Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS

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Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
övs news
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                                    österreichische vereinigung für supervision und coaching   2/2017

                                                Dynamiken
                                                    im
                                               Krankenhaus
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
Editorial
                      Liebe Kollegin, lieber Kollege!

                      Ich hoffe, dass alle einen erholsamen Som-         Weitere Aktivitäten der Geschäftsstelle sind
                      mer – trotz der heftigen Hitze und Wetterka-       auf den Seiten 18 und 19 zu finden. Dank
                      priolen – hatten und genügend Energie für          gebührt auch Christiane Schnalzer führt die
                      Arbeit und Leben getankt haben.                    Koordination und Überwachung der Renovie-
                          Für einen Teil der internationalen Super-      rung der ÖVS Geschäftsstelle.
                      visions Community endete die Urlaubszeit mit           Das Protokoll der Generalversammlung
                      der ANSE Summer University 2017, die in            2017 ist sehr umfangreich ausgefallen. Auf-
                      Rotterdam unter dem Titel „Moved and Being         grund der detailreichen und genauen Berichte
                      Moved“ stattfand. Über 120 KollegInnen aus         aus den einzelnen Gremien wäre es im Druck
                      über 14 europäischen Staaten nutzten die Ge-       eine eigene ÖVS News Nummer mit über 30
                      legenheit, sich – inspiriert durch Vorträge und    Seiten. Aus diesem Grund haben wir entschie-
                      Workshops – über praktische, theoretische          den, das Protokoll nur auf die Homepage zu
                      und politische Aspekte unseres Berufes aus-        stellen. Wer es unbedingt in einer Printversion
                      zutauschen. Einen ausführlichen Bericht wird       auch haben möchte, möge sich bitte in der
                      es in der NEWS 3/17 dazu geben. Für alle,          Geschäftsstelle melden.
                      die auch einmal daran teilnehmen wollen und            Viel Freude beim Lesen!
                      nicht weit fahren möchten, gibt es dafür im
                      August 2019 die Chance dazu. Dann findet die                     Mit kollegialen Grüßen
                      ANSE Summer University in Österreich statt.                         Wolfgang Knopf
                          Seit der Generalversammlung wird inten-
                      siv an der Gestaltung der neuen Homepage
                      und der Entwicklung der ÖVS interne Kom-
                      munikation gearbeitet. Viel Arbeit steckt im
                      Detail und Dank Rosie Moser‘s Übersicht und
                      Kenntnisse sind wir zuversichtlich, bald ein
                      gelungenes Resultat vorstellen zu können.

Inhalt                  3     Dynamiken im Krankenhaus
                              Ursula Hermann/Wolgang Knopf
                                                                         16 Lebenskraft statt Burnout
                                                                             Helga Prähauser-Bartl

                        4     Die Konflikte im österreichischen          18 Öffentlichkeitsarbeit der ÖVS
                              Gesundheitswesen
                              Ernest Pichlbauer                          18 Renovierung des ÖVS Büros

                        7     Effizienz von Supervision und Coaching     19 Supervision in der Ukraine – zwei Aufrufe!
                              im Krankenhaus
                              Verena Krassnitzer                         20 Finanz & Co
                                                                             Dr. Günther Fisslthaler
                        10 Wie viel Tod verträgt das Krankenhaus?
                              Ursula Hermann                             20 Veranstaltungen

                                                                         21 Aufgeblättert

                                                                         24 Willkommen – Neue ÖVS-Mitglieder

                            Övs News Redaktion sucht Mitarbeiterinnen!
                            Die ÖVS News erscheint 3x im Jahr und wird durch das Redaktionsteam gestaltet.
                            Gestaltung heißt Themenschwerpunkte zu finden und diese zu betreuen. Betreuen
                            heißt, AutorInnen zu finden oder aber auch selbst etwas schreiben. Die notwendigen
                                                                                                                           COVERFOTO: FOTOLIA

                            Redaktionssitzungen werden in Zukunft auch über skype abgehalten werden. Also eine
                            große räumliche Distanz sollte kein Hindernis sein!
                            Über Interessierte freut sich die Redaktion und die Geschäftsstelle!

2   ÖVS news 2/2017   Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

                  ÖSTERREICHISCHES GESUNDHEITSSYSTEM

                  Gesundheitsausgaben                       Lebenserwartung                            Zufriedenheit
                  pro Kopf in Euro                          bei guter Gesundheit                       mit dem Gesundheitssystem
                                                            in Jahren                                  in Prozent
                                            NÖ                                         NÖ                                           NÖ
                                           3.884                                       66                                           79
                                    OÖ             Wien                         OÖ            Wien                        OÖ               Wien
                                   3.738           4.400                        66             65                         75                76
                                           Stmk.                                      Stmk.                                        Stmk.
                                           3.834                                       65                                           78
                  Vbg.     Tirol   Sbg.            Bgld.     Vbg.    Tirol     Sbg.           Bgld.      Vbg.    Tirol    Sbg.             Bgld.
                  4.020    3.870   4.105           3.508      69      71        70             63         79      82       81               79
                                            Ktn.                                       Ktn.                                         Ktn.
                                           4.004                                        67                                           80

                  Durchschnitt Österreich: 3.973            Durchschnitt Österreich: 66                Durchschnitt Österreich: 78

                                                                    unter Durchschnitt           über Durchschnitt        im Schnitt

                Dynamiken im Krankenhaus
                Ursula Hermann/Wolgang Knopf

                D
                        as österreichische Gesundheitswesen         Grundlagen der Finanzierung des österreichi-
                        ist und bleibt ein Thema öffentlichen In-   schen Gesundheitswesens: dabei verweist er
                        teresses. Am 22.08. präsentierte bei den    auf unterschiedliche Modelle der Finanzierung,
                Alpbacher Gesundheitsgesprächen die Gesund-         wie der Kombination aus dem Beveridge und
                heitsökonomin Maria Hofmarcher eine Studie,         Bismarck Modell, die Österreich gemeinsam mit
                die die eklatanten Unterschiede zwischen den        Griechenland eine Sonderstellung in Europa gibt.
                österreichischen Bundesländern zeigt (siehe             Eine interne Sicht über den Einsatz von
                Grafik) und am 25.08. stellte DER STANDARD          Supervision und Coaching im Krankenhaus
                das Gesundheitssystem auf den Prüfstand.            gibt Rainhard Faber, strategischer Personal-
                Immer ging es dabei um Grundsätzliches.             entwickler im KAV, im Interview mit Isabella
                    Supervision ist im Krankenhaus angekom-         Krassnitzer, Koordinatorin der ÖAGG-Pools. Sie
                men. Die Träger der Krankenhäuser haben –           machen sich Gedanken über die Effizienz von
                wenn auch unterschiedlich – Supervision in          Supervision und Coaching im Wiener Kran-
                den Betrieb integriert, Coaching für Führungs-      kenanstalten Verbund. Interessant ist die un-
                kräfte beginnt ebenfalls Fuß zu fassen.             terschiedliche Einschätzung der Wirkung von
                    Die Auftraggeber erwarten von den Super-        Supervision und Coaching für die Organisation.
                visorInnen und Coaches in den meisten Fällen            Einen spezifischen Blick auf einen der zen-
                dabei eine Feldkompetenz. Diese beschränkt          tralen Dynamiken im Krankenhaus richtet Ur-
                sich meist auf eine Beratungspraxis im System.      sula Hermann in ihrem Beitrag. Krankenhaus
                    Um die Dynamiken im Krankenhaus zu er-          verdient an der Krankheit nicht an der Ge-
                fassen, gilt es die wesentliche ökonomischen        sundheit! Zusammenfassung einer Forschung.
                wie politischen Rahmenbedingungen zu ken-           Das Spannungsverhältnis von Gesundheit und
                nen und zu verstehen.                               Krankheit ist tabuisiert und wird besonders
                    Einen solchen ersten Schritt soll mit dieser    deutlich am Umgang mit Tod und Sterben
FOTO: FOTOLIA

                ÖVS NEWS Nummer unternommen werden.                 im Krankenhaus. Eine Forschung zu diesem
                    Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer         Thema bietet der Beitrag: „Wieviel Tod verträgt
                gibt einen Überblick über die ökonomischen          das Krankenhaus?“

                                                                             Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus          ÖVS news 2/2017   3
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

Die Konflikte im österreichischen
Gesundheitswesen
Ein Gesundheitswesen ist immer in 3 Ebenen organisiert: Behandlungs-,
Versorgungs- und Systemebene. Von Ernest Pichlbauer

                         D
                                 ie Behandlungsebene beschäftigt sich mit    sourcen), die dazu eingesetzt werden (Logistik),
                                 einzelnen Patienten, nämlich denen, die     ein definiertes Ziel (Motivation) zu erreichen.
                                 gerade behandelt werden. Auf dieser         Ökonomie gibt es also überall, wo Menschen
                         Ebene findet sich nur ein Patient und ein Be-       agieren. Deswegen ist der Vorwurf der Ökono-
                         handler. Die treffen nicht grundlos, zufällig und   misierung in der Regel nur Polemik derer, die
                         irgendwo aufeinander, sondern in einem Um-          Interessen vertreten.
                         feld, der Versorgungsebene. Diese beschäftigt           Um das zu verstehen, muss man drei Mo-
                         sich dabei nicht mit einzelnen Patienten oder       delle unterscheiden: (1) Gesundheitsökonomie,
                         Behndlern, sondern mit den Voraussetzungen,         (2) „Neue politische Ökonomie“, (3) Mikroöko-
Dr. Ernest Pichlbauer    die nötig sind, dass (möglichst) alle Patienten     nomie (Betriebswirtschaft)
ist unabhängiger         zur rechten Zeit beim richtigen Behandler eine          Die Gesundheitsökonomie beschreibt „Kos-
Gesundheits­ökonom,      Behandlung bekommen können. Im einfachsten          ten (Ressourcenverbrauch – nicht nur Geld,
gesundheitspolitischer   Fall eben dadurch, dass ein Patient dort ist, wo    sondern auch und vor allem Zeit) pro Patienten­
Kolumnist der „Wiener    er sein soll. Je nach Definition (nur Arzt, oder    nutzen-Einheit“. Dem Patienten nützen wol-
Zeitung“ und Buchautor   doch auch andere Gesundheitsberufe) treten          len alle, aber wer darf das wie messen? Dazu
                         mindestens 200 Millionen Versorgungssituati-        braucht es ein Werte- und Zielgerüst (und zwar
                         onen pro Jahr auf. Weil das gigantisch kom-         ganz konkret), das durch einen öffentlichen
                         plex ist, schwebt darüber das System, das der       Diskurs errichtet wurde – eine klassische Sys-
                         Versorgungsebene eine Orientierung geben soll,      tem-Aufgabe. Womit wir bei der „Neuen politi-
                         was, mit welchen Mitteln erreicht werden soll.      schen Ökonomie“ wären. Diese kennt andere
                             Behandler beschäftigen sich mit Patienten,      Wertmaßstäbe; es geht um Einfluss (Stimmen)
                         Versorger mit Patientenströmen und Politiker        -Verlust/Gewinn pro real durchgeführter Maß-
                         mit dem Ausgleich der Interessenslagen in der       nahme. Ein Wertegerüst festzulegen, in dem
                         Versorgungsebene. Wenn letztere ihre Aufga-         steht, dass ein Menschenleben soundso viel
                         ben schlecht wahrnehmen, wird die Versorgung        wert ist, verspricht definitiv keinen Stimmenge-
                         von Interessenskonflikten durchsetzt – etwas,       winn – denn, Gesundheit ist unendlich wertvoll;
                         das Behandler nicht selten als Folge der Öko-       was aber heißt, dass das Gesundheitssystem
                         nomisierung deuten. Ökonomie ist aber nur           unendlich viel kosten darf. Weil aber die Politik
                         das „Haushalten“ mit besessenen Mitteln (Res-       keine unendlichen Ressourcen hat, findet man
                                                                             bei uns praktisch nur Mikroökonomie. Diese
                                                                             arbeitet mit Stückkosten. Um es einfach zu hal-
                                                                             ten, definiert unser System als Stück gerne ein
                                                                             Spital, ein Spitalsbett, eine Kassenordination
                                                                             oder eine Tablette. Ziel sind möglichst viele,
                                                                             möglichst billige „Stücke“. Und bei uns heißt
                                                                             das eben – Aufrechterhaltung aller politisch
                                                                             gewollten Strukturen, bei möglichst niedrigen
                                                                             Kosten – der Nutzen des Patienten ist unerheb-
                                                                             lich, auch wenn das anders kommuniziert wird.
                                                                                 Grundsätzlich ist der betriebswirtschaftliche
                                                                             Ansatz nicht schlecht und führt v.a. bei akut und
                                                                             schnell heilbaren Krankheiten zu guten Ergeb-
                                                                             nissen. Schwieriger ist es, wenn es darum geht
                                                                             Innovationen einzuführen. Denken wir an ein
                                                                             neues Medikament, das doppelt so teuer ist, wie
                                                                             das alte, aber auch doppelt so schnell wirkt –
                                                                             wenn nur der Preis pro Tablette gültig ist, ist der
                                                                                                                                   FOTO: FOTO WILKE

                                                                             Patientennutzen „schneller gesund“ zu werden,
                                                                             nicht Teil der Entscheidung.
                                                                                 Dieses Ökonomiemodell hat also Schwä-

4   ÖVS news 2/2017      Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

                chen. Richtig versagen muss es, wenn mehrere
                „Zahler“ verantwortlich sind, also die Finanzie-
                rung nicht aus einer Hand erfolgt. Und genau
                das finden wir in Österreich.

                Als eines von zwei Ländern in der EU wird das
                öffentliche Gesundheitswesen nicht entweder
                aus Steuern (Beveridge-Sstem) oder aus Sozi-
                alversicherungsbeiträgen     (Bismarck-System)
                finanziert, sondern aus beiden. Diese duale
                Finanzierung trägt ein gewaltiges Konfliktpo-
                tential, wenn es darum geht, Patienten an der
                richtigen Stelle zu versorgen. Vor allem, wenn
                man betrachtet, welche „Hand“ für welche Sek-
                toren zuständig ist.

                Denn diese duale Finanzierung zerpflügt das
                Gesundheitswesen förmlich in horizontale,
                voneinander unabhängige Teilbereiche, ohne
                inhaltliche Logik. So ist etwa die fachärztliche
                ambulante Versorgung extramural Kassen-, int-
                ramural Länder-Sache. Oder die Prävention, die
                ist gleich mehrfach aufgeteilt, die (Tertiär)Pfle-
FOTO: FOTOLIA

                geprävention überhaupt gleich ins Sozialsystem
                verdrängt, das, anders als das Gesundheitssys-
                tem, kein Sachleistungsprinzip kennt.

                                                                     Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus   ÖVS news 2/2017   5
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

                      Doch auch jeder horizontale Teilbereich ist in    das dänische steuern, 214.000 Österreicher
                      sich (vertikal) fragmentiert. So sind etwa für    hätten keine erheblichen Einschränkungen bei
                      die ambulante extramurale Kuration 35 bis 37      den Aktivitäten des täglichen Lebens – wären
                      (so genau weiß das niemand) Krankenkassen         also keine „echten“ Pflegefälle, bei exakt glei-
                      oder -fürsorgeanstalten zuständig, während        chen pro Kopf Gesundheitsausgaben.
                      die ambulante intramurale Versorgung von 53           Für Behandler, die direkt vor dem Patienten
                      Sptialsträgern definiert wird. Und weil über      sitzen, hat dieses Chaos unmittelbare Folgen.
                      ihnen kein System steht, muss sich keiner ver-    Denn, mangels eines einheitlichen Systems,
                      tikal oder wenigstens horizontal abstimmen.       werden die Interessenskonflikte der Versor-
                      Alle folgen der inneren politischen Logik und     gungsebene dem freien Spiel der (politisch)
                      Eigeninteressen.                                  tätigen Interessensvertretungen (Gewerkschaf-
                          Der Rechnungshof hat dieses heillos frag-     ten, Länder, Kammern, …) überlassen. Und so
                      mentierte System dargestellt. Die blauen Kreis-   streiten etwa seit Jahrzehnten Apotheker und
                      segmente sind die Geldgeber, dann wird das        Ärzte über Hausapotheken, und Kassen mit
                      Geld durch ein Labyrinth gejagt und kommt         Ländern, wer für Kinderrehabilitation zustän-
                      irgendwann als Umsatz bei Ärzten und Spitä-       dig ist. All diese Streitereien sind frustrierend.
                      lern an.                                          Egal wie sehr sich Behandler bemühen, unter
                                                                        den gegebenen Umständen verbrauchen wir
                      Und weil es keine Systemebene gibt, und damit     enorme Ressourcen, erreichen aber keine ent-
                      die Versorgung unstrukturiert abläuft, ist der    sprechend gesunde Bevölkerung – der Frust ist
                      Erfolg mäßig, genaugenommen schlecht. Mit         verständlich. Und da Politik mit Gefühlen arbei-
                      450.000 amtlichen Pflegefällen (mehr als 65       tet, machen sich Politiker diesen Frust zu Nutze
                      Stunden Betreuung / Pflege pro Monat, andere      und spielen Berufsgruppen gegeneinander aus.
                      werden nicht mitgezählt) gehören wir zu den       Und genau das kann jeder jeden Tag in Ordi-
                      Ländern, die „Healthy Ageing“ nicht hinkrie-      nationen, Spitälern oder Pflegeheimen täglich
                      gen. Zum Vergleich, würde unser System wie        überprüfen.

6   ÖVS news 2/2017   Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

               Effizienz von Supervision und Coaching
               im Krankenhaus
               Interview von Verena Krassnitzer mit Herrn Reinhard Faber

               Was bedeutet in Ihrem Kontext Effizienz
               von Supervision und Coaching im KAV?
               Zunächst ist ein so wirtschaftlicher Begriff
               wie Effizienz in dem Zusammenhang immer
               wieder ein Stück problematisch. Wenn ich die-
               sen Begriff diskutiere, merke ich, dass gerade
               im unserem Kontext wirtschaftliche Begriffe
               wie Produktivität nicht so anerkannt und ge-
               wünscht sind. Dennoch geht es um Effektivität,
               um Wirkung von Interventionen.
                   Das hat ja mehrere Aspekte. Bei uns im KAV
               sind ja viele ExpertInnen, die in der Kranken-
               behandlung mit Problemstellungen der Patien-
               tInnen sehr oft alleine auf sich gestellt sind. In
               der Therapie, Diagnostik usw. muss man sehr
               stark auf PatientInnen eingehen und entschei-
               den, da kann man nicht sofort reflektieren.
               Daher ist es als Organisation sehr wichtig, den
               MitarbeiterInnen solche Instrumente anzubie-
               ten, um zu signalisieren, dass der Arbeitgeber
               um die Problematik weiß und einerseits Su-
               pervision, aber auch Coaching für schwierige
               Situationen anbietet.

               Wie macht sich Effizienz bemerkbar?
               Effizienz macht sich auf zwei Ebenen bemerk-
               bar: in der qualitätsvollen Arbeit, aber auch in
               der Stärkung der Reflexionsfähigkeit bzw. der
               Personen selbst, so dass die MitarbeiterInnen,
                                                                    Reinhard Faber
               auch unter großer Belastung, weiterarbeiten
                                                                    Bereichsleiter Strategische Personalentwicklung und Bildungsmanagement sowie
               können. Eine Wirkung zeigt sich, wenn Mit-           für Gesundheits-, Gender- und Diversitätsmanagement
               arbeiterInnen sich subjektiv wohlfühlen. Das         … seit über 30 Jahren im Personalmanagement der Krankenhäuser Wiens,
               bedeutet aber auch für uns, dass wir gerade          seit 1997 Aus- und Aufbau strategischer Personalentwicklung und
               bei professionell im Krankenhaus arbeitenden         seit 2003 Gestalter und Prozesseigner für Supervision im Wr.Krankenanstaltenverbund
               Menschen immer Überzeugungsarbeit leisten
               müssen. Wir verordnen das nicht, aber sorgen
               dafür, dass das Angebot sichtbar ist.
                                                                    drüber, weil es nicht aus einem eigenen Impuls
               Würden Sie da einen Unterschied zwischen             zu einer Unterstützung kommt, sondern auch
               Supervision und Coaching machen, oder                die gecoachte Führungskraft, als Verantwortli-
               kann man in Bezug auf Ihre Antwort hier              che für die Organisation, noch mal „eines drauf
               beide Formate subsumieren?                           legt“. Doppelte Wirkung. Coaching kommt auch
               Ja, in der mittelbaren Wirkung. Durch das Stär-      deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil
               ken einer Führungskraft, die ja als Zielpunkt        es hier die gezieltere Orientierung gibt, mehr
               den Mitarbeitenden hat, haben wir auf die Pro-       als in der Supervision.
               fessionalisierung, auf das Wohlbefinden, Stabi-
               lität der mit PatientInnen arbeitenden Mitar-        Was soll Supervision und Coaching aus
               beiterIn eine doppelte Wirkung. Beide Formate        Ihrer Sicht für das Gesamtsystem KAV
FOTO: PRIVAT

               sind sehr brauchbar, aber In der Effektivitäts-      leisten? Welche Erwartungshaltung haben
               frage stelle ich das Coaching noch ein wenig         Sie hier als Personalentwickler?

                                                                          Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus               ÖVS news 2/2017        7
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

                      Wir haben dieses Thema ja von Grund auf ent-        KAV auch eine Veränderung braucht. Also in
                      wickelt, unter anderem ja auch mit dem ÖAGG.        Bewegung ist, und durch Coaching, durch die
                      Für uns bedeutet Supervision und Coaching           einzelnen agierenden Führungskräfte model-
                      immer eine Intervention, die zwei Blickwinkel       liert wird, und somit kann man sagen, ler-
                      verfolgt: das eine ist die Qualitätssicherung       nende Organisation. Das ist das theoretische
                      der Arbeit, von Prozessen und Abläufen. Das         Gebäude, und dort, wo uns Führungskräfte
                      andere ist die Gesundheitsförderung, die emo-       beweisen, dass sie dies erkannt haben, funkti-
                      tionale Stabilisierung der einzelnen Personen,      oniert es auch wunderbar. Da geht auch die Or-
                      was die mentale Stärkung des Einzelnen zum          ganisationsentwicklung weiter. Ich komme aus
                      Zentrum hat. Das ist unverzichtbar.                 der Personalentwicklung und schaue natürlich
                          Der Beitrag von Supervision ist ja vielfältig   darauf, dass sich die Personen entwickeln, aber
                      für die Organisation. Auch durch das profes-        natürlich ist der Beitrag Coaching auch ein Bei-
                      sionelle Agieren der SupervisorInnen, um das        trag zur Organisationsentwicklung.
                      Teamgefüge zu stärken und ein Ventil zu er-
                      möglichen, um bestimmte Belastungen auch            Was erwarten Sie vom Coach, wann ist der
                      ausleben zu dürfen. Nicht nur: ich muss stark       effizient?
                      sein, darf keine Schwäche zeigen: Dass Exper-       Er/sie soll eloquent und sehr offen den Pro-
                      tenorganisationen hier Unterstützung für Ex-        blemstellungen vom KH/Pflegewohnhaus oder
                      pertInnen liefern müssen, das ist der Punkt.        einer Führungskraft gegenüberstehen, dem
                      D.h., der Beitrag von Supervision ist, die Stär-    sehr gut begegnen. Nicht umsonst haben wir
                      kung und Stabilisierung des Staff des gesamten      Kriterien in der Vertragspartnerschaft (mit
                      Leistungserbringers. Wir sind ein Dienstleis-       dem ÖAGG) aufgenommen, dass der Coach/
                      tungsbetrieb, d.h. bei uns arbeiten Menschen,       die Supervisorin eine mehrjährige Erfahrung
                      wir haben keine Maschinen, die wir abschalten       im Krankenhauskontext haben muss. Um hier
                      können, außer auf der Intensivstation. Aber die     viele Entwicklungen, Stolpersteine zu erken-
                      Hauptleistung bieten Menschen an. Und diese         nen, um letztendlich aus dem KH-Kontext auch
                      sollen Unterstützung bekommen.                      den Blick hinauszumachen, auf eine neutrale
                          Und das Coaching ist natürlich auch eine        Organisations-Sicht. Hemmnisse sollen etwas
                      Möglichkeit, sichtbar oder spürbar zu machen        zurückgedrängt werden und andere Perspek-
                      (mit einigen Einschränkungen) , wie denn die        tiven entwickelt werden. Nicht alles ist rea-
                      Grundhaltung der Organisation zum Thema             lisierbar, dennoch braucht es auf Seiten des
                      Führen generell ist. Wenn ich eine Organisation     Coaches einen Perspektivenwechsel. Und das
                      habe, die kein Coaching anbietet, zumindest so      ist meiner Meinung nach das Hauptziel, wenn
                      systematisch wie wir, wird der Führungskraft        wir mit Coaches arbeiten, dass der Perspekti-
                      signalisiert „Du musst funktionieren, und wenn      venwechsel, die Vogelperspektive auf das Pro-
                      Du Hilfe brauchst, hol sie dir von außen.“ Und      blem, die Organisation und auf die Menschen
                      wir signalisieren, und das ist der Beitrag zum      gegeben werden. Es ist die Erwartung an Su-
                      Gesamterfolg als ein Arbeitsmittel, eine Un-        pervisorinnen und Coaches, der FK die Chance
                      terstützung zur Verfügung gestellt bekommen,        zu geben, selbst den Blick zu heben, und nicht
                      um sich mental auf schwierige Situationen und       nur auf das Problem zu schauen. Viele unse-
                      Veränderungen einzustellen.                         rer Professionalisten, wenn ich an ÄrztInnen
                                                                          denke, haben ja gelernt, genau auf das eine
                      Wenn man hier weiterdenkt, kann man                 Organ zu schauen, das Probleme macht. Dass
                      sagen, dass FK-Coaching einen Beitrag zur           aber der Mensch als Ganzes viele Einflussfakto-
                      lernenden Organisation liefert?                     ren in sich trägt, die eine Ursache für eine Er-
                      Ja, absolut! Die Herausforderung, die wir im        krankung sein können, das ist jetzt heute auch
                      KAV beim FK -Coaching haben ist, das der            schon viel mehr verbreitet, dennoch schauen
                      Coachee direkt mit dem Vorgesetzten das Coa-        einige noch immer ausschließlich auf das Sym-
                      ching- Ziel besprechen muss. Da gibt es schon       ptom. Die Aufgabe des Coaches sehe ich darin,
                      noch eine Barriere, die vorhanden ist. Für sich     den Blick aufs Ganze zu ermöglichen.
                      selbst als Coachee etwas zu holen, das ist ei-
                      nigermaßen anerkannt, aber die Wirkung des          Weil Sie den Kontext Symptom erwähnt
                      Coachings für die Organisation zuzulassen, das      haben, eigentlich die systemische Pers-
                      ist noch eine große Herausforderung. Nur we-        pektive. Glauben Sie, dass ein Coach, eine
                      nige erkennen darin auch die Chance, dass sich      SupervisorIn zumindest Grundkenntnisse
                      damit die Organisation auch verändert. Und          aus dem systemischen Denken braucht?
                      das gehört weiter bearbeitet. Und wenn man          Ich glaube, das ist unverzichtbar. Der Coach
                      so will, wäre es der Beitrag der Führungskraft,     muss switchen können. Sich Einstellen auf die/
                      genau da zu erkennen, dass die Organisation         den KundIn, die vielleicht den analogen Weg

8   ÖVS news 2/2017   Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

gehen. Eine Außenperspektive, das ganze Sys-        Arbeitszeiten, im Dienstplan, tatsächlich fixe
tem reinzuholen, das ist unverzichtbar.             Reflexionsstunden für ein Team einzubauen.
                                                    Nicht draufzusetzen, nach dem Motto, wer Zeit
Das gleiche gilt für die Supervision aus            hat, kommt halt auch, sondern genauso einzu-
Ihrer Sicht?                                        planen, wie z.B. Dienstübergaben.
Ja, vielfach kann man mit unserem Modell der
Kurzzeitsupervision fokussiert auf Problembe-       Wird damit die Freiwilligkeit in Frage
wältigung arbeiten, die SupervisorInnen sollten     gestellt?
das jedenfalls im Repertoire mithaben. Ob sie       Sie ist gefährdet, keine Frage. Das müssen wir
es dann anwenden können, ist die Frage, je          in Kauf nehmen.
nachdem, was die Gruppe braucht.
                                                    Stichwort Effizienz und freiwillige Teil-
Können Sie die Effizienz von Supervision            nahme: Wäre die Wahrscheinlichkeit
und Coaching an Zahlen festmachen?                  größer, wirkungsvoll zu sein, wenn diese
Da muss man differenzieren. Sie sprechen            Angebote verpflichtend wären. Kann
mich als strategischen Personalentwickler an,       man hier – aus Ihrer Sicht – eine kausale
meine Wahrnehmungen beziehen sich auf die           Verbindung herstellen?
anonymen Feedbackbögen aus den Häusern,             Das würde ich nicht automatisch mit ja oder
und teilweise auch auf die Resonanz der An-         nein beantworten. Ich glaube, dass es da auch
sprechparnterinnen in den Häusern. Diese be-        die Sicht des Supervisors braucht, mit dem Team
gleiten ja den Prozess aus einer administrati-      abzugleichen. Da tu ich mir schwer, das absolut
ven, übergeordneten Sicht. Wir haben ja keine       zu sehen. Bei der zeitlich begrenzten Supervision
Berichtspflicht, wir haben aber zwei systema-       würde ich es so sehen, dass beim Einstieg die
tische Rückmeldungen, nämlich ob das Ziel           Freiwilligkeit herrscht. Wenn man aber einmal
erreicht wurde oder nicht und ob Supervision        dabei war, dann ist es Verpflichtung wieder zu
wieder in Anspruch genommen würde.                  kommen. Aber das ist keine einfache Entschei-
    96 Prozent würden Supervision wieder in         dung. Das hängt ganz von der Kultur, dem Be-
Anspruch nehmen (zeitlich begrenzt 2016),           triebsklima ab, das sich gebildet hat, die geprägt
(84% 2015). Beim Coaching kann man nicht so         wird von Führungskräften, es hängt aber auch
viel sagen, weil wenige Aufträge abgewickelt        von den unterschiedlichen Disziplinen ab.
wurden. Da sind wir immer noch in den Anfän-
gen, da gibt es Nachholbedarf. Die Zufrieden-       Wie wird aus Ihrer Sicht Supervision und
heit wird beim Coaching nicht abgefragt. Aber       Coaching in Zukunft im KAV eingebettet
Effizienz kann schon daran gemessen werden,         sein, welche Rolle wird diesen qualitätssi-
bzw. SV kann als Erfolg gewertet werden, wenn       chernden Instrumenten zugewiesen?
es wieder in Anspruch genommen wird.                Supervision ist auch ein Kostenfaktor. In Zeiten
                                                    wie diesen, muss nachgedacht werden, wel-
Welche Maßnahmen müssen aus Ihrer                   che Aufgaben können wir noch finanzieren?
Sicht gesetzt werden, um die Effizienz von          Der Vorstand hat sich bis heute noch nicht
Supervision und Coaching zu steigern?               positioniert, dass Supervision und Coaching
Wenn wir zunächst Coaching anschauen, sollte        zu den unverzichtbaren Dingen gehören. Sie
dieser Beratungsprozess mehr im Sinne eines         haben aber auch nicht gesagt, dass es gestri-
Lernprozesses fix eingebaut werden. Wir sind        chen wird. D.h. wir sind ein wenig in einem
derzeit dabei, alle unsere Führungskräfte-          Übergang, auf dem ich mich bewegen kann.
schulungen und Trainings neu auszurichten.          Ich vermeide derzeit auch eine klarere Posi-
Wir integrieren in alle diese Lehrgänge Coa-        tionierung. Wir haben eine ganz eindeutige,
chingsequenzen. D.h., wir wollen auch erwach-       normierte Vorgangsweise, und an der halte
senbildnerisch mehr tun, als es bisher in man-      ich fest. Wenn Sie mich also fragen, dann ist
chen Bereichen stattgefunden hat. Wir wollen        die Linie im Change-Prozess ganz klar: Super-
jetzt ganz andere Wege gehen. Natürlich soll es     vision und Coaching müssen den Change-Pro-
inhaltliche Impulse geben, aber, vor allem bei      zess begleiten! Um die, die an diesem Prozess
Nachwuchsführungskräften, soll das kollegiale       maßgeblich beteiligt sind, zu unterstützen.
Lernen gestärkt werden. Und das soll durch          Koste es, was es wolle. Letztendlich muss die-
Einzelcoaching Angebote begleitet werden,           ses Bewusstsein, dass es diese zwei Angebote
freiwillig zwar, aber deutlich aufgefordert, ein-   gibt, immer deutlicher unterstrichen werden.
zelne Lernabschnitte für sich zu reflektieren.      Auch die Erfolge müssen sichtbarer und viel
    Ganz anders ist in diesem Zusammenhang          mehr vermarktet werden.
die Supervision zu sehen. Wenn wir an die
Zukunft denken, ist es ganz wichtig, in den         Herr Faber, vielen Dank für das Gespräch!

                                                          Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus     ÖVS news 2/2017   9
Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
fokussiert

Wie viel Tod verträgt das Krankenhaus? 1
Ein forschungssupervisorischer Blick auf Palliative Care in der Organisation Krankenhaus
von Ursula Hermann

                       K
                              rankenhäuser       sind    hochkomplexe          Das Sterben wurde vom Alltag in einen ins-
                              Dienstleistungsbetriebe,     die   unter-    titutionalen Rahmen „verlegt“ (vgl. Ariès 2002,
                              schiedliche gesellschaftliche Funktionen     729 ff.). Das ermöglicht uns eine „stillschwei-
                       erfüllen. Die Patient_innenversorgung ist dabei     gende Aussonderung der Alternden und Ster-
                       eine ihrer Hauptaufgaben. Die Versorgung            benden aus der Gemeinschaft der Lebenden“,
                       kranker Menschen geht oft mit Unsicherheiten        wie Norbert Elias in „Über die Einsamkeit der
                       einher, denn Heilung ist keine Gewissheit. Me-      Sterbenden“ (1990, 8) feststellt.
                       dizinische Behandlungen werden permanent                Gesundheitsinstitutionen wird eine para-
                       verbessert, immer mehr wird möglich. Doch           doxe Aufgabe überlassen: Sie sollen Gesund-
                       insbesondere der Tod setzt Grenzen und er-          heit wiederherstellen, also den Tod besiegen,
                       zeugt im Krankenhaus die nachhaltigsten Er-         gleichzeitig wird in ihnen gestorben. Mit dem
                       fahrungen des Scheiterns (Grossmann 1997,           Sterben muss ein Umgang gefunden werden.
                       162). Der Kampf der Medizin und Pflege gegen        So wird Sterben – etwas zutiefst Intimes und
                       Sterben und Tod gilt daher als identitätsstif-      Persönliches – institutionalisiert und zur Rou-
                       tend und erweist sich in der Alltagspraxis          tine.
                       des Krankenhauses als widersprüchlich (vgl.             Ralph Grossmann skizziert die konstitutive
                       Grossmann 2000, 82). Denn Sterben und Tod           Bedeutung, die das Verhältnis zu Sterben und
                       gehören zum Krankenhausalltag. Das zeigen           Tod für die Organisation Krankenhaus hat:
                       die aktuellen Sterbezahlen von 2016 (Statistik      „Am organisierten Umgang mit Schwerstkran-
                       Austria 2017): 67,6 Prozent der Verstorbenen        ken und Sterbenden werden wie im Brennglas
                       starben in Krankenhäusern und Heimen, eine          zentrale Organisationsprobleme des Kranken-
                       Zahl, die seit 2006 in etwa gleich geblieben ist.   hauses deutlich.“ (Grossmann 2000, 80)

                                                                                                                             FOTO: FOTOLIA

10   ÖVS news 2/2017   Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert

               Palliative2 Care – ein Paradigmenwechsel            curative treatment. Control of pain, of other
               Zentrale Organisationsprobleme zeigte Isabel        symptoms, and of social, psychological and spi-
               Menzies bereits in den 1950er-Jahren anhand         ritual problems is paramount. Palliative care is
               einer von ihr durchgeführten Studie in einem        interdisciplinary in its approach and encom-
               Londoner Ausbildungskrankenhaus auf (Men-           passes the patient, the family and the commu-
               zies 1960). Ihre Ergebnisse veranschaulichen,       nity in its scope. In a sense, palliative care is
               wie im System Krankenhaus Mechanismen der           to offer the most basic concept of care – that of
               Angstabwehr so wirkmächtig wurden, dass             providing for the needs of the patient wherever
               Schwesternschülerinnen reihenweise kündig-          he or she is cared for, either at home or in the
               ten oder gänzlich ihren Berufswunsch verwar-        hospital. Palliative care affirms life and regards
               fen (ebd., 108). Sie beschreibt, dass der Kontakt   dying as a normal process; it neither hastens
               zwischen Krankenschwester und Patient_in            nor postpones death. It sets out to preserve the
               durch eine völlige Aufsplitterung der einzelnen     best possible quality of life until death.“ (EAPC    Mag.a Dr.in Ursula
               pflegerischen Tätigkeiten so reduziert wurde,       European Association of Palliative Care 1989)        Hermann MPOS,
               dass sich kaum noch eine vertrauensvolle                Palliative Care richtet den Blick auf die In-    MSc: Supervisorin/
                                                                                                                        Coach (ÖVS), Trainerin,
               Beziehung aufbauen ließ. Das Pflegepersonal         dividualität schwer kranker und sterbender Pa-
                                                                                                                        Lehrbeauftragte an der
               sollte auf diese Weise vor „zu viel“ Kontakt        tient_innen, auf Schmerzbehandlung, Angstbe-         Universität Bielefeld
               geschützt werden, verlor damit jedoch den           wältigung und Zuwendung. In diesem Sinn löst         (Masterstudiengang
               Bezug zu den Menschen, für deren umfassende         Palliative Care einen Paradigmenwechsel im           „Supervision und
               Pflege es verantwortlich war. Um im persön-         Gesundheitssystem aus (Pleschberger 2002).           Beratung“) und der
               lichen Kontakt möglichst wenig Beziehung zu         Clark und Seymour (1999, 83) sehen neben             FH St. Pölten (Depart-
               Einzelnen herzustellen, wurden Patient_innen        dem Konzept von „total pain“ Teamwork und            ment Soziales); im
                                                                                                                        Redaktionsteam der
               als Bettnummern, nach ihren Krankheiten             Vertrauen als grundsätzlichen Elemente von
                                                                                                                        ÖVS News, Projektmit-
               oder ihren erkrankten Organen benannt (ebd.,        Palliative Care.                                     arbeit im abz*austria,
               101 f.). Diese Verdrängung von Gefühlen war             Auch der organisationale Kontext, in dem         abz*gender & diversity.
               für das Personal belastend, und für Sterbende       das Sterben stattfindet, ist von fundamentaler       bildungsberatung
               hatte es drastische Folgen: Elisabeth Kübler-       Bedeutung (vgl. Grossmann 2000, vgl. Heller          österreich. www.ursu-
               Ross, eine der Pionierinnen von Palliative Care,    2007). Katharina Heimerl (2008) hat dazu auf-        lahermann.at
               wird das Zitat zugeschrieben, im Krankenhaus        gezeigt, wie sehr es sich bei der Integration
               „den Tod aus den Toiletten geholt“ zu haben.        von Palliative-Care-Angeboten um umfassende
               Denn dorthin wurden Sterbende gebracht, als         organisationale Aushandlungs- und Verände-
               letzte Konsequenz einer Distanzierung.              rungsprozesse handelt, die auch Hospiz und
                   Für Cicely Saunders, eine weitere Pionie-       Palliative Care nachhaltig verändern (Heimerl
               rin der Hospizbewegung3 und Palliative Care,        2008, 53).
               gab dieser Umgang mit Sterben und Tod in den            Seit den 1990er Jahren wurde mit der
               Krankenhäusern der 1950er-Jahre in England          Schaffung von Hospiz- und Palliativteams, Pal-
               Anlass für die Entwicklung und Umsetzung            liativstationen und Palliativdiensten4 Palliative
               eines neuen Konzepts: Mit dem Versorgungs-          Care in die Organisation Krankenhaus und in
               und Sorgekonzept Palliative Care richtete sich      Pflegeeinrichtungen geholt. Die nachhaltige
               der Blick auf das Individuum (Saunders 1996).       Integration dieser spezifischen Art der Sorge
               Damit reagierte Sanders auf das rigide Kran-        funktioniert nicht reibungslos, im Gegenteil. So
               kenhaussystem mit einem interdisziplinären          dauert es mitunter Jahre bis Jahrzehnte bis
               Konzept und der Vorstellung, dass Schmerz als       die Angebote hauseigener Palliativteams von
               – „total pain“ – umfassend empfunden wird:          einzelnen Stationen auch umfassend genützt
               physisch, psychisch, sozial und spirituell.         werden (vgl. Heimerl 2008, 23 f.)
                   Die Bezeichnung „Palliative Care“ wurde
               erst 1975 vom kanadischen Arzt Balfour Mount        Die Praxis im Fokus von Supervisions­
               geprägt und gilt als Versuch, einen Begriff zu      forschung
               entwickeln, der sowohl im Französischen wie         Palliative Care ist im System Krankenhaus an-
               auch im Englischen verständlich ist (Heller         gekommen, die tatsächliche Integration passiert
               2007, 197). Palliative Care ist der international   aber nur zögerlich. Ausgehend von der Frage
               verwendete Fachausdruck, im Deutschen wer-          „Wie viel Tod verträgt das Krankenhaus?“ lässt
               den auch Begriffe wie Palliativmedizin, Pallia-     sich nun konkretisieren: Wie verträgt die Ge-
               tivbetreuung oder Palliativversorgung verwen-       sundheitsorganisation Krankenhaus Palliative
               det (Steffen-Bürgi 2006, 31). Die European As-      Care?
               sociation of Palliative Care definiert Palliative       Antworten, tiefe Einblicke in die Praxis, wie
               Care wie folgt:                                     auch valide Erkenntnisse geben Supervisions-
FOTO: PRIVAT

                   „Palliative care is the active, total care of   prozesse mit Palliativteams. Diese können als
               the patient whose disease is not responsive to      Forschungsprozesse (Möller 2012, 89 f.) ange-

                                                                         Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus      ÖVS news 2/2017     11
fokussiert

                                                                        wurden, reflektiert. In einem ersten Auswer-
                                                                        tungsschritt wurden Themenfelder der Su-
                                                                        pervisionsteams aus den Protokollen erhoben
                                                                        und einer interdisziplinär zusammengesetzten
                                                                        Fokusgruppe mit Felderfahrung in der Hos-
                                                                        piz- und Palliativversorgung vorgestellt. Diese
                                                                        Ergebnisse sind dann den beiden Supervisi-
                                                                        onsteams in separaten Fokusgruppensettings
                                                                        vorgestellt worden. Als Co-Forscherinnen – im
                                                                        Sinne einer partizipativen Forschungsstrategie
                                                                        (von Unger 2014) – bewerteten und kommen-
                                                                        tierten die Supervisandinnen die Ergebnisse.
                                                                            Ausgehend von den beiden Supervisions-
                                                                        prozessen, den Inputs der drei Fokusgruppen
                                                                        und unter Einbeziehung der forschungssuper-
                                                                        visorischen Reflexionen habe ich relevante
                                                                        Themen herausgearbeitet, mithilfe der doku-
                                                                        mentarischen Methode habitualisierte Wis-
                                                                        sensbestände rekonstruiert und schließlich
                                                                        eine Typik der unterschiedlichen Erfahrungs-
                                                                        dimensionen entwickelt.
                                                                            Im Folgenden werde ich nun auf zwei Er-
                                                                        gebnisse und eine Typologie meiner Untersu-
                                                                        chung eingehen, die für die Institution Kran-
                                                                        kenhaus und ihren Umgang mit Tod und Ster-
                                                                        ben von besonderer Bedeutung sind.

                                                                        Palliativ versus kurativ
                                                                        Anhand der Zuweisungspraxis zu palliativen
                                                                        Angeboten werden zentrale Widersprüche in-
                       sehen werden wie auch als „Erkenntnisform        nerhalb der Gesundheitsorganisation Kranken-
                       innerhalb eines Feldes“ (Gröning 2013, 31).      haus deutlich sichtbar. Patient_innen werden
                           Den Forschungscharakter von Supervision      „gefiltert“, sie werden entweder als „palliativ“
                       habe ich mir zunutze gemacht und im Zuge         oder als „kurativ“ geführt. Das kann auf den
                       meiner Dissertation das Erleben von Palliativ-   ersten Blick eine überaus sinnvolle Strategie
                       und Hospizteams untersucht (Hermann 2017).       sein, denn Patient_innen, die schwerkrank oder
                       Forschungsleitend war die Frage nach den         sterbend sind, bekommen damit zusätzlich zu
                       Themen, die für Hospiz- und Palliativteams von   oft noch weitergeführten kurativen Behand-
                       Bedeutung sind. Das Beratungsformat Supervi-     lungen auch die Möglichkeit, von einem inter-
                       sion wurde als Forschungsinstrument im Feld      disziplinären Palliativteam betreut zu werden.
                       der Hospiz- und Palliativversorgung mit For-     Doch die Untersuchung zeigt, dass oftmals die
                       schungsstrategien ausgestattet, die einerseits   Bezeichnung „palliativ“ dafür verwendet wird,
                       die soziale Wirklichkeit der Teams beschreib-    eine Patient_in als „sterbend“ zu qualifizieren
                       bar machten und eine Partizipation der Super-    und keine weitere Behandlung zu setzen, auch
                       visand_innen ermöglichten, und andererseits      nicht das Hinzuziehen eines Palliativteams.
                       die Teilnahme der Forscherin als Supervisorin    „Palliativ“ wird hier als vollständiger Behand-
                       und Beobachterin im Feld methodisch begrün-      lungsrückzug verstanden, ganz so als ob im
                       deten.                                           Selbstverständnis der Gesundheitsorganisa-
                           Über den Zeitraum eines Jahres wurden        tion Krankenhaus nur Heilung, Lebensverlän-
                       die Supervisionssitzungen mit einem Palliativ-   gerung oder Rehabilitation in Frage kommen,
                       dienst in einem Krankenhaus und einem mo-        und Schmerzlinderung und Lebensqualität bis
                       bilen Hospizteam teilnehmend beobachtet. Die-    zuletzt keinen Platz haben. Palliativ und kurativ
                       ser ethnografische Forschungszugang (Brei-       werden als Kontrapunkte definiert, als ein sich
                       denstein et al. 2013) erfolgte in Anlehnung an   ausschließendes Gegensatzpaar – eine Praxis,
                       die psychoanalytische Work Discussion (Datler,   die sehr zum Nachteil der Palliativmedizin und
                       Datler 2014) in einem Dreischritt: Die Super-    folglich auch für Betroffene ist (Gartner, Watzke
                                                                                                                            FOTO: FOTOLIA

                       visionen wurden beobachtet, protokolliert und    2006, 125).
                       im Anschluss in Forschungssupervisionen, die         Die Klassifizierung in palliativ und kura-
                       auf Tonträger aufgezeichnet und transkribiert    tiv kann als ein Versuch verstanden werden,

12   ÖVS news 2/2017   Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert

                eine Ordnung, also Eindeutigkeit, herstellen        Das Angebot der Trauerbegleitung wird zuge-
                zu wollen.5 Es zeigt sich, dass auf diese Weise     standen, doch nicht mit der Konsequenz, dass es
                keine zufriedenstellende Zuweisung zum An-          auch umgesetzt wird, da von dem organisatio-
                gebot Palliative Care gelingt. Es bleibt immer      nalen Selbstbild der Heil bringenden Organisa-
                eine Ambivalenz, eine Unordnung, ein Nicht-         tion abgerückt werden müsste (vgl. Grossmann
                Zuordnen-Können.                                    2000, 83 f.). Bei Menzies’ Untersuchung erwei-
                     Damit wird deutlich, dass nicht der Begriff    sen sich die unbewussten organisationalen Ab-
                „palliativ“ so problematisch ist, der von den Co-   wehrstrategien für viele Schwesternschülerin-
                Forscher_innen mitunter für die Zuweisungs-         nen als Ursache, die Ausbildung abzubrechen,
                schwierigkeiten verantwortlich gemacht wurde        weil sich die Abwehr von der Organisation auf
                – weil er als zu uneindeutig und aber gleich-       eine individuell-persönliche Ebene verlagerte
                zeitig auch als zu bedrohlich wahrgenommen          (Menzies 1960, 103). Bei dem Palliativteam der
                wird – sondern der Anspruch, der mit dieser         Untersuchung ist es das Angebot der Trauerbe-
                Klassifizierung einhergeht: ordnen zu wollen,       gleitung, also Hospiz und Palliative Care, das
                wo eigentlich Ohnmacht empfunden wird über          Anerkennung erfährt, jedoch in der Umsetzung
                das „kurative Scheitern“.                           auf Distanz und Abwehr stößt. Einen Palliativ-
                     Diese widersprüchliche Praxis hat Auswir-      dienst in einem Krankenhaus zu haben, heißt
                kungen auf die Mitarbeitenden von Hospiz- und       nicht, dass palliative Kultur praktiziert wird.
                Palliativangeboten (vgl. Vachon 1995). Sie löst     Katharina Heimerl (2008, 23) verweist hier auf
                Spannungen und Irritationen aus, die so weit        Eduardo Bruera (2004), der vier Stadien der
                gehen, dass ein Moral Distress6 (Brazil et al.      Entwicklung palliativer Kultur im Krankenhaus
                2010) deutlich erkennbar wird. Im Rahmen der        definiert: Ablehnung, Palliphobie, Pallialie und
                Untersuchung manifestierte sich dieser an der       Pallaktivität. Meine Untersuchung bestätigt,
                Kontrollfunktion eines Palliativteams. Es entwi-    dass die Stadien auch gleichzeitig erfolgen
                ckelte von sich das Bild der „Palliativpolizei“.    können. Das Angebot der Trauerbegleitung
                Damit wird innerhalb des Krankenhauses Pal-         aufzunehmen, es jedoch nicht publik zu ma-
                liative Care von den Teams, die es anbieten als     chen, entspricht bereits der dritten Stufe pallia-
                Kampf um Versorgung und Schutz von vulnera-         tiver Kultur (Bruera 2004, zitiert nach Heimerl
                blen Menschen verstanden, die sonst im Versor-      2008, 23 f.): der Pallialie. Für dieses Stadium
                gungssystem unterzugehen drohen (Hermann            ist kennzeichnend, dass Monate bis Jahre nach
                2017, 276 ff.). Gleichzeitig wird in der Institu-   der Einführung von Palliative-Care-Program-
                tion eine Organisationsdynamik sichtbar, die mit    men nicht ausreichend Ressourcen zur Verfü-
                einer vermeintlich deutlichen Klassifizierung für   gung gestellt werden, obwohl in der Organisa-
                eine unklare Zuweisung zum Angebot Palliative       tion Palliative Care als wichtiges Thema erach-
                Care sorgt (Hermann 2017, 248 ff.).                 tet wird. Für eine integrierte palliative Kultur
                                                                    innerhalb der Organisation, der Pallaktivität,
                Abwehr und Wertschätzung                            weist das Erleben einer Supervisandin hin, die
                Wenn sich die Widersprüche der Organisation         für Sterbebegleitungen durchwegs sehr hohe
                anhand irritierenden Erlebens zeigen, erhöht
                sich bei den Berufsgruppen von Palliative Care
                der moralisch konflikthafte Stress deutlich
                (vgl. Brazil et al. 2010). Aufseiten der Organi-
                sation kann jedoch ein komplexes Verhalten
                beschrieben werden, das Anknüpfungspunkte
                an die den von Isabel Menzies (1960, 100 ff.)
                formulierten „defensive techniques“ aufweist.
                Ein Beispiel dafür ist der widersprüchliche
                Umgang mit dem Angebot der Trauerbeglei-
                tung, die das Palliativteam der Untersuchung
                im Krankenhaus anbieten wollte. Die Kranken-
                hausleitung genehmigte dem Palliativteam eine
                Trauergruppe zu initiieren und fand dafür auch
                anerkennende Worte, im Krankenhaus durfte
                dafür aber nicht geworben werden. Ohne Be-
                werbung kommt so ein Angebot allerdings
                nicht zustande. Eine Supervisandin des Pallia-
FOTO: FOTOLIA

                tivteams kommentierte diese Haltung mit den
                Worten: „Eigentlich will man den Tod nicht im
                Haus haben“ (Hermann 2017, 304).

                                                                          Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus     ÖVS news 2/2017   13
fokussiert

                       Wertschätzung von Seiten der Leitung wie auch      die Widersprüchlichkeiten, die damit einher
                       von Kolleg_innen unterschiedlicher Stationen       gehen, viel wirkmächtigere Belastungsfaktoren
                       erfährt (Hermann 2017, 306).                       als der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer.
                                                                              Um am Ende noch einmal auf die Eingangs-
                       Bezug versus auf Distanz zum Angebot               frage zurückzukommen: Die Institution Kran-
                       Palliative Care                                    kenhaus verträgt das Sterben und Palliative
                       Dass Palliative Care als Haltung innerhalb         Care durchaus, allerdings mit Widerstand. Und
                       einer Organisation alle vier Stadien gleichzei-    dieser Widerstand, der mit dem Prozess der
                       tig durchlaufen kann, von Ablehnung bis zur        Integration einhergeht, ist für Mitarbeitende
                       Praxis palliativer Kultur, belegt die Typologie,   von Palliative Care-Angeboten mitunter schwer
                       die sich aus der Untersuchung in Bezug auf         verdaulich. Damit bietet sich Supervision ge-
                       die Organisation Krankenhaus ableiten lässt:       rade in diesem Feld als geschützter Rahmen
                       „Bezug versus auf Distanz zum Angebot Palli-       und Ort der Reflexion und des Verstehens in
                       ative Care“ (Hermann 2017, 337). Diese Typo-       besonderer Weise an.
                       logie wird getragen von der „Gleichzeitigkeit
                       des Ungleichzeitigen“ (Hausinger 2008), einem
                       Phänomen der heutigen Arbeitswelt. Was heißt
                                                                          Referenzen:
                       das? Parallel zur Herausforderung des Feldes,
                                                                          Ariès, P. (2002): Geschichte des Todes. 10. Auflage, München:
                       die gekennzeichnet ist durch ein bewusstes
                                                                          Deutscher Taschenbuch Verlag
                       sich Einlassen auf Sterbende und ihre An- und
                       Zugehörigen, geht gleichzeitig für die Mitarbei-   Bauman, Z. (2005): Moderne und Ambivalenz. Das Ende der
                                                                          Eindeutigkeit. Hamburg: Hamburger Edition
                       tenden von Palliative-Care-Angeboten in Orga-
                       nisationen ein widersprüchliches Erleben ein-      Brazil, K.; Kassalainen, S.; Ploeg, J.; Marshall, D. (2010):
                                                                          Moral distress experienced by health care professionals who
                       her, das Palliative Care als Angebot innerhalb     provide home-based palliative care. In: Social Science &
                       der Organisation Krankenhaus ablehnt, an-          Medicine, 71: 1687-1691
                                                                                                                                          FOTO: FOTOLIA

                       nimmt, abwehrt, bekämpft oder auch ignoriert.
                                                                          Breidenstein, G.; Hirschauer, S.; Kalthoff, H.; Nieswand, B.
                       Beim untersuchten Palliativteam waren diese        (2013): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz,
                       organisationsdynamischen Auswirkungen und          München: UVK

14   ÖVS news 2/2017   Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert

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Clark, D.; Seymour, J. (1999): Reflections on palliative care.     13(2): 295-121
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                                                                   Palliativmedizin. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
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                                                                   Oxford: Oxford University Press, v-viii.
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kenhaus. In: Heller, A.; Heimerl, K.; Metz, C. (Hrsg.): Kultur
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Auflage, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 80-105                   1 Der Titel ist in Anlehnung an die Publikation von Müller,
                                                                   Pfister (2012) gewählt.
Hausinger, B. (2008): Supervision: Organisation – Arbeit –
Ökonomisierung. Zur Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen          2 Das Wort „palliativ“ geht auf das lateinische Verb „pal-
in der Arbeitswelt. Arbeit und Leben im Umbruch. München,          liare“ zurück, das mit „umhüllen, fürsorglich beschützen“
Mering: Rainer Hampp                                               (Heller, Pleschberger 2010, 16) übersetzt werden kann.

Heimerl, K. (2008): Orte zum Leben – Orte zum Sterben.             3 Mit der Eröffnung des „St. Christopher’s Hospice“ in
Palliative Care in Organisationen umsetzen. Freiburg im            London im Jahr 1967 begründete Cicely Saunders die
Breisgau: Lambertus                                                neue Hospizbewegung (Saunders 1993). „Hospiz“ wird
                                                                   vom Lateinischen „hospitium“ hergeleitet und bedeutete
Heimerl, K.; Heller, A.; Pleschberger, S. (2006): Implementie-     ursprünglich „Gastfreundschaft“ (Pleschberger 2006,
rung der Palliative Care im Überblick. In: Knipping, C. (Hrsg.):   25). Die ersten „modernen Hospize“, verstanden als Orte
Lehrbuch Palliative Care. Bern: Huber, 50-57                       für Sterbende, entstanden bereits in der Mitte des 19.
                                                                   Jahrhunderts in Australien und Frankreich.
Heller, A. (2007): Die Einmaligkeit von Menschen verstehen
und bis zuletzt bedienen. Palliative Versorgung und ihre Prin-     4 Die „Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung für
zipien. In: Heller, A.; Heimerl, K.; Husebø, S. (Hrsg.): Wenn      Erwachsene“ (Gesundheit Österreich 2014) beschreibst die
nichts mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun. Wie alte Men-     gesamte Angebotspalette, das „Prozesshandbuch Hospiz-
schen würdig sterben können. 3., aktualisierte und erweiterte      und Palliativeinrichtungen“ (Gesundheit Österreich 2012)
Auflage, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 191-208                  skizziert systematische Musterprozesse für jedes einzelne
                                                                   spezialisierte Angebot, auch um für dieses noch junge
Heller, A.; Pleschberger, S. (2010): Hospizkultur und Palliativ    Leistungsangebot erste Qualitätskriterien zu etablieren.
Care im Alter. In: Heller, A.; Kittelberger, F. (Hrsg.): Hospiz-
kompetenz und Palliative Care im Alter. Eine Einführung.           5 „Klassifizieren besteht aus den Handlungen des
Freiburg im Breisgau: Lambertus, 15-51                             Einschließens und des Ausschließens“, konstatiert Zygmunt
                                                                   Bauman (2005, 13) und verweist auf das Bestreben,
Hermann, U. (2017): „Je länger ich dabei bin, desto DURCH-         Eindeutigkeiten zu konstruieren.
LÄSSIGER werde ich.“ Palliative Care im Fokus von Supervi-
sion: eine ethnografisch-partizipative Untersuchung von Pal-       6 Brazil et al. (2010, 1687) definieren das Erleben des
liativ- und Hospizteams. Dissertation, Universität Klagenfurt      Moral Distress mit Bezug auf Jameton (1984) als „[...] the
                                                                   feelings and experiences which result from a moral conflict
Jameton, A. (1984): Nursing practice: The ethnical issues.         where one has a sense of the correct action to take but
Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall                                constraints prevent implementation of the action.“

                                                                           Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus                  ÖVS news 2/2017   15
informiert

Lebenskraft statt Burnout

                         Am 19. Mai 2017 fand in Linz eine Fortbil-        und den Zugriff zu unbewusstem Erfahrungs-
                         dungsveranstaltung der ÖVS OÖ statt. Im Sinne     wissen. Dies ist besonders für die Auseinander-
                         des Formates „brush up your tools“, wurden        setzung mit Eigenmotivation und Bedürfnissen
                         vier Workshops angeboten, die sich allesamt       sowie zur Bearbeitung komplexer Themen und
                         dem Thema „körperzentrierte Methoden“             der Suche nach kreativen Lösungen nützlich.
                         widmeten. Es referierten die Mitglieder der           Danach konnten die TeilnehmerInnen der
                         Arbeitsgruppe „Lebenskraft“: Roswitha Hölzl,      Fortbildung aus vier Workshops wählen, die
                         Gertraud Schlecht, Catherine Spöck, Helga         sowohl im Freien, als auch im Seminarhaus
                         Prähauser-Bartl, Anita Putscher und Elisabeth     durchgeführt wurden.
                         Peitl (von links nach rechts).
                             Diese Gruppe beschäftigt sich seit mehr als   „Geh-Spräche“ und „Walk & Talk“ – geleitet
                         zwei Jahren, im Rahmen einer ARGE der ÖVS         von Gertraud Schlecht und Roswitha Hölzl:
                         OÖ, intensiv mit dem Thema Burnout- Prä-          Zahlreiche Studien belegen die positiven Aus-
                         vention. Aus der langjährigen Erfahrung als       wirkungen von körperlicher Bewegung in der
                         Beraterinnen, gepaart mit den Erkenntnissen       Natur, einem achtsamen Umgang mit sich
                         der Recherchen wurden Methoden vorgestellt,       selbst und dem Erkennen und Einsetzen der
                         die SupervisandInnen dabei unterstützen, Ihre     eigenen Stärken und Ressourcen in der Burn-
                         Selbstwahrnehmung und Selbstachtsamkeit zu        out-Prävention und -Behandlung
                         sensibilisieren, sich zu stärken, zu entspannen        Ziel dieses Workshops war, für die Teil-
                         und neue Kräfte zu sammeln – die personale        nehmerInnen die positiven Auswirkungen von
                         und organisationale Resilienz zu stärken.         Bewegung in der Natur spürbar zu machen,
                             Catherine Spöck gab in einem Einfüh-          achtsam ihren Körper und die eigenen
                         rungsvortrag einen theoretischen Input zum        Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und
                         Thema der Fortbildung „Körperzentrierte           Bewusstheit darüber zu entwickeln, wie sie
                         Methoden in Supervision und Coaching“ und         ihre persönlichen Stärken für ein gerade anste-
                         spannte den Bogen von sprach- und vernunft-       hendes Thema nutzen können.
                         zu körperorientierten Vorgehen. Unsere kul-            Mitten in einer Blumenwiese in einem Lin-
                         turgeschichtlich begründete, vernunftbetonte      zer Park wurde mit einer Qigongübung gestar-
Arbeitsgruppe            Prägung wird durch die emotionale Wende und       tet. Anschließend haben die TeilnehmerInnen
„Lebenskraft“:           ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse heraus-      bei einem Spaziergang für ihre drei wichtigs-
Roswitha Hölzl,          gefordert. Gefühle und Körperempfinden wer-       ten Stärken Symbole aus der Natur gefunden
Gertraud Schlecht,       den als maßgebliche Informationsquellen und       und sich damit beschäftigt, wie sie diese Stär-
Catherine Spöck, Helga
                         Auslöser für Denk- und Handlungsprozesse          ken für das aktuelle Thema einsetzen können.
Prähauser-Bartl, Anita
Putscher und Elisabeth   entdeckt. Eine achtsame, körperzentrierte              Im gegenseitigen Austausch konnten neue
Peitl (von links nach    Arbeitsweise im Supervisionskontext ermög-        Möglichkeiten angedacht und durch Feed-
rechts).                 licht den Wechsel auf eine zusätzliche Ebene      back weitere Sichtweisen eröffnet werden.
                                                                           Abschließend erfolgte eine weitere, angeleitete
                                                                           Körperübung.
                                                                                Rückmeldungen von den TeilnehmerInnen:
                                                                                „Wieder in einer Blumenwiese gehen – das
                                                                           sind Kindheitserinnerungen.“
                                                                                „Ich wusste nicht, dass es in Linz solche
                                                                           Plätze gibt, ich war seit Jahren das erst Mal
                                                                           wieder spazieren.“ „Vor allem die Körperübun-
                                                                           gen haben mir gut getan.“

                                                                           „Aufrecht durch’s Leben“ geleitet von Elisa-
                                                                           beth Peitl: Immer dann, wenn vorhandene, rou-
                                                                           tinierte Strategien nicht mehr zum Erfolg füh-
                                                                           ren, werden Veränderungsprozesse notwendig.
                                                                           Es gilt, neue Denk- und Handlungsmuster zu
                                                                           kreieren und dauerhaft abzuspeichern. Neuro-
                                                                                                                             FOTO: ERWIN PILS

                                                                           wissenschaftliche Forschungsergebnisse stellen
                                                                           ebenfalls Zusammenhänge zwischen körperli-
                                                                           chem Empfinden, Emotionen und Denkmustern

16   ÖVS news 2/2017     Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
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