LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg

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LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
DAS MAGAZIN DER UNIVERSITÄT FREIBURG, SCHWEIZ | LE MAGAZINE DE L’UNIVERSITÉ DE FRIBOURG, SUISSE                               02 | 2018/19

Hygiéniste du trottoir 8                         Médecine digitale 48                              Neue Vizerektor_innen 51
Michel Simonet, cantonnier-écrivain              Le jeu vidéo pour soigner les addictions          Wer steckt hinter den Namen?

  LGBT+
   Chacun·e son genre
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Impressum                                                           Editorial
universitas
Das Wissenschaftsmagazin
der Universität Freiburg
Le magazine scientifique                                            Nicht zu guter Letzt, sondern allem voran, will ich mich
de l’Université de Fribourg                                         bedanken bei den zehn wunderbar mutigen Menschen,
Herausgeberin | Editeur
Universität Freiburg
                                                                    die diesem Magazin Leben einhauchen. Mit ihren Blicken
Unicom Kommunikation & Medien                                       und ihrem Lachen sagen sie mehr als die berühmten
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Chefredaktion | Rédaction en chef
                                                                    tausend Worte. Sie nehmen kruden Aussagen die Schärfe,
Claudia Brülhart | claudia.bruelhart@unifr.ch                       unterstreichen aber gleichzeitig deren absolute Wichtig­-
Farida Khali (Stv./adj.) | farida.khali@unifr.ch
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Universität Freiburg                                                Sylvan, Michi und Khay nehmen Sie, liebe Leser_innen,
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Online | En ligne
www.unifr.ch/universitas                                            fremd ist. Es ist die Welt der LGBT+. Der Lesben und Gays,
Autor_innen | Auteur·e·s                                            der Bisexuellen, Transgender und Genderfluiden. Der
Christian Doninelli | christian.doninelli@unifr.ch
Philippe Neyroud | philippe.neyroud@gmail.com
                                                                    nicht-heteronormativen Menschen. Ihr Anliegen ist es,
Angela S. Hoppmann | angela.hoppmann@unifr.ch                       in ihrem Sein und Fühlen ernst genommen zu werden
Benedikt Meyer | info@benediktmeyer.ch
Patricia Michaud | info@patricia-michaud.ch                         und den dafür nötigen Platz zu erhalten. Noch ist die
Konzept & Gestaltung | Concept & graphisme                          Schweiz nicht soweit, wie mehrere Artikel deutlich auf­
Stephanie Brügger | stephanie.bruegger@unifr.ch
Daniel Wynistorf | daniel.wynistorf@unifr.ch                        zeigen. Weder in der Schule, noch in der Gesellschaft und
Illustrationen | Illustrations                                      schon gar nicht vor dem Gesetz. Und trotzdem tut sich
Stéphane Schmutz | info@stemutz.com
                                                                    was. So bewertet etwa die WHO in der ab 2022 auch in
Titelbild | Photo couverture
Stéphane Schmutz | info@stemutz.com                                 der Schweiz gültigen neuen Version des internationalen
Fotos | Photos                                                      Klassifikationssystems für medizinische Diagnosen ICD
Stéphane Schmutz | info@stemutz.com
Pierre-Yves Massot | pym@realeyes.ch                                trans Diagnosen nicht mehr als «Störung von Psyche oder
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                                                                    Verhalten». Und mit Angela Ponce nahm diese Tage erst­
Sekretariat | Secrétariat
                                                                    mals eine trans Frau an den Wahlen zur Miss Universe teil.
Marie-Claude Clément | marie-claude.clement@unifr.ch
Antonia Rodriguez | antonia.rodriguez@unifr.ch                      The privilege of a lifetime is being who you are (Joseph
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Imprimerie MTL SA
                                                                    Campbell). Ich finde, dieses Recht steht allen zu.
Rte du Petit Moncor 12
1752 Villars-sur-Glâne                                              Herzlich,
Auflage | Tirage
9’500 Exemplare | viermal jährlich
9’500 exemplaires | trimestriel
                                                                    Claudia Brülhart
ISSN 1663 8026
                                                                    Chefredaktorin
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion.
Tous droits réservés.
La réimpression n’est autorisée qu’avec l’accord de la rédaction.
Die nächste Ausgabe erscheint im März 2019.
La prochaine édition paraîtra en mars 2019.

                                                                                                         universitas | Editorial   3
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Inhalt | Sommaire

		News
           6     Dies Academicus
		 Die Universität Freiburg zeichnet fünf
		 Persönlichkeiten mit der Ehrendoktorwürde aus
  		Portrait

 8 Michel

             Simonet
    «De la perfection naît l’égalité»

                                                          8

         10      Dossier
                                                                   10
		               LGBT+

		       12
 Recht für jedermensch?!
 Fragen, die sich nicht jede_r stellt

		       17
 Ecole: lever le tabou LGBT+
 Sensibiliser pour éviter les souffrances

         20      Familien sind keine Inseln!
		 Oder warum Lesben (vielleicht) weniger Beziehungsstress haben

 24

    Pray the Gay away
    Homoheiler unter der wissenschaftlichen Lupe

         27      Parler sexualité à la mosquée
 Relire les sources et ouvrir les esprits

         31
 Sac de charbon … et de clichés
 La pub fait flamber les stéréotypes

         34
   Les élèves LGBT+, oublié·e·s de l’éducation
		 sexuelle spécialisée?
		 Pas facile de dépasser le discours binaire

         37
 Geschlecht und Recht
 Der Möglichkeiten gibt es viele

         40
 Beziehungen bestimmen den Erfolg
 Auf die richtige Kombination kommt es an

 43

    Un langage inclusif pour faire changer les mentalités
    Parlons peu, mais parlons inclusif

     4    universitas | Inhalt
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Forschung & Lehre
     46 Vom Erdöl- zum
     		 Umwelt­forschungspreis
     		 Basil Oberholzer kämpft mit Ökonomie
     		 für die Umwelt

     48 Ne nous soumets pas à la tentation!
     		 Et délivre-nous de nos addictions

54
            Fokus
     51
      Neues Team am Start

      Die Unifr wählt vier neue Vizerektor_innen

            Interview
     54
      «Y en a [plus] point comme nous»?

      Montrons ce que la Suisse peut amener
     		 à l’UE et au reste du monde

            People & News
     57
      Prix et nominations

      Quoi de neuf à l’Unifr?

            Red & Antwort
     58
      Regula Hänggli

      Professorin für allgemeine
     		Kommunikationswissenschaften

     		 online | en ligne
     		 www.unifr.ch/universitas

                                universitas | Sommaire   5
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Ehrendoktorwürden
           für Menschenrechte und
               Armutsbekämpfung

6   universitas | News
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Am diesjährigen Dies Academicus erhielten folgende Perso-         geborene Juristin Helen Keller (Rechtswissenschaftliche Fakul-
nen die Ehrendoktorwürde der Universität Freiburg (von links      tät, dahinter Dekan Prof. Bernhard Waldmann) für ihre wissen-
nach rechts): Die Französin Nicole Bériou (Theologische Fa-       schaftlichen Leistungen im Verfassungs-, Europa- und Völker­
kultät, dahinter Dekan Prof. Luc Devillers), für ihre Forschung   recht, insbesondere in den Bereichen des Menschenrechts- und
zu den Predigten im 13. Jahrhundert; Fritz Graf, in Vertretung    des Umweltschutzes. Helen Keller ist Professorin für Staats-
seines Bruders, Dr. med Hans-Jörg Graf (Philosophische Fa-        recht, Europarecht und Völkerrecht sowie Verfassungsver­
kultät, dahinter Dekanin Prof. Bernadette Charlier Pasquier)      gleichung an der Universität Zürich und vollamtliche Richterin
für seine Verdienste auf dem Gebiet der Klassischen Antike;       am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
der gebürtige Australier Martin Ravallion (Wirtschafts- und       Der US-­Amerikaner Lloyd Nicholas Trefethen (Mathematisch-­
Sozialwissenschaftliche Fakultät, dahinter Dekan Prof. Martin     Naturwissenschaftliche und Medizinische Fakultät, dahinter
Wallmeier) der Georgetown Universität in Washington D.C. für      Dekan Prof. Christian Bochet) lehrt an der Universität Oxford
seine Tätigkeit an der Weltbank, die er jahrzehntelang sehr er-   und wurde für seine mathematischen Fortschritte insbe-
folgreich mit wissenschaftlicher Forschung und anwendungs-        sondere im Studium der sogenannten Pseudospektren der
orientierter Politikberatung vereinbart hat. Ravaillon gilt als   Matrizen ausgezeichnet.
die Referenz für Fragen zu Ursachen und Massnahmen in der
Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern. Die in Winterthur        www.unifr.ch/news

                                                                                                                                        © STEMUTZ.COM

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LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Un balai à succès
       Michel Simonet est sans doute le cantonnier le plus célèbre de Suisse, grâce
    à la fleur fraîche plantée sur sa charrette et à son best-seller Une rose et un balai.
                Rencontre à l’issue de sa tournée en Basse-Ville. Patricia Michaud

Si vous montrez à des habitants de Fri-           de quartier» ou «hygiénistes du trottoir»,         sous forme électronique qui constitue la co-
bourg une photo de lui en habit de travail        comme il appelle avec humour les gens              lonne vertébrale de l’ouvrage Une rose et un
fluo, poussant sa charrette surmontée d’une       de sa profession, ce diplômé du Collège            balai. Mais attention, «je ne voulais pas me
fleur fraîche dans les rues de la Basse-Ville,    Saint-Michel ne s’est pas retrouvé dans la         contenter d’un recueil d’anecdotes. Je me
ils s’exclameront: «Le balayeur à la rose!».      rue faute d’options. Après plusieurs an-           suis donné le temps de transformer en mots
Montrez le même cliché à des résidents            nées d’expérience professionnelle en tant          les enseignements, parfois quasi philoso-
français, et ils s’écrieront: «Ah oui, le can-    que comptable dans une station de radio,           phiques, acquis durant mon parcours de
tonnier-écrivain!» Michel Simonet jouit           ainsi que d’un équivalent propédeutique en         concierge urbain». Au passage, Michel Si-
d’une double renommée. Locale d’une part,         théologie et en philosophie, il a délibéré­        monet a «appris à écrire». Jusque-là, «j’étais
car il s’est forgé dans sa ville une solide ré-   ment choisi de revenir à l’activité exercée à      certes un grand consommateur de livres,
putation de balayeur atypique. Nationale, et      temps partiel durant ses études. «C’était une      mais n’étais pas sûr d’être capable de passer
même internationale d’autre part, puisque         dé­cision d’ordre spirituel», explique-t-il.       de l’autre côté de la barrière». Trois ans plus
son recueil de textes et poésies, publié en       «Même si j’ai toujours été croyant et prati-       tard, son livre a déjà fait l’objet d’une tra-
2015, s’est déjà écoulé à quelque 34’000          quant, je n’ai jamais été tenté par un travail     duction en allemand (éditions Nydegg) et
exemplaires au total, dont 8’000 dans sa ver-     au sein de l’Eglise. Mon action, je l’envisage     d’une publication française aux éditions de
sion allemande et 4’000 en France.                au cœur de la cité.» Michel Simonet rap-           la revue Conférence. Un format poche sor-
    La rose, le livre et le balai sont donc les   pelle que «le balayeur symbolise le bas de         tira par ailleurs en 2019 dans l’Hexagone,
attributs qui collent aux baskets de cet em-      l’échelle sociale. Cela fait 33 ans que je tente   où le recueil a été classé par la prestigieuse
ployé municipal de 57 ans. Lorsqu’on s’at-        de déconstruire ce symbole».                       Académie Goncourt parmi les dix livres à
table en sa compagnie au Café des Arcades,            De l’avis du «balayeur à la rose», le mé-      dévorer durant l’été 2018.
situé dans sa juridiction professionnelle, il     tier de cantonnier n’a pas que des avantages           Sans surprise, tous les regards se
n’est néanmoins accompagné ni de l’une ni         d’ordre spirituel et symbolique. «C’est l’une      tournent désormais vers le prochain livre
des autres. Il faut dire qu’il est 17h00 et que   des rares activités qui permettent à la fois       du «cantonnier-écrivain». S’il ressort sa
la tournée quotidienne de ce père de sept         d’avoir la tête libre et le corps occupé.» Les     plume, ou plutôt son smartphone, «ce sera
enfants est achevée depuis deux heures déjà.      chiffres sont parlants: chaque jour, le quin-      pour parler d’une autre réalité, par exemple
Par contre, il arbore toujours sa tenue de        quagénaire parcourt en moyenne une quin-           celle d’une famille nombreuse devant se
travail, dont la couleur orange fait ressortir    zaine de kilomètres à pied pour les besoins        contenter d’un salaire modeste», avertit-il.
le bleu glacier de ses yeux. Des yeux qui         de sa tournée. «Mon record, c’est 23 kilo-         Le cas échéant, le Fribourgeois attendra
fondent aussitôt qu’on l’interroge sur sa cé-     mètres, un jour de neige!» Le soir, lorsqu’il      d’avoir atteint l’âge de la retraite. «Tenter de
lèbre rose. «C’est une idée qui m’est venue       va se coucher – tôt, puisque son réveil            concilier un travail à plein temps, une fa-
peu de temps après ma titularisation en tant      sonne chaque matin à 4h40 –, il est certes         mille et l’écriture d’un livre est un vrai exer-
que balayeur, il y a 33 ans, raconte-t-il de sa   épuisé. Mais loin de l’abattre, l’effort phy-      cice d’équilibriste. J’ai parfois eu l’impres-
voix grave et posée de chanteur amateur. Je       sique semble galvaniser le Fribourgeois.           sion de me mettre en danger, d’autant que
voulais montrer que la beauté est partout,        Adepte de la course à pied, il a notamment         je suis quelqu’un de perfectionniste.» Ce
qu’elle peut être associée même avec les or-      bouclé Sierre-Zinal à sept reprises.               perfectionnisme, il préfère le mettre pour
dures.» Dès que la fleur montre des signes                                                           quelques années encore au service de ses
de fatigue, il file lui chercher une rempla-      Quand l’égalité naît de la perfection              concitoyens. «De la perfection naît l’égalité.
çante chez le fleuriste qui le sponsorise de-     Corps occupé, tête libre. «Il y a cinq ans,        En offrant à tous les habitants de la Ville de
puis toutes ces années.                           l’un des mes enfants m’a offert un smart-          Fribourg le même degré de propreté, on les
                                                  phone. J’ai commencé à y coucher mes pen-          met sur un pied d’égalité.»
15 kilomètres à pied par jour                     sées, ainsi que les nombreuses anecdotes ti-
Michel Simonet aime son métier de ba-             rées de mon quotidien de balayeur.» C’est
layeur. Contrairement à d’autres «concierges      une compilation de ces notes griffonnées           Patricia Michaud est journaliste indépendante.

8      universitas | Portrait
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
Michel Simonet est l’auteur du recueil à
succès Une rose et un balai, paru en 2015
aux éditions Faim de Siècle. Né en 1961 à
Zurich, il a grandi en terre fribourgeoise,
successivement à Morat et dans la capi-
tale cantonale. Au bénéfice d’un diplôme
commercial du Collège Saint-Michel et
d’un équivalent propédeutique en théo-
logie et en philosophie, ce père de sept
enfants exerce depuis 33 ans le métier de
balay­eur dans les rues de Fribourg.

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                                              universitas | Porträt   9
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
LGBT+
         Lever des tabous, dépasser des clichés, vaincre
         des stéréotypes; plus encore que vivre et laisser
         vivre, respecter, inclure et aimer. Les textes de
         ce dossier témoignent de lourds silences, d’yeux
         qui se détournent et de lutte de longue haleine.
         Les images elles, révèlent de l’humour, de l’amour
         et une joie sans – absolument – aucune frontière.

10   universitas | Dossier
LGBT+ Chacun e son genre - Université de Fribourg
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universitas | Dossier   11
Recht für
                  jedermensch?!
              Haben Sie sich schon mal überlegt, welchen Platz das Geschlecht in
               unserer Rechtsprechung einnimmt? Tun Sie’s. Oder lesen Sie das
                  Gespräch mit Alecs Recher, dem Leiter der Rechtsberatung
              von Transgender Network Switzerland, und Sarah Progin-Theuerkauf,
                         Professorin für Migrationsrecht. Claudia Brülhart

         «Jede_r hat das Recht, entsprechend der eigenen Ge-           ausschliesslich weiblich ist. Für diese Menschen gibt es
         schlechtsidentität zu leben» – so zu lesen auf der Web-       in der Schweiz kein amtliches Geschlecht. Also wählen sie
         site von Transgender Network Switzerland, kurz TGNS.          vielfach einen Vornamen, der für beide Geschlechter passt.
         Sprechen wir hier von einem Menschenrecht?                    Eine zweite Gruppe, die erstmal nur den Namen ändern
         Alecs Recher: Ja, die Aussage basiert auf Menschenrech-       lässt, sind trans Kinder. Das finde ich sehr beeindruckend.
         ten. Die Geschlechtsidentität ist ein Teil des Rechts auf     Diese kleinen Kinder wissen meist bereits im Vorschulalter
         Privatleben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich       genau, wer sie sind. Und eben auch, wer sie nicht sind. Je
         um eine Cis-Identität handelt, also ob das bei der Geburt     nach Umfeld und eigener Stärke können sie dies auch aus­
         zugeschriebene Geschlecht mit der Geschlechtsidentität        drücken und machen sehr deutlich, wie wichtig ihnen die
         übereinstimmt, oder ob jemand transgeschlechtlich ist,        Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität ist.
         also nicht übereinstimmend mit dem bei der Geburt
         zugeschriebenen Geschlecht. Alle Menschen haben das           Ist es möglich, bereits bei einem Kind das amtliche Ge-
         Recht, entsprechend ihrer Identität zu leben.                 schlecht zu ändern?
                                                                       Alecs Recher: Ja, im Schweizer Recht spricht dem nichts ent-
         Sie arbeiten als Leiter der Rechtsberatung bei TGNS. Mit      gegen. Wenn sie urteilsfähig sind, das heisst sie verstehen
         welchem Anliegen werden Sie am häufigsten konfrontiert?       und können einen eigenen Willen bilden, dann können sie
         Alecs Recher: Das häufigste Anliegen ist das Ändern des       dies selber tun. Ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten.
         amtlichen Geschlechts, des Namens, die Anpassung der          Sind sie noch urteilsunfähig braucht es die Zustimmung.
         Dokumente. Das zweithäufigste sind die Sozialversicherun-     Wir begleiten regelmässig Eltern und Kinder im Alter von
         gen, vor allem die Krankenkassen, die Leistungen ablehnen,    fünf, sechs, sieben Jahren beim Namenswechsel.
         obwohl sie eigentlich bezahlen müssten. Weitere Fragen be-    Sarah Progin: In Deutschland gab es 2017 ein Verfassungs-
         treffen Militär und Zivildienst, die Arbeit – etwa im Falle   gerichtsurteil, in dem ein drittes Geschlecht gefordert wur-
         von Entlassungen nach Coming-outs –, Asylanträge, die         de. Dieses Urteil wurde inzwischen gesetzlich umgesetzt,
         Schule, Scheidungsrecht, Steuerrecht… das Feld ist gross.     das heisst: Man kann jetzt ein Geschlecht auch als «divers»
                                                                       angeben, muss sich also nicht mehr für männlich oder
         Ein erster rechtlicher Schritt hin zum Leben entspre-         weiblich entscheiden. Früher wurden Neugeborene, die
         chend der eigenen Geschlechtsidentität ist die Änderung       nicht eindeutig einem Geschlecht zugordnet werden konn-
         des Namens. Wie kompliziert ist dies?                         ten, meist als Mädchen eingetragen, unter anderem, weil
         Alecs Recher: Sehr häufig passiert dieser erste Schritt       man die weibliche Anatomie, rein äusserlich, medizinisch
         gleichzeitig mit dem zweiten, d.h. mit der Änderung           einfacher nachahmen kann. In dieser Hinsicht hat sich
         des amtlichen Geschlechts. Das kann man in einem Ver-         zum Glück viel getan, man wartet heute ab und lässt den
         fahren machen. Nur gerade den Namen ändern vor al-            Kindern Zeit. Irgendwann finden sie ihre Geschlechtsiden-
         lem nicht-binäre Menschen, das heisst jene, deren Ge-         tität. Und wenn sie sich als weder weiblich noch männ-
         schlechtsidentität weder ausschliesslich männlich noch        lich oder als beides empfinden, dann gibt es jetzt schon

12   universitas | Dossier
in einigen Ländern die Möglichkeit, ein drittes, neutrales     amtliche Geschlecht knüpfen? Können wir nicht einfach
Geschlecht zu wählen.                                          die Ehe für alle öffnen? Ist bei der Militärpflicht wirklich
                                                               das amtliche Geschlecht das sinnvollste Kriterium? Das
Eine wünschenswerte Lösung auch für die Schweiz?               sind aus juristischer Sicht ganz wichtige Analysen, die wir
Alecs Recher: Ja, aber nicht die Version, die Deutschland      machen sollten. Gleichzeitig haben wir einen Bundesrat,
hat. Dort wurde klar begrenzt auf Menschen mit einer           der im Mai einen Vorentwurf gebracht hat zu einer Ände-
Variante der Geschlechtsentwicklung. Das ist nicht das­        rung des ZGB über die Eintragung des Geschlechts im Per-
selbe wie trans Menschen. Erstere sind Menschen, die           sonenstandsregister. Dort findet man die Aussage, dass die
haben einen Körper, der nicht der medizinischen Defini-        Idee eines dritten Geschlechts «der westlichen Auffassung
tion von männlich oder weiblich entspricht. Man spricht        gänzlich fremd sei»…
auch von Intersexualität oder Intergeschlechtlichkeit. Wo-
bei heute die Bezeichnung «Varianten der Geschlechts-          Auch ein amtliches drittes Geschlecht würde die Fragen
entwicklung» bevorzugt wird. Bei trans Menschen unter-         und Probleme des Alltags nicht lösen.
scheidet sich die Geschlechtsidentität vom bei der Geburt      Alecs Recher: Das ist die Realität. Geschlecht beschränkt sich
zugeschriebenen Geschlecht.                                    natürlich nicht auf das Recht. Es beherrscht zum Beispiel
Sarah Progin: Tendenziell stimme ich dem zu. Aber Recht        auch die Sprache, unser Zusammensein, unsere Infrastruk-
ist halt sehr sperrig und entwickelt sich nur sehr langsam.    tur in Gebäuden. Aber der gesetzgeberische demokratische
Man kann es durchaus kritisieren, aber es ist trotzdem eine    Prozess und damit die Diskussion um die Existenz von
Tendenz, die schon mal in die richtige Richtung geht. Ob-      nicht-binären Menschen kann zu einem breiteren Bewusst-
wohl es natürlich bessere Varianten gegeben hätte.             sein in der Öffentlichkeit führen. Und damit früher oder
                                                               später hoffentlich auch zu Lösungen in der Sprache und
Welche Länder erlauben das dritte Geschlecht für alle?         im Alltag. Die staatliche Anerkennung ist ein erster grosser
Sarah Progin: Schweden?                                        Schritt in Richtung eines gesellschaftlichen Umdenkens.
Alecs Recher: Nein, Schweden hat noch kein drittes Ge-
schlecht. Aber Schweden ist das erste Land, das trans Men-     Wie lange ist es in der Schweiz schon möglich, sein amt-
schen, die früher für die Personenstandsänderung zwangs-       liches Geschlecht ändern zu lassen?
sterilisiert wurden, Kompensations­zahlungen leistet. Also     Alecs Recher: Der erste Entscheid für eine amtliche Ge-
ähnlich, wie dies die Schweiz bei Betroffenen fürsorgeri-      schlechtsänderung wurde meines Wissens 1931 gefällt. Aber
scher Zwangsmassnahmen tut. Die Möglichkeit des dritten        erst ab den 50er und 60er Jahren begann sich eine Recht-
Geschlechts gibt es beispielsweise in Malta oder seit kurzem   sprechung herauszubilden. In dieser Zeit war die Diversität
auch in Österreich. In Holland hat vor wenigen Monaten         in der Umsetzung gross. So hatte etwa das Zürcher Oberge-
die erste Person einen Ausweis ohne Geschlechtseintrag er-     richt bereits eine sehr moderne Auffassung von Geschlecht.
halten und auch Argentinien hat kürzlich die erste Person      Basel hingegen kannte zur gleichen Zeit eine extrem strenge
vermeldet, die keinen amtlichen Geschlechtseintrag mehr        Praxis, die operative Massnahmen für einen amtlichen Ge-
hat. Australien hat eine dritte Option, Neuseeland, Indi-      schlechtswechsel voraussetzte, um die «groteske Situation»
en, Pakistan, Nepal… Ausserdem gibt es Staaten, die die        zu verhindern, «wenn der zum Mann erklärte Mensch ein
Änderung des amtlichen Geschlechts basierend auf Selbst-       Kind gebären würde». Die Angst vor dem schwangeren
bestimmung eingeführt haben, das heisst, allein basierend      Mann war sehr gross! Noch 1993 hat das Bundesgericht ge-
auf dem Wissen der trans Person um ihre Geschlechts­           sagt, dass es für die Änderung des amtlichen Geschlechts
identität und ohne Einbezug von Dritten. Argentinien           einen «irreversiblen Geschlechtswechsel» braucht – ohne
war weltweit das erste Land, das diese Selbst­bestimmung       näher zu definieren, was damit gemeint ist. Die Gerichte
eingeführt hat.                                                interpretierten diese Aussage mit der Auflage operativer
                                                               Massnahmen. Erst 2012 haben wir vor dem Regionalgericht
Wo stehen wir in der Schweiz?                                  Bern-Mittelland einen Entscheid herausgeholt, in dem zum
Alecs Recher: Der Nationalrat hat zwei Vorstösse überwie-      ersten Mal klar gesagt wurde, dass medizinische Eingriffe
sen, dass der Bundesrat darüber Bericht erstatte, was die      nicht erzwungen werden dürfen, da dies gegen Artikel 36
Einführung eines dritten amtlichen Geschlechts bedeuten        der Bundesverfassung verstösst. Eine Regelung, die man im
würde. In einem weiteren Vorstoss wird ein Bericht an-         ersten Semester des Jurastudiums lernt.
geregt über notwendige Rechtsänderungen, wenn recht­
liche Regelungen nicht mehr an das Geschlecht anknüpfen        Gibt es ihn denn, den schwangeren Mann?
würden. Sehr spannend. Es gibt Menschen, die gar kein          Alecs Recher: Selbstverständlich gibt es ihn! Und dabei geht
amtliches Geschlecht möchten. Was hätte ein Verzicht da-       es den schwangeren Männern gut, es geht den Kindern gut,
rauf für Folgen? Wollen wir zum Beispiel das Eherecht ans      die Welt dreht sich weiter. Man sollte sich einfach daran

                                                                                                               universitas | Dossier   13
gewöhnen und nicht so ein Aufhebens machen. Auch wenn             nicht relevant sind. Erst bei der zweiten Anhörung wird
         die Idee neu und für viele noch verstörend ist, dass ein          dann der mögliche Verfolgungsgrund vertieft.
         Mann ein Kind austrägt.
                                                                           Für homosexuelle oder trans Menschen ist es ja häufig
         Amtlich gesehen: Ist der gebärende Mann die Mutter                schwierig, darüber zu sprechen.
         oder der Vater des Kindes?                                        Alecs Recher: Das ist ein Riesenproblem. Von diesen Men-
         Alecs Recher: Darauf hat unser Recht noch keine explizite         schen wird erwartet, dass sie, nach vielleicht jahrelanger
         Antwort. Meiner Meinung nach wäre die Person – falls sie          Verfolgung, plötzlich Vertrauen fassen und über ihre Sexu-
         das Geschlecht amtlich schon geändert hat und erst danach         alität oder Geschlechtsidentität sprechen. Diese Personen
         ein Kind zur Welt bringt – als Vater einzutragen. Nur so          kommen häufig aus Ländern, in welchen sie den Staat als
         wird diese Person in ihrem Recht auf Privatleben geschützt        Aggressor kennen. Manchmal fehlen nur schon die Wor-
         und nicht zwangs-geoutet durch den Staat. Ausserdem wird          te, um darüber reden zu können. Diese psychologischen
         so auch in den Ausweisen der Kinder nicht eine Person als         Hürden erfordern nicht selten eine lange Begleitung, auch
         Mutter dargestellt, die im sozialen Leben der Vater ist. Es ist   von Seiten der LGBT+ Community. Wenn sie dann irgend­
         also auch ein Schutz der Kinder vor Diskriminierung auf-          wann soweit sind, darüber sprechen zu können, ist es viel-
         grund der Tatsache, dass sie ein trans Elternteil haben. Die-     fach zu spät, da es dann heisst, es handle sich um ein soge-
         ser Kinderrechts-Aspekt geht sehr oft vergessen. Es gibt ja       nanntes verspätetes Vorbringen.
         die Regel: Mater semper certa est, also «die Mutter ist immer     Sarah Progin: Es gibt mittlerweile vom Europäischen Ge-
         klar». Heisst: Der Mensch, der das Kind ausgetragen hat.          richtshof drei Urteile zum Thema Homosexualität resp.
         Nach dieser Regel wäre natürlich der trans Mann die Mut-          zur Auslegung der EU-Qualifikationsrichtlinie. So darf
         ter. Aber als diese Regel aufgestellt wurde, hat noch niemand     man von niemandem verlangen, dass er oder sie sich ver-
         daran gedacht, dass ein Mann schwanger werden könnte.             steckt, um Verfolgung zu vermeiden, was bedeuten würde,
                                                                           dass diese Person ihre Sexualität im Geheimen ausleben
         Hat ein Mann Anspruch auf Mutterschutz und Mutter-                müsste. Zudem darf man keine umstrittenen Psychotests
         schaftsurlaub?                                                    machen und auch keine Beweise, wie etwa Videos, verlan-
         Alecs Recher: Der Schutzgedanke ist ganz klar. Es geht dar-       gen. Auch stereotype Befragungen sind verboten.
         um, die Person während der Schwangerschaft zu schützen
         und damit auch das heranwachsende Kind. Damit hatten              Alecs Recher, Sie betreuen selber asylsuchende trans
         wir bisher nie Probleme bei den Sozialversicherungen.             Menschen. Welches sind Ihre Erfahrungen?
                                                                           Alecs Recher: Ich begleite trans Menschen, die Asyl suchen
         Um ganz andere Fragen geht es im Bereich der LGBT+                und arbeite dabei viel mit Queeramnesty und Asile LGBT
         Asylsuchenden. Sarah Progin, gibt es in der Schweiz               Genève zusammen, die auch homo- und bisexuelle Men-
         überhaupt eine Rechtsgrundlage, damit Menschen, die               schen begleiten. Wir erklären ihnen das Asylsystem und
         aus Gründen der Homo- oder Transphobie verfolgt wer-              begleiten sie an die Anhörungen, unterstützen sie aber
         den, ein Asylgesuch stellen können?                               auch mit ganz allgemeinen Informationen zum Leben
         Sarah Progin: Eine explizite Rechtsgrundlage braucht es           hier und sind sozial für sie da. Denn häufig sind sie sehr
         nicht, weil das Geschlecht oder die Geschlechtszugehörig-         einsam, vor allem wenn sie in Zentren untergebracht sind,
         keit unter das Merkmal der «sozialen Gruppe» fällt. Diese         und keinen Zugang zur LGBT+ Community haben.
         ist einer der fünf möglichen Verfolgungsgründe.                   Sarah Progin: Im Asylverfahren zählen wir rund 80 Prozent
                                                                           junge Männer. In den Asylunterkünften ist die Toleranz
         Nehmen wir mal an, ein Homosexueller aus dem Sudan                gegenüber Homosexuellen vielfach nicht sehr gross.
         möchte Asyl in der Schweiz. Wie muss er da vorgehen?              Alecs Recher: Die LGBT+ Asylsuchenden werden meist
         Sarah Progin: Die meisten Asylsuchenden kommen mit                ungenügend geschützt gegen Gewalt und Ausgrenzung
         Schleppern über das Mittelmeer und dann über den Land-            durch andere Asylsuchende. Dabei muss man aber beden-
         weg von Italien in die Schweiz. Viele haben ja weder Visum        ken, dass vielen ein Leben lang eingetrichtert wurde, dass
         noch Pass, also kommt das Flugzeug nicht in Frage. Nach           Homosexualität abzulehnen und zu bekämpfen sei. Solche
         der Dublin-Verordnung ist meistens Italien für die Durch-         Werte ändern sich nicht mit der Ankunft in einem anderen
         führung des Asylverfahrens zuständig, daher werden viele          Land. Dem wird noch viel zu wenig Rechnung getragen.
         dorthin auch wieder zurückgeschickt. Es sei denn, man
         kann nicht nachweisen, dass die Person in Italien in die          Wie lässt sich dies verhindern?
         EU eingereist ist oder es wurden Fristen verpasst. Im Emp-        Alecs Recher: Es geht darum, Lösungen zu finden, die allen
         fangs- und Verfahrenszentrum kommt es immer zu einer              Sicherheit gewähren. In Genf werden LGBT-Asylsuchende
         ersten Befragung zur Person, bei der die Fluchtgründe noch        teilweise in Hotels untergebracht. Kollektivunterkünfte sind

14   universitas | Dossier
für trans Menschen zusätzlich schwierig aufgrund der ge-        Wird Homosexualität denn tatsächlich als Fluchtgrund
schlechtergetrennten Infrastruktur; teilweise gibt es nicht     manchmal nur vorgeschoben?
mal abschliessbare Einzelduschen. Sie haben dann Angst          Sarah Progin: Ein solcher Fall ist mir nicht bekannt. Gera-
zu duschen oder zur Toilette zu gehen. Ich habe eine Per-       de bei Menschen aus Ländern, in welchen Homosexualität
son betreut, die sich tagelang nicht zur Toilette gewagt hat.   ein Tabu ist und diese geradezu geächtet wird, nimmt das
Das sind bisweilen gesundheitsschädigende Zustände von          niemand freiwillig auf sich.
Seiten des Staats und damit Menschenrechtsverletzungen.         Alecs Recher: Das Denken im Asylverfahren ist sehr euro-
                                                                zentristisch. So werden die homosexuellen Antragstellen-
Die Lösung?                                                     den unter Umständen gefragt, welche denn die Schwu-
Sarah Progin: Ein frühes Screening und die Platzierung in       lenkneipe in ihrer Heimatstadt sei oder ob sie Oscar
separaten Unterkünften mit entsprechender Betreuung.            Wilde gelesen haben. Es gibt Länder, da gibt es keine
Alecs Recher: Ja, genau. Ich kenne ein schönes Beispiel aus     Schwulenkneipen!
Luzern, wo drei schwule asylsuchende Männer zusammen
eine Wohnung hatten. Es war unglaublich zu sehen, wie           Haben Sie über die letzten Jahre den Eindruck erhalten,
es diesen drei Männern psychisch gut ging, verglichen mit       dass sich die Situation für LGBT+ Asylsuchende ver-
jenen in den Zentren.                                           schlechtert hat?
Sarah Progin: Es ist ja schon für Nicht-LGBT+ Menschen          Alecs Recher: Ja, ganz klar. Insgesamt hat sich die Situation
schwierig in Asylunterkünften. Für Homosexuelle ist es          der LGBT+ Community über die letzten Jahre in die rich-
eine Qual.                                                      tige Richtung entwickelt. Ausser im Asylbereich, der mir
                                                                entsprechend Sorgen bereitet. Ein Gesuch nach dem an-
Kann eine Person mit Asylstatus ihr amtliches Ge-               deren wird abgelehnt. Und das bei Menschen, die wirklich
schlecht ändern?                                                verfolgt werden und Schutz brauchen. Als ich vor Jahren
Alecs Recher: Während dem Asylverfahren ist das eine            die ersten zwei, drei Menschen begleitet habe, war dieses
noch ungeklärte Frage, da die Person ihren Wohnsitz in          Gefühl noch nicht so stark.
der Schweiz haben muss, das heisst, sie muss beabsichti-        Sarah Progin: Dazu müssten wir mal was schreiben.
gen, an dem Ort dauerhaft zu bleiben. Da gibt es noch
keine Rechtsprechung dazu. Sobald eine Person aber eine
F- oder B-Bewilligung hat, kann sie auch ihr amtliches          Claudia Brülhart ist Chefredaktorin
Geschlecht ändern.                                              des Wissenschaftsmagazins «universitas».
Sarah Progin: Schwieriger ist es, das neue Geschlecht auch
in den Pass zu übertragen – sofern überhaupt einer vor-
handen ist. Einerseits ist die Kooperation mit den Her-
                                                                  Unsere Expertin Sarah Progin-­Theu­
kunftsländern ohnehin nicht einfach, und noch weniger,
                                                                  er­­kauf ist Professorin für Europarecht
wenn es um eine Änderung des Geschlechts in einem
                                                                  und Migrationsrecht an der Universität
Pass geht. Bleibt die Einbürgerung in der Schweiz. Dafür
                                                                  Freiburg und Co-Direktorin des Zent-
braucht es aber die ökonomische Unabhängigkeit, für die
                                                                  rums für Migrationsrecht. Zudem ist sie
man eine Arbeit haben muss. Und eine Arbeit zu finden, ist
                                                                  Präsidentin der universitären Kommissi-
auch nicht einfach.
                                                                  on für die Gleichstellung von Frau und Mann. Sarah Progin
Alecs Recher: Gerade für trans Menschen ist dies ein Pro-
                                                                  hat sich bereits in ihrer Forschung mit geschlechtsspezifi-
blem, da sie die Ausweispapiere, die sie outen, nicht abän-       scher Verfolgung befasst. Vor ihrer akademischen Karriere
dern können. Falls sie überhaupt so weit kommen…                  arbeitete sie als Anwältin.
                                                                  sarah.progin-theuerkauf@unifr.ch
Was meinen Sie damit?
Alecs Recher: Tatsache ist: Viele LGBT+ Menschen erhalten         Unser Experte Alecs Recher hat an
gar kein Asyl! Die Situation im jeweiligen Heimatland wird        der Universität Freiburg Heilpädagogik
häufig nicht ernst genommen.                                      und an der Universität Zürich Rechts-
Sarah Progin: Im Bereich der Homosexualität reicht es             wissenschaften studiert. Er befasst sich
beispielsweise nicht, wenn es im Herkunftsland ein Ge-            seit seiner Studienzeit mit Transgender-­
setz gibt, das Homosexualität unter Strafe stellt. Es wird        Rechten. 2009 gründete Recher die
verlangt, dass die Strafen im Heimatland auch tatsächlich         Organisation Transgender Network Switzerland (TGNS),
umgesetzt werden.                                                 wo er heute die Rechtsberatung leitet.
Alecs Recher: Ausserdem wird homosexuellen Personen               alecs.recher@tgns.ch
häufig nicht geglaubt, dass sie homosexuell sind.

                                                                                                                 universitas | Dossier   15
Lovis, 35, genderfluide Butch-Lesbe
                       Unicom-Redaktor_in und Autor_in
              «Lesben-Sichtbarkeit stärkt die queere
              Community und die Frauenbewegung.
            Ich will Teil davon sein. Wer mich deshalb
                eine Kampflesbe nennt, macht mir
                          ein Kompliment.»

16   universitas | Dossier
Ecole: lever le
 tabou LGBT+
   Les discriminations faites aux élèves LGBT+ dans le cadre scolaire
restent un thème tabou. Sylvain Genoud, en dernière année de formation
    à l’enseignement au Cycle d’orientation secondaire 1, s’y attaque
dans son travail de master. Est-il possible de lutter contre la plus grande
         des violences, celle du silence? Rencontre. Philippe Neyroud

En salle de classe comme à la récré, les insultes verbales         subie. Il est temps d’en parler et de conscientiser les adultes
fusent, faciles et traumatisantes, dans l’indifférence même        de demain que des enfants, des ados peuvent être LGBT+.
de certains enseignants, voire de leur direction… De retour        Et qu’ils doivent être acceptés comme tels, eux qui n’ont
dans le cercle familial ou dans ses activités sociales, l’enfant   pas choisi leur identité sexuelle».
LGBT+ ne trouvera guère d’oreille bienveillante dans une               Mais LGBT+, de quoi et de qui parle-t-on? L’acronyme
société fribourgeoise traditionnelle qui se nourrit, encore,       est récent, et touche aux notions d’attirance homosexuelle,
de codes qui ont pourtant explosé. Car la réalité est là: des      de bisexualité et de transgenre (un genre ressenti différent
enfants, qui n’ont pas choisi la nature de leur orientation        de celui acquis à la naissance), le + permettant d’ouvrir à
sexuelle – chassez le naturel, il revient au galop! – ou de        d’autres formes possibles. A Fribourg, rares sont les grou-
naître bisexué, par exemple, souffrent. Intensément et en          pements à affirmer une telle identité. Les deux plus visibles
silence, à en développer, plus que d’autres, un profond            et actifs, LAGO au sein même de l’Université de Fribourg et
mal-être, voire des élans suicidaires. Ce qui touche à une         Sarigai, affichent plusieurs centaines de membres sur leur
question de santé publique. Alors, là où l’Etat n’a pas en-        page Facebook respective. Mais du côté de Sarigai, on s’in-
core agi, qui peut faire bouger les lignes?                        quiète du silence de cette communauté. Le président de
                                                                   l’association, pourtant reconnue d’utilité publique, consi-
Il est temps d’en parler                                           dère cette invisibilité comme un vrai problème. Si, à son
Sylvain Genoud, Gruyérien pur souche de 25 ans et féru             avis, il y a – heureusement – peu de violences physiques et
de badminton, n’a que le revers et le smash meurtriers. De         bien plus de pressions psychologiques, il pointe de récents
nature affable, il se destine à une carrière en cycle d’orien-     ennuis de la part des autorités fiscales, et une «indifférence
tation (CO), avec comme disciplines d’enseignement les             de la vie publique à l’égard de la situation de la communau-
sciences de la nature, les mathématiques et la géographie.         té LGBT+. Ici, aucun politicien, et pas plus de médias, ne
En dernière année de formation, il a eu à choisir un mé-           s’investit pour une question qui touche la communauté».
moire de master qui s’inscrive dans les programmes pos-
sibles pour les élèves en CO et s’en explique: «C’est un           Arrête de te taire!
thème qui me tient à cœur. J’ai été témoin à plusieurs re-         Le Service de l’enseignement obligatoire francophone
prises de telles discriminations, lors de ma propre scolari-       (SEnOF) offrant la possibilité de s’emparer d’un sujet de
té comme en stages d’enseignement. En plusieurs années,            master traitant de santé à l’école, et la planification fri-
rien n’a changé, ni le mode discriminatoire, ni la violence        bourgeoise du Plan d’Etudes Romand celle de présenter la

                                                                                                                   universitas | Dossier   17
Gay Pride, Sylvain Genoud a élargi la thématique avec une        «avec la participation de chaque acteur sociétal et résidant
         recherche ouvrant des pistes aux enseignants pour aborder        du Canton de Fribourg»; mais la proposition faite aux en-
         la question LGBT+ avec des élèves de 12–16 ans, dans le          seignants par Sylvain Genoud répondra peut-être à une
         cadre des – rares – cours d’éthique: «Il faut leur en parler.    lacune, la communauté LGBT+ n’y étant pas associée.
         La puberté est un moment-clé dans la vie des élèves, c’est       Et ceci même si la DSAS relève que le plan d’action de sa
         aussi le moment où ils découvrent leur sexualité. Au sein        Stratégie jeunesse «Je Participe», toujours en discussion,
         d’une classe il n’y a encore place que pour deux genres:         prévoirait un axe de sensibilisation à l’identité sexuelle.
         les garçons et les filles. En sciences, le programme trai-       Enfin, on peut se réjouir que certaines positions officielles
         tant de sexualité reproductive en est un exemple. Or, il y a     évoluent, comme celle du Conseil national qui, sous l’im-
         potentiellement d’autres réalités biologiques: des enfants       pulsion du Valaisan Mathias Reynard, s’est montré favo-
         bisexués de naissance, d’autres asexués ou qui n’ont pas         rable, en septembre 2018, à l’introduction de la notion de
         encore découvert leur identité homosexuelle et seront vic-       l’identité de genre dans une initiative parlementaire visant
         timisés sans savoir pourquoi…». D’où le propos de son            à protéger à même le Code Pénal la communauté LGBT+
         mémoire de master, sous la direction de la Docteure Pas-         contre les discriminations.
         cale Spicher, psychologue FSP et lectrice en didactique,             Mais c’est ailleurs qu’il faut chercher des exemples
         l’objectif étant de proposer aux enseignants un dispositif       d’ouverture encourageants: dans les belles et froides
         méthodologique sensé et sensible à mettre en œuvre au-           contrées du Nord. Au Québec, l’Assemblée nationale a
         près des publics concernés.                                      adopté, en 2012 déjà, une Loi 56 visant à prévenir et com-
                                                                          battre l’intimidation et la violence à l’école, incluant les
                                                                          discriminations contre les élèves LGBT+. Des cours
             «Il faut ouvrir un ballon                                    d’éthique ont également été développés pour que les jeunes
             d’oxygène pour que les                                       puissent développer les valeurs de respect des autres, d’ap-
                                                                          préciation de la différence et de tolérance. Quant aux
             enfants LGBT+ arrêtent de                                    jeunes Suédois, ils bénéficient trois fois par an d’une se-
             se taire»                                                    maine de sensibilisation qui leur permet, entre autres su-
                                                                          jets, de s’informer sur la thématique LGBT+ et de se forger
                                                                          un esprit d’ouverture en la matière.
         Le travail de Sylvain Genoud, en cours d’élaboration, s’at-          S’inspirant de ces modèles positifs, les propositions
         tèlera à briser l’inéluctable catégorisation binaire selon les   émises par Sylvain Genoud feront peut-être office de pré-
         deux genres, à elle seule porteuse de violence pour les en-      curseur dans le Canton de Fribourg, voire ailleurs en
         fants concernés. Et le diplômant de rappeler qu’en Inde,         Suisse. A vérifier après l’été 2019, lorsque ses collègues du
         et depuis peu en Australie, le passeport national laisse ou-     corps enseignant auront eu loisir de se positionner sur sa
         verte une troisième option à la question du genre, celle de      démarche et de jouer ce match-là avec lui.
         «sexe neutre». Au-delà des informations documentées, il
         cherchera à établir une réelle formation d’idées: que les
         élèves puissent se faire leur propre avis, que cet apprentis-    Philippe Neyroud est journaliste indépendant.
         sage ouvre la porte à un changement de comportements.
         En effet, pour Sylvain Genoud, «c’est une maltraitance que
         de ne pas leur dire que ça existe. Et il faut ouvrir un bal-
         lon d’oxygène pour que les enfants LGBT+ arrêtent de se
         taire». Le silence est la pire des violences. Et d'évoquer un
         cas récent et encore inexpliqué de suicide d’une jeune fille
         dans un CO, plusieurs indices laissant ouverte la question
         de discriminations dont elle aurait fait l’objet au vu de son
         identité sexuelle. «Malheureusement, déplore le chercheur,
         bien des cas de violence liée à l’homophobie sont encore           Notre expert Sylvain Genoud est gruérien de 25 ans,
         simplement occultés, sous couvert d’un pâlement officiel           est président du Club de badminton de Bulle. Sensibili-
         ‹Ceci n’arrive pas chez nous›»!                                    sé à la cause LGBT+ dès sa scolarité, puis lors de ses
                                                                            stages en CO, il se réjouit de porter cette thématique
         Le salut vient du Nord                                             dans les salles de maîtres et plus tard, pourquoi pas, en
         Du côté de la Direction de la santé et des affaires sociales       politique également.
         (DSAS), on a élaboré une stratégie cantonale «Perspectives         sylvain.genoud@unifr.ch
         2030» pour promouvoir la santé, également psychique,

18   universitas | Dossier
Patrik, 41, gay
Macht Nachrichten und Hintergründe bei Radio SRF
«Gelebte Diversität ist dann, wenn sie kein
    Thema mehr ist. In meinem Umfeld
 ist das erreicht, als Gesellschaft sind wir
      noch nicht am Ziel angelangt.»

                                                   universitas | Dossier   19
Familien
                              sind keine
                                Inseln!
                     Sowohl in ihrer Forschung als auch in der Tätigkeit als
             Psychologin befasst sich Nathalie Meuwly mit sexueller Orientierung,
                gleich­geschlechtlichen Paaren und Regenbogenfamilien. Ein
                    Gespräch über Coming-out, Kinder und das Geheimnis
                           glücklicher Beziehungen. Angela S. Hoppmann

         Nathalie Meuwly, Sie befassen sich intensiv mit Kommu-         Unterschiede können wichtiger sein als das Geschlecht.
         nikation in der Partnerschaft. Welches ist Ihr Fokus?          Bei einem heterosexuellen Paar ist ja nicht immer auto-
         Man weiss von Menschen, die in einer Beziehung sind und        matisch die Frau diejenige, die mehr Nähe sucht als der
         innerhalb dieser Partnerschaft viel positive Unterstüt-        Mann. Die Varianz ist gross! Der ganze Kontext meiner
         zung erfahren, dass sie nicht nur gesünder sind, sondern       Studie ist schon, Geschlecht und Unterschiede besser zu
         auch länger leben. In diesem Forschungsbereich werden          verstehen, aber auch, die Literatur breiter zu machen für
         dabei häufig die Unterschiede zwischen Mann und Frau           gleichgeschlechtliche Paare.
         diskutiert. Es bestehen viele Klischees, z.B. dass Frauen
         lieber über Gefühle sprechen als Männer oder eher äus-         Geht es auch um Sichtbarkeit von gleichgeschlechtlichen
         sern, dass sie gestresst sind. Deshalb habe ich mir die Fra-   Paaren in der Forschung?
         ge gestellt, ob das überhaupt stimmt und was wir wirklich      Ja, gleichgeschlechtliche Paare kämpfen immer noch um
         darüber wissen. In der Paarforschung wurden bisher vor         Akzeptanz. Deshalb hat es auch eine gesellschaftspoliti-
         allem heterosexuelle Paare untersucht. Ich finde es wich-      sche Dimension.
         tig, auch gleichgeschlechtliche Paare zu untersuchen, um
         Geschlechterunterschiede besser zu verstehen.                  Kommunizieren gleichgeschlechtliche Paare anders als
                                                                        heterosexuelle Paare?
         Haben Lesben also weniger Stress in der Beziehung?             Darüber weiss man noch relativ wenig. Um Kommuni­
         Es ist natürlich auch eine Frage der Sozialisierung. Kön-      kation gründlich zu erforschen, braucht es mehr objek-
         nen zwei Frauen in einer lesbischen Beziehung davon pro-       tive Daten. Wir filmen in unseren Studie die Paare dabei,
         fitieren, dass sich beide eine «weibliche Kommunikation»       wie sie sich gegenseitig unterstützen und Konflikte lösen.
         angeeignet haben? Oder können sie z.B. auch davon pro-         Einige wenige Studien weisen auf Unterschiede zwischen
         fitieren, dass ähnliche Themen für beide interessant sind?     gleichgeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen
         Allgemeine Fragen, die mich in der Paarforschung inter-        Paaren hin, was eine Folge der Zusammensetzung des Paa-
         essieren, sind, wer von den beiden emotionaler oder do-        res sein könnte. Interessant ist beispielsweise das Timing
         minanter ist, wer mehr Nähe sucht… Solche individuellen        einer Unterstützung. Bei heterosexuellen Paaren können

20   universitas | Dossier
Frauen ihre Unterstützung besser timen, d.h. sie geben       negativ auf eine Beziehung auswirken. Ein Paar kann sich
dem Partner die Unterstützung genau dann, wenn er sie        z.B. zusammen nach aussen formieren, im Sinne von:
braucht, während Männer mehr Schwierigkeiten haben,          «Wir gegen den Rest der Welt». Schwierig ist es, wenn je-
Unterstützung dann zu geben, wenn ihre Partnerin sie         mand offen geoutet ist, die andere Person aber nur teil-
auch braucht. Einzelne Studien deuten darauf hin, dass       weise oder gar nicht. Dann kann es durchaus Spannun-
sich das Phänomen, dass Frauen besser timen, bei lesbi-      gen in der Beziehung geben. In unserer Studie haben wir
schen Paaren äusserst positiv auswirken kann. Bei ihnen      nach Erfahrungen gefragt, etwa wann ein Paar öffentlich
ist zudem das Risiko kleiner, dass sie bei Konflikten oder   Hand in Hand geht und wie sie dazu stehen, Zuneigung
negativer Kritik ihrerseits auch mit einem negativen Kom-    in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dort hat sich gezeigt, dass
mentar reagieren und so in eine Negativspirale geraten,      Männerpaare weitaus weniger Zuneigung zeigen. Ich
was für eine Beziehung dann sehr schwierig sein kann.        führe dies auf Erfahrungen oder Befürchtungen vor Dis-
                                                             kriminierung zurück; vor allem die männliche Homose-
Gibt es schon Forschung über Paare, in welchen mindes-       xualität wird oft noch stark negativ verurteilt.
tens eine Person trans ist?
Dazu gibt es in der Schweiz leider noch keine einzige        Wie und wo werden LGBT+ Menschen heutzutage dis-
Paarforschungsstudie. Ich bin aber froh, dass bei uns        kriminiert?
auch einige trans Menschen an der Studie teilgenommen        Diskriminierungserfahrungen sind sehr vielfältig. Intuitiv
haben. Die Gruppe war aber zu klein, um spezifische Aus-     würde man denken, dass LGBT+ vor allem auf dem Land
sagen für trans Personen zu machen.                          Diskriminierungserfahrungen machen. Es ist jedoch so,
                                                             dass Diskriminierungserfahrungen oft da passieren, wo
Sind trans Frauen dominanter in der Kommunikation,           gleichgeschlechtliche Paare oder LGBT+ sichtbar sind.
falls sie ursprünglich als Männer sozialisiert wurden?       So können Beschimpfungen oder gar tätliche Angriffe
Darüber würde ich sehr gerne forschen! Dominanz ist ein      vor allem in Städten geschehen, die als offen gelten. Dies
spannendes Thema: Man kann sich auch fragen, weshalb         deckt sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen.
jemand dominant ist. Dies muss nicht immer sein, weil
sich jemand überlegen zeigen möchte. Dominanz kann
auch Selbstschutz bedeuten. Studien mit trans Menschen          Diskriminierung passiert da,
sind für die Paarforschung schwierig umzusetzen, weil
trans Menschen tendenziell weniger in Beziehungen le-
                                                                wo gleichgeschlechtliche
ben – aber vielleicht ändert sich das irgendwann. Für           Paare oder LGBT+
mich wäre es auch interessant, über Beziehungen zu for-
schen, in welchen ein_e Partner_in sich in der Transition
                                                                sichtbar sind
befindet: Was bedeutet dann die Transition für die Part-
nerschaft? Wie wirkt sich eine Transition auf die Partner-   Diskriminierungen geschehen jedoch oft auf subtiler
schaft aus, wenn man als Mann oder Frau in der Gesell-       Ebene. Zum Beispiel, wenn die Existenz gleichgeschlecht-
schaft plötzlich anders behandelt wird, z.B. ernster oder    licher Paare in einem heteronormativen Umfeld keine
weniger ernst genommen wird? Und welche Konstrukte           Beachtung findet oder verschwiegen wird. Oder wenn für
hat man selber von Geschlecht und Geschlechtlichkeit?        gleichgeschlechtliche Paare ein zusätzlicher Zivilstand
Da gibt es noch viel zu tun!                                 kreiert wird. So können Paare nicht selber entscheiden,
                                                             wem gegenüber sie sich outen möchten.
Sie haben das Wohlbefinden untersucht. Sind gleichge-
schlechtliche Paare glücklicher oder gestresster als he-     Sie führen hier in Freiburg seit bald einem Jahr eine
terosexuelle Paare?                                          eigene Praxis als Psychotherapeutin. Sind unter Ihren
Ich habe Mühe damit, zu generalisieren. Ich würde sagen,     Klient_innen besonders viele gleichgeschlechtliche
es kommt bei gleichgeschlechtlichen Paaren zusätzlich        Paare und Menschen im Coming-out Prozess?
darauf an, ob sie ihre Beziehung in einem akzeptierenden     Ich habe viele Klient_innen, bei welchen Sexualität an
Umfeld leben können. Der sogenannte Minority Stress ist      sich ein Thema ist, darunter auch lesbische und bisexu-
spezifisch für gleichgeschlechtliche Paare und kann bei      elle Frauen. LGBT+ Menschen suchen häufiger psycholo-
manchen Paaren eine Auswirkung haben.                        gische oder psychiatrische Angebote auf als die Gesamt-
                                                             bevölkerung. Sie erleben zusätzliche Belastungen durch
Welchen Einfluss haben Erfahrungen von Diskriminie-          Diskriminierungen im Alltag oder auch befürchtete oder
rung im Alltag auf die Kommunikation in der Beziehung?       reale negative Reaktionen beim Coming-out. Nicht nur
Diskriminierungserfahrungen müssen sich nicht immer          junge Generationen, insbesondere ältere Menschen sind

                                                                                                           universitas | Dossier   21
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