren und möglichst noch ein Wort für dieses Gefühl zu finden. Das Spendenkonten: war schwer! Als wir diese Aufgabe – Sparkasse Oder-Spree IBAN: DE 96 1705 5050 3010 1349 66 BIC: WELADED1LOS Foto: Samariteranstalten – KD-Bank eG Bank für Kirche und Diakonie IBAN: DE 73 3506 0190 1550 1130 11 BIC: GENODED1DKD UNTERWEGS 2/2021 23
SO BUNT IST UNSER GLAUBE Moses Wunsch Gott berührt Menschen Im Glaube sind Berührungen vielfältig. Eine sehr schöne Geschichte ist auch eine In ganz unterschiedlichen Situationen, besonders alte Geschichte. Mose kennt in der Gemeinschaft, aber auch allein, erfahren man vielleicht als kleinen Jungen im Schilfkorb auf dem Nil. Mose ist auch Menschen spirituelle und körperliche Berührung. der, der das Volk Israel aus der Sklaverei Darüber spricht Diakonin Nora Küchler. in Ägypten befreit. Und Mose ist auch der, der die 10 Gebote von Gott erhalten hat und sie zu dem Volk bringt. Gott hat direkt zu ihm geredet und sehr viel von ihm verlangt. B erühren und berührt werden. Das ist auch zentraler Teil des christlichen Glaubens. Es sind Texte und Lieder, die Irgendwann äußert Mose seinen Wunsch: Er möchte den Gott, von dem er die ganze Zeit dem Volk gegenüber erzählt, die Herzen berühren. Oder der Klang der mal sehen. Er möchte den kennenlernen, Orgel und das Rufen der Glocken. Es be- der ihm die Aufträge gibt, die ihn sehr rührt, wenn Menschen füreinander beten herausfordern. und eine Kerze anzünden. Doch Gott, der Herr, gewährt es ihm In der langen Geschichte des Christen- nicht, „denn kein Mensch wird leben, der tums und der noch viel älteren Ge- mich sieht.“ (2. Mose 33,20b) schichte des Judentums werden viele Erfahrungen und Geschichten erzählt, in Gott sagt zu Mose, dass er sich auf einen denen Gott Menschen berührt hat. Felsen stellen soll. Dann geht Gott in sei- 24 UNTERWEGS 2/2021
SO BUNT IST UNSER GLAUBE Begegnung – Berührung, ein Aquarell von Nora Küchler (Juli 2021) ner Herrlichkeit vorüber und hält seine Menschen berühren Menschen Hand über Mose. Als er an Mose vorbei Auch untereinander berühren sich Gläu- ist, nimmt er die Hand runter und Mose bige: darf ihm hinterhersehen. Das Angesicht VON UNS GEGANGEN SIND Der Friedensgruß ist besonders aus den Gottes sieht er aber nicht. katholischen Gottesdiensten bekannt, im Katharina von Bora-Haus: aber auch in evangelischen üblich: Vor Menschen berühren Gott dem Abendmahl reicht man sich mit Udo Zapke (77) möglichst vielen Menschen die Hände Bei Jesus ist das anders. Jesus läßt sich am 29. März 2021 und spricht zu jedem Einzelnen: Friede von Menschen berühren. Davon gibt es sei mit dir. eine beeindruckende Geschichte von Edith Schulz (88) Jesus. Kurz vor seiner Kreuzigung am 03. Mai 2021 In der Taufe berührt der Pfarrer oder die kommt eine Frau, die ganz wertvolles Öl Pfarrerin die Stirn des Täuflings mit dabei hat. Was macht sie damit? Margarete Nifke (91) Wasser und zeichnet ein Kreuz. Für eine am 14. Juli 2021 Taufe sind das Wasser und die Worte Es kommt einem Skandal gleich. Erstens von großer Bedeutung. Gleichzeitig sind darf sie als Frau nicht einfach in die Ge- Werner Seidel (86) die Berührung des Taufenden mit der sellschaft der Männer, in der Jesus sich am 17. Juli 2021 Hand an der Stirn und die Berührung des gerade befindet. Zweitens nimmt sie das Heiligen Geistes in dem Täufling und der teure Öl und „verschwendet“ es, indem Martha Barkow (99) Tauffamilie zentral. sie Jesus damit salbt. am 31. Juli 2021 Beim Abendmahl wenn ein Kreis gebil- Die Männer sagen: Das Öl hätte sie für det wird, nehmen sich alle an die Hände: viel Geld verkaufen können. Mit dem So erfahren wir, dass wir alle zu dem Geld hätte man Arme unterstützen kön- Leib und zu Gemeinde Christi gehören – nen. Die Frau erhält viele Vorwürfe. aus dem Erwachsenen-Wohnbereich: eine Gemeinschaft. „Wie kann sie nur?“ Ilona Ebel (62) Beim Segnen wird die Hand auf den Jesus mischt sich ein: am 17. März 2021 Kopf gelegt oder ein Kreuz auf die Stirn „Was bekümmert ihr die Frau? Sie hat gezeichnet. ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr Johannes Burmeister (84) habt allezeit Arme bei euch, mich aber am 10. Mai 2021 Das Besondere bei den zwischen- habt ihr nicht allezeit. Dass sie dies Öl menschlichen Berührungen ist, dass dann auf meinen Leib gegossen hat, hat sie Gott dazu kommt. Er wirkt durch den getan, dass sie mich für das Begräbnis Segnenden, er wirkt durch den Taufen- vorbereitet.” den, er ist mitten unter uns im Abend- mahl. Ein paar Tage später stirbt Jesus. Er wird ins Grab gelegt. Und er bekommt keine So wie Gott schützend die Hand über Salbung mehr. So hat diese Frau einen Mose gehalten hat, so hält er sie auch großen Dienst an ihm getan. über jeden Einzelnen von uns. Jesus, als Gottes Sohn, braucht auch Be- Mögen Sie diesen Segen spüren und sich rührung. immer wieder im Herzen von Gott be- rühren lassen! Herzliche Grüße Diakonin Nora Küchler Pastorale Dienste UNTERWEGS 2/2021 25
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