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3 2019 7. Februar 2019 72. Jahrgang FORSCHUNGSERGEBNISSE ZUR DISKUSSION GESTELLT Internationale Abkommen und Regierungswechsel: Kooperation von Bund Evidenz zum NATO-Zwei-Prozent-Ziel und Ländern in der Johannes Blum und Niklas Potrafke Bildungspolitik: DATEN UND PROGNOSEN Bildungsföderalismus Wirtschaftskonjunktur 2018: Prognose und Wirklichkeit in der Kritik Wolfgang Nierhaus Susanne Eisenmann, Kerstin Schneider, Susanne Lin-Klitzing, Karin Prien, Robert Schwager Chef oder Praktikant – wer beantwortet die Fragebögen in den ifo Konjunkturumfragen? Stefan Sauer und Klaus Wohlrabe IM BLICKPUNKT ifo Konjunkturumfragen Januar 2019 Klaus Wohlrabe
ifo Schnelldienst ISSN 0018-974 X (Druckversion) ISSN 2199-4455 (elektronische Version) Herausgeber: ifo Institut, Poschingerstraße 5, 81679 München, Postfach 86 04 60, 81631 München, Telefon (089) 92 24-0, Telefax (089) 98 53 69, E-Mail: ifo@ifo.de. Redaktion: Dr. Marga Jennewein. Redaktionskomitee: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Annette Marquardt, Prof. Dr. Chang Woon Nam. Vertrieb: ifo Institut. Erscheinungsweise: zweimal monatlich. Bezugspreis jährlich: Institutionen EUR 225,– Einzelpersonen EUR 96,– Studenten EUR 48,– Preis des Einzelheftes: EUR 10,– jeweils zuzüglich Versandkosten. Layout: Kochan & Partner GmbH. Satz: ifo Institut. Druck: Majer & Finckh, Stockdorf. Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise): nur mit Quellenangabe und gegen Einsendung eines Belegexemplars. im Internet: http://www.cesifo-group.de
SCHNELLDIENST 3/2019 ZUR DISKUSSION GESTELLT Kooperation von Bund und Ländern in der Bildungspolitik: Bildungsföderalismus in der Kritik 3 Der Bildungsföderalismus gerät immer wieder in die Kritik. Er bringe im internationalen Vergleich schlechte Schülerleistungen hervor. Die Schulabschlüsse in den einzelnen Bundesländern seien nicht vergleichbar, was die Mobilität von Familien mit schulpflichtigen Kindern erschwere. Außerdem behindere er Innovationen: Zuletzt scheiterte der geplante »DigitalPakt Schule« an dem Widerstand der Länder. Sollte künftig der Bund deutlich stärker in die Bildungspolitik der Länder eingreifen als bisher? Susanne Eisenmann, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg, betrachtet den Bil- dungsföderalismus als Gestaltungsaufgabe. Den Ländern sei aus guten Gründen die Hauptverantwortung für die Bildungspolitik übertragen worden, da sie »die richtige Größe (haben), um sowohl bürgernah als auch mit Blick aufs Ganze eine Bildungspolitik aus einem Guss zu betreiben«. Der Bund sei dabei als Unterstützer durchaus gern gesehen. Die Länder sollten verlässlich auf auskömmliche Finanzierung pochen und bei neuen Aufgaben mit dem Bund in Verteilungsverhandlungen eintreten. Für Kerstin Schneider, Bergische Universität Wuppertal, ist der DigitalPakt Schule »ein Paradebeispiel dafür, wie Investitionen in Zukunftstechnologien an Schulen nicht umgesetzt werden, weil es ein Gerangel um politische Zuständigkeiten gibt«. Zudem müssten die Bundesländer nicht die Konsequenzen schlechter oder falscher Ent- scheidungen bei ihrer Bildungspolitik tragen. Zur Beurteilung der Qualität der verschiedenen Bildungspolitiken bedürfe es einer größeren Transparenz. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wären z.B. Schülerregisterdaten, mit denen Erwerbsbiographien mit Bildungsbiographien verknüpft werden könnten. Nach Ansicht von Susanne Lin-Klitzing, Philipps-Universität Marburg und Deutscher Philologenverband, ist es zwar offensichtlich, dass der Bildungsföderalismus zu großen Disparitäten in der Bildungsqualität in Deutschland geführt habe. Dennoch gebe es aber für Deutschland keine Alternative zum Bildungsföderalismus. Bildungsstruk- turelle wie -inhaltliche Fragen seien auf Länderebene besser aufgehoben als in Berlin. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Verbesserungsbedarf im Bildungsföderalismus gebe, wie die politische Auseinandersetzung um den Digitalpakt gezeigt habe Karin Prien, Bildungsministerin des Landes Schleswig-Holstein, sieht den Bildungsföderalismus in Deutschland als eine Errungenschaft. Mit der Gründung der Kultusministerkonferenz sei auch ein Gremium mit dem Ziel einer gemeinsamen Meinungs- und Willensbildung geschaffen worden, um sowohl die Kulturhoheit der Länder zu wah- ren als auch bundesweite Standards zu etablieren. Robert Schwager, Georg-August-Universität Göttingen, befürwortet einen »Bildungsföderalismus für mündige Bürger«. Wer an mündige Bürger glaube, dürfe große Herausforderungen nicht zentral angehen. Es sei doch anzu- nehmen, dass sich Bürger bei wichtigen Fragen die Mühe machten, wohlüberlegt zu entscheiden und sich als Wähler gut zu informieren. Im Vertrauen auf das verantwortliche Eigeninteresse der direkt Betroffenen setze die freiheitliche Rechtsordnung daher grundsätzlich auf Bürgernähe und Subsidiarität, statt alle öffentlichen Ent- scheidungen von vorneherein der höchsten Ebene zuzuordnen.
FORSCHUNGSERGEBNISSE Internationale Abkommen und Regierungswechsel: Evidenz zum NATO-Zwei-Prozent-Ziel 18 Johannes Blum und Niklas Potrafke Vereinbaren nationale Regierungen internationale Abkommen und Verträge, haben sie ein Selbstbindungs problem: Sie sagen ihren Regierungspartnern aus anderen Ländern zu, dass sich ihr Heimatland in der Zukunft an heute vereinbarte internationale Abkommen und Verträge halten wird. Doch wissen die demokratisch gewählten Regierungen gar nicht, ob sie in Zukunft noch im Amt sind. Vielmehr könnten sie im Heimatland abge wählt werden, und die Nachfolgeregierung hält von den Vereinbarungen überhaupt nichts. Johannes Blum und Niklas Potrafke untersuchen in einer neuen Studie, ob Länder mit deutlichen Regierungswechseln das Zwei-Pro zent-Ziel der NATO – d.h., 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben zu verwenden – weniger zielstrebig umsetzen als Länder, in denen es keine Regierungswechsel gab. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich neue Regierungen, die parteipolitisch besonders wenig mit der Vorgängerregierung zu tun hatten, mit gerin gerer Wahrscheinlichkeit an das Ziel halten, als Regierungen, die diesem Ziel zugestimmt hatten und danach noch einige Jahre im Amt waren. Regierungswechsel haben offenbar einen negativen Einfluss auf die Wachstumsraten der Verteidigungsausgaben. Internationale Vereinbarungen und Abkommen sollten deshalb so gestaltet sein, dass die Einhaltung auch nach Regierungswechseln noch anreizkompatibel ist. DATEN UND PROGNOSEN Wirtschaftskonjunktur 2018: Prognose und Wirklichkeit 22 Wolfgang Nierhaus Das ifo Institut beleuchtet seit Jahren kritisch die Qualität der eigenen Konjunkturprognosen, die jeweils im Dezember eines Jahres für das darauf folgende Kalenderjahr abgegeben werden. In dem Beitrag wird die ifo Prognose vom Dezember 2017 für das Jahr 2018 vor dem Hintergrund der am 15. Januar 2019 veröffentlichten amtlichen Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen diskutiert. Das Ergebnis: Die Prognose des ifo Instituts für die jahresdurchschnittliche Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2018 war offenkundig zu »optimistisch«. Im Dezember 2017 war eine Zuwachsrate in Höhe von 2,6% prognostiziert worden, die erste vorläufige amtliche BIP-Schätzung für das Jahr 2018 beläuft sich auf 1,5%. Die in der Risikoansprache aufgeführten weltwirtschaftlichen Prognoserisiken »nach unten« hatten sich teilweise materialisiert, zudem gab es binnenwirtschaftlich negativ wirkende Sondereffekte. Zur Überschätzung der Jahreswachstumsrate 2018 hat überdies die Überschätzung des statistischen Überhangs beigetragen. Chef oder Praktikant – wer beantwortet eigentlich die Fragebögen in den ifo Konjunkturumfragen? 30 Stefan Sauer und Klaus Wohlrabe Der ifo Geschäftsklimaindex gilt als wichtigster Index für die deutsche Wirtschaft. Die Validität der Ergebnisse hängt unter anderem davon ab, wer die monatlichen Fragebögen in der Konjunkturumfrage ausfüllt. Sind es die Inhaber des Unternehmens, Vorstandsmitglieder, die Geschäftsführung, die Abteilungsleitung oder doch das Sekretariat oder die Praktikanten? Der vorliegende Artikel gibt Antworten basierend auf einer im November und Dezember 2018 gestellten Sonderfrage. Es zeigt sich, dass die Fragebögen in großer Mehrheit von der Geschäfts führung beantwortet werden. IM BLICKPUNKT ifo Konjunkturumfragen Januar 2019 auf einen Blick: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Abschwung 33 Klaus Wohlrabe Der ifo Geschäftsklimaindex ist im Januar auf den niedrigsten Wert seit Februar 2016 gefallen. Die aktuelle Geschäftslage wurde etwas weniger gut beurteilt. Die Erwartungen haben sich sogar massiv verschlechtert. Sie sind erstmals seit Dezember 2012 leicht pessimistisch. Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem Abschwung.
ZUR DISKUSSION GESTELLT Kooperation von Bund und Ländern in der Bildungspolitik: Bildungsföderalismus in der Kritik In Deutschland liegt die politische Verantwortung für das Bildungswesen bei den Bun- desländern. Doch der Bildungsföderalismus gerät immer wieder in die Kritik. Er sei ver- antwortlich für die im internationalen Vergleich schlechten Schülerleistungen, für die mangelnde Vergleichbarkeit der Abiturabschlüsse in den einzelnen Bundesländern und erschwere den Umzug von Familien mit schulpflichtigen Kindern. Zuletzt scheiterte der geplante »DigitalPakt Schule« an dem Widerstand der Länder. Sollte künftig der Bund deut- lich stärker in die Bildungspolitik der Länder eingreifen als bisher? Susanne Eisenmann* berg gibt in der laufenden Legislaturperiode rund eine Milliarde Euro für die Digitalisierung aus. Kooperation von Bund und Digitalisierung ist also nicht nur eine Aufgabe für Ländern in der Bildungs- die kommunalen Schulträger als Verantwortliche für die sächliche Ausstattung der Schulen. Neben einer politik: Bildungsföderalismus zielgerichteten und auskömmlichen Förderung müs- als Gestaltungsaufgabe sen die Länder aber noch mehr leisten. Sie haben die Aufgabe, sich über geeignete pädagogische und DIE PROBLEMSTELLUNG technische Rahmenbedingungen mehr und schnel- Susanne Eisenmann ler und tiefer zu engagieren als bisher. Bestand- Das Verhältnis von Bund und Ländern ist seit Inkraft- teile davon sind: schneller aktualisierte Bildungs- treten des Grundgesetzes vor 70 Jahren eine Dau- pläne und eine qualitativ und quantitativ überzeu- erbaustelle politischer Gestaltung. Es ist seit jeher gende Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Gegenstand wegweisender verfassungspolitischer Lehrer sowie die Bereitstellung technischer Voraus- Weichenstellungen. Und der Föderalismus bleibt auch setzungen. Dass gerade dieses nicht so einfach ist, heute und wohl in Zukunft ein Politikfeld, über das haben wir in Baden-Württemberg schmerzlich erfah- in Fach- wie auch breiter Öffentlichkeit mit Hingabe ren müssen. gestritten wird. Denn auch die Digitalisierung ist und Die Politik insgesamt kommt der Geschwin- bleibt eine komplexe Daueraufgabe. Sie verändert die digkeit der technischen Entwicklung nicht immer Art und Weise unseres Alltags, unserer wirtschaftli- ausreichend hinterher: Während die Debatte über chen Tätigkeiten und auch der Politik. Sie ist organi- künstliche Intelligenz läuft, funktioniert Verwaltung satorisch anspruchsvoll, sie spielt sich in einem sich noch zu oft mittels handabgezeichneter Aktenver- ständig verändernden technischen und auch sozialen merke im Stile des Spätbarock. Auch das muss sich Umfeld ab. Und sie kostet Geld. Viel Geld. ändern; und zwar jetzt und nicht erst übermorgen. Daher ergibt es auch Sinn, dass sich mehrere Politik und Verwaltung sind ohne Frage in Zugzwang politische Ebenen mit dieser wichtigen Zukunftsauf- und müssen – endlich – Digitalisierung verstehen und gabe beschäftigen. Die Kommunen als Schulträger agiler werden. wären allein mit Sicherheit damit überfordert, die In- Den Ländern ist im Übrigen aus guten Grün- frastruktur einzurichten und zu warten. Dies gilt ins- den die Hauptverantwortung für die Bildungspolitik besondere, weil es ja nicht mit Einmalbeschaffungen übertragen worden. Sie haben die richtige Größe, um getan ist. Daher sind die Länder als staatsrechtlich für sowohl bürgernah als auch mit Blick aufs Ganze eine die Kommunen zuständige Ebene gefordert. Und sie Bildungspolitik aus einem Guss zu betreiben. Sie müs- kommen dieser Aufgabe auch nach. Baden-Württem- sen sie aber auch nutzen. Der Bund ist dabei als Unter- stützer durchaus gern gesehen. Beispiele für erfolgrei- * Dr. Susanne Eisenmann ist Ministerin für Kultus, Jugend und che und sehr willkommene Bund-Länder-Kooperatio- Sport des Landes Baden-Württemberg. nen gibt es bereits – nehmen wir nur die gemeinsame ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019 3
ZUR DISKUSSION GESTELLT Initiative für leistungsstarke Schüler aller Schularten. hinderlich und gestrig galten, herrschten diktatori- Worum es geht, ist eine sowohl zeitgemäße als auch sche Regimes in unserem Land. Was für Europa als funktional überzeugende Zusammenarbeit von Bund treffendes Motto gilt, gilt für Deutschland und seine und Ländern in der Bildungspolitik. Nationalgeschichte in gleichem Maße: Einheit durch Die zentrale Konfliktlinie gerade auch in der ver- Vielfalt. öffentlichten Meinung ist die zwischen den Befürwor- Insgesamt also waren föderale Strukturen immer tern des (Bildungs-)Föderalismus einerseits und den schon Strukturkonstanten der deutschen Geschichte. Verfechtern eines zentralstaatlichen Politikansatzes. Sie gehören zu Deutschland, und sie haben dieses Während letztere den Föderalismus für eine über- Land unschätzbar bereichert. Es gilt, diese bewähr- lebte, zu langsame und insgesamt wenig überzeu- ten Formen und die damit einhergehenden Chancen gende Konzeption erachten, stellen sich engagierte jetzt zu nutzen, sinnvoll weiterzuentwickeln und dar- Befürworter des Föderalismus auf einen anderen über hinaus auch für die Zukunft zu sichern. Standpunkt. Demnach bleibt der Föderalismus zu Recht ein demokratietheoretisch sinnvolles, unver- ZWEITENS: DAS ARGUMENT DER BÜRGERNÄHE zichtbares und ebenso wertvolles wie handlungs- UND DER DEMOKRATISCHEN KONTROLLE UND fähiges Strukturelement Deutschlands. Es bedarf ZURECHNUNG kaum ausführlicherer Begründungen, weshalb ich als Kultusministerin Baden-Württembergs zur zweiten Demokratie lebt von der Nähe und Zugänglichkeit der Gruppe gehöre: Entscheidungsträger für die Bürgerinnen und Bürger. Ich bin der Überzeugung, dass die Länder der Daher sind sowohl eine klare Kompetenzverteilung Bundesrepublik Deutschland aus mehreren guten der politischen Ebenen als auch eine gute Erreich- Gründen eine überaus wichtige Rolle spielen müssen barkeit von Entscheidungsträgern, insbesondere – nicht nur, aber ganz vorrangig in der Bildungspoli- Abgeordneten und Verwaltungen, eine gute Grund- tik. Das schließt Querschnitts- und Zukunftsaufgaben lage für demokratisches Regieren. Die Bürger müs- wie die Digitalisierung eindeutig mit ein. Ich mache für sen sich darauf verlassen können, dass die von ihnen meine Position vier Argumente stark. gewählten Mandatsträger auch tatsächliche Entschei- dungsbefugnisse und »Aufgaben von substanziellem ERSTENS: DAS HISTORISCHE ARGUMENT Gewicht« haben. Dazu gehört, dass in einem traditionell föderal Deutschland war, seit es existiert (nehmen wir einmal organisierten Staat eine klare Zuordnung von Aufga- mit Argumenten der Mediävistik an, so ungefähr seit ben und Befugnissen zwischen Bund, Ländern und der Salierzeit, also dem 11. Jahrhundert), immer ein Kommunen erfolgt. Die Föderalismusreformen der »Flickenteppich«. Zahlreiche Fürstentümer, geistliche letzten 20 Jahre gehen in diese Richtung. Klare Zuord- und weltliche Herrschaften also, Freie und Reichs- nung heißt: Entflechtung, analytische Klarheit in der städte (und -dörfer) machten unser Land zu einem Finanzverfassung und verlässliche, transparente »corpus monstro simile«, wie Samuel von Pufendorf Finanzierung bei gleichermaßen gewahrter und wich- das Heilige Römische Reich Deutscher Nation poin- tiger bundesstaatlicher Solidarität. Das ist zweifellos tiert nannte. Die Herrschaftsstrukturen in Deutsch- ein großes Rad, das zu bewegen ist. Es handelt sich land waren, wiewohl vordemokratisch, immer auf um eine Aufgabe, die sich nicht per Federstrich erle- mehrere »Köpfe« und Institutionen verteilt. So konnte digen lässt. Dennoch – auf diesem Wege sollte eher ein Friedrich Schiller, württembergischer Sanitätsof- noch konsequenter fortgeschritten werden. Wir soll- fizier, ins Mannheimer »Ausland« fliehen, als er die ten keine Angst vor mutigen Entscheidungen haben. Knute seines Herzogs in Ludwigsburg nicht mehr Ich erinnere zudem daran, dass Baden-Würt- ertrug. Und später wurde er Professor im noch ferne- temberg das einzige Beispiel für eine erfolgreiche ren Ausland zu Jena. Das alles innerhalb dessen, was Länderneugliederung ist; Kultur, Wirtschaft und Poli- man deutsche Kulturnation nennt. Die gerade auch im tik im deutschen Südwesten zeigen überdeutlich, europäischen Vergleich beispiellose regionale, lokale wie gelungen diese damals durchaus schmerzhafte Vielfalt an Hochkultur ist ein Erbe der – auch schon in Fusion war. früheren Zeiten – vielbeklagten territorialen Zersplit- Eine Vermengung von Zuständigkeiten, insbeson- terung. In gewisser Weise war sie aber auch ein Zei- dere die Mischfinanzierung von Aufgaben, erschwert chen von Vielfalt, die so überdauern und einzigartige die demokratische Kontrolle. Entscheidung aus einer Blüten austreiben konnte. Hand – Verantwortlichkeit in einer Hand – Finanzie- Föderale Vielfalt, ob in archaischer oder heu- rung aus einer Hand: Dies sollte ein föderales System tiger Form, bildet damit auch einen Schutzwall von leisten. Und so wissen die Bürger auch, wer für fehler- Wettbewerb und Freiheit gegen Absolutismus und hafte Entscheidungen mittels Wahlentscheidung zur striktes Durchregieren. Hinzu kommt: Immer dann, Verantwortung zu ziehen ist. wenn Deutschland strikt zentral regiert wurde und Die Länder sollten also verlässlich auf auskömm- auf regionale Belange und Unterschiede keine Rück- liche Finanzierung pochen und bei neuen Aufgaben sicht genommen wurde, ja, diese Unterschiede als mit dem Bund –so wie jetzt auch gefordert – in Ver- 4 ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT teilungsverhandlungen eintreten. Ad-hoc-Pakete zu genutzt werden. Dies sollten wir Länder gemeinsam schnüren ist systematisch allenfalls eine Notlösung ausbauen. und muss in jedem Falle die Ausnahme bleiben. Für Daueraufgaben wie die Digitalisierung, die sich eben VIERTENS: DAS ARGUMENT DES POLITISCHEN nicht mit einer einmaligen (und umgerechnet auf die LERNENS UND DER FLEXIBILITÄT Einzelschule nicht besonders beeindruckenden) Geld- spritze sinnvoll abarbeiten lässt, gilt das in verstärk- Föderaler Wettbewerb bei verbindlichen Mindest- tem Maße. standards kann eine Innovationsdynamik erzeu- Stellen wir uns eine Bundesverwaltung vor, die für gen. Diese ist geeignet, Antworten auf aktuelle Fra- 40 000 Schulen, für 11 Mio. Schülerinnen und Schüler gen ebenso zu finden, wie neue Lösungen zu erpro- in jedem Einzelfall eine geeignete Lösung finden muss ben, ohne eine »Top-down«-Lösung für alle einführen – und zwar in Bezug auf Ausstattung, Lehrorganisa- zu müssen, die sich möglicherweise nur in Teilen des tion und Personalzuweisung. Diese Aufgabe zentral Landes bewähren wird. aus Berlin zu erledigen und zu steuern, würde auch Gerade in der Bildungspolitik geben die vergan- mit Wohlwollen und mit allem Einsatz digitaler Metho- genen Jahre sehr gute Beispiele, dass sich im föde- dik und Verwaltung nur in zentral organisiertem, diri- ralen Wettbewerb konkrete Verbesserungen erzielen gistischem Chaos enden. lassen. Der sogenannte Pisa-Schock und seine Folgen, darunter zahlreiche Folgeuntersuchungen, haben DRITTENS: DAS ARGUMENT DER REGIONALISIE- Reform- und Handlungsbedarf bundesweit deutlich RUNG IM EUROPÄISCHEN VERGLEICH aufgezeigt. Hamburg und Schleswig-Holstein haben vor einigen Jahren entschlossen gegengesteuert, und Regional ist »in« – das zeigt ein Vergleich im europäi- dies zeigt sich zunehmend in einschlägigen Studien. schen Umfeld sehr deutlich. Während in Schottland, Das sind gute Beispiele, an denen sich auch zuneh- Katalonien und Flandern separatistische Bestre- mend unser Land Baden-Württemberg orientiert. bungen Aufwind verspüren, bietet ein austarierter Grundvoraussetzung für diese Art politischen Lernens Föderalismus genügend Spielraum für ein gedeih- ist, dass es unterschiedliche Modelle gibt – und die liches Zusammenwirken und eine erfolgreiche und Qualität auch transparent wird. Wir lernen beispiels- bürgernahe Verwaltung. Kluger Föderalismus bie- weise auch, dass eine Dauerdiskussion über die Schul- tet nämlich auch Identität und Heimat – und kann so strukturen Qualität und Leistung schadet. Bayern und gegen Radikalisierung schützen. Das setzt aber vor- Sachsen sind Beispiele, die uns zeigen, dass Verläss- aus, dass der regionalen (also in Deutschland der Län- lichkeit bei den Strukturen gute Voraussetzungen für der-)Ebene aussagekräftige und tatsächliche Kompe- hochwertige Bildung schafft. tenzen jenseits der Folklore bleiben. Und das hängt auch am Selbstverständnis der Länder. Sie waren es, ZUSAMMENFASSUNG: EIN STAATSVERTRAG die 1949 den Bund gegründet haben. Es handelte sich MUSS HER dabei – anders als in anderen europäischen Staaten – eben nicht um eine Dezentralisierung eines zentra- Föderalismus bietet aus diesen Gründen nach wie vor len Staates. die gute Chance, Vielfalt in flexibler und bürgernaher Deutschland bleibt dabei, wenn es die Herausfor- Art und Weise verantwortlich zu gestalten. Richtig derungen annimmt und im Sinne einer klaren Zurech- ist aber auch: Die Länder müssen diese Chance kon- nung von Verantwortung und Freiheiten ernstnimmt, kret und produktiv nutzen. Das Werkzeug der Wahl ist auch künftig ein ausgezeichnetes Beispiel für politi- nach meiner Überzeugung ein Länderstaatsvertrag. sche Stabilität bei gleichermaßen hoher Qualität der In einem solchen können sich die Länder, nach dem Verwaltung. Föderalismus bietet die Chance, unter Beschluss durch die Länderparlamente, verbindlich Wahrung regionaler Besonderheiten und Bedürfnisse verpflichten, gemeinsame Standards und bundesweit einen Ausgleich in einem großen Flächenstaat wie geltende Leitlinien in Geltung zu bringen. der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Und Ein Länderstaatsvertrag wäre zum einen das Zei- Mentalität und Bedürfnislage ist zwischen Oder und chen für die Handlungsfähigkeit des bundesdeut- Rhein, zwischen Belt und Bodensee sehr unterschied- schen Föderalismus. Er wäre zum anderen ein starker lich. Das zeigt sich plastisch beim Fremdsprachenun- Beweis für eine parteiübergreifendes und unideologi- terricht, bei der Rolle von Dialekt und regionaler Kul- sches Vorgehen gegen Politikverdrossenheit. tur, aber auch in unterschiedlichen Situationen beim Dieses Ziel ist ambitioniert. Es ist aber auch Religionsunterricht. erreichbar, und die vielgescholtene Kultusminister- Richtig ist, dass Handlungsbedarf besteht, so konferenz hat sich im 70. Jahr ihres Bestehens daran bei der Wahrung von Mindeststandards gerade auch gemacht, diese Aufgabe mit Entschlossenheit und in der Bildung, um Umzüge innerhalb Deutschlands Nachdruck anzugehen. Nicht zuletzt durch meine und problemloser zu ermöglichen. Allerdings gibt es ja die bayerische Initiative arbeiten die Länderkultus- bereits zahlreiche Ansätze und konkrete Maßnah- ministerien bereits jetzt an Schwerpunkten und kon- men wie den Abituraufgabenpool, die gelten und kreten Formulierungen für einen Länderstaatsver- ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. 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ZUR DISKUSSION GESTELLT trag. Ich bin ziemlich optimistisch, dass diese Arbei- Kerstin Schneider* ten, die wir im Jahr 2018 begonnen haben, noch in diesem Jahr erste Ergebnisse zeitigen und dann im Wettbewerb und Vielfalt? kommenden Jahr zu einem guten Abschluss kommen Der Bildungsföderalismus werden. Ergänzend will ich darauf verweisen, dass die in Deutschland parteipolitischen Unterschiede im bunter geworde- nen Kreis der Kultusminister hierbei eine schwächere Deutschland nimmt für sich in Anspruch, ein Land zu Rolle spielen, als man befürchten könnte. Der Hand- sein, in dem Bildung und Infrastruktur auf einem im lungsdruck wird überall wahrgenommen. Die Kultus- internationalen Vergleich hohen Niveau sind – und ministerinnen und -minister der Länder haben ver- auch weiterhin sein sollen. Bereits vor zehn Jahren standen, dass es ein für allemal vorbei sein muss mit wurde die »Bildungsrepublik Deutschland« von Bun- der Taktik »Augen zu und durch«. deskanzlerin Merkel als großes politisches Ziel ausge- Wir haben gute Gründe dafür, den Föderalismus rufen und sogar zur Chefsache erklärt. Doch bis heute zu stärken – und nicht ein ebenso bewährtes wie chan- gibt es sowohl in der Bildung Nachholbedarf als auch cenreiches Prinzip über Bord zu werfen. Wer Deutsch- bei der Infrastruktur einen immer größer werdenden land zukunftsfähig gestalten will, bleibt auf durch- Investitionsstau. Mehr noch: Da der reale öffentliche dachte föderale Lösungen angewiesen – für eine Ein- Kapitalstock in Deutschland geschrumpft ist, leidet heit in Vielfalt. die Qualität der Bildung unter den Defiziten in der Infrastruktur. Das Beispiel der Digitalisierung der Schulen macht dies mehr als deutlich. Zwar ist die Digitalisierung in aller Munde und wird vehement gefordert, mit der Umsetzung hapert es jedoch er- heblich. Konnte die Politik bis vor wenigen Jahren finanzielle Engpässe anführen, um marode Schu- len nicht zu sanieren, so lässt sich dies in Zeiten von Null- und Negativzinsen sowie sprudelnder Steuerein- nahmen kaum noch rechtfertigen. Als Erklärung tau- gen auch fehlende Planungskapazitäten wenig. Als Erklärung für die fehlenden Investitionen helfen da schon eher die oftmals unklaren Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Gemeinden, die Entwicklungs- prozesse und notwendige Maßnahmen nicht gerade beschleunigen. Der DigitalPakt Schule ist ein Paradebeispiel dafür, wie Investitionen in Zukunftstechnologien an Schulen nicht umgesetzt werden, weil es ein Geran- gel um politische Zuständigkeiten gibt. Da Bildung laut Grundgesetz Ländersache ist, kann der Bund nicht einfach Gelder für die Finanzierung von Schu- len zur Verfügung stellen – Bildung ist in Deutschland eben nicht Chefsache. Möchte der Bund Gelder für die Digitalisierung in den Schulen zur Verfügung stellen und dies nicht einfach über eine Erhöhung des Län- deranteils an den Gemeinschaftssteuern tun, muss das Grundgesetz geändert werden. Diese Änderung wurde im letzten Jahr vom Bundestag mit der erfor- derlichen Zweidrittelmehrheit beschlossen. Im Bun- desrat wurde sie jedoch gestoppt, da die Bundeslän- der die Zukunft des Föderalismus durch diese Ände- rung in Gefahr sehen. Besonderer Unmut regte sich bei den Ländern darüber, dass durch eine 50-50-Rege- lung für zukünftige Mittel auch eine erhebliche finan- zielle Beteiligung der Länder eingeführt worden wäre. Durch die geforderte Eigenleistung, so die Argumente * Prof. Dr. Kerstin Schneider ist Inhaberin des Lehrstuhls für Finanz- wissenschaft und Steuerlehre an der Bergischen Universität Wupper- tal und Vorsitzende des Wuppertaler Instituts für bildungsökonomi- sche Forschung (WIB). 6 ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT der Bundesländer, seien finanzschwache Länder nicht dies möglich war, in ihren Wirkungen evaluiert und in der Lage, an solchen Programmen zu partizipieren. einer Verlängerung des Schulfriedens um weitere Kofinanzierungen bergen natürlich immer die zehn Jahre zugestimmt (vgl. Schneider et al. 2019; Gefahr, dass das Geld nicht dort investiert wird, wo Makles et al. 2019). es besonders gebraucht wird. Solche Modelle werden Im Ergebnis der G8/G9-Debatte besteht in den aber nicht nur vom Bund, sondern auch von den Bun- alten Bundesländern eine Tendenz zur Rückkehr zu desländern selbst im Zusammenspiel mit ihren Kom- G9, während die neuen Bundesländer im G8-Sys- munen praktiziert. Doch ganz unabhängig davon, ob tem verbleiben möchten. Damit wäre aber nicht die einzige Ungleichheit geschaffen, denn die Dauer Kerstin Schneider und wie die gewünschte Eigenleistung umgesetzt wer- den sollte, hat sich am Beispiel des DigitalPakts noch der Schulzeit bis zum Abitur hängt innerhalb eines einmal sehr deutlich gezeigt, wie dringend erforder- Bundeslandes auch von der besuchten Schulform liche Investitionen verhindert werden auch, weil die ab. Und in einigen Bundesländern können Schulen Bundesländer ihre Bildungshoheit in Gefahr sehen. einer Schulform sogar selbst über die Dauer des Bil- So argumentierten die Ministerpräsidenten dungsgangs entscheiden. Insgesamt lässt sich die von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nord- G8/G9-Landschaft damit nur noch als bunter Flicken- rhein-Westfalen und Sachsen in diesem Fall in einem teppich beschreiben. Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntags- Aber mit welchen kulturellen Unterschieden lässt zeitung vom 2. Dezember 2018 vehement gegen die sich diese ›Vielfalt‹ erklären? Warum ist die Dauer Einmischung des Bundes in die Schulpolitik. Um eine eines Bildungsganges bis zum Abitur in einem Bun- ›Einheitsschulpolitik‹ aus Berlin abzuwehren, mach- desland neun Jahre, in einem anderen hingegen nur ten sie sich für den Bildungsföderalismus in seiner acht, wenn die Schulabschlüsse doch gleichwer- derzeitigen Form stark, der Vielfalt und Wettbewerb tig sein sollen? Wenn aber ein weiteres Schuljahr im Bildungswesen garantiere. Gleichwohl begrüßen einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Kom- sie aber die Bereitschaft des Bundes, für dringende petenzen der Schülerinnen und Schüler hat – und Bildungsinvestitionen mehr Geld an die Länder zu dies wurde in den Landtagswahlkämpfen oftmals geben. als Argument angeführt – dann wären Schülerinnen Wie verhält es sich aber mit der Vielfalt und dem und Schüler in G8-Ländern bzw. in G8-Bildungsgän- Wettbewerb im Bildungswesen? Genau diese Argu- gen benachteiligt. Diese Benachteiligung könnte sich mente sollen hier noch einmal beleuchtet werden. in einem ersten Schritt darin äußern, dass Schüle- rinnen und Schüler in G8-Ländern schlechtere Abi- DIE VIELFALT IN DER BILDUNG turnoten vorweisen und damit geringere Chancen auf einen NC-beschränkten Studiengang haben. Wis- Ganz ohne Frage hat der Bildungsföderalismus zu senschaftliche Studien haben in dieser Hinsicht aber einer großen Vielfalt der Bildungssysteme in Deutsch- keine negativen Effekte von G8 nachweisen können. land geführt. Immer wieder ist schulische Bildung Es wurde aber gezeigt, dass sich die geringere Schul- ein sehr bedeutsames Thema, über das in Länder- zeit nicht in einem früheren Ausbildungs- oder Stu- wahlkämpfen sehr emotional debattiert wird. Ob das dienbeginn widerspiegelt (für einen Überblick vgl. jedoch eine gute Entwicklung ist, ist fraglich. Beispiele Huebener und Marcus 2015). Und da auch die finan- für Vielfalt – man könnte auch sagen uneinheitliche ziellen Kosten einer Umstellung erheblich sind (vgl. Regelungen – sind Studiengebühren, die Diskussion Schneider, Makles und Klemm 2015), zeigt das Bei- um G8 und G9 oder die Schulstruktur in der Sekundar- spiel G8/G9, wie sinnvoll eine Koordination – und stufe I. Hier gibt es ein ständiges Hin und Her, das mit damit eine einheitliche Regelung – über die KMK oder hohen Kosten verbunden ist. Vermutlich wäre sowohl den Bund gewesen wäre. die Diskussion um die Studienbeiträge als auch die Ein weiteres schwieriges Thema sind die Struktu- Diskussion um G8 oder G9 anders ausgegangen, hätte ren der Sekundarstufe I. Hier ist die ‚Vielfalt‘ seit der man sich bundesweit auf eine Struktur einigen müs- letzten Föderalismusreform eher gestiegen. Und wie- sen. Die im internationalen Vergleich mehr als mode- der fragt man sich, warum regionale Besonderheiten raten Studienbeiträge waren längst von der überwie- es erforderlich machen, dass einige Bundesländer ein genden Mehrzahl der Studierenden akzeptiert, bevor zweigliedriges weiterführendes Schulsystem haben, sie als Beitrag zur Wiederherstellung der Bildungsge- während benachbarte Bundesländer fünf Schulfor- rechtigkeit abgeschafft wurden. men für die Sekundarstufe I brauchen. Der viel zitierte Bildungssysteme werden aber nicht besser, wenn unmögliche Umzug von Familien mit schulpflichtigen sie permanent reformiert werden. Eher belasten sie Kindern innerhalb Deutschlands wird gelegentlich die Schulen und die Schülerinnen und Schüler. Diese verharmlost und als nicht relevantes Problem darge- Einsicht führte in Bremen im Jahr 2008 zum soge- stellt. Es wurde aber auch noch nicht überzeugend nannten Schulfrieden, einer Stillhaltefrist, inner- argumentiert, warum man sich nicht auf einheitliche halb derer einmal eingeführte Reformen nicht wieder Strukturen einigen kann. Auch die Umsetzung ein- rückgängig gemacht werden sollten. Mehr noch, heitlicher und verbindlicher Bildungsstandards ist mit Ablauf der Frist wurden die Reformen, soweit noch nicht so weit fortgeschritten, wie man sich das ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019 7
ZUR DISKUSSION GESTELLT wünschen würde. Die Kompetenzen der Schülerinnen Jahrgangsstufe in Deutschland sind. Die Zahlen, so und Schüler variieren deutlich zwischen den Bundes- wie sie jedoch durch die Medien einer breiten Öffent- ländern, und diese Variation spiegelt sich nicht unbe- lichkeit zugänglich gemacht werden, sind aber nicht dingt in den Abiturnoten wider. besonders aussagekräftig. Sie wären vielleicht aus sagekräftiger, wenn die Sozialstruktur der Bundes- BILDUNGSFÖDERALISMUS UND WETTBEWERB länder vergleichbar wäre. Allein der Vergleich kleiner Stadtstaaten mit großen Flächenländern hinkt aus Wettbewerb ist wünschenswert und die Vorausset- vielen Gründen. Die Ländervergleiche könnten aber zung für das Funktionieren von Märkten. Der Wettbe- durchaus genutzt werden, um die Effekte von Bil- werb in einer Marktwirtschaft hat aber wenig mit dem dungspolitik auf die Kompetenzen der Schülerinnen Wettbewerb zwischen den Bundesländern gemein- und Schüler zu erfassen. sam. Wettbewerb zwischen Unternehmen hat Kon- Ein weiteres Problem für die Beurteilung von Bil- sequenzen. Unternehmen, die im Wettbewerb nicht dungspolitik anhand von Bildungsverläufen ist das bestehen können, verlassen den Markt. Unterneh- Nichtvorhandensein von Schülerregisterdaten in men, die nicht investieren, nicht innovativ sind und Deutschland. Hier gibt es in Deutschland große regi- damit letztlich keine guten Produkte anbieten, verlie- onale Unterschiede. Während in einigen Bundeslän- ren im Wettbewerb. dern Schülerindividualdaten seit einigen Jahren vor- Ein Grundproblem des Wettbewerbs zwischen liegen, so wie es der Kerndatensatz der KMK vorge- den deutschen Bundesländern liegt jedoch darin, sehen hat, ist dies in anderen Bundesländern nicht dass Bundesländer anders als Unternehmen die Kon- der Fall. Häufig werden organisatorische oder finan- sequenzen schlechter oder falscher Entscheidungen zielle Gründe angeführt, und es wird auf eine mögli- in ihrer Bildungspolitik nicht tragen. Natürlich kommt che Unvereinbarkeit eines Schülerregisters mit dem es vor, dass Parteien, die unpopuläre bildungspoliti- Datenschutz verwiesen. Möglich wäre aber auch, dass sche Entscheidungen getroffen haben, bei Landtags- nicht alle Länderregierungen ein übermäßiges Inte- wahlen abgestraft werden. Die Regel ist dies jedoch resse an einer wissenschaftlichen Analyse ihrer Bil- nicht. Zudem sind die Kosten schlechter Bildungspo- dungspolitik haben. litik nur schwer abzuschätzen, was nicht zuletzt daran liegt, dass mit dem Länderfinanzausgleich die lang- KANN DER BILDUNGSFÖDERALISMUS REFORMIERT fristigen ökonomischen Konsequenzen schlechter WERDEN? Bildungspolitik in einem nicht unerheblichen Umfang ausgeglichen werden. Ohnehin stellt sich angesichts Wenn der Bildungsföderalismus auf der einen Seite des rasant steigenden internationalen Wettbewerbs den Wettbewerb der Systeme als Rechtfertigung ins die Frage, ob der Wettbewerb zwischen den Ländern Feld führt, dann muss auf der anderen Seite Transpa- die relevante Vergleichsebene ist. Deutschland muss renz konsequent eingefordert werden. Ein wichtiger im globalen Wettbewerb bestehen. Damit findet der Schritt in diese Richtung wären Schülerregisterdaten, Wettbewerb um Humankapital und Ideen auf der glo- mit denen idealerweise auch Erwerbsbiographien balen Ebene statt und nicht zwischen dem Saarland mit Bildungsbiographien verknüpft werden könnten. und Brandenburg. Da der Aufbau einer solchen Datenbasis einige Jahre in Anspruch nehmen würde, wäre es in einem ers- CHANCEN DURCH DEN FÖDERALISMUS ten Schritt gut, wenn wissenschaftliche Studien mit bestehenden Survey-Daten ohne Einschränkungen Möglich wäre die Evaluation bildungspolitischer ermöglicht würden. Zudem könnte sich ein moder- Maßnahmen durch das Ausnutzen der unterschiedli- ner Bildungsföderalismus durch einheitliche Grund- chen Systeme innerhalb Deutschlands. Nun ist aber strukturen auszeichnen, etwa in der Länge der Bil- die Begeisterung für Ländervergleiche in der Politik dungsgänge oder der Anzahl an Schulformen für die nicht sehr ausgeprägt. Immerhin hat sich in den ver- Sekundarstufe I. Dies müsste auch nicht durch die gangenen Jahren einiges geändert, und insbeson- Bundespolitik geschehen; die KMK könnte hier selbst dere seit dem Bekanntwerden der PISA-Ergebnisse handeln. Damit bliebe den Ländern sehr viel Freiraum hat in Deutschland ein Umdenken stattgefunden. in der Bildungspolitik. Allerdings sollte es dann auch Das wichtigste Ergebnis hieraus ist vielleicht der Kon- möglich sein, die gewählten Wege wissenschaftlich zu sens, dass die erfassten Kompetenzen der Schülerin- analysieren. Denn ob gute oder schlechte Bildungspo- nen und Schüler ein sinnvoll gemessenes Ergebnis von litik im vornehmlichen Interesse der Schülerinnen und Schulbildung sind. Die Kompetenzen werden sowohl Schüler gemacht wird, muss für die Wählerinnen und international vergleichend als auch im Vergleich der Wähler transparent sein. Bundesländer in Rahmen eines Bildungsmonitorings erfasst. Seit 2009 gibt es die IQB-Ländervergleiche/ LITERATUR Bildungstrends. Diese legen offen, wie unterschied- Huebener, M. und J. Marcus (2015), Empirische Befunde zu Auswirkungen lich die Kompetenzen von Schülerinnen und Schü- der G8-Schulzeitverkürzung, DIW Roundup: Politik im Fokus, No. 57, Deut- lern in der 4. (Primarbereich) und 9. (Sekundarstufe I) sches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin. 8 ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT Makles, A., K. Schneider, J. Lühe, A. Bachsleitner und M. Neumann (2019), Susanne Lin-Klitzing* »Bildungsbeteiligung, -verläufe und -abschlüsse vor und nach der Bre- mer Schulreform«, in: K. Maaz, M. Hasselhorn, T.-S. Idel, E. Klieme, B. Lüt- je-Klose, P. Stanat, M. Neumann, A. Bachsleitner, J. Lühe und S. Schipo- Bildungsföderalismus lowski (Hrsg.), Zweigliedrigkeit und Inklusion im empirischen Fokus. Ergeb- nisse der Evaluation der Bremer Schulreform, Waxmann, Münster, New positiv gewendet – ohne York, im Erscheinen. Schneider, K., A. Makles, A. Bachsleitner, J. Lühe, P. Stanat, S. Schipolsow- Grundgesetzänderung, dafür ski, S. Weireich, B. Becker, M. Neumann und K. Maaz (2019), »Die Entwick- lung soziokultureller Disparitäten im Kontext der Bremer Schulreform«, in: mit mehr Eigeninitiative der K. Maaz, M. Hasselhorn, T.-S. Idel, E. Klieme, B. Lütje-Klose, P. Stanat, M. Neumann, A. Bachsleitner, J. Lühe und S. Schipolowski (Hrsg), Zweiglied- Länder rigkeit und Inklusion im empirischen Fokus. Ergebnisse der Evaluation der Bremer Schulreform, Waxmann, Münster, New York, im Erscheinen. Schneider, K., A. Makles und K. Klemm (2018), Entwicklung und Erpro- Nicht ganz neu, aber dennoch unnötig erscheint die bung einer Methode zur Abschätzung der kommunalen Kosten der Einfüh- rung eines neunjährigen Bildungsgangs an öffentlichen Gymnasien in Nord- politische Debatte um eine Grundgesetzänderung rhein-Westfalen im Rahmen des 13. Schulrechtsänderungsgesetzes, verfüg- zur Überwindung des sog. Kooperationsverbots zwi- bar unter: https://www.wib.uni-wuppertal.de/fileadmin/wib/documents/ schen Bund und Ländern und um den Digitalpakt zur publications/Bericht_G9_Schneider_Makles_Klemm_final.pdf. Anschubfinanzierung von digitaler Grundausstattung für die Schulen. Es verwunderte deshalb auch nicht, dass sogleich wieder diejenigen ihre Stimme erho- ben, die seit langem oder immer schon gegen den grundgesetzlich garantierten Bildungsföderalismus Susanne Lin-Klitzing in Deutschland zu Felde gezogen waren. Aus der Sicht des Deutschen Philologenverban- des möchte ich deshalb zu einer sachlichen Einord- nung der grundlegenden Fakten beitragen und damit unsere Forderungen an eine zukunftsgerichtete Bil- dungspolitik verbinden. Das Grundgesetz kannte und kennt kein »Koope- rationsverbot«, es kann also auch nicht aufgehoben werden. In Artikel 23(6) GG wird ausdrüc klic h von »aus- schließliche(n) Gesetzgebungsbefugnisse(n) der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung […]« gespro- chen. Ergänzend dazu ist gemäß Artikel 72(2) in Ver- bindung mit Artikel 74(1) Nr. 13 und Nr. 33 – »Regelung der Ausbildungsbeihilfen und die Förderung der wis- senschaftlichen Forschung« und »die Hochschulzulas- sung und die Hochschulabschlüsse« – festgelegt, dass im Zuge der konkurrierenden Gesetzgebung der Bund das Gesetzgebungsrecht besitzt, »wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bun- desgebiet […] eine bundeseinheitliche Regelung erfor- derlich macht.« Erst wenn »der Bund von seiner Gesetz- gebungszuständigkeit Gebrauch gemacht« hat, »kön- nen die Länder durch Gesetz hiervon«, u.a. zu Nr. 33, »abweichende Regelungen treffen«. Im Grundsatz sind also einer Kooperation zwi- schen Bund und Ländern sehr enge Grenzen gesetzt. Aus der Einsicht heraus, dass diese Einschrän- kung in einem modernen Staat dauerhaft so nicht tragfähig sein kann, wurden in den Artikeln 91a bis 91e Regelungen zu Gemeinschaftsaufgaben und zur Verwaltungszusammenarbeit in das Grundgesetz auf- genommen. Und so heißt es dann in Artikel 91b: (1) »Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarun- gen in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förde- rung von Wissenschaft, Forschung und Lehre zusam- menwirken. […]«; (2) »Bund und Länder können auf Grund von Vereinbarungen zur Feststellung der Leis- * Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing ist Professorin an der Philipps-Uni- versität Marburg und seit 2017 Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes. ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019 9
ZUR DISKUSSION GESTELLT tungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Wurf gesucht hat, so lag dies wohl weniger an ihr als Vergleich und bei diesbezüglichen Berichten und Emp- Gremium mit klar umrissenen Aufgaben und Kompe- fehlungen zusammenwirken« und (3) »Die Kostentra- tenzen als am politisch, oft auch parteipolitisch moti- gung wird in der Vereinbarung geregelt.« vierten Eigensinn der Länder. Wir denken hier vor Die Möglichkeit einer Kooperation zwischen Bund allem an die langjährigen Schulstrukturdiskussionen, und Ländern ist demnach möglich, jedoch Aufgaben die Grundprinzipien der Lehrkräfteausbildung und die bezogen und bedarf jeweils einer Vereinbarung, auch Verbindlichkeiten in der Umsetzung der Bildungsstan- zur Kostentragung. dards für die Schulen und für die Lehrerbildung an den Ebenfalls nachträglich wurde ins Grundgesetz Universitäten. der Artikel 104a bis c aufgenommen, der Regelungen Der Deutsche Philologenverband sieht die Not- über Finanz- und Investitionshilfen des Bundes an die wendigkeit der Existenz einer entscheidungsstar- Länder und Kommunen beinhaltet. Es erscheint gera- ken und handlungsfähigen KMK. Nur mit ihr wird es dezu beispielhaft für aktuelle politische Auseinander- auch weiterhin möglich sein, dass Regionalinteres- setzungen zu sein, dass sich insbesondere hieran die sen in Schule und Unterricht angemessen berück- o. g. politischen Diskussionen entzündet haben. Nicht sichtigt werden können – Hamburg und Bayern sind die Dignität des ansonsten hoch geachteten Grundge- nun einmal verschieden – und gleichzeitig für die setzes steht im Vordergrund, nicht die positiven Kon- Vergleichbarkeiten in den Lehrplänen, Prüfungen und sequenzen des traditionell verankerten föderalen Sys- Abschlüssen zu sorgen, die die Bürgerinnen und Bür- tems und auch nicht die Erfordernisse eines zeitgemä- ger in unserem modernen, föderal-demokratisch ver- ßen Bildungssystems, sondern einzig die Frage, wer fassten Staat erwarten. durch welche rechtliche Regelung mehr oder weniger Wer sich entscheidende Verbesserungen der finanziell belastet werden könnte. rechtlichen Rahmenbedingungen von Schule wie den Es kann an dieser Stelle also nur festgehalten inhaltlichen Vorgaben von einer zentralen Bildungs- werden, dass es eher seit langem ein Kooperationsge- verwaltung erhofft, sollte sich in Nachbarländern wie bot gegeben hat und es daher einer Aufhebung eines z.B. Frankreich umschauen, wo selbst die lange Tradi- Kooperationsverbots nicht bedarf. tion eines Zentralstaates verbunden mit ebensolchen Die Föderalismusänderung 2005 wurde in Angriff rechtlichen Regelungen nicht dazu geführt hat, dass genommen, ausdrücklich unter der Maßgabe eines heute bildungspolitische Entscheidungen schnel- bundesweiten Wettbewerbs um bessere, regional ler gefasst und umgesetzt werden oder die Mobili- bezogene Konzepte zur Herstellung gleicher oder tät innerhalb des Landes frei von den »Zwängen« des doch zumindest vergleichbarer Lebensbedingungen Schulwesens ist. in ganz Deutschland. Dies bezog sich nicht nur, aber Ein Blick in die Bildungsverwaltung eines grö- ganz besonders auf die Schul- und Bildungsinstituti- ßeren deutschen Bundesstaates und auf deren Auf- onen. Hier hat nicht nur der Deutsche Philologenver- gabenaufteilung und Personalbestand wie auf deren band erhebliche Kritik vorzubringen. Entscheidungsprozesse macht bereits hinlänglich Es ist offensichtlich und durch zahlreiche Ver- deutlich, dass eine zentrale Verwaltung in Form eines gleichsstudien mittlerweile ausreichend nachgewie- Bundesschulministeriums nicht nur schwerfällig sein sen, dass der Bildungsföderalismus zu großen Dispa- würde, sondern vor allem auch verwaltungsmäßig zu ritäten in der Bildungsqualität in Deutschland geführt voluminös. hat. Das ist unter der Überschrift »gleichwertige Nein, aus traditionellen Gründen wie aus sach- Lebensverhältnisse« nicht akzeptabel. Es ist ebenso lichen Überlegungen gibt es für Deutschland keine offensichtlich, dass der Bildungsföderalismus zu Alternative zum Bildungsföderalismus. Bildungs- einem enormen Mobilitätshindernis für einen zuneh- strukturelle wie bildungsinhaltliche Fragen sind auf mend größer gewordenen Teil unserer Bevölkerung Länderebene besser aufgehoben als in Berlin. geworden ist, zumindest soweit Familien und Erzie- Das bedeutet aber nicht, dass es keiner deutli- hungsberechtigte auch für schulpflichtige Kinder und chen Verbesserungen in der Konkretisierung dieses Jugendliche verantwortlich sind. Auch dies ist nicht Bildungsföderalismus bedürfe, wie exemplarisch die hinnehmbar und gesamtgesellschaftlich wie volks- politische Auseinandersetzung um den Digitalpakt wirtschaftlich mit negativen Folgen verbunden. gezeigt hat. Denn wenn dieses Thema von so großer Der Deutsche Philologenverband sieht die Kul- Bedeutung ist, wie immer wieder in den Medien und tusministerkonferenz (KMK) in der Pflicht, hieran von vielen Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft etwas zu ändern. Sie ist das Gremium, das einerseits und Verwaltung betont wird, wenn zukunftsorien- den Bildungsföderalismus repräsentiert, anderer- tierte schulische Ausbildung hierauf schwerpunktmä- seits aber auch den Anspruch hat, dessen negativen ßig ausgerichtet werden soll, dann hätten die Länder Auswüchse im Sinne des gesamtstaatlichen Gemein- doch längst selbst aktiv werden müssen. Sie hätten wohls zu beheben. Wenn die KMK in der Vergangen- im eigenen Interesse Investitionen für diesen Bereich heit vielen als zu schwerfällig oder scheinbar auch ver- schulischer Entwicklung tätigen können, um die Aus- änderungsunwillig und -fähig erschienen ist, sie eher stattungen der Schulen zu verbessern, denn sie waren den kleinsten gemeinsamen Nenner denn den großen und sind für den Bildungsbereich gemäß Grundgesetz 10 ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019
ZUR DISKUSSION GESTELLT verantwortlich. Sie haben es sich selbst zuzuschrei- Abschlüsse bundesweit auf hohem Niveau garantie- ben, dass durch ihr Harren auf Bundeszahlungen poli- ren und sich und die Länder durch Vertrag, z.B. einen tische Begehrlichkeiten der Bundesebene entstehen »Bildungspakt«, selbst verpflichten. konnten. Der Deutsche Philologenverband fordert zuletzt Mit der Diskussion um die Änderung des Grund- Runde Tische unter Einbeziehung der Lehrerschaft zu gesetzes zum Zwecke der Finanzierung von Investiti- Einzelproblemen wie beispielsweise Digitalisierung, onen in schulische Ausstattungen haben sich die Län- Lehrkräftearbeitsmarkt und Schulbau. der einen Bärendienst erwiesen und eine unnötige Dies umgesetzt, würde belegen, dass der Bil- und nicht zielführende Debatte über den Bildungsfö- dungsföderalismus erhalten bleiben kann, und muss, deralismus und damit über ihre ureigene politische und würde zudem unterstreichen, dass Änderungen Domäne initiiert. des Grundgesetzes zur Lösung bildungspolitischer Der deutsche Philologenverband ist sich sicher, Probleme überflüssig, weil nicht zielführend wären. dass eine Änderung des Grundgesetzes, wie sie jetzt geplant ist, allein weder weiterhilft, wenn es um grundlegende materielle Verbesserungen in den Schulen geht, noch zur Überwindung der Schwächen des Bildungsföderalismus, wie sie oben geschildert wurden, beiträgt. Sachlich geboten erscheint hingegen eine klare Regelung über Finanztransfers vom Bund in die Län- der. Deren Finanzstärken und wirtschaftlichen Mög- lichkeiten haben sich mit den Jahren bedingt durch industrielle und infrastrukturelle Veränderungen sehr weit auseinanderentwickelt. Dies ist ihnen nicht vorzuwerfen. Es muss aber im Interesse des gesam- ten Staates liegen, durch individuell zugeschnittene Finanzhilfen des Bundes dort zu unterstützen, wo die Abweichungen vom Bundesmittel nicht durch eigene Anstrengungen ausgeglichen werden können, der Anspruch von annähernd gleichen Lebensverhält- nissen aber dennoch erfüllt werden sollte. Bei Trans- fers zur Unterstützung im Bildungsbereich muss aller- dings dann auch gewährleistet sein, dass diese nach- weislich im Bildungsbereich verwendet werden. Ein Staatsvertrag könnte hierfür bei gutem Willen aller Beteiligten eine tragfähige Lösung sein. Er wäre problemspezifisch abzuschließen und bedürfte kei- ner weiteren Änderung unseres Grundgesetzes, das ja eben allein Grundsätzliches regelt und nicht für Spe- zifisches herhalten sollte. Für den Deutschen Philologenverband gehören zu einer zeitgemäßen Schule zeitgemäße materielle Ausstattungen inklusive neuester Technik, ausrei- chende personelle Ausstattungen sowie funktions- fähige Räumlichkeiten in akzeptablen Gebäuden. Ihm ist es prinzipiell egal, wer die Schulen finanziert, solange die Finanzierung ausreichend ist. Unterstüt- zungen vom Bund an die Länder und von denen an die Kommunen müssen selbstverständlich sein und durch entsprechende rechtliche Regelungen abgesi- chert, ohne dass diese den Bildungsföderalismus, der sich insgesamt bewährt hat, einschränken oder gar aushöhlen. Ebenso selbstverständlich ist es aber auch, dass die Geber von den Nehmern wissen und nachgewie- sen sehen wollen, ob und wie sie die Mittel im Bil- dungsbereich einsetzen. Die Kultusministerkonferenz muss die Ver- gleichbarkeit der Bildungsinhalte und schulischen ifo Schnelldienst 3 / 2019 72. Jahrgang 7. Februar 2019 11
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