Övs news - Dynamiken Krankenhaus im 2/2017 - ÖVS
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övs news Sponsoring Post-Nr. SP02Z030448 S österreichische vereinigung für supervision und coaching 2/2017 Dynamiken im Krankenhaus
Editorial Liebe Kollegin, lieber Kollege! Ich hoffe, dass alle einen erholsamen Som- Weitere Aktivitäten der Geschäftsstelle sind mer – trotz der heftigen Hitze und Wetterka- auf den Seiten 18 und 19 zu finden. Dank priolen – hatten und genügend Energie für gebührt auch Christiane Schnalzer führt die Arbeit und Leben getankt haben. Koordination und Überwachung der Renovie- Für einen Teil der internationalen Super- rung der ÖVS Geschäftsstelle. visions Community endete die Urlaubszeit mit Das Protokoll der Generalversammlung der ANSE Summer University 2017, die in 2017 ist sehr umfangreich ausgefallen. Auf- Rotterdam unter dem Titel „Moved and Being grund der detailreichen und genauen Berichte Moved“ stattfand. Über 120 KollegInnen aus aus den einzelnen Gremien wäre es im Druck über 14 europäischen Staaten nutzten die Ge- eine eigene ÖVS News Nummer mit über 30 legenheit, sich – inspiriert durch Vorträge und Seiten. Aus diesem Grund haben wir entschie- Workshops – über praktische, theoretische den, das Protokoll nur auf die Homepage zu und politische Aspekte unseres Berufes aus- stellen. Wer es unbedingt in einer Printversion zutauschen. Einen ausführlichen Bericht wird auch haben möchte, möge sich bitte in der es in der NEWS 3/17 dazu geben. Für alle, Geschäftsstelle melden. die auch einmal daran teilnehmen wollen und Viel Freude beim Lesen! nicht weit fahren möchten, gibt es dafür im August 2019 die Chance dazu. Dann findet die Mit kollegialen Grüßen ANSE Summer University in Österreich statt. Wolfgang Knopf Seit der Generalversammlung wird inten- siv an der Gestaltung der neuen Homepage und der Entwicklung der ÖVS interne Kom- munikation gearbeitet. Viel Arbeit steckt im Detail und Dank Rosie Moser‘s Übersicht und Kenntnisse sind wir zuversichtlich, bald ein gelungenes Resultat vorstellen zu können. Inhalt 3 Dynamiken im Krankenhaus Ursula Hermann/Wolgang Knopf 16 Lebenskraft statt Burnout Helga Prähauser-Bartl 4 Die Konflikte im österreichischen 18 Öffentlichkeitsarbeit der ÖVS Gesundheitswesen Ernest Pichlbauer 18 Renovierung des ÖVS Büros 7 Effizienz von Supervision und Coaching 19 Supervision in der Ukraine – zwei Aufrufe! im Krankenhaus Verena Krassnitzer 20 Finanz & Co Dr. Günther Fisslthaler 10 Wie viel Tod verträgt das Krankenhaus? Ursula Hermann 20 Veranstaltungen 21 Aufgeblättert 24 Willkommen – Neue ÖVS-Mitglieder Övs News Redaktion sucht Mitarbeiterinnen! Die ÖVS News erscheint 3x im Jahr und wird durch das Redaktionsteam gestaltet. Gestaltung heißt Themenschwerpunkte zu finden und diese zu betreuen. Betreuen heißt, AutorInnen zu finden oder aber auch selbst etwas schreiben. Die notwendigen COVERFOTO: FOTOLIA Redaktionssitzungen werden in Zukunft auch über skype abgehalten werden. Also eine große räumliche Distanz sollte kein Hindernis sein! Über Interessierte freut sich die Redaktion und die Geschäftsstelle! 2 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert ÖSTERREICHISCHES GESUNDHEITSSYSTEM Gesundheitsausgaben Lebenserwartung Zufriedenheit pro Kopf in Euro bei guter Gesundheit mit dem Gesundheitssystem in Jahren in Prozent NÖ NÖ NÖ 3.884 66 79 OÖ Wien OÖ Wien OÖ Wien 3.738 4.400 66 65 75 76 Stmk. Stmk. Stmk. 3.834 65 78 Vbg. Tirol Sbg. Bgld. Vbg. Tirol Sbg. Bgld. Vbg. Tirol Sbg. Bgld. 4.020 3.870 4.105 3.508 69 71 70 63 79 82 81 79 Ktn. Ktn. Ktn. 4.004 67 80 Durchschnitt Österreich: 3.973 Durchschnitt Österreich: 66 Durchschnitt Österreich: 78 unter Durchschnitt über Durchschnitt im Schnitt Dynamiken im Krankenhaus Ursula Hermann/Wolgang Knopf D as österreichische Gesundheitswesen Grundlagen der Finanzierung des österreichi- ist und bleibt ein Thema öffentlichen In- schen Gesundheitswesens: dabei verweist er teresses. Am 22.08. präsentierte bei den auf unterschiedliche Modelle der Finanzierung, Alpbacher Gesundheitsgesprächen die Gesund- wie der Kombination aus dem Beveridge und heitsökonomin Maria Hofmarcher eine Studie, Bismarck Modell, die Österreich gemeinsam mit die die eklatanten Unterschiede zwischen den Griechenland eine Sonderstellung in Europa gibt. österreichischen Bundesländern zeigt (siehe Eine interne Sicht über den Einsatz von Grafik) und am 25.08. stellte DER STANDARD Supervision und Coaching im Krankenhaus das Gesundheitssystem auf den Prüfstand. gibt Rainhard Faber, strategischer Personal- Immer ging es dabei um Grundsätzliches. entwickler im KAV, im Interview mit Isabella Supervision ist im Krankenhaus angekom- Krassnitzer, Koordinatorin der ÖAGG-Pools. Sie men. Die Träger der Krankenhäuser haben – machen sich Gedanken über die Effizienz von wenn auch unterschiedlich – Supervision in Supervision und Coaching im Wiener Kran- den Betrieb integriert, Coaching für Führungs- kenanstalten Verbund. Interessant ist die un- kräfte beginnt ebenfalls Fuß zu fassen. terschiedliche Einschätzung der Wirkung von Die Auftraggeber erwarten von den Super- Supervision und Coaching für die Organisation. visorInnen und Coaches in den meisten Fällen Einen spezifischen Blick auf einen der zen- dabei eine Feldkompetenz. Diese beschränkt tralen Dynamiken im Krankenhaus richtet Ur- sich meist auf eine Beratungspraxis im System. sula Hermann in ihrem Beitrag. Krankenhaus Um die Dynamiken im Krankenhaus zu er- verdient an der Krankheit nicht an der Ge- fassen, gilt es die wesentliche ökonomischen sundheit! Zusammenfassung einer Forschung. wie politischen Rahmenbedingungen zu ken- Das Spannungsverhältnis von Gesundheit und nen und zu verstehen. Krankheit ist tabuisiert und wird besonders Einen solchen ersten Schritt soll mit dieser deutlich am Umgang mit Tod und Sterben FOTO: FOTOLIA ÖVS NEWS Nummer unternommen werden. im Krankenhaus. Eine Forschung zu diesem Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer Thema bietet der Beitrag: „Wieviel Tod verträgt gibt einen Überblick über die ökonomischen das Krankenhaus?“ Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 3
fokussiert Die Konflikte im österreichischen Gesundheitswesen Ein Gesundheitswesen ist immer in 3 Ebenen organisiert: Behandlungs-, Versorgungs- und Systemebene. Von Ernest Pichlbauer D ie Behandlungsebene beschäftigt sich mit sourcen), die dazu eingesetzt werden (Logistik), einzelnen Patienten, nämlich denen, die ein definiertes Ziel (Motivation) zu erreichen. gerade behandelt werden. Auf dieser Ökonomie gibt es also überall, wo Menschen Ebene findet sich nur ein Patient und ein Be- agieren. Deswegen ist der Vorwurf der Ökono- handler. Die treffen nicht grundlos, zufällig und misierung in der Regel nur Polemik derer, die irgendwo aufeinander, sondern in einem Um- Interessen vertreten. feld, der Versorgungsebene. Diese beschäftigt Um das zu verstehen, muss man drei Mo- sich dabei nicht mit einzelnen Patienten oder delle unterscheiden: (1) Gesundheitsökonomie, Behndlern, sondern mit den Voraussetzungen, (2) „Neue politische Ökonomie“, (3) Mikroöko- Dr. Ernest Pichlbauer die nötig sind, dass (möglichst) alle Patienten nomie (Betriebswirtschaft) ist unabhängiger zur rechten Zeit beim richtigen Behandler eine Die Gesundheitsökonomie beschreibt „Kos- Gesundheitsökonom, Behandlung bekommen können. Im einfachsten ten (Ressourcenverbrauch – nicht nur Geld, gesundheitspolitischer Fall eben dadurch, dass ein Patient dort ist, wo sondern auch und vor allem Zeit) pro Patienten Kolumnist der „Wiener er sein soll. Je nach Definition (nur Arzt, oder nutzen-Einheit“. Dem Patienten nützen wol- Zeitung“ und Buchautor doch auch andere Gesundheitsberufe) treten len alle, aber wer darf das wie messen? Dazu mindestens 200 Millionen Versorgungssituati- braucht es ein Werte- und Zielgerüst (und zwar onen pro Jahr auf. Weil das gigantisch kom- ganz konkret), das durch einen öffentlichen plex ist, schwebt darüber das System, das der Diskurs errichtet wurde – eine klassische Sys- Versorgungsebene eine Orientierung geben soll, tem-Aufgabe. Womit wir bei der „Neuen politi- was, mit welchen Mitteln erreicht werden soll. schen Ökonomie“ wären. Diese kennt andere Behandler beschäftigen sich mit Patienten, Wertmaßstäbe; es geht um Einfluss (Stimmen) Versorger mit Patientenströmen und Politiker -Verlust/Gewinn pro real durchgeführter Maß- mit dem Ausgleich der Interessenslagen in der nahme. Ein Wertegerüst festzulegen, in dem Versorgungsebene. Wenn letztere ihre Aufga- steht, dass ein Menschenleben soundso viel ben schlecht wahrnehmen, wird die Versorgung wert ist, verspricht definitiv keinen Stimmenge- von Interessenskonflikten durchsetzt – etwas, winn – denn, Gesundheit ist unendlich wertvoll; das Behandler nicht selten als Folge der Öko- was aber heißt, dass das Gesundheitssystem nomisierung deuten. Ökonomie ist aber nur unendlich viel kosten darf. Weil aber die Politik das „Haushalten“ mit besessenen Mitteln (Res- keine unendlichen Ressourcen hat, findet man bei uns praktisch nur Mikroökonomie. Diese arbeitet mit Stückkosten. Um es einfach zu hal- ten, definiert unser System als Stück gerne ein Spital, ein Spitalsbett, eine Kassenordination oder eine Tablette. Ziel sind möglichst viele, möglichst billige „Stücke“. Und bei uns heißt das eben – Aufrechterhaltung aller politisch gewollten Strukturen, bei möglichst niedrigen Kosten – der Nutzen des Patienten ist unerheb- lich, auch wenn das anders kommuniziert wird. Grundsätzlich ist der betriebswirtschaftliche Ansatz nicht schlecht und führt v.a. bei akut und schnell heilbaren Krankheiten zu guten Ergeb- nissen. Schwieriger ist es, wenn es darum geht Innovationen einzuführen. Denken wir an ein neues Medikament, das doppelt so teuer ist, wie das alte, aber auch doppelt so schnell wirkt – wenn nur der Preis pro Tablette gültig ist, ist der FOTO: FOTO WILKE Patientennutzen „schneller gesund“ zu werden, nicht Teil der Entscheidung. Dieses Ökonomiemodell hat also Schwä- 4 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert chen. Richtig versagen muss es, wenn mehrere „Zahler“ verantwortlich sind, also die Finanzie- rung nicht aus einer Hand erfolgt. Und genau das finden wir in Österreich. Als eines von zwei Ländern in der EU wird das öffentliche Gesundheitswesen nicht entweder aus Steuern (Beveridge-Sstem) oder aus Sozi- alversicherungsbeiträgen (Bismarck-System) finanziert, sondern aus beiden. Diese duale Finanzierung trägt ein gewaltiges Konfliktpo- tential, wenn es darum geht, Patienten an der richtigen Stelle zu versorgen. Vor allem, wenn man betrachtet, welche „Hand“ für welche Sek- toren zuständig ist. Denn diese duale Finanzierung zerpflügt das Gesundheitswesen förmlich in horizontale, voneinander unabhängige Teilbereiche, ohne inhaltliche Logik. So ist etwa die fachärztliche ambulante Versorgung extramural Kassen-, int- ramural Länder-Sache. Oder die Prävention, die ist gleich mehrfach aufgeteilt, die (Tertiär)Pfle- FOTO: FOTOLIA geprävention überhaupt gleich ins Sozialsystem verdrängt, das, anders als das Gesundheitssys- tem, kein Sachleistungsprinzip kennt. Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 5
fokussiert Doch auch jeder horizontale Teilbereich ist in das dänische steuern, 214.000 Österreicher sich (vertikal) fragmentiert. So sind etwa für hätten keine erheblichen Einschränkungen bei die ambulante extramurale Kuration 35 bis 37 den Aktivitäten des täglichen Lebens – wären (so genau weiß das niemand) Krankenkassen also keine „echten“ Pflegefälle, bei exakt glei- oder -fürsorgeanstalten zuständig, während chen pro Kopf Gesundheitsausgaben. die ambulante intramurale Versorgung von 53 Für Behandler, die direkt vor dem Patienten Sptialsträgern definiert wird. Und weil über sitzen, hat dieses Chaos unmittelbare Folgen. ihnen kein System steht, muss sich keiner ver- Denn, mangels eines einheitlichen Systems, tikal oder wenigstens horizontal abstimmen. werden die Interessenskonflikte der Versor- Alle folgen der inneren politischen Logik und gungsebene dem freien Spiel der (politisch) Eigeninteressen. tätigen Interessensvertretungen (Gewerkschaf- Der Rechnungshof hat dieses heillos frag- ten, Länder, Kammern, …) überlassen. Und so mentierte System dargestellt. Die blauen Kreis- streiten etwa seit Jahrzehnten Apotheker und segmente sind die Geldgeber, dann wird das Ärzte über Hausapotheken, und Kassen mit Geld durch ein Labyrinth gejagt und kommt Ländern, wer für Kinderrehabilitation zustän- irgendwann als Umsatz bei Ärzten und Spitä- dig ist. All diese Streitereien sind frustrierend. lern an. Egal wie sehr sich Behandler bemühen, unter den gegebenen Umständen verbrauchen wir Und weil es keine Systemebene gibt, und damit enorme Ressourcen, erreichen aber keine ent- die Versorgung unstrukturiert abläuft, ist der sprechend gesunde Bevölkerung – der Frust ist Erfolg mäßig, genaugenommen schlecht. Mit verständlich. Und da Politik mit Gefühlen arbei- 450.000 amtlichen Pflegefällen (mehr als 65 tet, machen sich Politiker diesen Frust zu Nutze Stunden Betreuung / Pflege pro Monat, andere und spielen Berufsgruppen gegeneinander aus. werden nicht mitgezählt) gehören wir zu den Und genau das kann jeder jeden Tag in Ordi- Ländern, die „Healthy Ageing“ nicht hinkrie- nationen, Spitälern oder Pflegeheimen täglich gen. Zum Vergleich, würde unser System wie überprüfen. 6 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert Effizienz von Supervision und Coaching im Krankenhaus Interview von Verena Krassnitzer mit Herrn Reinhard Faber Was bedeutet in Ihrem Kontext Effizienz von Supervision und Coaching im KAV? Zunächst ist ein so wirtschaftlicher Begriff wie Effizienz in dem Zusammenhang immer wieder ein Stück problematisch. Wenn ich die- sen Begriff diskutiere, merke ich, dass gerade im unserem Kontext wirtschaftliche Begriffe wie Produktivität nicht so anerkannt und ge- wünscht sind. Dennoch geht es um Effektivität, um Wirkung von Interventionen. Das hat ja mehrere Aspekte. Bei uns im KAV sind ja viele ExpertInnen, die in der Kranken- behandlung mit Problemstellungen der Patien- tInnen sehr oft alleine auf sich gestellt sind. In der Therapie, Diagnostik usw. muss man sehr stark auf PatientInnen eingehen und entschei- den, da kann man nicht sofort reflektieren. Daher ist es als Organisation sehr wichtig, den MitarbeiterInnen solche Instrumente anzubie- ten, um zu signalisieren, dass der Arbeitgeber um die Problematik weiß und einerseits Su- pervision, aber auch Coaching für schwierige Situationen anbietet. Wie macht sich Effizienz bemerkbar? Effizienz macht sich auf zwei Ebenen bemerk- bar: in der qualitätsvollen Arbeit, aber auch in der Stärkung der Reflexionsfähigkeit bzw. der Personen selbst, so dass die MitarbeiterInnen, Reinhard Faber auch unter großer Belastung, weiterarbeiten Bereichsleiter Strategische Personalentwicklung und Bildungsmanagement sowie können. Eine Wirkung zeigt sich, wenn Mit- für Gesundheits-, Gender- und Diversitätsmanagement arbeiterInnen sich subjektiv wohlfühlen. Das … seit über 30 Jahren im Personalmanagement der Krankenhäuser Wiens, bedeutet aber auch für uns, dass wir gerade seit 1997 Aus- und Aufbau strategischer Personalentwicklung und bei professionell im Krankenhaus arbeitenden seit 2003 Gestalter und Prozesseigner für Supervision im Wr.Krankenanstaltenverbund Menschen immer Überzeugungsarbeit leisten müssen. Wir verordnen das nicht, aber sorgen dafür, dass das Angebot sichtbar ist. drüber, weil es nicht aus einem eigenen Impuls Würden Sie da einen Unterschied zwischen zu einer Unterstützung kommt, sondern auch Supervision und Coaching machen, oder die gecoachte Führungskraft, als Verantwortli- kann man in Bezug auf Ihre Antwort hier che für die Organisation, noch mal „eines drauf beide Formate subsumieren? legt“. Doppelte Wirkung. Coaching kommt auch Ja, in der mittelbaren Wirkung. Durch das Stär- deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil ken einer Führungskraft, die ja als Zielpunkt es hier die gezieltere Orientierung gibt, mehr den Mitarbeitenden hat, haben wir auf die Pro- als in der Supervision. fessionalisierung, auf das Wohlbefinden, Stabi- lität der mit PatientInnen arbeitenden Mitar- Was soll Supervision und Coaching aus beiterIn eine doppelte Wirkung. Beide Formate Ihrer Sicht für das Gesamtsystem KAV FOTO: PRIVAT sind sehr brauchbar, aber In der Effektivitäts- leisten? Welche Erwartungshaltung haben frage stelle ich das Coaching noch ein wenig Sie hier als Personalentwickler? Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 7
fokussiert Wir haben dieses Thema ja von Grund auf ent- KAV auch eine Veränderung braucht. Also in wickelt, unter anderem ja auch mit dem ÖAGG. Bewegung ist, und durch Coaching, durch die Für uns bedeutet Supervision und Coaching einzelnen agierenden Führungskräfte model- immer eine Intervention, die zwei Blickwinkel liert wird, und somit kann man sagen, ler- verfolgt: das eine ist die Qualitätssicherung nende Organisation. Das ist das theoretische der Arbeit, von Prozessen und Abläufen. Das Gebäude, und dort, wo uns Führungskräfte andere ist die Gesundheitsförderung, die emo- beweisen, dass sie dies erkannt haben, funkti- tionale Stabilisierung der einzelnen Personen, oniert es auch wunderbar. Da geht auch die Or- was die mentale Stärkung des Einzelnen zum ganisationsentwicklung weiter. Ich komme aus Zentrum hat. Das ist unverzichtbar. der Personalentwicklung und schaue natürlich Der Beitrag von Supervision ist ja vielfältig darauf, dass sich die Personen entwickeln, aber für die Organisation. Auch durch das profes- natürlich ist der Beitrag Coaching auch ein Bei- sionelle Agieren der SupervisorInnen, um das trag zur Organisationsentwicklung. Teamgefüge zu stärken und ein Ventil zu er- möglichen, um bestimmte Belastungen auch Was erwarten Sie vom Coach, wann ist der ausleben zu dürfen. Nicht nur: ich muss stark effizient? sein, darf keine Schwäche zeigen: Dass Exper- Er/sie soll eloquent und sehr offen den Pro- tenorganisationen hier Unterstützung für Ex- blemstellungen vom KH/Pflegewohnhaus oder pertInnen liefern müssen, das ist der Punkt. einer Führungskraft gegenüberstehen, dem D.h., der Beitrag von Supervision ist, die Stär- sehr gut begegnen. Nicht umsonst haben wir kung und Stabilisierung des Staff des gesamten Kriterien in der Vertragspartnerschaft (mit Leistungserbringers. Wir sind ein Dienstleis- dem ÖAGG) aufgenommen, dass der Coach/ tungsbetrieb, d.h. bei uns arbeiten Menschen, die Supervisorin eine mehrjährige Erfahrung wir haben keine Maschinen, die wir abschalten im Krankenhauskontext haben muss. Um hier können, außer auf der Intensivstation. Aber die viele Entwicklungen, Stolpersteine zu erken- Hauptleistung bieten Menschen an. Und diese nen, um letztendlich aus dem KH-Kontext auch sollen Unterstützung bekommen. den Blick hinauszumachen, auf eine neutrale Und das Coaching ist natürlich auch eine Organisations-Sicht. Hemmnisse sollen etwas Möglichkeit, sichtbar oder spürbar zu machen zurückgedrängt werden und andere Perspek- (mit einigen Einschränkungen) , wie denn die tiven entwickelt werden. Nicht alles ist rea- Grundhaltung der Organisation zum Thema lisierbar, dennoch braucht es auf Seiten des Führen generell ist. Wenn ich eine Organisation Coaches einen Perspektivenwechsel. Und das habe, die kein Coaching anbietet, zumindest so ist meiner Meinung nach das Hauptziel, wenn systematisch wie wir, wird der Führungskraft wir mit Coaches arbeiten, dass der Perspekti- signalisiert „Du musst funktionieren, und wenn venwechsel, die Vogelperspektive auf das Pro- Du Hilfe brauchst, hol sie dir von außen.“ Und blem, die Organisation und auf die Menschen wir signalisieren, und das ist der Beitrag zum gegeben werden. Es ist die Erwartung an Su- Gesamterfolg als ein Arbeitsmittel, eine Un- pervisorinnen und Coaches, der FK die Chance terstützung zur Verfügung gestellt bekommen, zu geben, selbst den Blick zu heben, und nicht um sich mental auf schwierige Situationen und nur auf das Problem zu schauen. Viele unse- Veränderungen einzustellen. rer Professionalisten, wenn ich an ÄrztInnen denke, haben ja gelernt, genau auf das eine Wenn man hier weiterdenkt, kann man Organ zu schauen, das Probleme macht. Dass sagen, dass FK-Coaching einen Beitrag zur aber der Mensch als Ganzes viele Einflussfakto- lernenden Organisation liefert? ren in sich trägt, die eine Ursache für eine Er- Ja, absolut! Die Herausforderung, die wir im krankung sein können, das ist jetzt heute auch KAV beim FK -Coaching haben ist, das der schon viel mehr verbreitet, dennoch schauen Coachee direkt mit dem Vorgesetzten das Coa- einige noch immer ausschließlich auf das Sym- ching- Ziel besprechen muss. Da gibt es schon ptom. Die Aufgabe des Coaches sehe ich darin, noch eine Barriere, die vorhanden ist. Für sich den Blick aufs Ganze zu ermöglichen. selbst als Coachee etwas zu holen, das ist ei- nigermaßen anerkannt, aber die Wirkung des Weil Sie den Kontext Symptom erwähnt Coachings für die Organisation zuzulassen, das haben, eigentlich die systemische Pers- ist noch eine große Herausforderung. Nur we- pektive. Glauben Sie, dass ein Coach, eine nige erkennen darin auch die Chance, dass sich SupervisorIn zumindest Grundkenntnisse damit die Organisation auch verändert. Und aus dem systemischen Denken braucht? das gehört weiter bearbeitet. Und wenn man Ich glaube, das ist unverzichtbar. Der Coach so will, wäre es der Beitrag der Führungskraft, muss switchen können. Sich Einstellen auf die/ genau da zu erkennen, dass die Organisation den KundIn, die vielleicht den analogen Weg 8 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert gehen. Eine Außenperspektive, das ganze Sys- Arbeitszeiten, im Dienstplan, tatsächlich fixe tem reinzuholen, das ist unverzichtbar. Reflexionsstunden für ein Team einzubauen. Nicht draufzusetzen, nach dem Motto, wer Zeit Das gleiche gilt für die Supervision aus hat, kommt halt auch, sondern genauso einzu- Ihrer Sicht? planen, wie z.B. Dienstübergaben. Ja, vielfach kann man mit unserem Modell der Kurzzeitsupervision fokussiert auf Problembe- Wird damit die Freiwilligkeit in Frage wältigung arbeiten, die SupervisorInnen sollten gestellt? das jedenfalls im Repertoire mithaben. Ob sie Sie ist gefährdet, keine Frage. Das müssen wir es dann anwenden können, ist die Frage, je in Kauf nehmen. nachdem, was die Gruppe braucht. Stichwort Effizienz und freiwillige Teil- Können Sie die Effizienz von Supervision nahme: Wäre die Wahrscheinlichkeit und Coaching an Zahlen festmachen? größer, wirkungsvoll zu sein, wenn diese Da muss man differenzieren. Sie sprechen Angebote verpflichtend wären. Kann mich als strategischen Personalentwickler an, man hier – aus Ihrer Sicht – eine kausale meine Wahrnehmungen beziehen sich auf die Verbindung herstellen? anonymen Feedbackbögen aus den Häusern, Das würde ich nicht automatisch mit ja oder und teilweise auch auf die Resonanz der An- nein beantworten. Ich glaube, dass es da auch sprechparnterinnen in den Häusern. Diese be- die Sicht des Supervisors braucht, mit dem Team gleiten ja den Prozess aus einer administrati- abzugleichen. Da tu ich mir schwer, das absolut ven, übergeordneten Sicht. Wir haben ja keine zu sehen. Bei der zeitlich begrenzten Supervision Berichtspflicht, wir haben aber zwei systema- würde ich es so sehen, dass beim Einstieg die tische Rückmeldungen, nämlich ob das Ziel Freiwilligkeit herrscht. Wenn man aber einmal erreicht wurde oder nicht und ob Supervision dabei war, dann ist es Verpflichtung wieder zu wieder in Anspruch genommen würde. kommen. Aber das ist keine einfache Entschei- 96 Prozent würden Supervision wieder in dung. Das hängt ganz von der Kultur, dem Be- Anspruch nehmen (zeitlich begrenzt 2016), triebsklima ab, das sich gebildet hat, die geprägt (84% 2015). Beim Coaching kann man nicht so wird von Führungskräften, es hängt aber auch viel sagen, weil wenige Aufträge abgewickelt von den unterschiedlichen Disziplinen ab. wurden. Da sind wir immer noch in den Anfän- gen, da gibt es Nachholbedarf. Die Zufrieden- Wie wird aus Ihrer Sicht Supervision und heit wird beim Coaching nicht abgefragt. Aber Coaching in Zukunft im KAV eingebettet Effizienz kann schon daran gemessen werden, sein, welche Rolle wird diesen qualitätssi- bzw. SV kann als Erfolg gewertet werden, wenn chernden Instrumenten zugewiesen? es wieder in Anspruch genommen wird. Supervision ist auch ein Kostenfaktor. In Zeiten wie diesen, muss nachgedacht werden, wel- Welche Maßnahmen müssen aus Ihrer che Aufgaben können wir noch finanzieren? Sicht gesetzt werden, um die Effizienz von Der Vorstand hat sich bis heute noch nicht Supervision und Coaching zu steigern? positioniert, dass Supervision und Coaching Wenn wir zunächst Coaching anschauen, sollte zu den unverzichtbaren Dingen gehören. Sie dieser Beratungsprozess mehr im Sinne eines haben aber auch nicht gesagt, dass es gestri- Lernprozesses fix eingebaut werden. Wir sind chen wird. D.h. wir sind ein wenig in einem derzeit dabei, alle unsere Führungskräfte- Übergang, auf dem ich mich bewegen kann. schulungen und Trainings neu auszurichten. Ich vermeide derzeit auch eine klarere Posi- Wir integrieren in alle diese Lehrgänge Coa- tionierung. Wir haben eine ganz eindeutige, chingsequenzen. D.h., wir wollen auch erwach- normierte Vorgangsweise, und an der halte senbildnerisch mehr tun, als es bisher in man- ich fest. Wenn Sie mich also fragen, dann ist chen Bereichen stattgefunden hat. Wir wollen die Linie im Change-Prozess ganz klar: Super- jetzt ganz andere Wege gehen. Natürlich soll es vision und Coaching müssen den Change-Pro- inhaltliche Impulse geben, aber, vor allem bei zess begleiten! Um die, die an diesem Prozess Nachwuchsführungskräften, soll das kollegiale maßgeblich beteiligt sind, zu unterstützen. Lernen gestärkt werden. Und das soll durch Koste es, was es wolle. Letztendlich muss die- Einzelcoaching Angebote begleitet werden, ses Bewusstsein, dass es diese zwei Angebote freiwillig zwar, aber deutlich aufgefordert, ein- gibt, immer deutlicher unterstrichen werden. zelne Lernabschnitte für sich zu reflektieren. Auch die Erfolge müssen sichtbarer und viel Ganz anders ist in diesem Zusammenhang mehr vermarktet werden. die Supervision zu sehen. Wenn wir an die Zukunft denken, ist es ganz wichtig, in den Herr Faber, vielen Dank für das Gespräch! Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 9
fokussiert Wie viel Tod verträgt das Krankenhaus? 1 Ein forschungssupervisorischer Blick auf Palliative Care in der Organisation Krankenhaus von Ursula Hermann K rankenhäuser sind hochkomplexe Das Sterben wurde vom Alltag in einen ins- Dienstleistungsbetriebe, die unter- titutionalen Rahmen „verlegt“ (vgl. Ariès 2002, schiedliche gesellschaftliche Funktionen 729 ff.). Das ermöglicht uns eine „stillschwei- erfüllen. Die Patient_innenversorgung ist dabei gende Aussonderung der Alternden und Ster- eine ihrer Hauptaufgaben. Die Versorgung benden aus der Gemeinschaft der Lebenden“, kranker Menschen geht oft mit Unsicherheiten wie Norbert Elias in „Über die Einsamkeit der einher, denn Heilung ist keine Gewissheit. Me- Sterbenden“ (1990, 8) feststellt. dizinische Behandlungen werden permanent Gesundheitsinstitutionen wird eine para- verbessert, immer mehr wird möglich. Doch doxe Aufgabe überlassen: Sie sollen Gesund- insbesondere der Tod setzt Grenzen und er- heit wiederherstellen, also den Tod besiegen, zeugt im Krankenhaus die nachhaltigsten Er- gleichzeitig wird in ihnen gestorben. Mit dem fahrungen des Scheiterns (Grossmann 1997, Sterben muss ein Umgang gefunden werden. 162). Der Kampf der Medizin und Pflege gegen So wird Sterben – etwas zutiefst Intimes und Sterben und Tod gilt daher als identitätsstif- Persönliches – institutionalisiert und zur Rou- tend und erweist sich in der Alltagspraxis tine. des Krankenhauses als widersprüchlich (vgl. Ralph Grossmann skizziert die konstitutive Grossmann 2000, 82). Denn Sterben und Tod Bedeutung, die das Verhältnis zu Sterben und gehören zum Krankenhausalltag. Das zeigen Tod für die Organisation Krankenhaus hat: die aktuellen Sterbezahlen von 2016 (Statistik „Am organisierten Umgang mit Schwerstkran- Austria 2017): 67,6 Prozent der Verstorbenen ken und Sterbenden werden wie im Brennglas starben in Krankenhäusern und Heimen, eine zentrale Organisationsprobleme des Kranken- Zahl, die seit 2006 in etwa gleich geblieben ist. hauses deutlich.“ (Grossmann 2000, 80) FOTO: FOTOLIA 10 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert Palliative2 Care – ein Paradigmenwechsel curative treatment. Control of pain, of other Zentrale Organisationsprobleme zeigte Isabel symptoms, and of social, psychological and spi- Menzies bereits in den 1950er-Jahren anhand ritual problems is paramount. Palliative care is einer von ihr durchgeführten Studie in einem interdisciplinary in its approach and encom- Londoner Ausbildungskrankenhaus auf (Men- passes the patient, the family and the commu- zies 1960). Ihre Ergebnisse veranschaulichen, nity in its scope. In a sense, palliative care is wie im System Krankenhaus Mechanismen der to offer the most basic concept of care – that of Angstabwehr so wirkmächtig wurden, dass providing for the needs of the patient wherever Schwesternschülerinnen reihenweise kündig- he or she is cared for, either at home or in the ten oder gänzlich ihren Berufswunsch verwar- hospital. Palliative care affirms life and regards fen (ebd., 108). Sie beschreibt, dass der Kontakt dying as a normal process; it neither hastens zwischen Krankenschwester und Patient_in nor postpones death. It sets out to preserve the durch eine völlige Aufsplitterung der einzelnen best possible quality of life until death.“ (EAPC Mag.a Dr.in Ursula pflegerischen Tätigkeiten so reduziert wurde, European Association of Palliative Care 1989) Hermann MPOS, dass sich kaum noch eine vertrauensvolle Palliative Care richtet den Blick auf die In- MSc: Supervisorin/ Coach (ÖVS), Trainerin, Beziehung aufbauen ließ. Das Pflegepersonal dividualität schwer kranker und sterbender Pa- Lehrbeauftragte an der sollte auf diese Weise vor „zu viel“ Kontakt tient_innen, auf Schmerzbehandlung, Angstbe- Universität Bielefeld geschützt werden, verlor damit jedoch den wältigung und Zuwendung. In diesem Sinn löst (Masterstudiengang Bezug zu den Menschen, für deren umfassende Palliative Care einen Paradigmenwechsel im „Supervision und Pflege es verantwortlich war. Um im persön- Gesundheitssystem aus (Pleschberger 2002). Beratung“) und der lichen Kontakt möglichst wenig Beziehung zu Clark und Seymour (1999, 83) sehen neben FH St. Pölten (Depart- Einzelnen herzustellen, wurden Patient_innen dem Konzept von „total pain“ Teamwork und ment Soziales); im Redaktionsteam der als Bettnummern, nach ihren Krankheiten Vertrauen als grundsätzlichen Elemente von ÖVS News, Projektmit- oder ihren erkrankten Organen benannt (ebd., Palliative Care. arbeit im abz*austria, 101 f.). Diese Verdrängung von Gefühlen war Auch der organisationale Kontext, in dem abz*gender & diversity. für das Personal belastend, und für Sterbende das Sterben stattfindet, ist von fundamentaler bildungsberatung hatte es drastische Folgen: Elisabeth Kübler- Bedeutung (vgl. Grossmann 2000, vgl. Heller österreich. www.ursu- Ross, eine der Pionierinnen von Palliative Care, 2007). Katharina Heimerl (2008) hat dazu auf- lahermann.at wird das Zitat zugeschrieben, im Krankenhaus gezeigt, wie sehr es sich bei der Integration „den Tod aus den Toiletten geholt“ zu haben. von Palliative-Care-Angeboten um umfassende Denn dorthin wurden Sterbende gebracht, als organisationale Aushandlungs- und Verände- letzte Konsequenz einer Distanzierung. rungsprozesse handelt, die auch Hospiz und Für Cicely Saunders, eine weitere Pionie- Palliative Care nachhaltig verändern (Heimerl rin der Hospizbewegung3 und Palliative Care, 2008, 53). gab dieser Umgang mit Sterben und Tod in den Seit den 1990er Jahren wurde mit der Krankenhäusern der 1950er-Jahre in England Schaffung von Hospiz- und Palliativteams, Pal- Anlass für die Entwicklung und Umsetzung liativstationen und Palliativdiensten4 Palliative eines neuen Konzepts: Mit dem Versorgungs- Care in die Organisation Krankenhaus und in und Sorgekonzept Palliative Care richtete sich Pflegeeinrichtungen geholt. Die nachhaltige der Blick auf das Individuum (Saunders 1996). Integration dieser spezifischen Art der Sorge Damit reagierte Sanders auf das rigide Kran- funktioniert nicht reibungslos, im Gegenteil. So kenhaussystem mit einem interdisziplinären dauert es mitunter Jahre bis Jahrzehnte bis Konzept und der Vorstellung, dass Schmerz als die Angebote hauseigener Palliativteams von – „total pain“ – umfassend empfunden wird: einzelnen Stationen auch umfassend genützt physisch, psychisch, sozial und spirituell. werden (vgl. Heimerl 2008, 23 f.) Die Bezeichnung „Palliative Care“ wurde erst 1975 vom kanadischen Arzt Balfour Mount Die Praxis im Fokus von Supervisions geprägt und gilt als Versuch, einen Begriff zu forschung entwickeln, der sowohl im Französischen wie Palliative Care ist im System Krankenhaus an- auch im Englischen verständlich ist (Heller gekommen, die tatsächliche Integration passiert 2007, 197). Palliative Care ist der international aber nur zögerlich. Ausgehend von der Frage verwendete Fachausdruck, im Deutschen wer- „Wie viel Tod verträgt das Krankenhaus?“ lässt den auch Begriffe wie Palliativmedizin, Pallia- sich nun konkretisieren: Wie verträgt die Ge- tivbetreuung oder Palliativversorgung verwen- sundheitsorganisation Krankenhaus Palliative det (Steffen-Bürgi 2006, 31). Die European As- Care? sociation of Palliative Care definiert Palliative Antworten, tiefe Einblicke in die Praxis, wie Care wie folgt: auch valide Erkenntnisse geben Supervisions- FOTO: PRIVAT „Palliative care is the active, total care of prozesse mit Palliativteams. Diese können als the patient whose disease is not responsive to Forschungsprozesse (Möller 2012, 89 f.) ange- Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 11
fokussiert wurden, reflektiert. In einem ersten Auswer- tungsschritt wurden Themenfelder der Su- pervisionsteams aus den Protokollen erhoben und einer interdisziplinär zusammengesetzten Fokusgruppe mit Felderfahrung in der Hos- piz- und Palliativversorgung vorgestellt. Diese Ergebnisse sind dann den beiden Supervisi- onsteams in separaten Fokusgruppensettings vorgestellt worden. Als Co-Forscherinnen – im Sinne einer partizipativen Forschungsstrategie (von Unger 2014) – bewerteten und kommen- tierten die Supervisandinnen die Ergebnisse. Ausgehend von den beiden Supervisions- prozessen, den Inputs der drei Fokusgruppen und unter Einbeziehung der forschungssuper- visorischen Reflexionen habe ich relevante Themen herausgearbeitet, mithilfe der doku- mentarischen Methode habitualisierte Wis- sensbestände rekonstruiert und schließlich eine Typik der unterschiedlichen Erfahrungs- dimensionen entwickelt. Im Folgenden werde ich nun auf zwei Er- gebnisse und eine Typologie meiner Untersu- chung eingehen, die für die Institution Kran- kenhaus und ihren Umgang mit Tod und Ster- ben von besonderer Bedeutung sind. Palliativ versus kurativ Anhand der Zuweisungspraxis zu palliativen Angeboten werden zentrale Widersprüche in- sehen werden wie auch als „Erkenntnisform nerhalb der Gesundheitsorganisation Kranken- innerhalb eines Feldes“ (Gröning 2013, 31). haus deutlich sichtbar. Patient_innen werden Den Forschungscharakter von Supervision „gefiltert“, sie werden entweder als „palliativ“ habe ich mir zunutze gemacht und im Zuge oder als „kurativ“ geführt. Das kann auf den meiner Dissertation das Erleben von Palliativ- ersten Blick eine überaus sinnvolle Strategie und Hospizteams untersucht (Hermann 2017). sein, denn Patient_innen, die schwerkrank oder Forschungsleitend war die Frage nach den sterbend sind, bekommen damit zusätzlich zu Themen, die für Hospiz- und Palliativteams von oft noch weitergeführten kurativen Behand- Bedeutung sind. Das Beratungsformat Supervi- lungen auch die Möglichkeit, von einem inter- sion wurde als Forschungsinstrument im Feld disziplinären Palliativteam betreut zu werden. der Hospiz- und Palliativversorgung mit For- Doch die Untersuchung zeigt, dass oftmals die schungsstrategien ausgestattet, die einerseits Bezeichnung „palliativ“ dafür verwendet wird, die soziale Wirklichkeit der Teams beschreib- eine Patient_in als „sterbend“ zu qualifizieren bar machten und eine Partizipation der Super- und keine weitere Behandlung zu setzen, auch visand_innen ermöglichten, und andererseits nicht das Hinzuziehen eines Palliativteams. die Teilnahme der Forscherin als Supervisorin „Palliativ“ wird hier als vollständiger Behand- und Beobachterin im Feld methodisch begrün- lungsrückzug verstanden, ganz so als ob im deten. Selbstverständnis der Gesundheitsorganisa- Über den Zeitraum eines Jahres wurden tion Krankenhaus nur Heilung, Lebensverlän- die Supervisionssitzungen mit einem Palliativ- gerung oder Rehabilitation in Frage kommen, dienst in einem Krankenhaus und einem mo- und Schmerzlinderung und Lebensqualität bis bilen Hospizteam teilnehmend beobachtet. Die- zuletzt keinen Platz haben. Palliativ und kurativ ser ethnografische Forschungszugang (Brei- werden als Kontrapunkte definiert, als ein sich denstein et al. 2013) erfolgte in Anlehnung an ausschließendes Gegensatzpaar – eine Praxis, die psychoanalytische Work Discussion (Datler, die sehr zum Nachteil der Palliativmedizin und Datler 2014) in einem Dreischritt: Die Super- folglich auch für Betroffene ist (Gartner, Watzke FOTO: FOTOLIA visionen wurden beobachtet, protokolliert und 2006, 125). im Anschluss in Forschungssupervisionen, die Die Klassifizierung in palliativ und kura- auf Tonträger aufgezeichnet und transkribiert tiv kann als ein Versuch verstanden werden, 12 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert eine Ordnung, also Eindeutigkeit, herstellen Das Angebot der Trauerbegleitung wird zuge- zu wollen.5 Es zeigt sich, dass auf diese Weise standen, doch nicht mit der Konsequenz, dass es keine zufriedenstellende Zuweisung zum An- auch umgesetzt wird, da von dem organisatio- gebot Palliative Care gelingt. Es bleibt immer nalen Selbstbild der Heil bringenden Organisa- eine Ambivalenz, eine Unordnung, ein Nicht- tion abgerückt werden müsste (vgl. Grossmann Zuordnen-Können. 2000, 83 f.). Bei Menzies’ Untersuchung erwei- Damit wird deutlich, dass nicht der Begriff sen sich die unbewussten organisationalen Ab- „palliativ“ so problematisch ist, der von den Co- wehrstrategien für viele Schwesternschülerin- Forscher_innen mitunter für die Zuweisungs- nen als Ursache, die Ausbildung abzubrechen, schwierigkeiten verantwortlich gemacht wurde weil sich die Abwehr von der Organisation auf – weil er als zu uneindeutig und aber gleich- eine individuell-persönliche Ebene verlagerte zeitig auch als zu bedrohlich wahrgenommen (Menzies 1960, 103). Bei dem Palliativteam der wird – sondern der Anspruch, der mit dieser Untersuchung ist es das Angebot der Trauerbe- Klassifizierung einhergeht: ordnen zu wollen, gleitung, also Hospiz und Palliative Care, das wo eigentlich Ohnmacht empfunden wird über Anerkennung erfährt, jedoch in der Umsetzung das „kurative Scheitern“. auf Distanz und Abwehr stößt. Einen Palliativ- Diese widersprüchliche Praxis hat Auswir- dienst in einem Krankenhaus zu haben, heißt kungen auf die Mitarbeitenden von Hospiz- und nicht, dass palliative Kultur praktiziert wird. Palliativangeboten (vgl. Vachon 1995). Sie löst Katharina Heimerl (2008, 23) verweist hier auf Spannungen und Irritationen aus, die so weit Eduardo Bruera (2004), der vier Stadien der gehen, dass ein Moral Distress6 (Brazil et al. Entwicklung palliativer Kultur im Krankenhaus 2010) deutlich erkennbar wird. Im Rahmen der definiert: Ablehnung, Palliphobie, Pallialie und Untersuchung manifestierte sich dieser an der Pallaktivität. Meine Untersuchung bestätigt, Kontrollfunktion eines Palliativteams. Es entwi- dass die Stadien auch gleichzeitig erfolgen ckelte von sich das Bild der „Palliativpolizei“. können. Das Angebot der Trauerbegleitung Damit wird innerhalb des Krankenhauses Pal- aufzunehmen, es jedoch nicht publik zu ma- liative Care von den Teams, die es anbieten als chen, entspricht bereits der dritten Stufe pallia- Kampf um Versorgung und Schutz von vulnera- tiver Kultur (Bruera 2004, zitiert nach Heimerl blen Menschen verstanden, die sonst im Versor- 2008, 23 f.): der Pallialie. Für dieses Stadium gungssystem unterzugehen drohen (Hermann ist kennzeichnend, dass Monate bis Jahre nach 2017, 276 ff.). Gleichzeitig wird in der Institu- der Einführung von Palliative-Care-Program- tion eine Organisationsdynamik sichtbar, die mit men nicht ausreichend Ressourcen zur Verfü- einer vermeintlich deutlichen Klassifizierung für gung gestellt werden, obwohl in der Organisa- eine unklare Zuweisung zum Angebot Palliative tion Palliative Care als wichtiges Thema erach- Care sorgt (Hermann 2017, 248 ff.). tet wird. Für eine integrierte palliative Kultur innerhalb der Organisation, der Pallaktivität, Abwehr und Wertschätzung weist das Erleben einer Supervisandin hin, die Wenn sich die Widersprüche der Organisation für Sterbebegleitungen durchwegs sehr hohe anhand irritierenden Erlebens zeigen, erhöht sich bei den Berufsgruppen von Palliative Care der moralisch konflikthafte Stress deutlich (vgl. Brazil et al. 2010). Aufseiten der Organi- sation kann jedoch ein komplexes Verhalten beschrieben werden, das Anknüpfungspunkte an die den von Isabel Menzies (1960, 100 ff.) formulierten „defensive techniques“ aufweist. Ein Beispiel dafür ist der widersprüchliche Umgang mit dem Angebot der Trauerbeglei- tung, die das Palliativteam der Untersuchung im Krankenhaus anbieten wollte. Die Kranken- hausleitung genehmigte dem Palliativteam eine Trauergruppe zu initiieren und fand dafür auch anerkennende Worte, im Krankenhaus durfte dafür aber nicht geworben werden. Ohne Be- werbung kommt so ein Angebot allerdings nicht zustande. Eine Supervisandin des Pallia- FOTO: FOTOLIA tivteams kommentierte diese Haltung mit den Worten: „Eigentlich will man den Tod nicht im Haus haben“ (Hermann 2017, 304). Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 13
fokussiert Wertschätzung von Seiten der Leitung wie auch die Widersprüchlichkeiten, die damit einher von Kolleg_innen unterschiedlicher Stationen gehen, viel wirkmächtigere Belastungsfaktoren erfährt (Hermann 2017, 306). als der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Um am Ende noch einmal auf die Eingangs- Bezug versus auf Distanz zum Angebot frage zurückzukommen: Die Institution Kran- Palliative Care kenhaus verträgt das Sterben und Palliative Dass Palliative Care als Haltung innerhalb Care durchaus, allerdings mit Widerstand. Und einer Organisation alle vier Stadien gleichzei- dieser Widerstand, der mit dem Prozess der tig durchlaufen kann, von Ablehnung bis zur Integration einhergeht, ist für Mitarbeitende Praxis palliativer Kultur, belegt die Typologie, von Palliative Care-Angeboten mitunter schwer die sich aus der Untersuchung in Bezug auf verdaulich. Damit bietet sich Supervision ge- die Organisation Krankenhaus ableiten lässt: rade in diesem Feld als geschützter Rahmen „Bezug versus auf Distanz zum Angebot Palli- und Ort der Reflexion und des Verstehens in ative Care“ (Hermann 2017, 337). Diese Typo- besonderer Weise an. logie wird getragen von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Hausinger 2008), einem Phänomen der heutigen Arbeitswelt. Was heißt Referenzen: das? Parallel zur Herausforderung des Feldes, Ariès, P. (2002): Geschichte des Todes. 10. Auflage, München: die gekennzeichnet ist durch ein bewusstes Deutscher Taschenbuch Verlag sich Einlassen auf Sterbende und ihre An- und Zugehörigen, geht gleichzeitig für die Mitarbei- Bauman, Z. (2005): Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg: Hamburger Edition tenden von Palliative-Care-Angeboten in Orga- nisationen ein widersprüchliches Erleben ein- Brazil, K.; Kassalainen, S.; Ploeg, J.; Marshall, D. (2010): Moral distress experienced by health care professionals who her, das Palliative Care als Angebot innerhalb provide home-based palliative care. In: Social Science & der Organisation Krankenhaus ablehnt, an- Medicine, 71: 1687-1691 FOTO: FOTOLIA nimmt, abwehrt, bekämpft oder auch ignoriert. Breidenstein, G.; Hirschauer, S.; Kalthoff, H.; Nieswand, B. Beim untersuchten Palliativteam waren diese (2013): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz, organisationsdynamischen Auswirkungen und München: UVK 14 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
fokussiert Bruera, E. (2004): The Development of Palliative Care Cul- Menzies, I. (1960): A Case-Study in the Functioning of Social ture. In: Journal of Palliative Care 20(4): 316-319 Systems as a Defence: Against Anxiety. A Report on a Study oft he Nursing Service of a General Hospital. Human Relations Clark, D.; Seymour, J. (1999): Reflections on palliative care. 13(2): 295-121 Buckingham, Philadelphia: Open University Press Möller, H. (2012): Was ist gute Supervision? Grundlagen – Datler, W.; Datler, M. (2014): Was ist „Work-Discussion“? Über Merkmale – Methoden. Kassel: Kassel University Press die Arbeit mit Praxisprotokollen nach dem Tavistock-Konzept. https://fedora.phaidra.univie.ac.at/fedora/get/o:368997/ Müller, M.; Pfister, D. (Hrsg.) (2012): Wie viel Tod verträgt das bdef:Content/get. Zugegriffen am 27.05.2015 Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Elias, N. 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München, liare“ zurück, das mit „umhüllen, fürsorglich beschützen“ Mering: Rainer Hampp (Heller, Pleschberger 2010, 16) übersetzt werden kann. Heimerl, K. (2008): Orte zum Leben – Orte zum Sterben. 3 Mit der Eröffnung des „St. Christopher’s Hospice“ in Palliative Care in Organisationen umsetzen. Freiburg im London im Jahr 1967 begründete Cicely Saunders die Breisgau: Lambertus neue Hospizbewegung (Saunders 1993). „Hospiz“ wird vom Lateinischen „hospitium“ hergeleitet und bedeutete Heimerl, K.; Heller, A.; Pleschberger, S. (2006): Implementie- ursprünglich „Gastfreundschaft“ (Pleschberger 2006, rung der Palliative Care im Überblick. In: Knipping, C. (Hrsg.): 25). Die ersten „modernen Hospize“, verstanden als Orte Lehrbuch Palliative Care. Bern: Huber, 50-57 für Sterbende, entstanden bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Australien und Frankreich. Heller, A. (2007): Die Einmaligkeit von Menschen verstehen und bis zuletzt bedienen. Palliative Versorgung und ihre Prin- 4 Die „Abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung für zipien. In: Heller, A.; Heimerl, K.; Husebø, S. (Hrsg.): Wenn Erwachsene“ (Gesundheit Österreich 2014) beschreibst die nichts mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun. Wie alte Men- gesamte Angebotspalette, das „Prozesshandbuch Hospiz- schen würdig sterben können. 3., aktualisierte und erweiterte und Palliativeinrichtungen“ (Gesundheit Österreich 2012) Auflage, Freiburg im Breisgau: Lambertus, 191-208 skizziert systematische Musterprozesse für jedes einzelne spezialisierte Angebot, auch um für dieses noch junge Heller, A.; Pleschberger, S. (2010): Hospizkultur und Palliativ Leistungsangebot erste Qualitätskriterien zu etablieren. Care im Alter. In: Heller, A.; Kittelberger, F. (Hrsg.): Hospiz- kompetenz und Palliative Care im Alter. Eine Einführung. 5 „Klassifizieren besteht aus den Handlungen des Freiburg im Breisgau: Lambertus, 15-51 Einschließens und des Ausschließens“, konstatiert Zygmunt Bauman (2005, 13) und verweist auf das Bestreben, Hermann, U. (2017): „Je länger ich dabei bin, desto DURCH- Eindeutigkeiten zu konstruieren. LÄSSIGER werde ich.“ Palliative Care im Fokus von Supervi- sion: eine ethnografisch-partizipative Untersuchung von Pal- 6 Brazil et al. (2010, 1687) definieren das Erleben des liativ- und Hospizteams. Dissertation, Universität Klagenfurt Moral Distress mit Bezug auf Jameton (1984) als „[...] the feelings and experiences which result from a moral conflict Jameton, A. (1984): Nursing practice: The ethnical issues. where one has a sense of the correct action to take but Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall constraints prevent implementation of the action.“ Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus ÖVS news 2/2017 15
informiert Lebenskraft statt Burnout Am 19. Mai 2017 fand in Linz eine Fortbil- und den Zugriff zu unbewusstem Erfahrungs- dungsveranstaltung der ÖVS OÖ statt. Im Sinne wissen. Dies ist besonders für die Auseinander- des Formates „brush up your tools“, wurden setzung mit Eigenmotivation und Bedürfnissen vier Workshops angeboten, die sich allesamt sowie zur Bearbeitung komplexer Themen und dem Thema „körperzentrierte Methoden“ der Suche nach kreativen Lösungen nützlich. widmeten. Es referierten die Mitglieder der Danach konnten die TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe „Lebenskraft“: Roswitha Hölzl, Fortbildung aus vier Workshops wählen, die Gertraud Schlecht, Catherine Spöck, Helga sowohl im Freien, als auch im Seminarhaus Prähauser-Bartl, Anita Putscher und Elisabeth durchgeführt wurden. Peitl (von links nach rechts). Diese Gruppe beschäftigt sich seit mehr als „Geh-Spräche“ und „Walk & Talk“ – geleitet zwei Jahren, im Rahmen einer ARGE der ÖVS von Gertraud Schlecht und Roswitha Hölzl: OÖ, intensiv mit dem Thema Burnout- Prä- Zahlreiche Studien belegen die positiven Aus- vention. Aus der langjährigen Erfahrung als wirkungen von körperlicher Bewegung in der Beraterinnen, gepaart mit den Erkenntnissen Natur, einem achtsamen Umgang mit sich der Recherchen wurden Methoden vorgestellt, selbst und dem Erkennen und Einsetzen der die SupervisandInnen dabei unterstützen, Ihre eigenen Stärken und Ressourcen in der Burn- Selbstwahrnehmung und Selbstachtsamkeit zu out-Prävention und -Behandlung sensibilisieren, sich zu stärken, zu entspannen Ziel dieses Workshops war, für die Teil- und neue Kräfte zu sammeln – die personale nehmerInnen die positiven Auswirkungen von und organisationale Resilienz zu stärken. Bewegung in der Natur spürbar zu machen, Catherine Spöck gab in einem Einfüh- achtsam ihren Körper und die eigenen rungsvortrag einen theoretischen Input zum Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und Thema der Fortbildung „Körperzentrierte Bewusstheit darüber zu entwickeln, wie sie Methoden in Supervision und Coaching“ und ihre persönlichen Stärken für ein gerade anste- spannte den Bogen von sprach- und vernunft- hendes Thema nutzen können. zu körperorientierten Vorgehen. Unsere kul- Mitten in einer Blumenwiese in einem Lin- turgeschichtlich begründete, vernunftbetonte zer Park wurde mit einer Qigongübung gestar- Arbeitsgruppe Prägung wird durch die emotionale Wende und tet. Anschließend haben die TeilnehmerInnen „Lebenskraft“: ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse heraus- bei einem Spaziergang für ihre drei wichtigs- Roswitha Hölzl, gefordert. Gefühle und Körperempfinden wer- ten Stärken Symbole aus der Natur gefunden Gertraud Schlecht, den als maßgebliche Informationsquellen und und sich damit beschäftigt, wie sie diese Stär- Catherine Spöck, Helga Auslöser für Denk- und Handlungsprozesse ken für das aktuelle Thema einsetzen können. Prähauser-Bartl, Anita Putscher und Elisabeth entdeckt. Eine achtsame, körperzentrierte Im gegenseitigen Austausch konnten neue Peitl (von links nach Arbeitsweise im Supervisionskontext ermög- Möglichkeiten angedacht und durch Feed- rechts). licht den Wechsel auf eine zusätzliche Ebene back weitere Sichtweisen eröffnet werden. Abschließend erfolgte eine weitere, angeleitete Körperübung. Rückmeldungen von den TeilnehmerInnen: „Wieder in einer Blumenwiese gehen – das sind Kindheitserinnerungen.“ „Ich wusste nicht, dass es in Linz solche Plätze gibt, ich war seit Jahren das erst Mal wieder spazieren.“ „Vor allem die Körperübun- gen haben mir gut getan.“ „Aufrecht durch’s Leben“ geleitet von Elisa- beth Peitl: Immer dann, wenn vorhandene, rou- tinierte Strategien nicht mehr zum Erfolg füh- ren, werden Veränderungsprozesse notwendig. Es gilt, neue Denk- und Handlungsmuster zu kreieren und dauerhaft abzuspeichern. Neuro- FOTO: ERWIN PILS wissenschaftliche Forschungsergebnisse stellen ebenfalls Zusammenhänge zwischen körperli- chem Empfinden, Emotionen und Denkmustern 16 ÖVS news 2/2017 Themenschwerpunkt Dynamiken im Krankenhaus
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