Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek

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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
Bulgarien 1944 - 1989
        Verbotene Wahrheit

            Stoyan Raichevsky
             Fanna Kolarova

           Herausgegeben im Auftrag der
               Gedenkbibliothek
zu Ehren der Opfer des Kommunismus e.V. Berlin

           www.bulgaria1944-1989.eu
Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
Bulgarien 1944 - 1989
       Verbotene Wahrheit

            Stoyan Raichevsky
             Fanna Kolarova

        Begleitbuch zur Ausstellung

        www.bulgaria1944-1989.eu

    Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer
       des Kommunismus e. V. Berlin

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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
Bulgarien 1944-1989
        Verbotene Wahrheit
           Herausgegeben im Auftrag der
    Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer
       des Kommunismus e. V. Berlin
                   Herausgeber:
     Stoyan Raichevsky, Fanna Kolarova
                Gefördert durch die
      Bundesstiftung zur Aufarbeitung
            der SED-Diktatur
                     und der
         Konrad-Adenauer-Stiftung

        Endredaktion der deutschen Version:
                 Ulrich Schacht
         Übersetzung aus dem Bulgarischen:
               Fanna Kolarova
                     Beratung:
      Ursula Popiolek, Thomas Dahnert
               Grafische Gestaltung:
             Alexander Beilfuss

                Zweite Auflage 2013

    © Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer
        des Kommunismus e.V. Berlin
          www.gedenkbibliothek.de
            Alle Rechte sind geschützt

                     Druck:
                 Ес принт ООД

           ISBN 978-3-00-039388-4

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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
Rede des Präsidenten der Republik Bulgarien             im Interesse der Staatlichkeit die Demokratie in
Rosen Plevneliev anlässlich der Ausstellungseröffnung       Bulgarien aufbauen kann, ohne die Tatsachen zu
    „Bulgarien 1944-1989 Verbotene Wahrheit“                verheimlichen, indem die Wahrheit gezeigt wird.
             Sofia, den 12.Oktober 2012                     Der Fall der Berliner Mauer ist das augenfälligste
                                                            Symbol für den Zusammenbruch der kommunistischen
Sehr geehrte Herr Botschafter Höpfner,
                                                            Doktrin und ein Ereignis, das Millionen Menschen
verehrte Organisatoren,
                                                            in den ehemaligen sozi­alistischen Staaten für einen
Exzellenzen,
                                                            Neubeginn inspiriert hat.
liebe Freunde!
                                                            Ich hoffe, dass die Botschaft der Ausstellung viele
Ich möchte Sie alle von Herzen als verantwortliche
                                                            Menschen, viele Städte, viele Regionen, jung und alt
Mitglieder der Zivilgesellschaft zu der Realisierung
                                                            erreicht. Ich freue mich und werde mich dafür
dieser Ausstellung beglückwünschen und Ihnen
                                                            einsetzen, dass in Bulgarien bald ein Museum
versichern, dass ich mich vollkommen anschließe und
                                                            entsteht, das den Opfern und Repressierten des
die Idee und Botschaft mittrage.
                                                            kommunistischen Regimes Respekt erweist und den
Für mich drückt diese Ausstellung sehr klar und             jungen Menschen die Tatsachen über den totalitären
entschlossen aus, dass niemand den Totalitarismus           Staat, seine Institutionen, die Staatssicherheit sowie
rehabilitieren kann. Sie trägt die starke Botschaft, dass   ihre Entscheidungen und Funktionsweise vor Augen
niemand mehr die Macht hat, die Wahrheit zu verbi­eten.     führt.
Denn die Wahrheit über die Widerstandsbewegun­
                                                            Ich möchte Sie unterstützen, und das ist der Grund,
gen gegen den totalitären Staat darf nicht vergessen
                                                            weshalb ich heute mit Ihnen zusammen bin.
werden. Die Verbrechen und Aktionen des totalitären
                                                            Wir sollten uns gemeinsam verantwortungsbewusst
Staates müs­sen den nächsten Generationen gezeigt
                                                            an die neue Generation, an die jungen Menschen in
und dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden.
                                                            Bulgarien wenden und Ihnen sagen, dass wir bereit
Die Wahrheit über die Opfer und die Repressionen
                                                            sind, vorwärts zu schreiten, dass wir die Vergangenheit
des totalitären Regimes in Bulgarien muss vermittelt
                                                            kennen und sie weder manipulieren noch verbergen.
werden und im Gedächtnis bleiben.
                                                            Wir sind uns vielmehr bewusst, dass ein Volk nur stark
Eine Nation vermag Einheit und Wohlstand nur dann           und einig sein und eine Zukunft nur dann haben kann,
zu erreichen, wenn sie furchtlos auf ihre Ver­gangenheit    wenn es seine Vergangenheit kennt und respektiert.
blicken kann. Das macht uns stärker und einiger.            Der Erfolg der nächsten Generationen in Bulgarien
                                                            hängt davon ab, dass sie nicht dem Ober­flächlichen,
Ein deutliches Zeichen ist die Unterstützung der
                                                            dem Bequemen und dem Interessanten nachgeben,
Konrad-Adenauer-Stiftung, der Gedenkbibliothek
                                                            sondern bestrebt sind, in die Probleme der Zeit ein-
zu Ehren der Opfer des Kommunis­        mus und der
                                                            zudringen, die eigene Ver­gangenheit kennenzulernen
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
                                                            und auf diese Weise die eigene Zukunft aufzubauen.
Das sind wichtige europäische Institutionen.
Deutschland ist der Staat, von dem wir lernen können,       Ich danke den Organisatoren, danke allen, die diese
wie man konsequent und zielgerichtet im In­teresse der      Idee unterstützen. Ich bin einer von Ihnen!
kommenden Generationen, im Interesse der Zukunft,           Ich wünsche Ihnen und uns Erfolg!

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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
Die Berliner Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer
    des Kommunismus fühlt sich geehrt, die erste große
    öffentliche Dokumentation über die Verbrechen des
    bulgarischen kommunistischen Systems gegen das
    eigene Volk unterstützen zu dürfen.
    Mit ihr wird nicht nur erstmals für die Deutschen
    der Blick auf die spezifisch bulgarische Komponente
    des stalinistischen Repressionsapparates in Osteuropa
    gelenkt, sondern für jeden Interessierten in ganz
    Europa das Wissen um diesen Teil des kommunistischen
    Schreckens erweitert und damit komplettiert.
    Insofern ist sie ein politischer Akt in bester Tradition
    der Aufklärung, der informiert und warnt zugleich.
    Denn der Totalitarismus als systemische Gefahr ist
    nicht verschwunden mit dem Untergang des kommu-
    nistischen Weltsystems; er hat seine sozialpolitische
    Verführungskraft bewahrt und bedroht Europa und
    seine rechtsstaatliche wie demokratische Verfaßtheit
    nach wie vor.

                                          Ursula Popiolek
                 Vorstandvorsitzende der Gedenkbilbiothek

                                           Thomas Dahnert
                                Leiter der Gedenkbibliothek

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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
Geleitwort Dr. Anna Kaminsky zum Ausstellungs-
katalog „Bulgariens verbotene Vergangenheit“
Erinnerungen können schmerzhaft sein. Erinnerungen            Die Opfer und jene, die den Mut fanden, sich den
können heilsam sein. Erinnerungen können lückenhaft           Regimes entgegenzusetzen und dies oftmals mit langen
sein, verfälscht werden oder zu Legenden werden. Erin-        Haftstrafen oder gar ihrem Leben bezahlen mussten,
nerungen können Identität stiften oder Familien, Freunde      deren Familien in Sippenhaft genommen wurden und auf
aber auch Völker und Nationen entzweien.                      vielfältige Weise schikaniert und drangsaliert wurden,
                                                              haben ein Recht darauf, mit ihrem Schicksal gehört und
Der Umgang und die Auseinandersetzung mit den kom-
                                                              erinnert zu werden.
munistischen Diktaturen, die nach dem Zweiten Weltkrieg
über vier Jahrzehnte lang das Leben der Menschen in Mit-
                                                              Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit benötigt
tel- und Osteuropa bestimmt haben, ist bis heute vielerorts
                                                              aber auch Ermutigung und Förderung.
umstritten. Noch allzu oft wird die kommunistische
                                                              Sehr gerne hat die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
Vergangenheit unter Ausblendung der begangenen
                                                              SED-Diktatur die Ausstellung „Bulgariens verbotene Ver-
Verbrechen verklärt. Die Opfer werden vielfach an den
                                                              gangenheit“ unterstützt.
Rand gedrängt und diffamiert, die Verantwortlichen und
                                                              Sie beleuchtet nicht nur ein, in Bulgarien bis heute kaum
Täter nicht zur Rechenschaft gezogen.
                                                              thematisiertes Kapitel der jüngsten Geschichte. Auch
Eine der Leitideen des Aufarbeitungsprozesses nach 1989
                                                              für die Menschen in unserem Land, der Bundesrepublik
in Deutschland war es, über Strukturen und Methoden des
                                                              Deutschland, ist es wichtig zu erfahren, was geschehen ist.
Machterhalts in der Diktatur aufzuklären, über Repression,
                                                              So können die Methoden und Instrumente der Repression
Verfolgung und Verbrechen zu informieren, die Mechanis-
                                                              miteinander verglichen werden und das Wissen darüber,
men, um Angst und Einschüchterung zu erzeugen und so
                                                              was in Diktaturen Menschen angetan wurde, vermittelt
die Menschen zur Anpassung und zum Stillhalten zu
                                                              werden. Auch dies ist ein wichtiger Beitrag, um den
bewegen, offen zu legen.
                                                              Einsatz für unsere Demokratie zu fördern. Wir wünschen
Damit sollte auch der nostalgischen Verklärung des Lebens
                                                              der Ausstellung viele Besucherinnen und Besucher in
in der Diktatur mit ihren vermeintlichen Sicherheiten
                                                              Bulgarien wie in der Bundesrepublik Deutschland!
entgegen gewirkt werden.

Jede Gesellschaft muss ihren Weg finden, um sich der
Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten ihrer
Vergangenheit zu stellen. Die Erfahrung aus allen                                                   Dr. Anna Kaminsky
Aufarbeitungsprozessen nach Gewaltregimene zeigt,                                                     Geschäftsführerin
dass eine dauerhafte Verdrängung der begangenen                   der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Verbrechen und ein Verschweigen der Verantwort-
lichkeiten nicht möglich sind.

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Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
№1                                                        №1

       Bulgarien im Feuer
     des Zweiten Weltkrieges
Am Beginn des Zweiten Weltkrieges war Bulgarien      Die BBC berichtete in London am 2. September:
 eine parlamentarische Monarchie mit 7.000 000          „Die bulgarische Delegation zur Führung der
      Einwohnern und 111 000 km² Fläche.                Friedensverhandlungen mit den Alliierten, die mit
                                                        einem Flugzeug in Kairo eingetroffen ist, weilt noch
Am 15. September 1939 verkündete Bulgarien mit
                                                        immer in Kairo. Sie erwartet die Bedingungen eines
 einer Regierungserklärung seine Neutralität im
                                                        Friedensabkommens, die bis zur Stunde aber noch
 ausgebrochenen Konflikt.
                                                        nicht übergeben worden sind.”
Am 22. Oktober und 17. November 1940 weigerte
                                                     Am 2. September 1944 wurde unter Ministerpräsi-
 sich die bulgarische Regierung dem Vorschlag
                                                        dent Konstantin Muraviev eine neue bulgarische
 Deutschlands, dem Dreimächtepakt zwischen
                                                        Regierung gebildet. Sie setzte die Bemühungen
 dem Deutschen Reich, dem Königreich Italien
                                                        der vorherigen Regierung, den Kriegszustand mit
 und dem Kaiserreich Japan beizutreten.
                                                        Großbritannien und den USA zu beenden sowie
Am 25. November 1940 lehnte Bulgarien ein
                                                        die Friedensverhandlungen zu beschleunigen,
 weiteres Mal das Angebot der Sowjetunion ab,
                                                        unvermindert fort und verkündete mit einem
 einen „Vertrag über gegenseitige Hilfe“ abzu-
                                                        “Verordnungsgesetz” eine allgemeine Amnestie.
 schließen, in dem vorgesehen war, sowjetische
                                                        Darüber hinaus löste sie das Parlament auf
 Kriegsmarinestützpunkte       auf    bulgarischem
                                                        und proklamierte ihrerseits ebenfalls die volle
 Territorium zu errichten.
                                                        Neutralität Bulgariens.
Am 1. März 1941, kurz bevor die deutsche Wehr-
                                                     Am 5. September 1944 um 19 Uhr übergab die
 macht Truppen in Richtung Griechenland über
                                                        Sowjetunion dem bulgarischen Bevollmäch-
 bulgarisches Territorium führte, unterzeichnete
                                                        tigten Botschafter in Moskau eine Note und
 der bulgarische Ministerpräsident Bogdan Filov in
                                                        erklärte damit Bulgarien ohne jeden Grund
 Wien den Dreimächtepakt.
                                                        den Krieg. Bis zu diesem Moment unterhielten
Am 13. Dezember 1941 erklärte Bulgarien auf
                                                        beide Staaten reguläre diplomatische Beziehungen.
 der Basis seiner Mitgliedschaft im Dreimächte-
                                                        Kein einziger bulgarischer Soldat hatte bis zu
 pakt den USA und Großbritannien den Krieg.
                                                        dieser Stunde an den Kriegshandlungen gegen
 Am 28. Dezember reagierte Großbritannien
                                                        die Sowjetunion teilgenommen. Die bulgarische
 seinerseits darauf mit einer Kriegserklärung an
                                                        Armee erfüllte damals lediglich strategische
 Bulgarien, der am 3. April 1942 die Vereinigten
                                                        Aufgaben im Falle der Eröffnung neuer Kriegs-
 Staaten folgten.
                                                        handlungen in Südosteuropa. Nördlich der
Am 1. Juni 1944 trat die bulgarische Regierung zu-
                                                        Donau führte Bulgarien eine einzige Mission des
 rück. Die neue Regierung unter Ministerpräsident
                                                        Bulgarischen Roten Kreuzes aus.
 Ivan Bagrjanov unternahm unverzüglich Schritte,
 um Bulgarien aus dem Krieg mit Großbritannien
 und den USA herauszuführen, und verkündete
 am 26. August die Rückkehr Bulgariens zur vollen
 Neutralität.

                        12                                                      13
Bulgarien 1944 - 1989 Verbotene Wahrheit - Stoyan Raichevsky Fanna Kolarova - Gedenkbibliothek
№1                                                     №1

Reuter kommentierte am 5. September 1944:                  Am 8. September 1944 veröffentlichte das National-
   „Der von Russland erklärte Krieg gegen Bulgarien,        komitee der von den Kommunisten dominierten
   über den die britische Regierung im voraus infor-        Koalition „Vaterländischen Front - Otetchestven
   miert war, ist ein Akt realistischer Politik, der die    Front“ ein Flugblatt über den begonnenen
   Bulgaren zur Vernunft bringen und wahrschein-            Einmarsch der sowjetischen Armee in Bulgarien.
   lich die Unterzeichnung des Friedensabkommens            Es verkündete, dass nur die „Vaterländische Front“
   beschleunigen wird. Damit wurde dem Versuch              das Vertrauen der Anti-Hitlerkoalition habe.
   Bulgariens, der Bezahlung des schweren Preises für       Gleichzeitig beschuldigte das Nationalkomitee
   sein Bündnis mit Deutschland auszuweichen, ein           die Regierung Muraviev des „Zauderns und der
   Riegel vorgeschoben. Es muss eine neue Regierung         Doppelzüngigkeit“ in ihrem Verhältnis zur
   gebildet werden, in der wirklich die Linken ver-         Sowjetunion.
   treten sind und die zweifellos auch Kommunisten         Am 9. September 1944 um 2:15 Uhr, als sowjeti-
   in das Kabinett aufnimmt“.                               sche Streitkräfte sich bereits auf bulgarischem
   (Randel Neel, diplomatischer Korrespondent)              Territorium befanden, setzten nahestehende
Die Moskauer Zeitung “Izwestija“ schreibt                   Mitglieder der Offiziersgruppe „Zweno“ und der
   am 7. September 1944:                                    „Vaterländischen Front“ die demokratische Regie-
   „Die Regierenden Bulgariens entschieden, spielend        rung von Konstantin Muraviev ab. Sie übergaben
   mit dem Wort „Neutralität“, ihre Hilfe für Deutsch-      die Macht an die von Kommunisten kontrollierte
   land fortzusetzen und das Land so in den Abgrund         „Vaterländischen Front“.
   zu reißen.“                                             Um 6:25 Uhr verkündete Radio Sofia den Bürgern
                                                            Bulgariens, dass eine neue Regierung mit
   Кommunistische Machtergreifung mit Hilfe
                                                            Ministerpräsident Kimon Georgiev an der
              der Sowjetarmee
                                                            Spitze eingesetzt worden sei.
Am 8.September 1944 drang die Rote Armee in                 Die Kommunistische Partei, die bis zum
 Bulgarien ein und besetzte das Land. Sie blieb             Putsch nur wenige Tausend Mitglieder hatte,
 bis Dezember 1947. Die bulgarische Armee                   übte jetzt die volle Macht im Land aus, was
 wurde der sowjetischen Befehlshoheit unterstellt und       sich vor allem in der Führung des Justiz-
 von kommunistischen Politoffizieren durchsetzt.            sowie des Innenministeriums zeigte.
 Das Friedensabkommen zwischen der Regierung                Die von der sowjetischen Okkupationsmacht
 Bulgariens, der UdSSR, Großbritanniens und den             kontrollierte     Regierung     der     Putschisten
 USA wurde am 28. Oktober 1944 unterzeichnet.               charakterisierte sich propagandistisch als
 Damit wurde die Besetzung Bulgariens durch die             „volksdemokratisch“ und begann sofort, mit Hil-
 Sowjetarmee legitimiert. Vorsitzender der Alliier-         fe brutalster Mittel und Methoden ein antidemo-
 ten Kontrollkommission war Marschall Tolbuchin,            kratisches totalitäres System sowjetischer Prägung
 sein Stellvertreter Generaloberst Birjusov.                durchzusetzen.

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                                Die Konferenz von Jalta,
  Gruppenfoto nach dem Abschluss der Verhandlungen,
Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin
                      February 1945 Photo #: USA C-543
                                                             Sofia unmittelbar nach dem 9. September 1944
                                                                                    DA Archivi 69_2965_36

     Bulgarisches Rotes Kreuz, Ostfrontmission. 1941–45             Marschall Tolbuchin und Gen. Birüsov
                                       Privatarchiv St. R.                        DA Archivi 69_2965_36

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      Terror in den ersten Tagen
Gleich in den ersten Tagen nach dem Putsch vom            Die Kommunistische Partei, die über die
9. September 1944 begann die kommunistische               Ministerien des Inneren und der Justiz verfügte,
Partei, ihre Macht mit Massenverfolgungen sowie           bekämpfte gnadenlos ihre Gegner und potentiellen
zahlreichen Morden durchzusetzen. Bürger wurden           Opponenten mit Massenrepressionen, Morden,
ohne Anklage oder Gerichtsurteile, allein aufgrund        Verhaftungen, Verbannungen und anderen
von Denunziationen durch Parteiaktivisten zu              Gewalttaten. Der Terror umfasste alle Ebenen des
„Volksfeinden“ erklärt. Die Zahl der Getöteten und        ökonomischen, politischen und sozialen Lebens
Verschwundenen lag bei weit über 30 000 Menschen.         des Landes.
                                                          Die Regierung der „Vaterländischen Front“ setzte
Im Telegramm Nr. 10 des ZK vom 13. September
                                                          zugleich eine ganze Reihe repressiver Gesetze und
1944 berichtete Valko Tchervenkov, hoher Partei-
                                                          Verordnungen in Kraft.
funktionär der BKP Georgi Dimitrov, stellvertreten-
der Leiter der Abteilung Internationale Information       Am 20. Oktober 1944
beim ZK der KPdSU und ab 1946 bulgarischer Mi-            „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur
nisterpräsident in Moskau, über die Durchführung          Säuberung des Lehrer- und Lektorenpersonals in
der Massensäuberungen:                                    den Volks-, Grund- und Mittelstufenschulen, Lehrer-
„Der Faschismus ist gefallen [...] aber der Kampf ist     instituten und in den Universitäten, Hochschulen und
nicht beendet. [...]In den ersten Tagen der Revolution    Akademien“
wurden spontan die Rechnungen mit unseren bösar-
                                                           Am 2. November 1944
tigsten Feinden, die in unsere Hände fielen, beglichen.
                                                          „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Anstel-
Nun ergreifen wir Maßnahmen, um dafür die Straf-
                                                           lung, Kündigung und Zensierung der Angestellten in
verfolgungsorgane zu engagieren. Der Justizminister
                                                           der Administration des MdI und in der zeitweiligen
arbeitet daran, Volkstribunale zu errichten [...] Aus
                                                           Stadtverwaltung“
bewaffneten Gruppen von Parteimitgliedern und
Komsomolzen werden stillschweigend Stoßtrupps für          Am 6. November 1944
besonders verantwortungsvolle Aufgaben aufgebaut.“        „Erlass zur Änderung und Ergänzung der Vorschrift
                                                           zwecks Anstellung, Versetzung, Kürzung und
In einem Brief vom 17. Oktober 1944 bestätigt der
                                                           Kündigung der Lehrer in den Gymnasien“
spätere bulgarische Ministerpräsident seinerseits das
gewalttätige Vorgehen der Kommunisten:                    14. März 1945
„Die Verräter, die Provokateure, die Feinde werden        „Verordnung zur Änderung der Verordnung zwecks
gnadenlos bestraft. Dem Feind ist ein sehr starker        zeitweiliger Erleichterung der Wohnungskrise und
Schlag zugefügt. Unseren Genossen ist es aber nicht       zwecks Erhalt der gesellschaftlichen Ruhe und
gelungen, die Köpfe unserer Feinde in den ersten          Ordnung in Sofia“
Tagen abzuschlagen.
Deshalb wurde die Massensäuberung während der
letzten zwei Wochen durchgeführt.“

                           18                                                       19
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Weitere Verordnungen, Erlasse und Verfügungen             Der administrative Apparat wurde vollständig
privilegierten die Unterstützer der neuen Macht und       ausgetauscht, einschließlich des Justizsystems. Als
beschränkten die Grundrechte der Bürger:                  neue Richter und Ermittler wurden ehemalige Par-
                                                          tisanen und politische Häftlinge sowie Parteifunk-
 12. Oktober 1944
                                                          tionäre eingesetzt, die weder über die erforderliche
„Durchführungsverordnung des Gesetzes für das
                                                          Bildungsqualifikation, noch über eine spezielle
 zeitweilige Außerkraftsetzen der Bildungsqualifikation
                                                          Berufserfahrung verfügten. Das Prinzip der Unab-
 laut Gesetz für die Posten, Qualifikation, Gehälter
                                                          hängigkeit des Gerichtssystem wurde eliminiert.
 und Vergütung der Staatsangestellten“
                                                          Alle Gerichts- und Verwaltungsorgane kamen in
 24. Oktober 1945                                         die vollständige Abhängigkeit des Komitees der
„Durchführungsverordnung des Gesetzes zur Anerken-        „Vaterländischen Front“ und damit der Kommunis-
 nung der Rechte der Hochschulabsolventen bei der         tischen Partei.
 Besetzung von staatlichen und gesellschaftlichen
                                                          Die „Neue Züricher Zeitung“ schrieb am 19. 3. 1945:
 Ämter sowie der Schriftsteller und Mitglieder des
                                                          „In Bulgarien sind fast alle Elemente, die man bei
 Schriftstellerverbandes ohne Hochschulausbildung“
                                                          uns demokratisch nennt, eliminiert[...] Das Recht auf
 29. April 1945                                           Leben wird nur für vier Gruppen anerkannt, die die
„Durchführungsverordnung des Gesetzes für die             „Otetchestven Front“ bilden: Kommunisten, linke Bau-
 Unterstützung der Opfer des antifaschistischen           ern, Sozialisten und Zwenaren...“
 Kampfes und für die Freiheit des Volkes“                 („Zweno“- Offiziersgruppierung)
Am 14. Januar 1948 wurde das Gesetz über den              Die Deportation der Deutschen aus Bulgarien
Entzug der Erbrenten von Personen verabschiedet,
                                                          Laut Punkt 1b. der von Bulgarien unterzeich-
die der „faschistischen Tätigkeit“ überführt waren.
                                                          neten Friedensvereinbarung, wurde die bul-
Auf der Basis dieses Gesetzes wurde in der Zeit
                                                          garische Regierung verpflichtet alle Deutschen
zwischen dem 9. September 1944 und dem 3. März
                                                          zu deportieren. Zur Erfüllung dieser Bedingung
1945 allen „spurlos Verschwundenen“, den Verur-
                                                          internierte die Regierung eine Gruppe deutscher
teilten sogenannter „Volksgerichte“ sowie den Sub-
                                                          Bürger im dafür bestimmten Ort Pavel Banya.
summierten weiterer Kategorien sämtliche Renten
                                                          Die sowjetische Verwaltung bestand entgegen der
und Pensionen entzogen. Auf diese Weise wurden
                                                          bulgarischen Verfassung auch auf der Internierung
zahlreiche Personen, die jahrelang in Versicherungen
                                                          aller deutschstämmigen bulgarischen Bürger,
eingezahlt hatten, ihrer Existenzsicherung beraubt,
                                                          Ehefrauen und -männer von Bulgaren.
und die Rentenanstalt wurde ein Teil des repressiven
                                                          (Im Gegensatz dazu rettete Bulgarien mit dieser
Apparates.
                                                          verwandtschaftlichen Begründung 1943 seine
                                                          jüdischstämmigen Bürger vor Deportation
                                                          in die Todeslager.)

                            20                                                      21
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In einem Brief vom 28. Dezember 1944 wies Gen-           Die Antwort war kategorisch: „...der Mobilisierung
eral Birjüzow den bulgarischen Außenminister             unterstehen alle arbeitsfähigen Deutschen, unabhän-
Petko Stajnov an: „....alle arbeitsfähigen Deutschen,    gig ihrer Staatsangehörigkeit“. Die Deportationen
ob Staatsangehörige Deutschlands, Ungarns, der           Deutschstämmiger, wohnhaft in Bulgarien, ging über
Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Rumäniens oder Bul-      das als Stichtag festgelegte Datum hinaus.
gariens, die wohnhaft in Bulgarien sind, unterstehen
                                                             Deportation der russischen Weißgardisten
ab sofort der Mobilmachung und der Internierung zur
Arbeit in der UdSSR.“                                    General Birjüzow kontrollierte persönlich die
                                                         Aktion zur Ermittlung und Deportation der
Im selben Brief waren die Sammelpunkte für die
                                                         russischen Emigranten, die nach dem bolschewis-
Deutschen festgelegt sowie der Termin 1. Januar
                                                         tischen Putsch 1917 in Russland als Weißgardisten
1945, an dem sie nach Russland verschickt werden
                                                         Zuflucht in Bulgarien gefunden hatten.
sollten. Jeder, der sich nicht am festgelegten Sam-
                                                         Mit dieser Aufgabe war der sowjetische militärische
melpunkt einfand, wurde gerichtlich verfolgt. Die
                                                         Aufklärungsdienst „Smerch“ beauftragt.
Gerichtsprozesse wurden in schneller Prozedur
                                                         Die Staatssicherheit Bulgariens gab den sowjetischen
innerhalb von 24 Stunden durchgeführt.
                                                         Diensten und deren Armee die volle Unterstützung
Gegen Verwandte und nahe Angehörige, die
                                                         zur Ermittlung einer großen Zahl ehemaliger Weiß-
versuchten, jemanden zu verstecken, wurden repressive
                                                         gardisten in Bulgarien.
Maßnahmen         angewandt.      General    Birjüzow
verlangte von der bulgarischen Regierung eine Sonder-    Deportation der taurischen Bulgaren
verordnung, welche die Militär- und Zivilverwaltung
                                                         Zwischen 1943 und 1944 waren einige tausend Bul-
verpflichtete, das Erfassen aller Deutschstämmigen
                                                         garen aus Taurien auf dem Territorium der Sowje-
auf bulgarischem Territorium und deren Transport
                                                         tunion (heute Ukraine) als bulgarische Minderheit
bis an die russische Grenze zu garantieren.
                                                         Repressionen ausgesetzt. Begründet wurde dies
Er verlangte sogar persönlich eine Kopie dieses
                                                         damit, dass sie als Bulgaren Verbündete Deutschlands
Regierungsbeschlusses.
                                                         im Krieg waren.
Unter dem Druck des Befehlshabers der sowjetischen
                                                         Sie schafften es mit ungeheuren Leiden und Opfern,
Streitkräfte in Bulgarien beschloss der Ministerrat
                                                         in ihre alte Heimat zurückzusiedeln. Doch sofort
eine Eilverordnung: Alle im Land lebenden arbe-
                                                         nach dem Einmarsch des sowjetischen Heeres in
itsfähigen deutschen Staatsangehörigen im Alter
                                                         Bulgarien 1944 wurden mit dem Befehl Stalins alle
zwischen 17 und 45 Jahren (Männer) sowie alle
                                                         taurischen Bulgaren zurück in die UdSSR deportiert
Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren sollten sich am
                                                         und als Feinde der Sowjetunion behandelt.
7. Januar 1945 am Sammelpunkt Russe einfinden.
Alle dort versammelten Deutschen mussten in Rich-
tung Russland in Bewegung gesetzt werden, von
wo aus sie am 10. Januar 1945 weiter transportiert
wurden.
Die bulgarische Seite fragte an, wie man in Fällen von
Ehepartnern usw. handeln sollte.

                          22                                                      23
№2                                                               №2

Zitat „Demokratzia“5.9.1994, Mirtcho Spasov, Mitglied ZK: „Die
Partei zögerte mit dem Volksgericht, um die Säuberung
der Feinde zu schaffen, mit dem Gericht könnten sie sich
(vielleicht) herauswinden. Ha-ha! Ich hielt Verbindung mit          „Dem neuen Parteimitglied wird erklärt, dass er ab jetzt
Genosse Zhivkov (Todor). Er war in NOVA(Aufständische             nicht mehr sich selbst und seiner Familie gehört, er gehört
Volksbefreiungsarmee), im Keller der „Slavjanska beseda“.            der Partei und seine Pflicht ist sein Leben zu opfern um
Wenn ich dorf eintraff, alle mieden mich, wussten womit ich                die von ihr gestellten Aufgaben durchzusetzen...“
                                                                                                                Privatarchiv St. R.
beschäftigt war. Meine Arbeit war schwer, aber wer sollte
sie erledigen, sie wollten sich nicht schmutzig machen... Wir
führten sie im Keller der Direktion ein, spät in der Nacht
holten wir sie raus, luden sie auf LKW „Opel Blitz“- und
(fuhren) in Richtung Radomir. Jeden Tag gegen 10 kam ich in
„Slavjanska beseda“... So verbrachten wir drei Monate, jede
Nacht fünf Lastwagen.“
(Auf diese Weise wurde das Schicksal der bulgarischen Elite in
den letzten Monaten der 1944 besiegelt.) DAArchivi

                                                                  Stalin-Karikatur von Rajko Alexiev, der Grund seiner Hinrichtung

                                24                                                               25
№3                                                               №3

               „Volksgericht“
Am 24. September 1944 befürworteten sowohl              Allein in der Nacht des 1. Februar 1945 und am Tag
das Politbüro der Bulgarische Kommunistischen           nach der ersten Urteilsverkündung wurden 3 Regen-
Partei als auch der Ministerrat (am 30. Septem-         ten, 33 Minister, 67 Volksvertreter, 47 Offiziere und
ber desselben Jahres) die „Durchführungsverord-         weitere hingerichtet.
nung des Gesetzes für das Volksgericht“. Unter             Nach Angaben, die der Hauptvolksankläger dem ZK
dem Vorwand, dass vor diesem Gericht die Schul-             der Bulgarische Kommunistischen Partei am 3. Juli
digen für das Hineinziehen Bulgariens in den
                                                           1945 vorlegte, sind im ganzen Land vom so genannten
Zweiten Weltkrieg an der Seite des Deutschen Rei-
                                                             „Volksgericht“ 132 Massenprozesse durchgeführt
ches mit dem Kaiserreich Japan und dem Königreich
                                                                  und folgende Urteile verhängt worden:
Italien durch Beitritt zum Dreimächtepakt bestraft
würden, begannen Massenverfolgungen gegen               Angeklagte                             11 122
Politiker, Armeeangehörige, Intellektuelle, Wis-
                                                        Todesurteile                           2816 (vollstreckt 2700)
senschaftler, Schriftsteller, Journalisten und andere
mit dem Ziel, die bürgerliche Elite der Nation zu       Lebenslängliche Urteile                1233
vernichten.                                             20 Jahre strenge Zuchthausstrafe       11
Alle, die Widerstand gegen die verhängte Sowjetisie-    15 Jahre strenge Zuchthausstrafe       964
rung Bulgariens durch die Kommunistische Partei         12 Jahre strenge Zuchthausstrafe       41
hätten organisieren können, wurden verhaftet
und vor das so genannte „Volksgericht“ gestellt.        10 Jahre strenge Zuchthausstrafe       687
Dieses Sondergericht wurde in grober Verletzung der     8-7-6 Jahre strenge Zuchthausstrafe    197
damals geltenden bulgarischen Verfassung ge-
                                                        5 Jahre strenge Zuchthausstrafe        1006
schaffen und verstieß gegen die darin nieder-
gelegten Grundprinzipien der Rechtsprechung.            3 Jahre strenge Zuchthausstrafe        379
Als „Volksankläger“ wurden Parteiaktivisten             2 Jahre strenge Zuchthausstrafe        318
eingesetzt, die nicht annähernd die notwendige
                                                        1 Jahr strenge Zuchthausstrafe         724
juristische Qualifikation besaßen. In ihren
Händen lagen sowohl die Voruntersuchungen, die          1 Jahr auf Bewährung                   668
Gerichtsuntersuchungen, als auch die Anklagen.          Freispruch                             1485
Die zu unrecht Beschuldigten waren praktisch vor-
verurteilt, ohne jede Möglichkeit ihre Unschuld zu      Unterbrochene und eingestellte
                                                                                               386
                                                        Untersuchungen
beweisen. Die Urteile waren endgültig und konnten
nicht angefochten werden.
                                                        Zum Vergleich:
Das „Volksgericht“ konfiszierte den Besitz              Vom bulgarischen „Volksgericht“ zum Tode verurteilte und
aller Verurteilten. Ihre Familienangehörigen, sowie     exekutierte hohe Mitglieder der alten Staatsführung: 150;
nahe Verwandte wurden als Verwandte von                 vom Internationalen Tribunal in Nürnberg: 11;
„Volksfeinden“ lebenslangen Verfolgungen ausgesetzt.    vom Internationalen Tribunal im Fernen Osten (Japan): 7

                          26                                                              27
№3

                       „Volksankläger“             Prof. Alexander Stanischev-
                        Staatsbibliothek             International anerkannter
                 „Sw.sw. Kiril u. Metodij           Mediziner, zum Tod verur-
                                                    teilt, erschossen als letzter,
                                                  gezwungen, als Arzt den Tod
                                                    aller vor ihm Erschossenen
                                                                   festzustellen.
                                                                 Staatsbibliothek
                                                        „Sw.sw. Kiril u. Metodij“

                                                            Dimitar Peschev,
                                              Stellvertretender Vorsitzender
                                                     der Volksversammlung;
                                              ihm wird der größte Verdienst
                                                   für die Rettung der 40 000
                                                      bulgarischen Juden vor
                                                Deportation zugeschrieben.
                                               Vom „Volksgericht“ wurde er
                                                       des „Antisemitismus“
                                                                 beschuldigt.
                                                              Staatsbibliothek
                                                      „Sw.sw. Kiril u. Metodij“

Die angeklagten Regierungsmitglieder,                         Trifon Kunev,
            Regenten und hohe Offiziere             Schriftsteller, angeklagt
Staatsbibliothek „Sw.sw. Kiril u. Metodij“          wegen den Satirebandes
                                              „Kleine, Winzige wie Kamele“
                                                             Staatsbibliothek
                                                    „Sw.sw. Kiril u. Metodij“

        28                                   29
№4                                                    №4

            Beseitigung der
          Oppositionsparteien
Das Formieren der parlamentarischen Opposition           Anfang Juni 1946 besuchte die Führung der
begann schon Anfang November 1944 mit den                Bulgarische Kommunistische Partei Moskau und
ersten Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten           bekam Instruktionen für einen harten Kurs zur
zwischen der Bulgarischen Kommunistischen Partei         Sowjetisierung Bulgariens sowie zur Ausschal-
und den Vertretern der anderen Parteien, die an der      tung der Opposition. Der erste Schlag wurde gegen
Regierung der „Vaterländischen Front“ beteiligt waren.   den Spitzenpolitiker der Sozialdemokratischen
                                                         Partei, Krastju Pastuhov, geführt. Er wurde am
Auf Verlangen der nichtkommunistischen Parteien
                                                         26.Juni 1946 festgenommen, zu 5 Jahren Haft ver-
in der Regierung und mit Beschluss der Alliierten
                                                         urteilt und im Gefängnis erwürgt. Verhaftet wurde
Kontrollkommission wurden die für den 26. August
                                                         auch der Chefredakteur der sozialdemokratischen
1945 ausgeschriebenen Wahlen für die Volksver-
                                                         Zeitung „Swoboden narod“ Tzvetan Ivanov.
sammlung aufgeschoben. Das war der erste Erfolg der
Opposition gegen das Diktat der BKP.                     Am 27. Oktober 1946 wurden die Wahlen für die
                                                         Volksversammlung durchgeführt. Trotz Terror,
    Politische Parteien der legalen Opposition:
                                                         Verhaftungen von Parteifunktionären der Opposi-
                Bauernpartei (BZNS)                      tion und massiver Wahlfälschungen bekam die Op-
             Vorsitzender Nikola Petkov,                 position 101 Plätze in der Volksversammlung von
      Presseorgan „Narodno zemedelsko zname“             insgesamt 465 und bildete zwei parlamentarische
              Sozialdemokraten (BRSDP)                   Oppositionsgruppen:
             Vorsitzender Kosta Lultchev,                Die Gruppe der Bauernpartei mit Nikola Petkov und
            Presseorgan „Swoboden narod”                 die Gruppe der Sozialdemokraten.

                 Demokratische Partei                    Nachdem am 10. Februar 1947 in Paris der Friedens-
  Vorsitzende Nikola Muschanov / Alexander Girginov,     vertrag mit Bulgarien unterschrieben worden
                 Presseorgan „Zname”                     war, begann die BKP unverhüllt Verfolgung und
                                                         Repressionen gegen alle führenden oppositionel-
                   Radikale Partei
                                                         len Politiker. Am 5. Juli 1947 wurde die parlamen-
  Oppositionelle Gruppe unabhängiger Intellektueller
           Vorsitzender Prof. Petko Stajnov              tarische Immunität des Vorsitzenden der vereinigten
                                                         Opposition, Nikola Petkov, aufgehoben. Er wurde
                                                         zum Tode verurteilt und im Sofioter Zentralgefäng-
                                                         nis hingerichtet.

                           30                                                     31
№4                                                      №4

In einer Erklärung des Präsidenten der Vereinigten      Nach der brutalen Abrechnung mit den Führern
Staaten, Harry S. Truman, vom 16. September 1952        und Aktivisten der demokratischen und nichtkom-
anlässlich des fünften Jahrestages der Exekution        munistischen Parteien, die Opposition geleistet
von Nikola Petkov heißt es: „Das amerikanische Volk     hatten, richtete die kommunistische Regierung
wie auch die anderen Völker der freien Welt wird den    ihre Anstrengungen auf die Vernichtung des bul-
Gerichtsmord an Nikola Petkov im Jahr 1947 nicht        garischen Offizierskorps sowie auf die Zerschla-
vergessen, wie auch seinen mutigen Kampf gegen          gung aller patriotisch gesinnten Vereinigungen.
die Kräfte des kommunistischen Totalitarismus in
                                                        In den Monaten Juli und August 1945 bereitete die
Bulgarien nicht. Durch seinen Tod ist der Welt der
                                                        Staatssicherheit eine Reihe inszenierter Gerichts-
Sinn seines Kampfes gegen die Tyrannei viel klarer
                                                        prozesse gegen die sogenannten „Legionäre“ vor, die
geworden...“
                                                        sie als gefährlichste Gegner der kommunistischen
Nach amtlichen Angaben der Staatssicherheit vom         Macht einschätzte. Von insgesamt 68 Angeklagten
September 1947 wurden alle aktiven Mitglieder           wurde über 13 die Todesstrafe verhängt, die anderen
der Oppositionsparteien unter Agentenbeobach-           erhielten viele Jahre schwere Kerkerhaft.
tung gestellt. Im Oktober 1947 wurden Parteiführer
                                                        „Embros“, Athen, 25 November 1945:
der bürgerlichen Opposition wie Nikola Musch-
                                                        „Maritza wirft Leichen von Bulgaren an ihre Ufer.
anov, Stoitcho Muschanov, Alexander Girginov,
                                                        Es wird vermutet, dass diese aus Bulgarien ange-
Prof. Venelin Ganev, Atanas Burov, Petko Stajnov,
                                                        schwemmten mehrere Duzend Leichen bulgarische
Christo Manafov, Slavi Tchorbadzhigoschev, Stefan
                                                        ‚Reaktionäre’ sind, die ein paar Tage vor den Wahlen
Gubidelnikov, Boris Pantchev, Dimitar Varbanov,
                                                        erschlagen wurden, um die Bevölkerung ein-
Georgi Panajotov und andere zwangsausgesiedelt.
                                                        zuschüchtern und für die kommunistische Front zu
Zugleich wurden sie vom Staatssicherheitsdienst in
                                                        stimmen.“
„Operativen Vorgängen“ erfaßt. Im selben Jahr 1947
wurden 721 Mitglieder der Oppositionsparteien in        „Estija“, Athen, 19. Februar 1946:
Konzentrationslager geschickt.                          „Am Vorabend der Wahlen schwemmten die trüben
                                                        Wellen der Maritza unzählige Leichen ans Ufer der
Am 14. November 1947 begann die Gerichts-
                                                        Ägäis an. Diese wurden von vielen Griechen und eng-
verhandlung gegen den Schriftsteller Trifon Kunev.
                                                        lischen Amtspersonen gesehen. Die entsprechenden
Er wurde wegen der Herausgabe eines Bandes mit
                                                        Berichte, die diesen Fakt belegen, befinden sich noch
Satiren gegen das Regimes angeklagt, in dem es heißt:
                                                        in den Archiven.“
„Ich habe mich entschlossen, ein dauerhaftes
Dokument über die Widerstandsbewegung des
bulgarischen Volkes zu hinterlassen...
Die Widerstandskraft der Bulgaren gegen die ihre
Menschenwürde beleidigende Versklavung ist riesig...“

                          32                                                      33
№4                                                        №4

                Zur Sowjetisierung
                                                          „Wima“, Athen, 8. April 1947
Am 4. Dezember 1947 stimmte die Volksver-                 „Die Buchhandlungen sind überfüllt und bieten nur
sammlung mit der absoluten Mehrheit der Bul-              russische Ausgaben über Lenin, Stalin, Marx und die
garischen Kommunistischen Partei der neuen                Sowjetunion an. Die Portraits Stalins und Molotovs
„Verfassung der Volksrepublik Bulgariens“ zu. Damit       hängen überall, daneben die von Dimitroff ... In irgen-
änderte sie die Form der Staatsführung radikal, in        deinem Saal üben Jugendliche aus irgendeiner Organi-
dem sie das Prinzip der Gewaltenteilung austauschte       sation die sowjetische Staatshymne ein, die jetzt die
gegen das einer totalitären Einheit von Staatsmacht       zweite Nationalhymne der Bulgaren ist.“
und Bulgarischer Kommunistischer Partei.
                                                          Aus dem Bericht des Bevollmächtigten Botschafters
„Gaset de Lozan“, Losan, 27. Dezember 1947:               Großbritanniens in Sofia, Antony Lambert, vom
„Die Verfassung ist fast eine Kopie der stalinistischen   2. Januar 1959:
Verfassung... Manche Verordnungen öffnen den Weg          „Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass
für Eigenmächtigkeiten und missachten die Rechte          über jeden Bulgaren, einschließlich der Mehrheit der
und Freiheiten der Menschen entgegen den Vereinba-        Führung, der Schatten der Angst und die Moskauer
rungen in den Friedensverträgen.“                         Hand des Todes hängen.“
Die BKP benutzte das Justizsystem zur Durchset-           Unterwürfigkeit und Nachahmung des sowjetisch-
zung ihrer Diktatur und fixierte eine repressive          en Modells in der zentralen Leitung der BKP dau-
Gesetzgebung, die rücksichtslos gegen politische          erten auch nach ihrer offiziellen Distanzierung vom
Gegner und Opponenten angewendet wurde. Es                Personenkult um Stalin an. Sie reichten sogar so
begannen politische Gerichtsprozesse, die mit             weit, dass vor dem Plenum des ZK der BKP im Juli
Todesstrafen, unterschiedlich langen Haftstrafen,         1963 der Erste Sekretär der BKP, Todor Zhiwkow, die
Straflagerurteilen, Zwangsaussiedlungen und an-           Frage nach einem „politischen Zusammenschluss“
deren Repressalien endeten.                               Bulgariens mit der Sowjetunion stellte, die er im
Sie erklärte das „Volkseigentum“ zur ökono-               Oktober desselben Jahres auch dem sowjetischen
mischen Basis der Gesellschaft und begann in der          Parteichef Nikita Chrustchov als offiziellen Beschluss
Folge mit der völligen Liquidierung des Privateigen-      der bulgarischen Parteiführung antrug.
tums in Industrie und Gewerbe wie der privaten            Alle 167 Mitglieder des ZK der BKP hatten diesem
Landwirtschaft.                                           Beschluss zugestimmt.
In Verwaltung, Armee, Wirtschaft, Bildung sowie
im kulturellen und Geistesleben wurde überall
das Sowjetmodell durchgesetzt. Die Sowjetunion
wurde für alle Autoren und Künstler thematisch
wie politisch Vorbild und Pflicht.

                           34                                                        35
№4                                                          №4

                                                                              Agitation und Propaganda, Privat Archiv

                            Karrikatur, Tageszeitung 1945
„Freies, demokratisches und mächtiges Bulgarien“ Foto F.K.

                               „Einflusssphären“, Foto F.K.   “Amerika wird die Wahlen nicht anerkennen...“, Foto F.K.

                          36                                                           37
№5                                                   №5

Zwangskollektivierung der Land-
          wirtschaft                                          Mit der seit 1944 begonnenen Kollektivierung der
    Enteignung des Bodens                                     Landwirtschaft zielte die kommunistische Macht da-
                                                              rauf ab, dem Privateigentum an Grund und Boden in
          der Bauern                                          Bulgarien ein Ende zu bereiten.
                                                              Im April 1945 nahm die neue Staatsmacht die
Im Unterschied zu anderen Ländern in Ost- und                 „Durchführungsverordnung des Gesetzes zur
Mitteleuropa, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins              Bildung von Landwirtschaftlichen Produktions-
sowjetische Einflussgebiet gerieten, bestand die              genossenschaften“ an und begann mit brutalsten
Landbevölkerung Bulgariens bis 1944 hauptsäch-                Methoden, zu denen physische wie psychische Schi-
lich aus mittleren und kleinen Landbesitzern mit              kanen gehörten, die vollständige Zwangskollekti-
eigenem Boden. Im Jahr 1946 besaßen 57,9% der                 vierung durchzusetzen.
Bauern zwischen 0,5 und 2 ha eigenen Boden und                Den Bauern wurde der gesamte Grund und
nur 3,9% - zwischen 2 und 5 ha.                               Boden genommen, das landwirtschaftliche Inventar
                                                              (Pflüge, Büffelkarren und Kutschen), die Landwirt-
                                                              schaftsmaschinen (Traktoren, Dresch- und Mäh-
                                                              maschinen) sowie alle Arbeits- (Büffel, Pferde) und
   Charakteristik der Landwirtschaft Bulgariens in den        Nutztiere (Kühe und Schafe).
            1930er in Bezug auf Landbesitz:                   Das Plenum des Zentralkomitees der BKP vom
                                                              12. und 13. Juli 1948 bestätigte das sowjetische
        Größe             In % zu allen     Charakter des     Modell der wirtschaftlichen Entwicklung Bulgariens
(Fläche des Landwirt-   Landwirtschafts-      Landwirt-       und rief zum verstärkten Kampf gegen die
   schaftsbetriebes)        betrieben      schaftsbetriebes
                                                              “Kulaken” sowie zum verschärften Klassenkampf
     Bis 0,1 ha             11.78 %          Sehr klein       im Dorf auf.
                                                              Der Höhepunkt des Kampfes der neuen Staats-
     0,1-0,2 ha             12.31 %          Sehr klein
                                                              macht gegen das Privateigentum in der bulgari-
     0,2-0,5 ha             32.86 %             Klein         schen Landwirtschaft und somit gegen die Bauern
     0,5-1,0 ha             28.13 %            Mittel         lag in den Jahren 1950 - 1954.

       1-3 ha               14.30 %             Groß          Im Jahresbericht der Regierung für das Jahr 1958
                                                              wird festgehalten, dass bereits 92% des Nutzbodens
   mehr als 3 ha            0.67 %              Groß
                                                              in den Besitz der TKZS (Landwirtschaftlichen Pro-
                                                              duktionsgenossenschaften) übergegangen sind, was
                                                              93% aller Haushalte im Land betrifft.

                            38                                                         39
№5                                                         №5

 „Jablanischer Dorfgemeinderat
 Befehl Nr.102 Jablanitza, 27.November 1950
                                                         Gegen Ende der 50er gab es in der Landwirtschaft des
 Auf Grund des Beschlusses der BKP im Dorf
                                                         „sozialistischen“ Bulgariens - einem Land mit tradi-
 Jablanitza-Teteven, 27. November 1950, werden fol-
                                                         tionell starker Landwirtschaft und bis zum Zweiten
 gende Personen zu Kulaken und Volksfeinden erklärt:
                                                         Weltkrieg überwiegend bäuerlicher Bevölkerung -
 1. Dimitar Mikov Markov und seine Söhne                 keine privaten Landwirte mehr.
    2. Dako Nejkov Jakimov                               Dieser Eliminierungsprozess hatte in den folgenden
    ...                                                  Jahren schwerste demografische, wirtschaftliche und
    10. Dako Vutkov und seine Söhne.                     soziale Schäden zur Folge.
 Die oben Genannten dürfen keine Dienste des Dorf-
 gemeinderates und der anderen staatlichen Ein-
 richtungen in unserem Ort nutzen. In Zukunft darf
 keiner von ihnen in Geschäften, Restaurants und
 Konditoreien etwas verkaufen, außer Salz. Die Ver-      Anzahl der TKZS und der Mitgliedshaushalte, 1944 – 1957
 letzter derselbigen werden strengstens bestraft.
 Abschrift dieses Befehls soll an sichtbaren Stellen         Jahr      Anzahl der TKZS     Anzahl der Haushalte
 angeklebt werden und allen Verwaltungen, in den
                                                            1944             17                    649
 Geschäften, Restaurants, Konditoreien und ande-
 ren Einrichtungen zur Ausführung ausgehändigt              1945             382                 34 000
 werden.                                                    1946             480                 41 000
 Vorsitzender (Unterschrift) Ivan Tzanov Ivanov“            1947             549                 46 000

Der bulgarische Bauer, der durch die Jahrhunder-            1948            1100                 124 000
te immer Landbesitzer gewesen war und über eine             1949            1601                 156 000
große Zahl eigener Arbeits- und Haustiere verfügte,
                                                            1950            2501                 502 000
wurde auf einmal zum besitzlosen Landarbeiter in
einer von Parteiaktivisten der örtlichen Parteiorgani-      1951            2739                 582 000
sation verwalteten Kolchose.                                1952            2747                 553 000
In den 20er Jahren hatte bereits in der bulgari-            1953            2744                 569 000
schen Landwirtschaft die kooperative Bodenbewirt-
                                                            1954            2723                 569 000
schaftung begonnen. Im Jahr 1935 gab es bereits
1239 Kooperativen, die jedoch das kommunisti-               1955            2735                 591 000
sche Regime gleich nach dem 9. September 1944               1956            3100                 911 000
auflöste, um das Modell der Kolchosen in der
                                                            1957            3202                1 017 000
bulgarischen Landwirtschaft, die TKZS (ähnlich der
LPG in der DDR), total durchzusetzen.                       1959            3972                1 290 000

                          40                                                        41
№5                                          №5

                                                              Sozialistischer Realismus,
                                                Partei und Staatsführer V. Tchervenkov,
                                                                            Privat Archiv

Verlassene Dörfer in Bulgarien, Privat Archiv

             42                                         43
№6                                                     №6

 Beschlagnahmung des privaten
  Eigentums der Industrie, des
  Bankwesens und des Handels
                                                          Nachdem die Kommunisten ab Ende 1947 in Bulga-
                                                          rien eine Einparteienherrschaft nach sowjetischem
Im Frühjahr 1946 inszenierte die kommunistische           Vorbild geschaffen hatten, konnten sie sich ganz
Partei eine breit angelegte Kampagne zur Durch-           ihrem Vorhaben widmen, das Privateigentum auch
setzung der „Diktatur des Proletariats“ und zur Ab-       in der Industrie zu vernichten.
schaffung des privaten Eigentums auch in der In-          Am 18. Dezember 1947 nahm das Politbüro des ZK
dustrie, in Handwerksbetrieben sowie im Handel.           der BKP den Gesetzesentwurf für die Enteignung
Zeitgleich mit der Durchführung einer Reihe poli-         der Privat-, Industrie- und Bergbaubetriebe an,
tischer Strafverfahren wurde am 8. September 1946         über den die Große Volksversammlung am 23. De-
ein Gesetz zur Konfiszierung von Besitz veröffent-        zember abstimmte.
licht, der, wie es darin hieß, durch “Spekulation und
                                                          Die Verordnung dieses Gesetzes betraf und enteig-
auf ungesetzliche Weise erworben wurde”.
                                                          nete u.a. das Privateigentum der metallverarbeiten-
Paragraf 1 dieses Gesetzes lautete, dass aller nach
                                                          den und der Bergbaubetriebe, der Textilindustrie,
1935 erworbener und von dieser Bestimmung be-
                                                          der Bierbrauereien, der Bau- und Chemieindustrie,
troffener beweglicher und unbeweglicher Besitz,
                                                          der Butterherstellung. Betroffen vom selben Gesetz
Geld, Aktien usw. zu Gunsten des Staates konfisziert
                                                          waren auch die Geldmittel der Betriebe sowie deren
werde. Unter „Spekulation“ wurde in diesem Gesetz
                                                          Bankkonten und andere Wertgegenstände.
jede freie Wirtschafts-, Handels- und Finanztätigkeit
verstanden.                                               Die Durchführung der Enteignung wurde geheim
                                                          vorbereitet. Die Kommunistische Partei begann mit
Аlexander Girginov, einer der Führer der opposi-
                                                          dem Besetzen der Betriebe schon am 22. Dezember
tionellen Demokratischen Partei: „Das Gesetz be-
                                                          1947, noch bevor die Volksversammlung das Gesetz
zweckt die Expropriation des Besitzes, der Fabriken,
                                                          verabschiedet hatte.
der Betriebe und damit verbundenen Produktionsmit-
tel, welche sich im Besitz von Personen befinden, die     Die Prozedur war einfach: Der Eigentümer des Be-
der Regierung nicht genehm sind und wirtschaftlich        triebes übergab die Kassenschlüsse und den Schlüs-
und materiell vernichtet werden müssen“                   sel seines Büros an die unangekündigt und plötzlich
Georgi Dimitrof, Ministerpräsident:                       bei ihm erschienene Kommission. Er unterzeichne-
„Die Nationalisierung war einer der wichtigsten Schrit-   te ein förmlich verfasstes Protokoll, das er den Be-
te der volksdemokratischen Macht zur Umwandlung           trieb der Volksmacht überlässt. Beim Verlassen des
des kapitalistischen Eigentums ins sozialistische.“       Betriebes durfte er nur seinen Mantel mitnehmen.

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Nach diesem Akt verkündete die Fabriksirene,           Die meisten von ihnen wurden aus der Provinz
dass der Partei- und Regierungswille erfüllt wurde.    rekrutiert. Genau das gleiche geschah mit den
Die Eigentümer wurden auch von allen Posten            Wohnungen der Hingerichteten, der Zwangsum-
und Stellungen als Experten und Fachleute in den       gesiedelten oder in Konzentrationslagern Inter-
Industrie- und Handelsbetrieben sowie den              nierten. Mit dem Gesetz über das unbewegliche
Banken entlassen.                                      Stadteigentum (Immobilien im weitesten Sinne)
Enteignet wurden aber nicht nur deren Kapital-         enteignete die kommunistische Macht vollständig
anlagen und das Grundkapital, sondern auch der         oder teilweise Häuser, Villen, Büros auch anderer
größere Teil ihrer privaten Immobilien, Bank-          wohlhabender Eigentümer, die zu Gegnern der
konten, Wohnungen, ihre Wertgegenstände, Autos         neuen Macht erklärt wurden.
usw. Am 25. Dezember 1947 wurde das Gesetz zur
Einführung des Staatsmonopols auf das Banken-
wesen erlassen, und kraft dieses Gesetzes wurden
31 bulgarische und ausländische Banken enteignet.
Nach der Enteignung wurde in Bulgarien anstelle der
abgeschafften Marktwirtschaft eine bürokratische
Ökonomie ohne Unternehmeranreiz errichtet, die
in die Hände der Funktionäre der Kommunistischen
Partei gelegt wurde. Sie erfasste das gesamte Spekt-
rum des Wirtschaftslebens.
In Bulgarien blieb davon kein einziges Privat-
unternehmen, kein privater Handwerksbetrieb,
einschließlich Dienstleistungs- und Kleinhandels-
unternehmen unberührt.
Die Expropriation betraf auch die Privatwohnun-
gen einer bestimmten Kategorie von Bürgern. Im
Jahr 1948 fingen die Wohnungskommissionen bei
den Stadträten damit an, die Privatwohnungen in
der Hauptstadt und in den anderen großen Städ-
ten Bulgariens zu „verdichten“ und dort Funkti-
onäre der kommunistische Partei und von ihr be-
rufene Beamte und Angestellte einzuquartieren.

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          „Die Expropriation weitet sich aus“, Privatarchiv

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        Verfolgung der Kirche
„Die Religion ist das Opium des Volkes“- dieser Aus-   Ab 25. Februar bis 9. März 1949 wurde der Gerichts-
 spruch von Marx ist der Eckpfeiler der ganzen Welt-   prozess gegen 15 protestantische Pastoren durchge-
 anschauung des Marxismus in der Religionsfrage.       führt, vier von ihnen wurden zu lebenslangen Haft-
                                                       strafen verurteilt.
Ein erschreckendes Beispiel für das grundsätzlich
terroristische Verhältnis der Kommunistischen          Am 11. November 1952 um 23:30 Uhr wurden im
Partei zu Kirche und Religion war die Sprengung        Zentralen Sofioter Gefängnis vier zum Tode
der Kathedrale „Hl. Nedelja“ am 16.April 1925          verurteilte Priester der Katholischen Kirche - drei
in Sofia, unter deren Ruinen 213 Gläubige              des Ordens der Mariä Himmelfarht (die Pater
‒ Männer, Frauen und Kinder ‒ starben und über         Kamen Vitchev, Pavel Djidjov, Josafat Schischkov)
500 verwundet wurden.                                  sowie Monsignore Evgenij Bosilkov - exekutiert.
Unter den Tausenden Ermordeten ohne Un-                Noch im Jahr 1984 wurde mit Beschluss des Polit-
tersuchung und Gerichtsurteil in den ersten            büros der Bulgarischen Kommunistischen Partei
Tagen nach der Machtergreifung der Kommunis-           eine Kampagne zur Zwangsumbenennung aller
ten am 9. September 1944 gab es auch eine große        bulgarischen Moslems durchgeführt.
Zahl von Priestern, deren einzige „Schuld“ darin
bestand, dass sie der Kirche dienten und christliche   Gleichzeitig mit den gesetzlichen und administ-
Moral und Ethik verkündeten.                           rativen Einschränkungen wurde auch der Druck
Inzwischen sind schon die Namen von über               seitens der geheimen Dienste verstärkt. Er äußerte
einhundert ermordeten orthodoxen Priestern sowie       sich in der vermehrten Anwerbung von Spitzeln un-
des Rabbiners Issak B. Levi, des moslemischen Geist-   ter den Geistlichen.
lichen Mehmed Raschidov, des armenisch‒gregoria-       Die bulgarische orthodoxe Kirche sowie die katho-
nischen Priesters Garabed S. Karadzhan, des protes-    lische und protestantische wurden zum gesonderten
tantischen Pfarrers Stefan Todorov ermittelt worden.   Spezialobjekt für Operationen der Abteilung „Geist-
Am 16. Februar 1949 wurde „Das Gesetz zur Religi-      lichkeit und Sekten“ der I. Hauptabteilung der Staats-
onsausübung“ veröffentlicht. Es wiederholte nichts     sicherheit. Deren Aufgabe war der „Kampf gegen die
anderes als den Inhalt und Ungeist des entsprechen-    Konterrevolution“.
den sowjetischen Gesetzes. Mit ihm wurde die völ-      1949 gab es in dieser Abteilung insgesamt 20 aktive
lige Kontrolle über die religiösen Institutionen und   Bearbeitungsfälle, 24 vorläufige Untersuchungen und
Kirchen des Landes eingeführt. Gottesdienste au-       240 Fälle zur operativen Beobachtung, die von 339
ßerhalb der Kirchen wurden verboten, kirchlicher       Agenten bearbeitet wurden. Im Jahr 1981 bearbeite-
Besitz wurde konfisziert, das religiöse Leben stark    ten von insgesamt 5000 Agenten der Hauptabteilung
eingeschränkt. Wegen Anwesenheit in einer Kirche       VI der Staatssicherheit 278 die bulgarische orthodoxe
während des Gottesdienstes oder nur für das Betre-     Kirche, die katholische Kirche und die protestantische.
ten eines Gotteshauses wurden Schüler und Studen-      1989 - gegen Ende des kommunistischen Regimes in
ten aus Schulen und Universitäten ausgeschlossen,      Bulgarien - verdoppelte sich die Zahl noch einmal.
Angestellte und Beamte bestraft oder entlassen.

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                 Zwangsaussiedlung
Als Straf- und Vorbeugungsmaßnahme gegen die                   Streng-vertraulicher Befehl des Ministers für Innere
Regimegegner und ihre Verwandten, gegen Bür-                   Angelegenheiten G. Tzankov, Sofia, März 1953:
ger, die die Maßnahmen und Methoden der neuen                 „Mit dem Ziel der Säuberung von Großstädten und
Macht nicht billigten oder wegen angeblicher                   der Grenzgebiete von feindlichen Elementen und zum
Kritik daran denunziert wurden, waren tausende                 Abbruch der Verbindungen zwischen Heimatverrätern
Familien unter Zwang aus der Hauptstadt, den grö-              mit ihren Familien in diesen Rayons befehle ich: Streng
ßeren Städten und dem Grenzgebiet ausgesiedelt.                geheim soll die Zwangsaussiedlung der Familien der
Sie wurden in abgelegenen Dörfern und kleineren                Vaterlandsverräter und der Nichtrückkehrer, wohnhaft
Städten zwangsangesiedelt, ohne das Recht, diese               in Sofia, Stalin(Varna), Burgas und Plovdiv sowie in
zu verlassen. Zwangsausgesiedelt wurden                        den Grenzzonen und deren Internierung in den neuen
Industrielle, Anwälte, Geschäftsleute, Rechtsanwälte,          Wohnorten im Inneren des Landes vorbereitet werden.
Intellektuelle, entlassene Offiziere, „unzuverlässige“         Für dieses Ziel sollen die Milizchefs in der Hauptstadt
Bewohner der Grenzregionen und andere, denen die               und den Bezirken alle Familienmitglieder der Vater-
BKP nicht traute.                                              landsverräter in diesen Gebieten feststellen und mir
                                                               spätestens bis zum 20. März 1953 einen Vorschlag für
Nach einem gemeinsamen Bericht des Vorsitzen-                  deren Zwangsaussiedlung zur Unterschrift vorlegen.“
den des Präsidiums der Volksversammlung und
des Ministers des Innern an das Politbüro des ZK              Die Zwangsaussiedlungen wurden zur Zeit der Un-
der BKP für den Zeitraum vom 9. September 1944                garn-Aufstands im Jahr 1956 wieder aufgenommen.
bis August 1953 wurden 7025 Familien mit 24624
Familienmitgliedern zwangsausgesiedelt. Die wirk-
liche Anzahl der ausgesiedelten Familien ist höher.
Im selben Zeitraum wurden aus der Hauptstadt So-              Soziale Stellung der                   Anzahl         %
fia 2548 Familien mit 5075 Familienmitgliedern ver-           zwangsausgesiedelten Familien
bannt, aus den Grenzregionen und Bezirksstädten               Bauern Mittelstand                       2418       37.4
4208 Familien mit 18315 Mitgliedern.
                                                              Bürgerliche Herkunft                     1757       26.7
       Grund für die        Anzahl der   Zahl der Familien-   Arme Bauern                               784       11.9
     Zwangsaussiedlung       Familien        mitglieder
                                                              Großbauern, s.g. „Kulaken“                710       10.8
Verwandschaft mit                2 397         9 739
 „Vaterlandsverrätern“                                        Mittlere städtische Herkunft              475        7.2
(Flucht in den Westen)
                                                              Angestellte                               210        3.2
Unerwünschte in Groß-            4 359        13 651
                                                              Arbeiter                                   93        1.4
städten und Grenzregionen
(„Feinde des Volkes“)                                         Handwerker                                 78        1.1
andere Gründe                    169           1 224          Arme städtische Herkunft                   65         1
Gesamt                           7 025        24 624                                                   6590       100

                            52                                                                53
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