3 2019 CESifo Group Munich

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3 2019 CESifo Group Munich
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                                                                                7. Februar 2019
                                                                                   72. Jahrgang

FORSCHUNGSERGEBNISSE              ZUR DISKUSSION GESTELLT

Internationale Abkommen und
Regierungswechsel:
                                  Kooperation von Bund
Evidenz zum
NATO-Zwei-Prozent-Ziel
                                  und Ländern in der
Johannes Blum und
Niklas Potrafke
                                  Bildungspolitik:
DATEN UND PROGNOSEN
                                  Bildungsföderalismus
Wirtschaftskonjunktur 2018:
Prognose und Wirklichkeit
                                  in der Kritik
Wolfgang Nierhaus                 Susanne Eisenmann, Kerstin Schneider, Susanne Lin-Klitzing,
                                  Karin Prien, Robert Schwager
Chef oder Praktikant – wer
beantwortet die Fragebögen in
den ifo Konjunkturumfragen?
Stefan Sauer und Klaus Wohlrabe

IM BLICKPUNKT

ifo Konjunkturumfragen
Januar 2019
Klaus Wohlrabe
3 2019 CESifo Group Munich
ifo Schnelldienst
ISSN 0018-974 X (Druckversion)
ISSN 2199-4455 (elektronische Version)

Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München,
Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de.
Redaktion: Dr. Marga Jennewein.
Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam.
Vertrieb: ifo Institut.
Erscheinungsweise: zweimal monatlich.
Bezugspreis jährlich:
Institutionen EUR 225,–
Einzelpersonen EUR 96,–
Studenten EUR 48,–
Preis des Einzelheftes: EUR 10,–
jeweils zuzüglich Versandkosten.
Layout: Kochan & Partner GmbH.
Satz: ifo Institut.
Druck: Majer & Finckh, Stockdorf.
Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise):
nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars.

im Internet:
http://www.cesifo-group.de
SCHNELLDIENST                                                                                    3/2019

ZUR DISKUSSION GESTELLT

Kooperation von Bund und Ländern in der Bildungspolitik:
Bildungsföderalismus in der Kritik                                                                            3

Der Bildungsföderalismus gerät immer wieder in die Kritik. Er bringe im internationalen Vergleich schlechte
Schülerleistungen hervor. Die Schulabschlüsse in den einzelnen Bundesländern seien nicht vergleichbar, was
die Mobilität von Familien mit schulpflichtigen Kindern erschwere. Außerdem behindere er Innovationen: Zuletzt
scheiterte der geplante »DigitalPakt Schule« an dem Widerstand der Länder. Sollte künftig der Bund deutlich
stärker in die Bildungspolitik der Länder eingreifen als bisher?

Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg, betrachtet den Bil-
dungsföderalismus als Gestaltungsaufgabe. Den Ländern sei aus guten Gründen die Hauptverantwortung für die
Bildungspolitik übertragen worden, da sie »die richtige Größe (haben), um sowohl bürgernah als auch mit Blick
aufs Ganze eine Bildungspolitik aus einem Guss zu betreiben«. Der Bund sei dabei als Unterstützer durchaus gern
gesehen. Die Länder sollten verlässlich auf auskömmliche Finanzierung pochen und bei neuen Aufgaben mit dem
Bund in Verteilungsverhandlungen eintreten.

Für Kerstin Schneider, Bergische Universität Wuppertal, ist der DigitalPakt Schule »ein Paradebeispiel dafür, wie
Investitionen in Zukunftstechnologien an Schulen nicht umgesetzt werden, weil es ein Gerangel um politische
Zuständigkeiten gibt«. Zudem müssten die Bundesländer nicht die Konsequenzen schlechter oder falscher Ent-
scheidungen bei ihrer Bildungspolitik tragen. Zur Beurteilung der Qualität der verschiedenen Bildungspolitiken
bedürfe es einer größeren Transparenz. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wären z.B. Schülerregisterdaten,
mit denen Erwerbsbiographien mit Bildungsbiographien verknüpft werden könnten.

Nach Ansicht von Susanne Lin-Klitzing, Philipps-Universität Marburg und Deutscher Philologenverband, ist es
zwar offensichtlich, dass der Bildungsföderalismus zu großen Disparitäten in der Bildungsqualität in Deutschland
geführt habe. Dennoch gebe es aber für Deutschland keine Alternative zum Bildungsföderalismus. Bildungsstruk-
turelle wie -inhaltliche Fragen seien auf Länderebene besser aufgehoben als in Berlin. Das bedeutet jedoch nicht,
dass es keinen Verbesserungsbedarf im Bildungsföderalismus gebe, wie die politische Auseinandersetzung um
den Digitalpakt gezeigt habe

Karin Prien, Bildungsministerin des Landes Schleswig-Holstein, sieht den Bildungsföderalismus in Deutschland
als eine Errungenschaft. Mit der Gründung der Kultusministerkonferenz sei auch ein Gremium mit dem Ziel einer
gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung geschaffen worden, um sowohl die Kulturhoheit der Länder zu wah-
ren als auch bundesweite Standards zu etablieren.

Robert Schwager, Georg-August-Universität Göttingen, befürwortet einen »Bildungsföderalismus für mündige
Bürger«. Wer an mündige Bürger glaube, dürfe große Herausforderungen nicht zentral angehen. Es sei doch anzu-
nehmen, dass sich Bürger bei wichtigen Fragen die Mühe machten, wohlüberlegt zu entscheiden und sich als
Wähler gut zu informieren. Im Vertrauen auf das verantwortliche Eigeninteresse der direkt Betroffenen setze die
freiheitliche Rechtsordnung daher grundsätzlich auf Bürgernähe und Subsidiarität, statt alle öffentlichen Ent-
scheidungen von vorneherein der höchsten Ebene zuzuordnen.
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Internationale Abkommen und Regierungswechsel:
Evidenz zum NATO-Zwei-Prozent-Ziel                                                                          18
Johannes Blum und Niklas Potrafke

Vereinbaren nationale Regierungen internationale Abkommen und Verträge, haben sie ein Selbstbindungs­
problem: Sie sagen ihren Regierungspartnern aus anderen Ländern zu, dass sich ihr Heimatland in der Zukunft
an heute vereinbarte internationale Abkommen und Verträge halten wird. Doch wissen die demokratisch
gewählten Regierungen gar nicht, ob sie in Zukunft noch im Amt sind. Vielmehr könnten sie im Heimatland abge­
wählt werden, und die Nachfolgeregierung hält von den Vereinbarungen überhaupt nichts. Johannes Blum und
Niklas Potrafke untersuchen in einer neuen Studie, ob Länder mit deutlichen Regierungswechseln das Zwei-Pro­
zent-Ziel der NATO – d.h., 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben zu verwenden – weniger
zielstrebig umsetzen als Länder, in denen es keine Regierungswechsel gab. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass
sich neue Regierungen, die parteipolitisch besonders wenig mit der Vorgängerregierung zu tun hatten, mit gerin­
gerer Wahrscheinlichkeit an das Ziel halten, als Regierungen, die diesem Ziel zugestimmt hatten und danach noch
einige Jahre im Amt waren. Regierungswechsel haben offenbar einen negativen Einfluss auf die Wachstumsraten
der Verteidigungsausgaben. Internationale Vereinbarungen und Abkommen sollten deshalb so gestaltet sein,
dass die Einhaltung auch nach Regierungswechseln noch anreizkompatibel ist.

DATEN UND PROGNOSEN

Wirtschaftskonjunktur 2018: Prognose und Wirklichkeit                                                       22
Wolfgang Nierhaus

Das ifo Institut beleuchtet seit Jahren kritisch die Qualität der eigenen Konjunkturprognosen, die jeweils im
Dezember eines Jahres für das darauf folgende Kalenderjahr abgegeben werden. In dem Beitrag wird die ifo
Prog­nose vom Dezember 2017 für das Jahr 2018 vor dem Hintergrund der am 15. Januar 2019 veröffentlichten
amtlichen Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen diskutiert. Das Ergebnis: Die Prognose des
ifo Instituts für die jahresdurchschnittliche Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2018 war
offenkundig zu »optimistisch«. Im Dezember 2017 war eine Zuwachsrate in Höhe von 2,6% prognostiziert worden,
die erste vorläufige amtliche BIP-Schätzung für das Jahr 2018 beläuft sich auf 1,5%. Die in der Risikoansprache
aufgeführten weltwirtschaftlichen Prognoserisiken »nach unten« hatten sich teilweise materialisiert, zudem gab
es binnenwirtschaftlich negativ wirkende Sondereffekte. Zur Überschätzung der Jahreswachstumsrate 2018 hat
überdies die Überschätzung des statistischen Überhangs beigetragen.

Chef oder Praktikant – wer beantwortet eigentlich die Fragebögen in den
ifo Konjunkturumfragen?                                                                                     30
Stefan Sauer und Klaus Wohlrabe

Der ifo Geschäftsklimaindex gilt als wichtigster Index für die deutsche Wirtschaft. Die Validität der Ergebnisse
hängt unter anderem davon ab, wer die monatlichen Fragebögen in der Konjunkturumfrage ausfüllt. Sind es die
Inhaber des Unternehmens, Vorstandsmitglieder, die Geschäftsführung, die Abteilungsleitung oder doch das
Sekretariat oder die Praktikanten? Der vorliegende Artikel gibt Antworten basierend auf einer im November und
Dezember 2018 gestellten Sonderfrage. Es zeigt sich, dass die Fragebögen in großer Mehrheit von der Geschäfts­
führung beantwortet werden.

IM BLICKPUNKT

ifo Konjunkturumfragen Januar 2019 auf einen Blick:
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Abschwung                                                    33
Klaus Wohlrabe

Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Januar auf den niedrigsten Wert seit Februar 2016 gefallen. Die aktuelle
Geschäftslage wurde etwas weniger gut beurteilt. Die Erwartungen haben sich sogar massiv verschlechtert. Sie
sind erstmals seit Dezember 2012 leicht pessimistisch. Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Abschwung.
ZUR DISKUSSION GESTELLT

Kooperation von Bund und Ländern in der Bildungspolitik:
Bildungsföderalismus in der Kritik

In Deutschland liegt die politische Verantwortung für das Bildungswesen bei den Bun-
desländern. Doch der Bildungsföderalismus gerät immer wieder in die Kritik. Er sei ver-
antwortlich für die im internationalen Vergleich schlechten Schülerleistungen, für die
mangelnde Vergleichbarkeit der Abiturabschlüsse in den einzelnen Bundesländern und
erschwere den Umzug von Familien mit schulpflichtigen Kindern. Zuletzt scheiterte der
geplante »DigitalPakt Schule« an dem Widerstand der Länder. Sollte künftig der Bund deut-
lich stärker in die Bildungspolitik der Länder eingreifen als bisher?

Susanne Eisenmann*                                              berg gibt in der laufenden Legislaturperiode rund eine
                                                                Milliarde Euro für die Digitalisierung aus.
Kooperation von Bund und                                             Digitalisierung ist also nicht nur eine Aufgabe für
Ländern in der Bildungs-                                        die kommunalen Schulträger als Verantwortliche für
                                                                die sächliche Ausstattung der Schulen. Neben einer
politik: Bildungsföderalismus                                   zielgerichteten und auskömmlichen Förderung müs-
als Gestaltungsaufgabe                                          sen die Länder aber noch mehr leisten. Sie haben
                                                                die Aufgabe, sich über geeignete pädagogische und
DIE PROBLEMSTELLUNG                                             technische Rahmenbedingungen mehr und schnel-                                    Susanne Eisenmann

                                                                ler und tiefer zu engagieren als bisher. Bestand-
Das Verhältnis von Bund und Ländern ist seit Inkraft-           teile davon sind: schneller aktualisierte Bildungs-
treten des Grundgesetzes vor 70 Jahren eine Dau-                pläne und eine qualitativ und quantitativ überzeu-
erbaustelle politischer Gestaltung. Es ist seit jeher           gende Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und
Gegenstand wegweisender verfassungspolitischer                  Lehrer sowie die Bereitstellung technischer Voraus-
Weichenstellungen. Und der Föderalismus bleibt auch             setzungen. Dass gerade dieses nicht so einfach ist,
heute und wohl in Zukunft ein Politikfeld, über das             haben wir in Baden-Württemberg schmerzlich erfah-
in Fach- wie auch breiter Öffentlichkeit mit Hingabe            ren müssen.
gestritten wird. Denn auch die Digitalisierung ist und               Die Politik insgesamt kommt der Geschwin-
bleibt eine komplexe Daueraufgabe. Sie verändert die            digkeit der technischen Entwicklung nicht immer
Art und Weise unseres Alltags, unserer wirtschaftli-            ausreichend hinterher: Während die Debatte über
chen Tätigkeiten und auch der Politik. Sie ist organi-          künstliche Intelligenz läuft, funktioniert Verwaltung
satorisch anspruchsvoll, sie spielt sich in einem sich          noch zu oft mittels handabgezeichneter Aktenver-
ständig verändernden technischen und auch sozialen              merke im Stile des Spätbarock. Auch das muss sich
Umfeld ab. Und sie kostet Geld. Viel Geld.                      ändern; und zwar jetzt und nicht erst übermorgen.
     Daher ergibt es auch Sinn, dass sich mehrere               Politik und Verwaltung sind ohne Frage in Zugzwang
politische Ebenen mit dieser wichtigen Zukunftsauf-             und müssen – endlich – Digitalisierung verstehen und
gabe beschäftigen. Die Kommunen als Schulträger                 agiler werden.
wären allein mit Sicherheit damit überfordert, die In-               Den Ländern ist im Übrigen aus guten Grün-
frastruktur einzurichten und zu warten. Dies gilt ins-          den die Hauptverantwortung für die Bildungspolitik
besondere, weil es ja nicht mit Einmalbeschaffungen             übertragen worden. Sie haben die richtige Größe, um
getan ist. Daher sind die Länder als staatsrechtlich für        sowohl bürgernah als auch mit Blick aufs Ganze eine
die Kommunen zuständige Ebene gefordert. Und sie                Bildungspolitik aus einem Guss zu betreiben. Sie müs-
kommen dieser Aufgabe auch nach. Baden-Württem-                 sen sie aber auch nutzen. Der Bund ist dabei als Unter-
                                                                stützer durchaus gern gesehen. Beispiele für erfolgrei-
* Dr. Susanne Eisenmann ist Ministerin für Kultus, Jugend und
                                                                che und sehr willkommene Bund-Länder-Kooperatio-
Sport des Landes Baden-Württemberg.                             nen gibt es bereits – nehmen wir nur die gemeinsame

                                                                             ifo Schnelldienst   3 / 2019   72. Jahrgang   7. Februar 2019   3
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    Initiative für leistungsstarke Schüler aller Schularten.        hinderlich und gestrig galten, herrschten diktatori-
    Worum es geht, ist eine sowohl zeitgemäße als auch              sche Regimes in unserem Land. Was für Europa als
    funktional überzeugende Zusammenarbeit von Bund                 treffendes Motto gilt, gilt für Deutschland und seine
    und Ländern in der Bildungspolitik.                             Nationalgeschichte in gleichem Maße: Einheit durch
         Die zentrale Konfliktlinie gerade auch in der ver-         Vielfalt.
    öffentlichten Meinung ist die zwischen den Befürwor-                 Insgesamt also waren föderale Strukturen immer
    tern des (Bildungs-)Föderalismus einerseits und den             schon Strukturkonstanten der deutschen Geschichte.
    Verfechtern eines zentralstaatlichen Politikansatzes.           Sie gehören zu Deutschland, und sie haben dieses
    Während letztere den Föderalismus für eine über-                Land unschätzbar bereichert. Es gilt, diese bewähr-
    lebte, zu langsame und insgesamt wenig überzeu-                 ten Formen und die damit einhergehenden Chancen
    gende Konzeption erachten, stellen sich engagierte              jetzt zu nutzen, sinnvoll weiterzuentwickeln und dar-
    Befürworter des Föderalismus auf einen anderen                  über hinaus auch für die Zukunft zu sichern.
    Standpunkt. Demnach bleibt der Föderalismus zu
    Recht ein demokratietheoretisch sinnvolles, unver-              ZWEITENS: DAS ARGUMENT DER BÜRGERNÄHE
    zichtbares und ebenso wertvolles wie handlungs-                 UND DER DEMOKRATISCHEN KONTROLLE UND
    fähiges Strukturelement Deutschlands. Es bedarf                 ZURECHNUNG
    kaum ausführlicherer Begründungen, weshalb ich als
    Kultusministerin Baden-Württembergs zur zweiten                 Demokratie lebt von der Nähe und Zugänglichkeit der
    Gruppe gehöre:                                                  Entscheidungsträger für die Bürgerinnen und Bürger.
         Ich bin der Überzeugung, dass die Länder der               Daher sind sowohl eine klare Kompetenzverteilung
    Bundesrepublik Deutschland aus mehreren guten                   der politischen Ebenen als auch eine gute Erreich-
    Gründen eine überaus wichtige Rolle spielen müssen              barkeit von Entscheidungsträgern, insbesondere
    – nicht nur, aber ganz vorrangig in der Bildungspoli-           Abgeordneten und Verwaltungen, eine gute Grund-
    tik. Das schließt Querschnitts- und Zukunftsaufgaben            lage für demokratisches Regieren. Die Bürger müs-
    wie die Digitalisierung eindeutig mit ein. Ich mache für        sen sich darauf verlassen können, dass die von ihnen
    meine Position vier Argumente stark.                            gewählten Mandatsträger auch tatsächliche Entschei-
                                                                    dungsbefugnisse und »Aufgaben von substanziellem
    ERSTENS: DAS HISTORISCHE ARGUMENT                               Gewicht« haben.
                                                                         Dazu gehört, dass in einem traditionell föderal
    Deutschland war, seit es existiert (nehmen wir einmal           organisierten Staat eine klare Zuordnung von Aufga-
    mit Argumenten der Mediävistik an, so ungefähr seit             ben und Befugnissen zwischen Bund, Ländern und
    der Salierzeit, also dem 11. Jahrhundert), immer ein            Kommunen erfolgt. Die Föderalismusreformen der
    »Flickenteppich«. Zahlreiche Fürstentümer, geistliche           letzten 20 Jahre gehen in diese Richtung. Klare Zuord-
    und weltliche Herrschaften also, Freie und Reichs-              nung heißt: Entflechtung, analytische Klarheit in der
    städte (und -dörfer) machten unser Land zu einem                Finanzverfassung und verlässliche, transparente
    »corpus monstro simile«, wie Samuel von Pufendorf               Finanzierung bei gleichermaßen gewahrter und wich-
    das Heilige Römische Reich Deutscher Nation poin-               tiger bundesstaatlicher Solidarität. Das ist zweifellos
    tiert nannte. Die Herrschaftsstrukturen in Deutsch-             ein großes Rad, das zu bewegen ist. Es handelt sich
    land waren, wiewohl vordemokratisch, immer auf                  um eine Aufgabe, die sich nicht per Federstrich erle-
    mehrere »Köpfe« und Institutionen verteilt. So konnte           digen lässt. Dennoch – auf diesem Wege sollte eher
    ein Friedrich Schiller, württembergischer Sanitätsof-           noch konsequenter fortgeschritten werden. Wir soll-
    fizier, ins Mannheimer »Ausland« fliehen, als er die            ten keine Angst vor mutigen Entscheidungen haben.
    Knute seines Herzogs in Ludwigsburg nicht mehr                       Ich erinnere zudem daran, dass Baden-Würt-
    ertrug. Und später wurde er Professor im noch ferne-            temberg das einzige Beispiel für eine erfolgreiche
    ren Ausland zu Jena. Das alles innerhalb dessen, was            Länderneugliederung ist; Kultur, Wirtschaft und Poli-
    man deutsche Kulturnation nennt. Die gerade auch im             tik im deutschen Südwesten zeigen überdeutlich,
    europäischen Vergleich beispiellose regionale, lokale           wie gelungen diese damals durchaus schmerzhafte
    Vielfalt an Hochkultur ist ein Erbe der – auch schon in         Fusion war.
    früheren Zeiten – vielbeklagten territorialen Zersplit-              Eine Vermengung von Zuständigkeiten, insbeson-
    terung. In gewisser Weise war sie aber auch ein Zei-            dere die Mischfinanzierung von Aufgaben, erschwert
    chen von Vielfalt, die so überdauern und einzigartige           die demokratische Kontrolle. Entscheidung aus einer
    Blüten austreiben konnte.                                       Hand – Verantwortlichkeit in einer Hand – Finanzie-
         Föderale Vielfalt, ob in archaischer oder heu-             rung aus einer Hand: Dies sollte ein föderales System
    tiger Form, bildet damit auch einen Schutzwall von              leisten. Und so wissen die Bürger auch, wer für fehler-
    Wettbewerb und Freiheit gegen Absolutismus und                  hafte Entscheidungen mittels Wahlentscheidung zur
    striktes Durchregieren. Hinzu kommt: Immer dann,                Verantwortung zu ziehen ist.
    wenn Deutschland strikt zentral regiert wurde und                    Die Länder sollten also verlässlich auf auskömm-
    auf regionale Belange und Unterschiede keine Rück-              liche Finanzierung pochen und bei neuen Aufgaben
    sicht genommen wurde, ja, diese Unterschiede als                mit dem Bund –so wie jetzt auch gefordert – in Ver-

4   ifo Schnelldienst   3 / 2019   72. Jahrgang   7. Februar 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT

teilungsverhandlungen eintreten. Ad-hoc-Pakete zu          genutzt werden. Dies sollten wir Länder gemeinsam
schnüren ist systematisch allenfalls eine Notlösung        ausbauen.
und muss in jedem Falle die Ausnahme bleiben. Für
Daueraufgaben wie die Digitalisierung, die sich eben       VIERTENS: DAS ARGUMENT DES POLITISCHEN
nicht mit einer einmaligen (und umgerechnet auf die        LERNENS UND DER FLEXIBILITÄT
Einzelschule nicht besonders beeindruckenden) Geld-
spritze sinnvoll abarbeiten lässt, gilt das in verstärk-   Föderaler Wettbewerb bei verbindlichen Mindest-
tem Maße.                                                  standards kann eine Innovationsdynamik erzeu-
     Stellen wir uns eine Bundesverwaltung vor, die für    gen. Diese ist geeignet, Antworten auf aktuelle Fra-
40 000 Schulen, für 11 Mio. Schülerinnen und Schüler       gen ebenso zu finden, wie neue Lösungen zu erpro-
in jedem Einzelfall eine geeignete Lösung finden muss      ben, ohne eine »Top-down«-Lösung für alle einführen
– und zwar in Bezug auf Ausstattung, Lehrorganisa-         zu müssen, die sich möglicherweise nur in Teilen des
tion und Personalzuweisung. Diese Aufgabe zentral          Landes bewähren wird.
aus Berlin zu erledigen und zu steuern, würde auch              Gerade in der Bildungspolitik geben die vergan-
mit Wohlwollen und mit allem Einsatz digitaler Metho-      genen Jahre sehr gute Beispiele, dass sich im föde-
dik und Verwaltung nur in zentral organisiertem, diri-     ralen Wettbewerb konkrete Verbesserungen erzielen
gistischem Chaos enden.                                    lassen. Der sogenannte Pisa-Schock und seine Folgen,
                                                           darunter zahlreiche Folgeuntersuchungen, haben
DRITTENS: DAS ARGUMENT DER REGIONALISIE-                   Reform- und Handlungsbedarf bundesweit deutlich
RUNG IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH                             aufgezeigt. Hamburg und Schleswig-Holstein haben
                                                           vor einigen Jahren entschlossen gegengesteuert, und
Regional ist »in« – das zeigt ein Vergleich im europäi-    dies zeigt sich zunehmend in einschlägigen Studien.
schen Umfeld sehr deutlich. Während in Schottland,         Das sind gute Beispiele, an denen sich auch zuneh-
Katalonien und Flandern separatistische Bestre-            mend unser Land Baden-Württemberg orientiert.
bungen Aufwind verspüren, bietet ein austarierter          Grundvoraussetzung für diese Art politischen Lernens
Föderalismus genügend Spielraum für ein gedeih-            ist, dass es unterschiedliche Modelle gibt – und die
liches Zusammenwirken und eine erfolgreiche und            Qualität auch transparent wird. Wir lernen beispiels-
bürgernahe Verwaltung. Kluger Föderalismus bie-            weise auch, dass eine Dauerdiskussion über die Schul-
tet nämlich auch Identität und Heimat – und kann so        strukturen Qualität und Leistung schadet. Bayern und
gegen Radikalisierung schützen. Das setzt aber vor-        Sachsen sind Beispiele, die uns zeigen, dass Verläss-
aus, dass der regionalen (also in Deutschland der Län-     lichkeit bei den Strukturen gute Voraussetzungen für
der-)Ebene aussagekräftige und tatsächliche Kompe-         hochwertige Bildung schafft.
tenzen jenseits der Folklore bleiben. Und das hängt
auch am Selbstverständnis der Länder. Sie waren es,        ZUSAMMENFASSUNG: EIN STAATSVERTRAG
die 1949 den Bund gegründet haben. Es handelte sich        MUSS HER
dabei – anders als in anderen europäischen Staaten
– eben nicht um eine Dezentralisierung eines zentra-       Föderalismus bietet aus diesen Gründen nach wie vor
len Staates.                                               die gute Chance, Vielfalt in flexibler und bürgernaher
     Deutschland bleibt dabei, wenn es die Herausfor-      Art und Weise verantwortlich zu gestalten. Richtig
derungen annimmt und im Sinne einer klaren Zurech-         ist aber auch: Die Länder müssen diese Chance kon-
nung von Verantwortung und Freiheiten ernstnimmt,          kret und produktiv nutzen. Das Werkzeug der Wahl ist
auch künftig ein ausgezeichnetes Beispiel für politi-      nach meiner Überzeugung ein Länderstaatsvertrag.
sche Stabilität bei gleichermaßen hoher Qualität der       In einem solchen können sich die Länder, nach dem
Verwaltung. Föderalismus bietet die Chance, unter          Beschluss durch die Länderparlamente, verbindlich
Wahrung regionaler Besonderheiten und Bedürfnisse          verpflichten, gemeinsame Standards und bundesweit
einen Ausgleich in einem großen Flächenstaat wie           geltende Leitlinien in Geltung zu bringen.
der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Und                Ein Länderstaatsvertrag wäre zum einen das Zei-
Mentalität und Bedürfnislage ist zwischen Oder und         chen für die Handlungsfähigkeit des bundesdeut-
Rhein, zwischen Belt und Bodensee sehr unterschied-        schen Föderalismus. Er wäre zum anderen ein starker
lich. Das zeigt sich plastisch beim Fremdsprachenun-       Beweis für eine parteiübergreifendes und unideologi-
terricht, bei der Rolle von Dialekt und regionaler Kul-    sches Vorgehen gegen Politikverdrossenheit.
tur, aber auch in unterschiedlichen Situationen beim            Dieses Ziel ist ambitioniert. Es ist aber auch
Religionsunterricht.                                       erreichbar, und die vielgescholtene Kultusminister-
     Richtig ist, dass Handlungsbedarf besteht, so         konferenz hat sich im 70. Jahr ihres Bestehens daran
bei der Wahrung von Mindeststandards gerade auch           gemacht, diese Aufgabe mit Entschlossenheit und
in der Bildung, um Umzüge innerhalb Deutschlands           Nachdruck anzugehen. Nicht zuletzt durch meine und
problemloser zu ermöglichen. Allerdings gibt es ja         die bayerische Initiative arbeiten die Länderkultus-
bereits zahlreiche Ansätze und konkrete Maßnah-            ministerien bereits jetzt an Schwerpunkten und kon-
men wie den Abituraufgabenpool, die gelten und             kreten Formulierungen für einen Länderstaatsver-

                                                                       ifo Schnelldienst   3 / 2019   72. Jahrgang   7. Februar 2019   5
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    trag. Ich bin ziemlich optimistisch, dass diese Arbei-          Kerstin Schneider*
    ten, die wir im Jahr 2018 begonnen haben, noch in
    diesem Jahr erste Ergebnisse zeitigen und dann im
                                                                    Wettbewerb und Vielfalt?
    kommenden Jahr zu einem guten Abschluss kommen                  Der Bildungsföderalismus
    werden.
         Ergänzend will ich darauf verweisen, dass die
                                                                    in Deutschland
    parteipolitischen Unterschiede im bunter geworde-
    nen Kreis der Kultusminister hierbei eine schwächere            Deutschland nimmt für sich in Anspruch, ein Land zu
    Rolle spielen, als man befürchten könnte. Der Hand-             sein, in dem Bildung und Infrastruktur auf einem im
    lungsdruck wird überall wahrgenommen. Die Kultus-               internationalen Vergleich hohen Niveau sind – und
    ministerinnen und -minister der Länder haben ver-               auch weiterhin sein sollen. Bereits vor zehn Jahren
    standen, dass es ein für allemal vorbei sein muss mit           wurde die »Bildungsrepublik Deutschland« von Bun-
    der Taktik »Augen zu und durch«.                                deskanzlerin Merkel als großes politisches Ziel ausge-
         Wir haben gute Gründe dafür, den Föderalismus              rufen und sogar zur Chefsache erklärt. Doch bis heute
    zu stärken – und nicht ein ebenso bewährtes wie chan-           gibt es sowohl in der Bildung Nachholbedarf als auch
    cenreiches Prinzip über Bord zu werfen. Wer Deutsch-            bei der Infrastruktur einen immer größer werdenden
    land zukunftsfähig gestalten will, bleibt auf durch-            Investitionsstau. Mehr noch: Da der reale öffentliche
    dachte föderale Lösungen angewiesen – für eine Ein-             Kapitalstock in Deutschland geschrumpft ist, leidet
    heit in Vielfalt.                                               die Qualität der Bildung unter den Defiziten in der
                                                                    Infrastruktur. Das Beispiel der Digitalisierung der
                                                                    Schulen macht dies mehr als deutlich. Zwar ist die
                                                                    Digitalisierung in aller Munde und wird vehement
                                                                    gefordert, mit der Umsetzung hapert es jedoch er-
                                                                    heblich. Konnte die Politik bis vor wenigen Jahren
                                                                    finanzielle Engpässe anführen, um marode Schu-
                                                                    len nicht zu sanieren, so lässt sich dies in Zeiten von
                                                                    Null- und Negativzinsen sowie sprudelnder Steuerein-
                                                                    nahmen kaum noch rechtfertigen. Als Erklärung tau-
                                                                    gen auch fehlende Planungskapazitäten wenig. Als
                                                                    Erklärung für die fehlenden Investitionen helfen da
                                                                    schon eher die oftmals unklaren Zuständigkeiten von
                                                                    Bund, Ländern und Gemeinden, die Entwicklungs-
                                                                    prozesse und notwendige Maßnahmen nicht gerade
                                                                    beschleunigen.
                                                                         Der DigitalPakt Schule ist ein Paradebeispiel
                                                                    dafür, wie Investitionen in Zukunftstechnologien an
                                                                    Schulen nicht umgesetzt werden, weil es ein Geran-
                                                                    gel um politische Zuständigkeiten gibt. Da Bildung
                                                                    laut Grundgesetz Ländersache ist, kann der Bund
                                                                    nicht einfach Gelder für die Finanzierung von Schu-
                                                                    len zur Verfügung stellen – Bildung ist in Deutschland
                                                                    eben nicht Chefsache. Möchte der Bund Gelder für die
                                                                    Digitalisierung in den Schulen zur Verfügung stellen
                                                                    und dies nicht einfach über eine Erhöhung des Län-
                                                                    deranteils an den Gemeinschaftssteuern tun, muss
                                                                    das Grundgesetz geändert werden. Diese Änderung
                                                                    wurde im letzten Jahr vom Bundestag mit der erfor-
                                                                    derlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen. Im Bun-
                                                                    desrat wurde sie jedoch gestoppt, da die Bundeslän-
                                                                    der die Zukunft des Föderalismus durch diese Ände-
                                                                    rung in Gefahr sehen. Besonderer Unmut regte sich
                                                                    bei den Ländern darüber, dass durch eine 50-50-Rege-
                                                                    lung für zukünftige Mittel auch eine erhebliche finan-
                                                                    zielle Beteiligung der Länder eingeführt worden wäre.
                                                                    Durch die geforderte Eigenleistung, so die Argumente

                                                                    * Prof. Dr. Kerstin Schneider ist Inhaberin des Lehrstuhls für Finanz-
                                                                    wissenschaft und Steuerlehre an der Bergischen Universität Wupper-
                                                                    tal und Vorsitzende des Wuppertaler Instituts für bildungsökonomi-
                                                                    sche Forschung (WIB).

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der Bundesländer, seien finanzschwache Länder nicht         dies möglich war, in ihren Wirkungen evaluiert und
in der Lage, an solchen Programmen zu partizipieren.        einer Verlängerung des Schulfriedens um weitere
     Kofinanzierungen bergen natürlich immer die            zehn Jahre zugestimmt (vgl. Schneider et al. 2019;
Gefahr, dass das Geld nicht dort investiert wird, wo        Makles et al. 2019).
es besonders gebraucht wird. Solche Modelle werden               Im Ergebnis der G8/G9-Debatte besteht in den
aber nicht nur vom Bund, sondern auch von den Bun-          alten Bundesländern eine Tendenz zur Rückkehr zu
desländern selbst im Zusammenspiel mit ihren Kom-           G9, während die neuen Bundesländer im G8-Sys-
munen praktiziert. Doch ganz unabhängig davon, ob           tem verbleiben möchten. Damit wäre aber nicht die
                                                            einzige Ungleichheit geschaffen, denn die Dauer                                  Kerstin Schneider
und wie die gewünschte Eigenleistung umgesetzt wer-
den sollte, hat sich am Beispiel des DigitalPakts noch      der Schulzeit bis zum Abitur hängt innerhalb eines
einmal sehr deutlich gezeigt, wie dringend erforder-        Bundeslandes auch von der besuchten Schulform
liche Investitionen verhindert werden auch, weil die        ab. Und in einigen Bundesländern können Schulen
Bundesländer ihre Bildungshoheit in Gefahr sehen.           einer Schulform sogar selbst über die Dauer des Bil-
     So argumentierten die Ministerpräsidenten              dungsgangs entscheiden. Insgesamt lässt sich die
von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nord-                G8/G9-Landschaft damit nur noch als bunter Flicken-
rhein-Westfalen und Sachsen in diesem Fall in einem         teppich beschreiben.
Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntags-             Aber mit welchen kulturellen Unterschieden lässt
zeitung vom 2. Dezember 2018 vehement gegen die             sich diese ›Vielfalt‹ erklären? Warum ist die Dauer
Einmischung des Bundes in die Schulpolitik. Um eine         eines Bildungsganges bis zum Abitur in einem Bun-
›Einheitsschulpolitik‹ aus Berlin abzuwehren, mach-         desland neun Jahre, in einem anderen hingegen nur
ten sie sich für den Bildungsföderalismus in seiner         acht, wenn die Schulabschlüsse doch gleichwer-
derzeitigen Form stark, der Vielfalt und Wettbewerb         tig sein sollen? Wenn aber ein weiteres Schuljahr
im Bildungswesen garantiere. Gleichwohl begrüßen            einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Kom-
sie aber die Bereitschaft des Bundes, für dringende         petenzen der Schülerinnen und Schüler hat – und
Bildungsinvestitionen mehr Geld an die Länder zu            dies wurde in den Landtagswahlkämpfen oftmals
geben.                                                      als Argument angeführt – dann wären Schülerinnen
     Wie verhält es sich aber mit der Vielfalt und dem      und Schüler in G8-Ländern bzw. in G8-Bildungsgän-
Wettbewerb im Bildungswesen? Genau diese Argu-              gen benachteiligt. Diese Benachteiligung könnte sich
mente sollen hier noch einmal beleuchtet werden.            in einem ersten Schritt darin äußern, dass Schüle-
                                                            rinnen und Schüler in G8-Ländern schlechtere Abi-
DIE VIELFALT IN DER BILDUNG                                 turnoten vorweisen und damit geringere Chancen
                                                            auf einen NC-beschränkten Studiengang haben. Wis-
Ganz ohne Frage hat der Bildungsföderalismus zu             senschaftliche Studien haben in dieser Hinsicht aber
einer großen Vielfalt der Bildungssysteme in Deutsch-       keine negativen Effekte von G8 nachweisen können.
land geführt. Immer wieder ist schulische Bildung           Es wurde aber gezeigt, dass sich die geringere Schul-
ein sehr bedeutsames Thema, über das in Länder-             zeit nicht in einem früheren Ausbildungs- oder Stu-
wahlkämpfen sehr emotional debattiert wird. Ob das          dienbeginn widerspiegelt (für einen Überblick vgl.
jedoch eine gute Entwicklung ist, ist fraglich. Beispiele   Huebener und Marcus 2015). Und da auch die finan-
für Vielfalt – man könnte auch sagen uneinheitliche         ziellen Kosten einer Umstellung erheblich sind (vgl.
Regelungen – sind Studiengebühren, die Diskussion           Schneider, Makles und Klemm 2015), zeigt das Bei-
um G8 und G9 oder die Schulstruktur in der Sekundar-        spiel G8/G9, wie sinnvoll eine Koordination – und
stufe I. Hier gibt es ein ständiges Hin und Her, das mit    damit eine einheitliche Regelung – über die KMK oder
hohen Kosten verbunden ist. Vermutlich wäre sowohl          den Bund gewesen wäre.
die Diskussion um die Studienbeiträge als auch die               Ein weiteres schwieriges Thema sind die Struktu-
Diskussion um G8 oder G9 anders ausgegangen, hätte          ren der Sekundarstufe I. Hier ist die ‚Vielfalt‘ seit der
man sich bundesweit auf eine Struktur einigen müs-          letzten Föderalismusreform eher gestiegen. Und wie-
sen. Die im internationalen Vergleich mehr als mode-        der fragt man sich, warum regionale Besonderheiten
raten Studienbeiträge waren längst von der überwie-         es erforderlich machen, dass einige Bundesländer ein
genden Mehrzahl der Studierenden akzeptiert, bevor          zweigliedriges weiterführendes Schulsystem haben,
sie als Beitrag zur Wiederherstellung der Bildungsge-       während benachbarte Bundesländer fünf Schulfor-
rechtigkeit abgeschafft wurden.                             men für die Sekundarstufe I brauchen. Der viel zitierte
     Bildungssysteme werden aber nicht besser, wenn         unmögliche Umzug von Familien mit schulpflichtigen
sie permanent reformiert werden. Eher belasten sie          Kindern innerhalb Deutschlands wird gelegentlich
die Schulen und die Schülerinnen und Schüler. Diese         verharmlost und als nicht relevantes Problem darge-
Einsicht führte in Bremen im Jahr 2008 zum soge-            stellt. Es wurde aber auch noch nicht überzeugend
nannten Schulfrieden, einer Stillhaltefrist, inner-         argumentiert, warum man sich nicht auf einheitliche
halb derer einmal eingeführte Reformen nicht wieder         Strukturen einigen kann. Auch die Umsetzung ein-
rückgängig gemacht werden sollten. Mehr noch,               heitlicher und verbindlicher Bildungsstandards ist
mit Ablauf der Frist wurden die Reformen, soweit            noch nicht so weit fortgeschritten, wie man sich das

                                                                         ifo Schnelldienst   3 / 2019   72. Jahrgang   7. Februar 2019   7
ZUR DISKUSSION GESTELLT

    wünschen würde. Die Kompetenzen der Schülerinnen                Jahrgangsstufe in Deutschland sind. Die Zahlen, so
    und Schüler variieren deutlich zwischen den Bundes-             wie sie jedoch durch die Medien einer breiten Öffent-
    ländern, und diese Variation spiegelt sich nicht unbe-          lichkeit zugänglich gemacht werden, sind aber nicht
    dingt in den Abiturnoten wider.                                 besonders aussagekräftig. Sie wären vielleicht aus­
                                                                    sagekräftiger, wenn die Sozialstruktur der Bundes-
    BILDUNGSFÖDERALISMUS UND WETTBEWERB                             länder vergleichbar wäre. Allein der Vergleich kleiner
                                                                    Stadtstaaten mit großen Flächenländern hinkt aus
    Wettbewerb ist wünschenswert und die Vorausset-                 vielen Gründen. Die Ländervergleiche könnten aber
    zung für das Funktionieren von Märkten. Der Wettbe-             durchaus genutzt werden, um die Effekte von Bil-
    werb in einer Marktwirtschaft hat aber wenig mit dem            dungspolitik auf die Kompetenzen der Schülerinnen
    Wettbewerb zwischen den Bundesländern gemein-                   und Schüler zu erfassen.
    sam. Wettbewerb zwischen Unternehmen hat Kon-                        Ein weiteres Problem für die Beurteilung von Bil-
    sequenzen. Unternehmen, die im Wettbewerb nicht                 dungspolitik anhand von Bildungsverläufen ist das
    bestehen können, verlassen den Markt. Unterneh-                 Nichtvorhandensein von Schülerregisterdaten in
    men, die nicht investieren, nicht innovativ sind und            Deutschland. Hier gibt es in Deutschland große regi-
    damit letztlich keine guten Produkte anbieten, verlie-          onale Unterschiede. Während in einigen Bundeslän-
    ren im Wettbewerb.                                              dern Schülerindividualdaten seit einigen Jahren vor-
          Ein Grundproblem des Wettbewerbs zwischen                 liegen, so wie es der Kerndatensatz der KMK vorge-
    den deutschen Bundesländern liegt jedoch darin,                 sehen hat, ist dies in anderen Bundesländern nicht
    dass Bundesländer anders als Unternehmen die Kon-               der Fall. Häufig werden organisatorische oder finan-
    sequenzen schlechter oder falscher Entscheidungen               zielle Gründe angeführt, und es wird auf eine mögli-
    in ihrer Bildungspolitik nicht tragen. Natürlich kommt          che Unvereinbarkeit eines Schülerregisters mit dem
    es vor, dass Parteien, die unpopuläre bildungspoliti-           Datenschutz verwiesen. Möglich wäre aber auch, dass
    sche Entscheidungen getroffen haben, bei Landtags-              nicht alle Länderregierungen ein übermäßiges Inte-
    wahlen abgestraft werden. Die Regel ist dies jedoch             resse an einer wissenschaftlichen Analyse ihrer Bil-
    nicht. Zudem sind die Kosten schlechter Bildungspo-             dungspolitik haben.
    litik nur schwer abzuschätzen, was nicht zuletzt daran
    liegt, dass mit dem Länderfinanzausgleich die lang-             KANN DER BILDUNGSFÖDERALISMUS REFORMIERT
    fristigen ökonomischen Konsequenzen schlechter                  WERDEN?
    Bildungspolitik in einem nicht unerheblichen Umfang
    ausgeglichen werden. Ohnehin stellt sich angesichts             Wenn der Bildungsföderalismus auf der einen Seite
    des rasant steigenden internationalen Wettbewerbs               den Wettbewerb der Systeme als Rechtfertigung ins
    die Frage, ob der Wettbewerb zwischen den Ländern               Feld führt, dann muss auf der anderen Seite Transpa-
    die relevante Vergleichsebene ist. Deutschland muss             renz konsequent eingefordert werden. Ein wichtiger
    im globalen Wettbewerb bestehen. Damit findet der               Schritt in diese Richtung wären Schülerregisterdaten,
    Wettbewerb um Humankapital und Ideen auf der glo-               mit denen idealerweise auch Erwerbsbiographien
    balen Ebene statt und nicht zwischen dem Saarland               mit Bildungsbiographien verknüpft werden könnten.
    und Brandenburg.                                                Da der Aufbau einer solchen Datenbasis einige Jahre
                                                                    in Anspruch nehmen würde, wäre es in einem ers-
    CHANCEN DURCH DEN FÖDERALISMUS                                  ten Schritt gut, wenn wissenschaftliche Studien mit
                                                                    bestehenden Survey-Daten ohne Einschränkungen
    Möglich wäre die Evaluation bildungspolitischer                 ermöglicht würden. Zudem könnte sich ein moder-
    Maßnahmen durch das Ausnutzen der unterschiedli-                ner Bildungsföderalismus durch einheitliche Grund-
    chen Systeme innerhalb Deutschlands. Nun ist aber               strukturen auszeichnen, etwa in der Länge der Bil-
    die Begeisterung für Ländervergleiche in der Politik            dungsgänge oder der Anzahl an Schulformen für die
    nicht sehr ausgeprägt. Immerhin hat sich in den ver-            Sekundarstufe I. Dies müsste auch nicht durch die
    gangenen Jahren einiges geändert, und insbeson-                 Bundespolitik geschehen; die KMK könnte hier selbst
    dere seit dem Bekanntwerden der PISA-Ergebnisse                 handeln. Damit bliebe den Ländern sehr viel Freiraum
    hat in Deutschland ein Umdenken stattgefunden.                  in der Bildungspolitik. Allerdings sollte es dann auch
    Das wichtigste Ergebnis hieraus ist vielleicht der Kon-         möglich sein, die gewählten Wege wissenschaftlich zu
    sens, dass die erfassten Kompetenzen der Schülerin-             analysieren. Denn ob gute oder schlechte Bildungspo-
    nen und Schüler ein sinnvoll gemessenes Ergebnis von            litik im vornehmlichen Interesse der Schülerinnen und
    Schulbildung sind. Die Kompetenzen werden sowohl                Schüler gemacht wird, muss für die Wählerinnen und
    international vergleichend als auch im Vergleich der            Wähler transparent sein.
    Bundesländer in Rahmen eines Bildungsmonitorings
    erfasst. Seit 2009 gibt es die IQB-Ländervergleiche/            LITERATUR
    Bildungstrends. Diese legen offen, wie unterschied-
                                                                    Huebener, M. und J. Marcus (2015), Empirische Befunde zu Auswirkungen
    lich die Kompetenzen von Schülerinnen und Schü-                 der G8-Schulzeitverkürzung, DIW Roundup: Politik im Fokus, No. 57, Deut-
    lern in der 4. (Primarbereich) und 9. (Sekundarstufe I)         sches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin.

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Makles, A., K. Schneider, J. Lühe, A. Bachsleitner und M. Neumann (2019),       Susanne Lin-Klitzing*
»Bildungsbeteiligung, -verläufe und -abschlüsse vor und nach der Bre-
mer Schulreform«, in: K. Maaz, M. Hasselhorn, T.-S. Idel, E. Klieme, B. Lüt-
je-Klose, P. Stanat, M. Neumann, A. Bachsleitner, J. Lühe und S. Schipo-
                                                                                Bildungsföderalismus
lowski (Hrsg.), Zweigliedrigkeit und Inklusion im empirischen Fokus. Ergeb-
nisse der Evaluation der Bremer Schulreform, Waxmann, Münster, New
                                                                                positiv gewendet – ohne
York, im Erscheinen.
Schneider, K., A. Makles, A. Bachsleitner, J. Lühe, P. Stanat, S. Schipolsow-
                                                                                Grundgesetz­änderung, dafür
ski, S. Weireich, B. Becker, M. Neumann und K. Maaz (2019), »Die Entwick-
lung soziokultureller Disparitäten im Kontext der Bremer Schulreform«, in:
                                                                                mit mehr Eigeninitiative der
K. Maaz, M. Hasselhorn, T.-S. Idel, E. Klieme, B. Lütje-Klose, P. Stanat, M.
Neumann, A. Bachsleitner, J. Lühe und S. Schipolowski (Hrsg), Zweiglied-        Länder
rigkeit und Inklusion im empirischen Fokus. Ergebnisse der Evaluation der
Bremer Schulreform, Waxmann, Münster, New York, im Erscheinen.
Schneider, K., A. Makles und K. Klemm (2018), Entwicklung und Erpro-            Nicht ganz neu, aber dennoch unnötig erscheint die
bung einer Methode zur Abschätzung der kommunalen Kosten der Einfüh-
rung eines neunjährigen Bildungsgangs an öffentlichen Gymnasien in Nord-
                                                                                politische Debatte um eine Grundgesetzänderung
rhein-Westfalen im Rahmen des 13. Schulrechtsänderungsgesetzes, verfüg-         zur Überwindung des sog. Kooperationsverbots zwi-
bar unter: https://www.wib.uni-wuppertal.de/fileadmin/wib/documents/
                                                                                schen Bund und Ländern und um den Digitalpakt zur
publications/Bericht_G9_Schneider_Makles_Klemm_final.pdf.
                                                                                Anschubfinanzierung von digitaler Grundausstattung
                                                                                für die Schulen. Es verwunderte deshalb auch nicht,
                                                                                dass sogleich wieder diejenigen ihre Stimme erho-
                                                                                ben, die seit langem oder immer schon gegen den
                                                                                grundgesetzlich garantierten Bildungsföderalismus                                   Susanne Lin-Klitzing

                                                                                in Deutschland zu Felde gezogen waren.
                                                                                     Aus der Sicht des Deutschen Philologenverban-
                                                                                des möchte ich deshalb zu einer sachlichen Einord-
                                                                                nung der grundlegenden Fakten beitragen und damit
                                                                                unsere Forderungen an eine zukunftsgerichtete Bil-
                                                                                dungspolitik verbinden.
                                                                                     Das Grundgesetz kannte und kennt kein »Koope-
                                                                                rationsverbot«, es kann also auch nicht aufgehoben
                                                                                werden. In Artikel 23(6) GG wird ausdrüc klic h von »aus-
                                                                                schließliche(n) Gesetzgebungsbefugnisse(n) der Länder
                                                                                auf den Gebieten der schulischen Bildung […]« gespro-
                                                                                chen. Ergänzend dazu ist gemäß Artikel 72(2) in Ver-
                                                                                bindung mit Artikel 74(1) Nr. 13 und Nr. 33 – »Regelung
                                                                                der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wis-
                                                                                senschaftlichen Forschung« und »die Hochschulzulas-
                                                                                sung und die Hochschulabschlüsse« – festgelegt, dass
                                                                                im Zuge der konkurrierenden Gesetzgebung der Bund
                                                                                das Gesetzgebungsrecht besitzt, »wenn und soweit die
                                                                                Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bun-
                                                                                desgebiet […] eine bundeseinheitliche Regelung erfor-
                                                                                derlich macht.« Erst wenn »der Bund von seiner Gesetz-
                                                                                gebungszuständigkeit Gebrauch gemacht« hat, »kön-
                                                                                nen die Länder durch Gesetz hiervon«, u.a. zu Nr. 33,
                                                                                »abweichende Regelungen treffen«.
                                                                                     Im Grundsatz sind also einer Kooperation zwi-
                                                                                schen Bund und Ländern sehr enge Grenzen gesetzt.
                                                                                     Aus der Einsicht heraus, dass diese Einschrän-
                                                                                kung in einem modernen Staat dauerhaft so nicht
                                                                                tragfähig sein kann, wurden in den Artikeln 91a bis
                                                                                91e Regelungen zu Gemeinschaftsaufgaben und zur
                                                                                Verwaltungszusammenarbeit in das Grundgesetz auf-
                                                                                genommen. Und so heißt es dann in Artikel 91b: (1)
                                                                                »Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarun-
                                                                                gen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förde-
                                                                                rung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusam-
                                                                                menwirken. […]«; (2) »Bund und Länder können auf
                                                                                Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leis-

                                                                                * Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing ist Professorin an der Philipps-Uni-
                                                                                versität Marburg und seit 2017 Bundesvorsitzende des Deutschen
                                                                                Philologenverbandes.

                                                                                                ifo Schnelldienst   3 / 2019   72. Jahrgang   7. Februar 2019   9
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     tungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen            Wurf gesucht hat, so lag dies wohl weniger an ihr als
     Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Emp-            Gremium mit klar umrissenen Aufgaben und Kompe-
     fehlungen zusammenwirken« und (3) »Die Kostentra-               tenzen als am politisch, oft auch parteipolitisch moti-
     gung wird in der Vereinbarung geregelt.«                        vierten Eigensinn der Länder. Wir denken hier vor
           Die Möglichkeit einer Kooperation zwischen Bund           allem an die langjährigen Schulstrukturdiskussionen,
     und Ländern ist demnach möglich, jedoch Aufgaben                die Grundprinzipien der Lehrkräfteausbildung und die
     bezogen und bedarf jeweils einer Vereinbarung, auch             Verbindlichkeiten in der Umsetzung der Bildungsstan-
     zur Kostentragung.                                              dards für die Schulen und für die Lehrerbildung an den
           Ebenfalls nachträglich wurde ins Grundgesetz              Universitäten.
     der Artikel 104a bis c aufgenommen, der Regelungen                   Der Deutsche Philologenverband sieht die Not-
     über Finanz- und Investitionshilfen des Bundes an die           wendigkeit der Existenz einer entscheidungsstar-
     Länder und Kommunen beinhaltet. Es erscheint gera-              ken und handlungsfähigen KMK. Nur mit ihr wird es
     dezu beispielhaft für aktuelle politische Auseinander-          auch weiterhin möglich sein, dass Regionalinteres-
     setzungen zu sein, dass sich insbesondere hieran die            sen in Schule und Unterricht angemessen berück-
     o. g. politischen Diskussionen entzündet haben. Nicht           sichtigt werden können – Hamburg und Bayern sind
     die Dignität des ansonsten hoch geachteten Grundge-             nun einmal verschieden – und gleichzeitig für die
     setzes steht im Vordergrund, nicht die positiven Kon-           Vergleichbarkeiten in den Lehrplänen, Prüfungen und
     sequenzen des traditionell verankerten föderalen Sys-           Abschlüssen zu sorgen, die die Bürgerinnen und Bür-
     tems und auch nicht die Erfordernisse eines zeitgemä-           ger in unserem modernen, föderal-demokratisch ver-
     ßen Bildungssystems, sondern einzig die Frage, wer              fassten Staat erwarten.
     durch welche rechtliche Regelung mehr oder weniger                   Wer sich entscheidende Verbesserungen der
     finanziell belastet werden könnte.                              rechtlichen Rahmenbedingungen von Schule wie den
           Es kann an dieser Stelle also nur festgehalten            inhaltlichen Vorgaben von einer zentralen Bildungs-
     werden, dass es eher seit langem ein Kooperationsge-            verwaltung erhofft, sollte sich in Nachbarländern wie
     bot gegeben hat und es daher einer Aufhebung eines              z.B. Frankreich umschauen, wo selbst die lange Tradi-
     Kooperationsverbots nicht bedarf.                               tion eines Zentralstaates verbunden mit ebensolchen
           Die Föderalismusänderung 2005 wurde in Angriff            rechtlichen Regelungen nicht dazu geführt hat, dass
     genommen, ausdrücklich unter der Maßgabe eines                  heute bildungspolitische Entscheidungen schnel-
     bundesweiten Wettbewerbs um bessere, regional                   ler gefasst und umgesetzt werden oder die Mobili-
     bezogene Konzepte zur Herstellung gleicher oder                 tät innerhalb des Landes frei von den »Zwängen« des
     doch zumindest vergleichbarer Lebensbedingungen                 Schulwesens ist.
     in ganz Deutschland. Dies bezog sich nicht nur, aber                 Ein Blick in die Bildungsverwaltung eines grö-
     ganz besonders auf die Schul- und Bildungsinstituti-            ßeren deutschen Bundesstaates und auf deren Auf-
     onen. Hier hat nicht nur der Deutsche Philologenver-            gabenaufteilung und Personalbestand wie auf deren
     band erhebliche Kritik vorzubringen.                            Entscheidungsprozesse macht bereits hinlänglich
           Es ist offensichtlich und durch zahlreiche Ver-           deutlich, dass eine zentrale Verwaltung in Form eines
     gleichsstudien mittlerweile ausreichend nachgewie-              Bundesschulministeriums nicht nur schwerfällig sein
     sen, dass der Bildungsföderalismus zu großen Dispa-             würde, sondern vor allem auch verwaltungsmäßig zu
     ritäten in der Bildungsqualität in Deutschland geführt          voluminös.
     hat. Das ist unter der Überschrift »gleichwertige                    Nein, aus traditionellen Gründen wie aus sach-
     Lebensverhältnisse« nicht akzeptabel. Es ist ebenso             lichen Überlegungen gibt es für Deutschland keine
     offensichtlich, dass der Bildungsföderalismus zu                Alternative zum Bildungsföderalismus. Bildungs-
     einem enormen Mobilitätshindernis für einen zuneh-              strukturelle wie bildungsinhaltliche Fragen sind auf
     mend größer gewordenen Teil unserer Bevölkerung                 Länderebene besser aufgehoben als in Berlin.
     geworden ist, zumindest soweit Familien und Erzie-                   Das bedeutet aber nicht, dass es keiner deutli-
     hungsberechtigte auch für schulpflichtige Kinder und            chen Verbesserungen in der Konkretisierung dieses
     Jugendliche verantwortlich sind. Auch dies ist nicht            Bildungsföderalismus bedürfe, wie exemplarisch die
     hinnehmbar und gesamtgesellschaftlich wie volks-                politische Auseinandersetzung um den Digitalpakt
     wirtschaftlich mit negativen Folgen verbunden.                  gezeigt hat. Denn wenn dieses Thema von so großer
           Der Deutsche Philologenverband sieht die Kul-             Bedeutung ist, wie immer wieder in den Medien und
     tusministerkonferenz (KMK) in der Pflicht, hieran               von vielen Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft
     etwas zu ändern. Sie ist das Gremium, das einerseits            und Verwaltung betont wird, wenn zukunftsorien-
     den Bildungsföderalismus repräsentiert, anderer-                tierte schulische Ausbildung hierauf schwerpunktmä-
     seits aber auch den Anspruch hat, dessen negativen              ßig ausgerichtet werden soll, dann hätten die Länder
     Auswüchse im Sinne des gesamtstaatlichen Gemein-                doch längst selbst aktiv werden müssen. Sie hätten
     wohls zu beheben. Wenn die KMK in der Vergangen-                im eigenen Interesse Investitionen für diesen Bereich
     heit vielen als zu schwerfällig oder scheinbar auch ver-        schulischer Entwicklung tätigen können, um die Aus-
     änderungsunwillig und -fähig erschienen ist, sie eher           stattungen der Schulen zu verbessern, denn sie waren
     den kleinsten gemeinsamen Nenner denn den großen                und sind für den Bildungsbereich gemäß Grundgesetz

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verantwortlich. Sie haben es sich selbst zuzuschrei-       Abschlüsse bundesweit auf hohem Niveau garantie-
ben, dass durch ihr Harren auf Bundeszahlungen poli-       ren und sich und die Länder durch Vertrag, z.B. einen
tische Begehrlichkeiten der Bundesebene entstehen          »Bildungspakt«, selbst verpflichten.
konnten.                                                        Der Deutsche Philologenverband fordert zuletzt
     Mit der Diskussion um die Änderung des Grund-         Runde Tische unter Einbeziehung der Lehrerschaft zu
gesetzes zum Zwecke der Finanzierung von Investiti-        Einzelproblemen wie beispielsweise Digitalisierung,
onen in schulische Ausstattungen haben sich die Län-       Lehrkräftearbeitsmarkt und Schulbau.
der einen Bärendienst erwiesen und eine unnötige                Dies umgesetzt, würde belegen, dass der Bil-
und nicht zielführende Debatte über den Bildungsfö-        dungsföderalismus erhalten bleiben kann, und muss,
deralismus und damit über ihre ureigene politische         und würde zudem unterstreichen, dass Änderungen
Domäne initiiert.                                          des Grundgesetzes zur Lösung bildungspolitischer
     Der deutsche Philologenverband ist sich sicher,       Probleme überflüssig, weil nicht zielführend wären.
dass eine Änderung des Grundgesetzes, wie sie jetzt
geplant ist, allein weder weiterhilft, wenn es um
grundlegende materielle Verbesserungen in den
Schulen geht, noch zur Überwindung der Schwächen
des Bildungsföderalismus, wie sie oben geschildert
wurden, beiträgt.
     Sachlich geboten erscheint hingegen eine klare
Regelung über Finanztransfers vom Bund in die Län-
der. Deren Finanzstärken und wirtschaftlichen Mög-
lichkeiten haben sich mit den Jahren bedingt durch
industrielle und infrastrukturelle Veränderungen
sehr weit auseinanderentwickelt. Dies ist ihnen nicht
vorzuwerfen. Es muss aber im Interesse des gesam-
ten Staates liegen, durch individuell zugeschnittene
Finanzhilfen des Bundes dort zu unterstützen, wo die
Abweichungen vom Bundesmittel nicht durch eigene
Anstrengungen ausgeglichen werden können, der
Anspruch von annähernd gleichen Lebensverhält-
nissen aber dennoch erfüllt werden sollte. Bei Trans-
fers zur Unterstützung im Bildungsbereich muss aller-
dings dann auch gewährleistet sein, dass diese nach-
weislich im Bildungsbereich verwendet werden.
     Ein Staatsvertrag könnte hierfür bei gutem Willen
aller Beteiligten eine tragfähige Lösung sein. Er wäre
problemspezifisch abzuschließen und bedürfte kei-
ner weiteren Änderung unseres Grundgesetzes, das ja
eben allein Grundsätzliches regelt und nicht für Spe-
zifisches herhalten sollte.
     Für den Deutschen Philologenverband gehören
zu einer zeitgemäßen Schule zeitgemäße materielle
Ausstattungen inklusive neuester Technik, ausrei-
chende personelle Ausstattungen sowie funktions-
fähige Räumlichkeiten in akzeptablen Gebäuden.
Ihm ist es prinzipiell egal, wer die Schulen finanziert,
solange die Finanzierung ausreichend ist. Unterstüt-
zungen vom Bund an die Länder und von denen an
die Kommunen müssen selbstverständlich sein und
durch entsprechende rechtliche Regelungen abgesi-
chert, ohne dass diese den Bildungsföderalismus, der
sich insgesamt bewährt hat, einschränken oder gar
aushöhlen.
     Ebenso selbstverständlich ist es aber auch, dass
die Geber von den Nehmern wissen und nachgewie-
sen sehen wollen, ob und wie sie die Mittel im Bil-
dungsbereich einsetzen.
     Die Kultusministerkonferenz muss die Ver-
gleichbarkeit der Bildungsinhalte und schulischen

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