Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova Herausgegeben im Auftrag der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus e.V. Berlin www.bulgaria1944-1989.eu
Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova Begleitbuch zur Ausstellung www.bulgaria1944-1989.eu Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus e. V. Berlin 2 3
Bulgarien 1944-1989 Verbotene Wahrheit Herausgegeben im Auftrag der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus e. V. Berlin Herausgeber: Stoyan Raichevsky, Fanna Kolarova Gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Konrad-Adenauer-Stiftung Endredaktion der deutschen Version: Ulrich Schacht Übersetzung aus dem Bulgarischen: Fanna Kolarova Beratung: Ursula Popiolek, Thomas Dahnert Grafische Gestaltung: Alexander Beilfuss Zweite Auflage 2013 © Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus e.V. Berlin www.gedenkbibliothek.de Alle Rechte sind geschützt Druck: Ес принт ООД ISBN 978-3-00-039388-4 4 5
Rede des Präsidenten der Republik Bulgarien im Interesse der Staatlichkeit die Demokratie in Rosen Plevneliev anlässlich der Ausstellungseröffnung Bulgarien aufbauen kann, ohne die Tatsachen zu „Bulgarien 1944-1989 Verbotene Wahrheit“ verheimlichen, indem die Wahrheit gezeigt wird. Sofia, den 12.Oktober 2012 Der Fall der Berliner Mauer ist das augenfälligste Symbol für den Zusammenbruch der kommunistischen Sehr geehrte Herr Botschafter Höpfner, Doktrin und ein Ereignis, das Millionen Menschen verehrte Organisatoren, in den ehemaligen sozialistischen Staaten für einen Exzellenzen, Neubeginn inspiriert hat. liebe Freunde! Ich hoffe, dass die Botschaft der Ausstellung viele Ich möchte Sie alle von Herzen als verantwortliche Menschen, viele Städte, viele Regionen, jung und alt Mitglieder der Zivilgesellschaft zu der Realisierung erreicht. Ich freue mich und werde mich dafür dieser Ausstellung beglückwünschen und Ihnen einsetzen, dass in Bulgarien bald ein Museum versichern, dass ich mich vollkommen anschließe und entsteht, das den Opfern und Repressierten des die Idee und Botschaft mittrage. kommunistischen Regimes Respekt erweist und den Für mich drückt diese Ausstellung sehr klar und jungen Menschen die Tatsachen über den totalitären entschlossen aus, dass niemand den Totalitarismus Staat, seine Institutionen, die Staatssicherheit sowie rehabilitieren kann. Sie trägt die starke Botschaft, dass ihre Entscheidungen und Funktionsweise vor Augen niemand mehr die Macht hat, die Wahrheit zu verbieten. führt. Denn die Wahrheit über die Widerstandsbewegun Ich möchte Sie unterstützen, und das ist der Grund, gen gegen den totalitären Staat darf nicht vergessen weshalb ich heute mit Ihnen zusammen bin. werden. Die Verbrechen und Aktionen des totalitären Wir sollten uns gemeinsam verantwortungsbewusst Staates müssen den nächsten Generationen gezeigt an die neue Generation, an die jungen Menschen in und dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Bulgarien wenden und Ihnen sagen, dass wir bereit Die Wahrheit über die Opfer und die Repressionen sind, vorwärts zu schreiten, dass wir die Vergangenheit des totalitären Regimes in Bulgarien muss vermittelt kennen und sie weder manipulieren noch verbergen. werden und im Gedächtnis bleiben. Wir sind uns vielmehr bewusst, dass ein Volk nur stark Eine Nation vermag Einheit und Wohlstand nur dann und einig sein und eine Zukunft nur dann haben kann, zu erreichen, wenn sie furchtlos auf ihre Vergangenheit wenn es seine Vergangenheit kennt und respektiert. blicken kann. Das macht uns stärker und einiger. Der Erfolg der nächsten Generationen in Bulgarien hängt davon ab, dass sie nicht dem Oberflächlichen, Ein deutliches Zeichen ist die Unterstützung der dem Bequemen und dem Interessanten nachgeben, Konrad-Adenauer-Stiftung, der Gedenkbibliothek sondern bestrebt sind, in die Probleme der Zeit ein- zu Ehren der Opfer des Kommunis mus und der zudringen, die eigene Vergangenheit kennenzulernen Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. und auf diese Weise die eigene Zukunft aufzubauen. Das sind wichtige europäische Institutionen. Deutschland ist der Staat, von dem wir lernen können, Ich danke den Organisatoren, danke allen, die diese wie man konsequent und zielgerichtet im Interesse der Idee unterstützen. Ich bin einer von Ihnen! kommenden Generationen, im Interesse der Zukunft, Ich wünsche Ihnen und uns Erfolg! 6 7
Die Berliner Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus fühlt sich geehrt, die erste große öffentliche Dokumentation über die Verbrechen des bulgarischen kommunistischen Systems gegen das eigene Volk unterstützen zu dürfen. Mit ihr wird nicht nur erstmals für die Deutschen der Blick auf die spezifisch bulgarische Komponente des stalinistischen Repressionsapparates in Osteuropa gelenkt, sondern für jeden Interessierten in ganz Europa das Wissen um diesen Teil des kommunistischen Schreckens erweitert und damit komplettiert. Insofern ist sie ein politischer Akt in bester Tradition der Aufklärung, der informiert und warnt zugleich. Denn der Totalitarismus als systemische Gefahr ist nicht verschwunden mit dem Untergang des kommu- nistischen Weltsystems; er hat seine sozialpolitische Verführungskraft bewahrt und bedroht Europa und seine rechtsstaatliche wie demokratische Verfaßtheit nach wie vor. Ursula Popiolek Vorstandvorsitzende der Gedenkbilbiothek Thomas Dahnert Leiter der Gedenkbibliothek 8 9
Geleitwort Dr. Anna Kaminsky zum Ausstellungs- katalog „Bulgariens verbotene Vergangenheit“ Erinnerungen können schmerzhaft sein. Erinnerungen Die Opfer und jene, die den Mut fanden, sich den können heilsam sein. Erinnerungen können lückenhaft Regimes entgegenzusetzen und dies oftmals mit langen sein, verfälscht werden oder zu Legenden werden. Erin- Haftstrafen oder gar ihrem Leben bezahlen mussten, nerungen können Identität stiften oder Familien, Freunde deren Familien in Sippenhaft genommen wurden und auf aber auch Völker und Nationen entzweien. vielfältige Weise schikaniert und drangsaliert wurden, haben ein Recht darauf, mit ihrem Schicksal gehört und Der Umgang und die Auseinandersetzung mit den kom- erinnert zu werden. munistischen Diktaturen, die nach dem Zweiten Weltkrieg über vier Jahrzehnte lang das Leben der Menschen in Mit- Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit benötigt tel- und Osteuropa bestimmt haben, ist bis heute vielerorts aber auch Ermutigung und Förderung. umstritten. Noch allzu oft wird die kommunistische Sehr gerne hat die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der Vergangenheit unter Ausblendung der begangenen SED-Diktatur die Ausstellung „Bulgariens verbotene Ver- Verbrechen verklärt. Die Opfer werden vielfach an den gangenheit“ unterstützt. Rand gedrängt und diffamiert, die Verantwortlichen und Sie beleuchtet nicht nur ein, in Bulgarien bis heute kaum Täter nicht zur Rechenschaft gezogen. thematisiertes Kapitel der jüngsten Geschichte. Auch Eine der Leitideen des Aufarbeitungsprozesses nach 1989 für die Menschen in unserem Land, der Bundesrepublik in Deutschland war es, über Strukturen und Methoden des Deutschland, ist es wichtig zu erfahren, was geschehen ist. Machterhalts in der Diktatur aufzuklären, über Repression, So können die Methoden und Instrumente der Repression Verfolgung und Verbrechen zu informieren, die Mechanis- miteinander verglichen werden und das Wissen darüber, men, um Angst und Einschüchterung zu erzeugen und so was in Diktaturen Menschen angetan wurde, vermittelt die Menschen zur Anpassung und zum Stillhalten zu werden. Auch dies ist ein wichtiger Beitrag, um den bewegen, offen zu legen. Einsatz für unsere Demokratie zu fördern. Wir wünschen Damit sollte auch der nostalgischen Verklärung des Lebens der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher in in der Diktatur mit ihren vermeintlichen Sicherheiten Bulgarien wie in der Bundesrepublik Deutschland! entgegen gewirkt werden. Jede Gesellschaft muss ihren Weg finden, um sich der Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten ihrer Vergangenheit zu stellen. Die Erfahrung aus allen Dr. Anna Kaminsky Aufarbeitungsprozessen nach Gewaltregimene zeigt, Geschäftsführerin dass eine dauerhafte Verdrängung der begangenen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Verbrechen und ein Verschweigen der Verantwort- lichkeiten nicht möglich sind. 10 11
№1 №1 Bulgarien im Feuer des Zweiten Weltkrieges Am Beginn des Zweiten Weltkrieges war Bulgarien Die BBC berichtete in London am 2. September: eine parlamentarische Monarchie mit 7.000 000 „Die bulgarische Delegation zur Führung der Einwohnern und 111 000 km² Fläche. Friedensverhandlungen mit den Alliierten, die mit einem Flugzeug in Kairo eingetroffen ist, weilt noch Am 15. September 1939 verkündete Bulgarien mit immer in Kairo. Sie erwartet die Bedingungen eines einer Regierungserklärung seine Neutralität im Friedensabkommens, die bis zur Stunde aber noch ausgebrochenen Konflikt. nicht übergeben worden sind.” Am 22. Oktober und 17. November 1940 weigerte Am 2. September 1944 wurde unter Ministerpräsi- sich die bulgarische Regierung dem Vorschlag dent Konstantin Muraviev eine neue bulgarische Deutschlands, dem Dreimächtepakt zwischen Regierung gebildet. Sie setzte die Bemühungen dem Deutschen Reich, dem Königreich Italien der vorherigen Regierung, den Kriegszustand mit und dem Kaiserreich Japan beizutreten. Großbritannien und den USA zu beenden sowie Am 25. November 1940 lehnte Bulgarien ein die Friedensverhandlungen zu beschleunigen, weiteres Mal das Angebot der Sowjetunion ab, unvermindert fort und verkündete mit einem einen „Vertrag über gegenseitige Hilfe“ abzu- “Verordnungsgesetz” eine allgemeine Amnestie. schließen, in dem vorgesehen war, sowjetische Darüber hinaus löste sie das Parlament auf Kriegsmarinestützpunkte auf bulgarischem und proklamierte ihrerseits ebenfalls die volle Territorium zu errichten. Neutralität Bulgariens. Am 1. März 1941, kurz bevor die deutsche Wehr- Am 5. September 1944 um 19 Uhr übergab die macht Truppen in Richtung Griechenland über Sowjetunion dem bulgarischen Bevollmäch- bulgarisches Territorium führte, unterzeichnete tigten Botschafter in Moskau eine Note und der bulgarische Ministerpräsident Bogdan Filov in erklärte damit Bulgarien ohne jeden Grund Wien den Dreimächtepakt. den Krieg. Bis zu diesem Moment unterhielten Am 13. Dezember 1941 erklärte Bulgarien auf beide Staaten reguläre diplomatische Beziehungen. der Basis seiner Mitgliedschaft im Dreimächte- Kein einziger bulgarischer Soldat hatte bis zu pakt den USA und Großbritannien den Krieg. dieser Stunde an den Kriegshandlungen gegen Am 28. Dezember reagierte Großbritannien die Sowjetunion teilgenommen. Die bulgarische seinerseits darauf mit einer Kriegserklärung an Armee erfüllte damals lediglich strategische Bulgarien, der am 3. April 1942 die Vereinigten Aufgaben im Falle der Eröffnung neuer Kriegs- Staaten folgten. handlungen in Südosteuropa. Nördlich der Am 1. Juni 1944 trat die bulgarische Regierung zu- Donau führte Bulgarien eine einzige Mission des rück. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Bulgarischen Roten Kreuzes aus. Ivan Bagrjanov unternahm unverzüglich Schritte, um Bulgarien aus dem Krieg mit Großbritannien und den USA herauszuführen, und verkündete am 26. August die Rückkehr Bulgariens zur vollen Neutralität. 12 13
№1 №1 Reuter kommentierte am 5. September 1944: Am 8. September 1944 veröffentlichte das National- „Der von Russland erklärte Krieg gegen Bulgarien, komitee der von den Kommunisten dominierten über den die britische Regierung im voraus infor- Koalition „Vaterländischen Front - Otetchestven miert war, ist ein Akt realistischer Politik, der die Front“ ein Flugblatt über den begonnenen Bulgaren zur Vernunft bringen und wahrschein- Einmarsch der sowjetischen Armee in Bulgarien. lich die Unterzeichnung des Friedensabkommens Es verkündete, dass nur die „Vaterländische Front“ beschleunigen wird. Damit wurde dem Versuch das Vertrauen der Anti-Hitlerkoalition habe. Bulgariens, der Bezahlung des schweren Preises für Gleichzeitig beschuldigte das Nationalkomitee sein Bündnis mit Deutschland auszuweichen, ein die Regierung Muraviev des „Zauderns und der Riegel vorgeschoben. Es muss eine neue Regierung Doppelzüngigkeit“ in ihrem Verhältnis zur gebildet werden, in der wirklich die Linken ver- Sowjetunion. treten sind und die zweifellos auch Kommunisten Am 9. September 1944 um 2:15 Uhr, als sowjeti- in das Kabinett aufnimmt“. sche Streitkräfte sich bereits auf bulgarischem (Randel Neel, diplomatischer Korrespondent) Territorium befanden, setzten nahestehende Die Moskauer Zeitung “Izwestija“ schreibt Mitglieder der Offiziersgruppe „Zweno“ und der am 7. September 1944: „Vaterländischen Front“ die demokratische Regie- „Die Regierenden Bulgariens entschieden, spielend rung von Konstantin Muraviev ab. Sie übergaben mit dem Wort „Neutralität“, ihre Hilfe für Deutsch- die Macht an die von Kommunisten kontrollierte land fortzusetzen und das Land so in den Abgrund „Vaterländischen Front“. zu reißen.“ Um 6:25 Uhr verkündete Radio Sofia den Bürgern Bulgariens, dass eine neue Regierung mit Кommunistische Machtergreifung mit Hilfe Ministerpräsident Kimon Georgiev an der der Sowjetarmee Spitze eingesetzt worden sei. Am 8.September 1944 drang die Rote Armee in Die Kommunistische Partei, die bis zum Bulgarien ein und besetzte das Land. Sie blieb Putsch nur wenige Tausend Mitglieder hatte, bis Dezember 1947. Die bulgarische Armee übte jetzt die volle Macht im Land aus, was wurde der sowjetischen Befehlshoheit unterstellt und sich vor allem in der Führung des Justiz- von kommunistischen Politoffizieren durchsetzt. sowie des Innenministeriums zeigte. Das Friedensabkommen zwischen der Regierung Die von der sowjetischen Okkupationsmacht Bulgariens, der UdSSR, Großbritanniens und den kontrollierte Regierung der Putschisten USA wurde am 28. Oktober 1944 unterzeichnet. charakterisierte sich propagandistisch als Damit wurde die Besetzung Bulgariens durch die „volksdemokratisch“ und begann sofort, mit Hil- Sowjetarmee legitimiert. Vorsitzender der Alliier- fe brutalster Mittel und Methoden ein antidemo- ten Kontrollkommission war Marschall Tolbuchin, kratisches totalitäres System sowjetischer Prägung sein Stellvertreter Generaloberst Birjusov. durchzusetzen. 14 15
№1 №1 Die Konferenz von Jalta, Gruppenfoto nach dem Abschluss der Verhandlungen, Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin February 1945 Photo #: USA C-543 Sofia unmittelbar nach dem 9. September 1944 DA Archivi 69_2965_36 Bulgarisches Rotes Kreuz, Ostfrontmission. 1941–45 Marschall Tolbuchin und Gen. Birüsov Privatarchiv St. R. DA Archivi 69_2965_36 16 17
№2 №2 Terror in den ersten Tagen Gleich in den ersten Tagen nach dem Putsch vom Die Kommunistische Partei, die über die 9. September 1944 begann die kommunistische Ministerien des Inneren und der Justiz verfügte, Partei, ihre Macht mit Massenverfolgungen sowie bekämpfte gnadenlos ihre Gegner und potentiellen zahlreichen Morden durchzusetzen. Bürger wurden Opponenten mit Massenrepressionen, Morden, ohne Anklage oder Gerichtsurteile, allein aufgrund Verhaftungen, Verbannungen und anderen von Denunziationen durch Parteiaktivisten zu Gewalttaten. Der Terror umfasste alle Ebenen des „Volksfeinden“ erklärt. Die Zahl der Getöteten und ökonomischen, politischen und sozialen Lebens Verschwundenen lag bei weit über 30 000 Menschen. des Landes. Die Regierung der „Vaterländischen Front“ setzte Im Telegramm Nr. 10 des ZK vom 13. September zugleich eine ganze Reihe repressiver Gesetze und 1944 berichtete Valko Tchervenkov, hoher Partei- Verordnungen in Kraft. funktionär der BKP Georgi Dimitrov, stellvertreten- der Leiter der Abteilung Internationale Information Am 20. Oktober 1944 beim ZK der KPdSU und ab 1946 bulgarischer Mi- „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur nisterpräsident in Moskau, über die Durchführung Säuberung des Lehrer- und Lektorenpersonals in der Massensäuberungen: den Volks-, Grund- und Mittelstufenschulen, Lehrer- „Der Faschismus ist gefallen [...] aber der Kampf ist instituten und in den Universitäten, Hochschulen und nicht beendet. [...]In den ersten Tagen der Revolution Akademien“ wurden spontan die Rechnungen mit unseren bösar- Am 2. November 1944 tigsten Feinden, die in unsere Hände fielen, beglichen. „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Anstel- Nun ergreifen wir Maßnahmen, um dafür die Straf- lung, Kündigung und Zensierung der Angestellten in verfolgungsorgane zu engagieren. Der Justizminister der Administration des MdI und in der zeitweiligen arbeitet daran, Volkstribunale zu errichten [...] Aus Stadtverwaltung“ bewaffneten Gruppen von Parteimitgliedern und Komsomolzen werden stillschweigend Stoßtrupps für Am 6. November 1944 besonders verantwortungsvolle Aufgaben aufgebaut.“ „Erlass zur Änderung und Ergänzung der Vorschrift zwecks Anstellung, Versetzung, Kürzung und In einem Brief vom 17. Oktober 1944 bestätigt der Kündigung der Lehrer in den Gymnasien“ spätere bulgarische Ministerpräsident seinerseits das gewalttätige Vorgehen der Kommunisten: 14. März 1945 „Die Verräter, die Provokateure, die Feinde werden „Verordnung zur Änderung der Verordnung zwecks gnadenlos bestraft. Dem Feind ist ein sehr starker zeitweiliger Erleichterung der Wohnungskrise und Schlag zugefügt. Unseren Genossen ist es aber nicht zwecks Erhalt der gesellschaftlichen Ruhe und gelungen, die Köpfe unserer Feinde in den ersten Ordnung in Sofia“ Tagen abzuschlagen. Deshalb wurde die Massensäuberung während der letzten zwei Wochen durchgeführt.“ 18 19
№2 №2 Weitere Verordnungen, Erlasse und Verfügungen Der administrative Apparat wurde vollständig privilegierten die Unterstützer der neuen Macht und ausgetauscht, einschließlich des Justizsystems. Als beschränkten die Grundrechte der Bürger: neue Richter und Ermittler wurden ehemalige Par- tisanen und politische Häftlinge sowie Parteifunk- 12. Oktober 1944 tionäre eingesetzt, die weder über die erforderliche „Durchführungsverordnung des Gesetzes für das Bildungsqualifikation, noch über eine spezielle zeitweilige Außerkraftsetzen der Bildungsqualifikation Berufserfahrung verfügten. Das Prinzip der Unab- laut Gesetz für die Posten, Qualifikation, Gehälter hängigkeit des Gerichtssystem wurde eliminiert. und Vergütung der Staatsangestellten“ Alle Gerichts- und Verwaltungsorgane kamen in 24. Oktober 1945 die vollständige Abhängigkeit des Komitees der „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Anerken- „Vaterländischen Front“ und damit der Kommunis- nung der Rechte der Hochschulabsolventen bei der tischen Partei. Besetzung von staatlichen und gesellschaftlichen Die „Neue Züricher Zeitung“ schrieb am 19. 3. 1945: Ämter sowie der Schriftsteller und Mitglieder des „In Bulgarien sind fast alle Elemente, die man bei Schriftstellerverbandes ohne Hochschulausbildung“ uns demokratisch nennt, eliminiert[...] Das Recht auf 29. April 1945 Leben wird nur für vier Gruppen anerkannt, die die „Durchführungsverordnung des Gesetzes für die „Otetchestven Front“ bilden: Kommunisten, linke Bau- Unterstützung der Opfer des antifaschistischen ern, Sozialisten und Zwenaren...“ Kampfes und für die Freiheit des Volkes“ („Zweno“- Offiziersgruppierung) Am 14. Januar 1948 wurde das Gesetz über den Die Deportation der Deutschen aus Bulgarien Entzug der Erbrenten von Personen verabschiedet, Laut Punkt 1b. der von Bulgarien unterzeich- die der „faschistischen Tätigkeit“ überführt waren. neten Friedensvereinbarung, wurde die bul- Auf der Basis dieses Gesetzes wurde in der Zeit garische Regierung verpflichtet alle Deutschen zwischen dem 9. September 1944 und dem 3. März zu deportieren. Zur Erfüllung dieser Bedingung 1945 allen „spurlos Verschwundenen“, den Verur- internierte die Regierung eine Gruppe deutscher teilten sogenannter „Volksgerichte“ sowie den Sub- Bürger im dafür bestimmten Ort Pavel Banya. summierten weiterer Kategorien sämtliche Renten Die sowjetische Verwaltung bestand entgegen der und Pensionen entzogen. Auf diese Weise wurden bulgarischen Verfassung auch auf der Internierung zahlreiche Personen, die jahrelang in Versicherungen aller deutschstämmigen bulgarischen Bürger, eingezahlt hatten, ihrer Existenzsicherung beraubt, Ehefrauen und -männer von Bulgaren. und die Rentenanstalt wurde ein Teil des repressiven (Im Gegensatz dazu rettete Bulgarien mit dieser Apparates. verwandtschaftlichen Begründung 1943 seine jüdischstämmigen Bürger vor Deportation in die Todeslager.) 20 21
№2 №2 In einem Brief vom 28. Dezember 1944 wies Gen- Die Antwort war kategorisch: „...der Mobilisierung eral Birjüzow den bulgarischen Außenminister unterstehen alle arbeitsfähigen Deutschen, unabhän- Petko Stajnov an: „....alle arbeitsfähigen Deutschen, gig ihrer Staatsangehörigkeit“. Die Deportationen ob Staatsangehörige Deutschlands, Ungarns, der Deutschstämmiger, wohnhaft in Bulgarien, ging über Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Rumäniens oder Bul- das als Stichtag festgelegte Datum hinaus. gariens, die wohnhaft in Bulgarien sind, unterstehen Deportation der russischen Weißgardisten ab sofort der Mobilmachung und der Internierung zur Arbeit in der UdSSR.“ General Birjüzow kontrollierte persönlich die Aktion zur Ermittlung und Deportation der Im selben Brief waren die Sammelpunkte für die russischen Emigranten, die nach dem bolschewis- Deutschen festgelegt sowie der Termin 1. Januar tischen Putsch 1917 in Russland als Weißgardisten 1945, an dem sie nach Russland verschickt werden Zuflucht in Bulgarien gefunden hatten. sollten. Jeder, der sich nicht am festgelegten Sam- Mit dieser Aufgabe war der sowjetische militärische melpunkt einfand, wurde gerichtlich verfolgt. Die Aufklärungsdienst „Smerch“ beauftragt. Gerichtsprozesse wurden in schneller Prozedur Die Staatssicherheit Bulgariens gab den sowjetischen innerhalb von 24 Stunden durchgeführt. Diensten und deren Armee die volle Unterstützung Gegen Verwandte und nahe Angehörige, die zur Ermittlung einer großen Zahl ehemaliger Weiß- versuchten, jemanden zu verstecken, wurden repressive gardisten in Bulgarien. Maßnahmen angewandt. General Birjüzow verlangte von der bulgarischen Regierung eine Sonder- Deportation der taurischen Bulgaren verordnung, welche die Militär- und Zivilverwaltung Zwischen 1943 und 1944 waren einige tausend Bul- verpflichtete, das Erfassen aller Deutschstämmigen garen aus Taurien auf dem Territorium der Sowje- auf bulgarischem Territorium und deren Transport tunion (heute Ukraine) als bulgarische Minderheit bis an die russische Grenze zu garantieren. Repressionen ausgesetzt. Begründet wurde dies Er verlangte sogar persönlich eine Kopie dieses damit, dass sie als Bulgaren Verbündete Deutschlands Regierungsbeschlusses. im Krieg waren. Unter dem Druck des Befehlshabers der sowjetischen Sie schafften es mit ungeheuren Leiden und Opfern, Streitkräfte in Bulgarien beschloss der Ministerrat in ihre alte Heimat zurückzusiedeln. Doch sofort eine Eilverordnung: Alle im Land lebenden arbe- nach dem Einmarsch des sowjetischen Heeres in itsfähigen deutschen Staatsangehörigen im Alter Bulgarien 1944 wurden mit dem Befehl Stalins alle zwischen 17 und 45 Jahren (Männer) sowie alle taurischen Bulgaren zurück in die UdSSR deportiert Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren sollten sich am und als Feinde der Sowjetunion behandelt. 7. Januar 1945 am Sammelpunkt Russe einfinden. Alle dort versammelten Deutschen mussten in Rich- tung Russland in Bewegung gesetzt werden, von wo aus sie am 10. Januar 1945 weiter transportiert wurden. Die bulgarische Seite fragte an, wie man in Fällen von Ehepartnern usw. handeln sollte. 22 23
№2 №2 Zitat „Demokratzia“5.9.1994, Mirtcho Spasov, Mitglied ZK: „Die Partei zögerte mit dem Volksgericht, um die Säuberung der Feinde zu schaffen, mit dem Gericht könnten sie sich (vielleicht) herauswinden. Ha-ha! Ich hielt Verbindung mit „Dem neuen Parteimitglied wird erklärt, dass er ab jetzt Genosse Zhivkov (Todor). Er war in NOVA(Aufständische nicht mehr sich selbst und seiner Familie gehört, er gehört Volksbefreiungsarmee), im Keller der „Slavjanska beseda“. der Partei und seine Pflicht ist sein Leben zu opfern um Wenn ich dorf eintraff, alle mieden mich, wussten womit ich die von ihr gestellten Aufgaben durchzusetzen...“ Privatarchiv St. R. beschäftigt war. Meine Arbeit war schwer, aber wer sollte sie erledigen, sie wollten sich nicht schmutzig machen... Wir führten sie im Keller der Direktion ein, spät in der Nacht holten wir sie raus, luden sie auf LKW „Opel Blitz“- und (fuhren) in Richtung Radomir. Jeden Tag gegen 10 kam ich in „Slavjanska beseda“... So verbrachten wir drei Monate, jede Nacht fünf Lastwagen.“ (Auf diese Weise wurde das Schicksal der bulgarischen Elite in den letzten Monaten der 1944 besiegelt.) DAArchivi Stalin-Karikatur von Rajko Alexiev, der Grund seiner Hinrichtung 24 25
№3 №3 „Volksgericht“ Am 24. September 1944 befürworteten sowohl Allein in der Nacht des 1. Februar 1945 und am Tag das Politbüro der Bulgarische Kommunistischen nach der ersten Urteilsverkündung wurden 3 Regen- Partei als auch der Ministerrat (am 30. Septem- ten, 33 Minister, 67 Volksvertreter, 47 Offiziere und ber desselben Jahres) die „Durchführungsverord- weitere hingerichtet. nung des Gesetzes für das Volksgericht“. Unter Nach Angaben, die der Hauptvolksankläger dem ZK dem Vorwand, dass vor diesem Gericht die Schul- der Bulgarische Kommunistischen Partei am 3. Juli digen für das Hineinziehen Bulgariens in den 1945 vorlegte, sind im ganzen Land vom so genannten Zweiten Weltkrieg an der Seite des Deutschen Rei- „Volksgericht“ 132 Massenprozesse durchgeführt ches mit dem Kaiserreich Japan und dem Königreich und folgende Urteile verhängt worden: Italien durch Beitritt zum Dreimächtepakt bestraft würden, begannen Massenverfolgungen gegen Angeklagte 11 122 Politiker, Armeeangehörige, Intellektuelle, Wis- Todesurteile 2816 (vollstreckt 2700) senschaftler, Schriftsteller, Journalisten und andere mit dem Ziel, die bürgerliche Elite der Nation zu Lebenslängliche Urteile 1233 vernichten. 20 Jahre strenge Zuchthausstrafe 11 Alle, die Widerstand gegen die verhängte Sowjetisie- 15 Jahre strenge Zuchthausstrafe 964 rung Bulgariens durch die Kommunistische Partei 12 Jahre strenge Zuchthausstrafe 41 hätten organisieren können, wurden verhaftet und vor das so genannte „Volksgericht“ gestellt. 10 Jahre strenge Zuchthausstrafe 687 Dieses Sondergericht wurde in grober Verletzung der 8-7-6 Jahre strenge Zuchthausstrafe 197 damals geltenden bulgarischen Verfassung ge- 5 Jahre strenge Zuchthausstrafe 1006 schaffen und verstieß gegen die darin nieder- gelegten Grundprinzipien der Rechtsprechung. 3 Jahre strenge Zuchthausstrafe 379 Als „Volksankläger“ wurden Parteiaktivisten 2 Jahre strenge Zuchthausstrafe 318 eingesetzt, die nicht annähernd die notwendige 1 Jahr strenge Zuchthausstrafe 724 juristische Qualifikation besaßen. In ihren Händen lagen sowohl die Voruntersuchungen, die 1 Jahr auf Bewährung 668 Gerichtsuntersuchungen, als auch die Anklagen. Freispruch 1485 Die zu unrecht Beschuldigten waren praktisch vor- verurteilt, ohne jede Möglichkeit ihre Unschuld zu Unterbrochene und eingestellte 386 Untersuchungen beweisen. Die Urteile waren endgültig und konnten nicht angefochten werden. Zum Vergleich: Das „Volksgericht“ konfiszierte den Besitz Vom bulgarischen „Volksgericht“ zum Tode verurteilte und aller Verurteilten. Ihre Familienangehörigen, sowie exekutierte hohe Mitglieder der alten Staatsführung: 150; nahe Verwandte wurden als Verwandte von vom Internationalen Tribunal in Nürnberg: 11; „Volksfeinden“ lebenslangen Verfolgungen ausgesetzt. vom Internationalen Tribunal im Fernen Osten (Japan): 7 26 27
№3 „Volksankläger“ Prof. Alexander Stanischev- Staatsbibliothek International anerkannter „Sw.sw. Kiril u. Metodij Mediziner, zum Tod verur- teilt, erschossen als letzter, gezwungen, als Arzt den Tod aller vor ihm Erschossenen festzustellen. Staatsbibliothek „Sw.sw. Kiril u. Metodij“ Dimitar Peschev, Stellvertretender Vorsitzender der Volksversammlung; ihm wird der größte Verdienst für die Rettung der 40 000 bulgarischen Juden vor Deportation zugeschrieben. Vom „Volksgericht“ wurde er des „Antisemitismus“ beschuldigt. Staatsbibliothek „Sw.sw. Kiril u. Metodij“ Die angeklagten Regierungsmitglieder, Trifon Kunev, Regenten und hohe Offiziere Schriftsteller, angeklagt Staatsbibliothek „Sw.sw. Kiril u. Metodij“ wegen den Satirebandes „Kleine, Winzige wie Kamele“ Staatsbibliothek „Sw.sw. Kiril u. Metodij“ 28 29
№4 №4 Beseitigung der Oppositionsparteien Das Formieren der parlamentarischen Opposition Anfang Juni 1946 besuchte die Führung der begann schon Anfang November 1944 mit den Bulgarische Kommunistische Partei Moskau und ersten Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten bekam Instruktionen für einen harten Kurs zur zwischen der Bulgarischen Kommunistischen Partei Sowjetisierung Bulgariens sowie zur Ausschal- und den Vertretern der anderen Parteien, die an der tung der Opposition. Der erste Schlag wurde gegen Regierung der „Vaterländischen Front“ beteiligt waren. den Spitzenpolitiker der Sozialdemokratischen Partei, Krastju Pastuhov, geführt. Er wurde am Auf Verlangen der nichtkommunistischen Parteien 26.Juni 1946 festgenommen, zu 5 Jahren Haft ver- in der Regierung und mit Beschluss der Alliierten urteilt und im Gefängnis erwürgt. Verhaftet wurde Kontrollkommission wurden die für den 26. August auch der Chefredakteur der sozialdemokratischen 1945 ausgeschriebenen Wahlen für die Volksver- Zeitung „Swoboden narod“ Tzvetan Ivanov. sammlung aufgeschoben. Das war der erste Erfolg der Opposition gegen das Diktat der BKP. Am 27. Oktober 1946 wurden die Wahlen für die Volksversammlung durchgeführt. Trotz Terror, Politische Parteien der legalen Opposition: Verhaftungen von Parteifunktionären der Opposi- Bauernpartei (BZNS) tion und massiver Wahlfälschungen bekam die Op- Vorsitzender Nikola Petkov, position 101 Plätze in der Volksversammlung von Presseorgan „Narodno zemedelsko zname“ insgesamt 465 und bildete zwei parlamentarische Sozialdemokraten (BRSDP) Oppositionsgruppen: Vorsitzender Kosta Lultchev, Die Gruppe der Bauernpartei mit Nikola Petkov und Presseorgan „Swoboden narod” die Gruppe der Sozialdemokraten. Demokratische Partei Nachdem am 10. Februar 1947 in Paris der Friedens- Vorsitzende Nikola Muschanov / Alexander Girginov, vertrag mit Bulgarien unterschrieben worden Presseorgan „Zname” war, begann die BKP unverhüllt Verfolgung und Repressionen gegen alle führenden oppositionel- Radikale Partei len Politiker. Am 5. Juli 1947 wurde die parlamen- Oppositionelle Gruppe unabhängiger Intellektueller Vorsitzender Prof. Petko Stajnov tarische Immunität des Vorsitzenden der vereinigten Opposition, Nikola Petkov, aufgehoben. Er wurde zum Tode verurteilt und im Sofioter Zentralgefäng- nis hingerichtet. 30 31
№4 №4 In einer Erklärung des Präsidenten der Vereinigten Nach der brutalen Abrechnung mit den Führern Staaten, Harry S. Truman, vom 16. September 1952 und Aktivisten der demokratischen und nichtkom- anlässlich des fünften Jahrestages der Exekution munistischen Parteien, die Opposition geleistet von Nikola Petkov heißt es: „Das amerikanische Volk hatten, richtete die kommunistische Regierung wie auch die anderen Völker der freien Welt wird den ihre Anstrengungen auf die Vernichtung des bul- Gerichtsmord an Nikola Petkov im Jahr 1947 nicht garischen Offizierskorps sowie auf die Zerschla- vergessen, wie auch seinen mutigen Kampf gegen gung aller patriotisch gesinnten Vereinigungen. die Kräfte des kommunistischen Totalitarismus in In den Monaten Juli und August 1945 bereitete die Bulgarien nicht. Durch seinen Tod ist der Welt der Staatssicherheit eine Reihe inszenierter Gerichts- Sinn seines Kampfes gegen die Tyrannei viel klarer prozesse gegen die sogenannten „Legionäre“ vor, die geworden...“ sie als gefährlichste Gegner der kommunistischen Nach amtlichen Angaben der Staatssicherheit vom Macht einschätzte. Von insgesamt 68 Angeklagten September 1947 wurden alle aktiven Mitglieder wurde über 13 die Todesstrafe verhängt, die anderen der Oppositionsparteien unter Agentenbeobach- erhielten viele Jahre schwere Kerkerhaft. tung gestellt. Im Oktober 1947 wurden Parteiführer „Embros“, Athen, 25 November 1945: der bürgerlichen Opposition wie Nikola Musch- „Maritza wirft Leichen von Bulgaren an ihre Ufer. anov, Stoitcho Muschanov, Alexander Girginov, Es wird vermutet, dass diese aus Bulgarien ange- Prof. Venelin Ganev, Atanas Burov, Petko Stajnov, schwemmten mehrere Duzend Leichen bulgarische Christo Manafov, Slavi Tchorbadzhigoschev, Stefan ‚Reaktionäre’ sind, die ein paar Tage vor den Wahlen Gubidelnikov, Boris Pantchev, Dimitar Varbanov, erschlagen wurden, um die Bevölkerung ein- Georgi Panajotov und andere zwangsausgesiedelt. zuschüchtern und für die kommunistische Front zu Zugleich wurden sie vom Staatssicherheitsdienst in stimmen.“ „Operativen Vorgängen“ erfaßt. Im selben Jahr 1947 wurden 721 Mitglieder der Oppositionsparteien in „Estija“, Athen, 19. Februar 1946: Konzentrationslager geschickt. „Am Vorabend der Wahlen schwemmten die trüben Wellen der Maritza unzählige Leichen ans Ufer der Am 14. November 1947 begann die Gerichts- Ägäis an. Diese wurden von vielen Griechen und eng- verhandlung gegen den Schriftsteller Trifon Kunev. lischen Amtspersonen gesehen. Die entsprechenden Er wurde wegen der Herausgabe eines Bandes mit Berichte, die diesen Fakt belegen, befinden sich noch Satiren gegen das Regimes angeklagt, in dem es heißt: in den Archiven.“ „Ich habe mich entschlossen, ein dauerhaftes Dokument über die Widerstandsbewegung des bulgarischen Volkes zu hinterlassen... Die Widerstandskraft der Bulgaren gegen die ihre Menschenwürde beleidigende Versklavung ist riesig...“ 32 33
№4 №4 Zur Sowjetisierung „Wima“, Athen, 8. April 1947 Am 4. Dezember 1947 stimmte die Volksver- „Die Buchhandlungen sind überfüllt und bieten nur sammlung mit der absoluten Mehrheit der Bul- russische Ausgaben über Lenin, Stalin, Marx und die garischen Kommunistischen Partei der neuen Sowjetunion an. Die Portraits Stalins und Molotovs „Verfassung der Volksrepublik Bulgariens“ zu. Damit hängen überall, daneben die von Dimitroff ... In irgen- änderte sie die Form der Staatsführung radikal, in deinem Saal üben Jugendliche aus irgendeiner Organi- dem sie das Prinzip der Gewaltenteilung austauschte sation die sowjetische Staatshymne ein, die jetzt die gegen das einer totalitären Einheit von Staatsmacht zweite Nationalhymne der Bulgaren ist.“ und Bulgarischer Kommunistischer Partei. Aus dem Bericht des Bevollmächtigten Botschafters „Gaset de Lozan“, Losan, 27. Dezember 1947: Großbritanniens in Sofia, Antony Lambert, vom „Die Verfassung ist fast eine Kopie der stalinistischen 2. Januar 1959: Verfassung... Manche Verordnungen öffnen den Weg „Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass für Eigenmächtigkeiten und missachten die Rechte über jeden Bulgaren, einschließlich der Mehrheit der und Freiheiten der Menschen entgegen den Vereinba- Führung, der Schatten der Angst und die Moskauer rungen in den Friedensverträgen.“ Hand des Todes hängen.“ Die BKP benutzte das Justizsystem zur Durchset- Unterwürfigkeit und Nachahmung des sowjetisch- zung ihrer Diktatur und fixierte eine repressive en Modells in der zentralen Leitung der BKP dau- Gesetzgebung, die rücksichtslos gegen politische erten auch nach ihrer offiziellen Distanzierung vom Gegner und Opponenten angewendet wurde. Es Personenkult um Stalin an. Sie reichten sogar so begannen politische Gerichtsprozesse, die mit weit, dass vor dem Plenum des ZK der BKP im Juli Todesstrafen, unterschiedlich langen Haftstrafen, 1963 der Erste Sekretär der BKP, Todor Zhiwkow, die Straflagerurteilen, Zwangsaussiedlungen und an- Frage nach einem „politischen Zusammenschluss“ deren Repressalien endeten. Bulgariens mit der Sowjetunion stellte, die er im Sie erklärte das „Volkseigentum“ zur ökono- Oktober desselben Jahres auch dem sowjetischen mischen Basis der Gesellschaft und begann in der Parteichef Nikita Chrustchov als offiziellen Beschluss Folge mit der völligen Liquidierung des Privateigen- der bulgarischen Parteiführung antrug. tums in Industrie und Gewerbe wie der privaten Alle 167 Mitglieder des ZK der BKP hatten diesem Landwirtschaft. Beschluss zugestimmt. In Verwaltung, Armee, Wirtschaft, Bildung sowie im kulturellen und Geistesleben wurde überall das Sowjetmodell durchgesetzt. Die Sowjetunion wurde für alle Autoren und Künstler thematisch wie politisch Vorbild und Pflicht. 34 35
№4 №4 Agitation und Propaganda, Privat Archiv Karrikatur, Tageszeitung 1945 „Freies, demokratisches und mächtiges Bulgarien“ Foto F.K. „Einflusssphären“, Foto F.K. “Amerika wird die Wahlen nicht anerkennen...“, Foto F.K. 36 37
№5 №5 Zwangskollektivierung der Land- wirtschaft Mit der seit 1944 begonnenen Kollektivierung der Enteignung des Bodens Landwirtschaft zielte die kommunistische Macht da- rauf ab, dem Privateigentum an Grund und Boden in der Bauern Bulgarien ein Ende zu bereiten. Im April 1945 nahm die neue Staatsmacht die Im Unterschied zu anderen Ländern in Ost- und „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Mitteleuropa, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins Bildung von Landwirtschaftlichen Produktions- sowjetische Einflussgebiet gerieten, bestand die genossenschaften“ an und begann mit brutalsten Landbevölkerung Bulgariens bis 1944 hauptsäch- Methoden, zu denen physische wie psychische Schi- lich aus mittleren und kleinen Landbesitzern mit kanen gehörten, die vollständige Zwangskollekti- eigenem Boden. Im Jahr 1946 besaßen 57,9% der vierung durchzusetzen. Bauern zwischen 0,5 und 2 ha eigenen Boden und Den Bauern wurde der gesamte Grund und nur 3,9% - zwischen 2 und 5 ha. Boden genommen, das landwirtschaftliche Inventar (Pflüge, Büffelkarren und Kutschen), die Landwirt- schaftsmaschinen (Traktoren, Dresch- und Mäh- maschinen) sowie alle Arbeits- (Büffel, Pferde) und Charakteristik der Landwirtschaft Bulgariens in den Nutztiere (Kühe und Schafe). 1930er in Bezug auf Landbesitz: Das Plenum des Zentralkomitees der BKP vom 12. und 13. Juli 1948 bestätigte das sowjetische Größe In % zu allen Charakter des Modell der wirtschaftlichen Entwicklung Bulgariens (Fläche des Landwirt- Landwirtschafts- Landwirt- und rief zum verstärkten Kampf gegen die schaftsbetriebes) betrieben schaftsbetriebes “Kulaken” sowie zum verschärften Klassenkampf Bis 0,1 ha 11.78 % Sehr klein im Dorf auf. Der Höhepunkt des Kampfes der neuen Staats- 0,1-0,2 ha 12.31 % Sehr klein macht gegen das Privateigentum in der bulgari- 0,2-0,5 ha 32.86 % Klein schen Landwirtschaft und somit gegen die Bauern 0,5-1,0 ha 28.13 % Mittel lag in den Jahren 1950 - 1954. 1-3 ha 14.30 % Groß Im Jahresbericht der Regierung für das Jahr 1958 wird festgehalten, dass bereits 92% des Nutzbodens mehr als 3 ha 0.67 % Groß in den Besitz der TKZS (Landwirtschaftlichen Pro- duktionsgenossenschaften) übergegangen sind, was 93% aller Haushalte im Land betrifft. 38 39
№5 №5 „Jablanischer Dorfgemeinderat Befehl Nr.102 Jablanitza, 27.November 1950 Gegen Ende der 50er gab es in der Landwirtschaft des Auf Grund des Beschlusses der BKP im Dorf „sozialistischen“ Bulgariens - einem Land mit tradi- Jablanitza-Teteven, 27. November 1950, werden fol- tionell starker Landwirtschaft und bis zum Zweiten gende Personen zu Kulaken und Volksfeinden erklärt: Weltkrieg überwiegend bäuerlicher Bevölkerung - 1. Dimitar Mikov Markov und seine Söhne keine privaten Landwirte mehr. 2. Dako Nejkov Jakimov Dieser Eliminierungsprozess hatte in den folgenden ... Jahren schwerste demografische, wirtschaftliche und 10. Dako Vutkov und seine Söhne. soziale Schäden zur Folge. Die oben Genannten dürfen keine Dienste des Dorf- gemeinderates und der anderen staatlichen Ein- richtungen in unserem Ort nutzen. In Zukunft darf keiner von ihnen in Geschäften, Restaurants und Konditoreien etwas verkaufen, außer Salz. Die Ver- Anzahl der TKZS und der Mitgliedshaushalte, 1944 – 1957 letzter derselbigen werden strengstens bestraft. Abschrift dieses Befehls soll an sichtbaren Stellen Jahr Anzahl der TKZS Anzahl der Haushalte angeklebt werden und allen Verwaltungen, in den 1944 17 649 Geschäften, Restaurants, Konditoreien und ande- ren Einrichtungen zur Ausführung ausgehändigt 1945 382 34 000 werden. 1946 480 41 000 Vorsitzender (Unterschrift) Ivan Tzanov Ivanov“ 1947 549 46 000 Der bulgarische Bauer, der durch die Jahrhunder- 1948 1100 124 000 te immer Landbesitzer gewesen war und über eine 1949 1601 156 000 große Zahl eigener Arbeits- und Haustiere verfügte, 1950 2501 502 000 wurde auf einmal zum besitzlosen Landarbeiter in einer von Parteiaktivisten der örtlichen Parteiorgani- 1951 2739 582 000 sation verwalteten Kolchose. 1952 2747 553 000 In den 20er Jahren hatte bereits in der bulgari- 1953 2744 569 000 schen Landwirtschaft die kooperative Bodenbewirt- 1954 2723 569 000 schaftung begonnen. Im Jahr 1935 gab es bereits 1239 Kooperativen, die jedoch das kommunisti- 1955 2735 591 000 sche Regime gleich nach dem 9. September 1944 1956 3100 911 000 auflöste, um das Modell der Kolchosen in der 1957 3202 1 017 000 bulgarischen Landwirtschaft, die TKZS (ähnlich der LPG in der DDR), total durchzusetzen. 1959 3972 1 290 000 40 41
№5 №5 Sozialistischer Realismus, Partei und Staatsführer V. Tchervenkov, Privat Archiv Verlassene Dörfer in Bulgarien, Privat Archiv 42 43
№6 №6 Beschlagnahmung des privaten Eigentums der Industrie, des Bankwesens und des Handels Nachdem die Kommunisten ab Ende 1947 in Bulga- rien eine Einparteienherrschaft nach sowjetischem Im Frühjahr 1946 inszenierte die kommunistische Vorbild geschaffen hatten, konnten sie sich ganz Partei eine breit angelegte Kampagne zur Durch- ihrem Vorhaben widmen, das Privateigentum auch setzung der „Diktatur des Proletariats“ und zur Ab- in der Industrie zu vernichten. schaffung des privaten Eigentums auch in der In- Am 18. Dezember 1947 nahm das Politbüro des ZK dustrie, in Handwerksbetrieben sowie im Handel. der BKP den Gesetzesentwurf für die Enteignung Zeitgleich mit der Durchführung einer Reihe poli- der Privat-, Industrie- und Bergbaubetriebe an, tischer Strafverfahren wurde am 8. September 1946 über den die Große Volksversammlung am 23. De- ein Gesetz zur Konfiszierung von Besitz veröffent- zember abstimmte. licht, der, wie es darin hieß, durch “Spekulation und Die Verordnung dieses Gesetzes betraf und enteig- auf ungesetzliche Weise erworben wurde”. nete u.a. das Privateigentum der metallverarbeiten- Paragraf 1 dieses Gesetzes lautete, dass aller nach den und der Bergbaubetriebe, der Textilindustrie, 1935 erworbener und von dieser Bestimmung be- der Bierbrauereien, der Bau- und Chemieindustrie, troffener beweglicher und unbeweglicher Besitz, der Butterherstellung. Betroffen vom selben Gesetz Geld, Aktien usw. zu Gunsten des Staates konfisziert waren auch die Geldmittel der Betriebe sowie deren werde. Unter „Spekulation“ wurde in diesem Gesetz Bankkonten und andere Wertgegenstände. jede freie Wirtschafts-, Handels- und Finanztätigkeit verstanden. Die Durchführung der Enteignung wurde geheim vorbereitet. Die Kommunistische Partei begann mit Аlexander Girginov, einer der Führer der opposi- dem Besetzen der Betriebe schon am 22. Dezember tionellen Demokratischen Partei: „Das Gesetz be- 1947, noch bevor die Volksversammlung das Gesetz zweckt die Expropriation des Besitzes, der Fabriken, verabschiedet hatte. der Betriebe und damit verbundenen Produktionsmit- tel, welche sich im Besitz von Personen befinden, die Die Prozedur war einfach: Der Eigentümer des Be- der Regierung nicht genehm sind und wirtschaftlich triebes übergab die Kassenschlüsse und den Schlüs- und materiell vernichtet werden müssen“ sel seines Büros an die unangekündigt und plötzlich Georgi Dimitrof, Ministerpräsident: bei ihm erschienene Kommission. Er unterzeichne- „Die Nationalisierung war einer der wichtigsten Schrit- te ein förmlich verfasstes Protokoll, das er den Be- te der volksdemokratischen Macht zur Umwandlung trieb der Volksmacht überlässt. Beim Verlassen des des kapitalistischen Eigentums ins sozialistische.“ Betriebes durfte er nur seinen Mantel mitnehmen. 44 45
№6 №6 Nach diesem Akt verkündete die Fabriksirene, Die meisten von ihnen wurden aus der Provinz dass der Partei- und Regierungswille erfüllt wurde. rekrutiert. Genau das gleiche geschah mit den Die Eigentümer wurden auch von allen Posten Wohnungen der Hingerichteten, der Zwangsum- und Stellungen als Experten und Fachleute in den gesiedelten oder in Konzentrationslagern Inter- Industrie- und Handelsbetrieben sowie den nierten. Mit dem Gesetz über das unbewegliche Banken entlassen. Stadteigentum (Immobilien im weitesten Sinne) Enteignet wurden aber nicht nur deren Kapital- enteignete die kommunistische Macht vollständig anlagen und das Grundkapital, sondern auch der oder teilweise Häuser, Villen, Büros auch anderer größere Teil ihrer privaten Immobilien, Bank- wohlhabender Eigentümer, die zu Gegnern der konten, Wohnungen, ihre Wertgegenstände, Autos neuen Macht erklärt wurden. usw. Am 25. Dezember 1947 wurde das Gesetz zur Einführung des Staatsmonopols auf das Banken- wesen erlassen, und kraft dieses Gesetzes wurden 31 bulgarische und ausländische Banken enteignet. Nach der Enteignung wurde in Bulgarien anstelle der abgeschafften Marktwirtschaft eine bürokratische Ökonomie ohne Unternehmeranreiz errichtet, die in die Hände der Funktionäre der Kommunistischen Partei gelegt wurde. Sie erfasste das gesamte Spekt- rum des Wirtschaftslebens. In Bulgarien blieb davon kein einziges Privat- unternehmen, kein privater Handwerksbetrieb, einschließlich Dienstleistungs- und Kleinhandels- unternehmen unberührt. Die Expropriation betraf auch die Privatwohnun- gen einer bestimmten Kategorie von Bürgern. Im Jahr 1948 fingen die Wohnungskommissionen bei den Stadträten damit an, die Privatwohnungen in der Hauptstadt und in den anderen großen Städ- ten Bulgariens zu „verdichten“ und dort Funkti- onäre der kommunistische Partei und von ihr be- rufene Beamte und Angestellte einzuquartieren. 46 47
№6 №6 „Die Expropriation weitet sich aus“, Privatarchiv 48 49
№7 №7 Verfolgung der Kirche „Die Religion ist das Opium des Volkes“- dieser Aus- Ab 25. Februar bis 9. März 1949 wurde der Gerichts- spruch von Marx ist der Eckpfeiler der ganzen Welt- prozess gegen 15 protestantische Pastoren durchge- anschauung des Marxismus in der Religionsfrage. führt, vier von ihnen wurden zu lebenslangen Haft- strafen verurteilt. Ein erschreckendes Beispiel für das grundsätzlich terroristische Verhältnis der Kommunistischen Am 11. November 1952 um 23:30 Uhr wurden im Partei zu Kirche und Religion war die Sprengung Zentralen Sofioter Gefängnis vier zum Tode der Kathedrale „Hl. Nedelja“ am 16.April 1925 verurteilte Priester der Katholischen Kirche - drei in Sofia, unter deren Ruinen 213 Gläubige des Ordens der Mariä Himmelfarht (die Pater ‒ Männer, Frauen und Kinder ‒ starben und über Kamen Vitchev, Pavel Djidjov, Josafat Schischkov) 500 verwundet wurden. sowie Monsignore Evgenij Bosilkov - exekutiert. Unter den Tausenden Ermordeten ohne Un- Noch im Jahr 1984 wurde mit Beschluss des Polit- tersuchung und Gerichtsurteil in den ersten büros der Bulgarischen Kommunistischen Partei Tagen nach der Machtergreifung der Kommunis- eine Kampagne zur Zwangsumbenennung aller ten am 9. September 1944 gab es auch eine große bulgarischen Moslems durchgeführt. Zahl von Priestern, deren einzige „Schuld“ darin bestand, dass sie der Kirche dienten und christliche Gleichzeitig mit den gesetzlichen und administ- Moral und Ethik verkündeten. rativen Einschränkungen wurde auch der Druck Inzwischen sind schon die Namen von über seitens der geheimen Dienste verstärkt. Er äußerte einhundert ermordeten orthodoxen Priestern sowie sich in der vermehrten Anwerbung von Spitzeln un- des Rabbiners Issak B. Levi, des moslemischen Geist- ter den Geistlichen. lichen Mehmed Raschidov, des armenisch‒gregoria- Die bulgarische orthodoxe Kirche sowie die katho- nischen Priesters Garabed S. Karadzhan, des protes- lische und protestantische wurden zum gesonderten tantischen Pfarrers Stefan Todorov ermittelt worden. Spezialobjekt für Operationen der Abteilung „Geist- Am 16. Februar 1949 wurde „Das Gesetz zur Religi- lichkeit und Sekten“ der I. Hauptabteilung der Staats- onsausübung“ veröffentlicht. Es wiederholte nichts sicherheit. Deren Aufgabe war der „Kampf gegen die anderes als den Inhalt und Ungeist des entsprechen- Konterrevolution“. den sowjetischen Gesetzes. Mit ihm wurde die völ- 1949 gab es in dieser Abteilung insgesamt 20 aktive lige Kontrolle über die religiösen Institutionen und Bearbeitungsfälle, 24 vorläufige Untersuchungen und Kirchen des Landes eingeführt. Gottesdienste au- 240 Fälle zur operativen Beobachtung, die von 339 ßerhalb der Kirchen wurden verboten, kirchlicher Agenten bearbeitet wurden. Im Jahr 1981 bearbeite- Besitz wurde konfisziert, das religiöse Leben stark ten von insgesamt 5000 Agenten der Hauptabteilung eingeschränkt. Wegen Anwesenheit in einer Kirche VI der Staatssicherheit 278 die bulgarische orthodoxe während des Gottesdienstes oder nur für das Betre- Kirche, die katholische Kirche und die protestantische. ten eines Gotteshauses wurden Schüler und Studen- 1989 - gegen Ende des kommunistischen Regimes in ten aus Schulen und Universitäten ausgeschlossen, Bulgarien - verdoppelte sich die Zahl noch einmal. Angestellte und Beamte bestraft oder entlassen. 50 51
№7 №7 Zwangsaussiedlung Als Straf- und Vorbeugungsmaßnahme gegen die Streng-vertraulicher Befehl des Ministers für Innere Regimegegner und ihre Verwandten, gegen Bür- Angelegenheiten G. Tzankov, Sofia, März 1953: ger, die die Maßnahmen und Methoden der neuen „Mit dem Ziel der Säuberung von Großstädten und Macht nicht billigten oder wegen angeblicher der Grenzgebiete von feindlichen Elementen und zum Kritik daran denunziert wurden, waren tausende Abbruch der Verbindungen zwischen Heimatverrätern Familien unter Zwang aus der Hauptstadt, den grö- mit ihren Familien in diesen Rayons befehle ich: Streng ßeren Städten und dem Grenzgebiet ausgesiedelt. geheim soll die Zwangsaussiedlung der Familien der Sie wurden in abgelegenen Dörfern und kleineren Vaterlandsverräter und der Nichtrückkehrer, wohnhaft Städten zwangsangesiedelt, ohne das Recht, diese in Sofia, Stalin(Varna), Burgas und Plovdiv sowie in zu verlassen. Zwangsausgesiedelt wurden den Grenzzonen und deren Internierung in den neuen Industrielle, Anwälte, Geschäftsleute, Rechtsanwälte, Wohnorten im Inneren des Landes vorbereitet werden. Intellektuelle, entlassene Offiziere, „unzuverlässige“ Für dieses Ziel sollen die Milizchefs in der Hauptstadt Bewohner der Grenzregionen und andere, denen die und den Bezirken alle Familienmitglieder der Vater- BKP nicht traute. landsverräter in diesen Gebieten feststellen und mir spätestens bis zum 20. März 1953 einen Vorschlag für Nach einem gemeinsamen Bericht des Vorsitzen- deren Zwangsaussiedlung zur Unterschrift vorlegen.“ den des Präsidiums der Volksversammlung und des Ministers des Innern an das Politbüro des ZK Die Zwangsaussiedlungen wurden zur Zeit der Un- der BKP für den Zeitraum vom 9. September 1944 garn-Aufstands im Jahr 1956 wieder aufgenommen. bis August 1953 wurden 7025 Familien mit 24624 Familienmitgliedern zwangsausgesiedelt. Die wirk- liche Anzahl der ausgesiedelten Familien ist höher. Im selben Zeitraum wurden aus der Hauptstadt So- Soziale Stellung der Anzahl % fia 2548 Familien mit 5075 Familienmitgliedern ver- zwangsausgesiedelten Familien bannt, aus den Grenzregionen und Bezirksstädten Bauern Mittelstand 2418 37.4 4208 Familien mit 18315 Mitgliedern. Bürgerliche Herkunft 1757 26.7 Grund für die Anzahl der Zahl der Familien- Arme Bauern 784 11.9 Zwangsaussiedlung Familien mitglieder Großbauern, s.g. „Kulaken“ 710 10.8 Verwandschaft mit 2 397 9 739 „Vaterlandsverrätern“ Mittlere städtische Herkunft 475 7.2 (Flucht in den Westen) Angestellte 210 3.2 Unerwünschte in Groß- 4 359 13 651 Arbeiter 93 1.4 städten und Grenzregionen („Feinde des Volkes“) Handwerker 78 1.1 andere Gründe 169 1 224 Arme städtische Herkunft 65 1 Gesamt 7 025 24 624 6590 100 52 53
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