COVID-19 ist eine globale und bedrohliche Infektionserkrankung - neben vielen anderen - Labor 28

 
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COVID-19 ist eine globale und bedrohliche Infektionserkrankung - neben vielen anderen - Labor 28
# 68 medizinisches versorgungszentrum labor 28 MÄRZ 2022

COVID-19 ist eine globale und bedrohliche
Infektionserkrankung – neben vielen anderen
dr. med. michael müller                                                                          IN DIESER AUSGABE

 COVID-19 als neue globale Infektionser-         substanziellen Teil der gesellschaftlichen      COVID-19 ist eine globale und
 krankung und auch als eine Jahrhundert-         Anstrengungen allein auf die Pandemiebe-        bedrohliche Infektionserkrankung
 pandemie beherrscht weiterhin das gesell-       wältigung auszurichten? Was bedeutet das        – neben vielen anderen .............................. 1
 schaftliche Miteinander. Ende Januar 2022       für die medizinische Versorgung der vie-        Das Hyper-IgE-Syndrom.............................. 2
 sind weltweit mehr als 350 Millionen Fälle      len anderen akuten und chronischen Er-
                                                                                                 Giardia duodenalis —
 gezählt, über 5,6 Millionen Menschen sind       krankungen? Wie kommen wir zurück zu
                                                                                                 neue Erkenntnisse zu
 im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-           einer angemessenen Gewichtung, die eine
                                                                                                 einem alten Parasiten.................................. 3
 Infektion gestorben.                            SARS-CoV-2-Infektion entsprechend ihrer
        In Deutschland überstieg die Zahl        medizinischen Bedeutung einordnet und           Labordiagnostik bei
 der laborbestätigten Fälle die Zehn-Milli-      daraus auch das Handeln sowie die Emp-          chronisch-entzündlicher
 onengrenze. Unsere Gesellschaft verzeich-       fehlungen für die von der Erkrankung Be-        Darmerkrankung (CED)................................ 4
 net mehr als 110.000 Verstorbene. Das un-       troffenen ableitet?                             Ein hämatologischer Fall ........................... 6
 sichtbare Virus hat als für das menschli-             Vor einem Jahr habe ich an dieser         Normocalciämischer primärer
 che Immunsystem neuer Erreger fast alles        Stelle geschrieben: „Ärztinnen und Ärzten       Hyperparathyreoidismus............................. 7
 im Griff, und auch die Medizin richtet sich     wird, unabhängig von ihrem Tätigkeitsge-
                                                                                                 Endokrine Nebenwirkungen bei
 weiterhin weitestgehend danach aus. Mit         biet in der direkten Patientenversorgung
                                                                                                 Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren
 der ‚Omikron-Welle‘ sieht sich die Gesell-      oder im Öffentlichen Gesundheitsdienst,
                                                                                                 in der Onkologie – Labordiagnostik......... 8
 schaft mit einer noch leichter übertragba-      diese neuartige Infektionserkrankung weit-
 ren Virusvariante konfrontiert, die auch        gehend in wichtigen Kernfragen aus der          Dihydropyrimidin-Dehydrogenase
 Geimpfte infiziert und somit nahezu kein        Hand genommen. Fokus und Blickwinkel            (DPD)-Testung vor Einsatz von
‚Stoppschild‘ kennt. Dies versperrt den Blick    verschieben sich, ja es konkurrieren ganz       5-Fluorouracil-, Capecitabin- und
 auf den schnellen und bahnbrechenden Er-        unterschiedliche und berechtigte Interes-       Tegafur-haltigen Medikamenten.............10
 folg der frühen Entwicklung wirksamer           sen miteinander, die einer gemeinschaftli-
                                                                                                 STETS AKTUELL: Die Laborinformationen
 Impfstoffe, die sehr zuverlässig vor einem      chen Abwägung bedürfen. Hier kommt Ein-
                                                                                                 und Diagnostischen Pfade von Labor 28
 schweren Verlauf und dem Versterben an          richtungen wie dem Ethikrat und auch den
 einer COVID-19-Erkrankung schützen.             ärztlichen Körperschaften und Vertretungen
        Doch was kommt danach? Wie lange         eine besondere Rolle zu. So ist SARS-CoV-2          www.labor28.de/fachinformationen
 ist es richtig, notwendig und sinnvoll, einen                  Lesen Sie weiter auf Seite 2 >

                                                                                                                        magazin 03/2022 | 1
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SARS-CoV-2 ist eine globale und bedrohliche
Infektionserkrankung – neben vielen anderen
      > Fortsetzung von Seite 1

als neue Infektionserkrankung auch eine                 liche Studien‘, deren Existenz und Rich-                     Es scheint dringend geboten, wieder
neue Herausforderung für die Zusammenar-                tigkeit nicht einmal überprüfbar sind. Es              die Balance zu finden zwischen allen An-
beit innerhalb der Ärzteschaft und auch weit            reicht bereits, eine eingereichte und noch             sprüchen und Erwartungen, der Verhinde-
darüber hinaus innerhalb der gesellschaftli-            nicht unabhängig überprüfte Publikation                rung einer Überlastung des Gesundheits-
chen Gruppen. Das erfordert einen respekt-              vorzulegen, um das Gewicht von Argu-                   wesens durch alle direkten und indirekten
vollen und wertschätzenden Diskurs, in dem              menten zu erhöhen. Im ‚Klein-Klein‘ und                Auswirkungen der SARS-CoV-2-Infektion
der Ärzteschaft auch eine besondere Rolle              ‚Schnell-schnell‘ ergeht sich die Diskussion.           und der Sicherstellung einer bestmögli-
und Verantwortung zukommt.“                                   Eingesetzte Expertenräte tagen im                chen medizinischen Versorgung der Bevöl-
       Es wirkt befremdlich, wenn überwie-              Geheimen und publizieren Stellungnah-                  kerung, die sich jederzeit an uns Ärztinnen
gend Personen aus medizinfremden Berei-                 men mit einstimmigen Voten, was an-                    und Ärzte wenden können sollte. Politik
chen über medizinische Fragen und sich                  gesichts der Thematik kaum möglich er-                 kann hierfür nur die Rahmenbedingungen
daraus ergebende Maßnahmen zur Bewäl-                   scheint. Über allem tritt die medizinische             bereitstellen und sollte auch nicht in grö-
tigung einer von einer Infektionserkran-               Versorgung der Bevölkerung in den Hin-                  ßerem Umfang in die Detailfragen ‚hinein-
kung ausgelösten Pandemie diskutieren                   tergrund. Die Folge ist eine messbare deut-            regieren‘.
und dabei uns Ärztinnen und Ärzten die                  lich spätere Inanspruchnahme ärztlicher                      Nehmen wir die COVID-19-Erkran-
Ausübung unseres Berufs zu erklären ver-                Hilfe bei akuten und chronischen Erkran-               kung im Zusammenhang mit der SARS-
suchen. Dabei werden nicht selten medi-                 kungen mit verzögerter Diagnosestellung                CoV-2-Infektion weiterhin ernst und ge-
zinisch-ärztliche Argumente ohne weitere                von Herzinfarkt, Schlaganfall, Tumorer-                ben ihr das Gewicht und die Bedeutung,
Begründung ‚vom Tisch gefegt‘, gelegent-                krankungen und vielen anderen behand-                  die ihr aus medizinisch-ärztlicher Sicht zu-
lich auch mit Verweis auf ‚wissenschaft-                lungsbedürftigen Krankheiten.                          zumessen ist. S

Das Hyper-IgE-Syndrom
      Das Hyper-IgE-Syndrom
Deutlich erhöhte Werte des Gesamt-IgE und Eosinophilie des Blutes lenken unseren Verdacht meist zuerst auf
IgE-vermittelte Allergien (Typ I) oder auf parasitäre Erkrankungen. Wenn noch ein chronisches Ekzem und
eine asthmatische Lungensymptomatik dazukommen, wird der Verdacht auf eine Allergie oft noch stärker. Wir
dürfen hierbei jedoch keinesfalls andere, therapeutisch anders anzugehende chronische Erkrankungen außer
Acht lassen. Hier ist das Hyper-IgE-Syndrom eine wichtige Differenzialdiagnose.

Dr. med. Andreas Warkenthin

Das Hyper-IgE-Syndrom (auch Hiob-Syn-                  Schon im Säuglingsalter vor allem im Ge-                Zahnwurzelsubstanz). Neben dieser Ver-
drom oder HIES genannt) ist eine vererb-               sicht und auf behaarter Kopfhaut auftre-                laufsform (STAT-3-Gen) werden auch
bare Erkrankung und hat eine Prävalenz                 tende Ekzeme sowie rezidivierende Haut-,                zwei autosomal-rezessive Entitäten (TYK2-
von 1:100.000 Einwohner. Aufgrund ei-                  Weichteil- oder Atemwegsinfektionen mit                 Gen, DOCK8-Gen) beschrieben. Hier feh-
nes Gendefektes kommt es zur Überpro-                  vorwiegend extrazellulären Bakterien und                len die skelettalen Symptome und es treten
duktion von Immunglobulin E mit Werten,                Pilzen, bei denen typische Entzündungszei-              rezidivierend virale Infektionen auf (Her-
die typischerweise > 2000 IU/ml liegen bei             chen fehlen können (‚kalte Abszesse‘). Da               pes simplex, Varizella Zoster, Molluscum
Eosinophilenzahlen oft > 0,7 G/l und chro-             die Bindegewebsbildung beeinträchtigt sein              contagiosum). Wegbereitend dafür ist eine
nischem Ekzem. Da das meistbetroffene                  kann, wird die Bildung von Defektheilungen              ausgeprägte T-Zelldefizienz. Die autoso-
Gen (STAT-3-Gen, autosomal-dominan-                    begünstigt (Pneumatozelen) und skelettalen              mal-rezessiven Formen begünstigen das
ter Erbgang) bei der Produktion von Ab-                Symptomen (Skoliosen, Gelenküberstreck-                 Auftreten von Asthma bronchiale und von
wehrstoffen in Haut und Lunge, sowie bei               barkeit, Osteoporose) Vorschub geleistet.               Nahrungsmittelallergien.
der Einwanderung von Leukozyten und                          Ein weiteres klinisches Verdachtsmo-                    Die klinische Verdachtsdiagnose
bei der Bindegewegsbildung eine bedeut-                ment für das Hiob-Syndrom ist die Milch-                kann in den meisten Fällen genetisch bestä-
same Rolle spielt, erklären sich im Falle ei-          zahnpersistenz bei der autosomal-dominan-               tigt werden (EDTA-Blut, Einwilligungser-
ner Erkrankung die möglichen Symptome:                 ten Form (verminderte Resorption der                    klärung nach Gendiagnostikgesetz). S

Literatur:
1. Trautmann A, Kleine-Tebbe J. Allergologie in Klinik und Praxis, 3. Auflage, 2017; Georg Thieme Verlag, S. 453 ff
2. Hyper-IgE-Syndrome, in: Pädiatrie hautnah 2012; 24(5), S. 330 ff
3. Yoshiyuki Minegishi. Hyper-IgE syndrome, 2021 update, in: Allergology International 70 (2021): 407–414

2 | medizinisches versorgungszentrum labor 28
COVID-19 ist eine globale und bedrohliche Infektionserkrankung - neben vielen anderen - Labor 28
Quelle: Wikipedia, CDC/Janice Haney Carr
Giardia duodenalis —
neue Erkenntnisse zu
einem alten Parasiten
Giardia duodenalis (syn. G. lamblia, G. intestinalis) wurde 1681 von
Antoni van Leeuwenhoek bei der Untersuchung seines eigenen durchfälligen
Stuhls mittels eines selbstkonstruierten Mikroskops erstmalig entdeckt.
Der einzellige Erreger wird wie viele andere darmpathogene Mikroorganismen
fäkal-oral übertragen und besiedelt vor allem Duodenum und Ileum des Wirtes.

Prof. Dr. med. Ralf Ignatius

Das klinische Bild der Giardiasis ist sehr heterogen      Deutschland mit importierten Erregern vorstellen.
und reicht von akuten bzw. chronischen oder auch in-      Bessere molekulare Typisierungsmethoden werden
termittierenden Diarrhöen bis zu körperlichen Ent-        hier in Zukunft sicherlich mehr Klarheit bringen.
wicklungsstörungen, jedoch ohne Durchfälle, bei pädi-           Die Labordiagnose beruht ausschließlich auf dem
atrischen Patienten in Endemiegebieten. Die gestörte      direkten Erregernachweis, wobei sich die PCR, die je-
Wachstums- und Gewichtzunahme chronisch infizier-         doch bislang nicht Teil der gesetzlichen Regelversor-
ter Kinder geht mit einem erheblich veränderten intes-    gung ist, verglichen mit der Lichtmikrokopie oder dem
tinalen Mikrobiom einher.1                                Antigennachweis sowohl bei Reiserückkehrern als
      Mittlerweile kennen wir acht Subtypen des Erre-     auch in Endemiegebieten als die sensitivste Methode
gers, die ‚Assemblages A–H‘ genannt werden. Erreger       erwiesen hat. Folgerichtig würde aber eine regelhafte
der Assemblages A und B finden sich vor allem beim        Diagnostik mittels PCR auch die Meldezahlen und ggf.
Menschen, wobei von einer großen Anzahl gemisch-          sogar Tätigkeitsverbote gemäß §34 u. 42 IfSG beein-
ter Infektionen (A + B, aber auch A + A und B + B) aus-   flussen.
zugehen ist. In Zusammenarbeit mit dem RKI und an-              Die Therapie der Giardiasis erfolgt in der Regel
deren Laboren haben wir gerade zeigen können, dass        mit 3 x 500 mg Metronidazol über 5 bis 7 Tage. Aller-
diese gemischten Infektionen molekular nicht einfach      dings sind therapierefraktäre Infektionen nicht selten.
zu typisieren sind, was die Nachverfolgung von Aus-       Diese können ein erhebliches Problem darstellen, da
brüchen oder auch das Erkennen von Infektketten er-       randomisierte kontrollierte Studien zu den meisten
heblich erschwert.2                                       Zweitlinienmedikamenten (u. a. Nitazoxanid, Alben-
      In Deutschland werden Infektionen vor allem         dazol/Mebendazol, Chloroquin, Paromomycin) feh-
bei Kindern unter 10 Jahren und dann wieder bei Er-       len. Vorgeschlagen werden daher Kombinationen, die
wachsenen im Alter von 20 bis 60 Jahren gesehen.3 Das     meist aus zwei dieser Medikamente plus einem 5-Nit-
männliche Geschlecht ist etwas häufiger betroffen als     roimidazol (z. B. Metronidazol) bestehen.
das weibliche, und es treten mehr Infektionen in ur-            Eine Alternative könnte hier in dem ‚wiederent-
banen als in ländlichen Bezirken auf. Bei etwa 50 %       deckten‘ Quinacrin (Mepacrin) bestehen,4 welches das
der jährlich circa 3.000 bis 4.000 dem RKI gemeldeten     wichtigste Antimalariamittel der Alliierten im Zwei-
Giardiasis-Fälle ist keine Auslandsanamnese bekannt,      ten Weltkrieg war und nach Kriegsende vom neben-
und die Infektionen werden vom RKI daher als auto-        wirkungsärmeren Chloroquin abgelöst wurde. Auch
chthon eingestuft. Infektquellen oder Reservoire für      wenn es gegenwärtig keine Zulassung als Arzneimit-
diese offenbar in Deutschland erworbenen Infektionen      tel hat, besteht eine Sondergenehmigung für die Be-
sind jedoch nicht bekannt.                                handlung von Protozoeninfektionen in der Human-
      Da sich die Erreger dieser Infektionen mit den      und Veterinärmedizin. Wegen seiner neuropsychia-
heute zur Verfügung stehenden Typisierungsme-             trischen Nebenwirkungen ist jedoch Vorsicht beim
thoden nicht von im Ausland akquirierten Erregern         Einsatz dieses Medikaments bei Patienten mit vorbe-
unterscheiden, kann man sich auch Infektketten in         kannten ZNS-Störungen geboten. S

Literatur:
1. Berry ASF et al. mSphere 2020; 5(4): e00670–20
2. Woschke A et al. PLoS NTD 2021; 15(3): e0009277
3. RKI, Infektionsepidemiologisches Jahrbuch 2020
4. Neumayr A et al. Clin Infect Dis. 2021; 1517–23

                                                                                                    magazin 03/2022 | 3
COVID-19 ist eine globale und bedrohliche Infektionserkrankung - neben vielen anderen - Labor 28
Labordiagnostik bei chronisch-
        entzündlicher Darmerkrankung (CED)
        Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen sind komplexe, multifaktorielle Krankheitsbilder,
        bei denen zu den wegweisenden Leitsymptomen häufig abdominelle Schmerzen, anhaltende
        Diarrhö oder ein rektaler Blutabgang gehören. Zu den klassischen CED-Entitäten zählen der
        Morbus Crohn und die Colitis ulcerosa. Als Systemerkrankungen müssen CED allerdings
        nicht nur auf den Gastrointestinaltrakt beschränkt sein.

        Dr. med. Antje Hohmann da Silva

        Etwa die Hälfte der Patienten weist extraintestinale      in der akuten Abklärung einer CED sowie deren Ver-
        Manifestationen auf, die sich neben der am häufigsten     laufsdiagnostik eingenommen und wird ebenfalls zum
        beschriebenen Eisenmangelanämie mit unterschied-          Therapie-Monitoring bei bekannter CED herange-
        licher Häufigkeit an Gelenken (z. B. enteropathische      zogen. Calprotectin im Stuhl dient auch zur Abgren-
        Spondyloarthritis), Haut (bspw. Erythema nodosum          zung von nicht-entzündlichen Ursachen intestinaler
        oder Pyoderma gangraenosum), Augen (z. B. Uveitis)        Beschwerden bzw. dem (funktionellen) Reizdarmsyn-
        als auch hepatobiliär abspielen können (primär skle-      drom, kann aber eine infektiöse Ursache naturgemäß
        rosierende Cholangitis [PSC], primär biliäre Cholan-      nicht differenzieren.
        gitis [PBC], Autoimmunhepatitis [AIH]). Selten sind              Bei Erstmanifestation und ggf. im Schub sollte
        zusätzlich das kardiorespiratorische System, Pankreas     zum Ausschluss einer intestinalen Infektion eine mi-
        oder die Nieren betroffen.                                krobiologische Stuhldiagnostik erfolgen, mit der v. a.
                                                                  die häufigsten bakteriellen Enteritis-Erreger (in ab-
         ERSTDIAGNOSTIK
                                                                  steigender Reihenfolge: Campylobacter, Salmonellen,
        Da ein früher Therapiebeginn den weiteren Krank-          enterohämorrhagische E. coli [EHEC] und Shigellen)
        heitsverlauf positiv beeinflusst, ist zur raschen Diag-   zuzüglich Clostridioides difficile-Toxin erfasst wer-
        nosestellung eine Zusammenschau von ausführlicher         den. Bei entsprechender Anamnese müssen ggf. auch
        Anamnese (insbesondere auch kürzliche Reiseanam-          virale Erreger (Noroviren, Rotaviren) und Parasiten
        nese und Nahrungsmittelunverträglichkeiten) und           (v. a. Giardia lamblia, Amöben und Kryptosporidien)
        körperlicher Untersuchung neben der Labordiagnos-         berücksichtigt werden. Bei CED-Patienten mit schwe-
        tik, endoskopischen und histologischen Befunden so-       rem oder steroidrefraktärem Verlauf sollte auch an das
        wie bildgebenden Verfahren entscheidend.                  Vorliegen einer Cytomegalievirus (CMV)-(Re-)Infek-
              Laborchemisch sollten im Rahmen der initia-         tion gedacht werden.
         len Diagnostik zur Beurteilung von Entzündung und               Der differenzialdiagnostische Ausschluss einer
        Krankheitsaktivität mindestens das große Blutbild,        Zöliakie gelingt mit der Bestimmung von IgA-AK ge-
        CRP und ggf. BSG, Kreatinin, Leber- und Cholestase-       gen Transglutaminase und Gesamt-IgA. Bei vorliegen-
        Parameter (ALAT/GOT, ASAT/GPT, GGT, AP) und               dem IgA-Mangel ist die zusätzliche Verwendung ei-
        der Eisenhaushalt (Ferritin unter Kenntnis des CRP        nes IgG-basierten Tests erforderlich (z. B. Gliadin-IgG
        und im Zweifel der sTFR/lösliche Transferrinrezeptor      oder Transglutaminase-IgG).
        sowie die Transferrinsättigung) untersucht werden.               Da sich die Unterscheidung zwischen Morbus
             Da eine relevante intestinale Entzündung auch        Crohn und Colitis ulcerosa manchmal schwierig gestal-
        bei unauffälligen serologischen Parametern nicht im-      tet, kann zur Abgrenzung dieser beiden Krankheitsen-
        mer sicher ausgeschlossen werden kann, bieten fäkale      titäten im Einzelfall der Nachweis von perinukleären
        Entzündungsmarker einen großen diagnostischen Zu-         antineutrophilen cytoplasmatischen AK (p-ANCA) für
        gewinn. Neben Laktoferrin hat vor allem Calprotectin      die Colitis ulcerosa und Anti-Saccharomyces-cerevi-
        als Neutrophilenprotein eine herausragende Stellung       siae-AK (ASCA) für den Morbus Crohn hilfreich sein.

4 | medizinisches versorgungszentrum labor 28
KRANKHEITSVERLAUF
                                                                       CED-Patienten unter Therapie mit Biologika wer-
Bei Patienten mit gesicherter CED ist im weiteren                den zur Überprüfung von Medikamentennebenwir-
Krankheitsverlauf mit vielfältigen Mangelerscheinun-             kungen oder Therapieansprechen ebenfalls laborme-
gen zu rechnen, die sich am häufigsten als Anämie äu-            dizinisch begleitet. In diesem Zusammenhang werden
ßern. Neben dem Eisenmangel (Untersuchungen zum                  je nach eingesetzter therapeutischer Substanz bspw.
Eisenhaushalt siehe Seite 4) kann es je nach Dünndarm-           BB, Nieren- und Leberfunktion überprüft sowie Arz-
befall oder Ileum-Resektion zu einem Folsäure- und/              neimittelspiegel (z. B. Infliximab, Adalimumab, Vedo-
oder Vitamin B12-Mangel kommen, sodass bei entspre-              lizumab, Golimumab, Ustekinumab) und ggf. entspre-
chendem klinischen Verdacht der Folsäurespiegel und              chende Anti-Drug-Antikörper bestimmt. Bei geplan-
zur Abklärung des Vitamin B12-Haushalts vorzugs-                 tem Einsatz von Thiopurinen (z. B. Azathioprin) wird
weise Holo-Transcobalamin (Holo-TC) und ggf. Me-                 vor Therapiebeginn die Bestimmung der TPMT-Akti-
thylmalonsäure bestimmt werden sollten.                          vität und ggf. die TPMT-Genotypisierung empfohlen.
      Ein auftretender Proteinmangel bzw. Proteinver-                  Zusammenfassend ist bei V. a. CED eine rasche
lust kann sich in verminderten Serumkonzentrationen              und zuverlässige Erstdiagnostik erforderlich. Bei An-
für Gesamteiweiß und Albumin niederschlagen. Au-                 wendung der bewährten und der vielen neuen The-
ßerdem können Resorptionsstörung und Malnutrition                rapiemöglichkeiten ist ferner eine engmaschige Pati-
zu einem Mangel an Spurenelementen (Zink, Magne-                 entenbetreuung mit gezielten Verlaufskontrollen im
sium) und weiteren Vitaminen (A, D und E) führen.                Rahmen des Therapie-Monitorings notwendig. S

Literatur:
1. Gruber R. Chronisch entzündliche Darmerkrankungen – Darm ohne Charme. Trillium Diagnostik 2021; 19(3): 184–187
2. Fischer S, Rath T, Neurath MF. Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
    Internist 2018; 59:681–693
3. S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn“, Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie,
    Verdauungs-und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), 2021; AWMF-Registernummer: 021–004
4. S3-Leitlinie Colitis ulcerosa – Living Guideline: Überprüfung 2021; Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie,
    Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – AWMF-Registriernummer: 021–009

                                                                                                                 magazin 03/2022 | 5
Aus unserem Labor

        Ein hämatologischer Fall
        Beim Mikroskopieren eines Differenzialblutbildes waren circa 11 Prozent atypische
        Lymphozyten aufgefallen. Es zeigten sich kleine und teilweise große lymphoide Zellen mit
        cerebriformen Kernen, die gut sichtbare Chromatinfurchen aufwiesen.

        Dr. med. Adrianna Jagiello

        Diese atypischen Lymphozyten werden als Sézary-
        bzw. Lutzner-Zellen bezeichnet. Im Differenzialblut-
        bild war außerdem eine leichte Lymphopenie auffällig,
        des Weiteren konnte eine deutliche LDH-Erhöhung
        als Nachweis eines erhöhten Zellumsatzes nachgewie-
        sen werden. Da uns keine Vorbefunde vorlagen, haben
        wir die behandelnde Ärztin kontaktiert, die berichtete,
        dass die 80-jährige Patientin an einem Sézary-Syn-
        drom leide. Klinisch weise die Patientin eine Erythro-
        dermie und generalisierte Schwellung der Lymphkno-
        ten auf.
               Die uns heute als Sézary-Syndrom bekannte
        Krankheit wurde 1938 von Sézary und Bouvrain be-
        schrieben. Hierbei handelt es sich um ein seltenes pri-
        märes kutanes T-Zell-Lymphom (< 5 % aller kutanen
        T-Zell-Lymphome). Der Altersgipfel für die Diagnose       den Kriterien für die Diagnose notwendig: absolute
        liegt zwischen 55 und 60 Jahren mit Bevorzugung des       Sézary-Zellzahl von > 1000/μl, eine CD4/CD8-Ratio
        männlichen Geschlechts (m:w = 2:1). Die generali-         größer als zehn und/oder ein Verlust von einem oder
        sierte Erkrankung kann alle Organe betreffen, am häu-     mehreren T-Zell-Antigenen.
        figsten sind jedoch der Oropharynx, die Lunge und               Das Blutbild zeigt initial eine deutlich erhöhte
        das zentrale Nervensystem betroffen. Das Knochen-         Leukozytenzahl, mit dem Fortschreiten der Erkran-
        mark kann unter anderem auch befallen sein. Die me-       kung entwickelt sich im Verlauf eine Anämie und
        diane Lebenserwartung liegt bei dieser aggressiven Er-    Thrombozytopenie. Bei der Aussaat der neoplastischen
        krankung deutlich unter 5 Jahren, dabei versterben die    Zellen in das periphere Blut fallen im manuellen Diffe-
        meisten Patienten an opportunistischen Infektionen.       renzialblutbild atypische neben unauffälligen Lympho-
               Zu den drei Hauptdiagnosekriterien gehört eine     zyten auf. Morphologisch zeigen die überwiegend mit-
        Erythrodermie. Dabei handelt es sich um eine gene-        telgroßen Sézary-Zellen mit großen, eingekerbten und
        ralisierte Rötung der Haut, die meist mit Schuppung,      lobulierten Kernen (cerebriform). Das Zytoplasma ist
        Infiltration und Juckreiz einhergeht. Des Weiteren ist    bläulich, schmal und ungranuliert.
        eine generalisierte Lymphadenopathie und eine Aus-              In der Durchflusszytometerie können die Zel-
        saat neoplastischer Lymphozyten (Sézary-Zellen, auch      len anhand ihrer immunphänotypischen Oberflächen-
        Lutzner-Zellen genannt) in Haut und den Lymphkno-         merkmale (Cluster of Differentiation = CD) charakte-
        ten sowie eine leukämische Ausschwemmung ins peri-        risiert werden. Die Sézary-Zellen sind typischerweise
        phere Blut zu den Hauptdiagnosekriterien dazugehö-        positiv für CD3 und CD4 und negativ für CD8, CD7
        rig. Zusätzlich ist eines oder sind mehrere der folgen-   und CD26. S

6 | medizinisches versorgungszentrum labor 28
Was tun bei erhöhtem Parathormon aber nicht erhöhtem Calcium?

Normocalciämischer primärer
Hyperparathyreoidismus
Ein normocalciämischer primärer Hyperparathyreoidismus (NC-PHPT) ist gekennzeichnet durch
wiederholt erhöhtes Parathormon bei gleichzeitig unauffälligem Calcium, sofern sekundäre Ursachen
für erhöhte PTH-Werte sorgfältig ausgeschlossen worden sind.

Dr. med. Hans-Ulrich Altenkirch

Für die Diagnosestellung ist es ratsam, das        Vergleichbar mit dem klassischen               Sofern klinisch vertretbar, kann ein
ionisierte Calcium zu untersuchen. Am si-     PHPT mit erhöhtem Calcium stellt sich        Auslassversuch erwogen werden. Antire-
chersten wird dieses mit der Blutgasanalyse   auch beim normocalciämischen PHPT je         sorptive Substanzen wirken sehr lange: Bei
ermittelt, was aus präanalytischen Grün-      nach Symptomatik die Frage nach chirur-      Bisphosponaten ist eine Medikamenten-
den im niedergelassenen Bereich kaum re-      gischer oder medikamentöser Therapie.        pause von 12–24 Wochen und bis zu einem
alisierbar ist. Alternativ kann das Gesamt-         Sekundäre Ursachen zeigen häufig       Jahr notwendig, bevor sich PTH normali-
calcium mithilfe der Albuminkonzentra-        niedrig normale Calciumwerte und sind        siert. Bei Denosumab, das auch zu höheren
tion korrigiert werden.                       auszuschließen, bevor die Diagnose des       PTH-Werten führen kann, beträgt diese
      Da ein klassischer primärer Hyper-      NC-PHPT gestellt werden darf:                Pause 7–9 Monate.
parathyreoidismus (PHPT) durch wech-
                                              VITAMIN D-MANGEL                             CALCIUM-MALABSORPTION UND
selnd hohe Calciumwerte gekennzeichnet
                                                                                           VERMINDERTE CALCIUMAUFNAHME
ist, wird vermutet, dass es sich beim NC-     Der Vitamin D-Mangel ist die häufigste
PHPT um eine Sonderform des klassischen       Ursache einer sekundär bedingten Para-       Bei Darmerkankungen, Bypass-OP oder
PHPT handeln könnte. Es wird empfohlen,       thormon-Erhöhung und ist durch die Be-       Lipidmalabsorption kann PTH ebenfalls
eine Verlaufskontrolle durchzuführen, um      stimmung von 25-OH-Vitamin D leicht ve-      erhöht sein. Typischerweise besteht dann
einen etwaigen Anstieg des Calciums zu er-    rifizierbar. 25-OH-Vitamin D-Werte un-       ein Vitamin D-Mangel mit niedrigem bis
kennen. Auch andere pathophysiologische       ter 20 ng/ml zeigen eine Insuffizienz oder   normalem Calcium und Hypocalciurie.
Hypothesen werden diskutiert.                 einen Mangel an. Unter Substitution sind     Auch ein alimentär bedingter Calcium-
      Die Daten zur Prävalenz des NC-         Vitamin D Werte sicher oberhalb 20 ng/ml     mangel ist möglich.
PHPT sind uneinheitlich und reichen von       anzustreben und nach 3 Monaten können
                                                                                           IDIPATHISCHE HYPERCALCIURIE
0,4 bis 8,9 %. In einem unselektiven Kol-     PTH und Calcium erneut bestimmt werden.
lektiv von gesunden postmenopausalen                                                     Studien der letzten Jahre konnten nach-
                                              CHRONISCHE NIERENINSUFFIZIENZ
Frauen betrug der Anteil eines normocalci-                                               weisen, dass eine idiopathische Hypercalci-
ämischen primären Hyperparathyreoidis-        Eine weitere Ursache für ein erhöhtes urie (> 4 mg/kg/die) keine sekundäre Ursa-
mus 6 % nach Ausschluss eines Vitamin D-      PTH ist die chronische Niereninsuffizienz, che für erhöhtes PTH darstellt. Allerdings
Mangels, Niereninsuffizienz und Malab-        d. h. die berechnete GFR liegt über 3 Mo- kann bei Patienten mit primärem Hyper-
sorption!                                     nate unter 60 ml/min. Bei solch einer GFR parathyreoidismus postoperativ eine Hy-
      Patienten mit NC-PHPT können            sollte die Diagnose eines NC-PHPT nicht percalciurie bestehen bleiben und durch
ähnliche Symptome wie bei einem klassi-       gestellt werden.                           den permanenten Stimulus zu einer Hyper-
schen PHPT entwickeln: Osteoporose, er-                                                  plasie der Nebenschilddrüse mit erhöhtem
                                              MEDIKAMENTE
höhte Frakturbereitschaft, Nierensteine,                                                 PTH führen. S
auffällige Glukosetoleranz und Hypertonus     Folgende Medikamente sind häufig mit
sowie neuropsychiatrische Symptome wie        moderaten PTH-Erhöhungen vergesell-
Depressionen und Angststörungen sind          schaftet:                                  Literatur:
beschrieben. Oft werden Patienten mit                                                      1. Munoz de Nova JL et al. A practical approach to
                                              Ÿ   Schleifendiuretika                          normocalcemic primary hyperparathyroidism,
NC-PHPT erst bei Abklärung von Nieren-
                                              Ÿ   Bisphosphonate                              Endocrine 2021 Nov; 74(2):235–244.
steinen oder metabolischen Knochener-                                                      2. Cusano NE et al. Management of Normocalce-
                                              Ÿ   Denosumab
krankungen entdeckt.                                                                          mic Primary Hyperparathyroidism.
                                              Ÿ   Antiepileptika                              Best Pract Res Clin Endocrinol Metab. 2018
                                              Ÿ   Lithium                                     Dec; 32(6):837–845

                                                                                                                 magazin 03/2022 | 7
Endokrine Nebenwirkungen bei
        Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren
        in der Onkologie – Labordiagnostik
        Tumorzellen tragen durch Mutationen veränderte Oberflächeneigenschaften. Diese
        Neoantigene sollten prinzipiell von der Immunabwehr als fremd erkannt und die Zellen von
        den zytotoxischen T-Zellen eliminiert werden. Körpereigene Regulatoren bremsen diesen
        Mechanismus, um eine überschießende Immunantwort und auch Autoimmunphänomene zu
        vermeiden. Die onkologische Immuntherapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren soll diese
        Unterdrückung der natürlichen Immunantwort verhindern und so die Tumorabwehr stärken.

        Dr. med. Anja-Britta Sundermann

        Checkpoint-Inhibitoren setzen an den Kontrollpunk-                    Bei den immunassoziierten endokrinologischen
        ten des Immunsystems für die Interaktion zwischen               Nebenwirkungen sind, abhängig von den angewende-
        Antigen-präsentierenden Zellen, zytotoxischen T-Zel-            ten Substanzen, die Autoimmunthyreopathie (4–16 %)
        len und Tumorzielzellen an. Sie sind Antikörper ge-             und die Hypophysitis (0,1–18 %) häufig zu finden, sel-
        richtet vor allem gegen den CTLA4-Rezeptor (cy-                 tener eine Autoimmunadrenalitis (0,7–8 %) oder ein
        totoxic T-lymphocyte associated protein 4) und PD-              autoimmuner Diabetes mellitus (0–7,6 %). Häufig ist
        1-Rezeptor (programmed cell death protein 1) der                die Symptomatik unspezifisch.
        zytotoxischen T-Zelle und dessen Liganden PD-L1 auf                   Die Autoimmunthyreopathie kann symptoma-
        der zu eliminierenden Zelle. Checkpoint-Inhibitoren             tisch als Hypothyreose auftreten, die Bestimmung von
        verhindern so die Unterdrückung der zytotoxischen               erhöhtem TSH und niedrigem freien T4 hilft dabei zur
        T-Zell-Aktivität. Die Therapie findet Anwendung u. a.           Unterscheidung einer primären Hypothyreose von ei-
        bei malignen Melanomen, nicht kleinzelligen Lungen-             ner bei der Hypophysitis möglichen sekundären Hy-
        karzinomen, Nierenzell- bzw. Urothelkarzinomen und              pothyreose mit inadäquat niedrigem bis erniedrigtem
        Hodgkin-Lymphomen.                                              TSH-Wert. Im Rahmen einer destruierenden Thyre-
               Die das Immunsystem stimulierenden Effekte er-           oiditis kann auch eine initial hyperthyreote Phase vo-
        zeugen unter Therapie bei bis zu 80–95 % der Patienten          rangehen. Zur Abgrenzung eines durch Immunthera-
        Autoimmunphänomene, insbesondere bei Kombinati-                 pie ausgelösten M. Basedow dient die Bestimmung der
        onstherapien der Inhibitoren. Diese Nebenwirkungen              TSH-Rezeptor Autoantikörper (TRAK).
        (immune-related adverse events, irAEs) können sämt-                   Eine Hypophysitis, welche bei Nichterkennen le-
        liche Organsysteme betreffen, z. B. als Colitis, Pneu-          bensbedrohlich verlaufen kann, ist u. a. von Abgeschla-
        monitis oder Hepatitis imponieren sowie Haut und                genheit, Kopfschmerz, Hypotonie und Hyponatriämie
        ZNS befallen. Die Ausprägung reicht von leichter bis            gekennzeichnet. Folge einer Hypophysitis ist die In-
        lebensbedrohlicher Symptomatik und die Erkennung                suffizienz der hypohysären Achsen, am häufigsten ist
        ist diagnostisch komplex, da sich z. B. trotz autoimmu-         die thyreotrope Achse (84 %), gefolgt von der kortiko-
        ner Phänomene Autoantikörper oft nicht nachweisen               tropen Achse (80 %), der gonadotropen Achse (76 %),
        lassen. Der Beginn der Symptome kann, auch in Ab-               seltener die somatotrope Achse betroffen. Die Bestim-
        hängigkeit der angewendeten Inhibitoren, relativ zeit-          mung von Natrium, Kalium, idealerweise morgend-
        nah nach Therapiebeginn oder nach Monaten der lau-              lichem Nüchternkortisol und ACTH sind neben der
        fenden Therapie bis hin zu Auftreten nach Therapie-             Bestimmung der Gonadotropine (LH, FSH) und Tes-
        ende vorkommen.                                                 tosteron beim Mann sowie FSH bei der postmenopau-

        Literatur:
        1. Mai K, Fassnacht M, Führer-Sakel D, Honegger JB, Weber MM, Kroiss M. The diagnosis and management of
            endocrine side effects of immune checkpoint inhibitors. Dtch Arztebl Int 2021; 118: 389–96
        2. Braun GS, Kirschner M, Rübben A, Wahl RU, Amann K, Benesova K, Leipe J. Nebenwirkungen neuer onkologischer
            Immuntherapien. Nephrologe 2020;15:191–204

8 | medizinisches versorgungszentrum labor 28
LABORDIAGNOSTIK VOR UND UNTER IMMUNCHECKPOINT-INHIBITOR-THERAPIE

         Ÿ Glukose, Natrium, Kalium, Kreatinin
         Ÿ TSH, FT4 (ggf. initial TRAK)
         Ÿ Kortisol, ACTH

         Ÿ Testosteron (ggf. LH, FSH)

         Ÿ FSH (postmenopausal)
         Ÿ LH, FSH, Östradiol (prämenopausal, bei unregelmäßigem Zyklus)

salen Frau und LH, FSH und Östradiol bei der präme-      Polyurie, Polydipsie und Gewichtsverlust auf. Hypo-
nopausalen Frau angeraten (letztere bei regelhaftem      glykämie, niedriges C-Peptid und häufig auch Nach-
Zyklusgeschehen verzichtbar).                            weis von GAD- und IA2-AK sind zu finden. Die Be-
      Eine primäre Nebennierenrindeninsuffizienz lässt   stimmung von HbA1c ist hierbei nicht zielführend. So
sich durch erhöhte ACTH-Werte von der sekundär           sollte vor Beginn einer Therapie mit Immuncheck-
durch Hypophysitis bedingten Insuffizienz unterschei-    point-Inhibitoren die Anamnese mit Trinkmenge und
den. Auch sind hier erniedrigte Werte für Aldosteron     Blutdruck sowie ein Status quo der Labordiagnostik er-
und DHEAS bei erhöhtem Renin hinweisend.                 hoben werden und in der Folge vor jeder Applikation
      Der seltenere, jedoch fulminant auftretende Im-    wiederholt werden, um die Entwicklung der Immu-
muntherapie-induzierte Diabetes mellitus tritt durch     nantwort mit den auftretenden Nebenwirkungen bei
Insulinmangel mit den typischen Symptomen einer          oft unspezifischer Symptomatik nicht zu übersehen. S

                                                                                                  magazin 03/2022 | 9
Dihydropyrimidin-
        Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD)-Testung

     (DPD)-Testung
        vor Einsatz von 5-Fluorouracil-, Capecitabin-
        und Tegafur-haltigen Medikamenten
        Fluoropyrimidine werden als Chemotherapeutika zur Behandlung von einer Vielzahl von
        Tumoren, darunter Dickdarm-, Bauchspeicheldrüsen-, Magen- sowie Brustkrebs meist in
        Kombination mit anderen Arzneimitteln angewendet. Das Enzym DPD ist zu 80 % für die
        Verstoffwechslung des Chemotherapeutikums 5-Fluorouracil (5-FU) und dessen Prodrugs
        Capecitabin und Tegafur verantwortlich und wird vom Dihydropyrimidin-Dehydrogenase-
        Gen (DPYD-Gen) kodiert.

        Dr. med. Athanasios Vergopoulos

        Dem DPD-Mangel liegen Varianten im DPYD-Gen             dizinische Onkologie (DGHO) die prätherapeutische
        zugrunde, die zu einer DPD-Defizienz führen. Diese      Uracil-Messung (tiefgefrorenes EDTA-Plasma) sowie
        können zur Anreicherung von Fluorouracil im Blut        die Bestimmung der DPD-Aktivität in Leukozyten (in
        führen und mit einer schweren bis tödlichen Toxizität   Deutschland derzeit keine Routineuntersuchung) als
        (Mukositis, Diarrhö, Neutropenie und Neurotoxizi-       Alternativen zur genetischen Analyse genannt werden.
        tät) einhergehen. Der DPD-Mangel ist eine autosomal           Bei der DPYD-Genotypisierung erfolgt die Un-
        rezessiv vererbte Erkrankung. Bis zu 9 % der kaukasi-   tersuchung auf die vier wichtigsten DPYD-Varianten
        schen Bevölkerung haben niedrige DPD-Spiegel und        (c. 1905 + 1G > A oder Exon 14-Skipping-Mutation
        bei bis zu 0,5 % fehlt das Enzym ganz. Die Therapie-    [DPYD * 2A], c. 1679 T > G [DPYD * 13], c. 1236 G > A
        assoziierte Letalität liegt bei 0,2–1,0 %.              [Hap B3] und c. 2846A >T im Exon 22) mittels PCR
                                                                und Kapillarelektrophorese entsprechend den aktuell
         EMPFEHLUNGEN ZUR DPD-TESTUNG
                                                                gültigen Empfehlungen der CPIC (Clinical Pharma-
        Laut einer Empfehlung des Ausschusses für Risiko-       cogenetics Implementation Consortium) und DPWG
        bewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC)        (Dutch Pharmacogenetics Working Group). Eine aus-
        der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) sollen      reichende Evidenz für eine Assoziation mit vermin-
        Patienten auf das Fehlen bzw. den partiellen Mangel     derter DPD-Enzymaktivität und Toxizität besteht nur
        des Enzyms Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD)         für diese vier Varianten.
        getestet werden, bevor sie eine systemische Krebsbe-          Eine pharmakogenetische Untersuchung mit
        handlung mit Fluorouracil-haltigen Arzneimitteln be-    dem Ziel einer Optimierung der Arzneimitteltherapie,
        ginnen.                                                 wie im konkreten Fall, stellt eine diagnostische gene-
              Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP)        tische Untersuchung dar. Die Aufklärung über diese
        der EMA hat die Empfehlung des PRAC bestätigt und       Untersuchung muss durch einen Arzt erfolgen, ist aber
        das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-     nicht an eine dezidierte genetische Beratungskompe-
        dukte (BfArM) die Entscheidung umgesetzt. Diese         tenz, etwa die fachgebundene genetische Beratung ge-
        Empfehlungen sind Bestandteil der Fachinformatio-       bunden. Wird eine klinisch relevante DPYD-Variante
        nen der betroffenen Arzneimittel, und Rote-Hand-        gefunden, ist dem Patienten eine genetische Beratung
        Briefe mit entsprechenden Hinweisen sind bereits vor-   anzubieten.
        handen.                                                       Die o. g. Varianten sind für bis 30 % der zum Teil
                                                                schweren 5-FU-toxischen Nebenwirkungen verant-
         DIAGNOSTIK VOR THERAPIEBEGINN
                                                                wortlich. Trotz negativer Testergebnisse für einen
        Die Untersuchung auf einen DPD-Mangel kann durch        DPD-Mangel kann es dennoch zu einer schweren To-
        die Untersuchung bestimmter Mutationen im DPYD-         xizität kommen. Umgekehrt kommt es nicht bei allen
        Gen erfolgen (EDTA-Blut und Einwilligung zu geneti-     Merkmalsträgern zu einer Toxizität. Beispielsweise
        schen Untersuchungen nach GenDG, Kassenleistung).       wird bei nur ca. 50 % der Patienten mit der wichtigsten
        Aktuell ist diese molekulargenetische Testung als       Mutation (Exon 14-Skipping-Mutation) eine 5-FU-
        Methode der Wahl zu betrachten, wenngleich laut EMA     Toxizität gesehen. Es gibt mindestens 20 funktionell
        oder Deutscher Gesellschaft für Hämatologie und Me-     bedeutsame Mutationen des DPYD-Gens. Andere sel-

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-Dehydrogenase

                                                                    TDM WÄHREND DER THERAPIE

                                                          5-FU wird zu 80 % durch DPD verstoffwechselt. Ein
                                                          negatives Ergebnis der genetischen DPYD-Diagnos-
                                                          tik kann eine 5-FU-Toxizität nicht ganz ausschlie-
                                                          ßen. Weitere genetische und nichtgenetische Fak-
                                                          toren könnten eine Rolle spielen. Das heißt, dass
                                                          engmaschige Blutbildkontrollen bei Gabe von Flu-
  tene Varianten des DPYD-Gens könnten ebenfalls mit orouracil-haltigen Medikamenten weiterhin unent-
  einem erhöhten Risiko schwerer Toxizität assoziiert behrlich sind. Parallel dazu kann die 5-FU-Spiegelbe-
  sein. Eine anschließende DPYD-Sequenzierung bzw. stimmung (Serum, frühestens 6 Stunden nach Beginn
  Deletionssuche mit MLPA ist bei Bedarf in ausgewähl- der Infusion, taggleicher Laboreingang) erfolgen. Die
  ten Fällen möglich.                                     therapeutische Überwachung (Therapeutic Drug Mo-
  VOM GENOTYP ZUR DOSIS                                   nitoring, TDM) von 5-Fluorouracil kann zur optima-
                                                          len Einstellung der Dosierung beitragen und somit die
  Eine inzwischen gängige Einteilung klassifiziert die klinischen Ergebnisse verbessern. S
  metabolische Aktivität von DPD abhängig vom Geno-
  typisierungsergebnis in einen Aktivitätsscore von 0–2.
  Mittlerweile gibt es bereits Aktivitätsscore-gesteuerte
                                                             EMPFOHLENE DIAGNOSTIK VOR
  Dosierungsempfehlungen vom CPIC und der DPWG
                                                             THERAPIEBEGINN:
  sowie von der DGHO.
        Krebspatienten mit vollständigem DPD-Man-            Ÿ DPYD-Genotypisierung
  gel dürfen nicht mit 5-Fluorouracil, Capecitabin oder         EDTA-Vollblut und Einwilligung zu genetischen
  Tegafur systemisch behandelt werden. Bei partiel-             Untersuchungen nach GenDG
  lem DPD-Mangel sollte eine um mindestens 50 % re-
  duzierte Anfangsdosis erwogen werden. Die Dosie-
                                                             DIAGNOSTIK ZUR THERAPIE-ÜBERWACHUNG:
  rung kann nachfolgend erhöht werden, wenn keine
  schwerwiegende Toxizität vorliegt. Vor Beginn ei-          Ÿ Blutbildkontrollen
  ner Behandlung schwerer Pilzinfektionen mit Flucyto-          EDTA-Vollblut
  sin ist kein Test erforderlich, da die Behandlung nicht
  verzögert werden sollte. Bei bekanntem DPD-Mangel          Ÿ 5-FU-Spiegelbestimmung
  darf kein Flucytosin angewendet werden. Bei topischer         Serum, taggleicher Laboreingang
  Anwendung von Fluorouracil auf der Haut ist die Tes-
  tung nicht notwendig.

  Literatur:
  1. The Pharmacogenomics Knowledge Base (http://www.pharmgkb.org).
  2. Rote Hand Brief zu 5-Fluorouracil, Capecitabin und Tegafur vom 4. Juni 2020
  3. Rote Hand Brief zu Flucytosin vom 4. Juni 2020
  4. Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie. Positionspapier Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD)-
      Testung vor Einsatz von 5-Fluorouracil, Capecitabin und Tegafur. Juni 2020
  5. Richtlinie der Gendiagnostik-Kommission (GEKO) für die Beurteilung genetischer Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung für
      die Wirkung eines Arzneimittels bei einer Behandlung gemäß § 23 Abs. 2 Nr. 1b GenDG. Bundesgesundheitsbl 2017; 60:472–475
  6. Amstutz et al. Clinical Pharmacogenetics Implementation Consortium (CPIC) Guideline for Dihydropyrimidine Dehydrogenase
      Genotype and Fluoropyrimidine Dosing: 2017 Update. Clin Pharmacol Ther. 2018; 103(2): 210–216
  7. Henricks et al. DPYD genotype-guided dose individualisation of fluoropyrimidine therapy in patients with cancer, a prospective
      safety analysis. Lancet Oncol 2018; 19: 1459–67

                                                                                                                    magazin 03/2022 | 11
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Verantwortlich für den Inhalt:
Dr. med. Michael Müller (Geschäftsführer)

Ausgabe: März 2022

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