Zürcher Tourismus 2030 Entwicklungsperspektiven - Zürich ...

 
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Zürcher Tourismus 2030 Entwicklungsperspektiven - Zürich ...
Zürcher Tourismus 2030
                               Entwicklungsperspektiven

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Zürcher Tourismus 2030 Entwicklungsperspektiven - Zürich ...
Eine Studie des GDI
                               Gottlieb Duttweiler Institute
                               im Auftrag von Zürich Tourismus

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Inhalt

                               Executive Summary .................................................................................................................................. 6

                               Einleitung            ......................................................................................................................................................    8

                               Mächtigste Treiber und Trends .........................................................................................................                                        11
                               Globalisierung und steigende Mobilität ...............................................................................................                                         11
                               Wachsender Tourismus und aufstrebende Märkte ...........................................................................                                                       13
                               Demografischer Wandel und neue Bedürfnisse .................................................................................                                                   15
                               Flexibilisierung und Individualisierung ...................................................................................................                                    18
                               Technologischer Forschritt und Digitalisierung ...................................................................................                                             19
                               Klimatische Veränderungen, knappere Ressourcen und Nachhaltigkeit .....................................                                                                        20
                               Fazit .................................................................................................................................................................        23

                               Szenarien: Zürcher Tourismus 2030 ................................................................................................                                             24
                               Mögliche Entwicklungsperspektiven .....................................................................................................                                        24
                               Bleisure Hub: Zürich in der Corporate World ......................................................................................                                             27
                               Premium-Boutique: Zürich für die Happy Few ...................................................................................                                                 35
                               Rückzugsort: Zürich im Zeitalter des Weniger ....................................................................................                                              43
                               Smart Spot: Zürich in der Wissensgesellschaft ...................................................................................                                              51

                               Wie weiter?               ................................................................................................................................................     58

                               Zürich Tourismus: Grundsätze und Entwicklungsziele                                                              .........................................................      62

                               Anhang ......................................................................................................................................................... 64

                                                                                                                                                                                                                       5

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Zürcher Tourismus 2030 Entwicklungsperspektiven - Zürich ...
Executive Summary

                       Tourismus ist einer der wichtigsten Zukunfts-    Anlässlich seines 125-Jahre-Jubiläums nimmt
                       märkte. Doch er gestaltet sich in derart dyna-   Zürich Tourismus zusammen mit dem GDI
                       mischer Art, dass Prognosen schwieriger denn     eine Auslege-Ordnung vor. In vier alternati-
                       je sind. Was für den globalen Tourismus im       ven Extremszenarien, die der Wichtigkeit des
                       Jahr 2030 klar ist: Mobile Kommunikations-       Zürcher Finanzsektors ebenso Rechnung tra-
                       mittel und neue Technologien werden zentral.     gen wie der Frage nach künftiger Mobilität,
                       Der Klimawandel schreitet fort, ebenso der       werden unterschiedliche Entwicklungslinien
                       demografische Wandel. Neue Übersee-Quell-        erkundet. Sie zeigen auf, was in Zukunft sein
                       märkte werden relevanter. Einzigartige Erleb-    könnte. Die Benennungen der einzelnen Sze-
                       nisse mit Nacherzählungswert gewinnen an         narien geben dabei ihre Kernideen in mög-
                       Stellenwert. Doch wer aus der Jetztzeit her-     lichst kondensierter und prägnanter Form
                       aus die nächsten zwei Jahrzehnte vorbeur-        wieder. Es versteht sich von selber, dass sie
                       teilen und einschätzen möchte, muss die jün-     kein politisches Programm sein sollen.
                       gere Vergangenheit ebenso einbeziehen. Denn
                       in einer Zeit, da kein Experte sagen kann, ob    Bleisure Hub:
                       die Finanzkrise von 2008 und 2009 heute          Zürich in der Corporate World
                       nur noch ein Rumpeln von gestern oder aber       Die Weltwirtschaft erholt sich, das Business
                       Vorbote des nächsten Wirtschafts-Tsunamis        zieht wieder an. Zürich erkennt, dass die neue
                       ist, muss im Falle der grössten Schweizer        kreative Klasse in ihrem Verhalten kaum mehr
                       Stadt eine schicksalhafte Frage im Mittelpunkt   zwischen Arbeit (Business) und Freizeit (Lei-
                       stehen: Was soll vorgekehrt werden, falls        sure) unterscheidet. Und bietet den moder-
                       neue Entwicklungen das bisherige erfolgreiche    nen Nomaden deshalb das Beste aus beiden
                       Zürcher Geschäftsmodell – 70 Prozent Busi-       Welten: Bleisure. Zürich wird zur angenehms-
                       ness-Gäste, 30 Prozent Freizeit-Touristen –      ten Business-Destination Europas. Hilfreich
                       sabotieren? Lange ist die Destination gut        werden neuartige Bleisure-Hotspot wie das
                       gefahren mit dieser Aufteilung, konnte das       Kongresszentrum oder der «Circle at Zurich
                       Pricing der touristischen Leistungsträger dar-   Airport». Wichtige Multiplikatoren der neuen
                       auf abstimmen, wusste ganz grob, wann            Kunde der Bleisure-Hochburg Zürich werden
                       welcher Peak zu erwarten war und welche          unter anderem auch die Gäste selber sein –
                       Szenarien in der künftigen Kapazitätsplanung     denn als wichtige Meinungsmacher geniessen
                       zur Anwendung kommen würden. Sollten die         sie in ihren Kreisen weitaus mehr Glaubwür-
                       Angriffe auf den Finanzplatz weiter zuneh-       digkeit als offizielle Hochglanzprospekte und
                       men, sollten sich daraus strukturelle Ände-      Imagebroschüren.
                       rungen auf dem Bankenplatz ergeben und
                       dessen Funktionsweise nachhaltig erschüttern,
                       dann steht auch das touristische 70/30-Modell
                       auf dem Prüfstand.
     6

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Premium-Boutique:                                  Smart Spot:
                               Zürich für die Happy Few                           Zürich in der Wissensgesellschaft
                               Die Zeiten werden für den Normalbürger             Der Finanzplatz ohne Bankgeheimnis leidet,
                               härter. Nur noch Privilegierte – die sogenann-     dafür strahlt der Wissens-Standort umso hel-
                               ten «Happy Few» – können sich Zürich leisten.      ler. Zürich ist eine Science-City, welche die
                               Die Bankenstadt wird auch damit fertig und         Ressource Wissen als Katalysator für nach-
                               spezialisiert sich noch stärker. Nun wird es so    haltiges Wachstum nutzt. Das Beste für den
                               wichtig wie noch nie, Seriosität, Solidität und    Touristiker: Das Wissen verbreitet sich nicht nur
                               Exklusivität aufs allerhöchste Niveau zu brin-     in Insider-Kreisen an Kongressen, sondern es
                               gen. Individuelle Erlebnisse für die High-Ban-     schafft auch Innovation für den Gast: Crowd-
                               king-Zirkel dieser Welt zählen mehr als alles      sourcing-Hotels oder Modelle für leicht trans-
                               andere. Zürich schafft vermehrt Members-On-        portierbare Hotel-Module, die am Theater-
                               ly- und VIP-Zonen und bietet den zahlungs-         spektakel, an der Street Parade oder am Free-
                               kräftigen Besuchern grenzenlosen Service.          style.ch-Event eingesetzt werden können.
                               Was aber Konfliktpotenzial bei der eigenen         Wichtig wird, dass sich die Stadt selber auf den
                               Bevölkerung birgt.                                 allerhöchsten Stand bringt in Sachen Wissen-
                                                                                  schaft. Denn Intelligenz macht bekanntlich
                               Rückzugsort:                                       sexy.
                               Zürich im Zeitalter des Weniger
                               Die Zeiten werden richtig hart. Die Reisetä-       Wie oft, wenn die mittelfristige Zukunft an-
                               tigkeit ist grundsätzlich im Rückgang, der Ge-     hand von Szenarien eingeschätzt werden
                               schäftstourismus bricht ein. Jetzt werden Na-      soll, kann das Ergebnis 2030 auch in einer
                               tur, der See, die Berge zu den Stars. Die grosse   Kombination mehrerer Szenarien liegen. Was
                               Herausforderung: Wie kann in Zürich Geld           allen Szenarien gemeinsam ist und längst
                               verdient werden mit einer Kundschaft, die am       schon im Zürcher Markenkern steckt: Solidi-
                               liebsten gar keines ausgeben möchte? Was,          tät. No bullshit. Statt auf eine Disneylandisie-
                               wenn die Stadt zum Ausflugsziel für den Ta-        rung hinzuwirken, statt teure neue Dinge mit
                               gestourismus verkümmert? Ein Stress-Szenario       unsicheren Erfolgschancen anzupacken, stärkt
                               für die Wertschöpfung. Die Chance: Weil Nähe       die Stadt ihre Stärken. Für Zürich ist klar, was
                               mehr als alles andere zählt, kann man sich         aufgrund der Tradition, der Fakten und der
                               auf Märkte in den umliegenden Ländern ein-         Geschichte über viele Jahre und Jahrzehnte
                               stellen. Das erspart Streuverluste im Marketing.   geworden ist, ist Teil der «genetischen Struk-
                               Es erspart aber nicht die Denkarbeit, welche       tur», der DNA-Code sozusagen. Ausgehend
                               Produkte jetzt gefragt sein könnten – und          von diesem Wissen, geben die Szenarien An-
                               wem man sie anbieten soll.                         stösse, Zürich visionär zu denken. Die ge-
                                                                                  wünschte Zukunft hängt letztlich immer vom
                                                                                  Gestaltungswillen der Entscheidungs- und
                                                                                  Leistungsträger ab.

                                                                                                                                          7

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Einleitung

                       Zürich Tourismus feiert sein 125-Jahre-Jubilä-   Wer sich mit der Zukunft – 2030! – ernsthaft
                       um und nutzt diese Gelegenheit dazu, in Zu-      beschäftigen will, muss Historie, Technologie,
                       sammenarbeit mit dem GDI über die Zukunft        Wirtschaft und Gesellschaft in ihren jeweili-
                       des Zürcher Tourismus nachzudenken. Ziel der     gen Dimensionen und Zusammenhängen zu-
                       vorliegenden GDI-Studie ist es, die Bedeutung    nächst einschätzen können. Deshalb gilt: Wer
                       des Tourismus im Grossraum Zürich zu analy-      zwanzig Jahre nach vorne schauen will, soll
                       sieren und Perspektiven für die langfristige     zunächst einmal zwanzig Jahre zurückblicken
                       touristische Entwicklung aufzuzeigen. Die Stu-   – in das Jahr 1990. Damals wurde in Zürich
                       die soll zum fruchtbaren Nachdenken und Dis-     gerade das erste flächendeckende S-Bahn-
                       kutieren anregen und den Entscheidungs-          Netz der Schweiz eröffnet, die weltweite Frei-
                       und Leistungsträgern kreative Denkanstösse       gabe des Internets zur allgemeinen Benutzung
                       für heutige Weichenstellungen im Zürcher         stand kurz bevor, und noch deutete nichts
                       Tourismus geben.                                 darauf hin, dass Google, Swiss oder UBS die-
                                                                        jenigen Marken sein würden, die 2010 das
                       Was Szenarien leisten                            Bild von Zürich in der Welt wesentlich mitprä-
                       Einige Bemerkungen zur Zukunftsforschung         gen. So viel Unerwartetes in zwanzig Jahren!
                       allgemein und zur Zukunft von Zürich im Spe-
                       ziellen mögen vorab dazu beitragen, allfällige
                       Missverständnisse zu vermeiden.                  Tiefe Prognostizierbarkeit
                                                                        in komplexen Systemen
                       In den vergangenen Jahrzehnten hat die Dy-
                       namik der Veränderung massiv zugenommen.
                       Was heute als verrückt gilt, wird morgen nor-
                       mal und übermorgen vielleicht schon verges-
                       sen sein. Disruptive Entwicklungen nehmen
                       zu und machen Prognosen, die nur Daten
                       und Statistiken der Vergangenheit extrapo-
                       lieren, immer unmöglicher, ja sogar irrefüh-
                       render. Jede Aussage, die wir heute über die
                       Zukunft machen, ist naturgemäss mit Unge-
                       wissheit verbunden, insbesondere bei einem
                       Zeithorizont von zwanzig Jahren.

                                                                        Quelle: GDI Impuls 4.2006

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Darüber hinaus sind nicht nur die zentralen                        wird der Realist von morgen – oder wie
                               Treiber der Entwicklung auf zwanzig Jahre                          schon Gottlieb Duttweiler sagte: «Der Phan-
                               hinaus schwer prognostizierbar, allzu oft be-                      tast ist der wahre Realist.»
                               einflussen sie einander auch gegenseitig. Wie
                               anfällig dabei Unternehmen, Institutionen und                      Vorgehen und Methode
                               ganze Systeme auf Veränderungen sind, füh-                         Als qualitative Methode der strategischen
                               ren uns ganz aktuell die weltweite Finanzkrise                     Planung beruht die Szenariotechnik auf der
                               und ihre Folgen vor Augen. Alles ist irgendwie                     Analyse möglicher Entwicklungen der Zu-
                               mit allem verbunden. Die grossen Zusammen-                         kunft. Sie bietet die Möglichkeit, komplexe
                               hänge werden immer unberechenbarer.                                Zusammenhänge zu analysieren, auf relevan-
                                                                                                  te Faktoren zu verdichten und daraus präg-
                               Was für komplexe Systeme ganz allgemein                            nante Zukunftsbilder zu entwerfen. Diese bil-
                               gilt, trifft auf das System Stadt und Region in                    den ab, was sein könnte, nicht was sein wird.1
                               besonderem Masse zu. Kulturell, politisch,
                               wirtschaftlich, sozial und ökologisch ist eine                     In Szenarien zu denken bedingt zwei zentrale
                               Region ein dynamisches Gefüge von höchs-                           Voraussetzungen:2
                               ter Komplexität. Zahlreiche Akteure mit un-                           In einer multiplen Zukunft denken:
                               terschiedlichen Interessen und Ansprüchen                             «Multiple Zukunft» bedeutet, dass man
                               bestimmen ihre Zukunft mit. Und der Touris-                           die Zukunft mehrschichtig ansieht, also
                               mus ist aufgrund seiner volkswirtschaftlichen                         in mehreren Zukünften denkt, und nicht
                               Bedeutung immer mittendrin. Jedes Thema,                              nur eine einzige Zukunft für möglich hält.
                               welches Zürich und den Tourismus beschäf-                             Vernetzt denken: Vernetztes Denken
                               tigt – ob Kongresshaus, Flughafen oder Zoo                            meint das «Sehen von Ganzheiten», um
                               –, ist Teil einer breiten öffentlichen Diskussion.                    in der komplexen Zukunft bestimmte
                               Hinzu kommt, dass sich der Tourismus nicht                            Beziehungen zwischen den einzelnen
                               an politische Grenzen hält und die gesamte                            Faktoren (Wirtschaft, Gesellschaft, Politik,
                               Region von der künftigen Entwicklung der                              Technologie, Umwelt etc.) herzustellen.
                               Stadt beeinflusst wird. Die Gefahr, sich hier in
                               der Komplexität der einzelnen regionalen                           Um die wirtschaftlichen und gesellschaftli-
                               Unterthemen sowie in deren meinungspoliti-                         chen Veränderungen in ihren Dimensionen
                               schen Details und Verästelungen zu verlieren,                      und Zusammenhängen besser einschätzen
                               ist darum gross. Wer sich wirklich mit Zu-                         zu können, werden in der vorliegenden Stu-
                               kunft beschäftigen will, muss sich radikal                         die zuerst die globalen Entwicklungen analy-
                               vom Pragmatismus des Tagesgeschäfts lösen                          siert. Sie zeigen, welche Treiber den Touris-
                               und politische Ränkespiele bewusst hinter                          mus 2030 massgeblich beeinflussen. Dabei
                               sich lassen. Nur wer das Undenkbare denkt,                         gilt jedoch: Die Anzahl der Treiber, die zwar

                               1   Wilms (2006): Szenariotechnik – Vom Umgang mit der Zukunft;
                                   Graf/Klein (2003): In die Zukunft führen – Strategieentwicklung mit Szenarien
                               2   Gausemeier et al (2009): Zukunftsorientierte Unternehmensgestaltung

                                                                                                                                                        9

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vorhersehbar sind, in ihren konkreten Folgen                 Destination Zürich im Jahr 2030 entworfen.
                       aber nicht abgeschätzt werden können,                        Im Rahmen eines Workshops werden die
                       nimmt zu. Aus diesem Grund wird die Über-                    skizzierten Szenarien anschliessend diskutiert,
                       sicht über die zentralen Treiber zusätzlich mit              mit Experten auf Überschneidungen, Ähn-
                       Experteneinschätzungen ergänzt. Die Ge-                      lichkeiten oder Widersprüche getestet und
                       spräche mit Experten aus Wissenschaft und                    zu möglichen Hauptsträngen von Entwick-
                       Praxis dienen dazu, die Bandbreite der mög-                  lungen verdichtet. So entstehen vier alterna-
                       lichen Unsicherheiten zu erkennen, einzuord-                 tive Extremszenarios, die sich grundlegend
                       nen und die Folgen für den Zürcher Touris-                   voneinander unterscheiden, sich gegenseitig
                       mus besser abzuschätzen beziehungsweise                      aber dennoch nicht zwingend ausschliessen.
                       zu konkretisieren.3                                          Sie zeigen in kondensierter Form, wie die
                                                                                    Zukunft aussehen könnte und dienen als Ent-
                       Basierend auf den zentralen Treibern der                     scheidungsgrundlage für heutige Weichen-
                       Veränderung sowie den Experteninterviews                     stellungen im Zürcher Tourismus. Nachfolgen-
                       werden in einem weiteren Schritt mögliche                    de Abbildung fasst das schrittweise Vorgehen
                       Zukünfte abgetastet und Szenarien für die                    nochmals zusammen.

                       Vorgehen

                                Fachliteratur                                 Treiber der
                                                                                                         Experteninterviews
                                Deskresearch                                 Veränderung

                                                                       Szenarien 2030:
                                                                   Entwurf möglicher Zukünfte

                                                        Szenarien-Workshop 2030:
                                  Diskussion und Verdichtung der möglichen Zukünfte zu vier Extremszenarien

                                                              Szenarien-Studie 2030:
                                                    Zusammenführung der Szenarien zur Gesamtschau

                       Quelle: GDI 2009

                       3   Frick/Kaiser (2006): Zukunftswissen, GDI Impuls 4.06

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Mächtigste Treiber und Trends

                                Die Zukunft des Zürcher Tourismus ist in einen                 näher zusammen. Mehr als die Hälfte der
                                Kontext von globalen Entwicklungen eingebet-                   Weltbevölkerung lebt bereits heute weniger
                                tet, welchem auf lokaler Ebene nur begrenzt                    als eine Stunde von der nächsten Grossstadt
                                gegengesteuert werden kann. Aus diesem                         (mindestens 50’000 Einwohner) entfernt. Ins-
                                Grund werden im Folgenden die mächtigs-                        besondere Europa profitiert – mit mehr und
                                ten für den Tourismus relevanten Treiber und                   billigeren Flügen, einem dichteren Strassen-
                                Trends aufgezeigt.                                             netz und einem beschleunigten Schienenver-
                                                                                               kehr – vom raschen Zugang zu anderen Län-
                                Globalisierung und steigende Mobilität                         dern und Metropolen.

                                Die Welt rückt näher zusammen                                  Die Schweiz ist geografisch stark in den euro-
                                Die weltweite wirtschaftliche und gesell-                      päischen Binnenmarkt integriert. Weil sie aber
                                schaftliche Verflechtung wird sich in den                      in absehbarer Zeit kein EU-Mitgliedsstaat wer-
                                nächsten Jahren unvermindert fortsetzen.                       den wird, hat sie nur beschränkte Möglich-
                                Durch die Intensivierung des internationalen                   keiten, in der europäischen Verkehrsinfrastruk-
                                Handels und durch die Ausweitung der Ver-                      turentwicklung mitzureden. Deshalb ist sie in
                                kehrsnetze sind wir immer besser mit dem                       diesem Punkt auf eine gute Zusammenarbeit
                                Rest des Globus verbunden.                                     mit den Nachbarländern angewiesen. Denn
                                                                                               eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur wird
                                Eine 2008 von der Weltbank und der Europä-                     für die Prosperität der Schweizer Wirtschaft
                                ischen Kommission veröffentlichte Karte zeigt                  und Bevölkerung in Zukunft zentral sein.
                                anhand von Reisezeiten klar auf: Wir rücken

                                  Weltkarte der Erreichbarkeit

                                  Die Karte zeigt, wie lange es
                                  dauert, um von einem Ort in die
                                  nächste Stadt mit über 50’000
                                  Einwohnern zu gelangen; je
                                  heller eingefärbt, desto besser
                                  die Erreichbarkeit.

                                Quelle: Europäische Kommission/Weltbank 2008, http://bioval.jrc.ec.europa.eu/products/gam/index.htm

                                                                                                                                                    11

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Die Mobilität in der Schweiz nimmt zu                             Diese werden punktuell erweitert, technisch
                       Alle Prognosen gehen heute davon aus, dass                        modernisiert oder ‹intelligenter› organisiert,
                       die Mobilität auch innerhalb der Schweiz                          aber durch keine gänzlich neuen Infrastruk-
                       weiter zunehmen wird. Die zuständigen Bun-                        turnetze, wie z.B. Hochgeschwindigkeits-Bahn-
                       desämter schätzen, dass der Personenver-                          linien ergänzt oder ersetzt sein.»5 Ein massi-
                       kehr bis 2030 auf der Strasse um 20 Prozent                       ver Ausbau der Schienen-, geschweige denn
                       und auf der Schiene um 45 Prozent wachsen                         der Strasseninfrastruktur ist also in den
                       wird. Beim Güterverkehr ist sogar mit einem                       nächsten zwanzig Jahren nicht in Sicht.
                       Anstieg um 35 respektive 85 Prozent zu rech-
                       nen4. Zusätzliche Kapazitäten werden also                         Zur zentralen Verkehrsinfrastruktur der Wirt-
                       nötig sein. Doch ein dichteres Verkehrsnetz                       schaftsregion Zürich gehört überdies der Flug-
                       hat seinen Preis. Laut Schätzungen des UVEK                       hafen. Am Drehkreuz der nationalen Fluglinie
                       werden Ausbau und Unterhalt von Strassen                          Swiss werden 80 Prozent des Frachtaufkom-
                       und Schienen in den kommenden zwanzig                             mens und 81 Prozent aller Interkontinental-
                       Jahren in der Schweiz bis zu 135 Milliarden                       flüge abgewickelt, ferner entfallen 95 Pro-
                       Franken kosten. Diese Summe kann über die                         zent der Transferpassagiere auf diesen Hub.
                       bisherigen Abgaben nicht mehr gedeckt                             Über 60 Prozent der Inlandpassagiere stam-
                       werden. Die Diskussion um mögliche Finan-                         men aus anderen Kantonen, und die ökono-
                       zierungsmodelle ist deshalb in der Politik be-                    mischen Effekte des Wachstumsmotors Flug-
                       reits entbrannt.                                                  hafen strahlen weit über die Kantonsgrenzen
                                                                                         hinaus. Für die globalisierte Schweizer Wirt-
                       Aus ökologischen wie auch aus ökonomi-                            schaft – den Finanzplatz, die Exportindustrie
                       schen Gründen wird das Mobilitätswachs-                           und besonders den Tourismus – ist der Flug-
                       tum insbesondere durch das bestehende                             hafen Zürich unentbehrlich. Insofern gehört
                       öffentliche Verkehrsnetz bewältigt werden                         er nicht nur zur regionalen, sondern zur natio-
                       müssen. Der Strategiebericht des UVEK hält                        nalen Infrastruktur.6 Was den Flugverkehr in-
                       in einem visionären Ausblick auf das Jahr                         ternational betrifft, war in den letzten zwei
                       2030 fest: «Das Schweizer Verkehrssystem                          Jahren in der Luftfahrtindustrie nichts zu spü-
                       der Zukunft wird grundsätzlich auf den heu-                       ren von Wachstum, im Gegenteil. Nun hat
                       te bestehenden Infrastrukturnetzen basieren.                      der Branchenverband IATA endgültig die

                       4   Bundesamt für Raumentwicklung (2006): Perspektiven des schweizerischen Personenverkehrs bis 2030; Bundesamt für
                           Raumentwicklung (2004): Perspektiven des schweizerischen Güterverkehrs bis 2030 – Hypothesen und Szenarien; Bundesamt
                           für Zivilluftfahrt (2005): Entwicklung des Luftverkehrs in der Schweiz bis 2030
                           Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass Mobilitätsprognosen regelmässig von der tatsächlichen Entwicklung überholt
                           wurden. Gut möglich also, dass die heutigen Schätzungen sogar noch übertroffen werden.
                       5   UVEK (2009): Bericht zur Zukunft der nationalen Infrastrukturnetze in der Schweiz
                       6   Amt für Verkehr Kanton Zürich (2005): Volkswirtschaftliche Bedeutung des Flughafens Zürich – Auswirkungen verschiedener
                           Entwicklungsszenarien; Müller-Jentsch (2009): Nationale Infrastruktur im föderalen Gleichgewicht – Der Dauerkonflikt um den
                           Flughafen Zürich

     12

214392_Studie_2030_IH.indd 12                                                                                                                            27.05.10 11:55
Trendwende ausgerufen. Von Euphorie kön-                               Wachsender Tourismus
                                 ne zwar noch keine Rede sein, aber der Auf-                            und aufstrebende Märkte
                                 schwung würde sich verfestigen.7 Eine ähnli-
                                 che Entwicklung sagen die internationalen                              Zukunftsmarkt Tourismus
                                 Luftverkehrsprognosen des Airports Council                             Dass wir zu Dauerkonsumenten von Mobili-
                                 International voraus. Sie rechnen bis im Jahr                          tätsoptionen werden, prognostiziert auch die
                                 2027 mit einem Passagiervolumen von 30                                 Welttourismusorganisation der UNO (UNW-
                                 Millionen pro Tag.8 Dank der Umsetzung des                             TO). Sie rechnet mit einem Anstieg der inter-
                                 Schengener Abkommens und den weiteren                                  nationalen Touristenankünfte (das sind An-
                                 Umbauten wird der Flughafen Zürich voraus-                             kommende auf Flughäfen, inkl. Durch- und
                                 sichtlich von diesem Wachstum profitieren                              Geschäftsreisende) von heute weltweit 0,7
                                 können. Das BAZL erwartet für 2030 ein An-                             auf fast 1,6 Milliarden im Jahr 2020. Damit
                                 steigen des Passagieraufkommens in Zürich                              wird der Tourismus weltweit um 4 Prozent
                                 auf knapp 40 Millionen Passagiere.9                                    pro Jahr wachsen.10

                                 Wachstumsmarkt Tourismus

                                                                                          Actual                                                 Forecasts
                                           1‘600
                                                                                                                                                  1,6 bn
                                           1‘400

                                                             South Asia
                                           1‘200
                                                             Middle East                                                                    1 bn
                                                             Africa
                                           1‘000
                                                             East Asia/Pacific
                                Million

                                                             Americas                                                 694 mn
                                             800
                                                             Europe

                                             600

                                             400

                                             200

                                               0
                                                1950             1960            1970            1980            1990             2000            2010       2020

                                 Quelle: UNWTO World Tourism Organization (2006): Tourism 2020 Vision, http://www.unwto,org/facts/eng/vision.htm

                                 7        Handelsblatt (30.3.2010): Flugverkehr erholt sich spürbar
                                 8        Airports Council International (2008): ACI Global Traffic Forecast 2008-2027
                                 9        Bundesamt für Zivilluftfahrt (2005): Entwicklung des Luftverkehrs in der Schweiz bis 2030 – Nachfrageprognose
                                 10       UNWTO (2009): Tourism 2020 Vision

                                                                                                                                                                       13

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Aufgeteilt nach Regionen, zeigen die Zu-                         2008, im vergangenen Jahr ist die Anzahl der
                       kunftsprognosen, dass Europa (717 Millionen                      Übernachtungen leicht gesunken auf 4,6 Mil-
                       Touristen), Ostasien und Pazifik (397 Millio-                    lionen.11 Die meisten Hotellogiergäste stam-
                       nen) sowie Amerika (282 Millionen) zu den                        men aus dem Inland, gefolgt von Deutschland,
                       touristischen Topregionen gehören werden,                        Grossbritannien und den USA. Zusammen
                       gefolgt von Afrika, dem Mittleren Osten und                      stellen sie die Hälfte der ausländischen Über-
                       Südasien. Ob die Schweiz und die Region Zü-                      nachtungen. Dies dürfte sich bald ändern.
                       rich vom prognostizierten Wachstum profi-                        Denn bei den 3 Milliarden neuen «potenziel-
                       tieren kann, hängt insbesondere davon ab,                        len Kapitalisten» im Osten findet eine gewal-
                       ob das Land künftig Besucher aus den auf-                        tige Verlagerung von Wohlstand und Macht
                       strebenden Märkten anziehen kann.                                statt. In Indien und China beispielsweise
                                                                                        wächst eine wohlhabende Mittelschicht her-
                       Der Osten gewinnt an Bedeutung                                   an, die sich von ihrem wachsenden Einkom-
                       Mit 12 Prozent der Logiernächte und einem                        men auch Reisen ins In- und Ausland erlau-
                       Umsatz von 5,4 Milliarden Franken ist die Re-                    ben kann. Zwar liegen deren bevorzugte
                       gion Zürich der bedeutendste Hotelstandort                       Reiseziele vorerst in den benachbarten asiati-
                       in der Schweiz. 4,8 Millionen Übernachtun-                       schen Ländern, doch folgt an zweiter Stelle
                       gen verzeichnete die Region im Rekordjahr                        bereits Europa.

                       Verteilung der Logiernächte in der Schweiz
                       (nach Herkunftsland der Gäste, nach Tourismusregion, 2008)

                       Quelle: Bundesamt für Statistik, 2009

                       11 Zürich Tourismus, Bundesamt für Statistik, BAK Economics: Touristische Wertschöpfung Region Zürich;
                          http://zuerich.com/files/?id=19340; «Politik trifft Hotellerie», htr hotel revue, 11.2.2010

     14

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Gäste aus Indien, China oder dem Nahen Os-                        Demografischer Wandel
                                ten stellen für europäische Destinationen                         und neue Bedürfnisse
                                also ein hohes Potenzial dar, bringen aber
                                gleichzeitig auch neue Herausforderungen                          Die Reisenden werden älter
                                mit sich. Denn um neue Zielgruppen zu ge-                         Der demografische Wandel schreitet weiter
                                winnen, müssen deren spezifische Erwar-                           voran. Die geburtenstarken Jahrgänge der
                                tungen und Wünsche an Reisen und Ferien                           Babyboom-Generation der 1940er- bis 1960er-
                                berücksichtigt werden. Dies bedingt eine in-                      Jahre werden in den kommenden Jahrzehnten
                                tensive Auseinandersetzung mit neuen Kul-                         sukzessive ins Seniorenalter hineinwachsen.
                                turen, Sprachen, Wertvorstellungen und Be-                        Dies bei unverändert niedrigen Geburten-
                                dürfnissen, die teilweise erheblich von denen                     zahlen und bei laufend steigender Lebenser-
                                westeuropäischer Touristen abweichen. Die                         wartung dank medizinischem Fortschritt.
                                Schweizer Tourismusanbieter und Hoteliers                         Damit wird sich die Altersstruktur der Bevöl-
                                sind auf diese Herausforderungen bereits gut                      kerung in ganz Europa deutlich verändern.
                                vorbereitet.12 Die multikulturelle Zusammen-                      Die Alterung verläuft regional unterschied-
                                setzung der Schweizer Bevölkerung insgesamt                       lich, der zeitliche Verlauf hingegen ist in den
                                sowie der Beschäftigten im Gastgewerbe im                         meisten Regionen ähnlich und folgt den de-
                                Besonderen kann hier ein grosser Vorteil sein.                    mografischen Wellen der geburtenstarken
                                                                                                  Jahrgänge. Eine erste Welle von Neurentnern
                                Das Buhlen um neue Touristen verschärft den                       ist um 2010 zu erwarten, wenn die gebur-
                                internationalen Wettbewerb der Destinatio-                        tenstarken Jahrgänge 1945 und 1946 ins
                                nen. Mehr Wohlstand und höhere politische                         Rentenalter kommen werden. Am meisten
                                Stabilität führen in manchen Ländern des Os-                      Neurentner wird es aber kurz vor 2030 ge-
                                tens dazu, dass neue Gebiete touristisch er-                      ben, wenn die geburtenstärksten Jahrgänge
                                schlossen werden. So könnte China durch die                       überhaupt, 1963 und 1964, 65 Jahre alt wer-
                                fortschreitende Öffnung bald zur meistbe-                         den. 2030 wird der Anteil der Personen ab
                                suchten Destination der Welt werden. Auch                         65 Jahren in allen Schweizer Kantonen über
                                Kriegs- und Konfliktgebiete der jüngsten Ver-                     20 Prozent liegen. 2005 traf dies nur auf den
                                gangenheit wie Irak, Iran, Afghanistan wan-                       Kanton Basel-Stadt zu.13 Die Bevölkerung der
                                deln sich zu möglichen Touristenattraktionen                      städtischen Kantone wird aufgrund der natio-
                                der Zukunft.                                                      nalen und internationalen Migrationsströme
                                                                                                  generell weniger stark altern.

                                12 Hussain (2007): Inder zu Gast in der Schweiz, im Auftrag von hotelleriesuisse und Schweiz Tourismus hat der Indien-Experte
                                   Waseem Hussain eine Broschüre erarbeitet, deren Ziel es ist, die Schweizer Tourismusanbieter mit Hintergrundinformationen
                                   und praktischen Tipps optimal auf ihre indischen Gäste vorzubereiten.
                                13 BFS (2007): Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Kantone 2005–2030

                                                                                                                                                                   15

214392_Studie_2030_IH.indd 15                                                                                                                                   27.05.10 11:55
Entwicklung der Altersstruktur in der Schweiz
                       (Anteil der über 64-Jährigen, 2005 und 2030)

                       Quelle: BFS, Sektion DEM, 2007 © BFS, ThemaKart

                       Dass der demografische Wandel den Touris-                         Nationen berechnet. Demzufolge wird der
                       mus nachhaltig verändern wird, ist heute un-                      Reiseumsatz durch die 55plus-Generation bis
                       bestritten. Globale Zahlen belegen die zu-                        ins Jahr 2020 regelrecht explodieren. IPK In-
                       nehmende Bedeutung der «jungen Alten»                             ternational geht von einem Wachstum von
                       für die touristische Zukunft. Der World Travel                    63 Prozent aus. Bei den 15–35-Jährigen sind
                       Monitor von IPK International hat den demo-                       es 11 Prozent, bei den 35–54-Jährigen 28 Pro-
                       grafischen Wandel bezogen auf touristische                        zent.14 Heruntergebrochen auf die einzelnen
                       Nutzung für die zehn wichtigsten westlichen                       Länder, sieht die Entwicklung wie folgt aus:

                       14 IPK International (2003): Weltweiter demografischer Wandel als Einflussfaktor auf den internationalen Tourismus, Studie im
                          Auftrag der Deutschen Zentrale für Tourismus

     16

214392_Studie_2030_IH.indd 16                                                                                                                          27.05.10 11:55
Entwicklung der Bevölkerung nach Altergruppen bis 2020
                                (in Prozent)

                                Quelle: IPK International

                                In Belgien, Deutschland, Frankreich, Gross-    Steigende Nachfrage nach Ruhe,
                                britannien, Kanada, den Niederlanden und       Erholung und Gesundheit
                                Schweden wird das generelle Wachstum der       Bedingt durch den demografischen Wandel
                                Bevölkerung bis 2020 lediglich rückführbar     werden 50plus-Reisende zu einer zentralen
                                sein auf ein Anwachsen der Gruppe der über     Zielgruppe im Städtetourismus. Sie verän-
                                55 Jährigen. Die Bevölkerungsgruppe unter      dern das Nachfrageverhalten insbesondere
                                55 Jahren wird sich hingegen verkleinern. In   im Freizeitbereich. Sind Shopping, Party und
                                den USA wird auch die Gruppe der 15–34-        Nightlife die primären Freizeitaktivitäten der
                                Jährigen bis 2020 anwachsen, jedoch in einem   jungen Städtereisenden, haben die reiferen
                                weitaus geringeren Masse als die US-Bevöl-     Städtetouristen verstärkt Ruhe-, Erholungs-
                                kerung über 55 Jahren.                         und Gesundheitsbedarf und fragen neue
                                                                               Dienstleistungen auf diesem Sektor nach. Die
                                                                               Wellness- und Wohlfühlangebote der letzten
                                                                               Jahre waren erst der Anfang.

                                                                                                                                   17

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Vielen Gesundheitsangeboten liegt das Bild                        Im beruflichen Umfeld, welches in der Regel
                       der Natur als Quelle von Ruhe und Erholung                        stärker durch Hektik und Stress geprägt ist,
                       zugrunde. Die Natur dient den Konsumenten                         wird das kurzfristige Drücken der «Escape-
                       in der postmodernen Wohlstandsgesellschaft                        Taste» für die Freizeitmärkte zentral. Lieber,
                       als Projektionsfläche für Sehnsüchte und Ge-                      als im Büro zu sitzen, beantwortet man Mails
                       genwelt zu ihrem Alltag. Die beruhigende                          auf der Couch, surft im Café oder telefoniert
                       Wirkung der Natur auf die Menschen sowie                          im Park. Wer es sich leisten kann, nutzt jedes
                       ihr Einfluss auf die physische, psychische und                    Zeitfenster zwischen beruflichen Terminen
                       soziale Gesundheit ist eine Tatsache. Künftig                     und Verpflichtungen, um sich kurz «auszu-
                       wird Natur in verschiedenen Formen in die                         klinken». Dabei erwartet der Einzelne diesel-
                       Stadt zurückkehren. Insbesondere eine künst-                      be hochgradige Flexibilität, die von ihm im
                       liche, designte Version von Natur wird unsere                     Alltag oder am Arbeitsplatz gefordert wird,
                       urbanen Freizeitangebote erobern und Städte                       seinerseits auch von den Anbietern. Für die
                       zu eigentlichen Wohlfühloasen machen. Denn                        Konzepte in der Hotellerie, Gastronomie oder
                       generationenübergreifend gilt: Je mehr wir                        Freizeitbranche ist Multifunktionalität das A
                       uns leisten, erleben und reisen können, umso                      und O.
                       mehr stossen wir an die Grenzen unserer
                       physischen und psychischen Ressourcen.                            Hohe individuelle Ansprüche
                                                                                         Individualität als Leitmotiv durchdringt be-
                       Flexibilisierung und Individualisierung                           reits alle Altersgruppen und Lebensbereiche.
                                                                                         Der Einzelne richtet sein Leben stark auf sei-
                       Arbeit und Freizeit vermischen sich                               ne persönlichen Werte und Bedürfnisse aus.
                       In westlichen Gesellschaften wird die Grenze                      So entsteht eine Vielfalt individueller Lebens-
                       zwischen Arbeit und Freizeit tendenziell un-                      formen und -stile, gleichzeitig verschwindet
                       schärfer. Für viele Berufstätige nehmen immer                     aus Anbietersicht der «typische» Durch-
                       mehr Freizeitaktivitäten einen Arbeitscharak-                     schnittskunde. Fürs Reisen gilt: Dem urbanen
                       ter an (private Weiterbildung, Freiwilligenar-                    Nomaden sind Pauschalferien und Massen-
                       beit, Hausarbeit, Kinderbetreuung, Leistungs-                     abfertigung ein Graus. Er stellt seine Reisen
                       sport etc.), gleichzeitig tauchen immer mehr                      individuell nach den eigenen Vorstellungen
                       Freizeitelemente in der Arbeitswelt auf (flexi-                   zusammen. Der Einzelne ist dabei die wich-
                       blere Arbeitszeiten, wechselnde Arbeitsorte,                      tigste Instanz, nach der sich Angebote aus-
                       mobiles Arbeiten). Damit verliert die Frage,                      richten müssen. Jeder will individuell behan-
                       ob künftig Arbeit oder Freizeit an Bedeutung                      delt werden. So werden massgeschneiderte
                       gewinnen, zunehmend ihre Relevanz. Die                            Produkte und personalisierte Services zuneh-
                       beiden Lebensbereiche vermischen sich.15                          mend zur Selbstverständlichkeit.

                       15 Für die fortschreitende Verschmelzung von Business und Leisure hat das englische Forschungsinstitut Future Laboratory einen
                          eigenen Begriff kreiert: «Bleisure». www.thefuturelaboratory.com

     18

214392_Studie_2030_IH.indd 18                                                                                                                           27.05.10 11:55
Technologischer Forschritt                                       Das Internet durchdringt die Welt
                                und Digitalisierung                                              Die mit dem technologischen Fortschritt ein-
                                                                                                 hergehende Digitalisierung der Welt wird die
                                Neue Kommunikationsmuster                                        Tourismusbranche in den kommenden Jah-
                                Das Thema Reisen bringt Menschen zusam-                          ren weiter verändern. Bereits heute nutzen
                                men. Von jeher tauschen sie ihre Erfahrun-                       zahlreiche Reisende mobile Endgeräte jeder
                                gen und Erlebnisse miteinander aus. Neu ist                      Art, um sich touristische Infos zu beschaffen:
                                jetzt, dass dieser Austausch nicht mehr nur                      seien es Navigationssysteme zur Routenfüh-
                                auf persönlicher Ebene (innerhalb der Fami-                      rung oder MP3-Player mit elektronischen
                                lie, am Stammtisch etc.) stattfindet, sondern                    Reiseführern. Doch das ist erst der Anfang.
                                auch in den entsprechenden Communities                           Mit der rasanten Entwicklung von intelligen-
                                im Netz. Dank nutzergenerierten Empfeh-                          ten Mobiltelefonen sowie dem infrastruktu-
                                lungsplattformen (wie Holidaycheck, Tripad-                      rellen Ausbau der mobilen Datenübertra-
                                visor, Qype u.a.) kann heute jede Reiseerfah-                    gung entsteht erstmalig die Chance, alle
                                rung und jedes Ferienerlebnis im Internet                        Inhalte des World Wide Web intensiver und
                                veröffentlicht und so für alle künftigen Tou-                    einfacher zu nutzen. Künftig werden wir tou-
                                risten zugänglich gemacht werden. Die Nach-                      ristisches Wissen nicht nur vor und nach,
                                frage nach nutzergenerierten Reiseinformati-                     sondern vermehrt auch während der Reise
                                onen ist gross. Das Internet ist inzwischen für                  suchen. Aber nicht nur die aktive Suche, son-
                                viele die primäre Anlaufstelle, um sich über                     dern auch das passive Auffinden von touristi-
                                Reisen zu informieren. Online-Bewertungs-                        schen Informationen wird sich verändern.
                                systeme und Blogs ermöglichen es, eine Des-                      Auskünfte über Hotels, Restaurants, Muse-
                                tination, ein Hotel, ein Restaurant schon vor                    en, Shops und überhaupt alle touristischen
                                Reiseantritt auf Herz und Nieren zu prüfen.                      Leistungsträger werden dank RFID, GPS und
                                Während Verbreitung und Verfügbarkeit von                        Google Earth allgegenwärtig. Google digita-
                                Informations- und Kommunikationstechno-                          lisiert bereits die Strassen. Und auch wenn
                                logien weiter wachsen, verlieren klassische                      der Datenschutz Anlass zu Diskussionen gibt,
                                Imagewerbung und gedruckte Hochglanz-                            Google Maps Street View wird die Wahrneh-
                                broschüren der Anbieter zunehmend ihre                           mung touristischer Räume nachhaltig beein-
                                Wirkung. Das Internet bietet in den Augen                        flussen. Wie wird der Gast zukünftig sein
                                der Konsumenten bessere Möglichkeiten, um                        Hotel auswählen, wenn er sich die angren-
                                sich über Ferien zu informieren.16                               zenden Strassenzüge und die zugehörige Kli-
                                                                                                 entel im Voraus ansehen kann? Wie genau
                                                                                                 müssen Katalogtexte von Hotels abgefasst
                                                                                                 sein, wenn der Gast vor der Buchung alles in
                                                                                                 Google Maps überprüfen kann?

                                16 Frick/Hauser (2007): Vertrauen 2.0 – Auf wen sich Konsumenten in Zukunft verlassen, GDI-Studie Nr. 25

                                                                                                                                                     19

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Sicher ist, wir werden dank mobil zugängli-                     findet bereits statt und wird die touristische
                       chen Daten künftig anders durch die Welt                        Landkarte in den kommenden Jahrzehnten
                       gehen beziehungsweise reisen. Die rasant                        massiv verändern. Trauminseln in der Südsee
                       gestiegene Dichte von Sensoren und tragba-                      werden vielleicht im wahrsten Sinne des
                       ren Elektronikprodukten macht Städte nicht                      Wortes untergehen, andere touristische Des-
                       nur neu erlebbar. Die digitale Infrastruktur                    tinationen zunehmend von Naturkatastrophen
                       führt vielmehr auch zu ganz neuen Methoden,                     heimgesucht, und gewiss werden einzelne
                       Bewegungsströme (Staus, Menschenansamm-                         Orte auch von klimatischen Verschiebungen
                       lungen, Hot Spots etc.) zu erforschen. Die                      profitieren. Fest steht, dass die zunehmend
                       Stadt in Echtzeit wird wahr.                                    spürbaren Auswirkungen des Klimawandels
                                                                                       den Handlungszwang von Politik und Wirt-
                       Klimatische Veränderungen, knappere                             schaft verstärken werden. Gleichzeitig hat
                       Ressourcen und Nachhaltigkeit                                   das Scheitern des UN-Klimagipfels in Kopen-
                                                                                       hagen Ende 2009 aber auch gezeigt, dass
                       Der Klimawandel wird spürbar                                    sich die Industrienationen mit den Entwick-
                       Welche Destinationen zu den Gewinnern                           lungs- und Schwellenländern nicht auf ge-
                       oder Verlierern im Tourismus gehören wer-                       meinsame Klimaziele einigen können. Ein in-
                       den, wird künftig massgeblich vom Klima                         ternationales Abkommen ist wieder in weite
                       mitbeeinflusst. Die Erde wird wärmer, das Eis                   Ferne gerückt. Der Weg zum Klimaschutz wird
                       schmilzt, der Meeresspiegel steigt und Kli-                     lang.17
                       mazonen verschieben sich. Der Klimawandel

                          Gewinner und Verlierer
                          des Klimawandels

                          Die blaue Fläche repräsentiert die (negative)
                          Betroffenheit der verschiedenen Regionen
                          durch den Klimawandel (je hellblauer, desto
                          betroffener).

                       Quelle: Spiegel Online, Europa, der Nahe Osten und Nordafrika (Montage aus Satellitenbildern (NASA/DDP), 2007

                       17 United Nations Framework Convention on Climate Change, http://unfccc.int

     20

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Schweizer Städte werden mediterraner                          Neue Massstäbe für nachhaltige
                                Die Schweiz ist vom Klimawandel stark be-                     Entwicklung
                                troffen. Gemäss einer Studie von Schweiz                      Durch globales Bevölkerungswachstum, stei-
                                Tourismus birgt er, je nach Region und Tou-                   gendes Verkehrsaufkommen sowie zuneh-
                                rismusform, sowohl Chancen als auch Risi-                     mendes Konsumvolumen wird die weltweite
                                ken.18 Im Alpenraum hat sich die Schneefall-                  Nachfrage nach Energie bis 2030 um insge-
                                grenze seit 1950 um mehr als hundert Meter                    samt 60 Prozent steigen. Gemäss Experten-
                                in höhere Lagen verschoben; die Wintersai-                    schätzungen mag das globale Angebot den
                                son wird tendenziell immer kürzer. Obwohl                     Bedarf etwa ab dem Jahr 2020 nicht mehr
                                dies für die Tourismusbranche gravierende                     decken. Die immer knapper werdenden na-
                                Folgen hat, geniessen die Schweizer Skige-                    türlichen Ressourcen, allen voran die Ölreser-
                                biete dank ihrer Höhenlage gegenüber ande-                    ven, dürften den Druck zu umweltsensible-
                                ren Alpenländern einen Standortvorteil. Der                   rem Handeln beschleunigen. Die Befriedigung
                                Städtetourismus ist vergleichsweise resisten-                 von Mobilitäts- und Transportbedürfnissen in
                                ter gegenüber klimatischen Veränderungen.                     einer Zeit zunehmender Energiebeschrän-
                                Für Schweizer Städte und Seenregionen und                     kungen erfordert ein Umdenken in Politik,
                                damit auch für die Destination Zürich entste-                 Wirtschaft und Gesellschaft.
                                hen – neben möglichen Gefahren – auch
                                neue Potenziale. Möglicherweise werden die                    Zahlreiche Städte – alte, gewachsene in Euro-
                                Städte aufgrund einer gewissen Mediterrani-                   pa und neu erstellte im Nahen Osten und in
                                sierung in warmen Sommern für Gäste at-                       Asien – setzen bereits heute voll auf die Kar-
                                traktiver. Die Seenregionen verfügen vor al-                  te Nachhaltigkeit: Dongtan soll Chinas erste
                                lem über einen starken Ausflugstourismus,                     Eco-City werden, der Ölstaat Abu Dhabi baut
                                der mit wärmeren Bedingungen zunehmen                         mit Masdar an der ersten CO2 -neutralen
                                könnte. Insbesondere der Badetourismus im                     Stadt, und Schweden will als erste Nation gar
                                Sommer stellt für einige Seenregionen neue                    ganz erdölfrei werden. Bis im Jahr 2030 wer-
                                Chancen dar.                                                  den sich zahlreiche weitere Städte Nachhal-

                                18 Müller/Weber (2008): 2030; Der Schweizer Tourismus im Klimawandel

                                                                                                                                                  21

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tigkeit auf die Fahne schreiben. Auch in Zü-                    vermehrt Auszeiten für nichtkommerzielle
                       rich wurde mit dem Legislaturschwerpunkt                        Projekte, für «sinnvolles» ökologisches, sozi-
                       «Nachhaltige Stadt Zürich – auf dem Weg                         ales und kulturelles Engagement. Sie wollen
                       zur 2000-Watt-Gesellschaft» ein Grundstein                      sich beim Reisen in zunehmendem Mass da-
                       gelegt. Damit der CO2 -Ausstoss jedoch tat-                     durch unterscheiden, was sie tun, und nicht
                       sächlich massiv verkleinert werden kann, ist                    dadurch, was sie kaufen. Zudem möchten sie
                       es notwendig, die Energieeffizienz beim Ver-                    auch beim Reisen nachvollziehen können, ob
                       brauch stark zu verbessern und die Energie-                     ihr gewähltes Hotel umweltfreundlich ist, es
                       produktion aus erneuerbaren Quellen schnell                     die Angestellten fair behandelt und sich für
                       deutlich zu steigern. Dazu müssen Wind, So-                     die nachhaltige Entwicklung der Region ein-
                       lar, Gezeiten und ähnliche Energiequellen                       setzt. Die steigende Anzahl Bio-, Fairtrade-
                       den Schritt von der technischen Spielerei zur                   und Nachhaltigkeitslabels ist Ausdruck dieser
                       massentauglichen Alternative schaffen.                          Sehnsucht nach Konsum ohne Reue und
                                                                                       ohne schlechtes Gewissen.19 Das neue be-
                       Konsum für eine bessere Welt                                    wusste Konsum- und Reiseverhalten wird
                       Um Klimawandel, erhöhten Ressourcenver-                         von gut ausgebildeten, kaufkräftigen Avant-
                       brauch und Umweltzerstörung auszuglei-                          gardisten geprägt, die gesunde und nachhal-
                       chen und das schlechte Gewissen zu beruhi-                      tig produzierte Waren konsumieren, dabei
                       gen, avanciert ökologisches und soziales                        auf Luxus, Genuss, Stil und Design nicht ver-
                       Bewusstsein zum Trend. Anstatt Standardfe-                      zichten wollen.
                       rien zu buchen, nehmen sich die Reisenden

                       19 Hauser/Lüdi (2010): Consumer Value Monitor, GDI-Studie (in Vorbereitung)

     22

214392_Studie_2030_IH.indd 22                                                                                                           27.05.10 11:55
Fazit

                                Überblick über die zentralen Treiber

                                        Globalisierung                                                 Klimawandel
                                        Tourismus global                                               Natürliche Ressourcen
                                        Gäste aus aufstrebenden Märkten                                Digitalisierung der Welt
                                        Demografische Alterung global
                                Quelle: GDI 2009

                                Ein Überblick über die zentralen Treiber macht                 2. Die Zahl der Treiber, die zwar vorher-
                                vor allem eines klar: Trotz Prognosen und                      sehbar sind, aber in ihren konkreten Fol-
                                Hochrechnungen wird die Unsicherheit über                      gen nicht abgeschätzt werden können,
                                die künftige Entwicklung in ihrer Ganzheit                     nimmt ebenfalls zu: Dazu gehört insbeson-
                                tendenziell grösser.                                           dere der demografische Wandel. Wir wissen
                                                                                               zwar statistisch ganz genau, welche Heraus-
                                1. Die Zahl der Treiber, die nicht beein-                      forderungen z.B. auf die Pensionskassen oder
                                flusst werden können und damit die                             das Gesundheitswesen zukommen werden.
                                strategische Planung erschweren, nimmt                         Aber wir haben keinerlei Erfahrung, was das
                                zu: Klimawandel und Naturereignisse, vom                       konkret und real heisst und wie sich das Ver-
                                Tsunami über den Vulkanausbruch in Island bis                  halten der Akteure dem Wandel anpasst:
                                zu den Erdbeben. Gemäss den «Desaster-Sta-                     Verweigernd, ablehnend, egoistisch, solida-
                                tistiken» der Rückversicherer werden schwe-                    risch? Wir haben keine Übung, vor allem
                                re Katastrophen häufiger.20                                    nicht für härtere Zeiten.

                                20 Swiss Re (2009): Topics Geo – Naturkatastrophen 2009; Munich Re (2009): Natural catastrophes and man-made disasters
                                   in 2009, in: Sigma 1/2009; Schmitt (2009): Forscher erwarten mehr Katastrophen, in: Handelsblatt 30.12.2009

                                                                                                                                                            23

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Szenarien

                       Mögliche Entwicklungsperspektiven               Die zweite Achse steht für die Summe der
                       Wie weiter, welche Optionen bestehen, und       ökonomischen, politischen, gesellschaftlichen,
                       was, wenn man gar nichts ändert? Die nach-      technologischen oder umweltbedingten Fak-
                       folgenden Szenarien zeigen – basierend auf      toren, welche die Mobilität erschweren bzw.
                       den zentralen Treibern im Tourismus sowie       vereinfachen. Sie bestimmt, wie viele Men-
                       auf den Einschätzungen der befragten Ex-        schen Zürich potenziell besuchen werden.
                       perten – vier alternative Entwicklungslinien
                       für die Tourismusregion Zürich.                 Selbstverständlich gibt es weitere Faktoren,
                                                                       welche die Attraktivität einer Tourismusdesti-
                       Die Szenarien wurden entlang zweier Achsen      nation beeinflussen. Aufgrund der notwen-
                       entworfen, welche die zentralen Dynamiken       digen Komplexitätsreduktion und wünschba-
                       in den künftigen Entwicklungsmöglichkeiten      ren Handhabbarkeit von Szenarien ist die
                       des Zürcher Tourismus verkörpern:               vorgenommene Bündelung der Faktoren auf
                                                                       zwei Kerndynamiken jedoch zulässig. Jeder
                       Die erste Achse repräsentiert die Summe aller   Quadrant des Szenariokreuzes entspricht ei-
                       ökonomischen, politischen und gesellschaft-     ner anderen Kombination von Ausprägun-
                       lichen Faktoren, die bestimmen, inwieweit       gen der beiden Kerndynamiken. Die Benen-
                       Zürich auch künftig ein attraktiver Wirt-       nungen der einzelnen Szenarien sollen dabei
                       schaftsstandort sein wird. Davon hängt ab,      ihre Kernideen in möglichst kondensierter
                       ob Zürich für den Business-Tourismus, wie       und prägnanter Form wiedergeben. Es ver-
                       wir ihn heute kennen, eine zentrale Destina-    steht sich von selber, dass sie kein politisches
                       tion bleibt.                                    Programm sein können (oder gar sollen).

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Überblick Szenarien                    Faktoren, welche Zürich als
                                                                       Wirtschaftsstandort stärken

                                                                                              Bleisure Hub
                                                         Premium-Boutique
                                                                                             Zürich in der
                                                       Zürich für die Happy Few
                                                                                           Corporate World
                                Faktoren, welche die                                                            Faktoren, welche die
                                Mobilität erschweren                                                            Mobilität vereinfachen
                                                             Rückzugsort                      Smart Spot
                                                          Zürich im Zeitalter                Zürich in der
                                                            des Weniger                   Wissensgesellschaft

                                                                      Faktoren, welche Zürich als
                                Quelle: GDI 2010                     Wirtschaftsstandort schwächen

                                Was den Szenarien gemein ist: Sie gehen alle          Stadt mehrheitlich von Manhattan und weit
                                davon aus, dass die touristische Anziehungs-          weniger von Brooklyn, Long Island oder New
                                kraft von Zürich im In- und Ausland in erster         Jersey geprägt. Dasselbe gilt für Destinatio-
                                Linie der Kernstadt, dem See und erst dann            nen wie Paris, Rom oder Barcelona.
                                dem Umland entspringt. Zwar mögen Baden,
                                Baar oder das Sihltal ebenfalls sehr attraktiv        Die im Folgenden eingehender beschriebe-
                                und in den Augen der Bewohner von zentra-             nen Szenarien fokussieren daher primär auf
                                ler Bedeutung sein, in der Wahrnehmung des            Zürich als urbane Destination im Wettbe-
                                «typischen» Besuchers stehen sie nicht an             werb des Städtetourismus, beziehen die Re-
                                ganz oberster Stelle. Nehmen wir zum Ver-             gion und ihre Attraktionen als Ganzes aber
                                gleich New York: Obwohl um ein Vielfaches             immer mit ein.
                                grösser und berühmter, ist unser Bild dieser

                                                                                                                                            25

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Bleisure Hub: Zürich in der Corporate World

                                Kernidee: Zürich erkennt, dass die neue krea-                 Arbeitskräfte, Zugang zur Forschung etc.)
                                tive Klasse in ihrem Verhalten kaum mehr                      gewinnt Zürich als breitdiversifizierter Corpo-
                                zwischen Arbeit (Business) und Freizeit (Lei-                 rate-Standort weiter an Anziehungskraft für
                                sure) unterscheidet. Und bietet den moder-                    Unternehmen. Einhergehend mit der fort-
                                nen Nomaden deshalb das Beste aus beiden                      schreitenden globalen Verflechtung, baut
                                Welten: Bleisure. Zürich zeigt, wie nahe Plea-                Zürich seine Position als Wirtschaftszentrum
                                sure und Bleisure beisammen liegen und wird                   im Herzen Europas aus.
                                zur angenehmsten Business-Destination Eu-
                                ropas.                                                        Globale Anbindung und Vielfalt
                                                                                              Konzernzentralen oder Headquarters benö-
                                Wirtschaft als zentraler                                      tigen hochqualifiziertes Personal. Mobilität
                                Wachstumstreiber                                              und Flexibilität der Arbeitskräfte sind für den
                                Das Wachstumsszenario geht von einer all-                     wirtschaftlichen Erfolg von Zürich im Wachs-
                                mählichen Erholung der Weltwirtschaft ab                      tumsszenario deshalb essenziell. Wer aktiv
                                2010 aus. Was man aus der Krise mitnimmt:                     zum Fortschritt und zur Produktivität des
                                die Erkenntnis, dass die eigene Wirtschaft                    Standorts beiträgt, ist in Zürich willkommen.
                                bereits sehr eng mit dem Ausland verknüpft                    Dank einer liberalen Migrationspolitik und ei-
                                ist und einzelne Bereiche der Volkswirtschaft                 ner fortschreitenden politischen Integration
                                als Folge der internationalen Entwicklung                     der Schweiz in Europa entsteht ein internatio-
                                sehr verletzlich sind. Das volkswirtschaftliche               naler, dynamischer Mix. Die Bevölkerung in
                                Interesse wächst, künftig als Standort für in-                der Stadt Zürich und den umliegenden Re-
                                ternational tätige Unternehmen und für Kon-                   gionen wächst. Die heutigen Bevölkerungs-
                                zernzentralen attraktiv zu sein. Der internati-               prognosen für die Jahre 2008 bis 2030 –
                                onale Standortwettbewerb verschärft sich.                     kantonales Mittel: 11 Prozent, Stadt Zürich:
                                Dank der bereits starken Präsenz internatio-                  8 Prozent – werden dabei übertroffen.21 Vor
                                naler Konzernzentralen (Banken, Versiche-                     allem die Regionen Knonaueramt, Furttal,
                                rungen, Bio-High-Tech etc.) und der günstigen                 Weinland und Glatttal wachsen dank der zu-
                                Kombination weiterer wichtiger Standortfak-                   nehmend besseren Erschliessung besonders
                                toren (Rechtssicherheit, attraktive Besteue-                  stark. Gleichzeitig kann das Bevölkerungs-
                                rung, gut ausgebaute Infrastruktur, einfache                  wachstum dem fortschreitenden demografi-
                                Rekrutierung hochqualifizierter und flexibler                 schen Wandel leicht entgegenwirken.

                                21 Schönauer (2009): Bevölkerung Stadt Zürich, Ausgabe 2009

                                                                                                                                                   27

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Aus wirtschaftlichen Gründen ist die globale                      Immobilienpreise. Was ökonomischen Mehr-
                       Anbindung von Zürich wichtiger denn je. Der                       wert schafft bzw. hohe Renditen abwirft, hat
                       mehrfach ausgezeichnete Flughafen läuft zur                       Vorrang. So wird das Stadtbild immer mehr
                       Höchstform auf. Zwar ist der Fluglärmstreit                       von Gewerbeimmobilien und Neubauwoh-
                       im Jahr 2030 nicht vollständig gelöst, doch                       nungen für Besserverdienende dominiert. Die
                       mit dem «Circle at Zurich Airport»22 wurden in                    «Seefeldisierung» weitet sich auf Wollisho-
                       der Region neue Arbeitsplätze und Impulse                         fen, Wiedikon und Wipkingen aus, eine Gen-
                       geschaffen, welche die Attraktivität der Flug-                    trifizierung, die man aus anderen Grossstäd-
                       hafengemeinden stärkt. Gleichzeitig verspricht                    ten wie Paris, London oder Barcelona längst
                       ein verbesserter Anschluss ans europäische                        kennt. Mit zunehmendem Platzmangel erhält
                       Hochgeschwindigkeitszugnetz längerfristig                         die Diskussion um weitere Hochhäuser in der
                       eine teilweise Entlastung für lärmbelastete                       Stadt neuen Aufschwung. Neu geplante Wür-
                       Gemeinden. Auch regional wird der öffentli-                       fe, die übers gut schweizerische Mittelmass
                       che Verkehr weiter verdichtet. Die Fahrdis-                       hinausgehen, finden immer breitere Abstüt-
                       tanz zwischen Flughafen und Stadtzentrum                          zung. Es bleibt der einzige Weg, um auf teu-
                       bleibt in Europa fast unübertroffen, die                          rem Land zu verdichten.
                       wachsende Agglomeration ist im Zehn-Mi-
                       nuten-Takt an Zürich angebunden. Durch die                        Umliegende Subzentren wie Winterthur oder
                       Verschmelzung der Stadt mit den umliegen-                         Zug, das Glatttal oder das Limmattal profitie-
                       den Subregionen bis Winterthur, Rapperswil                        ren vom akuten Platzmangel in Zürich. Sie
                       und Baden wächst eine «echte» kosmopoliti-                        können die Standortvorteile des Wirtschafts-
                       sche Metropolitanregion heran. Hinsichtlich                       zentrums bieten, aber zu attraktiveren Preisen.
                       Konsum, Kultur, Events, Erlebnis und Lifestyle                    Zudem sind kleinere Gemeinden aufgrund
                       misst sich Zürich mit den grossen Metropo-                        ihrer Grösse flexibler und besser steuerbar,
                       len wie London, Paris, Berlin oder Barcelona.                     sodass hier neue Bauprojekte schneller vor-
                                                                                         angetrieben werden können. Forschung und
                       Hochhäuser gegen den Platzmangel                                  Entwicklung auf dem Flugplatz Dübendorf?
                       Die starke Anziehungskraft der Stadt bringt                       Kongresse im Circle am Flughafen? Gesund-
                       neue raumplanerische Herausforderungen mit                        heit und Wellness in Bad Ragaz? In der klein-
                       sich. Die Baureserven sind zunehmend aus-                         räumigen Schweiz bleiben die Distanzen dank
                       geschöpft, der Wettbewerb um «gute Flä-                           dem dichten öffentlichen Verkehrsnetz über-
                       che» verschärft sich weiter. Der Markt dik-                       schaubar.
                       tiert die Spielregeln sowie die Boden- und

                       22 Geht alles nach Plan des Zürcher Flughafens, wird am Fusse des Butzenbüel-Hügels ab 2016 die erste Bauphase von «The Circle»
                          abgeschlossen sein; die 200‘000 Quadratmeter grosse Nutzfläche bietet Europa-Hauptsitze wichtiger Firmen, Showrooms
                          erstklassiger Brands, weltweit gefragte Think-Thank-Köpfe und Meeting-Möglichkeiten. Dazu kommen Dienstleistungen in den
                          Bereichen Gesundheit, Schönheit und Wellness sowie ein Hotel- und Büro-Bereich. Den Architekturwettbewerb gewonnen
                          hat der japanische Stararchitekt Riken Yamamoto, Baubeginn soll ab 2012 sein. www.thecircle.ch

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